Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2008 - IV ZR 119/06

bei uns veröffentlicht am05.03.2008
vorgehend
Landgericht Karlsruhe, 2 O 58/05, 24.08.2005
Oberlandesgericht Karlsruhe, 12 U 238/05, 24.04.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 119/06 Verkündetam:
5.März2008
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Nachfrageobliegenheit des Versicherers bei Anbahnung einer Berufsunfähigkeits
-Zusatzversicherung (Angaben über Rückenbeschwerden).
BGH, Urteil vom 5. März 2008 - IV ZR 119/06 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 5. März 2008

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. April 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger beansprucht monatliche Rentenzahlungen aus einer bei der Beklagten seit dem 16. Mai 2001 gehaltenen BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung. Dem Vertragschluss ging der vom Kläger unterzeichnete schriftliche Antrag vom 30. April 2001 voraus, den der Versicherungsagent U. G. (im Berufungsurteil irrtümlich als "Gr. " bezeichnet ) ausgefüllt hatte. Darin sind sämtliche Fragen nach Untersuchungen , Beratungen oder Behandlungen wegen Krankheiten, Beschwerden oder Störungen während der vorausgegangenen fünf Jahre verneint. Im Zeitpunkt der Antragstellung war der Kläger infolge eines am 13. Februar 2001 beim Schlittenfahren erlittenen Unfalls, bei dem er sich die Wirbelsäule geprellt hatte, bis einschließlich 1. Mai 2001 arbeitsunfähig. Anlässlich dieses Unfalls waren ein Computertomogramm erstellt und eine Röntgenuntersuchung durchgeführt und dabei degenerative Schädigungen der Bandscheiben und der Wirbelsäule im Lendenwirbelbereich dokumentiert worden.
2
Beim Kläger, der zuletzt als Maschinen- und Anlagenmonteur gearbeitet und dabei schwere körperliche Arbeiten im Rohranlagenbau zu verrichten hatte, wurde im Dezember 2003 ein chronisch rezidivierendes Lumbalsyndrom diagnostiziert, welches die Belastbarkeit der Wirbelsäule derart mindert, dass er seine bisherige berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Mit Schreiben vom 24. August 2004 zeigte er der Beklagten seine Berufsunfähigkeit an. Er begehrt die Zahlung der vereinbarten Rente von monatlich 511,24 € seit dem 1. Dezember 2003.
3
6. Am November 2004 erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Versicherungsvertrag, dessen Annahmeerklärung sie zusätzlich mit Schreiben vom 16. November 2004 wegen arglistiger Täuschung anfocht. Sie wirft dem Kläger vor, er habe bei Beantragung der Versicherung seine anlässlich des Schlittenunfalls diagnostizierten Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule verschwiegen, und hält sich deshalb für leistungsfrei.
4
Der Kläger behauptet, er habe dem Versicherungsagenten bei Antragstellung seinen Gesundheitszustand zutreffend beschrieben, insbesondere von alters- und berufsbedingten Verschleißerscheinungen sei- ner Wirbelsäule gesprochen, ferner den Schlittenunfall vom 13. Februar 2001 und die damit einhergehende Arbeitsunfähigkeit erwähnt. Der Versicherungsagent habe all dies zur Kenntnis genommen, jedoch nicht im Versicherungsantrag vermerkt.
5
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Rechtsmittel Das hat Erfolg, es führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7
I. Das Berufungsgericht hält die Beklagte infolge ihres Rücktritts vom Versicherungsvertrag für leistungsfrei (§§ 16 ff. VVG). Sie habe den ihr obliegenden Beweis dafür erbracht, dass der Kläger dem Versicherungsagenten G. beim Ausfüllen des Antragsformulars seine durch die Beweisaufnahme belegte Fehlbildung der Lendenwirbelsäule und deren frühdegenerative Veränderung nicht offenbart habe. Insoweit sei die Angabe des Klägers, er habe von alters- und arbeitsbedingten Verschleißerscheinungen und ferner davon gesprochen, dass er gelegentlich - wie alle seine Kollegen - unter berufsbedingten Rückenschmerzen leide, mit der Zeugenaussage des Versicherungsagenten vereinbar, wonach lediglich allgemein von der Sinnhaftigkeit einer BerufsunfähigkeitsZusatzversicherung und insbesondere von Krankheiten infolge der vom Kläger ausgeübten schweren körperlichen Arbeit, nicht jedoch von kon- kreten Beeinträchtigungen des Klägers die Rede gewesen sei. Das decke sich auch mit der Bekundung der als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers, es sei in ihrer Gegenwart nicht über Verschleißerscheinungen oder andere Beeinträchtigungen der Wirbelsäule gesprochen worden.
8
Die vom Kläger verschwiegenen Beeinträchtigungen der Lendenwirbelsäule seien gefahrerheblich gewesen, wie sich bereits aus der entsprechenden schriftlichen Frage im Antragsformular ergebe. Im Übrigen liege die Gefahrerheblichkeit in Anbetracht der zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit des Klägers auf der Hand. Der Kläger, dem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewusst gewesen sei, dass bei ihm nicht lediglich eine Verschleißerscheinung, sondern eine anlage- und krankheitsbedingte Anomalie vorliege, habe den ihm nach § 16 Abs. 3 VVG eröffneten Entlastungsgegenbeweis nicht geführt. Dazu reiche es nicht aus, dass er auf alters- und berufsbedingte Verschleißerscheinungen hingewiesen habe, denn er habe nicht annehmen dürfen, damit seiner Anzeigeobliegenheit zu genügen. Auch § 21 VVG stehe der Leistungsfreiheit nicht entgegen, der Kläger habe nicht nur den Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht, sondern es sei nach der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die verschwiegenen Vorschäden der Lendenwirbelsäule die Entstehung des nunmehr diagnostizierten Wirbelsäulensyndroms begünstigt hätten.
9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand, weil das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob die Angaben des Klägers gegenüber dem Versicherungsagenten geeignet waren, die Nachfrageoblie- genheit des Versicherers zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung auszulösen.
10
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss der Versicherer beim künftigen Versicherungsnehmer nachfragen, wenn dieser bei Antragstellung ersichtlich unvollständige oder unklare Angaben macht (vgl. Senatsurteile vom 11. November 1992 - IV ZR 271/91 - VersR 1993, 871 unter 3 b m.w.N.; vom 2. November 1994 - IV ZR 201/93 - VersR 1995, 80 unter II 2 c). Denn die dem Versicherer obliegende ordnungsgemäße Risikoprüfung, die die Schaffung klarer Verhältnisse in Bezug auf den Versicherungsvertrag schon vor Vertragsschluss gewährleisten soll und deshalb nicht auf die Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls verschoben werden darf (BGHZ 117, 385, 388; Senatsurteil vom 11. November 1992 aaO), kann aufgrund solcher Angaben nicht erfolgen.
11
Füllt - wie hier - ein Versicherungsagent das Antragsformular nach den Angaben des Antragstellers aus, so muss sich der Versicherer die dem Agenten zur Kenntnis gebrachten Umstände als bekannt zurechnen lassen (BGHZ 102, 194 ff.; Senatsurteile vom 28. November 1990 - IV ZR 219/89 - VersR 1991, 170 unter 3 a; vom 11. November 1992 aaO unter 2). Führen die Angaben des Antragstellers dem Agenten vor Augen, dass ersterer seiner Anzeigeobliegenheit noch nicht vollständig genügt hat, so geht es zu Lasten des Versicherers, wenn der Agent nicht für die nach Sachlage gebotene Rückfrage sorgt.
12
Unterlässt der Versicherer eine ihm nach den vorgenannten Grundsätzen obliegende Rückfrage und sieht er insoweit von einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung ab, so ist es ihm im Weiteren nach Treu und Glauben verwehrt, gestützt auf die Unvollständigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers wirksam vom Versicherungsvertrag zurückzutreten (Senatsurteil vom 11. November 1992 aaO unter 3 b und ständig

).


13
2. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausschließen, dass die Angaben des Klägers gegenüber dem Versicherungsagenten G. geeignet waren, die Nachfrageobliegenheit des Versicherers auszulösen, und die Beklagte ihr Rücktrittsrecht dadurch verwirkt hat, dass die gebotene Nachfrage unterblieben ist.
14
a) Hat es - wie hier - der Versicherungsagent übernommen, das Antragsformular nach den Angaben des Antragstellers auszufüllen, so kann der Versicherer den Nachweis für die falsche Beantwortung der im Formular enthaltenen Fragen nicht allein durch den vom Versicherungsnehmer unterschriebenen Antrag erbringen, wenn letzterer substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Vielmehr muss, wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, in einem solchen Fall der Versicherer beweisen, dass die im Formular niedergelegten Fragen dem Versicherungsnehmer tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind (Senatsurteil vom 14. Juli 2004 - IV ZR 161/03 - VersR 2004, 1297 unter 1 m.w.N.).
15
b) Das Berufungsgericht hat aufgrund der Bekundungen des als Zeugen gehörten Versicherungsagenten G. zwar ausgeschlossen, dass der Kläger ihm gegenüber anlagebedingte und degenerative Schäden an der Lendenwirbelsäule erwähnt hat. Im Übrigen hat der Tatrichter jedoch die Angaben des Klägers und seiner Ehefrau als mit den Bekundungen des Zeugen übereinstimmend angesehen, soweit es darum geht, dass der Kläger alters- und arbeitsbedingte Verschleißerscheinungen erwähnt habe. Zu den weiteren Behauptungen des Klägers, er habe dem Zeugen schon vor der Antragstellung offenbart, dass er am 13. Februar 2001 bei einem Schlittenunfall eine Kontusion (Prellung) der Wirbelsäule erlitten habe, es infolge des Unfalls zu Rückenbeschwerden gekommen und er deshalb bis zum 1. Mai 2001 krankgeschrieben, der Schlittenunfall im übrigen Anlass für ihn gewesen sei, den Abschluss einer Berufsunfähigkeits -Zusatzversicherung zu erwägen, verhält sich die Beweiswürdigung ebenso wenig wie zu der Behauptung, der Kläger habe den Agenten auch darauf hingewiesen, dass er gelegentlich - wie alle seine Kollegen - unter berufsbedingten Rückenschmerzen leide. Diese Behauptungen sind mithin der Revisionsprüfung zugrunde zu legen.
16
Danach c) hatte der Kläger dem Versicherungsagenten ausreichende Hinweise darauf gegeben, dass bei ihm möglicherweise Rückenbeschwerden vorlagen, die für die Risikoprüfung bedeutsam und durch die schriftlichen Antworten im Fragebogen nicht ansatzweise beschrieben waren, sondern der näheren Überprüfung bedurften.
17
Senat Der hat bereits früher hervorgehoben, dass gerade beim Abschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Rückenschmerzen des Antragstellers ein Anzeichen für eine gefahrerhebliche Erkrankung bilden können, weshalb sich ohne Aufklärung der Ursachen eine ordnungsgemäße Risikoprüfung insoweit nicht durchführen lässt (Senatsurteil vom 2. November 1994 aaO).

18
Hier hatte der Kläger hinreichende Hinweise auf ein Rückenleiden gegeben, indem er nicht nur von Rückenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Schlittenunfall, sondern auch von berufsbedingten Rückenschmerzen gesprochen hatte. Auch die mehrwöchige Krankschreibung infolge des Schlittenunfalls musste dem Agenten vor Augen führen, dass insoweit Nachfragebedarf bestand.
19
Es tritt hinzu, dass der Kläger unwiderlegt behauptet hat, er habe dem Agenten offenbart, dass der Schlittenunfall für ihn Anlass gewesen sei, den Abschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ins Auge zu fassen. Bei dieser Sachlage lag für den Versicherer die Annahme nicht fern, dass der Kläger möglicherweise gerade in der Sorge an ihn herantrat, bereits ernsthafte Schäden erlitten zu haben. Auch dies war Anlass, die Folgen des Schlittenunfalls weiter zu hinterfragen.

20
3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Feststellungen dazu, dass der Kläger arglistig gehandelt hätte, hat das Berufungsgericht bisher nicht getroffen (vgl. dazu, dass die Verletzung der Nachfrageobliegenheit bei arglistigem Verhalten des Versicherungsnehmers der Ausübung des Rücktrittsrechts und der Arglistanfechtung nicht entgegensteht: Senatsbeschluss vom 4. Juli 2007 - IV ZR 170/04 - VersR 2007, 1256).
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 24.08.2005 - 2 O 58/05 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 24.04.2006 - 12 U 238/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2008 - IV ZR 119/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2008 - IV ZR 119/06

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 16 Insolvenz des Versicherers


(1) Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam. (2) Die Vorschriften d

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 21 Ausübung der Rechte des Versicherers


(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend g
Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2008 - IV ZR 119/06 zitiert 4 §§.

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(1) Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam. (2) Die Vorschriften d

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(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend g

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2008 - IV ZR 119/06 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Referenzen

(1) Wird über das Vermögen des Versicherers das Insolvenzverfahren eröffnet, endet das Versicherungsverhältnis mit Ablauf eines Monats seit der Eröffnung; bis zu diesem Zeitpunkt bleibt es der Insolvenzmasse gegenüber wirksam.

(2) Die Vorschriften des Versicherungsaufsichtsgesetzes über die Wirkungen der Insolvenzeröffnung bleiben unberührt.

(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. Der Versicherer hat bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung angeben, wenn für diese die Frist nach Satz 1 nicht verstrichen ist.

(2) Im Fall eines Rücktrittes nach § 19 Abs. 2 nach Eintritt des Versicherungsfalles ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet.

(3) Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 161/03 Verkündet am:
14. Juli 2004
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Die Beweislast für ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers im
Sinne von § 18 VVG trägt der Versicherer.
BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 - IV ZR 161/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Fulda
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Juli 2004

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger fordert von der Beklagten Rentenleistun gen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung sowie die Freistellung von der Beitragspflicht. Den Abschluß des Versicherungsvertrages hatte er im Mai 1994 bei der Beklagten beantragt. Im Antragsformular sind sämtliche Fragen nach bestehenden Erkrankungen, Störungen oder Beschwerden verneint, obwohl beim Kläger schon im August 1990 und Oktober 1991 ein myotendogener Schulterschmerz rechts sowie ein Dorso-Lymbalsyndrom bei Blockierung der Wirbelsäule diagnostiziert worden waren, er im

August 1993 eine Thoraxprellung erlitten hatte und seit November 1993 wegen eines Morbus Scheuermann und chronischer Wirbelsäulenbeschwerden behandelt worden war. Er hatte außerdem im Januar 1994 unter einer Gastroenteritis und seit März 1994 unter einer Epikondylitis humeri radialis des rechten Ellenbogens (sog. Tennisellenbogen) gelitten , die bis Juni 1994 behandelt wurde.
Durch einen Sturz bei Eisglätte im November 1999 z og sich der Kläger, der bis dahin als Schreiner gearbeitet hatte, Beschwerden im Bereich des 10. Brustwirbelkörpers zu. Er hatte seither schmerzhafte Bewegungseinschränkungen , was schließlich zur Berufsunfähigkeit führte.
Die Beklagte hat den Rücktritt vom Versicherungsve rtrag erklärt und diesen wegen arglistiger Täuschung angefochten. Der Kläger habe seine Vorerkrankungen, auf denen die Berufsunfähigkeit hier beruhe, bei der Antragstellung verschwiegen. Das Antragsformular sei seinerzeit von dem Zeugen B. in Gegenwart des Klägers vollständig ausgefüllt worden, wobei der Zeuge die in dem Formular enthaltenen Fragen jeweils an den Kläger gerichtet und das Formular sodann entsprechend dessen Antworten ausgefüllt habe.
Der Kläger behauptet, der Versicherungsvertrag sei im Zusammenhang mit einer Baufinanzierung durch den Zeugen H. , der insoweit als Agent der Beklagten gehandelt habe, vermittelt worden. Dieser habe ihn allein nach Gewicht, Größe und behandelndem Arzt gefragt. Weitere Fragen seien ihm weder mündlich noch schriftlich gestellt worden. Er habe den Antrag auf Geheiß des Zeugen H. der an vorge-

sehenen Stelle unterzeichnet. Erst später habe der ZeugeB. das Antragsformular ohne sein Beisein ausgefüllt.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein in den V orinstanzen erfolglos gebliebenes Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht meint, die Leistungspflich t der Beklagten sei infolge ihres Rücktritts vom Versicherungsvertrag nach § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG entfallen. Daß es sich bei den Vorerkrankungen des Klägers um gefahrerhebliche Umstände gehandelt habe, sei nicht mehr im Streit. Entgegen der Auffassung des Klägers sei jedenfalls davon auszugehen, daß ihn bei der Antragstellung hinsichtlich dieser erheblichen Vorerkrankungen eine spontane Anzeigepflicht getroffen habe, weil der Versicherungsnehmer nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG auch ohne ausdrückliche Fragen des Versicherers gehalten sei, alle ihm bekannten, gefahrerheblichen Umstände anzuzeigen. Zwar könne sich ein Versicherer dann nicht auf die unterlassene Anzeige berufen, wenn dem Versicherungsnehmer die im Antragsformular gestellten Fragen durch das Verhalten eines Versicherungsagenten nur zum Teil zur Kenntnis gebracht worden seien. Aus der gesetzlichen Wertung des § 18 VVG ergebe sich jedoch, daß diese Einschränkung nur dann gelte, wenn der Antragsteller nicht arglistig gehandelt habe.

Hier treffe den Kläger der Vorwurf arglistigen Ver haltens. Dabei könne offen bleiben, ob schon die beim Kläger diagnostizierten Vorerkrankungen des Bewegungsapparats und ihre Behandlung den Schluß auf ein arglistiges Verschweigen bei Antragstellung rechtfertigten, weil sich der damalige konkrete Gesundheitszustand des Klägers aus Sicht eines an der erstrebten Versicherung interessierten Durchschnittsbürgers als relevant im Sinne einer Offenbarungspflicht habe darstellen müssen. Darlegungs- und beweisbelastet für die fehlende Arglist sei nämlich der Versicherungsnehmer. Ein arglistiges Verhalten des Klägers schiede allenfalls dann aus, wenn sich der Ablauf der Antragstellung so zugetragen hätte, wie vom Kläger behauptet. Insoweit gehe es zu seinen Lasten, daß ihm der Beweis dafür nach Vernehmung seiner von ihm benannten Ehefrau und des Zeugen H. nicht gelungen sei. Auf die Vernehmung des gegenbeweislich von der Beklagten benannten Zeugen B. komme es daher nicht mehr an.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat den objektiven Geschehens ablauf bei der Ausfüllung des Versicherungsantragsformulars nicht geklärt und insbesondere auch nicht danach gefragt, wer die Beweislast hierfür trägt. Es hat sich damit möglicherweise den Blick dafür verstellt, daß die von ihm vorgenommene Beweislastverteilung bei der nachfolgenden Frage der Arglist des Versicherungsnehmers im Sinne von § 18 VVG zu dem widersinnigen Ergebnis führt, daß dieselbe Beweisfrage (nach dem Geschehen bei Antragstellung) im Rahmen der zu treffenden Entscheidung

einmal vom Versicherer, sodann aber vom Versicherungsnehmer bewiesen werden müßte mit der Folge, daß die Nichterweislichkeit im Ergebnis immer zu Lasten des Versicherungsnehmers ginge. Dieses Ergebnis steht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats.
1. Legt der Versicherer dem Versicherungsnehmer ei nen Verstoß gegen dessen vorvertragliche Anzeigeobliegenheit aus § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG zur Last, so betrifft die Frage, ob dem Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Versicherungsvertrages bestimmte Fragen des Versicherers nach gefahrerheblichen Umständen (hier Gesundheitsfragen) tatsächlich gestellt worden sind, den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung (BGH, Urteil vom 16. Oktober 1996 - IV ZR 218/95 - VersR 1996, 1529 unter 2 b; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. §§ 16, 17 Rdn. 27 und 38; Knappmann, r+s 1996, 81, 82 m.w.N.). Ihn zu beweisen ist Sache des Versicherers. Hat - wie hier unstreitig - ein Versicherungsagent es übernommen, das Formular eines Versicherungsantrags für den Antragsteller auszufüllen, so erbringt allein der ausgefüllte Antrag nicht den Beweis für die falsche Beantwortung der im Antragsformular stehenden Fragen, wenn der Versicherungsnehmer substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend informiert zu haben oder von ihm mit den einzelnen Fragen gar nicht konfrontiert worden zu sein (BGHZ 107, 322, 324 f.; BGH, Urteil vom 16. Oktober 1996 aaO). Vielmehr muß in einem solchen Fall der Versicherer beweisen, daß alle im schriftlichen Formular beantworteten Fragen dem Antragsteller tatsächlich gestellt und so wie niedergelegt von ihm beantwortet worden sind (BGHZ aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 1989 - IVa ZR 269/88 - VersR 1990, 77 unter 2; Urteil vom 11. Juli 1990 - IV ZR 156/89 - VersR 1990, 1002 unter 2 d).

Das Berufungsgericht ist dieser Frage nicht nachge gangen. Es hat weder den von der Beklagten insoweit angebotenen ZeugenB. gehört noch im übrigen dargelegt, ob die Beklagte anhand der vernommenen Zeugen den ihr obliegenden Beweis für die Behauptung erbracht hat, der Zeuge B. habe alle im Fragebogen niedergelegten Fragen an den Kläger gerichtet und den Fragebogen entsprechend dessen Antworten ausgefüllt.
2. Stattdessen ist das Berufungsgericht anscheinen d davon ausgegangen , es komme auf den wirklichen Geschehensablauf bei Ausfüllung des Antragsformulars letztlich nicht an, weil der Kläger - auch ohne dazu ausdrücklich befragt worden zu sein - jedenfalls infolge seiner spontanen Anzeigepflicht verpflichtet gewesen sei, dem Versicherer bei Antragstellung seine erheblichen Vorerkrankungen anzuzeigen. Es hat also im weiteren offenbar unterstellt, die Beklagte habe die substantiierte Behauptung des Klägers nicht widerlegt, er sei lediglich nach Gewicht, Größe und behandelndem Arzt gefragt worden.

a) Davon ausgehend ist im Ansatz nicht zu beanstan den, daß das Berufungsgericht annimmt, den künftigen Versicherungsnehmer treffe bei der Antragstellung auch in einem solchen Fall nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG die Obliegenheit, alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände dem Versicherer anzuzeigen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 1996 aaO unter 2 c). Richtig ist auch, daß der Versicherer sich - abgesehen vom Fall der Arglist des Antragstellers - auf die unterlassene Anzeige gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG dann nicht berufen kann, wenn er im Antragsformular zwar ausdrücklich und schriftlich Fragen nach gefahrerhebli-

chen Umständen gestellt hat, diese Fragen dem Antragsteller aufgrund eines Verhalten des Versicherungsagenten aber nur zum Teil zur Kenntnis gebracht werden (BGH aaO). Das folgt aus der gesetzlichen Wertung des § 18 VVG. Sie gebietet es nach der Senatsrechtsprechung auch hier, die Rücktrittsmöglichkeit des Versicherers auf solche Fälle zu beschränken , in denen der Antragsteller einen gefahrerheblichen Umstand arglistig verschweigt (BGH aaO).

b) Dem Berufungsgericht kann aber nicht darin gefo lgt werden, daß der Versicherungsnehmer im Rahmen des - aus den vorgenannten Gründen entsprechend anwendbaren - § 18 VVG die Beweislast dafür trägt, daß er nicht arglistig gehandelt habe. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil als fehlerhaft.
aa) Zwar stützt sich das Berufungsgericht auf eine teilweise in der Literatur vertretene Rechtsauffassung. Ihr zufolge soll sich aus den §§ 16 Abs. 3 und 17 Abs. 2 VVG die Grundregel ergeben, daß der Versicherungsnehmer in allen Fällen des Rücktritts des Versicherers wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht den Vorwurf des Verschuldens widerlegen müsse. § 18 VVG verschärfe insoweit lediglich den Verschuldensmaßstab, ohne aber etwas daran zu ändern, daß der Versicherungsnehmer auch den qualifizierten Schuldvorwurf ausräumen müsse. Auch das in § 22 VVG angelegte Nebeneinander von Rücktritts- und Anfechtungsmöglichkeit spreche dafür, daß der Versicherungsnehmer die Beweislast für fehlende Arglist im Rahmen des § 18 VVG trage. Denn wenn der Versicherer die Voraussetzungen für eine Arglistanfechtung nach den §§ 22 VVG, 123 BGB beweisen könne, sei er auf die rechtlich schwächere Rücktrittsmöglichkeit, bei der er im Falle folgenloser Anzei-

gepflichtverletzung sogar leistungspflichtig bleibe (§ 21 VVG), nicht mehr angewiesen. Sinn mache die Regelung des § 18 VVG für den Versicherer mithin nur, wenn das Rücktrittsrecht - sozusagen als niederschwellige Möglichkeit für den Versicherer, sich vom Vertrage zu lösen - bereits bei ungeklärter Arglistfrage zum Zuge käme (Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 18 Rdn. 3; ders. in Baumgärtel/Prölss, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. 5 Versicherungsrecht § 18 VVG Rdn. 3; Bruck/ Möller, VVG 8. Aufl. § 18 Anm. 8; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 18 Rdn. 5).
bb) Beide Argumente überzeugen nicht.
§ 18 VVG geht tatbestandlich davon aus, daß der Ve rsicherungsnehmer seine Anzeigeobliegenheit durch Beantwortung ihm vom Versicherer gestellter Fragen nach Gefahrumständen zu erfüllen hat, dabei aber die Anzeige eines Umstandes unterbleibt, nach dem vom Versicherer nicht ausdrücklich gefragt worden ist. An die bloße Verwirklichung dieses Tatbestandes knüpft die Vorschrift kein Rücktrittsrecht des Versicherers ; ein solches Recht kommt ihm vielmehr erst unter der weiteren Voraussetzung zu, daß der Versicherungsnehmer den Umstand arglistig verschwiegen hat. § 18 VVG bestimmt danach keinen Ausschluß des Rücktrittsrechts wie die §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 2 VVG, sondern regelt das Rücktrittsrecht des Versicherers für eine besondere Situation und verlangt als Voraussetzung dafür ein arglistiges Verhalten des Versicherungsnehmers. Diese Voraussetzung zu beweisen, ist Sache des Versicherers , der sich auf das Rücktrittsrecht beruf (BK/Voit, § 18 VVG Rdn. 14).

§ 18 VVG trägt im übrigen einer vom Regelfall der Verletzung der Anzeigeobliegenheit wesentlich abweichenden Interessenlage Rechnung. Nach der Systematik der §§ 16 Abs. 3 und 17 Abs. 2 VVG indiziert dort die objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheit ein Verschulden des Versicherungsnehmers. Das erscheint auch sachgerecht, denn an falsche oder unterbliebene Angaben über gefahrerhebliche Umstände kann regelmäßig die Annahme geknüpft werden, der Versicherungsnehmer habe zumindest fahrlässig gehandelt. Anders stellt sich die Situation unter den Voraussetzungen des § 18 VVG dar. Sein Tatbestand beschreibt eine Situation, in der der Versicherungsnehmer irritiert sein kann, weil schriftlich vorformulierte Fragen des Versicherers den Blick dafür verstellen können, daß von ihm unter Umständen auch Angaben gefordert sind, die über die Beantwortung der schriftlichen Fragenstellungen hinausreichen. Dem steht der Fall gleich, daß schriftlich vorformulierte Fragen infolge eines Verhaltens des Versicherungsagenten dem Versicherungsnehmer nicht zur Kenntnis gelangen. In beiden Fällen erscheint es schon nicht mehr gerechtfertigt, an einen objektiv gegebenen Obliegenheitsverstoß ohne weiteres die Vermutung einfachen Verschuldens zu knüpfen. Erst recht kann daran nicht die Vermutung eines qualifizierten Verschuldens (Arglist) geknüpft werden, zumal eine solche Arglistvermutung der Rechtsordnung auch im übrigen fremd ist (Knappmann, aaO S. 82; Voit, aaO).
3. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Das Berufungsgericht hat zwar angedeutet, es ließen sich aus der Vielzahl und Schwere der Vorerkrankungen des Klägers Hinweise darauf entnehmen, daß er diese Erkrankungen, deren Gefahrerheblichkeit auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer er-

kennbar sei, arglistig verschwiegen habe. Insoweit fehlt es bislang aber an ausreichenden Feststellungen. Es ist schon ungeklärt, ob der Agent dem Kläger die vorformulierten Antragsfragen gestellt hat; der insoweit von der Beklagten angebotene Beweis wird zu erheben sein (vgl. oben unter 1). Sollte es erneut darauf ankommen, ob der Kläger Umstände arglistig verschwiegen hat, wird zu berücksichtigen sein, daß allein mit dem Beweis vorsätzlich falscher oder vorsätzlich nicht angezeigter Umstände der Täuschungsvorsatz noch nicht feststeht. Er setzt neben der Kenntnis der Gefahrerheblichkeit des betreffenden Umstandes die billigende Erkenntnis voraus, die Beklagte könne durch sein Vorgehen über seinen Gesundheitszustand getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluß des Versicherungsvertrages beeinflußt werden (vgl. schon BGH, Urteil vom 13. Mai 1957 - II ZR 56/56 - VersR 1957, 331; Senatsurteil vom 11. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR 1987, 91 unter II; vgl. auch OLG Saarbrücken VersR 1996, 48).

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Ent scheidung.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 170/04
vom
4. Juli 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 4. Juli 2007

beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 30. Juni 2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Streitwert: Bis 22.000 €

Gründe:


1
Die 1. Beschwerde wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht sich von den Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung überzeugt sieht. Sie hält die Zulassung der Revision aber für geboten, weil das Berufungsgericht es dem Kläger verwehrt hat, sich wegen seines arglistigen Handelns auf die Verletzung der Nachfrageobliegenheit durch die Beklagte zu berufen. Damit weiche es von der Rechtsprechung des Senats ab, die dem Versicherer bei nicht ordnungsgemäßer Risikoprüfung nicht nur die Rücktrittsberechtigung, sondern auch das Recht zur Arglistanfechtung versage (BGHZ 117, 385, 387 f.). Diese Frage sei angesichts kontroverser Auffassungen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der Literatur auch von grundsätzlicher Bedeutung.
2
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen jedenfalls seit dem Beschluss des Senats vom 15. März 2006 (IV ZA 26/05 - VersR 2007, 96 m. Anm. E. Lorenz) nicht mehr vor. Der Senat hat unter Hinweis auf seine Urteile vom 7. März 2001 (IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620 unter 2 b bb) und vom 10. Oktober 2001 (IV ZR 6/01 - VersR 2001, 1541 unter II 2) entschieden, dass er an der früheren Rechtsprechung nicht mehr festhält. Der Versicherer verliert das Recht zur Arglistanfechtung nicht schon deshalb, weil er seine Nachfrageobliegenheit verletzt hat.
3
3. Die bei nachträglichem Wegfall eines Zulassungsgrundes vorzunehmende volle Überprüfung des Berufungsurteils hat auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers ergeben. Da die beabsichtigte Revision keine Aussicht auf Erfolg hat, ist die Beschwerde zurückzuweisen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 386/02 - NJW-RR 2005, 438 m.w.N.).
4
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 27.11.2003 - 11 O 4535/03 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 30.06.2004 - 8 U 35/04 -