Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2019 - IV ZR 20/18

bei uns veröffentlicht am11.09.2019
vorgehend
Landgericht Frankfurt am Main, 23 O 476/10, 12.02.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 20/18 Verkündet am:
11. September 2019
Schick
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB Unfallversicherung (hier AUB 1999 Ziffer 9.1 und 9.4); BGB § 242 Cc

a) Das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts im Sinne von Ziffer 9.4
Satz 3 AUB in der Erklärung des Unfallversicherers über die Leistungspflicht
zur Erstbemessung der Invalidität nach Ziffer 9.1 Satz 1 AUB führt
nicht zu seiner Bindung an diese Erklärung im Verfahren der Erstbemessung.

b) Der Rückforderung einer Invaliditätsleistung aufgrund geänderter Erstbemessung
der Invalidität kann aber der Einwand unzulässiger Rechtsausübung
entgegenstehen, wenn der Versicherer in der vorgenannten Erklärung
nach Ziffer 9.1 Satz 1 AUB den Eindruck erweckt, die Höhe der vertraglich
geschuldeten Leistung endgültig klären zu wollen.
BGH, Urteil vom 11. September 2019 - IV ZR 20/18 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
ECLI:DE:BGH:2019:110919UIVZR20.18.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterin Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Götz auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2019

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Dezember 2017 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien streiten - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - über einen von der Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachten Anspruch auf teilweise Rückzahlung einer Invaliditätsleistung.
2
Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen die Allgemeinen UnfallversicherungsBedingungen 1999 (im Folgenden: AUB 1999; abgedruckt bei Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Teil 1 B) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten: ʺ9 Wann sind die Leistungen fällig? 9.1 Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen: … … 9.2 Erkennen wir den Anspruch an oder haben wir uns mit Ihnen über Grund und Höhe geeinigt, leisten wir innerhalb von zwei Wochen. 9.3 Steht die Leistungspflicht zunächst nur dem Grunde nach fest, zahlen wir - auf Ihren Wunsch - angemessene Vorschüsse. … 9.4 Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Un- fall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. … Dieses Recht muß - von uns zusammen mit unserer Erklärung über unsere Leistungspflicht nach Ziffer 9.1, - von Ihnen spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist ausgeübt werden. …ʺ
3
Der Kläger erlitt im Jahr 2006 eine subdurale Gehirnblutung, die er auf ein Unfallereignis am 5. Oktober 2006 zurückführt und wegen der er eine Invaliditätsleistung bei der Beklagten beanspruchte. Nachdem ärztliche Gutachten eingeholt worden waren, übersandte die Beklagte ihm ein Schreiben vom 22. Oktober 2009 mit folgendem Inhalt: "Sehr geehrter [Kläger], in diesem Unfallschaden liegt uns nunmehr das Abschluss- gutachten … vor. Eine Kopie fügen wir bei.
Ihren Unfallschaden rechnen wir abschließend wie folgt ab: Invalidität Invaliditätssumme EUR 51.000,00 (500 %-Progression) Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit laut Gutachten 50 % Vertraglich vereinbart wurde eine Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel in Höhe von 500 %. Bei einer Invaliditätssumme von 51.000,00 EUR und einem Invaliditätsgrad (IVG) von 50 % leisten wir: - IVG bis 25 % (einfache Invaliditätssumme) EUR 12.750,00 - IVG bis 50 % (dreifache Invaliditätssumme) EUR 38.250,00 Unsere Leistung EUR 51.000,00 Diesen Betrag haben wir überwiesen. Wir waren gerne für Sie tätig und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute. …"
4
Die Beklagte zahlte die im Schreiben angegebene Leistung an den Kläger aus.
5
Mit der Klage hat er eine weitergehende Invaliditätsleistung gefordert mit der Begründung, dass die Invalidität in Anbetracht seines Gesundheitszustandes , wie er in dem der Abrechnung der Beklagten zugrunde gelegten Gutachten festgehalten wurde, nicht mit 50 %, sondern mit 75 % zu bemessen sei. Das Landgericht hat hierzu Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben, nach dessen Vorlage die Beklagte im Wege der Widerklage Rückerstattung der gezahlten Invaliditätssumme begehrt hat.

6
Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Hiergegen hat nur die Beklagte Berufung eingelegt, die das Oberlandesgericht zurückgewiesen hat. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte das Widerklagebegehren noch in Höhe von 49.215 € weiter und macht geltend, dass zum Stichtag, am 5. Oktober 2007, eine Invalidität von nur 3,5 % bestanden habe.

Entscheidungsgründe:


7
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
8
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung der Invaliditätsleistung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Die Regulierung der Beklagten aufgrund ihres Schreibens vom 22. Oktober 2009 erweise sich für sie als bindend. Zwar stelle die in Ziffer 9.1 AUB 1999 vorgesehene Erklärung, ob und in welcher Höhe der Versicherer einen Anspruch anerkenne, kein Anerkenntnis der Leistungspflicht dar. Das Recht, die geleistete Entschädigung wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückzuverlangen, verbleibe dem Versicherer aber nur, wenn er sich die Neubemessung mit der Abgabe seiner Erklärung entsprechend Ziffer 9.1 AUB 1999 in Verbindung mit Ziffer 9.4 AUB 1999 vorbehalten habe. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Parteien über eine Erst- oder Neufestsetzung der Invaliditätsentschädigung stritten. Das ergebe sich aus der Auslegung der Versicherungsbedingungen. Jedenfalls greife die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.

9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Allerdings ist der geltend gemachte Rückforderungsanspruch - anders als das Berufungsgericht meint - nicht deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beklagte im Schreiben vom 22. Oktober 2009 das Recht auf Neubemessung der Invalidität nicht gemäß Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 vorbehalten hat (hierzu unter 2). Die angefochtene Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dem Rückforderungsverlangen der Beklagten steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen (hierzu unter 3).
10
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Erklärung des Unfallversicherers, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, nach den Versicherungsbedingungen nur eine einseitige Meinungsäußerung des Versicherers und Information an den Anspruchsberechtigten ist, welche die Fälligkeit der anerkannten Entschädigung herbeiführt, im Übrigen aber keine rechtsgeschäftliche, potentiell schuldbegründende oder schuldabändernde Regelung bewirken soll. Das hat der Senat zu den §§ 11, 13 der Allgemeinen UnfallversicherungsBedingungen 1961 (im Folgenden: AUB 1961; abgedruckt bei Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Teil 1 E) im Urteil vom 24. März 1976 im Einzelnen ausgeführt (IV ZR 222/74, BGHZ 66, 250 unter II 2 b aa [juris Rn. 23]). Diese Entscheidung hat, nicht beschränkt auf die AUB 1961, auch im Hinblick auf spätere Fassungen der Allgemeinen Unfallversicherungs -Bedingungen und die - im Streitfall gemäß Artikel 1 Abs. 2 EGVVG nicht anwendbare - Bestimmung des § 187 VVG, breite Zustimmung gefunden (vgl. OLG Frankfurt am Main r+s 2018, 434 Rn. 43; OLG Saarbrücken VersR 2014, 456 [juris Rn. 44, 48]; OLG Köln r+s 2014, 362 [juris Rn. 24]; OLG Hamm VersR 2005, 346 [juris Rn. 42]; BeckOK VVG/Jacob, § 187 Rn. 11 [Stand: 28.02.2019]; Leverenz in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 187 Rn. 7 ff.; Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. AUB 2010 Ziff. 9 Rn. 2; Jacob, Unfallversicherung AUB 2014 2. Aufl. Ziff. 9 Rn. 19; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 187 Rn. 1; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 187 Rn. 6; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 187 Rn. 4; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 187 Rn. 6; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. Teil P Rn. 3; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 458 f.). Sie ist auch auf die AUB 1999 übertragbar (vgl. Grimm, Unfallversicherung 4. Aufl. AUB 1999 Ziff. 9 Rn. 2; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. AUB 1994 § 11 Rn. 4), da diese als Rechtsfolge einer für den Versicherungsnehmer positiven Erklärung des Versicherers nach Ziffer 9.1 Satz 1 AUB 1999 ebenfalls nur anordnen, dass der Anspruch gemäß Ziffer 9.2 AUB 1999 innerhalb von zwei Wochen fällig wird.
11
Rechtsgrund der Invaliditätsleistung ist danach nicht die Erklärung des Unfallversicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkennt, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag (vgl. Jacob, r+s 2018, 436; ders., jurisPR-VersR 4/2017 Anm. 2 unter C). Ist die ausgezahlte Invaliditätsleistung vertraglich nicht oder nicht in voller Höhe geschuldet, steht dem Unfallversicherer daher grundsätzlich ein Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, wobei es ihm obliegt , dessen Voraussetzungen darzulegen und zu beweisen (vgl. OLG Brandenburg VersR 2018, 89 unter A [juris Rn. 15 ff.]; OLG Hamm VersR 2006, 1674 unter 2 c aa [juris Rn. 27]; Jacob, Unfallversicherung AUB 2014 2. Aufl. Ziff. 2.1 Rn. 180; Götz in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 187 Rn. 6; MünchKomm-VVG/Dörner, 2. Aufl. § 187 Rn. 5; Knappmann in Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 187 Rn. 6; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. Teil P Rn. 13; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 459).

12
2. Anders als das Berufungsgericht meint, ist dieser Rückforderungsanspruch im Streitfall nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Beklagte im Schreiben vom 22. Oktober 2009 das Recht auf Neubemessung der Invalidität nicht gemäß Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 ausgeübt bzw. sich vorbehalten hat. Das ergibt die Auslegung von Ziffer 9.1 und 9.4 AUB 1999.
13
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 6. März 2019 - IV ZR 72/18, VersR 2019, 542 Rn. 15; st. Rspr.).
14
b) Nach diesen Maßgaben führt das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts im Sinne von Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 nicht zu einer Bindung des Unfallversicherers an die streitgegenständliche Erstbemessung der Invalidität.
15
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den Regelungen in Ziffer 9.1 und 9.4 AUB 1999 zunächst entnehmen, dass im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden ist (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 2017 - IV ZR 188/16, VersR 2017, 1386 Rn. 18; vom 18. November 2015 - IV ZR 124/15, BGHZ 208, 9 Rn. 10; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 - IV ZR 271/06, VersR 2008, 527 Rn. 10 f.). Er wird erkennen, dass der Versicherer gemäß Ziffer 9.1 Satz 1 AUB 1999 verpflichtet ist, bei einem geltend gemachten Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten ab dem Eingang bestimmter Unterlagen zu erklären, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt. Aus Ziffer 9.4 Satz 1 AUB 1999 wird er entnehmen, dass beide Vertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall , erneut ärztlich bemessen zu lassen, eine derartige Neubemessung der Invalidität in der Regel mithin erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht kommt (vgl. Senatsurteil vom 18. November 2015 aaO; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 aaO).
16
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird ferner erkennen, dass das in Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 geregelte Vorbehaltserfordernis allein auf die Neubemessung der Invalidität bezogen ist. Das ergibt sich für ihn aus dem klaren Wortlaut der Regelung. Nach diesem muss der Versicherer ʺdieses Rechtʺ zusammen mit seiner Erklärung über die Leistungspflicht nach Ziffer 9.1 Satz 1 AUB 1999 ausüben. Mit "diesem Recht" ist erkennbar allein das in Satz 1 der Ziffer 9.4 AUB 1999 geregelte Neubemessungsrecht gemeint.
17
Er wird hieraus sodann folgern, dass der Unfallversicherer nicht deswegen an seine Erstbemessung der Invalidität gebunden ist, weil er das Recht zur Neubemessung nicht zusammen mit seiner Erklärung über die Leistungspflicht gemäß Ziffer 9.4 Satz 3 AUB 1999 ausgeübt hat. Denn nach dem Gesagten erkennt er, dass das Vorbehaltserfordernis nicht die Erst-, sondern allein die Neubemessung der Invalidität betrifft. Hieraus wird er ohne Weiteres schließen, dass sich aus dem Vorbehaltserfordernis keine Folgen für die von der Neubemessung gerade zu unter- scheidende Erstbemessung ableiten lassen. Auslegungszweifel im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB bestehen insofern nicht.
18
c) Die weitere, kontrovers diskutierte Frage, ob der Unfallversicherer bei Nichtausübung des Neubemessungsrechts nach den Versicherungsbedingungen an einer Rückforderung der Invaliditätsleistung gehindert ist, wenn sich aufgrund eines allein vom Versicherungsnehmer initiierten Neubemessungsverfahrens ergibt, dass sich sein Gesundheitszustand im Vergleich zur Erstbemessung verbessert hat (bejahend: OLG Düsseldorf VersR 2019, 87 [juris Rn. 26 ff.] m.w.N.; OLG Frankfurt am Main VersR 2009, 1653 [juris Rn. 15]; verneinend: OLG Brandenburg VersR 2018, 89 unter A 1 [juris Rn. 14 f.] m.w.N.), kann im Streitfall offenbleiben. Grundlage jeder Neubemessung der Invalidität sind Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt (Senatsbeschluss vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19; vgl. ferner OLG Saarbrücken VersR 2014, 456 unter 2 b aa (2) [juris Rn. 46]). Um solche Veränderungen geht es hier nicht.
19
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dem auf eine von ihrem Schreiben vom 22. Oktober 2009 abweichende Beurteilung des Invaliditätsgrades gestützten Rückforderungsverlangen der Beklagten steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen.
20
Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (Senatsurteil vom 16. Juli 2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 33; BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - IX ZR 89/18, ZIP 2019, 423 Rn. 25; jeweils m.w.N.). So liegt es hier.
21
a) Das Rückforderungsverlangen der Beklagten ist mit dem Inhalt ihres Schreibens vom 22. Oktober 2009 sachlich unvereinbar.
22
Die Beklagte hat mit diesem Schreiben beim Kläger den Eindruck erweckt, dass sie damit gut drei Jahre nach dem Unfallereignis die Höhe ihrer vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären wollte. In dem Schreiben heißt es, das ausdrücklich als solches bezeichnete "Abschlussgutachten" liege nunmehr vor und die Beklagte rechne den Unfallschaden in der im Schreiben angegebenen Höhe "abschließend" ab; die Invaliditätssumme von 51.000 € bezeichnet die Beklagte als ihre "Leistung". Der insbesondere durch die Verwendung der Begriffe "abschließend" und "Abschlussgutachten" hervorgerufene Eindruck, dass es endgültig bei der im Schreiben enthaltenen Abrechnung bleiben und die Beklagte zukünftig nicht mehr auf die Invaliditätsleistung zurückkommen werde, wird noch dadurch verstärkt, dass das Schreiben damit endet, dass sie dem Kläger "für die Zukunft alles Gute" wünscht.
23
Durch die genannten Formulierungen hat die Beklagte aktiv einen Vertrauenstatbestand geschaffen, die im Rahmen der Erstbemessung ermittelte Invaliditätsleistung nicht später aufgrund einer anderweitigen Erstbemessung zurückzufordern. Dieser Vertrauenstatbestand ist von besonderem Gewicht, weil der Unfallversicherer - insofern ähnlich wie der Berufsunfähigkeitsversicherer hinsichtlich der von ihm versprochenen Versicherungsleistung (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Februar 2017 - IV ZR 280/15, VersR 2017, 868 Rn. 16 m.w.N.) - regelmäßig über überlegene Sach- und Rechtskunde im Hinblick auf die spezielle Ausgestaltung der Invaliditätsleistung durch die Versicherungsbedingungen mit der Unterscheidung zwischen der Erst- und der Neubemessung des Grades der Invalidität und dem Erfordernis der Einhaltung bestimmter Fristen (vgl. zu letzterem BT-Drucks. 16/3945 S. 109 li. Sp.) sowie die Möglichkeit ihrer Rückforderung verfügt. Unabhängig davon, dass das Versicherungsvertragsverhältnis generell in besonderer Weise vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht wird (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar 2015 - IV ZR 43/14, VersR 2015, 230 Rn. 11; BGH, Urteil vom 8. Juli 1991 - II ZR 65/90, VersR 1991, 1129 unter 2 b [juris Rn. 15] m.w.N.; vgl. zur Problematik fehlerhafter Erstbemessung auch Jungermann, r+s 2019, 369 ff.), muss sich der Versicherungsnehmer aufgrund der überlegenen Sach- und Rechtskunde des Unfallversicherers in gesteigerter Weise auf dessen die Invaliditätsleistung betreffenden Erklärungen verlassen können.
24
b) Das Vertrauen des Klägers, nicht entgegen dem Schreiben der Beklagten vom 22. Oktober 2009 auf Rückzahlung der Invaliditätsleistung in Anspruch genommen zu werden, ist vorrangig schutzwürdig. Wie ausgeführt erweckt dieses den Eindruck, dass die Beklagte nunmehr nach Ablauf von mehr als drei Jahren die Höhe ihrer vertraglich geschuldeten Leistung endgültig klären wollte. Die besondere Schutzwürdigkeit des von der Beklagten durch das Schreibenhervorgerufenen Vertrauens des Klägers in den Bestand der Invaliditätsleistung wird nicht dadurch abgeschwächt, dass ihm eine einfache Möglichkeit zur Verfügung gestanden hätte, selbst Klarheit darüber zu gewinnen, ob er einem Rückforderungsanspruch ausgesetzt sein kann, wenn sich die Erstbemessung des Invaliditätsgrades als zu hoch erweist. Selbst wenn er das Schreiben zum Anlass genommen hätte, anhand der vereinbarten Unfallversicherungs -Bedingungen der Frage des Bestehens eines solchen Anspruchs nachzugehen, hätte er auf diese Weise keine vom Schreiben abweichenden Informationen gewonnen. Die die Erstbemessung betreffende Be- stimmung in Ziffer 9.1 AUB 1999 schweigt zu einem Rückforderungsanspruch bei einer fehlerhaften Erstbemessung; der Anspruch ergibt sich nur aus dem Gesetz (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB).
25
c) Anders als die Revision meint, steht dieses Ergebnis nicht in Widerspruch zu dem Senatsurteil vom 24. März 1976. Zwar hat der Senat dort ausgeführt, dass der notwendige Vertrauensschutz des gutgläubigen Empfängers der Versicherungssumme im Wesentlichen durch die spezielle Regelung des § 818 Abs. 3 BGB gewährleistet werde (IV ZR 222/74, VersR 1977, 471 unter III 3 a [juris Rn. 36], insoweit in BGHZ 66, 250 nicht abgedruckt). Aber der spezifische Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, dessen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, war nicht Gegenstand der Entscheidung.

Felsch Harsdorf-Gebhardt Prof. Dr. Karczewski
Dr. Brockmöller Dr. Götz

Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 12.02.2015 - 2-23 O 476/10 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 20.12.2017- 3 U 47/15 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 561 Revisionszurückweisung


Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

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(2) Erkennt der Versicherer den Anspruch an oder haben sich Versicherungsnehmer und Versicherer über Grund und Höhe des Anspruchs geeinigt, wird die Leistung innerhalb von zwei Wochen fällig. Steht die Leistungspflicht nur dem Grunde nach fest, hat der Versicherer auf Verlangen des Versicherungsnehmers einen angemessenen Vorschuss zu leisten.

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aa) Unzutreffend nimmt das Berufungsgericht an, die Beklagte sei beweispflichtig für eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der mitversicherten Ehefrau zum Stichtag des 8. Oktober 2012. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden (Senatsurteil vom 18. November 2015 - IV ZR 124/15, BGHZ 208, 9 Rn. 10 m.w.N.). Entscheidender Zeitpunkt für die - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hier maßgebliche - Erstbemessung der Invalidität ist der Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist (aaO Rn. 12, 19). Dies ist hier bei der vereinbarten 15-monatigen Invaliditätseintrittsfrist der 8. Januar 2011. Auf die Dreijahresfrist kommt es demgegenüber ausnahmsweise an, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf dieser Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen (Senatsurteile vom 18. November 2015 aaO Rn. 14; vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 c). So liegt der Fall hier, da die Klage innerhalb der für die Neubemessung geltenden Dreijahresfrist, die am 8. Oktober 2012 ablief, erhoben wurde. In einem solchen Fall ist von einem beidseitigen Einverständnis der Parteien zur Invaliditätsfeststellung zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfalltag auszugehen (Senatsurteil vom 4. Mai 1994 aaO).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Januar 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten - soweit noch für das Revisionsverfahren von Belang - auf Rückzahlung geleisteter Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Zwischen den Parteien besteht gemäß Versicherungsschein vom 18. Dezember 2006 ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Diesem liegen "Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2003)" zugrunde. In deren Ziff. 2.1 ist unter Invaliditätsleistung unter anderem geregelt:

"2.1.1

Voraussetzungen für die Leistung:

                 

2.1.1.1  

Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).

Die Invalidität ist

- innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall eingetreten und

- innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von  Ihnen bei uns geltend gemacht worden."

2

Weiter heißt es in Ziff. 9 unter "Wann sind die Leistungen fällig?":

"9.1   

Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen:

                 

9.1.1 

Nachweis des Unfallhergangs und der Unfallfolgen,

                 

9.1.2  

beim Invaliditätsanspruch zusätzlich der Nachweis über den Abschluss des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung der Invalidität notwendig ist. …

9.4     

Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. …"

3

Der Vertrag sieht eine Unfallinvaliditätssumme von 105.000 € sowie zusätzlich "Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (225%)" (im Folgenden: Progressionsstaffel) vor. Diese bestimmen, dass (a) für 25 Prozentpunkte des unfallbedingten Invaliditätsgrads der Versicherer die Invaliditätsleistung aus der im Versicherungsschein festgelegten Invaliditätssumme festlegt und dass (b) jeder Prozentpunkt, der den unfallbedingten Invaliditätsgrad von 25%, nicht aber 50% übersteigt, vom Versicherer bei der Berechnung der Invaliditätssumme mit zwei multipliziert und der Invaliditätssumme gemäß a) hinzugerechnet wird. Beigefügt ist eine Tabelle mit nach vollen Prozentpunkten bemessenen Invaliditätsgraden.

4

Der Beklagte erlitt am 28. April 2007 einen Unfall, als er bei Reparaturarbeiten am Dach eines Gebäudes abstürzte, und stellte bei der Klägerin einen Leistungsantrag. Diese leistete ausweislich ihres Schreibens vom 14. Januar 2010 Vorschusszahlungen in Höhe von 86.719,50 € an den Beklagten, die sie auf der Basis 1/10 Beinwert links, 1/3 Handwert rechts sowie 2/7 Armwert links und damit nach einem Gesamtinvaliditätsgrad von 52,53% (nach Progression: 82,59%) berechnete. Zugleich wies sie darauf hin, den gezahlten Betrag zurückzufordern, wenn die abschließende Untersuchung ergeben sollte, dass der Vorschuss zu hoch bemessen war. Nach weiteren ärztlichen Untersuchungen, zuletzt am 14. Juni 2010, setzte die Klägerin den unfallbedingten Invaliditätsgrad mit Schreiben vom 22. Juli 2010 auf 43,5% (nach Progression: 62,0%) fest unter Berücksichtigung von 3/10 Armwert links und 3/10 Handwert rechts. Ferner forderte sie den überzahlten Vorschuss in Höhe von 21.619,50 € vom Beklagten zurück.

5

Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten zum Invaliditätsgrad des Beklagten zum 28. April 2010 eingeholt. Mit Urteil vom 28. Mai 2014 hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 18.469,50 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2012 zu zahlen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt er weiter eine Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache.

7

I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfS 2015, 456 (m. Anm. Rixecker) veröffentlicht ist, hat ausgeführt, zwar handele es sich entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht um eine Neubemessung, sondern um die abschließende Erstbemessung der Invalidität. Dies führe aber nicht dazu, dass hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beklagten auf einen anderen Zeitpunkt als den durch den gerichtlichen Sachverständigen begutachteten (28. April 2010) abzustellen sei. Auch wenn für die gerichtliche Überprüfung der Erstfeststellung der Invalidität die in Ziff. 9.4 AUB 2003 hinsichtlich der Neubemessung festgelegte Dreijahresfrist für die ärztliche Bemessung der Invalidität nicht gelte, sei in einem Rechtsstreit der Ablauf dieser Dreijahresfrist der maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung des Ausmaßes einer etwaigen Invalidität, wenn der Versicherer in der Dreijahresfrist wiederholt Vorschusszahlungen erbracht und sich vor Fristablauf nicht zur endgültigen Erstbemessung in der Lage gesehen habe. Die Regelung in Ziff. 9.4 AUB 2003 diene dem Interesse des Versicherungsnehmers an einem alsbaldigen Erhalt einer Invaliditätsleistung. Zugleich solle verhindert werden, dass die ab-schließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben werde. Vor dem Hintergrund dieses Regelungszwecks sei es nicht sachgerecht, wenn nach Ablauf der Dreijahresfrist eintretende Änderungen für die Invaliditätsprognose Berücksichtigung finden könnten, falls überhaupt keine Erstfestsetzung innerhalb von drei Jahren erfolgt sei. Dagegen sei es nicht interessengerecht, auf den letztlich nicht vorherbestimmbaren und weit nach Ablauf der drei Jahre liegenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Gleichfalls sei nicht der Gesundheits- und Prognosezustand im Zeitpunkt des Ablaufs der Invaliditätseintrittsfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 (18 Monate) maßgeblich. Der Eintritt der Invalidität nach dieser Bestimmung setze keinen bestimmten Umfang oder schon einen bestimmten Grad der Invalidität voraus. Es genüge, wenn es überhaupt zu einer Invalidität in irgendeinem Umfang gekommen sei. Den somit maßgeblichen Gesundheitszustand des Beklagten zum Zeitpunkt drei Jahre nach dem Unfall hätten das Landgericht und der Sachverständige zutreffend berücksichtigt.

8

Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Dies gelte auch für den Umstand, dass der Sachverständige den Beklagten vor der Abfassung des Gutachtens nicht persönlich untersucht habe. Schließlich sei auch die Berechnung des Invaliditätsgrads nach den Progressionsbedingungen zutreffend erfolgt. Insbesondere sei aus den Formulierungen in der Progressionsstaffel für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar erkennbar, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% lägen, mit dem Faktor zwei multipliziert werden sollten.

9

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

10

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im Recht der Unfallversicherung zwischen der Erstbemessung der Invalidität und ihrer Neubemessung zu unterscheiden (grundlegend Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 - IV ZR 271/06, VersR 2008, 527 Rn. 10 f.; ferner Senatsurteile vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24; Senatsbeschlüsse vom 21. März 2012 - IV ZR 256/10, juris und vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den vereinbarten AUB 2003 zunächst entnehmen, dass der Versicherer gemäß Ziff. 9.1 verpflichtet ist, bei einem geltend gemachten Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten zu erklären, ob und in welchem Umfang er den Anspruch anerkennt. Die Fristen beginnen mit dem Eingang der in Ziff. 9.1 genannten Unterlagen. Aus Ziff. 9.4 wird er sodann entnehmen, dass beide Vertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. Eine derartige Neubemessung der Invalidität kommt mithin erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 aaO).

11

In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nimmt das Berufungsgericht auf dieser Grundlage - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - an, dass es sich bei dem Schreiben der Klägerin vom 22. Juli 2010 um die abschließende Erstbemessung der Invalidität und nicht um eine Neubemessung handelt. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Schreiben vom 14. Januar 2010 und 22. Juli 2010 unterliegt als tatrichterliche Würdigung nur einer eingeschränkten Kontrolle durch das Revisionsgericht und ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

12

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts findet indessen die für die Neubemessung der Invalidität geltende Dreijahresfrist auf deren Erstbemessung keine Anwendung (unten a). Es kommt - wie das Berufungsgericht zutreffend sieht - für die Erstbemessung auch nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung oder weitere in der Rechtsprechung und Literatur erwogene Anknüpfungspunkte an (unten b). Maßgeblich ist für die Erstbemessung vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist - hier 18 Monate - abzustellen (unten c).

13

a) Zwar wird aus Ziff. 9.4 AUB 2003 ersichtlich, dass sich nach einer Erstbemessung des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im Neufestsetzungsverfahren. Ist dieses - wie hier - mangels Erstfestsetzung nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum (Senatsurteil vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; Senatsbeschluss vom 21. März 2012 - IV ZR 256/10, juris). Wäre der Versicherer bei jeder medizinischen Unwägbarkeit berechtigt, drei Jahre schon mit der Erstbemessung zuzuwarten, liefe das dem System der AUB mit der Unterscheidung zwischen Erst- und Neubemessung zuwider (so zu Recht OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.). Bei identischen Fristen für Erst- und Neufestsetzung wäre die Differenzierung zwischen beiden unverständlich und das Neufestsetzungsverfahren weitgehend obsolet.

14

Nach der Rechtsprechung des Senats kommt es auf die Dreijahressfrist an, wenn - wie hier nicht - innerhalb dieses Zeitraums eine Partei die vorbehaltene Neubemessung verlangt (Senatsurteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07, VersR 2010, 243 Rn. 24). Entsprechendes gilt, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf der dreijährigen Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen (Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 c; kritisch Jacob, VersR 2014, 291, 292; ders. AUB Unfallversicherung 2010 Ziff. 2.1 Rn. 70). Auch ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

15

b) Entscheidender Zeitpunkt für die Erstbemessung - insoweit ist dem Berufungsgericht beizupflichten - ist auch nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574).

16

Tritt ein Dauerschaden im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 binnen 18 Monaten oder einer anderen vereinbarten Frist (gemäß Ziff. 2.1.1.1 der Musterbedingungen AUB 2008/2010 innerhalb eines Jahres) ein, besagt diese Frist zwar nicht, dass bei der nachfolgenden Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände herangezogen werden dürfen, die innerhalb der Invaliditätseintrittsfrist erkennbar geworden sind. Vielmehr können die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität des Versicherungsnehmers im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung offenbar gewordenen Umstände heranziehen (vgl. Senatsurteile vom 1. April 2015 - IV ZR 104/13, VersR 2015, 617 Rn. 27; vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 19).

17

Hieraus folgt aber nicht, dass maßgebender Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität und der nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 anzustellenden Prognose erst der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist (so aber OLG Düsseldorf VersR 2013, 1573, 1574). Ansonsten wäre die Erstbemessung der Invalidität auf einen zeitlich von vornherein nicht feststehenden und nicht bestimmbaren Zeitpunkt hinaus geschoben und hinge etwa vom Regulierungsverhalten des Versicherers, der Prozessführung der Parteien sowie gerichtsinternen Abläufen ab. Auf derartige Zufälligkeiten, die in jedem Fall unterschiedlich sein können, kann es für den maßgeblichen Zeitpunkt der Erstfeststellung der Invalidität nicht ankommen (vgl. OLG Hamm ZfS 2015, 453, 454; Rixecker, ZfS 2015, 458, 459; Jacob, r+s 2015, 330, 331 f.; ders. jurisPR-VersR 4/2015 Anm. 5; ders. VersR 2014, 291, 293; Kloth, jurisPR-VersR 7/2014 Anm. 3; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; anders Dörrenbächer, VersR 2015, 619, 620).

18

Aus demselben Grund kann - von Ausnahmefällen abgesehen (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b) - auch nicht der Zeitpunkt der vom Versicherer veranlassten ärztlichen Invaliditätsfeststellung maßgeblich sein (so aber OLG Hamm ZfS 2015, 453; Kloth, Private Unfallversicherung 2. Aufl. G Rn. 145, 149; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 324; ähnlich OLG München VersR 2015, 482, 483, das den Zeitpunkt der Erstbemessung durch den Versicherer für maßgeblich hält). Ob und wann diese ärztliche Invaliditätsfeststellung erfolgt, hängt vom Zeitpunkt der Meldung des Unfallereignisses durch den Versicherungsnehmer, der Beauftragung eines ärztlichen Gutachters durch den Versicherer und der dann erfolgten ärztlichen Feststellung ab. Diese zeitlichen Zufälligkeiten können nicht maßgebend für die Frage des Bestehens bedingungsgemäßer Invalidität sein. Soweit schließlich teilweise vertreten wird, es sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der weitergehende Abschluss des Heilverfahrens erstmals eine zuverlässige Invaliditätsfeststellung zulasse (Jacob, VersR 2014, 291, 294; ders. Unfallversicherung AUB 2010 Ziff. 2.1 Rn. 64, 66), wird der Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität mit demjenigen der ärztlichen Feststellung sowie der Fälligkeit der Invaliditätsleistung nach Abschluss der erforderlichen Ermittlungen vermischt.

19

c) Entscheidend kommt es für die Erstbemessung der Invalidität bezüglich Grund und Höhe vielmehr auf den Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist an, hier gemäß Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall (vgl. Senatsurteil vom 4. Mai 1994 - IV ZR 192/93, VersR 1994, 971 unter 3 b; OLG Saarbrücken VersR 2014, 1246, 1248; ders. VersR 2009, 976, 978; Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl. Ziff. 2 AUB Rn. 10; Jannsen in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff. 9 Rn. 16; Rixecker in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 188 Rn. 2; Marlow/Tschersich, r+s 2011, 453, 455 f.; dies. r+s 2009, 441, 451; Brockmöller, r+s 2012, 313, 315; anders Völker/Wolf, VersR 2015, 1358, 1360).

20

Den Ziff. 2.1.1.1 und 9.1, 9.4 AUB 2003 mit den dort genannten Fristen für den Eintritt der Invalidität sowie deren Neubemessung liegt der auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbare Zweck zugrunde, die abschließende Bemessung der Invalidität nicht auf unabsehbare Zeit hinauszuschieben. Die Regelung wird den Interessen beider Parteien gerecht, indem zum einen sich nach dem Unfall ergebende Veränderungen des Gesundheitszustandes berücksichtigt werden können, zum anderen die abschließende Festsetzung der Invalidität innerhalb überschaubarer Zeit auf der Grundlage eines feststehenden Bemessungszeitpunkts vorzunehmen ist.

21

Dem steht nicht entgegen, dass nach der neueren Senatsrechtsprechung die Vertragsparteien im Rechtsstreit um die Erstbemessung der Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen können. Dies bedeutet lediglich, dass auf der Grundlage des Erkenntnisstandes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung rückschauend eine Betrachtung vorzunehmen ist, ob sich bezogen auf den Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist (hier 18 Monate) bessere tatsächliche Einsichten zu den Prognosegrundlagen bezüglich des Eintritts der Invalidität und ihres Grades eröffnen, nicht dagegen, ob spätere, unvorhersehbare gesundheitliche Entwicklungen die Prognoseentscheidung im nachhinein verändern (vgl. Rixecker, ZfS 2015, 458, 459 f.; Kloth/Tschersich, r+s 2015, 321, 325).

22

III. Der Rechtsfehler des Berufungsgerichts ist auch entscheidungserheblich, da die bisherigen Feststellungen der Invalidität des Beklagten auf der Grundlage des dem Sachverständigen vorgegebenen Stichtags, dem 28. April 2010 (drei Jahre nach dem Unfallzeitpunkt), beruhen. Bei der neuen Begutachtung wird dem Sachverständigen demgegenüber vorzugeben sein, dass es darauf ankommt, ob rückschauend auf den 28. Oktober 2008, d.h. 18 Monate nach dem Unfall, von einer Invalidität im Sinne von Ziff. 2.1.1.1 AUB 2003 auszugehen und mit welchem Grad diese gegebenenfalls zu bemessen war.

23

Der Sachverständige wird im Rahmen seiner erneuten Begutachtung ferner zu beurteilen haben, ob eine persönliche Untersuchung des Beklagten erforderlich ist oder ob die vorliegenden Untersuchungsergebnisse Dritter eine ausreichende Beurteilungsgrundlage bilden. Hierfür ist insbesondere maßgeblich, ob dem Sachverständigen durch eine eigene Untersuchung eine retrospektive Beurteilung der Invalidität des Beklagten zum Stichtag 28. Oktober 2008 besser möglich ist als durch eine bloße Begutachtung von Fremdbefunden. Bei diesen ist zusätzlich in Rechnung zu stellen, dass der Beklagte die Untersuchungsergebnisse der Privatgutachter der Klägerin bestritten hat.

24

Schließlich wird das Berufungsgericht bei der nach dem Ergebnis der sachverständigen Beurteilung erneut vorzunehmenden Berechnung des Invaliditätsgrades nach der Progressionsstaffel zu beachten haben, dass auch deren Auslegung nach den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse zu erfolgen hat. Hierbei wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dieser entnehmen können, dass nur volle Prozentpunkte, die über 25% liegen, mit dem Faktor 2 multipliziert werden sollen. Dabei wird er mangels anderweitiger ausdrücklicher Klarstellung durch die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass entsprechend allgemeinen mathematischen Grundsätzen eine Auf- oder Abrundung bis zum nächsten vollen Invaliditätspunkt zu erfolgen hat.

Mayen                               Felsch                               Harsdorf-Gebhardt

               Dr. Karczewski                    Dr. Bußmann

10
Diesen Bestimmungen kann der Versicherungsnehmer entnehmen, dass zunächst der Versicherer verpflichtet ist, sich nach Eingang der erforderlichen Nachweise innerhalb der in § 11 I AUB 94 genannten Dreimonatsfrist verbindlich dazu zu äußern, ob er eine bedingungsgemäße Invalidität des Versicherungsnehmers anerkennt und mit welchem Grad er diese bemisst. Der Versicherungsnehmer erkennt weiter, dass die Erklärung des Versicherers nach § 11 I AUB 94 dessen Leistungsverpflichtung nicht unabänderlich festschreibt, sondern auf der Grundlage der anerkannten Invalidität die Möglichkeit besteht, den "Grad der Invalidität" , welcher sich ändern kann, binnen der in § 11 IV AUB 94 genannten Frist durch eine erneute ärztliche Prüfung neu bestimmen zu lassen. Eine solche erneute Bestimmung der Invalidität setzt aber schon begrifflich voraus, dass bereits zuvor eine bedingungsgemäße, und das heißt auch: binnen Jahresfrist eingetretene (§ 7 I AUB 94), Invalidität festgestellt worden ist, wie im Übrigen auch die Anknüpfung an die "Erklärung entsprechend I" hinreichend deutlich macht. Denn nur wenn der Versicherer bereits eine bedingungsgemäße Invalidität anerkannt hat oder dieses Anerkenntnis durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt worden ist, kann die so dem Grunde nach feststehende Invalidität unter den Vorbe- halt einer späteren Neubemessung gestellt werden. Anderenfalls fehlt für eine Neubemessung jeder Anknüpfungspunkt.

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.

(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.

19
Der Versicherungsnehmer kann zum einen die Erstfeststellung seiner Invalidität angreifen und versuchen, eine seiner Auffassung nach zutreffende Erstfeststellung im Klagewege durchzusetzen. Verlangt er daneben oder allein eine Neubemessung seiner Invalidität, so steht die Erstfeststellung unter dem Vorbehalt der endgültigen Bemessung drei Jahre nach dem Unfall (Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 11 AUB 94 Rdn. 8). Grundlage jeder Neubemessung der Invalidität sind Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt. Dabei wird der maßgebliche Zustand durch die ärztlichen Befunde, die der ersten Feststellung der Invalidität zugrunde liegen, konkretisiert und eingegrenzt. Ist die Erstbemessung Gegenstand eines Rechtsstreits, so kann zwar der Tatrichter theoretisch alle bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Gesundheitsveränderungen in diese einfließen lassen. In diesem Falle kann eine spätere Neubemessung der Invalidität nur noch auf Veränderungen gestützt werden, die nach der mündlichen Verhandlung eingetreten sind. Vielfach wird sich jedoch die gerichtliche Erstfestsetzung der Invalidität schon wegen der Notwendigkeit einer gutachtlichen Bewertung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers allein auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung stützen, die bereits eine geraume Zeit vor Abschluss der mündlichen Verhandlung stattgefunden hat. In diesem Falle sperrt die lediglich hypothetische Möglichkeit, nachträgliche gesundheitliche Veränderungen bis zur mündlichen Verhandlung noch in die gerichtliche Entscheidung über die Erstbemessung einfließen zu lassen, deren Berücksichtigung bei einer späteren Neubemessung nicht. Denn anderenfalls wäre den Vertragsparteien bei einer entsprechend langen Dauer des Rechtsstreits über die Erstfestsetzung das Recht zur Neubemessung der Invalidität in allen Fällen faktisch abgeschnitten, in denen lediglich zu Prozessbeginn eine Begutachtung stattgefunden hatte. Eine rechtliche Verpflichtung, bereits alle seit der ärztlichen Untersuchung bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung über die Erstfeststellung eingetretenen Veränderungen schon im Erstprozess geltend zu machen, lässt sich den AUB 94 angesichts des in § 11 IV gerade mit Rücksicht auf die Veränderbarkeit des Invaliditätsgrades bereitgestellten Verfahrens zur Neubemessung der Invalidität nicht entnehmen. Kann deshalb die Vertragspartei, welche die Neubemessung der Invalidität verlangt, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers, auf die sich das Begehren stützt, noch nicht in eine - auch gerichtliche - Erstbemessung eingeflossen sind, so sind diese Veränderungen im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen.

Ergibt die Begründung des Berufungsurteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Januar 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Versicherungsprämien und Nutzungsersatz in Anspruch.

2

Er beantragte am 14. August 1998 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten den Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Nach den - von der Revision nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt der Kläger im August 1998 mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und eine schriftliche Belehrung über sein Widerspruchsrecht in drucktechnisch deutlicher Form gemäß § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz - VVG) in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Juli 1994 (BGBl. I S. 1630).

3

Diese mehrfach geänderte und mit Ablauf des Jahres 2007 außer Kraft getretene Vorschrift hatte in der bis zum 31. Juli 2001 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:

"(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. …

(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. …"

4

Aufgrund eines Änderungsantrages des Klägers wurde im Januar 2004 ein neuer Versicherungsschein ausgestellt, den der Kläger nach den - von der Revision ebenfalls nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts mit den Versicherungsbedingungen, einer Verbraucherinformation und einer ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung erhielt.

5

Der Kläger zahlte von September 1998 bis März 2004 Prämien in Höhe von insgesamt 17.128,55 €. Nachdem er den Vertrag im März 2004 gekündigt hatte, kehrte ihm die Beklagte den Rückkaufswert in Höhe von 12.481,57 € aus.

6

Mit Schreiben vom 8. März 2011 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. nach § 8 VVG bzw. den Widerruf nach § 355 BGB".

7

Mit der Klage begehrt der Kläger die Differenz zwischen gezahlten Prämien und ausgekehrtem Rückkaufswert sowie Nutzungsersatz in Höhe einer 7%-igen Verzinsung der Prämien. Er meint, der Lebensversicherungsvertrag sei nicht wirksam zustande gekommen, weil das in § 5a VVG a.F. geregelte Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

8

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Forderung weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.

10

I. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt: Dem Kläger stünden keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche auf Rückzahlung der den Rückkaufswert übersteigenden Prämien nebst Zinsen zu. Er habe die Prämien mit Rechtsgrund geleistet. Der Versicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Die Regelung des Policenmodells gemäß § 5a VVG a.F. verstoße nicht gegen die Dritte Richtlinie Lebensversicherung. Das Widerspruchsrecht des Klägers sei 14 Tage nach dem Zugang der Police nebst ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen erloschen. Dasselbe gelte hinsichtlich der 2004 durchgeführten Vertragsänderung, so dass offen bleiben könne, ob dem Kläger insoweit ein Recht zum Widerspruch zugestanden habe.

11

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

12

Der Kläger kann nicht gemäß den §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 818 Abs. 1 BGB Rückzahlung der Prämien und Nutzungsersatz verlangen. Er hat die Prämien mit Rechtsgrund an die Beklagte geleistet (dazu unter 1.). Im Übrigen ist ihm nach jahrelanger Durchführung des Versicherungsvertrages die Berufung auf dessen Unwirksamkeit nach Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt (dazu unter 2.).

13

1. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Lebensversicherungsvertrag ist auf der Grundlage des § 5a VVG a.F. wirksam zustande gekommen.

14

a) Diese Vorschrift regelte den Vertragsschluss nach dem so genannten Policenmodell. Es betraf Fälle, in denen der Versicherer - wie hier die Beklagte - dem Versicherungsnehmer bei dessen Antragstellung die Versicherungsbedingungen zunächst nicht übergeben und eine den Anforderungen des § 10a VAG a.F. genügende Verbraucherinformation unterlassen hatte. Der Antrag des Versicherungsnehmers stellte das Angebot zum Abschluss des Vertrages dar. Dieses nahm der Versicherer dadurch an, dass er dem Versicherungsnehmer mit der Versicherungspolice die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und die für den Vertragsschluss maßgebliche Verbraucherinformation übersandte. Durch die Annahme kam der Vertrag aber noch nicht zustande; vielmehr galt er gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erst dann als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der vollständigen Unterlagen schriftlich widersprach. Bis zum Ablauf dieser Frist war von einem schwebend unwirksamen Vertrag auszugehen (vgl. dazu Senatsurteile vom 7. Mai 2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014, 817 Rn. 15; vom 24. November 2010 - IV ZR 252/08, VersR 2011, 337 Rn. 22 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 28. März 2012 - IV ZR 76/11, VersR 2012, 608 Rn. 10 m.w.N.). Der Vertrag erlangte rückwirkend zum Zeitpunkt der Vertragsannahme Wirksamkeit, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der Widerspruchsfrist von seinem Recht zum Widerspruch keinen Gebrauch gemacht hatte (Senatsurteil vom 24. November 2010 aaO m.w.N.).

15

Die Voraussetzungen für ein Zustandekommen des Vertrages nach dem Policenmodell sind hier erfüllt. Nach den für das Revisionsverfahren bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt der Kläger mit dem Versicherungsschein im August 1998 die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung. Bis zum Ablauf der damit in Gang gesetzten 14-tägigen Widerspruchsfrist erklärte der Kläger den Widerspruch nicht.

16

b) Der so geschlossene Versicherungsvertrag unterliegt entgegen der Auffassung der Revision nicht wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln. Dabei ist der erkennende Senat - anders als es in Bezug auf die Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. (Senatsbeschluss vom 28. März 2012 - IV ZR 76/11, VersR 2012, 608 Rn. 14 ff.) der Fall war - nicht gehalten, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Zum einen (dazu sogleich unter c) steht die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezogen auf das Policenmodell außer Zweifel, so dass die Vorlagepflicht gemäß § 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) entfällt (vgl. EuGH Slg. 1982, 3415, 3430 und ständig; BVerfG WM 2014, 644 Rn. 27 f.; WM 2014, 647 Rn. 26 ff.). Zum anderen scheidet eine Vorlage aus, weil die Frage der Vereinbarkeit des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. mit dem Gemeinschaftsrecht im Streitfall nicht entscheidungserheblich ist (dazu unter 2.; vgl. BVerfG aaO).

17

c) Das Policenmodell steht nach Auffassung des Senats eindeutig in Einklang mit den - für den streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen - Bestimmungen der Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (Zweite Richtlinie Lebensversicherung, ABl. L 330 S. 50) und Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung, ABl. L 360 S. 1) und den inhaltsgleichen Bestimmungen der Art. 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 der späteren Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen (Abl. L 345 S. 1).

18

aa) Zwar hat ein Teil der Literatur Bedenken gegen die Richtlinienkonformität des Policenmodells geäußert (BK/Schwintowski, § 5a VVG Rn. 5; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, PK-VersR/Ebers, § 8 Rn. 9 f.; Berg, VuR 1999, 335, 341 f.; Döhmer, zfs 1997, 281, 283; Dörner in Brömmelmeyer/Heiss/Meyer/Rückle/Schwintowski/Wallrabenstein, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform, Schwachstellen der VVG-Reform 2009 S. 137, 145 f.; Ebers in Micklitz, Verbraucherrecht in Deutschland - Stand und Perspektiven 2005 S. 253, 260 ff.; Lenzing in Basedow/Fock, Europäisches Versicherungsvertragsrecht, Band I 2002, S. 139, 164 f.; Meyer in Basedow/Meyer/Schwintowski, Lebensversicherung, Internationale Versicherungsverträge und Verbraucherschutz, Versicherungsvertrieb 1996 S. 157, 201 f.; Micklitz/Ebers in Basedow/Meyer/Rückle/Schwintowski, Verbraucherschutz durch und im Internet bei Abschluss von privaten Versicherungsverträgen, Altersvorsorgeverträge, VVG-Reform 2003 S. 43, 82 f.; Osing, Informationspflichten des Versicherers und Abschluß des Versicherungsvertrages 1996 S. 92 f.; Rehberg, Der Versicherungsabschluss als Informationsproblem 2003 S. 109 ff.; Schwintowski, VuR 1996, 223, 238 f.).

19

Diese Zweifel werden aber in der Instanzrechtsprechung und im weiteren Schrifttum (zu Recht) nicht geteilt (so etwa von weiteren aktuellen, zur revisionsrechtlichen Überprüfung stehenden Berufungsurteilen: OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 2014 - 20 U 31/14, S. 7 ff. nicht veröffentlicht; OLG München, Urteil vom 8. Mai 2014 - 14 U 5100/13 S. 4 ff., nicht veröffentlicht; aus der neueren veröffentlichten Rechtsprechung u.a.: OLG München, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 14 U 1804/12, juris Rn. 36 f.; VersR 2013, 1025, 1026; VersR 2012, 1545 f.; OLG Sachsen-Anhalt, Urteile vom 14. Februar 2013 - 4 U 63/12, juris Rn. 41 f.; vom 17. Januar 2013 - 4 U 35/12, juris Rn. 37 ff.; OLG Köln VersR 2013, 443, 445; Urteile vom 2. März 2012 - 20 U 178/11, juris Rn. 25; vom 3. Februar 2012 - 20 U 140/11, juris Rn. 47 ff.; vom 25. November 2011 - 20 U 126/11, juris Rn. 21 ff.; VersR 2011, 248; vom 9. Juli 2010 - 20 U 51/10, juris Rn. 4 ff.; vom 5. Februar 2010 - 20 U 150/09, juris Rn. 5 ff.; Brandenburgisches OLG, Urteil vom 21. Dezember 2012 - 11 U 40/12, juris Rn. 17; OLG Karlsruhe VersR 2013, 440, 441 f.; OLG Stuttgart VersR 2012, 1373, 1374 f.; OLG Celle, Urteil vom 9. Februar 2012 - 8 U 191/11, juris Rn. 44 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 31. August 2011 - 20 U 81/11, juris Rn. 10 ff.; VersR 2012, 745, 746; OLG Düsseldorf VersR 2001, 837, 838 f.; LG Dessau-Roßlau NJW-RR 2014, 606, 608 f.; LG Köln, Urteil vom 4. März 2013 - 26 O 301/12, juris Rn. 40; r+s 2011, 243, 244; Urteil vom 7. Juli 2010 - 26 O 609/09, juris Rn. 24; LG Münster, Urteil vom 30. August 2011 - 115 O 53/11, juris Rn. 52 ff.; LG Bielefeld, Urteil vom 31. März 2011 - 7 O 329/10, juris Rn. 18; LG Aachen, Urteil vom 5. März 2010 - 9 O 560/09, juris Rn. 36 ff.; LG Kassel r+s 2010, 339; Bruck/Möller/Herrmann, VVG 9. Aufl. § 7 Rn. 65; Prölss/Martin/Prölss, VVG 27. Aufl. § 5a VVG Rn. 8; Römer/Langheid/Römer, VVG 2. Aufl. § 5a Rn. 3; Hofmann, Schutzbriefversicherung (Assistance) 1996 Einf. Rn. 11; Lorenz, VersR 1997, 773, 780 f.; ders. VersR 1995, 616, 625 f.; Reiff, VersR 1997, 267, 271 f.; Römer, Festschrift 50 Jahre BGH S. 375, 389 f.; Schimikowski, r+s 2000, 353, 355; Schirmer, VersR 1996, 1045, 1056; Wandt, Verbraucherinformation und Vertragsschluss nach neuem Recht 1995 S. 32 f., anders nur bezüglich § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F.).

20

bb) Der Senat sieht ebenfalls keinen Anhaltspunkt dafür, dass die einschlägigen Richtlinien dem in § 5a VVG a.F. geregelten Policenmodell entgegenstehen könnten.

21

(1) Die Widerspruchslösung des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. ist vor allem deshalb nicht zu beanstanden, weil die Richtlinien 90/619/EWG und 92/96/EWG keine Vorgaben zum Zustandekommen des Versicherungsvertrages enthalten (Senatsbeschluss vom 28. März 2012 aaO Rn. 18 f., 22). Wie der in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG erwähnte und für die rechtzeitige Information des Versicherungsnehmers maßgebliche "Abschluss" des Versicherungsvertrages auszugestalten ist, ergibt sich daraus ebenso wenig wie aus dem in Bezug genommenen Anhang. In den Materialien zu Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird zu dem Passus "vor Abschluss des Vertrages" ausgeführt, die Mitgliedstaaten könnten selbst darüber bestimmen, "wann genau ein Vertrag als abgeschlossen gilt und wann genau die … vorgeschriebenen Angaben dem Versicherungsnehmer mitgeteilt werden müssen" (Ratsprotokoll Nr. 2 zu Art. 31, Dok. 7307/92, abgedruckt bei Büchner, Der Referentenentwurf eines Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG auf dem Prüfstand, Münsteraner Reihe Bd. 18 S. 13). Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat in ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 im Rahmen des gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens 2005/5046 ausdrücklich festgehalten, die Frage, wann ein Versicherungsvertrag als abgeschlossen gelten solle, sei "in der Tat eine Sache des nationalen Rechts".

22

Die Richtlinien 90/619/EWG und 92/96/EWG verfolgen zudem kein auf das materielle Versicherungsvertragsrecht bezogenes Harmonisierungsziel. Mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung sollten insbesondere Unterschiede zwischen dem Aufsichtsrecht der Mitgliedstaaten beseitigt werden. Die insoweit angestrebte Harmonisierung sollte nach Erwägungsgrund 5 der Richtlinie 92/96/EWG zu "einer gegenseitigen Anerkennung der Zulassungen und der Aufsichtssysteme" führen. Diese Zielsetzung nahm die spätere Richtlinie 2002/83/EG auf; sie wurde in Erwägungsgrund 2 dergestalt umschrieben, dass "zur Erleichterung der Aufnahme und der Ausübung der Tätigkeiten der Lebensversicherung … gewisse Unterschiede zwischen dem Aufsichtsrecht der verschiedenen Mitgliedstaaten zu beseitigen" sind, "wobei ein angemessener Schutz der Versicherten und der Begünstigten in allen Mitgliedstaaten gewahrt bleiben muss". Daraus ergibt sich, dass neben dem Verbraucherschutz auch die Tätigkeit der Lebensversicherer in den Mitgliedstaaten erleichtert werden sollte. Hingegen sollte die Harmonisierung des für den Versicherungsvertrag geltenden Rechts "keine Vorbedingung für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Versicherungssektor" sein. Dies betont Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 92/96/EG und führt weiter aus, die den Mitgliedstaaten belassene Möglichkeit, die Anwendung ihres eigenen Rechts für Versicherungsverträge vorzuschreiben, bei denen die Versicherungsunternehmen Verpflichtungen in ihrem Hoheitsgebiet eingehen, stelle deshalb eine hinreichende Sicherung für die Versicherungsnehmer dar (ebenso Erwägungsgrund 44 der Richtlinie 2002/83/EG). Demnach haben die Richtlinien die Regelung des Vertragsschlusses dem nationalen Gesetzgeber überlassen (Senatsbeschluss vom 28. März 2012 aaO Rn. 22 m.w.N.).

23

Der deutsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung der genannten Richtlinien neben der aufsichtsrechtlichen Vorschrift des § 10a VAG a.F. die versicherungsvertragsrechtliche Bestimmung des § 5a VVG a.F. eingeführt (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 24 f. unter Bezugnahme auf die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses BT-Drucks. 12/7595 S. 102 m.w.N.). Mit § 5a VVG a.F. bezweckte er nicht primär eine Harmonisierung des Aufsichtsrechts (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 25). Allerdings ist für den Senat nicht ersichtlich, dass der Richtlinie 92/96/EWG aufsichtsrechtlich keine praktische Wirksamkeit verschafft wurde (vgl. BVerfG WM 2014, 644 Rn. 42; WM 2014, 647 Rn. 43). Die Aufsichtsbehörde brauchte bei Vertragsabschlüssen nach dem Policenmodell nicht einzuschreiten, wenn die Versicherer - wie im Streitfall geschehen - ihrer Informationspflicht nach § 10a VAG a.F. nachkamen und den Versicherungsnehmern mit den Policen die erforderlichen Informationen zukommen ließen. Die Überwachungspflicht gemäß § 81 Abs. 1 VAG wurde aber nicht obsolet. Verstöße gegen die Vorgaben des § 10a VAG a.F. zur Gestaltung der Verbraucherinformation waren auch in Bezug auf das Policenmodell zu ahnden.

24

(2) Ausgehend von dem sich nach nationalem Recht bestimmenden Zustandekommen des Vertrages entspricht § 5a VVG a.F. den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der in den Richtlinien geregelten Informationspflichten in der Ausprägung, die sie durch die Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union gefunden haben. Sinn und Zweck der in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG normierten Informationspflicht sowie die wirksame Gewährleistung des Rücktrittsrechts nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG rechtfertigen nach der - vom Gerichtshof der Europäischen Union bestätigten - Ansicht des Senats die Auslegung, dass ein Lebens- oder Rentenversicherungsvertrag nicht ohne Information und Belehrung des Versicherungsnehmers zustande kommen darf (Senatsbeschluss vom 28. März 2012 aaO Rn. 23; EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - C-209/12, VersR 2014, 225 Rn. 24 f.). Das Interesse des Versicherungsnehmers wurde im Erwägungsgrund 20 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dergestalt umschrieben, "daß er Zugang zu einer möglichst weiten Palette von in der Gemeinschaft angebotenen Versicherungsprodukten hat, um aus ihnen das seinen Bedürfnissen am besten entsprechende Angebot auswählen zu können". Daran anknüpfend wurde der Zweck der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung im Erwägungsgrund 23 so formuliert: "Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts wird dem Verbraucher eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muss er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen." Im Hinblick auf diesen Informationszweck sah Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung in Verbindung mit deren Anhang II A Nr. a.13 vor, dass dem Versicherungsnehmer "mindestens" die "Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts" mitgeteilt werden mussten, und zwar "vor Abschluss des Vertrages". Sowohl aus der Struktur als auch aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen der Dritten Richtlinie Lebensversicherung ging demnach eindeutig hervor, dass mit ihr sichergestellt werden sollte, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht genau belehrt wird (EuGH aaO Rn. 25).

25

Diesen Anforderungen genügte § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., indem er anordnete, dass der Vertrag erst als geschlossen galt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der maßgeblichen Unterlagen - Versicherungsbedingungen, Verbraucherinformation und ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung - widersprach. Die Konstruktion eines schwebend unwirksamen Vertrages gewährleistete, dass der Versicherungsnehmer über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sein musste, bevor der Vertrag wirksam werden konnte. Eine vertragliche Bindung des Versicherungsnehmers konnte erst nach der von den Richtlinien geforderten Verbraucherinformation eintreten (vgl. OLG Köln VersR 2013, 443, 445). Auf diese Weise war eine Belehrung des Versicherungsnehmers vor dem (wirksamen) Zustandekommen und damit "vor Abschluss des Vertrages" sichergestellt.

26

(3) Die für das Policenmodell charakteristische schwebende Unwirksamkeit des Vertrages wurde in dem genannten Vertragsverletzungsverfahren zunächst nicht hinreichend beachtet. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sah in ihrem an das deutsche Bundesministerium der Justiz gerichteten Aufforderungsschreiben vom 4. April 2006 (S. 4 f.) "die praktische Folge der deutschen Regelung in § 5a VVG bezüglich des Vertragsschlusses (sog. Policenmodell)" darin, "dass ein Versicherungsvertrag zunächst als abgeschlossen gilt, obwohl dem Versicherungsnehmer im Moment seiner Entscheidung betreffend des Versicherungsprodukts keine vollständigen Verbraucherinformationen vorlagen". Daraus zog die Kommission den Schluss, der Versicherungsnehmer werde "an seine Antragstellung auch in den Fällen gebunden, in denen ihm vor Abschluss des Vertrages nicht die von den Richtlinien vorgesehenen Informationen vorlagen". Daran hielt sie nicht mehr fest, nachdem die Bundesregierung mit Schreiben vom 8. Juni 2006 darauf hingewiesen hatte, dass nach dem Policenmodell ein bindender Abschluss erst dann erfolge, wenn der Versicherungsnehmer die vorgeschriebene Verbraucherinformation erhalten habe, über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei und den Widerspruch innerhalb der gesetzlich gewährten Frist von 14 Tagen unterlassen habe. In ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 stellte die Kommission dann ihre - ebenfalls bereits in dem Aufforderungsschreiben enthaltene - Argumentation, dass "zu dieser Zeit die Entscheidung betreffend des Versicherungsprodukts längst getroffen" sei, in den Mittelpunkt. Daher könne nach dem deutschen Recht ein Versicherungsvertrag zunächst als abgeschlossen gelten, es sei denn, dass der Versicherungsnehmer selbst aktiv werde, um der endgültigen Wirksamkeit des Vertrages zu entgehen. Dem Versicherungsnehmer werde damit eine Widerrufslast aufgebürdet. Darüber hinaus müsse der Versicherungsnehmer eine Auswahlentscheidung treffen, ohne zuvor entsprechend unterrichtet worden zu sein. Der eigentliche Zweck der Richtlinienbestimmungen, nach denen der Versicherungsnehmer vor einem Vertragsabschluss über alle notwendigen Informationen verfügen soll, werde vereitelt.

27

Das rechtfertigt ersichtlich keine abweichende Beurteilung. Da die Richtlinien - wie dargelegt - dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben zum Zustandekommen des Versicherungsvertrags machten und § 5a VVG a.F. sicherstellte, dass dem Versicherungsnehmer die von den Richtlinien geforderten Informationen vorlagen, bevor der Vertrag nach nationalem Recht zustande kam, war die den Richtlinien zu entnehmende Verpflichtung, den Versicherungsnehmer vor dem ihn bindenden Vertragsschluss umfassend über den künftigen Vertragsinhalt und die ihn begleitenden Umstände zu unterrichten (EuGH VersR 2014, 225 Rn. 24 f.), durch den Regelungsgehalt des § 5a VVG a.F. ohne weiteres gewährleistet (vgl. OLG Düsseldorf VersR 2001, 837, 838 f.; Prölss/Martin/Prölss aaO § 5a Rn. 8; Lorenz, VersR 1995, 616, 625; Römer aaO; Reiff, VersR 1997, 267, 269; Wandt aaO S. 32). Die dem Versicherer in § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. eingeräumte Möglichkeit, dem Versicherungsnehmer erst nach dessen Antrag die Vertragsbestimmungen und die maßgebliche Verbraucherinformation zukommen zu lassen, führte auch nicht etwa zu einer Aushöhlung oder gar Vereitelung der sich aus den Richtlinien ergebenden Informationspflichten (a.A. Meyer aaO S. 202; Schwintowski, VuR 1996, 223, 239). § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. stellte sicher, dass die Widerspruchsfrist erst und nur dann zu laufen begann, wenn der Versicherungsnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben informiert worden war. Er konnte in Kenntnis der Vertragsbedingungen, der erforderlichen Information und des ihm zustehenden Widerspruchsrechts frei entscheiden, ob er den Vertrag wirksam werden ließ und von einem Widerspruch Abstand nahm. Damit wurde den erwähnten Erwägungsgründen 20 und 23 der Richtlinie 92/96/EWG Genüge getan, nach denen sich der Versicherungsnehmer vollständig informiert über ein bestimmtes Produkt für den Vertragsschluss entscheiden können soll (Wandt aaO S. 32).

28

(4) Das in den Richtlinien vorgesehene Informationsmodell lief durch § 5a VVG a.F. nicht etwa deshalb leer, weil innerhalb der auf 14 Tage beschränkten Widerspruchsfrist hinreichende Informationsmöglichkeiten für den Versicherungsnehmer nicht bestanden (so aber Berg, VuR 1999, 335, 339 ff.; Lenzing aaO S. 165; Meyer aaO S. 202). Während des Fristenlaufs konnte der Versicherungsnehmer die Vertragsbedingungen und sonstigen Informationen ohne weiteres eingehend durchsehen und dabei insbesondere erkennen, dass ihm die Möglichkeit zu einem Widerspruch zustand. Die Fristdauer von 14 Tagen - und von 30 Tagen für Lebensversicherungsverträge ab dem 8. Dezember 2004 - war angemessen; sie bewegte sich in dem von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG für den Rücktritt vorgegebenen Rahmen von 14 bis 30 Tagen.

29

Die hinsichtlich der Widerspruchsfrist von der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen vom 11. Juli 2013 in der Rechtssache C-209/12 zu dem Vorlagebeschluss des Senats vom 28. März 2012 erhobenen Bedenken gegen die Europarechtskonformität des Policenmodells führen zu keiner anderen Beurteilung. Unter Hinweis auf den Erwägungsgrund 23 sieht sie den Zweck der in Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung verankerten Mitteilungspflicht darin, den künftigen Versicherungsnehmer in die Lage zu versetzen, den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen und ihm "klare und genaue Angaben über die wesentlichen Merkmale der ihm angebotenen Produkte …" zur Verfügung zu stellen (Schlussanträge Nr. 59). Der in Art. 15 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung vorgesehene Rücktritt sei von einem Vertrag, der noch nicht geschlossen sei, weil kein Angebot und keine Annahme vorlägen, die zu einer Vereinbarung der Parteien mit bindenden Vertragsbedingungen führten, nicht möglich (Schlussanträge Nr. 60). Daraus folgert die Generalanwältin, dem (künftigen) Versicherungsnehmer müssten bestimmte Angaben vor Abschluss des Vertrages mitgeteilt werden und nach Mitteilung des Vertragsschlusses müsse ihm eine Rücktrittsfrist von 14 bis 30 Tagen zur Verfügung stehen (Schlussanträge Nr. 61). Der Zweck der Belehrungspflicht wäre nach Auffassung der Generalanwältin verfehlt worden, wenn die Informationen erst nach Abgabe des Angebots durch den Versicherungsnehmer und somit nach seiner Wahl eines Versicherers und eines Vertrages vorgelegt worden wären (Schlussanträge Nr. 62).

30

Auch daraus ergibt sich unter Berücksichtigung der in jener Sache ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (aaO) aber kein Anhaltspunkt für eine Richtlinienwidrigkeit des Policenmodells. Der Gerichtshof hat dort ausgeführt, die Mitgliedstaaten hätten zwar in der Tat dafür zu sorgen gehabt, dass die praktische Wirksamkeit der einschlägigen Lebensversicherungsrichtlinien unter Berücksichtigung des mit diesen verfolgten Zwecks gewährleistet war (aaO Rn. 23). Er hat aber weiter betont, dass Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung im Hinblick auf den dort angeführten Informationszweck eine Mitteilung der Informationen "vor" Abschluss des Vertrages vorsehe (aaO Rn. 25). Dem Zweck der Informationspflicht ist danach genügt, wenn der Versicherungsnehmer die Informationen erhält, bevor er - wie nach nationalem Recht in § 5a VVG a.F. geregelt - vertraglich gebunden ist (so auch OLG Köln, Urteil vom 16. Mai 2014 - 20 U 31/14 S. 10, nicht veröffentlicht). Dies ist zugleich mit Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung in Einklang zu bringen. Danach beginnt die Rücktrittsfrist, wenn der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, "dass der Vertrag geschlossen ist". Diese Kenntnis konnte dem Versicherungsnehmer nach dem Policenmodell durch die mit dem Versicherungsschein zu erteilende Widerspruchsbelehrung vermittelt werden. Daraus konnte er entnehmen, dass ein - zunächst noch nicht wirksamer - Vertrag geschlossen würde und er sich davon bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist ohne Weiteres lösen, ein Zustandekommen des Vertrages also verhindern konnte.

31

(5) Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass § 5a VVG a.F. dem Versicherungsnehmer eine - von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften beanstandete - "Widerspruchslast" auferlegte und ihn damit zu einem Handeln verpflichtete, wollte er nach Erhalt der erforderlichen Verbraucherinformation das Zustandekommen des Vertrages in der Frist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. verhindern (so aber Micklitz/Ebers aaO S. 83; Rehberg aaO S. 98, 112 ff.; vgl. BVerfG WM 2014, 644 Rn. 42; WM 2014, 647 Rn. 43). Eine Ausgestaltung in Form einer Hinderung des Wirksamwerdens des Vertrages durch Widerspruch oder Widerruf genügt auch in anderen Fällen europarechtlichen Vorgaben bzw. beruht sogar auf solchen (vergleiche nur § 7 VerbrKrG und § 1 HWiG). Insoweit überzeugt auch der Einwand nicht, dass der künftige Versicherungsnehmer nach dem Policenmodell gegenüber mehreren Versicherern Anträge auf Abschluss von Versicherungsverträgen stellen musste, um mit den Versicherungspolicen die Informationen zu erhalten, die ihm eine sachgerechte Auswahlentscheidung ermöglichten (so Meyer S. 201 f.; vgl. BVerfG aaO). Dass ein Interessent gleichzeitig Anträge bei mehreren Versicherern stellt, um dann die nicht immer zeitgleich bei ihm eingehenden Versicherungsbedingungen während der regelmäßig unterschiedlich laufenden Widerspruchsfristen eingehend zu vergleichen, erscheint in der Tat lebensfremd (vgl. Meyer aaO S. 202 f.; BVerfG aaO m.w.N.). Ihm wurde aber nicht angesonnen, mehrere auf Abschluss verschiedener Versicherungsverträge gerichtete Willenserklärungen abzugeben, von vornherein mit der Absicht, alle Erklärungen bis auf eine fristgerecht zu widerrufen. Wenn der Versicherungsnehmer vor Abgabe einer Vertragserklärung die Leistungen verschiedener Versicherer miteinander vergleichen wollte, war er nicht gezwungen, den Abschluss mehrerer Versicherungen zu beantragen und nach Erhalt der Policen seine Auswahlentscheidung zu treffen. Vielmehr konnte er mehrere Versicherer um entsprechende Informationen oder konkrete Angebote bitten und sich für eine Versicherung entscheiden. Im Übrigen stand dem Versicherungsnehmer eine zeitlich unbegrenzte Wahlfreiheit auch bei einem Vertragsschluss nach dem so genannten Antragsmodell oder vergleichbaren Vertragsgestaltungen nicht zur Verfügung. Wenn er zunächst verschiedene Angebote bei mehreren Versicherern eingeholt hatte, musste er, nachdem er eines angenommen hatte, dann aber noch ein besseres erhielt, durch eine Widerrufs- oder Rücktrittserklärung tätig werden.

32

2. Die von der der Revision begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet im Übrigen auch bereits deshalb aus (vgl. BVerfG WM 2014, 644 Rn. 27; WM 2014, 647 Rn. 24), weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen der Richtlinien 90/619/EWG und 92/96/EWG unvereinbar ist, hier ohnedies nicht entscheidungserheblich ankommt. Offenbleiben kann daher auch, ob in diesem Fall - wie die Revision meint - alle nach dem Policenmodell geschlossenen Lebens- und Rentenversicherungsverträge ohne weiteres - selbst ohne Widerspruch - von Anfang an unwirksam wären und ob sich darauf auch Versicherer - sogar nach Auszahlung des Rückkaufswertes oder der Versicherungsleistung - berufen könnten. Die Entscheidung dieses Rechtsstreits hängt nicht von der genannten unionsrechtlichen Frage ab, weil es dem Kläger auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.

33

a) Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (Senatsurteile vom 16. Juli 2014 - IV ZR 88/13 m.w.N., zur Veröffentlichung vorgesehen; vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 40; BGH, Urteil vom 12. November 2008 - XII ZR 134/04, NJW 2009, 1343 Rn. 41; jeweils m.w.N.; vgl. Brand, VersR 2014, 269, 276).

34

b) So liegt der Fall hier. Der Kläger verhielt sich treuwidrig, indem er nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang durchführte und erst dann von der Beklagten, die auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte.

35

aa) Das Verhalten des Klägers war objektiv widersprüchlich. Die - ihm zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte - Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss 1998 und sogar im Zuge der Vertragsänderung 2004 ungenutzt verstreichen. Bis zur Kündigung des Vertrages im März 2004 zahlte er vielmehr regelmäßig die vereinbarten Versicherungsprämien. Nach der Kündigung ließ er rund sieben weitere Jahre vergehen, bis er sich entschied, dem Vertragsschluss zu widersprechen und sich hilfsweise darauf zu berufen, ein Vertrag sei nicht wirksam zustande gekommen. Mit seinem im eigenen Interesse begründeten und über lange Zeit fortgeführten Verhalten setzt sich der Kläger in Widerspruch, wenn er nun geltend macht, ein Vertrag habe nie bestanden (vgl. BGH, Urteile vom 7. Dezember 1989 - VII ZR 130/88, NJW-RR 1990, 417, 418; vom 23. Oktober 1986 - VII ZR 195/85, NJW-RR 1987, 335, 335 f.).

36

bb) Der Kläger war (anders als etwa der Kläger im Verfahren IV ZR 76/11) von der Beklagten in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen des § 5a VVG a.F. über sein Widerspruchsrecht belehrt worden. Daher war ihm bekannt, dass er den Vertrag nicht hätte zustande kommen lassen müssen und ihm die Beklagte jedenfalls ein Recht zur Lösung zugestand. Vor diesem Hintergrund können seine jahrelangen Prämienzahlungen nur als Ausdruck seines Willens, den Vertrag durchzuführen, verstanden werden. Da die Beklagte die Prämien entgegennahm und erkennbar von einem bestehenden Versicherungsvertrag ausging, konnte er bis zur Kündigung erwarten, Versicherungsschutz zu genießen, der zweifelsfrei bei Eintritt eines Versicherungsfalles in Anspruch genommen worden wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Kläger nicht sicher wissen konnte, ob das Policenmodell gemeinschaftsrechtswidrig war und ihm - wenn es so wäre - der geltend gemachte bereicherungsrechtliche Anspruch auf Rückzahlung der Prämien zustünde. Ein Rechtsverlust durch widersprüchliches Verhalten kann wegen der an Treu und Glauben ausgerichteten objektiven Beurteilung selbst dann eintreten, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner Berechtigung hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2007 - V ZR 190/06, NJW 2007, 2183 Rn. 8 m.w.N.).

37

cc) Ebenso wenig sind für den aus widersprüchlichem Verhalten hergeleiteten Einwand des Rechtsmissbrauchs unredliche Absichten oder ein Verschulden des Klägers erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 2008 aaO Rn. 41; vom 20. März 1968 - VIII ZR 127/67, WM 1968, 876 unter 3 c; MünchKomm-BGB/Roth/Schubert, 6. Aufl. § 242 Rn. 288 m.w.N.; Staudinger/Looschelders/Olzen, BGB [2009] § 242 Rn. 293 m.w.N.). Durch das Verhalten des Rechtsinhabers muss nur ein ihm erkennbares, schutzwürdiges Vertrauen der Gegenseite auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage hervorgerufen worden sein (MünchKomm-BGB/Roth/Schubert aaO Rn. 288; Staudinger/Looschelders/Olzen aaO Rn. 292 m.w.N.).

38

Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits 1998 über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten Klägers haben bei der Beklagten ein solches schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Dieses Vertrauen wurde durch den Änderungsantrag des Klägers, der das Festhalten an dem Versicherungsverhältnis nochmals verdeutlichte, sogar noch verstärkt. Das Verhalten des Klägers sprach aus Sicht der Beklagten dafür, dass er selbst den Vertrag durchführen, ihn als wirksam behandeln und erfüllen wolle, und begründete das Vertrauen der Beklagten, der Kläger halte am Bestehen des Vertrages - auch für die Vergangenheit - fest.

39

Die Beklagte hatte durch die Wahl des Policenmodells zwar die Ursache für die vom Kläger behauptete Unwirksamkeit des Vertrages gesetzt. Ihr Vertrauen ist gleichwohl schutzwürdig, weil sie dem Kläger den gesetzlichen Vorgaben des nationalen Rechts entsprechend eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung und auch die weiteren Informationen erteilt hatte. Dem Vertrauensschutz der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Richtlinienkonformität des Policenmodells im Schrifttum in Zweifel gezogen wurde. Das Policenmodell entsprach dem damals geltenden nationalen Recht; seine etwaige Gemeinschaftsrechtswidrigkeit stand nicht fest und konnte der Beklagten nicht positiv bekannt sein. Von einer überlegenen Rechtskenntnis auf ihrer Seite kann insoweit jedenfalls keine Rede sein.

40

Für den Kläger war die vertrauensbegründende Wirkung seines Verhaltens auch erkennbar. Er konnte bemerken, dass die Beklagte auf den Bestand des Versicherungsvertrages vertraute, nachdem er trotz Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, jahrelang die Prämien gezahlt hat, ohne die Unwirksamkeit des Vertrages geltend zu machen.

41

c) Der - von Amts wegen zu berücksichtigende, im Revisionsverfahren von der Beklagten auch geltend gemachte - Einwand von Treu und Glauben greift auch im Falle einer - zugunsten des Klägers unterstellten - Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells durch. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH GRUR 2014, 368 Rn. 42, 49; Slg. 2010, I-635 Rn. 31, 33; jeweils m.w.N.) unterliegen nationale Rechtsmaximen, die einem Anspruch entgegengehalten werden können, dem nationalen Recht, das unter Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes angewandt werden muss. Diese vom Gerichtshof anerkannten Verfahrensgrundsätze gebieten, dass die verfahrensrechtlichen Vorgaben des nationalen Rechts nicht ungünstiger sind als bei vergleichbaren Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung eingeräumten Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Die Grundsätze finden auch bei materiellen Ausschlussgründen nach nationalem Recht - wie dem Grundsatz von Treu und Glauben - Anwendung (König, Der Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 2011 S. 114 m.w.N.) und sind hier gewahrt. Der Versicherungsnehmer, dem nach jahrelanger Durchführung des Vertrages die Berufung auf dessen Unwirksamkeit wegen Richtlinienwidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben versagt ist, wird nicht ungünstiger gestellt als bei alleiniger Anwendung des deutschen Rechts. Das in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG vorgesehene und in § 5a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 bis 3 VVG a.F. umgesetzte Recht, sich vom Vertrag zu lösen, wird dem Versicherungsnehmer dadurch nicht unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert, da der Gesichtspunkt von Treu und Glauben keineswegs stets bei ordnungsgemäßer Belehrung greift, sondern nur in Fällen jahrelanger Durchführung des Vertrages.

42

Auch zum Einwand von Treu und Glauben ist entgegen der Ansicht der Revision eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich. Die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt. Die Anwendung auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht (EuGH Slg. 2000, I-1705 Rn. 35). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (EuGH ZfZ 2014, 100 Rn. 29 m.w.N.; Slg. 2000 aaO Rn. 33; Slg. 1998, I-2843 Rn. 20 m.w.N.; Slg. 1996, I-2357 Rn. 24 m.w.N.). Dies hat der Gerichtshof - ähnlich wie die Anwendung nationaler Fristenregelungen (vgl. EuGH Slg. 1996, I-5223 Rn. 9, 35) - nicht davon abhängig gemacht, ob dem Berechtigten die Rechtslage bekannt war. Die nationalen Gerichte können vielmehr das missbräuchliche Verhalten des Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf die geltend gemachte Bestimmung des Gemeinschaftsrechts zu verwehren. Dabei müssen sie jedoch die mit dieser Bestimmung verfolgten Zwecke beachten (EuGH Slg. 2000 aaO Rn. 34; Slg. 1996 aaO Rn. 25). Die Anwendung einer nationalen Vorschrift - wie hier § 242 BGB - darf somit die Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen (EuGH Slg. 2000 aaO Rn. 34 m.w.N.; Slg. 1998 aaO Rn. 22; Slg. 1996, I-1347 Rn. 68). Es obliegt dem nationalen Gericht, im bei ihm anhängigen Rechtsstreit festzustellen, ob die Anwendung der nationalen Vorschrift mit dieser Anforderung vereinbar ist (EuGH Slg. 2000 aaO Rn. 35). Hier beeinträchtigt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben weder die Wirksamkeit noch die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Der vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 (aaO Rn. 25) dargelegte Zweck der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, wird nicht berührt, wenn einem Versicherungsnehmer, der vom Versicherer dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß belehrt wurde, nach jahrelanger Durchführung des Vertrages die Geltendmachung eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs unter Berufung auf ein gemeinschaftsrechtswidriges Zustandekommen des Vertrages verwehrt wird.

Mayen                              Felsch                                 Harsdorf-Gebhardt

             Dr. Karczewski                    Dr. Brockmöller

25
ee) Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte sich auf die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags berufen kann, ohne gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verstoßen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines wi- dersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, NJW 2016, 3518 Rn. 20; vom 16. März 2017 - I ZR 39/15, GRUR 2017, 702 Rn. 96; je mwN). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht beachtet. Die tatrichterliche Würdigung der konkreten Umstände ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruht insbesondere nicht auf einer unzutreffenden Beurteilung des Beitrags der Beklagten. Entgegen der Darstellung der Revision hat die Beklagte die gemeinsame Vertretung der Planungsgemeinschaften durch den Kläger nicht gewünscht oder gar bestimmt, sondern ihr lediglich zugestimmt.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 29. April 2015 durch Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Fortzahlung einer Berufsunfähigkeitsrente nach Ablauf der Dauer einer vereinbarten Leistung verpflichtet ist.

2

Die dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen der Beklagten für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (im Folgenden: BB-BUZ) lauten auszugsweise wie folgt:

"1.1 Wann liegt vollständige Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen vor?

1.1.1 Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung, Pflegebedürftigkeit oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, 6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.

...

2.5 Wann geben wir eine Erklärung zu unserer Leistungspflicht ab?

...

Befristetes Anerkenntnis

2.5.3 Grundsätzlich sprechen wir kein befristetes Anerkenntnis aus. In begründeten Einzelfällen können wir einmalig ein zeitlich begrenztes Anerkenntnis bis zu 12 Monaten in Textform aussprechen.

2.5.4 Gründe für ein befristetes Anerkenntnis liegen z.B. vor, wenn für ein unbefristetes Leistungsanerkenntnis noch Erhebungen oder Untersuchungen oder deren Auswertung erforderlich sind oder aus medizinischen oder beruflichen bzw. betrieblichen Gründen ... ein Ende der Berufsunfähigkeit zu erwarten ist.

2.5.5 Die Prüfung der Fortdauer der Berufsunfähigkeit bei befristetem Anerkenntnis erfolgt nach Ablauf der Frist nach den Grundsätzen der Erstprüfung gemäß 1.1 dieser Bedingungen; die Regelungen für das Nachprüfungsverfahren gemäß 4.1 gelten insoweit nicht. ..."

3

Das Nachprüfungsverfahren ist in Nr. 4 BB-BUZ wie folgt geregelt:

"4.1 Was gilt für Sie und uns bei Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?

4.1.1 Wir sind berechtigt, die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch und den Grad der Berufsunfähigkeit nachzuprüfen. ...

...

4.1.5 Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich der Grad auf weniger als 50% ... vermindert, passen wir die Leistung entsprechend der gewählten Leistungsregelung ... an. In diesem Fall informieren wir den Anspruchsberechtigten schriftlich über die Veränderungen oder die Einstellung der Leistungen. ...

Die Einstellung unserer Leistungen wird mit dem Ablauf des 3. Monats nach Zugang unserer Erklärung bei Ihnen wirksam. ..."

4

Ausweislich des Versicherungsscheins besteht der Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, wenn die versicherte Person während der Vertragsdauer zu mindestens 50% berufsunfähig wird.

5

Die Klägerin wurde ab dem 7. Januar 2011 wegen einer depressiven Erkrankung arbeitsunfähig geschrieben. Unter Berufung hierauf machte sie mit Schreiben vom 7. Juni 2011 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit ab dem 6. Januar 2011 geltend. Im Rahmen der Leistungsprüfung erhielt die Beklagte auf ihre Anforderung verschiedene ärztliche Unterlagen, unter anderem ein für die Bundesagentur für Arbeit erstelltes Gutachten, das den zeitlichen Umfang der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf unter drei Stunden täglich bezifferte und eine verminderte Leistungsfähigkeit für einen Zeitraum von voraussichtlich länger als sechs Monaten prognostizierte.

6

Nach Erhalt dieser Unterlagen teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 17. Oktober 2011 mit, für den Zeitraum ab dem 6. Januar 2011 lägen zwar Bescheinigungen zur Arbeitsunfähigkeit vor, jedoch keine zweifelsfreie ärztliche Einschätzung zum Grad der Berufsunfähigkeit. Aus diesem Grunde wäre nun eine Begutachtung erforderlich, welche einen nicht unerheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen würde. Sie habe daher geprüft, inwieweit sie der Klägerin entgegenkommen könne, da sie nicht verkenne, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten vorlägen. Sie unterbreite daher die in der Anlage beigefügte Vergleichsvereinbarung, nach der sie sich bereit erklärte, "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage, Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Rente und Beitragsbefreiung) in Höhe von 100% für die Dauer vom 01.02.2011 bis 31.12.2011 zu erbringen". In dem Entwurf dieser Vereinbarung heißt es weiterhin: "Zum Ablauf der vereinbarten Leistungszeit zum 01.01.2012 erfolgt eine Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nach den Grundsätzen der Erstprüfung. Die bedingungsgemäßen Regelungen zum Nachprüfungsverfahren gelten hierfür nicht."

7

Die Klägerin unterschrieb diese Vereinbarung und erhielt für den Zeitraum von Februar 2011 bis einschließlich Dezember 2011 die versprochenen Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

8

Die Beklagte stellte ab Januar 2012 ihre Leistungen ein und ließ die Klägerin fachärztlich begutachten. Dieses Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass es durch ein Ende 2011 durchgeführtes psychosomatisches Heilverfahren zu einer Stabilisierung mit Abnahme der depressiven Symptomlast gekommen und für die bisherige Tätigkeit der Klägerin als Einzelhandelskauffrau eine aufgehobene Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben sei. Im Hinblick darauf teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 11. Juli 2012 unter Bezugnahme auf das beigefügte Gutachten mit, derzeit habe sich ihr Gesundheitszustand gebessert, insgesamt sei von einem Grad der Berufsunfähigkeit von noch maximal 20% auszugehen. Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung könne sie daher über den 1. Januar 2012 aufgrund der ärztlichen Feststellungen nicht mehr zur Verfügung stellen.

9

Das Landgericht hat die auf Verurteilung der Beklagten zu Rentenzahlungen und Freistellung von der Beitragspflicht ab dem 1. Januar 2012 gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Klägerin die Beklagte zur Zahlung von 5.350 € (Renten für Januar bis Oktober 2012) und weiteren 456,68 € (Beitragsrückerstattungen für den genannten Zeitraum) nebst Zinsen verurteilt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen.

10

Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte auch im Übrigen Klageabweisung. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlussrevision ihre über die zuerkannten Beträge hinausgehenden Leistungsansprüche weiter.

11

II. Das Berufungsgericht hat das Leistungsbegehren nur für den oben genannten Zeitraum als begründet erachtet. Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts sei die Klägerin ab dem 6. Januar 2011 bis zum 20. Dezember 2011 im Sinne von Nr. 1.1.1 BB-BUZ im maßgeblichen Beruf der Verkäuferin berufsunfähig gewesen.

12

Die Leistungspflicht der Beklagten habe durch ihre Mitteilung über die Einstellung der Versicherungsleistungen vom 11. Juli 2012 gemäß Nr. 4.1.5 Satz 4 BB-BUZ, § 174 Abs. 2 VVG mit Wirkung zum Ablauf des dritten Monats nach ihrem Zugang, mithin zum Ende Oktober 2012 geendet.

13

Ansprüche der Klägerin für den Zeitraum Januar bis Oktober 2012 entfielen nicht auf der Grundlage der Vereinbarung der Parteien. Darauf könne sich die Beklagte nach Treu und Glauben nicht berufen. Sie habe sich nur auf der Grundlage eines Nachprüfungsverfahrens von ihrer Leistungspflicht befreien können. Sie könne nicht geltend machen, dass sie gemäß Nr. 2.5.3 bis 2.5.5 BB-BUZ oder nach § 173 Abs. 2 VVG ein befristetes Anerkenntnis hätte aussprechen können.

14

III. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

15

1. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, "soweit der Klägerin ein Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung von Januar bis Oktober 2012 unter Versagung einer Befristungsbefugnis der Beklagten zugesprochen worden ist". Dieser Zulassungsgrund ist indes nicht gegeben. Es bedarf keiner grundsätzlichen Klärung mehr, ob und inwieweit Vereinbarungen über Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zeitlich befristet werden können.

16

a) Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass es den Parteien einer Berufsunfähigkeitsversicherung nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht verwehrt ist, die Leistungspflicht im Rahmen der Schranken des allgemeinen Zivilrechts einvernehmlich zu regeln. Darüber hinaus ist der Versicherer wegen der speziellen Ausgestaltung der Berufsunfähigkeitsversicherung nach Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszunutzen. Die Berufsunfähigkeitsrente hat für diesen häufig existenzielle Bedeutung. Die dem Versicherer geläufigen Regelungen über die Erklärung eines Leistungsanerkenntnisses, dessen Reichweite und das Nachprüfungsverfahren sind für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nur schwer und mitunter überhaupt nicht durchschaubar. Deshalb setzt eine beiderseits interessengerechte Vereinbarung über die Leistungspflicht ein lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken der Vertragspartner voraus, das auf Ergebnisse abzielt, die den Tatsachen und der Rechtslage entsprechen. Nur so ist der Versicherungsnehmer in der Lage, verantwortlich darüber zu entscheiden, ob er sich auf eine Beschränkung der nach den Versicherungsbedingungen berechtigten oder von ihm für berechtigt gehaltenen Ansprüche einlassen will. Wann einem Versicherer eine treuwidrige Ausnutzung seiner überlegenen Verhandlungsposition vorgeworfen werden kann, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab (Senatsurteile vom 7. Februar 2007 - IV ZR 244/03, VersR 2007, 633 Rn. 13; vom 12. November 2003 - IV ZR 173/02, VersR 2004, 96 unter II 1 b).

17

b) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, sind individuelle Vereinbarungen zwischen den Parteien eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages über die sachliche oder zeitliche Ausgestaltung der Leistungspflicht des Versicherers auch nach neuem Recht grundsätzlich zulässig (HK-VVG/Mertens, VVG 3. Aufl. § 173 VVG Rn. 11; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 5. Aufl. § 173 Rn. 11; ders. in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch § 46 Rn. 172; Klenk in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 173 VVG Rn. 18; Dörner in MünchKomm-VVG, 2. Aufl. § 173 Rn. 33; Lücke in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 173 VVG Rn. 16 ff.; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 3. Aufl. J. VII. Rn. 51, 53). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass nach § 175 VVG von den Regelungen des § 173 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf. Das steht individuellen Vereinbarungen, welche die Leistungspflicht sachlich oder zeitlich näher regeln, nicht entgegen. Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen. In der Gesetzesbegründung zu § 175 VVG heißt es, die Regelung schließe nicht aus, "dass die Vertragsparteien nach einem Versicherungsfall, also nach der Anzeige der Berufsunfähigkeit, Vereinbarungen darüber treffen, welche Leistungen der Versicherer zu erbringen hat". Deshalb bleibe es "z.B. möglich, dass die Vertragsparteien im Streitfall einen Vergleich über die Höhe und über die Dauer der Leistungen schließen" (BT-Drucks. 16/3945 S. 106 re. Sp. unten, S. 107 li. Sp. oben). Ebenso wie unter der Geltung des früheren Rechts stoßen solche Vereinbarungen auf Grenzen, die namentlich durch den Grundsatz von Treu und Glauben zu ziehen sind (vgl. Rixecker in Langheid/Rixecker aaO Rn. 13; ders. in Versicherungsrechts-Handbuch aaO Rn. 173; Klenk aaO; Dörner aaO Rn. 33 f.; Lücke aaO Rn. 17; Neuhaus aaO Rn. 73). Dass hierzu abweichende Auffassungen in Rechtsprechung und/oder Literatur vertreten werden, ist nicht ersichtlich. Mit Blick darauf erfordert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch die Fortbildung des Rechts nicht allein wegen in der Rechtspraxis auftretender vergleichbarer Streitfälle eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

18

2. Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagten sei es nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Befristung der Leistungszusage in der Vereinbarung vom Oktober 2011 zu berufen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

19

a) Bei Vereinbarungen der in Rede stehenden Art ist ein starkes Indiz für einen Verstoß gegen Treu und Glauben regelmäßig anzunehmen, wenn die nach dem Vertrag bestehende Rechtslage durch die Vereinbarung zum Nachteil des Versicherungsnehmers geändert und seine Rechtsposition dadurch ins Gewicht fallend verschlechtert wird. Objektiv treuwidrig handelt der Versicherer, der bei naheliegender Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung seiner Leistungspflicht durch das Angebot einer befristeten Kulanzleistung hinausschiebt und so das nach Sachlage gebotene Anerkenntnis unterläuft. Vereinbarungen, die derartige oder gleichgewichtige, von der objektiven Rechtslage abweichende Nachteile für den Versicherungsnehmer zur Folge haben, sind danach, will sich der Versicherer nicht dem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen Verhaltens aussetzen, nur in engen Grenzen möglich. Sie setzen eine - aus verständiger Sicht - noch unklare Sach- und Rechtslage voraus. Sie erfordern vor ihrem Abschluss klare, unmissverständliche und konkrete Hinweise des Versicherers darauf, wie sich die vertragliche Rechtsposition des Versicherungsnehmers darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung verändert oder eingeschränkt wird (Senatsurteil vom 7. Februar 2007 aaO Rn. 14).

20

b) Davon ausgehend hat das Berufungsgericht im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte nach Treu und Glauben weitere Leistungen für den Zeitraum Januar bis Oktober 2012 nicht auf der Grundlage der mit der Klägerin getroffenen Vereinbarung ablehnen darf. Es hat im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung berücksichtigt, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Vereinbarung auch aus der Sicht eines Versicherungsnehmers verständliche Gründe gehabt haben möge, der Klägerin eine für diese auch vorteilhafte Vereinbarung vorzuschlagen und ihr keineswegs ein arglistig übervorteilendes Verhalten vorzuwerfen sei. Damit ist, anders als die Revision meint, der Annahme, die Beklagte habe entgegen Treu und Glauben ihr überlegenes Wissen zum Nachteil der Klägerin ausgenutzt, nicht der Boden entzogen. Die Beklagte verweist ohne Erfolg darauf, die Durchführung der noch ausstehenden Begutachtung der Klägerin wäre praktisch sinnlos gewesen, weil ihr künftiger Zustand in Anbetracht der bevorstehenden, erfolgversprechenden Rehabilitationsmaßnahme nicht sicher abzuschätzen gewesen sei, und im Anschluss an die stationäre Behandlung sofort ein neues Gutachten hätte erstellt werden müssen. Wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, war es der Beklagten zum Zeitpunkt der Vereinbarung unbenommen, die Klägerin selbst durch einen Sachverständigen untersuchen zu lassen. Allerdings sprach zum Zeitpunkt des Vereinbarungsangebots viel für eine bereits gegebene Leistungspflicht der Beklagten. Sie hat im Versicherungsschein in Verbindung mit Nr. 1.1.1 BB-BUZ Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung versprochen, wenn die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% berufsunfähig gewesen ist und auch schon dann, wenn sie voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außerstande sein wird, den in gesunden Tagen zuletzt ausgeübten Beruf in bedingungsgemäßem Maße auszuüben. Demnach muss der Versicherungsnehmer nur eine - auch nur voraussichtlich - ein halbes Jahr andauernde, den bedingungsgemäßen Grad erreichende Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit belegen. Der Nachweis des so geregelten Versicherungsfalles lag nach den - rechtsfehlerfreien - Feststellungen des Berufungsgerichts auf der Grundlage des für die Bundesagentur für Arbeit erstellten, der Beklagten vorliegenden medizinischen Gutachtens nahe, zumal die Klägerin bereits seit Anfang des Jahres 2011 arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Bei dieser Sachlage konnte das Berufungsgericht das Angebot einer nur bis zum Ende des Jahres 2011 befristeten Kulanzleistung als treuwidrig werten. In ihrem Schreiben vom 17. Oktober 2011 hat die Beklagte der Klägerin weder die nach den Bedingungen zu erfüllenden Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles im Einzelnen erläutert noch die mögliche Einschränkung der vertraglichen Rechtsposition durch den Abschluss der Vereinbarung - zum Beispiel die Verschiebung des Zeitpunkts der Erstprüfung mit ihren beweisrechtlichen Konsequenzen sowie den damit möglicherweise eintretenden Verlust des dreimonatigen Nachleistungsanspruchs - dargestellt.

21

Entgegen der Revision kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin bei vollständiger Belehrung den Abschluss der Vereinbarung abgelehnt hätte. Wie die Revisionserwiderung richtig sieht, hat der Senat keine Belehrungspflicht des Versicherers und damit einhergehende Anforderungen an die Kausalität für das Zustandekommen einer Leistungsvereinbarung statuiert. Vielmehr ist es dem Versicherer nach der Senatsrechtsprechung versagt, sich auf eine dem Versicherungsnehmer nachteilige Beschränkung seiner Leistungspflicht zu berufen, wenn er den Versicherungsnehmer nicht auf die Veränderung der vertraglichen Rechtsposition hingewiesen hat.

22

c) Der Bewertung der Vereinbarung als treuwidrig hält die Revision ohne Erfolg entgegen, die Beklagte hätte mit gleichen Rechtsfolgen gemäß Nr. 2.5.3 bis Nr. 2.5.5 BB-BUZ oder nach § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG ein befristetes Anerkenntnis abgeben können. Diese Vorgehensweise ist mit der gewählten Vereinbarung hinsichtlich der Erkennbarkeit von Rechtsnachteilen nicht vergleichbar.

23

3. Falls die Revision der Beklagten auf den Hinweis zurückgenommen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird, verliert die Anschlussrevision der Klägerin ihre Wirkung (§ 554 Abs. 4 ZPO).

Mayen     

       

Felsch     

       

Harsdorf-Gebhardt

       

Dr. Karczewski     

       

Dr. Götz     

       

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.

11
b) Allerdings traf die ihren Erfüllungsanspruch auf Prämienzahlung geltend machende Klägerin nach Erhalt der Kündigung die Pflicht, den Beklagten auf die Notwendigkeit eines Anschlussversicherungsnachwei- ses und dessen Fehlen hinzuweisen (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2013 - IV ZR 94/11, VersR 2013, 305 Rn. 29 zur Hinweispflicht auf die Kenntnis der versicherten Person von der Kündigung gemäß § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG; zur Hinweispflicht im Rahmen von § 205 Abs. 6 VVG: HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 205 Rn. 8; Reinhard in Looschelders/Pohlmann , VVG 2. Aufl. § 205 Rn. 21; Boetius, Private Krankenversicherung § 205 VVG Rn. 32). Diese Hinweispflicht ergibt sich unmittelbar aus dem Versicherungsvertrag, der in besonderer Weise vom Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht wird (BGH, Urteil vom 8. Juli 1991 - II ZR 65/90, VersR 1991, 1129 unter 2 b). Ein derartiger Hinweis ist dem Versicherer, der die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Kündigung eines Krankheitskostenversicherungsvertrages, der eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, regelmäßig besser kennt als der Versicherungsnehmer , möglich und beeinträchtigt seine Interessen nicht (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 2013 aaO Rn. 29 zur Hinweispflicht im Rahmen von § 207 Abs. 2 Satz 2 VVG). Diese Hinweispflicht aus § 242 BGB wird nicht durch die Beratungspflicht gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 VVG verdrängt (vgl. HK-VVG/Münkel, VVG 2. Aufl. § 6 Rn. 4, 36 f.; Pohlmann in Looschelders /Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 6 Rn. 8-12, 103; MünchKommVVG /Armbrüster, § 6 Rn. 219, 279; Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 6 Rn. 44; Rixecker in Römer/Langheid, VVG 4. Aufl. § 6 Rn. 2).

(1) Die Verpflichtung zur Herausgabe erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen sowie auf dasjenige, was der Empfänger auf Grund eines erlangten Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung des erlangten Gegenstands erwirbt.

(2) Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen.

(3) Die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ist ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.

(4) Von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an haftet der Empfänger nach den allgemeinen Vorschriften.