Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02

bei uns veröffentlicht am10.02.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 39/02 Verkündet am:
10. Februar 2004
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Februar 2004 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum und
Dr. Meier-Beck

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin, ein regionales Stromversorgungsunternehmen, verlangt von der Beklagten Restkaufpreiszahlung in Höhe von 36.708,13 Monaten Juli bis Oktober 2001 gelieferte elektrische Energie. Grundlage der Stromlieferungen der Klägerin ist ein im Juni 1998 geschlossener, bis Dezember 2006 befristeter Stromlieferungsvertrag, in welchem die Beklagte sich verpflichtete , ihren gesamten Elektrizitätsbedarf für die hier in Rede stehende Betriebstätte bei der Klägerin zu decken. Im Anschluß an eine Kündigung des Vertrages seitens der Beklagten zum 31. Dezember 2000, die von der Klägerin
zurückgewiesen wurde, verständigten sich die Parteien auf ermäßigte Strompreise. Außerdem wurde der Beklagten das Recht eingeräumt, bei Vorlage eines günstigeren Konkurrenzangebots Nachverhandlungen zu verlangen und bei deren Scheitern den Vertrag zu kündigen.
Für die Monate Oktober 2000 bis Juni 2001 zahlte die Beklagte die ermäßigten Preise. Ein ihr im Juli 2001 unterbreitetes Angebot der Klägerin, einen neuen Strompreis vertraglich zu vereinbaren, lehnte die Beklagte ab. Unter Begleichung der nachfolgenden Stromrechnungen für die Monate Juli bis Oktober 2001 behielt sie jeweils Teilbeträge ein, deren Summe die Klageforderung ergibt.
Das Landgericht hat der auf Zahlung des einbehaltenen Betrages gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt sie ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung gegen das klageabweisende Urteil erster Instanz im wesentlichen wie folgt begründet:
Sowohl der Stromlieferungsvertrag vom Juni 1998 als auch die Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 seien formwirksam zustande gekommen. Der Liefervertrag sei auch nicht nach § 134 BGB nichtig, weil die von
der Beklagten behaupteten Wettbewerbsverstöße der Klägerin dem Vertragsabschluß zeitlich nachgefolgt seien und den Bestand des Vertrages deshalb nicht berühren könnten. Zumindest für den der Klage zugrundeliegenden Zeitraum bis Oktober 2001 sei der Vertrag auch nicht nach § 138 BGB nichtig, da er für diesen unbedenklichen Zeitraum von knapp 3 ½ Jahren auch dann aufrechtzuerhalten wäre, wenn seine Gesamtlaufzeit mit 8 ½ Jahren das zulässige Maß überschritte. Selbst bei Unwirksamkeit des Stromlieferungsvertrages schulde die Beklagte den eingeklagten Restkaufpreis, da sie in erster Instanz nicht substantiiert dargelegt habe, daß der von der Klägerin berechnete Preis den Marktpreis übersteige, und die Ergänzung dieses Vorbringens in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden könne. Den einbehaltenen Restkaufpreis schulde die Beklagte daher jedenfalls aufgrund der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil es objektiv willkürlich unter Verstoß gegen den Geschäftsverteilungsplan durch einen allgemeinen Zivilsenat entschieden habe, anstatt die Sache an den zuständigen Kartellsenat des Oberlandesgerichts abzugeben. Die unterbliebene Abgabe an das Kartellberufungsgericht kann in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn in der Berufungsinstanz rügelos verhandelt worden ist und das Unterbleiben einer entsprechenden Rüge auch nicht genügend entschuldigt wird (BGHZ 36, 105, 108 - Export ohne WBS; BGHZ 37, 194, 196 f. - SPAR; Bornkamm in Langen/ Bunte, KartR, 9. Aufl., § 91 GWB Rdn. 16; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 91 Rdn. 19 m.w.N.). So verhält es sich hier.

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klägerin auch nicht deswegen gehindert, den auf der Grundlage der Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 berechneten, von der Revision der Höhe nach nicht angegriffenen Restkaufpreis für den der Beklagten in den Monaten Juli bis Oktober 2001 gelieferten Strom zu verlangen, weil sie gegen die Nachverhandlungspflicht aus der Anpassungsvereinbarung vom 7. November 2000 verstoßen hätte. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan, daß für den genannten Zeitraum die Voraussetzungen einer Nachverhandlungspflicht der Klägerin erfüllt waren. Ein günstigeres Angebot eines anderen Stromlieferanten hat die Beklagte der Klägerin nach eigenem Vorbringen nicht vorlegen können. Für ihre Behauptung, dies sei darauf zurückzuführen , daß die Klägerin von konkurrierenden Stromanbietern wie der G. AG überhöhte Durchleitungsentgelte verlangt habe, fehlt es an substantiiertem Sachvortrag der Beklagten. Diese hat dazu in erster Instanz lediglich vorgetragen , die Klägerin habe von der G. AG für die Durchleitung des Stroms durch ihr Netz "rd. 10 Pf/kWh berechnet, so daß sich der Preis pro kWh mehr als verdoppelt“ habe, während "angemessen und gerechtfertigt Durchleitungsgebühren von maximal 2 Pf/kWh“ seien, und hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Dem hat die Klägerin entgegengehalten, der Vortrag der Beklagten sei unsubstantiiert und damit nicht einlassungsfähig. Die Beklagte ist darauf in erster Instanz nicht mehr eingegangen. Damit fehlt es insoweit an nachvollziehbarem Tatsachenvortrag dazu, daß das Durchleitungsentgelt , das die Klägerin nach Behauptung der Beklagten von konkurrierenden Stromanbietern forderte, betriebswirtschaftlich oder im Vergleich mit den von vergleichbaren Netzbetreibern geforderten Durchleitungsentgelten unangemessen hoch gewesen sei.
Nähere Angaben dazu, welche Durchleitungsentgelte von anderen Netzbetreibern gefordert werden, hat die Beklagte erst in zweiter Instanz gemacht. Dies ist neues Verteidigungsvorbringen, das das Berufungsgericht mit Recht unberücksichtigt gelassen hat, weil es nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. Nach dieser Bestimmung, die gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO im Berufungsverfahren bereits anzuwenden war, sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in zweiter Instanz nur dann zuzulassen, wenn einer der in § 531 Abs. 2 ZPO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe gegeben ist. Dazu hat die Beklagte in zweiter Instanz nichts vorgetragen. Auch die Revision vermag einen Zulassungsgrund nach § 531 ZPO nicht darzutun. Eines richterlichen Hinweises auf die mangelnde Substantiierung der Behauptung, die von der Klägerin verlangten Durchleitungsentgelte seien überhöht, dessen Unterbleiben zur Zulassung neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz führen kann, bedurfte es hier jedenfalls deswegen nicht, weil die Beklagte schon aufgrund des Einwands der Klägerin, das betreffende Vorbringen sei unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig , Veranlassung hatte, hierzu in erster Instanz ergänzend vorzutragen.
3. Ohne Erfolg bleibt auch der weitere Einwand der Revision, der Stromlieferungsvertrag der Parteien sei nach § 138 BGB von Anfang an und nach § 134 BGB jedenfalls ab 1. Januar 1999 deswegen nichtig, weil die Klägerin schon bei Vertragsabschluß ihre Monopolstellung mißbräuchlich ausgenutzt habe, um die Beklagte an den langjährigen und exklusiven Liefervertrag zu einem festgeschriebenen Listenpreis zu binden. Denn auch hierzu fehlt es an substantiiertem Sachvortrag der Beklagten in den Tatsacheninstanzen. Die Beklagte hat hierzu lediglich behauptet, der von der Klägerin geforderte Strompreis habe "die am Strommarkt üblicherweise angebotenen Preise um 30 % (überstiegen)", und dazu in erster Instanz die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Zahlenangaben zu vergleichbaren Angeboten ande-
rer Stromanbieter, anhand deren die Angabe der Beklagten, die Strompreise der Klägerin lägen 30 % über dem Marktpreis, hätten nachvollzogen werden können, fehlen vollständig.
Sonstige Umstände, die dazu führen könnten, die Klage wegen eines Mißbrauchs der Monopolstellung der Klägerin abzuweisen, sind nicht ersichtlich. Die Verpflichtung der Beklagten, ihren gesamten Strombedarf für die hier in Rede stehende Betriebstätte von der Klägerin zu beziehen, ist als solche nicht zu beanstanden. Ob das auch für die Laufzeit des Vertrages von insgesamt 8 ½ Jahren gilt, hat das Berufungsgericht mit Recht für unerheblich gehalten. Eine Bezugsbindung, die allein ihrer übermäßig langen Dauer wegen Bedenken begegnet, ist nicht insgesamt unwirksam, sondern in entsprechender Anwendung des § 139 BGB mit einer dem tatsächlichen oder vermuteten Parteiwillen entsprechenden geringeren Laufzeit aufrechtzuerhalten. In der Vergangenheit hat der Senat zeitliche Beschränkungen, die unter das Kartellverbot fielen, wiederholt auf das zulässige Maß zurückgeführt (BGH, Urt. v. 29.5.1984 - KZR 28/83, WuW/E 2090, 2095 - Stadler-Kessel; Urt. v. 3.11.1981 - KZR 33/80, WuW/E 1898, 1900 - Holzpaneele; Urt. v. 14.1.1997 - KZR 41/95, WuW/E 3115, 3120 - Druckgußteile), während andere übermäßige Beschränkungen - wie etwa Wettbewerbsverbote, die räumlich oder sachlich zu weit gingen - nicht auf ihren kartellrechtlich zulässigen Kern reduziert wurden, sondern zur Nichtigkeit der jeweiligen Klausel führten. Das entspricht der Rechtsprechung zu § 138 BGB (vgl. nur BGH, Urt. v. 8.5.2000 - II ZR 308/98, NJW 2000, 2584, 2585). Im Streitfall kann offenbleiben, ob hieran für das Kartellverbot festzuhalten ist. Denn das Argument für eine strengere Handhabung läge darin, daß die Parteien, die eine als Kartell zu beurteilende Vereinbarung geschlossen haben, nicht dadurch belohnt werden sollen, daß der Vertrag in dem gerade noch zulässigen Maße aufrechterhalten bleibt. Bei Altverträgen, die nachträglich
in den Anwendungsbereich des Kartellverbots geraten, besteht keine Veranlas- sung für derartige Erwägungen. Vielmehr ist hier eine möglichst schonende Anpassung am Platz. Eine Notwendigkeit, dem Mißbrauch vorzubeugen, besteht hier nicht. Daß der Stromlieferungsvertrag bei einer Laufzeit bis einschließlich Oktober 2001 - das sind drei Jahre und vier Monate - wegen der Dauer der Bezugsbindung zu beanstanden wäre, macht auch die Revision nicht geltend.
Hirsch Ball Bornkamm
Raum Meier-Beck

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 139 Teilnichtigkeit


Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel


(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher


(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen W

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 134 Gesetzliches Verbot


Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 139 Teilnichtigkeit


Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Mai 2000 - II ZR 308/98

bei uns veröffentlicht am 08.05.2000

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 308/98 Verkündet am: 8. Mai 2000 Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGB §
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2004 - KZR 39/02.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2018 - KZR 4/16

bei uns veröffentlicht am 12.06.2018

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Januar 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Widerklage stattgegeben

Referenzen

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.

Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde.

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 308/98 Verkündet am:
8. Mai 2000
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein

a) Scheidet ein Gesellschafter aus einer Freiberuflersozietät gegen Zahlung
einer Abfindung aus, welche auch den Wert des Mandantenstammes abgelten
soll, hat dies mangels abweichender Abreden zur Folge, daß der
ausscheidende Gesellschafter die Mandanten der Sozietät nicht mitnehmen
darf, sondern sie - längstens für zwei Jahre - seinen bisherigen
Partnern belassen muß.

b) Mandantenschutzklauseln, die für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters
aus einer Freiberuflersozietät vereinbart werden, enthalten
ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, das räumlich und gegenständlich
hinreichend bestimmt ist. Soweit eine solche Klausel das zeitlich
tolerable Maß von zwei Jahren überschreitet, führt dies nicht zur
Nichtigkeit der Abrede, sondern hat lediglich die zeitliche Begrenzung
des Mandantenschutzes auf längstens zwei Jahre zur Folge.
BGH, Urteil vom 8. Mai 2000 - II ZR 308/98 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin
Münke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und Widerkläger wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7. Oktober 1998 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der klagende Rechtsanwalt war seit 1992 mit den beiden Beklagten in einer Sozietät verbunden, zu welcher drei Tochter-Steuerberatungsgesellschaften gehörten. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs steht fest, daß der Kläger zum 31. Dezember 1994 aus der Sozietät ausgeschieden ist. § 9 des Sozietätsvertrages bestimmt über die Auseinandersetzung beim Ausscheiden eines Partners u.a. folgendes:
"1. Der ausgeschiedene Partner erhält als Auseinandersetzungsguthaben den seiner Gewinnbeteiligung {beim Kläger waren dies 9 %} entsprechenden Anteil am Jahresumsatz, zuzüglich des Saldos auf seinem Verrechnungskonto. Maßgeblich ist der Umsatz des letzten Geschäftsjahres der Sozietät; Umsätze von Tochterunternehmen sind entsprechend der Beteiligungsquote der Sozietät einzubeziehen. Damit ist auch sein entsprechender Anteil an den stillen Reserven und am "good will" der Praxis abgegolten. 2. Wird die Praxis beim Ausscheiden eines Partners von keinem der verbleibenden Partner fortgeführt, tritt an die Stelle des Jahresumsatzes i.S.v. Abs. 1 der Verwertungserlös. 3. Das Auseinandersetzungsguthaben ist ... in halbjährlichen Raten auszuzahlen ... ."
Das nach diesen Berechnungsregeln zugunsten des Klägers ermittelte Guthaben beläuft sich auf 181.332,78 DM. Unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 3 des Sozietätsvertrages hat der Kläger, der sich zunächst einer höheren Abfindung berühmt hatte, von den Beklagten die Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen verlangt. Die Beklagten haben geltend gemacht, ihnen stünden die Abfindungsforderung weit übersteigende Schadenersatzansprüche zu, weil der Kläger unter Verstoß gegen das in § 10 des Partnerschaftsvertrages ("Es besteht grundsätzlich Mandantenschutz für die Sozietät") niedergelegte Verbot Mandanten abgeworben habe und diese in der im Dezember 1994 mit einem anderen Partner gegründeten Steuerberatungs-GmbH unter Einsatz einer früheren Mitarbeiterin einer der drei Tochtergesellschaften der früheren Sozietät betreue. Sie haben deswegen gegenüber der Auseinandersetzungsforderung die Aufrechnung erklärt und mit der Widerklage Zahlung des überschießenden Betrages von 248.536,-- DM nebst Zinsen gefordert.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage in Höhe von 193.726,62 DM entsprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Widerklage abgewiesen und der Klage stattgegeben.

Entscheidungsgründe:


Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


Das Oberlandesgericht hat angenommen, § 10 des Sozietätsvertrages begründe keine Pflichten, deren Verletzung die von den Beklagten erhobenen Schadenersatzansprüche auslösen könnten. § 10 enthalte nämlich, wie sich aus dem Wort "grundsätzlich" und der mangelnden Bestimmtheit der Aussage ergebe, lediglich einen Programmsatz; im übrigen wäre die Klausel aber auch wegen ihrer fehlenden zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Begrenzung nichtig, wenn man ihr Regelungsgehalt beilegen wollte. Dies hält in mehrfacher Hinsicht der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand.

II.


Das Berufungsgericht mißdeutet das in § 10 des Sozietätsvertrages verwandte Wort "grundsätzlich", verletzt den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung (Sen.Urt. v. 26. Januar 1998 - II ZR 243/96, ZIP 1998, 605, 606 m.w.N.), indem es die genannte Bestimmung isoliert und ohne ihren Zusammenhang mit § 9 des Sozietätsvertrages betrachtet, und wird bei
seiner Hilfserwägung zur Nichtigkeit der Mandantenschutzklausel von einem Fehlverständnis der Bedeutung und Tragweite einer solchen Vereinbarung geleitet.
1. Der Sozietätsvertrag der Parteien enthält in den §§ 9 und 10 aufeinander abgestimmte, der Annahme des Berufungsgerichts, der Mandantenschutz solle keinen rechtsverbindlichen Charakter haben, entgegenstehende Regelungen. Nach § 9 aaO ist das Auseinandersetzungsguthaben eines ausscheidenden Gesellschafters als gewinnproportionaler Anteil am letzten Jahresumsatz der Sozietät einschließlich ihrer Töchter zu ermitteln. Damit erhält der Betroffene - wie in § 9 Abs. 1 Satz 3 aaO ausdrücklich bestimmt wird - zugleich seinen Anteil an den stillen Reserven und am "good will" der Sozietät. Diese Regelung tritt an die Stelle der in früheren Entscheidungen des Senats als angemessene Auseinandersetzung einer Freiberuflersozietät bezeichneten Regelung, daß die Sachwerte geteilt werden und jeder Partner die rechtlich nicht beschränkte Möglichkeit erhält, um Mandanten der bisherigen Praxis zu werben (Sen.Urt. v. 6. Dezember 1993 - II ZR 242/92, ZIP 1994, 378, 380; Sen.Urt. v. 6. März 1995 - II ZR 97/94, ZIP 1995, 833, 834). Da bei einer Sozietät von Freiberuflern der in den Beziehungen zu den Mandanten bestehende "good will" in aller Regel den entscheidenden Wert der Gesellschaft ausmacht, hat eine diesen Wert - wie hier verabredet - einbeziehende Abfindungsklausel grundsätzlich zur Voraussetzung, daß der ausscheidende Gesellschafter den Mandantenstamm seinen bisherigen Partnern belassen muß. Anderenfalls erhielte er eine überhöhte Abfindung, weil die übernommenen Mandate dann doppelt - einmal durch die Beteiligung an dem in der Zahlung des Auseinandersetzungsguthabens einbezogenen "good will", zum anderen durch die Übernahme der Mandate selbst - berücksichtigt würden.

2. Dieser schon in § 9 aaO angelegte Gedanke wird durch die Mandantenschutzklausel in § 10 aaO zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht und steht der Annahme entgegen, die Parteien hätten, was grundsätzlich möglich ist (Sen.Urt. v. 6. März 1995 aaO), eine Kumulation von einer den "good will" einbeziehenden Abfindungszahlung und des Rechts des Zugriffs auf den Mandantenstamm vereinbart. Bei der gebotenen den Wortlaut, die Systematik, den Sinn und die Interessen beider Teile berücksichtigenden Auslegung kann dem in § 10 aaO verwendeten Wort "grundsätzlich" nicht ein fehlender Rechtsbindungswille der Parteien entnommen werden. Vielmehr ist der Vertrag dahin zu verstehen, daß der ausgeschiedene Gesellschafter, welcher die in § 9 aaO definierte Abfindung beansprucht, keine Mandanten der Sozietät betreuen darf, sofern nicht im Einzelfall etwas von diesem Grundsatz Abweichendes vereinbart wird oder - wie noch unten auszuführen sein wird - die Zeit abgelaufen ist, während deren der Anspruch auf Wahrung von Mandantenschutz längstens gerechtfertigt ist.
3. Die danach von Rechtsbindungswillen getragene Mandantenschutzklausel ist entgegen der Hilfserwägung des Berufungsgerichts nicht wegen "Unbestimmtheit und Unkonkretheit" nichtig. Vielmehr ist die Vereinbarung räumlich und gegenständlich hinreichend bestimmt. Die fehlende zeitliche Begrenzung der den ausgeschiedenen Kläger treffenden Unterlassungspflicht führt nicht zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit.
Nach der zu nachvertraglichen Wettbewerbsverboten ergangenen ständigen Rechtsprechung des Senats sind derartige Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit nur dann wirksam, wenn sie räumlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten (Sen.Urt. v. 14. Juli 1997 - II
ZR 238/96, WM 1997, 1707 m.w.N.). Ihre Rechtfertigung finden sie allein darin, die Partner des ausgeschiedenen Gesellschafters vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge der gemeinsamen Arbeit oder vor einem Mißbrauch der Ausübung der Berufsfreiheit zu schützen. Dagegen darf ein solches Wettbewerbsverbot rechtlich nicht dazu eingesetzt werden, den ehemaligen Partner als potentiellen Wettbewerber auszuschalten. Soweit sich dieser in hinreichender räumlicher Entfernung niederläßt und seinen Beruf ausübt, ist das berechtigte Anliegen der verbleibenden Gesellschafter, vor illoyalem Wettbewerb geschützt zu sein, ebenso wenig berührt, wie wenn der ehemalige Partner auf einem nicht von der Sozietät gewählten anderen Berufsfeld tätig wird. Entsprechendes gilt, wenn sich durch Zeitablauf - der Senat legt hier einen Zeitraum von nicht mehr als zwei Jahren zugrunde - die während der Zugehörigkeit zur Gesellschaft geknüpften Verbindungen typischerweise so gelockert haben, daß der ausgeschiedene Partner wie jeder andere Wettbewerber behandelt werden kann. Verstößt eine solche Wettbewerbsklausel allein gegen diese zeitliche Grenze, ohne daß weitere Gründe vorliegen, deretwegen die Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit als sittenwidrig zu qualifizieren sind, läßt der Senat (Sen.Urt. v. 14. Juli 1997 aaO unter 3. m.w.N.) eine geltungserhaltende Reduktion auf das zeitlich tolerable Maß zu.
Diesen Maßstäben entspricht die in § 10 aaO niedergelegte Regelung. Als Mandantenschutzklausel ist sie gegenüber einem allgemeinen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot bereits insofern eingeschränkt, als sich die Vereinbarung nur auf die bisherigen Mandanten der Sozietät beschränkt, die der ausscheidende Partner nicht mitnehmen darf. Hierin liegt die gebotene gegenständliche und räumliche Begrenzung, denn der Kläger darf alle anderen denkbaren Mandanten am Ort der Sozietät wie auch anderenorts betreuen, die sich mit Anliegen der Steuerberatung, der Wirtschaftsprüfung oder Rechtsbe-
sorgung an ihn wenden, ohne seine nachvertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen früheren Mitgesellschaftern zu verletzen. Daß dieses Gebot, Mandantenschutz zu gewähren, zeitlich nicht befristet ist, macht die Bestimmung nicht sittenwidrig und nichtig, sondern führt - wie oben ausgeführt - lediglich dazu, daß der Kläger für eine zweijährige Frist wettbewerblich in der Weise gebunden wird, daß er ehemalige Mandanten der Sozietät nicht betreuen durfte. Dabei ist unerheblich, ob er sie, wie die Beklagten behauptet haben, abgeworben hat oder ob sie sich aus freien Stücken an ihn gewandt haben, weil eine Abfindungsklausel, die, wie die hier geltende, auch den "good will" erfaßt, nur dann ungestört wirken kann, wenn der ausgeschiedene Partner nicht neben der Abfindungssumme das Mandat selbst und die mit ihm verbundenen Vorteile an sich zieht. Soweit Mandanten die verbliebenen Partner nicht weiter beauftragen, sondern zu Dritten abwandern, geht dies zu Lasten der fortgeführten Sozietät, deren Risiko es ist, die - im Verhältnis zu dem ausgeschiedenen Gesellschafter - ihnen zustehenden Mandanten an sich binden zu können.
4. Da unstreitig der Kläger jenem bindenden Verbot zuwider in dem fraglichen Zeitraum Mandanten der früheren Sozietät in seiner neuen Gesellschaft betreut hat, kann auf der Grundlage der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen über den geltend gemachten Abfindungsanspruch nicht befunden werden. Ob er überhaupt noch und ggfs. in welcher Höhe er besteht, ist von der von dem Berufungsgericht von seinem abweichenden Standpunkt aus folgerichtig nicht geprüften Frage abhängig, welche Mandate der Kläger in seine neue Gesellschaft mitgenommen hat, welcher Wert damit den Beklagten entzogen und ihm zugeflossen ist und ob dies nur zu einer Anrechnung auf den der Höhe nach rechnerisch im Ausgangspunkt übereinstimmend mit 181.332,78 DM bezifferten Auseinandersetzungsanspruch oder sogar zu einer Verurteilung des
Klägers auf die Widerklage hin führt. Damit das Berufungsgericht - ggfs. nach Ergänzung des Sachvortrags der Parteien - die dafür erforderlichen Feststellungen treffen kann, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Röhricht Henze Goette Kurzwelly Münke