Bundessozialgericht Urteil, 23. Jan. 2018 - B 2 U 4/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2018:230118UB2U416R0
bei uns veröffentlicht am23.01.2018

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. September 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Anschlussberufung gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2015 als unzulässig verworfen wird.

Der Kläger hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger versicherungs- und beitragspflichtiges Mitglied der beklagten landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft ist.

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Der Kläger erwarb im Jahr 1994 gemeinsam mit seiner Ehefrau ein 4705 qm großes, mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. Die Beklagte nahm durch Bescheid vom 6.9.1995 den Kläger als Unternehmer mit dem Unternehmensteil "Haus- und Ziergarten" zum 29.7.1994 in ihr Unternehmerverzeichnis auf und erteilte ihm einen Mitgliedsschein; zugleich erhob sie den Beitrag für das Jahr 1994. Durch Bescheid vom 18.4.2011 setzte sie gegenüber dem Kläger den Beitrag für das Umlagejahr 2010 in Höhe des in ihrer Satzung vorgesehenen Mindestbeitrags iHv 39 Euro fest. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8.6.2011).

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Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben, das durch Urteil vom 2.10.2012 den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 aufgehoben hat, weil das Grundstück des Klägers aufgrund der anzuwendenden Ausnahmevorschrift des § 123 Abs 2 SGB VII als versicherungsfreier Haus- und Ziergarten einzuordnen sei. Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Auf Anregung des LSG hat die Beklagte sodann den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18.4.2011 auch als Überprüfungsantrag des Bescheids vom 6.9.1995 ausgelegt. Durch Bescheid vom 28.4.2015 hat sie jedoch eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids vom 6.9.1995 gemäß § 44 SGB X abgelehnt. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.5.2015). Der Kläger hat sodann vor dem LSG im Wege der Anschlussberufung beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 6.9.1995 rückwirkend zum Erlasszeitpunkt zurückzunehmen. Die Beklagte hat dieser "Klageänderung" zugestimmt.

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Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 sowie die Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 hat es abgewiesen (Urteil vom 30.9.2015). Zur Begründung hat es ausgeführt, die im Wege der Anschlussberufung vorgenommene Klageänderung sei zulässig, weshalb auch über die Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 zu entscheiden sei. Der Statthaftigkeit der Anschlussberufung stehe nicht entgegen, dass das SG dem in erster Instanz gestellten Klageantrag im vollen Umfang stattgegeben habe, denn für die Anschließung an die gegnerische Berufung sei keine Beschwer des Berufungsbeklagten erforderlich. Die Klageänderung sei gemäß § 153 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 SGG zulässig, weil die Beklagte hierzu ihre Einwilligung erklärt habe. Deshalb habe der Senat auch über den Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 6.9.1995 zu entscheiden, wobei er eine erstinstanzliche Entscheidung treffe. Dem stehe nicht entgegen, dass hierfür gemäß § 29 SGG keine funktionelle bzw instanzielle Zuständigkeit des LSG bestehe. Die Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 habe jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil der Bescheid rechtmäßig sei. Der Kläger sei Miteigentümer des Grundstücks und damit als landwirtschaftlicher Unternehmer gesetzlich unfallversichert. Der Ausnahmetatbestand des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII sei nicht erfüllt. Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) habe eine Grundstücksgröße von 2500 qm als Obergrenze für Haus- und Ziergärten angesehen. Daher falle der Garten des Klägers nicht unter die Ausnahmeregelung des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Die Gesamtfläche übersteige hier den allgemein akzeptierten Grenzwert von 2500 qm so deutlich, dass der Garten nicht mehr als Haus- und Ziergarten angesehen werden könne. Angesichts eines wöchentlichen Arbeitsaufwands im Sommer von etwa 1 ½ Stunden sowie darüber hinaus anfallender Arbeiten zur Pflege der Ziersträucher könne nicht von einem extrem geringen Umfang der Bewirtschaftung ausgegangen werden. Zu Unrecht berufe sich der Kläger darauf, dass er lediglich hälftiger Miteigentümer des Grundstücks sei. Hieraus folge die gesamtschuldnerische Haftung jedes einzelnen Mitunternehmers, sodass die alleinige Inanspruchnahme des Klägers nicht zu beanstanden sei. Da der Kläger damit kraft Gesetzes versichert sei, erweise sich auch der Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2010 als rechtmäßig.

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Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 123 Abs 2 SGB VII. Er beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30. September 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 2. Oktober 2012 zurückzuweisen.

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Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Urteil des LSG vom 30.9.2015 war dahingehend zu berichtigen, dass die Anschlussberufung als unzulässig verworfen wird (dazu unter A.). Im Übrigen hat das LSG im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 abgewiesen (dazu unter B.).

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A. Die Anschlussberufung gegen den während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid der Beklagten vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 war unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung der Beklagten betrifft (dazu unter 1.). Dahinstehen kann daher, ob die mit der Anschlussberufung einhergehende Klageänderung zulässig und das LSG für die Entscheidung über diese geänderte Klage zuständig war (dazu unter 2.).

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1. Die Anschlussberufung war unzulässig, weil der Kläger hierdurch einen neuen Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt hat. Der Kläger hat im Wege der Anschlussberufung ausdrücklich beantragt, neben der Berufungszurückweisung den Überprüfungsbescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Veranlagungsbescheid vom 6.9.1995 rückwirkend zurückzunehmen. Die Anschließung des Klägers und Berufungsbeklagten an die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin im Wege einer unselbständigen Anschlussberufung konnte zwar wirksam auch im Laufe der mündlichen Verhandlung durch Erklärung zur Niederschrift des Gerichts erfolgen (BSG vom 16.10.1968 - 3 RK 25/65 - SozR Nr 9 zu RAM-Erl über KrV vom 2.11.1943 = Juris RdNr 21; BSG vom 13.3.1968 - 12 RJ 622/64 - BSGE 28, 31 = SozR Nr 4 zu § 522a ZPO; BSG vom 31.1.1967 - 2 RU 82/63 - AP Nr 3 zu § 522a ZPO; BGH vom 6.5.1987 - IVb ZR 51/86 - BGHZ 100, 383 = NJW 1987, 3263). Die im SGG nicht ausdrücklich geregelte Anschlussberufung richtet sich nach § 202 SGG iVm § 524 ZPO. Sie ist kein Rechtsmittel, sondern eröffnet dem Berufungsbeklagten lediglich die Möglichkeit, sich mit eigenen Sachanträgen über die begehrte Zurückweisung des Rechtsmittels hinaus oder nach Ablauf der Berufungsfrist gegen die Berufung zu verteidigen und damit eine reformatio in peius zu Lasten des Berufungsklägers zu erreichen (Schreiber in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 143 RdNr 23; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 143 RdNr 26).

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Die Anschlussberufung ist hier jedoch unzulässig, weil sie nicht denselben Streitgegenstand wie die Hauptberufung der Berufungsklägerin betrifft. Im Wege der Anschlussberufung kann kein neuer Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt werden (BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R - BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27; BSG vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris RdNr 33 f; BSG vom 26.10.2017 - B 8 SO 12/16 R - SozR 4 RdNr 14; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 143 RdNr 31). Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, nämlich das vom Kläger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff - hM, zB B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 95 RdNr 5 mwN). Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstands ist neben der Auslegung des Klageantrags und des Vorbringens zum Klagegrund in erster Linie der Inhalt des angefochtenen Bescheids (Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 94 RdNr 20).

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Gegenstand der mit der Berufung angegriffenen Entscheidung des SG war ausschließlich der die Höhe der Beiträge für das Jahr 2010 regelnde Verwaltungsakt vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 (vgl § 746 Abs 1 RVO bzw ab 1.1.1997 § 168 Abs 1 SGB VII). Der Prüfungsumfang bei der Anfechtung dieses Bescheids bezieht sich vorrangig auf die individuellen unternehmensbezogenen Faktoren wie die richtige Lohnsumme oder den Gefahrtarif (Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 168 SGB VII RdNr 10). Wegen des gestuften Beitragsverfahrens der gesetzlichen Unfallversicherung werden die Zuständigkeit und Veranlagung dort im Regelfall nicht mehr geprüft (Mutschler, WzS 2009, 353, 355, 356). Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei Erlass des Beitragsbescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 den Mitgliedsbescheid vom 6.9.1995 ggf konkludent überprüft und damit eine erneute gerichtliche Überprüfung ermöglicht hätte, sind nicht ersichtlich. Dies bestimmt sich nach dem objektiven Erklärungsinhalt dieser Bescheide im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der auch das Revisionsgericht befugt ist (vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 7 und BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15).

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Bei dem vom Kläger erst im Wege der Anschlussberufung eingeführten Überprüfungsbescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 betreffend die Zuständigkeit der Beklagten handelt es sich mithin um einen anderen Streitgegenstand, weil damit erstmals im Berufungsverfahren der Mitgliedsschein vom 6.9.1995 (§ 664 Abs 1 RVO), der alleine die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten betrifft, gemäß § 44 SGB X zur Überprüfung gestellt wurde. Der Bescheid aus dem Jahre 1995 hat bei Übereinstimmung mit der materiellen Mitgliedschaft zwar nur deklaratorische Bedeutung (BSG vom 17.2.1971 - 7/2 RU 74/68 - BSGE 32, 218 = SozR Nr 1 zu § 655 RVO = Juris RdNr 11), jedoch begründet er unabhängig von der materiellen Richtigkeit ein formal-rechtliches Versicherungsverhältnis und damit die formelle Zuständigkeit (BSG vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 287; vgl BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 26). In dem Verfahren zur Überprüfung des Aufnahmebescheids aus dem Jahre 1995 gemäß § 44 SGB X ist damit die materielle Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen des Klägers und damit ein anderer prozessualer Anspruch als die Höhe der zu zahlenden Beiträge zu prüfen.

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Damit war das Urteil des LSG insoweit zu korrigieren, als es die Anschlussberufung des Klägers in der Sache zurückgewiesen und nicht - richtigerweise - als unzulässig verworfen hat (§ 158 SGG).

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2. Dahinstehen kann, ob die mit der Anschlussberufung einhergehende Klageänderung zulässig und das LSG für die Entscheidung über diese geänderte Klage zuständig war. Der Senat hat zwar bereits ausgeführt, dass das LSG - im Unterschied etwa zu einer in der zweiten Instanz erfolgten Einbeziehung von Folgebescheiden (§ 96 iVm § 153 Abs 1 SGG) oder einer Widerklage (§ 100 iVm § 153 Abs 1 SGG) - in den Fällen der gewillkürten Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 153 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 und 2 SGG, durch die ein neuer Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt wird, wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit grundsätzlich nicht zu einer Sachentscheidung befugt ist(BSG vom 31.7.2002 - B 4 RA 113/00 R - Juris RdNr 16 f; BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - Juris RdNr 14; BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 4/15 R - Juris RdNr 17; Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 29 RdNr 64). Andererseits wäre der erkennende Senat aber als Rechtsmittelgericht nach § 98 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG hier wohl an die Feststellung der sachlichen Zuständigkeit durch das LSG gebunden gewesen(vgl Gutzeit in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 98 RdNr 20; aA noch BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - Juris RdNr 16).

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B. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist nicht begründet. Ermächtigungsgrundlage für die Beitragsforderung der Beklagten ist § 183 Abs 5 SGB VII. Danach teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Diese "Mitteilung" ist keine bloße Bekanntgabe einer kraft Gesetzes bestehenden Zahlungspflicht, sondern ein an den Beitragspflichtigen gerichtetes vollstreckbares Zahlungsgebot (BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 7/10 R - SozR 4-2700 § 150 Nr 5). Der Bescheid war gemäß § 183 Abs 5 S 1 SGB VII sowohl formell(dazu unter 1.) als auch materiell rechtmäßig (dazu unter 2.).

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1. Der Beitragsbescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 war nicht gemäß § 42 S 2 SGB X wegen fehlender Anhörung gemäß § 24 SGB X aufzuheben. Als Adressat der Beitragsfestsetzung für das Umlagejahr 2010 in Höhe von 39 Euro sowie des entsprechenden Zahlungsgebots in dem Beitragsbescheid war der Kläger "Beteiligter" des Verwaltungsverfahrens, das seinerseits auf den Erlass dieser beiden Verwaltungsakte (§ 31 SGB X)gerichtet war (§ 12 Abs 1 Nr 2 SGB X). Mit der Beitragsforderung wurde durch die Beklagte zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit und damit in das Grundrecht des Klägers aus Art 2 Abs 1 GG eingegriffen, wodurch ein anhörungspflichtiger "Eingriff" iS des § 24 Abs 1 SGB X vorlag(vgl BSG Urteil vom 25.1.1979 - 3 RK 35/77 - SozR 1200 § 34 Nr 7; Mutschler in Kasseler Komm, Stand September 2015, § 24 SGB X RdNr 7; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24 RdNr 8). Dahinstehen kann hier, ob bei Beitragsbescheiden im Regelfall auf eine Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X als Massenverwaltungsakte iS des § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X oder weil sie im Allgemeinen auf Entgeltangaben des Unternehmers beruhen, ohne zu seinen Ungunsten abzuweichen, verzichtet werden kann(§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X; Höller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 168 RdNr 3; Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 168 SGB VII RdNr 2). Auch bei einem Verzicht auf eine Anhörung nach § 24 Abs 2 SGB X wäre im Übrigen hierüber eine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen, die offensichtlich ebenfalls nicht vorliegt.

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Allerdings wurde die hier vor Erlass des Bescheids vom 18.4.2011 erforderliche Anhörung jedenfalls vor dem LSG und damit innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X wirksam nachgeholt. Die Nachholung der Anhörung parallel zum gerichtlichen Verfahren setzt ein eigenständiges, nicht notwendigerweise formelles Verwaltungsverfahren voraus, in dessen Rahmen die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu geben hat. Dies hat in der Regel dadurch zu erfolgen, dass die Behörde den Kläger in einem gesonderten Anhörungsschreiben alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will, und ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt (vgl die Entscheidung des erkennenden Senats vom 18.9.2012 - B 2 U 15/11 R - SozR 4-5671 § 3 Nr 6; BVerwG Urteil vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 - BVerwGE 66, 111). Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert, insbesondere zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung an dem bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält (BSG Urteile vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R - Juris, vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 15 und vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 26; BVerwG Urteil vom 10.3.1971 - VIII C 210.67 - BVerwGE 37, 307).

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Vorliegend wurden sämtliche Aspekte, auf die die Beklagte die Verbeitragung des Klägers stützt, insbesondere seine Aufnahme in das Mitgliedsverzeichnis im Jahre 2015 im Rahmen des Überprüfungsverfahrens des Mitgliedsbescheids vom 6.9.1995 sowohl durch die Ausgangsbehörde als auch die Widerspruchsbehörde (s zur erforderlichen Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde BVerwG vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 - BVerwGE 66, 111; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, 6. Aufl 2018, RdNr 939) in dem nach Berufungseinlegung durchgeführten gesonderten Verwaltungsverfahren dem Kläger mitgeteilt, sodass dieser Gelegenheit hatte, zu allen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen. Damit wurde ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls geheilt.

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2. Der Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist auch materiell rechtmäßig. Zum einen stand die Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer aufgrund des bestandskräftigen (§ 77 SGG)Mitgliedsscheins fest (dazu unter a), zum anderen war eine Ermessensentscheidung der Beklagten, welchen der beiden Gesamtschuldner sie zur Beitragstragung heranzieht, im Ergebnis nicht erforderlich, weil die Ehefrau des Klägers keine landwirtschaftliche Unternehmerin ist (dazu unter b).

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a) Die Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer stand aufgrund des bestandskräftigen (§ 77 SGG)Mitgliedsscheins aus dem Jahre 1995 fest. Dieser Verwaltungsakt aus dem Jahre 1995 war weder nichtig iS des § 40 SGB X, noch wurde er zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder hatte sich durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt(§ 39 Abs 2 SGB X). Die in § 40 Abs 2 SGB X genannten Tatbestände liegen nicht vor. Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Selbst im Falle einer fehlenden Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer wäre dieser Fehler nach den Kriterien des § 40 Abs 1 SGB X nicht "offensichtlich". Maßstab für die "Offensichtlichkeit" eines Fehlers ist der Durchschnittsbürger, der ohne besondere Sachkenntnis den Fehler erkennen können muss (vgl nur Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10 mwN). Selbst bei groben Zuständigkeitsverstößen ist ein Feststellungsbescheid daher zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (s zuletzt zur fehlenden Nichtigkeit bei Verstoß gegen europarechtliche Kollisionsnormen Urteil des erkennenden Senats vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 25; BSG Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 285 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; BSG Urteil vom 30.10.1974 - 2 RU 42/73 - BSGE 38, 187, 192 = SozR 2200 § 664 Nr 1 S 7).

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Die Beklagte durfte den Kläger mithin auf der rechtlichen Grundlage des bestandskräftigen Mitgliedsscheins aus dem Jahre 1995 als landwirtschaftlichen Unternehmer mit Beiträgen belasten.

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b) Im Ergebnis sind die Beitragsbescheide auch nicht wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Wie der Senat zuletzt entschieden hat (Urteil vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE = SozR 4-2700 § 130 Nr 1), ist die Beklagte zwar grundsätzlich gehalten, eine Ermessensentscheidung zu treffen, wenn sie einen von mehreren Gesamtschuldnern im Sinne des auch für die landwirtschaftliche Unfallversicherung geltenden § 150 Abs 2 S 2 SGB VII als alleinigen Beitragsschuldner in Anspruch nehmen will(dazu unter aa). Jedoch war die Ehefrau des Klägers im Ergebnis kein weiterer, für die Beiträge haftender Gesamtschuldner, sodass eine Ermessensausübung der Beklagten insoweit nicht erforderlich war (dazu unter bb).

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aa) Dem Beitragsbescheid der Beklagten vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist eine Ermessensausübung hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers als Beitragsschuldner nicht zu entnehmen. Eine solche Prüfung hätte hier grundsätzlich deswegen nahegelegen, weil die Beklagte wusste, dass die Ehefrau des Klägers Miteigentümerin des Grundstücks zu 1/2 war. Der Senat hat zuletzt entschieden (BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE = SozR 4-2700 § 130 Nr 1), dass die Möglichkeit eines Gläubigers, "die Leistung nach ... Belieben von jedem" der (Gesamt-)Schuldner "ganz oder zu einem Teil" zu "fordern" (vgl § 421 S 1 BGB), im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich in der Weise überformt ist, dass bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität ("ganz oder zu einem Teil") eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen ist. Die gesetzliche Anordnung in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigter als Gesamtschuldner haften, räumt als allgemeiner, das gesamte Beitragsrecht beherrschender im Ersten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Sechsten Kapitels geregelter Grundsatz (vgl Spellbrink in Kasseler Komm, Stand Juli 2017, § 150 SGB VII RdNr 8), der auch für landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften gilt (s insbesondere § 182 Abs 1 SGB VII, der Ausnahmen ausdrücklich nur für die Regelungen aus dem 2. Unterabschnitt des ersten Abschnitts des Sechsten Kapitels anordnet) der ausführenden Behörde damit gleichzeitig Ermessen ein, für das die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Jeder Gesamtschuldner hat damit ein subjektiv-öffentliches Recht, dass der Unfallversicherungsträger die belastende Entscheidung über seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft (BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE = SozR 4-2700 § 130 Nr 1, RdNr 17; vgl zB BFH Urteil vom 2.12.2003 - VII R 17/03 - BFHE 204, 380 sowie Beschlüsse vom 12.7.1999 - VII B 2/99 - Juris RdNr 15 und vom 7.10.2004 - VII B 46/04 - BeckRS 2004, 25007513; Ratschow in Klein, AO, 13. Aufl 2016, § 44 RdNr 13).

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bb) Die fehlende Ermessensausübung führt jedoch im vorliegenden Fall nicht zur Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011, weil die Ehefrau des Klägers kein landwirtschaftliches Unternehmen iS des § 123 Abs 1 SGB VII betrieb und daher keine Beitragspflicht ihrerseits bestand. Zwar wäre die Ehefrau als Miteigentümerin des Grundstücks potentiell als landwirtschaftliche Unternehmerin nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII iVm § 123 Abs 1 SGB VII beitragspflichtig. Eine Beitragspflicht besteht nach dem zum Zeitpunkt der etwaigen Gesamtschuldnerauswahl bei Erlass des Bescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 anwendbaren § 123 Abs 2 SGB VII aber nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Ohne diese weiteren Voraussetzungen kann daher unabhängig von seiner Größe bei einem Ziergarten eine Beitragspflicht nicht entstehen. Dafür sprechen die grammatikalische, die systematische sowie die historisch-teleologische Auslegung dieser Norm.

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Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII idF vom 31.10.2006 (BGBl I 2407) sind Haus- und Ziergärten, als welchen die Beklagte ausweislich des an den Kläger gerichteten Mitgliedsscheins vom 6.9.1995 den Garten ansieht, keine landwirtschaftlichen Unternehmen, es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt. Der Wortlaut der Norm enthält insofern auch keine Einschränkung oder Gegenausnahme derart, dass Haus- und Ziergärten ab einer bestimmten Größe (etwa 2500 qm = 0,25 ha) wieder der Beitragspflicht unterliegen sollen.

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Auch die Gesetzessystematik legt eine Größenbeschränkung versicherungsfreier Ziergärten nicht nah. Eine Deckungsgleichheit mit der in § 5 SGB VII(idF des Gesetzes vom 21.3.2005, BGBl I 818, mWv 30.3.2005) ausdrücklich normierten Größe von 0,25 ha, bis zu der sich landwirtschaftliche Unternehmer auf Antrag von der Versicherung befreien lassen können, hat der Gesetzgeber gerade nicht hergestellt.

27

Schließlich gebieten Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Regelung keine Größenbegrenzung bei der Beitragsfreiheit. Sofern die Beklagte sich auf frühere Entscheidungen des RVA beruft, verkennt sie, dass diese sich auf nicht mehr geltende Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) mit nicht deckungsgleichem Inhalt beziehen. Nach § 917 Abs 2 RVO idF vom 19.7.1911 (RGBl S 509) sollten kleine Haus- und Ziergärten, die nicht regelmäßig und in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und deren Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen, nicht als landwirtschaftliche Betriebe gelten. Durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I S 107) wurde die Versicherungspflicht auch auf andere Kleingärten unter ähnlichen Voraussetzungen wie Haus- und Ziergärten ausgedehnt. Damit sollten in erster Linie die Schrebergärten und ähnliche Kleingärten erfasst werden, welche die Spruchpraxis der Schiedsstelle beim Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bereits zuvor grundsätzlich den kleinen versicherungsfreien Gärten iS des § 917 Abs 2 RVO gleichgestellt hatte(Entscheidung der Schiedsstelle vom 26.6.1942 - EuM 50, 6; Entscheidung vom 8.12.1931 - EuM 31, 530). Diese Fassung wurde unverändert und ohne besondere Begründung in § 778 RVO idF des UVNG vom 30.4.1963 (BGBl I 241; vgl BT-Drucks IV/120) übernommen. Zur Größe, bis zu der ein versicherungsfreier Haus-, Zier- oder anderer Kleingarten angenommen werden kann, äußerten sich weder die ursprüngliche Fassung des § 917 Abs 2 RVO noch die in der Folge geänderten Fassungen. Durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) wurde § 123 Abs 2 SGB VII eingeführt, nach dem unter Nr 1 isoliert Haus- und Ziergärten als versicherungsfrei gelten, was erst recht nahelegt, dass eine isolierte Prüfung der Eigenschaft des Gartens ohne Vergleich zu den nunmehr unter Nr 2 aufgelisteten "anderen Kleingärten im Sinne des …" stattzufinden hat, wenn auch die gesetzliche Begründung ausführt, dass diese Regelung dem geltenden Recht iS des § 778 RVO und der dazu ergangenen Rechtsprechung entspreche(vgl BR-Drucks 263/95, S 295).

28

Unabhängig davon ist auch in der bisherigen Rechtsprechung eine solche Grenzziehung nicht vorgenommen worden. Bereits den Entscheidungen des RVA ist keine feste Obergrenze zu entnehmen. Das RVA hat 2500 qm (= 25 Ar) als Obergrenze versicherungsfreier Ziergärten angenommen, jedoch auch größere Gärten als nicht versichert angesehen, wenn besondere Verhältnisse - zB die Lage in einer ländlichen Gegend aufgrund der geringeren Bewertung von Grund und Boden und der damit verbundenen Größe - dies rechtfertigten (RVA vom 7.9.1942 - EuM 50, 11, 13; vgl Entscheidung der Schiedsstelle vom 26.6.1942 - EuM 50, 6). Auch in der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist eine solche strikte Grenzziehung bei Haus- und Ziergärten nicht vorhanden (vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2 = Juris RdNr 25; BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 51/02 R - Juris RdNr 24; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 37/02 R - Juris RdNr 20; BSG vom 31.1.1989 - 2 RU 30/88 - BSGE 64, 252, 254 = SozR 2200 § 778 Nr 2 S 7; BSG vom 28.7.1977 - 2 RU 40/77 - SozR 2200 § 778 Nr 1 = Juris RdNr 20; BSG vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71 = SozR Nr 40 zu § 539 RVO = Juris RdNr 21).

29

Eine Beitragspflicht besteht mithin nach dem ausdrücklichen Wortlaut des zum Zeitpunkt der etwaigen Gesamtschuldnerauswahl bei Erlass des Bescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 anwendbaren § 123 Abs 2 SGB VII also nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen. Diese Voraussetzungen einer Beitragspflicht lagen hier nicht vor, sodass die Ehefrau des Klägers mangels Eigenschaft als Unternehmerin im Ergebnis nicht als weitere Schuldnerin in Betracht kam und somit von der Beklagten auch keine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Auswahl des in Anspruch genommen Schuldners zu treffen war. Der einzig den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens bildende Beitragsbescheid aus dem Jahre 2011 erweist sich damit im Ergebnis als richtig. Der Kläger ist mithin mit seinem materiellen Begehren, nicht allein wegen der Größe seines Haus- und Ziergartens von 4705 qm der Beitragspflicht zur Beklagten zu unterfallen, nur aufgrund der Bestandskraft des Mitgliedsbescheids aus dem Jahre 1995 unterlegen.

30

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 23. Jan. 2018 - B 2 U 4/16 R

Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Urteil, 23. Jan. 2018 - B 2 U 4/16 R

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we
Bundessozialgericht Urteil, 23. Jan. 2018 - B 2 U 4/16 R zitiert 39 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 133 Auslegung einer Willenserklärung


Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 197a


(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskosten

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 153


(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 17a


(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden. (2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Am

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. (2) Eine Abschrift des neuen Ver

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 99


(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. (2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änd

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 24 Anhörung Beteiligter


(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. (2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn 1. eine sof

Zivilprozessordnung - ZPO | § 524 Anschlussberufung


(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht. (2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 77


Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 421 Gesamtschuldner


Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von j

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 41 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern


(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn 1. der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,2. die erforderliche Be

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 39 Ermessensleistungen


(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf p

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 40 Nichtigkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 42 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern


Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn of

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 29


(1) Die Landessozialgerichte entscheiden im zweiten Rechtszug über die Berufung gegen die Urteile und die Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte. (2) Die Landessozialgerichte entscheiden im ersten Rechtszug über1.Klagen gegen

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 158


Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entsc

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 12 Beteiligte


(1) Beteiligte sind 1. Antragsteller und Antragsgegner,2. diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat,3. diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat,

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 150 Beitragspflichtige


(1) Beitragspflichtig sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die nach § 2 versicherten Unternehmer sowie die nach § 3 Abs. 1 Nr

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 123 Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft


(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 98


Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 182 Berechnungsgrundlagen


(1) Auf die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft finden anstelle der Vorschriften über die Berechnungsgrundlagen aus dem Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts die folgenden Absätze Anwendung. (2) Berechnungsgrundlagen für die Beiträge

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 168 Beitragsbescheid


(1) Der Unfallversicherungsträger teilt den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches bedarf es nur in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1. (2) Der Beitragsbescheid ist mit Wi

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 183 Umlageverfahren


(1) Auf die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft finden anstelle der Vorschriften über das Umlageverfahren aus dem Vierten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts die folgenden Absätze Anwendung. (2) Die Einzelheiten der Beitragsberechnung besti

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 100


Bei dem Gericht der Klage kann eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 5 Versicherungsbefreiung


Von der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 werden auf Antrag Unternehmer landwirtschaftlicher Unternehmen im Sinne des § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis zu einer Größe von 0,25 Hektar und ihre Ehegatten oder Lebenspartner unwiderruflich befreit; dies gilt nicht

Referenzen - Urteile

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2016 geändert. Die Anschlussberufung der Klägerin wird verworfen. Im Übrigen wird d

Bundessozialgericht Urteil, 30. März 2017 - B 2 U 10/15 R

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frank

Bundessozialgericht Urteil, 05. Juli 2016 - B 2 U 4/15 R

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die vor dem Landessozialgericht erhobene Klage

Bundessozialgericht Urteil, 17. Dez. 2015 - B 2 U 2/14 R

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

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Tenor Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie der Bescheid d

Bundessozialgericht Urteil, 07. Juli 2011 - B 14 AS 153/10 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. August 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozial

Bundessozialgericht Urteil, 18. Jan. 2011 - B 2 U 16/10 R

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Bundessozialgericht Urteil, 09. Nov. 2010 - B 4 AS 37/09 R

bei uns veröffentlicht am 09.11.2010

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landes-sozialgerichts vom 17. März 2009 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Sc

Bundessozialgericht Urteil, 05. Mai 2010 - B 6 KA 6/09 R

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Tatbestand 1 Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Urteil, 23. Jan. 2018 - B 2 U 4/16 R.

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die vor dem Landessozialgericht erhobene Klage

Referenzen

(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

1.
Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege,
2.
Unternehmen, in denen ohne Bodenbewirtschaftung Nutz- oder Zuchttiere zum Zwecke der Aufzucht, der Mast oder der Gewinnung tierischer Produkte gehalten werden,
3.
land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen,
4.
Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
5.
Jagden,
6.
die Landwirtschaftskammern und die Berufsverbände der Landwirtschaft,
7.
Unternehmen, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
8.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und deren weitere Einrichtungen sowie die Zusatzversorgungskasse und das Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht

1.
Haus- und Ziergärten,
2.
andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2538),
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß auch andere als die in Absatz 1 genannten Unternehmen als landwirtschaftliche Unternehmen gelten, wenn diese überwiegend der Land- und Forstwirtschaft dienen.

(4) Unternehmen, die aufgrund von Allgemeinen Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes beim Inkrafttreten dieses Buches einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angehören, gelten als landwirtschaftliche Unternehmen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft diese Unternehmen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zusammenfassen. Dabei können die Zuständigkeiten auch abweichend von den Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes bestimmt werden, soweit dies erforderlich ist, um zusammengehörige Unternehmensarten einheitlich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder den gewerblichen Berufsgenossenschaften zuzuweisen.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

(1) Die Landessozialgerichte entscheiden im zweiten Rechtszug über die Berufung gegen die Urteile und die Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte.

(2) Die Landessozialgerichte entscheiden im ersten Rechtszug über

1.
Klagen gegen Entscheidungen der Landesschiedsämter sowie der sektorenübergreifenden Schiedsgremien auf Landesebene und gegen Beanstandungen von Entscheidungen der Landesschiedsämter und der sektorenübergreifenden Schiedsgremien auf Landesebene nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch, gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach § 75 Absatz 3c, § 111b Absatz 6, § 120 Absatz 4, § 132a Absatz 3 und § 132l Absatz 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstellen nach § 133 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, der Schiedsstelle nach § 76 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und des Schiedsgremiums nach § 113c Absatz 4 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und der Schiedsstellen nach § 81 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch,
2.
Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung und ihren Verbänden, gegenüber den Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, gegenüber der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und den Medizinischen Diensten sowie dem Medizinischen Dienst Bund, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird,
3.
Klagen in Angelegenheiten der Erstattung von Aufwendungen nach § 6b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4.
Anträge nach § 55a,
5.
Streitigkeiten nach § 4a Absatz 7 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.

(3) Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entscheidet im ersten Rechtszug über

1.
Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen untereinander betreffend den Risikostrukturausgleich sowie zwischen gesetzlichen Krankenkassen oder ihren Verbänden und dem Bundesamt für Soziale Sicherung betreffend den Risikostrukturausgleich, die Anerkennung von strukturierten Behandlungsprogrammen und die Verwaltung des Gesundheitsfonds,
2.
Streitigkeiten betreffend den Finanzausgleich der gesetzlichen Pflegeversicherung,
3.
Streitigkeiten betreffend den Ausgleich unter den gewerblichen Berufsgenossenschaften nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch,
4.
Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.

(4) Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entscheidet im ersten Rechtszug über

1.
Klagen gegen die Entscheidung der Bundesschiedsämter nach § 89 Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des weiteren Schiedsamtes auf Bundesebene nach § 89 Absatz 12 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des sektorenübergreifenden Schiedsgremiums auf Bundesebene nach § 89a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie der erweiterten Bewertungsausschüsse nach § 87 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, soweit die Klagen von den Einrichtungen erhoben werden, die diese Gremien bilden,
2.
Klagen gegen Entscheidungen des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 87 Abs. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gegenüber den Bewertungsausschüssen und den erweiterten Bewertungsausschüssen sowie gegen Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit gegenüber den Bundesschiedsämtern und dem sektorenübergreifenden Schiedsgremium auf Bundesebene,
3.
Klagen gegen Entscheidungen und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (§§ 91, 92 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch), Klagen in Aufsichtsangelegenheiten gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss, Klagen gegen die Festsetzung von Festbeträgen durch die Spitzenverbände der Krankenkassen oder den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstellen nach den §§ 125, 129, 130b, 131, 134, 134a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und der Schlichtungsstelle nach § 319 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sowie Klagen gegen Entscheidungen des Schlichtungsausschusses Bund nach § 19 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. April 1991 (BGBl. I S. 886), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 14. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2789) geändert worden ist,
4.
Klagen gegen Entscheidungen des Qualitätsausschusses nach § 113b Absatz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie des erweiterten Qualitätsausschusses nach § 113b Absatz 3 des Elften Buches Sozialgesetzbuch und gegen Entscheidungen des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 113b Absatz 9 des Elften Buches Sozialgesetzbuch gegenüber dem Qualitätsausschuss und dem erweiterten Qualitätsausschuss sowie über Klagen, welche die Mitwirkung an den Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund betreffen (§ 17 Absatz 1, §§ 18b, 112a Absatz 2, § 114a Absatz 7 und § 114c Absatz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch).

(5) (weggefallen)

(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

1.
Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege,
2.
Unternehmen, in denen ohne Bodenbewirtschaftung Nutz- oder Zuchttiere zum Zwecke der Aufzucht, der Mast oder der Gewinnung tierischer Produkte gehalten werden,
3.
land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen,
4.
Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
5.
Jagden,
6.
die Landwirtschaftskammern und die Berufsverbände der Landwirtschaft,
7.
Unternehmen, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
8.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und deren weitere Einrichtungen sowie die Zusatzversorgungskasse und das Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht

1.
Haus- und Ziergärten,
2.
andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2538),
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß auch andere als die in Absatz 1 genannten Unternehmen als landwirtschaftliche Unternehmen gelten, wenn diese überwiegend der Land- und Forstwirtschaft dienen.

(4) Unternehmen, die aufgrund von Allgemeinen Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes beim Inkrafttreten dieses Buches einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angehören, gelten als landwirtschaftliche Unternehmen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft diese Unternehmen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zusammenfassen. Dabei können die Zuständigkeiten auch abweichend von den Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes bestimmt werden, soweit dies erforderlich ist, um zusammengehörige Unternehmensarten einheitlich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder den gewerblichen Berufsgenossenschaften zuzuweisen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Der Berufungsbeklagte kann sich der Berufung anschließen. Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift bei dem Berufungsgericht.

(2) Die Anschließung ist auch statthaft, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hat oder die Berufungsfrist verstrichen ist. Sie ist zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist gilt nicht, wenn die Anschließung eine Verurteilung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen (§ 323) zum Gegenstand hat.

(3) Die Anschlussberufung muss in der Anschlussschrift begründet werden. Die Vorschriften des § 519 Abs. 2, 4 und des § 520 Abs. 3 sowie des § 521 gelten entsprechend.

(4) Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen wird.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2016 geändert. Die Anschlussberufung der Klägerin wird verworfen. Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 454 258,34 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung von Kosten in Höhe von 454 258,34 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin in der Zeit vom 1.4.2010 bis 30.9.2014 zugunsten des Hilfeempfängers P. L. (L) erbracht hat.

2

Der 1993 geborene L lebte zusammen mit seiner Mutter im Zuständigkeitsbereich der Klägerin, einer dem Kreis Lippe angehörigen Stadt. Bereits 1997 wurde bei ihm eine Schwerbehinderung infolge einer allgemeinen Entwicklungsretardierung festgestellt (GdB 70, Merkzeichen G, B und H). Seit 1999 war er in einer Einrichtung untergebracht; die Klägerin übernahm die Kosten als Leistungen der Jugendhilfe (Bescheid vom 25.11.1999). Am 16.11.2004 wurde die Unterbringung dort infolge sexuellen Missbrauchs an L beendet; L kehrte zu seiner Mutter nach Hause zurück. Anlässlich eines stationären Aufenthalts in einer psychiatrischen Kinderklinik von Februar bis Juni 2005 wurden bei L eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Enkopresis mit analer Manipulation und eine leichte Intelligenzminderung diagnostiziert, infolge derer L einer permanenten Überwachung bedürfe, weil er Stuhl und Blut verschmiere und esse, sich durch Manipulationen selbst gefährde und die Gefahr sexueller Übergriffe gegenüber anderen Kindern bestehe. Ab 15.6.2005 wurde L in die Krisen- und Diagnosegruppe des Kinderheims G. in Bad S. aufgenommen. Die Klägerin bewilligte (Bescheid vom 20.7.2005) hierfür Leistungen der Jugendhilfe nach § 34 Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder-und Jugendhilfe - (SGB VIII).

3

Ab dem 26.10.2005 war L in einer Einrichtung der M.-Stiftung in G. stationär untergebracht. Da sein Aufenthalt dort ab Anfang 2009 nicht mehr tragbar war und eine Vielzahl etablierter Einrichtungen der Jugendhilfe eine Aufnahme des L wegen seiner speziellen Auffälligkeiten abgelehnt hatte, zog L zum 2.4.2009 in das "Standortprojekt Familie I." des Q. Jugendhilfe Projekt (Q.) nach E. und von dort mit der Familie I. am 1.7.2009 nach V./N. um. Zum 5.12.2010 wechselte L aufgrund persönlicher Schwierigkeiten mit Herrn I. in die "Projektstelle" K. von Q. in T./S. Nach Erreichen der Volljährigkeit am 11.4.2011 bewilligte die Klägerin dem L Hilfe für junge Volljährige als Leistungen der Jugendhilfe (Bescheide vom 23.5. und 28.11.2011 sowie vom 11.4., 21.9. und 10.12.2012).

4

Bereits mit Schreiben vom 17.12.2009 hatte die Klägerin den beklagten Landschaftsverband um "Übernahme" des Falles in dessen Zuständigkeit gebeten und einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) geltend gemacht. Der Hilfeempfänger habe eine geistige Behinderung und könne nunmehr Leistungen der Sozialhilfe beanspruchen, für die der Beklagte zuständig sei. Dieser lehnte den Erstattungsanspruch ab, weil es sich bei der Betreuung des L in einer Pflegefamilie um ambulante Leistungen handele, für die er nicht zuständig sei (Schreiben vom 26.8. und vom 22.9.2010).

5

Die (zunächst nur) für den Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 (am 9.5.2011) erhobene Klage auf Kostenerstattung in Höhe von 94 255,40 Euro nebst 4 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 12.5.2011 ist erfolgreich gewesen (Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 9.10.2012). Im von dem Beklagten geführten Berufungsverfahren hat die Klägerin die Klage erweitert und Erstattung eines weiteren Betrags von 360 002,94 Euro nebst Zinsen für den Zeitraum vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 begehrt. In der mündlichen Verhandlung hat sie zum Zwecke der Klageerweiterung Anschlussberufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin die im Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2014 entstandenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 454 258,34 Euro zu erstatten; im Übrigen (wegen der Zinsen) hat es die Klage ab- und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 15.2.2016). Die allein zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegte Anschlussberufung sei zulässig. Die Klage sei hinsichtlich der Hauptforderung begründet. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung ergebe sich aus § 104 Abs 1 SGB X. Ihre Leistungspflicht als Jugendhilfeträgerin sei im Verhältnis zur Leistungspflicht des Beklagten nachrangig (§ 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII), denn L sei geistig behindert. Für diese Leistungen sei der Beklagte der (eigentlich) sachlich (§ 97 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - iVm § 2 Buchst a Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen und § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes Nordrhein-Westfalen) und örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Die Hilfeleistung in den Familien I. und K. stelle eine stationäre Leistung im Sinne der landesrechtlichen Regelungen über die sachliche Zuständigkeit dar. Die im Zusammenhang mit der Legaldefinition des § 13 Abs 2 SGB XII durch die Rechtsprechung geforderte, auch räumliche Eingebundenheit in die Rechts- und Organisationsphäre von Q. als Einrichtungsträger liege vor. Zinsen könne die Klägerin dagegen nicht beanspruchen.

6

Mit seiner Revision macht der Beklagte eine Verletzung von § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 524 Zivilprozessordnung (ZPO), § 99 SGG sowie den §§ 97 f SGB XII geltend. Die von der Klägerin eingelegte Anschlussberufung sei nicht zulässig, denn sie führe einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren ein. Ein Fall der zulässigen Klageerweiterung liege nicht vor. Für die Erbringung von Leistungen an L sei er (der Beklagte) seit dem Aufenthalt in den Familien I. und K. sachlich nicht zuständig, denn die Hilfe sei nicht in einer stationären Einrichtung, sondern als ambulante Maßnahme in Pflegefamilien erfolgt. Insbesondere sei der Wohnraum nicht vom Jugendhilfeprojekt vorgehalten worden und befinde sich damit nicht in der Rechts- und Organisationssphäre der Q. Für die erbrachte Eingliederungshilfe sei er darüber hinaus aber auch örtlich unzuständig. Im Übrigen sei ein etwaiger im Wege der Anschlussberufung geltend gemachter Erstattungsanspruch nach § 113 SGB X verjährt.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 2016 zu ändern, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 9. Oktober 2012 aufzuheben, die Klage insgesamt abzuweisen und die Anschlussberufung der Klägerin zu verwerfen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet, soweit das LSG den Beklagten auf die Anschlussberufung der Klägerin vom 15.2.2016 zur Erstattung von Kosten für in der Zeit vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 an L erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe verurteilt hat (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Im Übrigen (Kostenerstattung für die Zeit vom 1.4.2010 bis zum 28.2.2011) ist die Revision im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin statthaft im Wege der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) verfolgte Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 454 258,34 Euro für Leistungen der Eingliederungshilfe, die die Klägerin zugunsten von L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis zum 30.9.2014 erbracht hat. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist der ebenfalls geltend gemachte Zinsanspruch; insoweit hat das LSG die Klage rechtskräftig abgewiesen.

12

Verfahrensfehler, die einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Eine Beiladung des L gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG (echte notwendige Beiladung) war im vorliegenden Erstattungsstreit nicht erforderlich(stRspr; vgl nur BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1 RdNr 14; Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R - RdNr 10 mwN). Auch eine echte notwendige Beiladung von Q. kommt nicht in Betracht, weil diese im Erstattungsstreit (nach bereits erfolgter Bezahlung) nicht einmal mehr mittelbar betroffen ist.

13

Die Revision des Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen eine Verurteilung zur Erstattung für im Zeitraum vom 1.3.2011 bis 30.9.2014 erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe zur Wehr setzt. Denn die zum Zwecke der Klageerweiterung eingelegte Anschlussberufung der Klägerin ist unzulässig. Sie betrifft nicht den gleichen prozessualen Anspruch der Hauptberufung des Beklagten und war daher zu verwerfen (§ 158 SGG).

14

Die auch im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 202 SGG iVm § 524 ZPO mögliche Anschlussberufung(allgemeine Meinung, vgl zB BSGE 2, 229, 231 und 24, 247, 248 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO; BSGE 28, 31, 33 = SozR Nr 4 zu § 522a ZPO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 8 RdNr 17 ff) ist kein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner (hier: die Klägerin) innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers (hier: des Beklagten) an dessen Rechtsmittel anschließt. Sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entscheidung des SG auch zu seinen, des sich Anschließenden, Gunsten ändern zu lassen, ohne dass insoweit eine Beschwer vorliegen müsste (stRspr vgl grundlegend BSGE 24, 247 = SozR Nr 9 zu § 521 ZPO; vgl zuletzt BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 9). Mit ihr können aber nicht Ansprüche zur Überprüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die von der Berufung gar nicht erfasst werden; anderenfalls liegt kein Fall einer "Anschließung" an das eingelegte Rechtsmittel vor. Für die Zulässigkeit der Anschlussberufung ist es deshalb erforderlich, dass sie den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung betrifft (stRspr; vgl BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 18 ff; BSG SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; BSG Urteil vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris RdNr 33 f; BSG Urteil vom 23.6.1998 - B 4 RA 33/97 R - Juris RdNr 16 ff). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

15

Der Maßstab für die Beurteilung, ob der gleiche prozessuale Anspruch betroffen ist, ergibt sich in Anwendung von § 99 Abs 3 SGG. In Fallkonstellationen, in denen eine Änderung des Klageantrags denselben Klagegrund betrifft, eine der in § 99 Abs 3 Nr 1 bis 3 SGG genannten Voraussetzungen vorliegt und deshalb die Antragsänderung im Sinne dieser Vorschrift nicht als Klageänderung anzusehen ist, führt die Anschlussberufung keinen im genannten Sinne neuen Streitgegenstand in das Verfahren ein(darauf stellt bereits BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 9 ab). Eine solche Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Die im vorliegenden Erstattungsstreit erfolgte Erweiterung des Leistungsantrags auf Folgezeiträume führt vielmehr zu einer Änderung des Klagegrundes, weil hierdurch zugleich der dem Klageantrag zugrundeliegende Lebenssachverhalt geändert wird (vgl zu diesem Maßstab BGHZ 154, 342; vgl auch Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 2b). Zum Klagegrund rechnen dabei alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören (vgl zu diesem Maßstab auch Guttenberger in jurisPK-SGG, 2017, § 99 RdNr 8). Danach liegt eine Änderung des Klagegrundes nicht vor etwa beim Übergang von einer Klageart zur anderen, weil diese lediglich eine Präzisierung des Begehrens unter Berücksichtigung der konkreten prozessualen Konstellation darstellt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 5), oder bei der Umstellung des ursprünglich bezifferten Leistungsantrags auf einen Bescheidungsantrag (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 91). § 99 Abs 3 Nr 2 SGG kann auch eingreifen, wenn ein Kläger auf ein sinngemäß schon im ursprünglichen Antrag enthaltenes Begehren umstellt(so die Konstellation in BSGE 117, 1 aaO). Die zeitliche Ausdehnung einer Erstattungsforderung ist mit diesen Fallkonstellationen jedoch nicht vergleichbar. Es erfolgte nicht nur eine quantitative Erweiterung eines schon bestehenden Anspruchs (§ 99 Abs 3 Nr 2 Alt 1 SGG), sondern es träte auch ein neuer Zeitraum und damit ein neuer Lebenssachverhalt hinzu, für den neue Feststellungen zu treffen wären, anhand derer eine neue rechtliche Bewertung von Anspruchsgrundlagen und erbrachten Leistungen erforderlich würde.

16

Unerheblich ist daher, dass die hier beantragte Einbeziehung von Folgezeiträumen in den Erstattungsstreit - wäre sie in der ersten Instanz erfolgt - möglicherweise nach § 99 Abs 1 SGG zulässig gewesen wäre. Deshalb kommt es - anders als das LSG meint - auch nicht darauf an, ob der Beklagte sich iS des § 99 Abs 1 Alt 1 und Abs 2 SGG auf das neue Klagebegehren rügelos eingelassen hat. Gründe der Prozessökonomie (vgl zu diesem Gesetzeszweck des § 99 Abs 1 SGG nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 99 RdNr 1) spielen bei der Anschlussberufung keine Rolle. Sie sprächen wegen der erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen im Übrigen nicht für, sondern gegen die Einbeziehung weiterer Leistungszeiträume in einen Erstattungsstreit.

17

Soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Erstattung von Kosten für Leistungen wendet, die die Klägerin für L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 erbracht hat, konnte der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Zwar ist der Beklagte als der eigentlich zuständige Leistungsträger gemäß § 104 SGB X der Klägerin zur Erstattung verpflichtet; es fehlen jedoch hinreichende Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)zur Bestimmung der Höhe des Erstattungsanspruchs.

18

Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 104 SGB X(idF des Gesetzes vom 21.12.2000, BGBl I 1983) iVm § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -( idF des Gesetzes vom 23.4.2004, BGBl I 606) dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für Leistungen der Eingliederungshilfe, die sie an L im Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 erbracht hat. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Im Fall einer Erbringung von Leistungen als erstangegangener Rehabilitationsträger begründet § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 und 2 SGB IX (ggf iVm § 14 Abs 3 SGB IX) für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 SGB IX unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre(stRspr; vgl nur BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 9 ff). § 14 SGB IX ist auch im Verhältnis nachrangiger Leistungspflichten anwendbar(vgl nur BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 21).

19

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Die Klägerin ist erstangegangene Rehabilitationsträgerin iS des § 14 Abs 1 Satz 1 SGB IX, weil eine (rechtzeitige) Weiterleitung des Falls der von Amts wegen(§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII) gegenüber L zu erbringenden Leistungen der Eingliederungshilfe durch sie nicht erfolgt ist. Für die Anwendung des § 14 Abs 1 und 2 SGB IX genügt es, dass die Klägerin (jedenfalls) als Trägerin der Jugendhilfe(§ 69 Abs 1 SGB VIII iVm § 2 Erstes Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und § 1 der Verordnung über die Bestimmung Großer kreisangehöriger Städte und Mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vom 8.1.1991 - Gesetz- und Verordnungsblatt NW 598) nach § 6 Abs 1 Nr 6 SGB IX eine Rehabilitationsträgerin ist und Rehabilitationsleistungen erbracht hat(vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 19; BSGE 101, 207 = SozR 4-3250 § 14 Nr 7, RdNr 28 ff). Eine zielgerichtete Zuständigkeitsanmaßung durch die Klägerin, die die Erstattung nach § 104 SGB X ausschlösse(vgl dazu BSGE 98, 267 aaO; vgl auch BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 30), ist auf der Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht gegeben. Auch ein Fall des § 103 SGB X liegt nicht vor.

20

Die Klägerin ist für die erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber dem Beklagten nur nachrangig verpflichtet. Nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)war L im streitigen Zeitraum neben seiner seelischen Behinderung auch geistig behindert. In diesem Falle ergibt sich für Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII(in den hier maßgeblichen Fassungen vom 14.12.2006, BGBl I 3134 und vom 24.3.2011, BGBl I 453; bis zum 30.9.2005 entsprechend in § 10 Abs 2 Satz 2 SGB VIII geregelt) unabhängig davon, welche Behinderung im Vordergrund steht (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 26; BVerwGE 142, 18 - RdNr 31 mwN), eine vorrangige Leistungsverpflichtung des nach §§ 97 f SGB XII sachlich und örtlich (eigentlich) zuständigen Sozialhilfeträgers. Dies war im hier streitigen Zeitraum vom 1.4.2010 bis 28.2.2011 der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Seine sachliche Zuständigkeit ergibt sich auf der Grundlage der Feststellungen des LSG zum Landesrecht, dessen Auslegung gemäß § 162 SGG nicht revisibel ist; seine örtliche Zuständigkeit folgt aus einer entsprechenden Anwendung (vgl § 107 SGB XII)von § 98 Abs 2 SGB XII.

21

Die sachliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers bestimmt sich nach § 97 Abs 1 und 2 SGB XII(idF des Gesetzes vom 27.12.2003, BGBl I 3022). Für die Sozialhilfe ist danach grundsätzlich der örtliche Sozialhilfeträger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist (Abs 1). Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (Abs 2 Satz 1). Soweit Landesrecht keine Bestimmung nach Abs 2 Satz 1 enthält, ist der überörtliche Träger nach Maßgabe der Regelungen in § 97 Abs 3 SGB XII sachlich zuständig.

22

Nach § 2 Buchst a AG-SGB XII NW und § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW, beide vom 16.12.2004 (GV NW 816 bzw 817), ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel für Personen, die in § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII genannt sind, Menschen mit einer geistigen Behinderung, Menschen mit einer seelischen Behinderung oder Störung, Anfallskranke und Suchtkranke bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn es wegen der Behinderung oder des Leidens dieser Personen in Verbindung mit den Besonderheiten des Einzelfalls erforderlich ist, die Hilfe in einer teilstationären oder stationären Einrichtung zu gewähren. Als überörtliche Träger der Sozialhilfe führen nach § 1 AG-SGB XII NW die Landschaftsverbände die Aufgaben der Sozialhilfe durch.

23

Das LSG hat auf der Grundlage und in Auslegung dieser Vorschriften festgestellt, dass die "Unterbringung" des L in den Familien I. und K. den Begriff der stationären Einrichtung iS von § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW erfüllt und daher der überörtliche Sozialhilfeträger, hier der beklagte Landschaftsverband, zuständig ist. Auch wenn der Senat dem jedenfalls für den Einrichtungsbegriff iS von § 13 SGB XII nicht folgt(dazu später), sind die sich vorliegend im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit ergebenden Fragen einer Prüfung durch das Revisionsgericht entzogen (§ 162 SGG). Ein "Feststellungsdefizit", welches es dem BSG erlaubte, selbst Feststellungen zum Landesrecht zu treffen (so etwa die Fallkonstellation in BSGE 120, 51 = SozR 4-3500 § 75 Nr 9, RdNr 13), liegt nicht vor.

24

Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der sachlichen Zuständigkeit des Beklagten sind auch nicht dadurch revisibel, dass das LSG bei seiner Prüfung der sachlichen Zuständigkeit auf den Begriff der stationären Einrichtung iS des § 13 SGB XII und folglich auf eine bundesrechtliche Vorschrift abgestellt hat. Die Revisibilität kann nicht damit begründet werden, dass ein im Landesrecht ausgelegter Begriff (hier: der stationären Einrichtung) auch in revisiblen Normen (hier: § 13 Abs 2 SGB XII) enthalten ist (vgl dazu BSG SozR Nr 43 zu § 162 SGG). Wird eine Vorschrift des Bundesrechts auf der Grundlage des Landesrechts herangezogen, um das Landesrecht zu ergänzen oder auszulegen, wird die Vorschrift Teil des Landesrechts und entzieht sich damit revisionsrechtlicher Überprüfung (stRspr; vgl BSG Urteil vom 5.12.1989 - 5 RJ 7/88 - Juris RdNr 14; BVerwGE 57, 204; BVerwG Beschluss vom 28.3.2007 - 10 B 43/06 - Juris RdNr 4 und Urteil vom 7.6.2006 - BVerwG 4 C 7.05 - NVwZ 2006, 1065, 1066; BGHZ 10, 367, 371; vgl im Übrigen auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 162 RdNr 6a). So liegt der Fall auch hier. Das LSG hat den Einrichtungsbegriff des § 13 SGB XII (aus seiner Sicht) maßstabbildend zur Auslegung von § 2 Abs 1 Nr 1 Buchst a AV-SGB XII NW herangezogen, diese Auslegung im Übrigen aber noch einmal einer Ergebnisüberprüfung anhand landesrechtlicher Gesetzgebungsziele unterworfen. Zusammenfassend hat es ausgeführt, nach der landesrechtlichen Zuständigkeitsverteilung in NW solle gerade für derart aufwendige und kostenintensive Fälle wie dem vorliegenden der überörtliche Träger und nicht der örtliche Träger einstehen. Seine Ausführungen zum Begriff der stationären Einrichtung für Q. bleiben daher eine Auslegung von Landesrecht (vgl entsprechend BSG SozR Nr 43 zu § 162 SGG).

25

Ausgehend von seiner sich daraus ergebenden sachlichen Zuständigkeit als überörtlicher Träger ist der Beklagte im hier streitbefangenen Zeitraum auch der nach § 98 SGB XII örtlich zuständige Träger. Zwar ergibt sich seine örtliche Zuständigkeit nicht unmittelbar nach § 98 Abs 2 SGB XII, denn die in den Familien I. und K. erbrachten Leistungen sind keine stationären Eingliederungshilfeleistungen im Sinne dieser Vorschrift. Die Leistung ist aber eine solche der Eingliederungshilfe in einer Pflegefamilie nach § 54 Abs 3 SGB XII mit der Folge, dass § 98 Abs 2 SGB XII entsprechende Anwendung findet(§ 107 SGB XII).

26

Nach § 98 Abs 2 SGB XII(idF des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) ist für die stationäre Leistung der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder in den letzten zwei Monaten vor ihrer Aufnahme gehabt haben (Satz 1). Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung iS des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (sog Einrichtungskette, Satz 2).

27

Die in den Familien I. und K. erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe sind auf der Grundlage der Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) keine in einer stationären Einrichtung iS von § 98 Abs 2 SGB XII erbrachten Leistungen. Die vom LSG zur sachlichen Zuständigkeit aufgestellten landesrechtlichen Maßstäbe binden den Senat bei der Feststellung der örtlichen Zuständigkeit nicht. Der Einrichtungsbegriff des § 98 Abs 2 SGB XII ist bundesrechtlich anhand von § 13 Abs 2 SGB XII zu bestimmen.

28

Eine Einrichtung gemäß § 13 Abs 2 SGB XII ist ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist(BVerwGE 95, 149, 152; BVerwG Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 13/91 - FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 - ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2, RdNr 13; BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3) und der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl § 13 Abs 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 15). Soweit Personen dezentral untergebracht sind, ist es für die Bejahung einer Einrichtung erforderlich, dass die dezentrale Unterkunft zu den Räumlichkeiten der Einrichtung gehört, der Hilfebedürftige also in die Räumlichkeiten des Trägers eingegliedert ist (vgl BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3). Dies ist nur dann der Fall, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist (BVerwG Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 - FEVS 45, 52 ff). Die Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung selbst ist also keine bloße Formalie, sondern wesentliches Merkmal einer Zuordnung zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers (vgl BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1). Zudem ist erforderlich, dass der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfeempfängers nach Maßgabe des angewandten Konzepts die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt. Gelegentliche Maßnahmen rechtfertigen die Gleichstellung mit der stationären Einrichtung nicht; die Unterbringung außerhalb der Einrichtung muss vielmehr qualitativ einer stationären Leistungserbringung in der Einrichtung entsprechen (vgl BVerwGE 95, 149 ff - RdNr 18; vgl entsprechend zu § 106 SGB XII BSG SozR 4-3500 § 106 Nr 1).

29

Diese Voraussetzungen erfüllt weder die Unterbringung in der Familie I. noch in der Familie K. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine stationäre Einrichtung schon begrifflich nicht immer jedenfalls auch ein Stammhaus im Sinne einer Stammunterkunft voraussetzt. Nur wenn dies nicht erforderlich wäre, könnte die vom LSG festgestellte Struktur der Q. mit einer Geschäftsstelle als "zentraler Einrichtung" und 13 bzw 14 geschulten sog "Koordinatoren", die sich von eigenen Büros in der ganzen Bundesrepublik verantwortlich um die ihnen zugewiesenen sog "individual-pädagogischen Betreuungsstellen" kümmern, überhaupt den Einrichtungsbegriff erfüllen. Denn die individual-pädagogischen Betreuungsstellen selbst (hier: die Betreuung in den Familien I. und K.) stellen keine stationären Einrichtungen dar (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 30).

30

Jedenfalls aber fehlte es hinsichtlich beider Familien an der unerlässlichen Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung. Nach den Feststellungen des LSG wurde der Wohnraum von den einzelnen Familien vorgehalten, nicht dagegen von Q. Q. also konnte nicht frei nach eigenem Ermessen feste Plätze zuteilen. Sie war stets auf die Bereitschaft der Familien angewiesen, einzelne Personen aufzunehmen. Die Familien waren jeweils nur bezogen auf den konkreten Einzelfall vertraglich eingebunden und stellten auch nur dann die Unterkunft bereit. Eine vom einzelnen Leistungsfall ununterbrochene Anmietung von Wohnraum ist damit nicht gegeben.

31

Zudem hatte Q. auch nicht die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Hilfebedürftigen von der Aufnahme bis zur Entlassung übernommen. Den zur Betreuung eines Falls von Q. eingesetzten Koordinatoren kam nach den Feststellungen des LSG allenfalls zu Beginn der Unterbringung in einer Familie eine konzeptionell wesentliche Bedeutung zu. Im weiteren Verlauf hatten sie nur noch eine koordinierende und überwachende Funktion. Mit Blick darauf, dass 14 Betreuer für 160 Jugendliche in der ganzen Bundesrepublik zuständig waren, wird eine Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung damit konzeptionell nicht gewährleistet und ist auch nicht beabsichtigt. Der "Einrichtung" blieb im Alltag gerade kein bestimmender Einfluss, sondern dieser lag bei den einzelnen Familien. Mit Q. wurden auch keine Vereinbarungen auf der Grundlage der §§ 75 ff SGB XII geschlossen, ein organisatorischer Gesamtplan, der Gültigkeit für alle "Bewohner" beansprucht, existierte nicht.

32

Dass sowohl Q. als auch Familie K. nach den Feststellungen des LSG eine Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung gemäß § 45 SGB VIII hatten, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Unabhängig davon, ob diese Erlaubnis jeweils zu Recht erteilt wurde (vgl zum - soweit ersichtlich - bislang höchstrichterlich noch nicht geklärten Einrichtungsbegriff nach § 45 SGB VIII zB Busse in jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl 2014, RdNr 28 ff mit Verweisen auf die Maßstäbe des SGB XII; offengelassen BVerwG Beschluss vom 4.8.2006 - 5 B 52/06), kommt dieser Erlaubnis keine Tatbestandswirkung für die Frage des Vorliegens einer Einrichtung iS des SGB XII zu.

33

Unerheblich ist auch, ob die Intensität der Betreuung in den von Q. unter Vertrag genommenen Familien höher war als in einer stationären Einrichtung. Nach der Rechtsprechung spielt die Intensität der Betreuung zwar in der Abgrenzung der stationären Hilfe zum Ambulant-betreuten-Wohnen eine Rolle (vgl zB BSG SozR 4-3500 § 98 Nr 3). Auch das SGB XII kennt aber mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie (§ 54 Abs 3 SGB XII, mWv 5.8.2009 eingeführt durch das Gesetz vom 30.7.2009, BGBl I 2495) ausdrücklich eine ambulante Leistung, die durch ein intensives Betreuungsverhältnis gekennzeichnet ist (nach dem Inhalt der Vorschrift: "Versorgung Tag und Nacht" im Haushalt der Pflegeperson). Dass die Unterbringung dort zur Vermeidung oder Beendigung eines Aufenthalts in einer vollstationären Einrichtung erfolgt (Abs 3 Halbsatz 2), hat in Parallele zur Unterbringung in einer Pflegefamilie in der Jugendhilfe (§ 33 Satz 2 SGB VIII) vor allem Belange des Kindeswohls im Blick (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 39; vgl auch Schmid-Obkirchner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl 2015, § 33 RdNr 24 zum Vorzug familiärer gegenüber institutioneller Strukturen). Dagegen wird keine Aussage in dem Sinne getroffen, dass die stationäre Unterbringung stets als die betreuungsintensivere anzusehen wäre. Dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Betreuungsintensität vielmehr vom Gegenteil ausgegangen ist, ergibt sich aus § 107 SGB XII, der die Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht mit anderen ambulanten Leistungen(insbesondere dem Ambulant-betreuten-Wohnen, vgl § 98 Abs 5 SGB XII)gleichsetzt, sondern vielmehr die Vorschriften zur Zuständigkeit bei stationärer Unterbringung für analog anwendbar erklärt.

34

Der Beklagte ist damit zwar nicht nach § 98 Abs 2 SGB XII unmittelbar, wohl aber gemäß § 107 SGB XII(seit Einführung durch das Gesetz vom 27.12.2003, BGBl I 3022 unverändert) iVm § 98 Abs 2 SGB XII örtlich zuständig, weil L im hier streitbefangenen Zeitraum als noch Minderjähriger in einer anderen Familie untergebracht war. Die Unterbringung in einer anderen Familie iS des § 107 SGB XII meint seit Einführung des § 54 Abs 3 SGB XII zum 5.8.2009 (nur noch) eine Unterbringung im Sinne dieser Vorschrift. Kommt seither für Kinder und Jugendliche ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form einer Betreuung in einer Pflegefamilie nur noch unter den dort genannten qualifizierten Voraussetzungen in Betracht (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 37), kann im Rahmen der Zuständigkeitsanordnung für ein solches Betreuungsverhältnis kein anderer Maßstab gelten (vgl Böttiger in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 107 RdNr 20). Der Schutz des "Einrichtungsortes" setzt eine entsprechend qualifizierte Form der Unterbringung voraus.

35

Die Voraussetzungen des § 54 Abs 3 SGB XII sind für die Unterbringung des L in den Familien I. und K. im hier streitbefangenen Zeitraum gegeben. Nach § 54 Abs 3 Satz 1 SGB XII ist eine Leistung der Eingliederungshilfe auch die Hilfe für die Betreuung in einer Pflegefamilie, soweit eine geeignete Pflegeperson Kinder und Jugendliche über Tag und Nacht versorgt und dadurch der Aufenthalt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe vermieden oder beendet werden kann. Die Pflegeperson bedarf einer Erlaubnis nach § 44 SGB VIII(Abs 1 Satz 1). Sämtliche Anforderungen sind hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) erfüllt. L war jeweils in den privaten Haushalt der Familien aufgenommen, wo er Tag und Nacht sein zu Hause hatte (vgl zu diesem Maßstab BVerwGE 140, 305 - RdNr 15; vgl auch BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 37). In beiden Familien war eine geeignete Person im Sinne dieser Vorschrift vorhanden, denn sowohl Herr I. als auch Frau K. hatten eine erzieherische Qualifikation (Heilerziehungspfleger bzw staatlich anerkannte Erzieherin). Dass jedenfalls Herr I. keine Erlaubnis zur Vollzeitpflege iS von § 44 SGB VIII(in der hier maßgeblichen Fassung der Norm vom 14.12.2006, BGBl I 3134) hatte, schließt die Leistungserbringung nach § 54 Abs 3 SGB XII nicht aus. Denn jedenfalls liegt nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG der Ausnahmetatbestand des § 44 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VIII vor, weil L auf Vermittlung der Klägerin als Trägerin von Leistungen der Jugendhilfe in den beiden Familien untergebracht war(vgl zu einer entsprechenden Konstellation OVG Lüneburg Beschluss vom 7.6.2017 - 4 LA 281/16 - Juris RdNr 7). Der Verweis in § 54 Abs 3 SGB XII auf die Erlaubnis nach § 44 SGB VIII ist umfassend in dem Sinne zu verstehen, dass auch im Rahmen von Leistungen nach dem SGB XII die Ausnahmetatbestände des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB VIII zum Tragen kommen können(vgl entsprechend Böttiger, aaO, RdNr 44).

36

War damit § 98 Abs 2 SGB XII anwendbar, kommt es bei durchgehendem Aufenthalt in stationären Einrichtungen oder Pflegefamilien für die örtliche Zuständigkeit auf den gewöhnlichen Aufenthalt des L im Zeitpunkt des Eintritts in die erste Einrichtung oder Pflegefamilie an(Satz 2). Dieser lag im Kreis Lippe und folglich im örtlichen Zuständigkeitsgebiet des Beklagten (vgl § 1 Abs 1 der Hauptsatzung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe vom 12.1.1995) unabhängig davon, ob insoweit, nachdem L zuvor (wieder) mehrere Monate zu Hause gewohnt hatte, auf die stationäre Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 24.2.2005 bis zum 15.6.2005 in Bad S., auf die Aufnahme in das Kinderheim in Bad S. am 15.6.2005 oder auf die sich unmittelbar anschließende Aufnahme in die M.-Stiftung am 26.10.2005 abzustellen ist. Seither war L durchgängig stationär oder in einer Pflegefamilie untergebracht. Dies gilt auch für die Reise des L mit Herrn I. im März 2009, die L ebenfalls schon in den Haushalt des Herrn I. eingliederte.

37

Die damit bestehende vorrangige Leistungspflicht des Beklagten als eigentlich zuständiger Leistungsträger (§ 10 Abs 4 Satz 2 SGB VIII) erfasst im Rahmen der hier erbrachten Eingliederungshilfe in Form der Unterbringung in einer Pflegefamilie sämtliche nach § 54 Abs 3 SGB XII zu erbringenden Leistungen. Denn seit Inkrafttreten des § 54 Abs 3 SGB XII zum 5.8.2009 hat der Gesetzgeber jede erforderliche Betreuung eines behinderten Kindes in einer Pflegefamilie typisierend als Eingliederungshilfe normiert. Diese schließt daher insbesondere auch die für den Lebensunterhalt erforderlichen Leistungen ein (vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 39 unter Verweis auf die ebenfalls zum 5.8.2009 erfolgte Änderung des § 28 Abs 5 SGB XII, jetzt § 27a Abs 4 Satz 3 SGB XII; anders noch BVerwGE 125, 96 zur zuvor geltenden Rechtslage). Auf die Frage, ob die Klägerin als kreisangehörige Stadt ggf für Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII auf der Grundlage einer Heranziehungssatzung (§ 1 Abs 1 Nr 1 der Satzung über die Heranziehung der Städte, Kreise und kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe in der hier maßgeblichen Fassung vom 10.3.2005, GV NW 202) zuständig war, kam es daher nicht an.

38

Die Leistungserbringung durch die Klägerin an L war dem Grunde nach auf der Grundlage der Regelungen des SGB XII rechtmäßig. Die Voraussetzungen der Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in einer Pflegefamilie nach § 19 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - erhalten hat) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022) und § 54 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009, BGBl I 2495) lagen in der Person des L vor. L war nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) wesentlich behindert iS des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII und gehörte damit zum leistungsberechtigten Personenkreis. Es bestand auch die Notwendigkeit (§ 4 Abs 1 SGB IX)der Unterbringung in den Pflegefamilien, denn L war ständig zu betreuen und zu überwachen. Eine stationäre Unterbringung konnte dadurch vermieden werden.

39

Der Senat konnte jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die von der Klägerin für den hier streitbefangenen Zeitraum geltend gemachten Kosten, die weder verspätet angemeldet (§ 111 SGB X) noch verjährt (§ 113 SGB X) sind, in voller Höhe zu erstatten sind. Das LSG hat weder festgestellt, in welcher Höhe die Leistungen jeweils monatlich erbracht wurden, noch in welcher Höhe ggf Einkommen jeweils monatsweise im hier streitbefangenen Zeitraum zu berücksichtigen war. Dass der Beklagte auf die "nachvollziehbaren Darlegungen" der Klägerin keine "Einwände vorgebracht" hat, ersetzt diese Feststellungen nicht.

40

Im Übrigen richtet sich gemäß § 104 Abs 3 SGB X der Umfang der Erstattungspflicht nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften, also den §§ 53 ff SGB XII. Danach ist zwar unerheblich, dass mit den Pflegeeltern keine Verträge nach den §§ 75 ff SGB XII geschlossen wurden(vgl BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 32). Es ist jedoch nicht festgestellt, welche Bedarfe des L insoweit zu decken und in welcher Höhe hierzu Leistungen erforderlich waren. Auch wenn die Leistung in einer Pflegefamilie nicht im Sinne einer Dienstleistung entlohnt werden kann und dem Leistungsträger daher für Art und Höhe der Leistung Ermessen zusteht (§ 17 Abs 2 SGB XII; vgl entsprechend BSGE 117, 53 = SozR 4-3500 § 54 Nr 13, RdNr 34, 37), ist stets nur das im Einzelfall zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs Erforderliche zu leisten (vgl Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 17 RdNr 40). Insoweit wird das LSG auch zu überprüfen haben, ob und in welcher Höhe die an Q. bezahlten Beträge Verwaltungskosten erfassten, die - je nach den noch zu treffenden Feststellungen des LSG - ggf keine für die Hilfe in einer Pflegefamilie erforderlichen Kosten waren.

41

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

42

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 47 Abs 1 und 2, § 52 Abs 1, § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).

(1) Der Unfallversicherungsträger teilt den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches bedarf es nur in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1.

(2) Der Beitragsbescheid ist mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten der Beitragspflichtigen nur dann aufzuheben, wenn

1.
die Veranlagung des Unternehmens zu den Gefahrklassen nachträglich geändert wird,
2.
die Meldung nach § 165 Absatz 1 unrichtige Angaben enthält oder sich die Schätzung als unrichtig erweist.
3.
(weggefallen)
Wird der Beitragsbescheid aufgrund der Feststellungen einer Prüfung nach § 166 Abs. 2 aufgehoben, bedarf es nicht einer Anhörung durch den Unfallversicherungsträger nach § 24 des Zehnten Buches, soweit die für die Aufhebung erheblichen Tatsachen in der Prüfung festgestellt worden sind und der Arbeitgeber Gelegenheit hatte, gegenüber dem Rentenversicherungsträger hierzu Stellung zu nehmen.

(2a) Enthält eine Meldung nach § 99 des Vierten Buches unrichtige Angaben, unterbleibt eine Aufhebung des Beitragsbescheides nach § 44 des Zehnten Buches zugunsten des Unternehmers, solange die fehlerhaften Meldungen nicht durch den Unternehmer korrigiert worden sind.

(3) Die Satzung kann bestimmen, daß die Unternehmer ihren Beitrag selbst zu errechnen haben; sie regelt das Verfahren sowie die Fälligkeit des Beitrages.

(4) Für Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten wird der Beitrag festgestellt, sobald der Anspruch entstanden und der Höhe nach bekannt ist.

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 1996 bis 2001 entrichteten Beiträgen streitig.

2

Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Sie wurde von der Beklagten wegen der Unternehmensart "Masseure, Med. Bademeister, Kurbäder" mit dem Strukturschlüssel 5000 ab 1.1.1996 zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 7,5, ab 1.1.2001 zur Gefahrklasse 6,8 veranlagt (Bescheide vom 28.6.1996 und 3.7.2001).

3

Mit Schreiben vom 16.1.2007 machte die Klägerin unter Hinweis auf den von ihr geführten Saunabetrieb eine Überprüfung ihrer Veranlagung sowie eine Beitragserstattung geltend. Die Beklagte veranlagte sie daraufhin ab 1.1.2007 nach dem Strukturschlüssel 5000 ("Masseure, medizinische Bademeister") zur Gefahrtarifstelle 8 und Gefahrklasse 6,5 sowie ab 1.2.2007 nach dem Strukturschlüssel 6000 ("Saunabetriebe") zur Gefahrtarifstelle 7 und Gefahrklasse 3,5 (Bescheide vom 5.2.2007).

4

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 1.3.2007 Widerspruch gegen die Veranlagung für Januar 2007. Zudem beantragte sie, die Beitragsbescheide für die Jahre 1983 bis 2005 aufzuheben, die Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen und überzahlte Beiträge zu erstatten. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30.5.2007 ab. Darüber hinaus teilte sie mit, dass dem Antrag auf Änderung der Veranlagung rückwirkend für die Vergangenheit stattgegeben werde und die "Beitragsbescheide … innerhalb des Verjährungszeitraums des § 27 Abs 2 SGB IV zu berichtigen" seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2007 darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch auf "die Beitragserstattung der Jahre 1996 bis 2001 beschränkt" werde, wies die Beklagte den "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurück, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde". Die Erstattungsansprüche in Bezug auf die Umlagejahre 1996 bis 2001 seien verjährt (Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008).

5

Das SG Berlin hat den Bescheid der Beklagten vom 5.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 insoweit aufgehoben, als die Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde und die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich dieses Erstattungsbegehrens neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.8.2011). Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Urteil des SG geändert, die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 30.5.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 verpflichtet, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für diesen Zeitraum zur Gefahrtarifstelle 7 (Saunabetriebe) zu veranlagen sowie Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 7 neu festzusetzen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag sei im Sinne des Klagevorbringens auszulegen. Dem Beitragserstattungsanspruch habe eine Aufhebung der Veranlagungs- und Beitragsbescheide logisch voranzugehen. Mit der unzutreffenden Veranlagung gehe die Neufestsetzung der Beiträge einher. Gegen den daraus resultierenden Erstattungsanspruch stehe der Beklagten aber die Verjährungseinrede zu. Der Beginn der Verjährung sei nicht von der vorherigen Entstehung des Erstattungsanspruchs abhängig. Dafür spreche ungeachtet der nicht einheitlichen Rechtsprechung des BSG der eindeutige Wortlaut des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Gründe, welche die Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen. Die Klägerin hätte die unrichtige Veranlagung ohne Weiteres erkennen können. Eine den Verzicht auf die Verjährungseinrede begründende Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Allerdings sei eine Ermessensausübung zugunsten der Klägerin in einem späteren Rückabwicklungsverfahren nicht ausgeschlossen (Urteil vom 23.1.2014).

6

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 SGB IV. Der Anspruch auf Beitragserstattung setze denklogisch die vorherige Aufhebung der zugrundeliegenden Veranlagungs- und Beitragsbescheide voraus. Damit könne die Verjährung erst mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Lauf gesetzt werden. Im Falle der Verjährung eines rückwirkend entstehenden Erstattungsanspruchs würde der mit ihr verfolgte Zweck vereitelt. § 27 Abs 2 SGB IV gehe vom Regelfall aus, dass Beiträge ohne zugrundeliegenden Verwaltungsakt rechtsgrundlos geleistet würden. Erst mit der Aufhebung des Beitragsbescheids seien Beiträge "zu Unrecht" im Sinne dieser Vorschrift geleistet. Für diese Rechtsansicht spreche nicht nur die Rechtsprechung des BSG zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch der systematische Zusammenhang mit § 160 Abs 2 Nr 2 SGB VII. Da die Überzahlung der Beiträge auf einer fehlerhaften Veranlagung der Beklagten beruhe, stelle die Erhebung der Verjährungseinrede im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Januar 2014 und des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr überzahlte Beiträge in Höhe von 31 045,71 Euro zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage sei unzulässig, weil es insoweit an einem durchgeführten Vorverfahren fehle. Im Übrigen stelle § 27 SGB IV für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt ab, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Die Verjährung könnte niemals eintreten, wenn sie erst mit der Aufhebung der Beitragsbescheide beginnen würde.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision, mit der nur noch die Erstattung überzahlter Beiträge begehrt wird, ist zulässig aber unbegründet.

11

Allerdings ist die Klage zulässig erhoben worden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung überzahlter Beiträge geltend gemacht wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). An dieser Klagebefugnis fehlt es zwar, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - BSGE 90, 127, 130 = SozR 3-5795 § 10d Nr 1 S 4), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 13). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 SGG), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Entsprechendes gilt für die mit der Anfechtungsklage kombinierte (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Auch sie setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat und kommt daher vor dem Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - Juris RdNr 17).

12

Der Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 enthält bei verständiger Auslegung (§ 133 BGB) eine die Beitragserstattung versagende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X. Den Inhalt eines Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, das objektivierte Empfängerverständnis. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15 mwN). Gemessen daran durfte die Klägerin aufgrund der Formulierung in dem Bescheid vom 30.5.2007, die "Beitragsbescheide sind innerhalb des Verjährungszeitraumes nach § 27 Abs. 2 SGB IV zu berichtigen" davon ausgehen, dass hiermit über ihren mit Schreiben vom 16.1.2007 gestellten und mit weiterem Schreiben vom 1.3.2007 wiederholten Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge für die Zeit von 1996 bis 2001 entschieden werden sollte. Aus der verlautbarten Erklärung wird deutlich, dass die Beklagte eine die Klägerin begünstigende Korrektur der Beitragsfestsetzung und damit eine Beitragserstattung ablehnt, weil und soweit ihr die Verjährung entgegensteht.

13

Über den Anspruch auf Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 ist auch im Widerspruchsbescheid vom 20.2.2008 entschieden worden, sodass die Zulässigkeit der Klage ferner nicht an einem fehlenden Vorverfahren gemäß § 78 Abs 1 SGG scheitert. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Ob das der Fall ist, bestimmt sich ebenfalls durch Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts des Widerspruchsbescheids im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der das Revisionsgericht befugt ist. Hierbei sind sowohl die Entscheidungsformel als auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zu berücksichtigen (BSG vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R - Juris RdNr 15 ff). Danach enthält der Widerspruchsbescheid der Beklagten auch eine Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der von 1996 bis 2001 zu Unrecht entrichteten Beiträge, auch wenn nach der Entscheidungsformel lediglich der "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den Veranlagungsbescheid vom 05.02.2007" zurückgewiesen wird. Für eine solche Auslegung spricht schon, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde" und damit ausdrücklich eine Beziehung zur Beitragserstattung hergestellt wird. Zudem weist die Beklagte in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass der Antrag auf Erstattung der Beiträge "für die Jahre 1996 bis 2001" strittig geblieben sei und infolge "Verjährung der Rückerstattungsansprüche" eine Beitragskorrektur ausscheide. Diese Auseinandersetzung mit dem Erstattungsanspruch und seine Ablehnung aufgrund eingetretener Verjährung konnte die Klägerin als Erklärungsempfängerin nur so verstehen, dass die Beklagte auf ihren Widerspruch hin über die Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 entschieden hat.

14

Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der Beitragserstattung in dem Bescheid der Beklagten vom 30.5.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1996 bis 2001 zu Unrecht geleisteten Beiträge. Der Erstattungsanspruch (dazu 1.) ist hinsichtlich der Beitragszahlungen für die Jahre 1996 bis 2001 verjährt (dazu 2.). Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben (dazu 3.).

15

1. Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB IV in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2006 (BGBl I 86) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen. Die Voraussetzungen dieser auch in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich anwendbaren Erstattungsnorm (BSG vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - BSGE 83, 270, 276 = SozR 3-2400 § 26 Nr 11 S 56) sind hier erfüllt. Die Klägerin hat für die Jahre 1996 bis 2001 Beiträge nach der Gefahrtarifstelle 8 ohne Rechtsgrund (vgl hierzu BSG vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6 RdNr 13 mwN)gezahlt. Für diese Beitragsentrichtung war weder eine materiell- noch formal-rechtliche Grundlage gegeben. Die Beiträge wurden fälschlicherweise nach der Gefahrtarifstelle 8 anstelle der Gefahrtarifstelle 7 bemessen. Die Beklagte ist zudem aufgrund des lediglich von der Klägerin angegriffenen Urteils des LSG nach § 44 Abs 1 SGB X verpflichtet, die Verwaltungsakte über die Beitragsfestsetzungen für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben. Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht die so genannte Verfallklausel des § 26 Abs 2 Halbs 1 Teils 2 SGB IV entgegen. Diese ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es - wie hier - an jeglichem Zusammenhang zwischen den zu erstattenden Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt, weil die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung auf einer unrichtigen Veranlagung zum Gefahrtarif beruht (BSG vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18, 24 f = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 86).

16

2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch verjährt. Nach § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch des § 26 Abs 2 SGB IV in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Verjährung hinsichtlich der für die Jahre 1996 bis 2001 im jeweiligen Nachfolgejahr entrichteten Beiträge trat daher mit Ablauf des 31.12.2006 ein. Der erst im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge konnte daher die Verjährung nicht hemmen iS des § 27 Abs 3 Satz 2 SGB IV.

17

Dass die Beklagte erst durch das hier angegriffene Urteil verpflichtet wurde, die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Verwaltungsakte über die Veranlagung und Beitragserhebung aufzuheben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Auffassung der Revision beginnt die Verjährung nicht erst mit der Kassation der die Beitragsschuld begründenden Verwaltungsentscheidung. Der erkennende Senat schließt sich in Fortsetzung seiner eigenen Rechtsprechung (Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - BSGE 63, 18 = SozR 1300 § 44 Nr 31)nach nochmaliger Überprüfung dem 12. Senat des BSG an. Dieser hat zuletzt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung mit Urteil vom 31.3.2015 (B 12 AL 4/13 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 6)entschieden, dass die in § 27 Abs 2 SGB IV für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge normierte Verjährungsfrist auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung beginnt, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte. Dabei hat er sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, den mit ihr verfolgten Zweck sowie das Regelungskonzept der §§ 25 ff SGB IV gestützt. Zudem hat er zur Begründung ausgeführt, dass der an den Zeitpunkt der Beitragsentrichtung anknüpfende Verjährungsbeginn den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG genüge. Zwar ist einzuräumen, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann. Daraus folgt aber nicht denknotwendig, dass die Verjährung jeweils erst mit dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann oder darf. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht gehindert, für den Beginn der Verjährung an unterschiedliche Ereignisse anzuknüpfen (vgl §§ 199 ff BGB)und im Falle eines überhaupt entstandenen Anspruchs auf einen früheren Zeitpunkt als den seiner Entstehung abzustellen. Infolgedessen kann offenbleiben, ob im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts über die Beitragsfestsetzung der Erstattungsanspruch mit Wirkung ex nunc ab dem Zeitpunkt dieser Aufhebung oder mit Wirkung ex tunc bereits ab dem Zeitpunkt der fehlerhaften Beitragsentrichtung entsteht.

18

Das Revisionsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Einwand der Klägerin, der Wortlaut des § 27 Abs 2 SGB IV gelte lediglich für den Regelfall einer Beitragsentrichtung ohne dass dieser ein Verwaltungsakt zugrunde liege, geht fehl. Der Gesetzestext knüpft an das Kalenderjahr an, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind", ohne nach der rechtlichen Grundlage für die Beitragsforderung zu differenzieren. Eine Begrenzung der Verjährungsvorschrift auf nur eine bestimmte Gruppe von Beitragszahlungen betreffende Erstattungsansprüche ist auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen. Durch § 27 Abs 2 SGB IV sollte vielmehr die Regelung des § 45 SGB I über die Verjährung von Sozialleistungen auf Erstattungsansprüche erstreckt werden(BT-Drucks 7/4122 S 34 zu § 26). Hinweise darauf, dass die Verjährungsregelung nicht für Beitragszahlungen, die erst aufgrund eines entsprechenden Verwaltungsakts entstehen, gelten soll, lassen sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen.

19

Eine Auslegung des § 27 Abs 2 SGB IV im Sinne der Revision ist auch nicht durch den mit dem Rechtsinstitut der Verjährung verbundenen allgemeinen Zweck geboten. Verjährungsregelungen dienen zwar einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger. Der Gläubiger muss eine faire Chance haben, seine Ansprüche zu verfolgen (BGH vom 17.6.2005 - V ZR 202/04 - NJW-RR 2005, 1683, 1686). Er muss daher auch in die Lage versetzt werden, sich gegen oder für die Geltendmachung eines Anspruchs entscheiden zu können. Gerade daran aber ist der Erstattungsberechtigte, der aufgrund eines ihm bekannt gegebenen Verwaltungsakts Beiträge entrichtet, nicht gehindert. Gegen den die Beitragsbelastung feststellenden Verwaltungsakt kann Widerspruch und anschließend Klage erhoben werden. Ist die Rechtsmittelfrist abgelaufen, besteht darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit der Überprüfung bestandskräftig festgestellter Beitragsforderungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs 1 SGB X. Zwar führt der auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung festgelegte Beginn der Verjährung gemäß § 27 Abs 2 SGB IV gegebenenfalls dazu, dass einem Erstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakts begründet wird, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt. Dieses Ergebnis ist aber dem vermeidbaren Umstand geschuldet, dass der Gläubiger von einer rechtlichen Kontrolle der festgesetzten Beitragslast und der Geltendmachung überzahlter Beiträge über einen Zeitraum von mindestens vier Jahren aus eigenem Entschluss abgesehen hat. Auch bei dem hier angenommen Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung wird dem Zweck der Verjährung, eine Übergangsfrist in Bezug auf die Prüfung und Geltendmachung von Ansprüchen einzuräumen, mithin hinreichend Rechnung getragen.

20

Auch die Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung bedingen keine andere Einschätzung. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IV gelten die Vorschriften des SGB IV für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, die soziale Pflegeversicherung sowie mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Teils des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch für die Arbeitsförderung. Vom Geltungsbereich des SGB IV ist daher auch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst. Ausgenommen sind lediglich Vorschriften der jeweiligen Sozialleistungsbereiche, soweit sie von den Bestimmungen des SGB IV abweichen, sie bleiben unberührt (§ 1 Abs 3 SGB IV). Das SGB VII enthält keine § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV ausdrücklich verdrängende Regelung. Anders als § 351 Abs 1 Satz 2 SGB III, der § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV für die Beitragserstattung der Arbeitsförderung ausdrücklich ausschließt, ordnet das SGB VII an keiner Stelle die Unanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV an.

21

Auch das unfallversicherungsrechtliche Regelungskonzept der §§ 160 und 168 SGB VII steht einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung nicht entgegen. § 160 SGB VII normiert die Aufhebung des nach § 159 SGB VII erlassenen Veranlagungsbescheids und bestimmt den Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Aufhebung. § 160 SGB VII ordnet einerseits die Aufhebung der ursprünglich rechtmäßigen Veranlagung bei Unternehmensänderungen für die Zukunft an(Abs 1) und normiert andererseits die Voraussetzungen, unter denen die Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird (Abs 2). In allen übrigen Fällen wird die Veranlagung mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgt, aufgehoben (Abs 3). Diese Regelungen verdrängen als lex specialis die §§ 44 ff SGB X oder werden durch diese Vorschriften ergänzt(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160; BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, RdNr 25 ff). Sie beeinflussen aber nicht die für sämtliche Sozialversicherungszweige geltende gemeinsame Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV. Weder dem Wortlaut des § 160 SGB VII noch seinem Regelungsinhalt und auch nicht den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, die lediglich auf die Vorgängerregelung des § 734 Abs 2 RVO verweisen(BT-Drucks 13/2204 S 112 zu § 160), lassen sich Vorgaben oder ansatzweise Hinweise zu den beitragsrechtlichen Konsequenzen einer im Nachhinein veränderten Veranlagung entnehmen. § 160 SGB VII bestimmt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zeitpunkt eine Veranlagung iS des § 159 SGB VII zu korrigieren ist. Die Norm enthält aber gerade keine Regelung über die Durchsetzbarkeit einer mit der geänderten Veranlagung einhergehenden Beitragsrückforderung.

22

Auch zwischen § 168 SGB VII und § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV lässt sich kein systematischer Zusammenhang herleiten, nach dem die Regelung des § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV im SGB VII keine Anwendung finden soll. § 168 SGB VII regelt die Schriftform des Beitragsbescheids(Abs 1), zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Unternehmers aufzuheben ist (Abs 2), sieht eine Satzungsermächtigung für die Selbstberechnung des Beitrags durch die Unternehmer vor (Abs 3) und bestimmt eine Ausnahme für die Feststellung des Beitrags bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten (Abs 4). Beitragskorrekturen zugunsten des Unternehmers sind indes gerade nicht Gegenstand der Vorschrift, sie richten sich nach § 44 SGB X. Dass § 44 Abs 4 SGB X lediglich den Sozialleistungsanspruch auf längstens vier Jahre vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts begrenzt, ist aber gerade durch die für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge maßgebenden besonderen Bestimmungen der §§ 26 und 27 SGB IV bedingt(vgl BT-Drucks 8/2034 S 34 zu § 42).

23

3. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und ihre Ermessensbetätigung in dem angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend begründet hat. Die in dem Urteil des LSG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist von der Beklagten nicht mit der Revision angegriffen worden und damit in Rechtskraft erwachsen. Für die Ermessensbetätigung relevante Gesichtspunkte, die eine sog Ermessensreduktion auf Null naheliegend erscheinen lassen und ausnahmsweise hätten Anlass geben können, von der Verjährungseinrede abzusehen, sind nicht erkennbar. Der Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl hierzu BSG vom 12.12.2007 - B 12 AL 1/06 R - BSGE 99, 271 = SozR 4-2400 § 27 Nr 3, RdNr 13). Zwar geht die rechtswidrige Beitragserhebung auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurück. Das fehlerhafte Verwaltungshandeln schließt aber jedenfalls dann nicht die Erhebung der Verjährungseinrede aus, wenn - wie hier - der Gläubiger des Erstattungsanspruchs die unrichtige Beitragsentrichtung aufgrund einer rechtswidrigen Veranlagung ohne Weiteres hätte erkennen können. Das war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG der Fall. Diese den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für alle drei Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines am 17.5.2008 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall.

2

Der 1946 geborene Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und übte in den Niederlanden bis zur Insolvenz seines Unternehmens eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer aus. Neben seinem Wohnsitz in den Niederlanden verfügte er seit Mai 2002 in der Gemeinde I. bei T. über einen weiteren Wohnsitz. Zusammen mit einer anderen Person pachtete der Kläger im Jahre 2003 den Jagdbezirk I. I, sowie im Jahre 2005 den angrenzenden Jagdbezirk V. Durch Bescheid vom 28.7.2005 wurde die Jagdgemeinschaft "H./K." ab 1.4.2005 in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen. Dort heißt es: "Als Jagdpächter sind sie ab dem vorgenannten Zeitpunkt Pflichtmitglied der Berufsgenossenschaft und unterliegen ab der Beitragsumlage 2005 der Beitragspflicht." Der Aufnahmebescheid ist an die Adresse des Klägers in I. adressiert; beigefügt war ein Merkblatt, in dem ausgeführt wird: "Gemäß § 2 SGB VII umfasst die gesetzliche Unfallversicherung zunächst alle Beschäftigten. Als versicherte Personen in den Jagden kommen hauptsächlich Berufsjäger, Treiber, bestätigte Jagdaufseher usw., also alle Personen in Frage, die für Rechnung und im Auftrage des Jagdunternehmers bei der Jagd und Hege beschäftigt werden. Als Besonderheit der LUV erstreckt sich der Versicherungsschutz außerdem auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter)." Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten unbekannt, dass der Kläger noch über einen niederländischen Wohnsitz verfügte sowie in den Niederlanden eine selbständige Tätigkeit als Bauunternehmer ausübte.

3

Bei Reparaturarbeiten an seinem Hochsitz im Jagdbezirk stürzte der Kläger am 17.5.2008 aus mehreren Meter Höhe ab und zog sich hierbei Verletzungen zu. Die Beklagte gewährte bis Oktober 2009 die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Durch Bescheid vom 23.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als von ihr zu entschädigenden Arbeitsunfall ab, weil der Kläger nach den Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in der deutschen Unfallversicherung versichert gewesen sei. Da sich nach seinen Angaben der Hauptwohnsitz in den Niederlanden befunden habe und er dort selbständig tätig gewesen sei, seien auf der Basis des EG-Vertrages (EGV) die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 einschlägig.

4

Durch Urteil vom 3.11.2011 hat das SG Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger unterliege aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit und seines gewöhnlichen Aufenthalts in den Niederlanden ausschließlich dem dortigen Sozialversicherungssystem. Seine hiergegen erhobene Berufung hat der Kläger im Wesentlichen darauf gestützt, dass es gemäß § 3 SGB IV für die Beurteilung seines Versicherungsschutzes allein auf die Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit als Jagdpächter in der Bundesrepublik Deutschland ankomme.

5

Das LSG Rheinland-Pfalz hat die Berufung durch Urteil vom 6.9.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht alleine auf die inländische unternehmerische Tätigkeit als Jagdpächter an. Der Vorrang des Wohnsitzstaats werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die entsprechende selbständige Tätigkeit in den Niederlanden versicherungsfrei sei. Dies gelte auch bei Anwendung der Neuregelung der Art 11 Abs 1 iVm 13 Abs 2 VO (EG) 883/2004. Auch unter dem Gesichtspunkt der Formalversicherung könne der Kläger keine Leistungsansprüche geltend machen. Aus der Beitragszahlung für das Unternehmen folge kein Vertrauensschutz, weil sich der Beitrag für Jagden gemäß § 47 der Satzung der Beklagten nach dem Veranlagungswert in Form der bejagbaren Fläche richte und mithin keine Beiträge konkret für einzelne Versicherte - auch nicht für den Kläger als Unternehmer - erhoben würden.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision vertritt der Kläger die Auffassung, dass seine Versicherungspflicht insbesondere in dem Aufnahmebescheid vom 28.7.2005 festgestellt worden sei. Das LSG verkenne die Grundsätze der sog Formalversicherung. Die Beklagte dürfe nach der Rechtsprechung des BVerfG auch nicht ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung wechseln. Zudem habe die Jagdpacht keinerlei Bezugspunkt zu den Niederlanden und dem dort geltenden Sozialversicherungssystem. Insofern liege keine Kollisionslage vor, die durch die Anwendung der besonderen europarechtlichen Kollisionsvorschriften auf seine Leistungsansprüche gelöst werden müsste.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Urteile und Bescheide beruhen auf einer Rechtsverletzung. Der Kläger stand nach dem Gesamtzusammenhang der in dem Bescheid vom 28.7.2005 getroffenen Regelungen bei der Beklagten in einem formalen Versicherungsverhältnis (dazu unter 1.) und hat als bei der Beklagten Versicherter am 17.5.2008 einen Arbeitsunfall erlitten (hierzu unter 2.). Dem Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls nach deutschem Recht stehen europarechtliche Regelungen nicht entgegen (vgl unter 3.).

11

Der Kläger begehrt mit der zulässigen Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung, dass der Unfall vom 17.5.2008, als er beim Reparieren eines Hochsitzes auf dem Gelände der von ihm betriebenen Jagdpacht abstürzte und verschiedene Verletzungen erlitt, ein Arbeitsunfall ist. Die Anfechtungsklage ist begründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtswidrig war und der Kläger dadurch in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Feststellung, weil ein Arbeitsunfall iS von § 8 SGB VII vorliegt. Damit ist auch die Feststellungsklage begründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis besteht.

12

1. Der Kläger stand bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses in einem (formalen) Versicherungsverhältnis. Der Bescheid vom 28.7.2005 beinhaltet bei objektiver Betrachtung die Feststellung des Bestehens einer Pflichtversicherung des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten (dazu a). Dieser auf eine bestehende Befugnisnorm (dazu b) gestützte Bescheid ist zwar rechtswidrig (dazu c). Die in dem Bescheid getroffenen Regelungen beruhen auf einer Ermächtigungsgrundlage (dazu d), ihre Wirksamkeit scheitert weder an europarechtlichen Kollisionsnormen (dazu e), noch sind sie nach deutschem Sozialverwaltungsrecht nichtig (dazu f). Dahinstehen kann, ob darüber hinaus die Voraussetzungen einer Formalversicherung bestehen, weil bereits ein formales Versicherungsverhältnis vorliegt (dazu g).

13

a) Nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII sind Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sowie ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner kraft Gesetzes unfallversichert. Hierzu zählen auch Jagdpächter iS von § 11 Bundesjagdgesetz(BJgdG, idF der Bekanntmachung vom 29.9.1976 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29.5.2013 ) und zwar ohne Rücksicht darauf, ob mit der Ausübung des Jagdrechts ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (BSG Urteil vom 20.12.1961 - 2 RU 136/60 - BSGE 16, 79 = SozR Nr 24 zu § 537 RVO).

14

Unabhängig von der Frage, ob für den Kläger aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen (§ 6 SGB IV iVm Art 13 ff VO 1408/71) wegen seiner selbständigen Tätigkeit und seines Wohnsitzes in den Niederlanden die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts ausgeschlossen ist und dementsprechend die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII auf ihn keine Anwendung finden(vgl hierzu im Einzelnen unter 1 c), war er jedenfalls aufgrund des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 28.7.2005 gegen Unfälle, die seiner Jagdpacht zuzurechnen sind, versichert. Die Feststellung des Bestehens der Pflichtmitgliedschaft ist ein Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X, weil sie die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts beinhaltet und auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist(vgl BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2 zum Versicherungsschein; BSG Urteil vom 24.11.2005 - B 12 KR 18/04 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 23 f).

15

Der Senat legt den Bescheid vom 28.7.2005 nach dem Gesamtzusammenhang seiner Verfügungssätze so aus, dass der Kläger als Empfänger diesen nur so verstehen konnte, dass ihm persönlich Versicherungsschutz bei seiner Tätigkeit als Jagdpächter zustehen soll. Zwar beziehen sich die in dem Bescheid vom 28.7.2005 ausdrücklich formulierten Verfügungssätze lediglich auf die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis, die Feststellung der Pflichtmitgliedschaft und die damit verbundene Beitragspflicht sowie die Größe des Jagdreviers als Berechnungsgrundlage für den zu zahlenden Beitrag. Bei der Auslegung von Verfügungssätzen iS des § 31 SGB X ist jedoch vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten(§ 133 BGB) auszugehen, wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, die die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG Urteil vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 f; BSG Urteil vom 16.11.1995 - 4 RLw 4/94 - SozR 3-1300 § 31 Nr 10 S 12). Maßgebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung (BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 8/07 R - juris RdNr 12; BSG Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 15; vgl BSG Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 99 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 12 f; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 56) bzw das objektivierte Empfängerverständnis (BSG Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25; vgl BSG Urteil vom 1.3.1979 - 6 RKa 3/78 - BSGE 48, 56, 58 f = SozR 2200 § 368a Nr 5 S 10). Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehaltes eines Verwaltungsaktes kommt es mithin darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten bzw durften (vgl BVerwG Urteil vom 7.6.1991 - 7 C 43/90 - NVwZ 1993, 177, 179; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl 2012, § 35 RdNr 54). Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BVerwG Urteil vom 18.6.1980 - 6 C 55/79 - BVerwGE 60, 223, 228).

16

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien durfte der Kläger davon ausgehen, dass mit der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis und der Feststellung der Pflichtmitgliedschaft eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung in einem an ihn persönlich adressierten und unter Erwähnung der von ihm selbst ausgeübten Jagdpacht gefassten Bescheid, er persönlich gegen Unfälle im Zusammenhang mit der Jagdpacht künftig versichert werden sollte (vgl BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 2). Dies folgt zum einen daraus, dass in dem Begründungstext des Bescheids vom 28.7.2005 auf § 123 SGB VII verwiesen wird, aus dem sich iVm § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII die Versicherungspflicht für Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens als zwingende Rechtsfolge ergibt. Auch wenn sich die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts iS des § 77 SGG grundsätzlich auf den Verfügungssatz beschränkt(BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21), kann einem Satz der Begründung eines Verwaltungsakts nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht eine solche Bedeutung zukommen, dass er unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten als selbständige Feststellung im Sinne eines (weiteren) Verfügungssatzes zu werten ist (BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21; BSG Urteil vom 30.1.1990 - 11 RAr 47/88 - BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Verstärkt wird dies im vorliegenden Fall durch den Umstand, dass nach den Feststellungen des LSG, die seitens der Beteiligten nicht in Zweifel gezogen werden, dem Bescheid als Anlage ein "Merkblatt über die gesetzliche Unfallversicherung der Jagden" beigefügt war, welches unter Nennung des § 2 SGB VII ausdrücklich ausführt, dass sich der Versicherungsschutz in der LUV auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter) erstrecke.Diese Erklärung kann von einem objektiven Empfängerhorizont aus nur so verstanden werden, dass dem Kläger gegenüber das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses zwischen ihm und der Beklagten, also ein Rechtsverhältnis, festgestellt wird (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2).

17

Der Kläger musste zudem davon ausgehen, dass der an ihn persönlich gerichtete Bescheid nach Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen durch eine Berufsgenossenschaft in seinem konkreten Einzelfall im Rahmen eines - von Amts wegen eingeleiteten - Verwaltungsverfahren iS von § 8 SGB X erfolgt ist(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), und daher alle rechtlichen Aspekte geprüft wurden. Bei Irrtum der erlassenden Behörde über rechtliche Voraussetzungen oder tatsächliche Umstände bleibt bis zum Eintritt des Versicherungsfalls allenfalls das Rücknahmeinstrumentarium der §§ 44 ff SGB X, von dem die Beklagte vorliegend gerade keinen Gebrauch gemacht hat(vgl BSG Urteil vom 5.7.1994 - 2 RU 33/93 - juris; BSG Urteil vom 26.9.1986 - 2 RU 54/85 - mwN in HV-Info 1987, 33).

18

b) Ermächtigungsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht ist § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII, wonach der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer feststellt(BSG Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 3/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 4 RdNr 14). Die Vorschrift ermächtigt nicht nur zur Feststellung der sachlichen und örtlichen "Zuständigkeit", sondern auch dazu, einem Unternehmer gegenüber (irgend)ein Versicherungsverhältnis zwischen diesem und dem Träger festzustellen (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 31).

19

c) Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 28.7.2005 ist jedoch, was das LSG zutreffend erkannt hat, rechtswidrig, weil der Kläger kraft europäischer Kollisionsnormen ausschließlich dem gesetzlichen Regelungsregime der Niederlanden unterlag. Dies ändert jedoch nichts an der Wirksamkeit der in dem Bescheid aus der Sicht des Empfängerhorizonts (vgl soeben b) getroffenen Regelungen über einen Versicherungsschutz des Klägers als Jagdpächter (sogleich unter d ff).

20

Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 vom 14.6.1971 (ABl L 149 vom 5.7.1971, S 2-50) Anwendung und nicht die VO (EG) 883/2004, die die VO (EWG) 1408/71 erst zum 1.5.2010 - mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 - abgelöst hat (Art 91 VO 883/2004; Art 97 VO 987/2009). Aus Art 87 Abs 1 VO (EG) 883/2004, der nach Art 93 VO (EG) 987/2009 für Sachverhalte im Anwendungsbereich der Durchführungsverordnung gilt, ergibt sich, dass das neue Recht keinen Anspruch für den Zeitraum vor Beginn seiner Anwendung begründet (vgl EuGH Urteil vom 19.7.2012 - C-522/10 - "Reichel-Albert" - EuGHE I 2012, 518, RdNr 26). Zum einen begehrt der Kläger vorliegend nur die Feststellung eines Versicherungsfalls, nicht hingegen die Zahlbarmachung einer konkreten Leistung. Aber selbst wenn man diese Feststellung als (notwendige) Vorstufe für den Leistungsfall ansieht, stellt sie die Grundlage für die bereits seitens der Beklagten unmittelbar nach dem Unfallereignis erbrachten Sachleistungen dar, weshalb Gegenstand des Rechtsstreits nicht alleine Leistungen für die Zeit nach Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 sind. Der Fall ist daher umfassend nach der VO (EWG) 1408/71 zu prüfen.

21

Der Kläger unterlag hier den Vorschriften des niederländischen Rechts. Nach Art 13 Abs 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen, vorbehaltlich der Art 14c und 14f, Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Art 13 Abs 2 lit b VO (EWG) 1408/71 bestimmt näher, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Abweichend hiervon sieht Art 14a Nr 2 und 3 der VO (EWG) 1408/71 vor, dass eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. Eine Person, die eine selbständige Tätigkeit in einem Unternehmen ausübt, das seinen Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats hat und durch dessen Betrieb die gemeinsame Grenze von zwei Mitgliedstaaten verläuft, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat (Nr 3). Keine dieser Varianten liegt hier vor. Vielmehr verfügt der Kläger nach den Feststellungen des LSG über zwei Wohnsitze und übt zwei verschiedene selbständige Tätigkeiten in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten isoliert nebeneinander aus. Der EuGH hat hierzu durch Beschluss vom 20.10.2000 klargestellt, dass der in Art 13 VO (EWG) 1408/71 verankerte Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts gebiete, auch in solchen Fällen auf den "Wohnort" abzustellen (EuGH Urteil vom 20.10.2000 - C-242/99 - "Vogler" - EuGHE I 2000, 9083, RdNr 24 und RdNr 27; in diesem Sinne auch EuGH Urteil vom 18.4.2013 - C-548/11 - "Mulders" - vgl dazu Fuchs, NZS 2014, 121, 124).

22

Der Kläger hatte seinen Wohnort in diesem Sinne in den Niederlanden. Als Wohnort bestimmt Art 1 lit h VO (EWG) 1408/71 den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Kommen zwei Aufenthaltsorte (Art 1 lit i VO 1408/71) in Betracht, bestimmt sich der Wohnort nach objektiven und subjektiven Umständen. Entscheidend ist, wo sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen des Einzelnen befindet (Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 1 RdNr 31). Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass der Begriff des Mitgliedstaats, in dem die Person wohnt, den Staat bezeichnet, in dem die Person gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet (EuGH Urteil vom 16.5.2013 - C-589/10 - "Wencel" - ZESAR 2013, 456; EuGH Urteil vom 25.2.1999 - C-90/97 - "Swaddling" - EuGHE I 1999, 1075, RdNr 29). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hielt sich der Kläger zeitlich überwiegend an seinem Wohnort in den Niederlanden auf, wo er eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer ausübte. Die rechtliche Schlussfolgerung des LSG, den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und damit seinen Wohnort iS von Art 1 lit h und i VO (EWG) 1408/71 als in den Niederlanden liegend zu bestimmen, ist daher nicht zu beanstanden. Ein anderes Ergebnis würde sich im Übrigen wohl auch nicht unter Anwendung der VO (EG) 883/2004 ergeben.

23

d) Trotz seiner Rechtswidrigkeit ist der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 gleichwohl wirksam. Der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 wurde dem Kläger ordnungsgemäß bekannt gegeben (§ 37 Abs 1 SGB X; BSG Urteil vom 13.11.1985 - 1/8 RR 5/83 - BSGE 59, 122, 128 = SozR 2200 § 253 Nr 2). Die Ermächtigung des § 136 Abs 1 SGB VII gilt nämlich auch dann, wenn die Feststellung erfolgt, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Beklagte hat sich somit auf eine vorhandene Ermächtigungsgrundlage gestützt, um durch den Aufnahmebescheid den Beginn der von ihr angenommenen Zuständigkeit aufgrund einer gesetzlichen Versicherung des Unternehmers nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII festzustellen(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s zum Aufnahmebescheid Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5).

24

e) Die Wirksamkeit der Feststellung des Versicherungsschutzes scheitert nicht an europarechtlichen Kollisionsnormen, die lediglich das anzuwendende materielle Recht (Statut), nicht hingegen - wie Sachnormen - unmittelbar das zugrunde liegende Lebensverhältnis und damit auch das Verfahrensrecht regeln (von Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967, S 22 ff). Zwar genießen unmittelbar geltende Vorschriften des Unionsrechts im Kollisionsfall Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht (s EuGH Urteil vom 15.7.1964 - C-6/64 - "Costa./. E.N.E.L" - EuGHE 1964, 1251; EuGH Urteil vom 7.2.1991 - C-184/89 - "Nimz" - EuGHE I 1991, I-297, RdNr 19; BVerfGE 75, 223, 244; BVerfGE 85, 191, 204).Jedoch beeinflusst der Grundsatz vom "Vorrang des Unionsrechts" nicht die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl 2011, Einführung II RdNr 38), wonach diese berechtigt und verpflichtet sind, das Unionsrecht ebenso wie das nationale Recht nach den Regelungen des nationalen (Verwaltungs-) Verfahrensrechts unter Berücksichtigung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze der EU zu vollziehen, soweit nicht unmittelbar geltende Verfahrensbestimmungen der EU ausnahmsweise vorgehen (vgl EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/82 - "Milchkontor" - EuGHE 1983, 2633, 2665; vgl BVerwG Urteil vom 29.11.1990 - 3 C 77.87 - BVerwGE 87, 154, 158). Art 48 AEUV sieht wie zuvor Art 42 EGV gerade eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vor, weshalb im Übrigen die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt werden. Somit bleibt jeder Mitgliedstaat dafür zuständig, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (vgl EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737). Ebenso wenig wie die VO (EWG) 1408/71 gemäß § 6 SGB IV gegenüber § 3 SGB IV vorrangige Regelungen zum Bestehen der Versicherungspflicht nach nationalem Recht sowie einer Pflichtmitgliedschaft bei einem nationalen Sozialversicherungsträger enthält, sondern diese nur ergänzt(BSG Urteil vom 26.1.2005 - B 12 P 4/02 R - SozR 4-2400 § 3 Nr 1; vgl BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 1 KR 5/98 R - BSGE 84, 98, 100 = SozR 3-2400 § 3 Nr 6 S 8), kann sie demgemäß ein nach nationalem Verwaltungsverfahrensrecht entstandenes (formales) Versicherungsverhältnis beseitigen. Eine europarechtliche Norm, die bestimmt, dass ein materiell europarechtswidriger Verwaltungsakt grundsätzlich nichtig ist, existiert ersichtlich nicht.

25

f) Der das Versicherungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten feststellende Verwaltungsakt vom 28.7.2005 ist auch nicht gemäß § 40 SGB X nichtig. Die in § 40 Abs 2 SGB X genannten Tatbestände liegen nicht vor. Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Auch wenn aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen der Kläger alleine dem niederländischen Sozialversicherungsrecht unterfällt und die Feststellung eines Sozialversicherungsverhältnisses nach deutschem Recht mithin objektiv rechtswidrig war, war dieser Fehler nach den Kriterien des § 40 Abs 1 SGB X nicht "offensichtlich". Maßstab für die "Offensichtlichkeit" eines Fehlers ist der Durchschnittsbürger, der ohne besondere Sachkenntnis den Fehler erkennen können muss (vgl nur Roos in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10 mwN). Dass ein Jagdpächter, der zumindest auch über einen Wohnsitz im Gebiet des Geltungsbereichs des SGB X verfügt, hinsichtlich seiner in Deutschland betriebenen Jagdpachten deutschem Sozialversicherungsrecht nicht unterliegt, ist nicht in diesem Sinne offenkundig (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2005 - B 2 U 409/04 B - juris). Selbst bei groben Zuständigkeitsverstößen ist ein Feststellungsbescheid daher zwar rechtswidrig aber nicht nichtig (BSG Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 285 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; BSG Urteil vom 30.10.1974 - 2 RU 42/73 - BSGE 38, 187, 192 = SozR 2200 § 664 Nr 1; s auch Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, § 136 RdNr 3). Schließlich führt auch der (oben unter e> bereits zitierte) Grundsatz vom "Vorrang des Europarechts" nicht dazu, dass jeder Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht binnenstaatlich als Nichtigkeitsgrund zu behandeln ist (BVerwG Beschluss vom 11.5.2000 - 11 B 26/00 - NVwZ 2000, 1039; BVerwG Urteil vom 18.4.1997 - 3 C 3.95 - BVerwGE 104, 289, 295 f; vgl EuGH Urteil vom 19.9.2006 - C-392/04, C-422/04 - "i-21 Germany und Arcor" - EuGH I 2006, 8559 ff).

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g) Der Senat konnte es aufgrund des durch Verwaltungsakt vom 28.7.2005 festgestellten formalen Versicherungsverhältnisses dahinstehen lassen, ob auch die Voraussetzungen einer Formalversicherung vorliegen, weil die Beklagte den Kläger ohne dessen Verschulden auch vom Beitragsjahr 2005 an regelmäßig zu Beiträgen veranlagt hat. Während das hier vorliegende formale Versicherungsverhältnis durch einen rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt begründet wird (vgl grundlegend BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), stellt die Rechtsprechung des BSG zur Formalversicherung im Wesentlichen auf den Vertrauensschutz desjenigen ab, der (wegen der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied und zugleich als Versicherter) unbeanstandet Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet hat (s BSG Urteil vom 30.3.1988 - 2 RU 34/87 - SozR 2200 § 539 Nr 126 mwN; BSG Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 - SozR 2200 § 776 Nr 8 mwN; BSG Urteil vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71 = SozR Nr 40 zu § 539 RVO). Die Formalversicherung kann sich auch auf Fälle erstrecken, in denen einzelne nicht versicherungspflichtige Personen in den Lohnnachweis aufgenommen und bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt worden sind (BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - juris; vgl BSG Urteil vom 27.7.1972 - 2 RU 193/68 - BSGE 34, 230, 233 = SozR Nr 1 zu § 664 RVO mwN).

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Durch den materiell-rechtlich rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt vom 28.7.2005 (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X), der dem Kläger ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde (§ 37 Abs 1 SGB X)ist somit ein formales Versicherungsverhältnis begründet worden (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s auch Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5). Damit war der Kläger kraft der Regelungswirkung des Verwaltungsakts und unabhängig von dem anwendbaren Rechtsstatut zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses gegen im wesentlichen Zusammenhang mit seiner Jagdpacht stehende Unfälle versichert, weil die Beklagte das versicherungsrechtliche Wagnis, gegen das die Unfallversicherung schützt, rechtsverbindlich übernommen hat (vgl BSG Urteil vom 30.6.1965 - 2 RU 175/63 - BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr 1 zu § 555 RVO; BSG Urteil vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 3).

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2. Das Ereignis vom 17.5.2008 stellte auch einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs 1 SGB VII dar. Hiernach sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Tatbestandsvoraussetzung eines Arbeitsunfalls (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17; vgl BSG Urteil vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 9 mwN).

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Der Unfall in Form des Sturzes vom Hochsitz ereignete sich bei einer Verrichtung des Klägers, die sowohl objektiv (BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) als auch subjektiv auf Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet war. Im Bereich der Unternehmerversicherung sind alle Tätigkeiten, die im inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, versichert (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 RdNr 10.3.), und daher auch alle Nebentätigkeiten, die dem Erhalt des Jagdreviers dienen, somit auch die Reparatur eines Hochsitzes (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 123 RdNr 13). Der Kläger hat zudem rechtlich wesentlich durch das angeschuldigte Unfallereignis verursacht Gesundheitsschäden in Form von Frakturen zweier Lendenwirbelkörper und des Handgelenks erlitten.

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3. Aus dem formalen Versicherungsverhältnis folgt der Anspruch des Klägers, den Versicherungsfall festzustellen. Die Anerkennung eines Versicherungsfalls nach deutschem Unfallversicherungsrecht führt auch nicht zu Wirkungsverlusten des Unionsrechts. Zum einen wird dadurch keine verfahrensrechtliche Schlechterstellung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im Sinne des Diskriminierungsverbots bewirkt (s EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/215/82 - "Milchkontor" - EuGHE I 1983, 2633) noch wird zum anderen die effektive Durchsetzung des Unionsrechts dadurch behindert (sog Effektivitätsgebot, EuGH Urteil vom 15.9.1998 - C-231/96 - "Edis" - EuGHE I 1998, 4951, RdNr 19 und 34). Die Bestimmungen der VO (EWG) 1408/71 sind im Lichte des Art 48 AEUV so auszulegen, dass sie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern sollen (EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737, RdNr 70). Dies impliziert, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Eine Auslegung dieser Bestimmungen, die es einem Mitgliedstaat verbietet, Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung europarechtlicher Normen ergibt, liefe dem Ziel der VO (EWG) 1408/71 und Art 48 AEUV zuwider (vgl EuGH Urteil vom 16.7.2009 - C 208/07 - "von Chamier-Gliszinski" - EuGHE I 2009, 6097, RdNr 56). Entscheidend ist, ob bei unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der Art 13 ff der VO (EWG) 1408/71 gewährten Leistungen des nicht zuständigen Mitgliedstaates (hier Deutschlands) ein Arbeitnehmer in Folge der Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit einen Rechtsnachteil erleidet (s EuGH Urteil vom 12.6.2012 - C-611/10 ua - "Hudzinski" - juris RdNr 26 ff).Dies gilt auch für die Freiheit der Selbständigen als Teil der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV), da die Freizügigkeit auch diesbezüglich oberster Leitgedanke der Koordinierung ist (s Art 48 Abs 1 AEUV; vgl Fuchs in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 1 Aufl 2009, VO 1408/71 RdNr 4 zu Art 39 ff; Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Vorbemerkungen zu Art 39 EG RdNr 1).

31

Durch die vom Kläger begehrte Feststellung des Versicherungsfalls in Deutschland sind indes keinerlei Nachteile oder gar ein Verlust etwaiger Leistungsansprüche im zuständigen Mitgliedstaat Niederlande zu befürchten. Das BSG ist nicht durch § 162 SGG gehindert, insoweit auch ausländisches Recht zu prüfen(BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 13/5 RJ 39/90 - BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSG Urteil vom 24.7.1997 - 11 RAr 95/96 - BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 49/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25; BSG Urteil vom 31.8.1977 - 1 RA 155/75 - BSGE 44, 221, 222 = SozR 5050 § 15 Nr 8), weil das LSG - aus seiner Sicht konsequent - das niederländische Recht nicht erörtert hat (vgl BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 24/91 - BSGE 71, 163 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSG Urteil vom 8.7.1993 - 7 RAr 64/92 - BSGE 73, 10 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1).

32

Eine gesetzliche Unfallversicherung existiert in den Niederlanden nicht (Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4 Aufl 2005, Art 61 RdNr 2). Ansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität werden dort unabhängig von der Entstehungsursache durch verschiedene Arbeitnehmerversicherungen (werknemersverzekeringen) entschädigt, die im Unterschied zu den wohnsitzabhängigen Volksversicherungen (volksverzekeringen) alleine abhängig Beschäftigten, nicht aber Selbständigen offenstehen (vgl Pabst, BPUZ 11/2002, 580; Walser, ZFSH/SGB 2008, 195; s auch http://www.svb.nl/int/de sowie http://www.government.nl/documents-and-publications/leaflets/2012/08/02/short-survey-of-social-security-in-the-netherlands-1-july-2012.html). Der Senat hat keine Zweifel, dass der Kläger als Bauunternehmer in den Niederlanden eine selbständige Berufstätigkeit ausgeübt hat, in deren Rahmen er Leistungen erhielt, die es ihm ermöglichten, ganz oder teilweise seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (EuGH Urteil vom 23.10.1986 - C-300/84 - "van Roosmalen" - EuGHE I 1986, 3097). Nach den Angaben des Klägers hat dieser auch von der im niederländischen Recht vereinzelt bestehenden Möglichkeit, sich freiwillig in einem Zweig der gesetzlichen Arbeitnehmerversicherung gegen Krankheit oder Invalidität zu versichern, keinen Gebrauch gemacht. Im Ergebnis ist somit das Eingreifen nationaler Antikumulierungsvorschriften iS von Art 12 Abs 2 VO (EWG) 1408/71, die zu einem Rechtsnachteil für den Kläger führen könnten, wenn Versicherungsschutz (und Leistungen) nach deutschem Recht gewährt werden, nicht denkbar. Der Senat konnte dabei dahinstehen lassen, ob der Kläger eine private Unfallversicherung zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses abgeschlossen hatte, weil diese nicht zu den in Art 4 VO (EWG) 1408/71 vorausgesetzten Zweigen der sozialen Sicherheit zählt (vgl Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 4 RdNr 5) und dementsprechend bei etwaigen Antikumulierungsnormen keine Berücksichtigung findet.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Ist die Berufung nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Bei dem Gericht der Klage kann eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.

(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds

1.
die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden,
2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird,
3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.

(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die vor dem Landessozialgericht erhobene Klage auf Feststellung einer Siderofibrose als Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs 2 SGB VII unzulässig ist.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren nur noch über die Anerkennung einer Siderofibrose als Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs 2 SGB VII.

2

Der im Jahr 1949 geborene Kläger ist gelernter Metallwerker. Er war nach seiner Ausbildung von Juni 1967 bis Februar 2005 (mit Unterbrechungen) als Schweißer beschäftigt. Seither arbeitet er als Betriebsschlosser. Während seiner beruflichen Tätigkeit war er einer Gesamtdosis an Schweißrauchgasen in Höhe von 359,3 mg/m³ x Jahre (Schweißrauchjahren) ausgesetzt. Er arbeitete dabei zumeist in einer 100 m² großen und durch 2,5 m hohe Stellwände von der übrigen 15 m hohen Produktionshalle abgegrenzten Schweißkabine, welche nach oben offen war, sodass die Schweißgase aufgrund thermischer Effekte nach oben abziehen konnten. Mindestens einmal stündlich kam es zu einem Luftaustausch in der Produktionshalle.

3

Im März 2003 leitete eine Rechtsvorgängerin der Beklagten infolge einer ärztlichen Verdachtsanzeige ein Verwaltungsverfahren ein. Nach Ermittlungen zur Exposition von Schweißgasen und Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankung als bzw wie eine BK ab (Bescheid vom 21.8.2003). Beim Kläger bestehe zwar eine geringe Lungenfibrose. Ein solcher Befund könne jedoch keiner Listen-BK zugeordnet werden. Auch eine Wie-BK liege nicht vor, weil keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verursachung der Siderofibrose vorlägen.

4

Zum 1.7.2009 wurde in die Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) die BK Nr 4115 eingeführt (in Zukunft BK 4115). Diese lautet: "Lungenfibrose durch extreme und langjährige Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen - (Siderofibrose)". Dieser Einführung lag die wissenschaftliche Begründung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten vom 1.9.2006 zugrunde.

5

Die Beklagte leitete im Oktober 2007 nach erneuter Verdachtsanzeige ein neues Verfahren ein. Nach Einholung einer weiteren Auskunft des Präventionsdienstes sowie zweier medizinischer Sachverständigengutachten lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 21.8.2003 gemäß § 44 SGB X ab. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei zwar langjährig der Einwirkung von Schweißrauch ausgesetzt gewesen, er habe aber nicht unter extremen Bedingungen bei eingeschränkten Lüftungsverhältnissen geschweißt (Bescheid vom 30.7.2009).

6

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos. Die Beklagte führte in dem Widerspruchsbescheid vom 7.1.2010 aus, dass zwar im Jahr 2003 eine Wie-BK zu prüfen gewesen sei, im aktuellen Überprüfungsverfahren aber die neu eingeführte BK 4115 geprüft werden könne. Der Widerspruch sei unbegründet, weil mangels extremer Arbeitsbedingungen keine BK anerkannt werden könne.

7

Die mit dem Ziel erhobene Klage, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30.7.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.1.2010 zu verurteilen, den Bescheid vom 21.8.2003 aufzuheben und den Kläger hinsichtlich der Anerkennung einer BK 4115 der Anlage 1 zur BKV unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, hat das SG mit Urteil vom 3.7.2012 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger sei zwar langjährig Schweißgasen ausgesetzt gewesen, jedoch fehle es an den für die Anerkennung der BK 4115 erforderlichen extremen Bedingungen.

8

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zunächst das Ziel der Anerkennung einer BK 4115 weiter verfolgt. In der mündlichen Verhandlung hat er den Antrag sodann jedoch umgestellt und nunmehr begehrt, ab dem 1.9.2006 eine Siderofibrose als Wie-BK anzuerkennen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-BK nicht erfüllt seien. Es hat zunächst ausgeführt, dass die Beklagte entgegen der Begründung und des Tenors des Bescheids vom 30.7.2009 nicht im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens, sondern in einem originären Verwaltungsfahren nach neuer Verdachtsanzeige entschieden habe. Zulässiger Verfahrensgegenstand sei damit alleine eine Wie-BK. Zwar komme nach der Rückwirkungsklausel des § 6 Abs 2 Satz 1 BKV auch eine BK 4115 in Betracht. Da jedoch beide Verdachtsanzeigen vor der Einführung der BK 4115 zum 1.7.2009 vorgelegen hätten und die Beklagte alleine über das Vorliegen einer Wie-BK entschieden habe, komme nur dieser Versicherungsfall als Verfahrensgegenstand in Betracht. Hierfür sei allerdings auf die Tatbestandsmerkmale der neuen BK 4115 zurückzugreifen. Das Tatbestandsmerkmal der "extremen Einwirkung" iS der BK 4115 sei nur gegeben, wenn das Schweißen unter eingeschränkten Belüftungsverhältnissen, wie zB in Kellern, Tunneln, Behältern, Tanks, Containern, engen Schiffsräumen oder vergleichbaren räumlichen Verhältnissen bei arbeitshygienisch unzureichenden Vorkehrungen stattgefunden habe. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Alleine eine Exposition, wie sie bei allen langjährig tätigen Schweißern aufträte, sei auch für die Anerkennung einer Wie-BK nicht ausreichend.

9

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision hat der Kläger die Verletzung des § 9 Abs 1 und Abs 2 SGB VII gerügt und zunächst begehrt, eine Siderofibrose "als/wie eine Berufskrankheit" festzustellen. Das LSG habe die Begriffe der extremen und langjährigen Einwirkung von Schweißrauchen und Schweißgasen falsch ausgelegt. In der mündlichen Verhandlung vor dem BSG hat der Kläger sodann nur noch die Anerkennung einer Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII geltend gemacht.

10

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 14.1.2015 und das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 3.7.2012 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 30.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.1.2010 aufzuheben und festzustellen, dass bei dem Kläger ab dem 1.9.2006 eine Siderofibrose als Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs 2 SGB VII vorliegt.

11

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Aus der wissenschaftlichen Begründung zu der BK 4115 ergebe sich, dass für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "extremen Einwirkung" auf eingeschränkte Belüftungsverhältnisse abzustellen sei, wie sie in Kellern, Tunneln, Behältern, Tanks und Waggons herrschten. Unter solchen Bedingungen habe der Kläger nicht gearbeitet. Die Exposition von Schweißgasen unter normalen Belüftungsverhältnissen sei nicht ausreichend.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist - nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung nur noch die Feststellung einer Wie-BK und nicht alternativ einer Listen-BKbegehrt - zulässig. Die Revision ist unbegründet, weil das LSG zwar zu Unrecht die Berufung gegen die erstinstanzliche Klageabweisung zurückgewiesen hat, sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 170 Abs 1 S 2 SGG). Daher war im Sinne einer verfahrensrechtlichen Korrektur des angegriffenen Urteils klarzustellen, dass das LSG die Klage bereits als unzulässig hätte abweisen müssen.

14

1. Der Kläger ist durch die Ablehnung der Feststellung einer Wie-BK im Urteil des LSG beschwert und daher klagebefugt. Die Revisionsbegründung genügt noch den Voraussetzungen des § 164 Abs 1 und Abs 2 SGG. Sie setzt sich hinreichend mit § 9 Abs 2 SGB VII und den diesbezüglichen Gründen des LSG auseinander.Zwar beschäftigt sich die Revisionsbegründung vordergründig mit den Voraussetzungen der Anerkennung einer BK 4115, gerügt wird jedoch die "Auslegung des § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB VII in Anwendung der Voraussetzungen gemäß dem Merkblatt zur BK nach Nr. 4115 …". Damit lässt der Hinweis auf § 9 Abs 2 SGB VII noch hinreichend auf die Feststellung einer Wie-BK als Verfahrensziel schließen. Es wird außerdem das Begehren des Klägers deutlich, die zweitinstanzliche Entscheidung in ihr Gegenteil zu verkehren und die dort abgelehnte Feststellung nunmehr zu erhalten. Damit ist hinreichend erkennbar iS des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, weshalb die das Urteil des LSG tragenden Gründe nach Überzeugung der Revision unrichtig sein sollen und dass die Rechtslage von ihr umfassend durchdacht worden ist(zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung nach § 164 SGG vgl das Urteil des Senats vom 11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - NZS 2013, 639, 640; vgl auch BSG vom 26.8.2015 - B 13 R 14/15 R - juris; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 27/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 51, sowie Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 164 RdNr 9c mwN).

15

2. Auf die Revision des Klägers war lediglich auszusprechen, dass das LSG die (geänderte) Klage als unzulässig hätte abweisen müssen. Zwar handelte es sich bei der (erstmaligen) Beantragung der Feststellung einer Wie-BK vor dem LSG um eine zulässige Klageänderung durch den Kläger iS des § 99 SGG(dazu unter a). Jedoch war die mit dieser Änderung der Klage erhobene (neue) Klage vor dem LSG unzulässig (dazu unter b), während der mit der ursprünglichen Klage vor dem SG und der Berufung geltend gemachte Anspruch auf Feststellung einer (Listen-)BK 4115 durch diese Klageänderung vor dem LSG zurückgenommen wurde und daher nicht mehr Streitgegenstand des Verfahrens vor dem LSG war (dazu unter c). Da sich damit die Entscheidung des LSG selbst jedoch aus anderen Gründen als zutreffend darstellt, war die Revision insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

16

a) Die Klageänderung vor dem LSG war gemäß §§ 99, 153 Abs 1 SGG zulässig. Der Kläger hatte zunächst im Berufungsverfahren den vor dem SG geltend gemachten Antrag auf Anerkennung einer Listen-BK 4115 weiterverfolgt. In der mündlichen Verhandlung beim LSG hat er sodann aber die Anerkennung einer Wie-BK ab dem 1.9.2006 beantragt. Hierin lag eine mangels widerspruchsloser Einlassung der Beklagten zulässige Klageänderung iS des § 99 Abs 2 SGG. Eine Klageänderung liegt jedenfalls dann vor, wenn sich der durch Klageantrag und Klagegrund (Lebenssachverhalt) bestimmte Streitgegenstand ändert (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 2). Die Klagen auf Anerkennung einer Listen-BK nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm der Anlage 1 zur BKV einerseits und einer Wie-BK gemäß § 9 Abs 2 SGB VII andererseits sind nach der ständigen Rechtsprechung des Unfallsenats des BSG angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen auf verschiedene Streitgegenstände gerichtet(vgl nur BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 77/06 B - SozR 4-1500 § 55 Nr 4 RdNr 10; BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 3/07 U R - SozR 4-2700 § 9 Nr 13; BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 19/09 R - juris RdNr 14). Nachdem der Kläger vor dem SG ausschließlich die Anerkennung einer (Listen-)BK 4115 beantragt und das SG diese Klage abgewiesen hatte, stellte der in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG erfolgte Antrag auf Feststellung (allein) einer Wie-BK eine Klageänderung gemäß § 99 Abs 1 SGG dar. Der Kläger hat damit in der mündlichen Verhandlung beim LSG deutlich gemacht, dass er einen anderen als den ursprünglich beim SG und mit der Berufung zunächst weiterhin geltend gemachten Ausspruch des Gerichts begehrt. Die damit vorgenommene Klageänderung war aufgrund der widerspruchslosen Einlassung der Beklagten zulässig (§ 99 Abs 2 SGG).

17

b) Diese geänderte Klage war jedoch unzulässig, was das LSG hätte aussprechen müssen. Denn die Zulässigkeit der geänderten Klage ist grundsätzlich von der Zulässigkeit einer Klageänderung zu unterscheiden. Wie der Senat bereits entschieden hat, ersetzt eine wirksame Klageänderung nicht die für die Zulässigkeit der geänderten Klage erforderlichen, ggf fehlenden Prozessvoraussetzungen (insbesondere BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - juris RdNr 14 und BSG vom 2.12.2008 - B 2 KN 2/07 U R - juris RdNr 17). Die Prozessvoraussetzungen einer Klage müssen vielmehr in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein und stehen nicht zur Disposition der Beteiligten (BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - BSGE 91, 287 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1, RdNr 6; BSG vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 20 RdNr 12, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, § 99 RdNr 41). Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen für die zuletzt vor dem LSG noch anhängige Klage hat das Revisionsgericht dabei von Amts wegen zu prüfen (BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - juris RdNr 14; BSG vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 18).Hierzu zählt auch die Einhaltung der Klagefrist (§ 87 SGG). Die Monatsfrist des § 87 Abs 1 SGG war angesichts der Ablehnung einer Wie-BK spätestens mit Erlass des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 7.1.2010 und Stellung des Klageantrags auf Anerkennung einer Wie-BK vor dem LSG am 14.1.2015 für diese (geänderte) Klage nicht gewahrt (BSG vom 28.11.1979 - 3 RK 90/78 - BSGE 49, 163, 165; vgl auch BVerwG vom 23.3.1972 - III C 132.70 - BVerwGE 40, 25, 32; BVerwG vom 30.10.1997 - 3 C 35/96 - BVerwGE 105, 288 S 294; BFH vom 26.2.1980 - VII R 60/78 - BFHE 130, 12 = BeckRS 1980, 22005230 = juris RdNr 13 f; BFH vom 26.1.1982 - VII R 85/77 - BFHE 135, 154 = BeckRS 1982, 22006000 = juris RdNr 36; BFH vom 23.10.1989 - GrS 2/87 - BFHE 159, 4, 10 = NVwZ 1990, 598, 599 = juris RdNr 41).

18

Die Klagefrist ist auch nicht durch den auf Aufhebung des Bescheids vom 30.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.1.2010 gerichteten ursprünglichen Anfechtungsantrag vor dem SG kombiniert mit dem Verpflichtungsantrag hinsichtlich einer Neuverbescheidung der Anerkennung der BK 4115 gewahrt worden. Bei einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungs- bzw Leistungsklage ist der Anfechtungsteil regelmäßig nur unselbständiges Hilfsmittel mit dem Ziel, den angefochtenen Bescheid insoweit zu beseitigen, wie er dem Leistungs- oder Feststellungsbegehren entgegen steht. Damit wird der nicht angefochtene Teil bestandskräftig (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 13a). Dem beim SG gestellten Antrag und dem Verfahrensstoff ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Bescheide der Beklagten gerade im Hinblick auf die Ablehnung einer Wie-BK angefochten worden sind, so dass nicht gemäß § 123 SGG ein dem Wortlaut des Antrags widersprechendes Begehren angenommen werden kann(vgl BSG vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 20 RdNr 12). Daher kann auch dem vor dem SG zunächst gestellten Klageantrag nicht die Wirkung einer fristwahrenden Klage gegen die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII zugemessen werden.

19

Dahinstehen kann damit, ob es auch an der funktionellen (instanziellen) Zuständigkeit des LSG gemäß § 29 SGG als für die Feststellung einer Wie-BK erstmals angerufenem Gericht fehlt(vgl dazu die beim Senat anhängige Revision B 2 U 4/16 R; zuletzt BSG vom 26.4.2016 - B 2 U 13/14 R - juris RdNr 22; BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - juris RdNr 14; BSG vom 23.4.2015 - B 5 RE 23/14 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 20 RdNr 12, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen sowie BSG vom 31.7.2002 - B 4 RA 20/01 R - SozR 3-1500 § 29 Nr 1 S 6; hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 6; Roller in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 99 RdNr 9; Eckertz in Lüdtke, SGG, 4. Aufl 2012, § 153 RdNr 21).

20

Ebenso kann dahinstehen, ob die Zulässigkeit der geänderten Klage auch an einem fehlenden Vorverfahren (§ 78 SGG) betreffend die Klage auf Anerkennung einer Wie-BK scheitert (vgl BSG vom 24.6.2003 - B 2 U 21/02 R - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, RdNr 8; Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2013, § 99 RdNr 21), weil die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 7.1.2010 offenbar nicht über einen Anspruch auf Anerkennung einer Wie-BK, sondern nur über eine Listen-BK 4115 entschieden haben könnte (zur Auslegung von Verwaltungsakten zuletzt BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15).

21

c) Der mit der ursprünglichen Klage vor dem SG und der Berufung geltend gemachte Anspruch auf Feststellung einer (Listen-)BK 4115 ist hingegen durch die Klageänderung vor dem LSG konkludent zurückgenommen worden (BSG vom 31.3.1993 - 13 RJ 33/91 - juris RdNr 15; vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 102 RdNr 2). Dieser Anspruch hatte sich damit erledigt (§ 102 Abs 1 Satz 2 SGG), weshalb er nicht mehr Gegenstand einer Berufungsentscheidung sein konnte.

22

Das LSG hat mithin - insoweit es mit der Zurückweisung der Berufung über das im Berufungsverfahren im Wege der Klageänderung erstmalig erhobene Begehren auf Feststellung einer Wie-BK entschieden hat - die Unzulässigkeit dieser Klage verkannt.Damit erweist sich aber die Entscheidung des LSG, mit der es das Rechtsschutzbegehren des Klägers - nämlich die Berufung gegen die Abweisung seiner Klage - zurückgewiesen hat, aus anderen - prozessualen - Gründen als richtig und die Revision war gemäß § 170 Abs 1 Satz 2 SGG zurückzuweisen(vgl zum umgekehrten Fall BSG vom 28.10.1966 - 4 RJ 339/64 - BSGE 25, 251, 253 f; BSG vom 11.12.1963 - 5 RKn 39/62 - SozR Nr 30 zu § 51 SGG sowie BSG vom 11.9.1980 - 1 RA 43/79 - SozR 1200 § 14 Nr 8 = juris RdNr 27). Das LSG hätte die geänderte Klage als unzulässig abweisen müssen, was im Tenor der Zurückweisung der Revision klarzustellen war.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt die nur geringfügige verfahrensrechtliche Korrektur der angegriffenen Entscheidung.

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit gelten die §§ 17, 17a und 17b Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechend. Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2 und 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes sind unanfechtbar.

(1) Hat ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg rechtskräftig für zulässig erklärt, sind andere Gerichte an diese Entscheidung gebunden.

(2) Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig, spricht das Gericht dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Sind mehrere Gerichte zuständig, wird an das vom Kläger oder Antragsteller auszuwählende Gericht verwiesen oder, wenn die Wahl unterbleibt, an das vom Gericht bestimmte. Der Beschluß ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges bindend.

(3) Ist der beschrittene Rechtsweg zulässig, kann das Gericht dies vorab aussprechen. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.

(4) Der Beschluß nach den Absätzen 2 und 3 kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Er ist zu begründen. Gegen den Beschluß ist die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Den Beteiligten steht die Beschwerde gegen einen Beschluß des oberen Landesgerichts an den obersten Gerichtshof des Bundes nur zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Die Beschwerde ist zuzulassen, wenn die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn das Gericht von der Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht. Der oberste Gerichtshof des Bundes ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden.

(5) Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend.

(1) Auf die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft finden anstelle der Vorschriften über das Umlageverfahren aus dem Vierten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts die folgenden Absätze Anwendung.

(2) Die Einzelheiten der Beitragsberechnung bestimmt die Satzung.

(3) Landwirtschaftlichen Unternehmern, für die versicherungsfreie Personen oder Personen tätig sind, die infolge dieser Tätigkeit bei einem anderen Unfallversicherungsträger als der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft versichert sind, wird auf Antrag eine Beitragsermäßigung bewilligt. Das Nähere bestimmt die Satzung.

(4) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen landwirtschaftliche Unternehmer kleiner Unternehmen mit geringer Unfallgefahr ganz oder teilweise von Beiträgen befreit werden.

(5) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft teilt den Unternehmern den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Der Beitragsbescheid ist mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten der Unternehmer nur dann aufzuheben, wenn

1.
die Veranlagung des Unternehmens nachträglich geändert wird,
2.
eine im Laufe des Kalenderjahres eingetretene Änderung des Unternehmens nachträglich bekannt wird,
3.
die Feststellung der Beiträge auf unrichtigen Angaben des Unternehmers oder wegen unterlassener Angaben des Unternehmers auf einer Schätzung beruht.
Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches bedarf es nur in den Fällen des Satzes 2.

(5a) Zur Sicherung des Beitragsaufkommens soll die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Vorschüsse bis zur Höhe des voraussichtlichen Jahresbedarfs erheben. Die Satzung regelt das Nähere zur Fälligkeit der Beiträge und Vorschüsse sowie zum Verfahren der Zahlung.

(5b) Der Beitrag und die Vorschüsse sollen auf der Grundlage eines Lastschriftmandats eingezogen werden.

(6) Die Unternehmer haben der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft über die Unternehmens-, Arbeits- und Lohnverhältnisse Auskunft zu geben, soweit dies für die Beitragsberechnung von Bedeutung ist; die Einzelheiten bestimmt die Satzung. § 166 Absatz 1 gilt entsprechend; die Prüfungsabstände bestimmt die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft. Soweit die Unternehmer die Angaben nicht, nicht rechtzeitig, nicht richtig oder nicht vollständig machen, kann die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft eine Schätzung vornehmen. Die Unternehmer sollen der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft eine Ermächtigung zum Einzug des Beitrags und der Vorschüsse erteilen.

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Satz 1 gilt nicht, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt ist.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Beteiligte sind

1.
Antragsteller und Antragsgegner,
2.
diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat,
3.
diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will oder geschlossen hat,
4.
diejenigen, die nach Absatz 2 von der Behörde zu dem Verfahren hinzugezogen worden sind.

(2) Die Behörde kann von Amts wegen oder auf Antrag diejenigen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, als Beteiligte hinzuziehen. Hat der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung für einen Dritten, ist dieser auf Antrag als Beteiligter zu dem Verfahren hinzuzuziehen; soweit er der Behörde bekannt ist, hat diese ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.

(3) Wer anzuhören ist, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

(1) Der Unfallversicherungsträger teilt den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Einer Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches bedarf es nur in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1.

(2) Der Beitragsbescheid ist mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten der Beitragspflichtigen nur dann aufzuheben, wenn

1.
die Veranlagung des Unternehmens zu den Gefahrklassen nachträglich geändert wird,
2.
die Meldung nach § 165 Absatz 1 unrichtige Angaben enthält oder sich die Schätzung als unrichtig erweist.
3.
(weggefallen)
Wird der Beitragsbescheid aufgrund der Feststellungen einer Prüfung nach § 166 Abs. 2 aufgehoben, bedarf es nicht einer Anhörung durch den Unfallversicherungsträger nach § 24 des Zehnten Buches, soweit die für die Aufhebung erheblichen Tatsachen in der Prüfung festgestellt worden sind und der Arbeitgeber Gelegenheit hatte, gegenüber dem Rentenversicherungsträger hierzu Stellung zu nehmen.

(2a) Enthält eine Meldung nach § 99 des Vierten Buches unrichtige Angaben, unterbleibt eine Aufhebung des Beitragsbescheides nach § 44 des Zehnten Buches zugunsten des Unternehmers, solange die fehlerhaften Meldungen nicht durch den Unternehmer korrigiert worden sind.

(3) Die Satzung kann bestimmen, daß die Unternehmer ihren Beitrag selbst zu errechnen haben; sie regelt das Verfahren sowie die Fälligkeit des Beitrages.

(4) Für Unternehmen nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten wird der Beitrag festgestellt, sobald der Anspruch entstanden und der Höhe nach bekannt ist.

(1) Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.

(2) Von der Anhörung kann abgesehen werden, wenn

1.
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint,
2.
durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist in Frage gestellt würde,
3.
von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll,
4.
Allgemeinverfügungen oder gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen werden sollen,
5.
einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen,
6.
Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden sollen oder
7.
gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 70 Euro aufgerechnet oder verrechnet werden soll; Nummer 5 bleibt unberührt.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird,
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird,
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird,
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird,
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird,
6.
die erforderliche Hinzuziehung eines Beteiligten nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 können bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landes-sozialgerichts vom 17. März 2009 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 14. August 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungs- und das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, die Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 1.3.2005 bis zum 31.7.2005 aufzuheben und die Erstattung von 2525 Euro zu verlangen.

2

Der Kläger beantragte am 14.2.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und gab dabei an, er beziehe bis zum 28.2.2005 Alg. Am 2.3.2005 teilte der Kläger mit, dass er seit dem 25.2.2005 Krankengeld beziehe. Gleichwohl gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18.4.2005 für den Zeitraum vom 1.3. bis zum 31.7.2005 Alg II in Höhe von 505 Euro monatlich.

3

Die Beklagte hob den Bewilligungsbescheid mit Bescheid vom 14.7.2005 unter Hinweis auf § 48 SGB X wegen des Bezugs von Krankengeld auf. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, er habe den Bezug von Krankengeld mitgeteilt. Den Widerspruch wies die Beklagte mit der Begründung zurück, der Bewilligungsbescheid sei gemäß § 45 SGB X zurückzunehmen. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, denn er habe der dem Bescheid beigefügten Berechnung entnehmen können, dass keinerlei Einkommen angerechnet worden sei (Widerspruchsbescheid vom 31.8.2005).

4

Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 14.8.2007). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.3.2009). Es hat zur Begründung ausgeführt, zwar sei der Bescheid vom 14.7.2005 verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, denn der Kläger sei vor dem Erlass des Bescheides nicht angehört worden. Dieser Verfahrensfehler sei im Widerspruchsverfahren nicht geheilt worden, denn der Kläger habe sich zu dem Vorwurf des grob fahrlässigen Verhaltens nicht äußern können. Der Verfahrensmangel sei jedoch im Klageverfahren durch die Stellungnahme des Klägers zu dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit geheilt. Zwar sei eine Heilung im Klageverfahren nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (SozR 3-1300 § 24 Nr 22) ausgeschlossen, wenn die Behörde die Anhörungspflicht vorsätzlich, rechtsmissbräuchlich oder durch Organisationsverschulden verletzt. Diese einschränkende Auslegung werde zutreffend vom 2. Senat des BSG nicht geteilt (SozR 4-1300 § 41 Nr 1). Im Übrigen seien hier keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte ihre Anhörungspflicht vorsätzlich verletzt haben sollte. Allerdings sei bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz kein förmliches Verwaltungsverfahren durchgeführt worden. Zwar sei der 7a. Senat der Auffassung, es sei für die Heilung nicht ausreichend, dass der Betroffene - wie im Widerspruchsverfahren - auf Grund des Bescheides die Möglichkeit habe, Stellung zu nehmen (BSG Urteil vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R). Es müsse danach gewährleistet sein, dass die beklagte Beteiligte zumindest formlos darüber befinde, ob sie bei ihrer Entscheidung verbleibe. Hingegen sei der Senat der Auffassung, dass eine fehlende Anhörung wirksam nachgeholt und geheilt sei, wenn in der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz des sozialgerichtlichen Verfahrens den Beteiligten ausdrücklich Gelegenheit gegeben werde, sich zu äußern und der Hilfebedürftige sich im Übrigen zu den relevanten Umständen im Klageverfahren geäußert habe. Ein nochmaliger Hinweis auf die bereits bekannten Haupttatsachen durch den Leistungsträger in einem formellen Anhörungsverfahren unter Einräumung einer Äußerungsfrist sei eine inhaltsleere Formalität.

5

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 24, 41 SGB X. Er ist der Auffassung, dass die Nachholung der Anhörung im gerichtlichen Verfahren ein förmliches Verwaltungsverfahren voraussetze. Dies könne auch nicht als bloße Förmelei abgetan werden. Zudem könne er sich auf Vertrauensschutz berufen. Hilfsweise werde geltend gemacht, dass die Beklagte § 40 Abs 2 SGB II gänzlich unberücksichtigt gelassen habe.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 17. März 2009 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 14. August 2007 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie ist der Auffassung, dem Anhörungsgebot sei durch die Akteneinsicht im Widerspruchsverfahren genügt worden. Jedenfalls sei von einer Heilung im Gerichtsverfahren auszugehen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

10

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein der Bescheid vom 14.7.2005 in der maßgebenden Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2005.

11

Der Rücknahmebescheid ist wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 24 SGB X rechtswidrig. Nach § 24 Abs 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach Abs 2 der Vorschrift kann davon unter bestimmten - hier jedoch nicht einschlägigen - Ausnahmen abgesehen werden.

12

Die Beklagte hat dem Kläger im Ausgangsbescheid nicht alle entscheidungserheblichen Haupttatsachen mitgeteilt, auf die sich die Rücknahme auf der Grundlage ihrer Rechtsansicht stützen wollte. Entscheidungserheblich iS von § 24 Abs 1 SGB X sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dh, auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat(BSGE 69, 247 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4). Die Beklagte hatte die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung im Ausgangsbescheid zunächst auf § 48 SGB X gestützt. Erstmals im - insoweit maßgebenden - Widerspruchsbescheid vom 31.8.2005 ging die Beklagte davon aus, dass für die Rücknahme der Leistungsbewilligung § 45 SGB X einschlägig sei. Sie sah auch die Voraussetzungen einer Rücknahme für die Vergangenheit als erfüllt an, weil der Kläger die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X).

13

Die Beklagte hat dem Kläger im Verwaltungsverfahren zu der erstmals im Widerspruchsbescheid angeführten inneren Tatsache, er habe die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 18.4.2005 zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, keine Gelegenheit zu einer vorherigen Stellungnahme eingeräumt. Hierdurch hat sie § 24 SGB X verletzt.

14

Die fehlende Anhörung ist auch nicht nach § 41 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 3 SGB X nachgeholt worden. Eine Heilung im Revisionsverfahren ist nicht mehr möglich. Der Senat folgt der bisherigen Rechtsprechung des BSG, wonach eine Nachholung der Anhörung im Gerichtsverfahren jedenfalls ein entsprechendes "mehr oder minder" förmliches Verwaltungsverfahren - ggf unter Aussetzung des Gerichtsverfahrens - voraussetzt (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 22 S 74; BSG Urteil vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R; vgl auch BSG SozR 4-5868 § 3 Nr 3 RdNr 17). Der Auffassung, die Nachholung der Anhörung gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X müsse sich während des gerichtlichen Verfahrens in einem besonderen Verwaltungsverfahren vollziehen, folgt auch die herrschende Meinung in der Literatur(Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 41 RdNr 16; Waschull in LPK-SGB X, 2. Aufl 2007, § 41 RdNr 15; Gregarek in Jahn, SGB, Stand 2010, § 41 SGB X RdNr 22).

15

Die Nachholung der fehlenden Anhörung setzt außerhalb des Verwaltungsverfahrens voraus, dass die Handlungen, die an sich nach § 24 Abs 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass - ggf nach freigestellter Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs 2 Satz 2 SGG - die Behörde den Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert.

16

Der Senat stimmt der Einschätzung des Berufungsgerichts, es handele sich insoweit nur um eine inhaltsleere Formalität, nicht zu. Denn die in § 24 SGB X normierte Anhörungspflicht verlöre jeglichen Gehalt, wenn der Verstoß im gerichtlichen Verfahren ohne jegliches formalisiertes Verfahren geheilt werden könnte. Vielmehr können nur die genannten verfahrensrechtlichen Anforderungen gewährleisten, dass die mit dem Anhörungsverfahren verfolgten Zwecke jedenfalls teilweise zur Geltung kommen. Mit der Regelung über die Anhörung beabsichtigt der Gesetzgeber, allgemein das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung zu stärken und die Stellung des Bürgers insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu stärken (BT-Drucks 7/868 S 28 und 45). Insbesondere soll der Betroffene Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die bevorstehende Verwaltungsentscheidung zu beeinflussen (BSGE 75, 159 = SozR 3-1300 § 24 Nr 10; BSGE 69, 247, 252 = SozR 3-1300 § 24 Nr 4; BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 21).

17

Die genannten Zwecke können zwar ohnehin in vollem Umfang nur erfüllt werden, wenn die Anhörung vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes durchgeführt wird. Darüber hinaus kann eine Heilung des Verfahrensmangels nach den mit der Anhörung verfolgten Funktionen noch während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen während des Vorverfahrens - zB durch Einlegung des Widerspruchs - hinreichende Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSGE 89, 111, 114 = SozR 3-1300 § 1 Nr 1; BSG SozR 4-1300 § 24 Nr 1). Befindet sich die Verwaltungsentscheidung hingegen nicht mehr im Verantwortungsbereich der Beklagten, so kann eine jedenfalls teilweise Verwirklichung der mit den Anhörungshandlungen verfolgten Zwecke nur noch erreicht werden, wenn durch die genannten verfahrensrechtlichen Vorkehrungen sichergestellt wird, dass die Nachholung der Verfahrenshandlung sich in einer dem Anhörungsverfahren möglichst vergleichbaren Situation vollzieht. Dies ist hier nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG nicht gegeben.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. August 2010 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung.

2

Die am 14.7.1989 geborene Klägerin bezog von dem beklagten Grundsicherungsträger zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester seit dem 1.1.2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Anträge auf Gewährung von Leistungen stellte durchgehend die Mutter. Ab August 2005 bezog die Klägerin monatliche Unterhaltsleistungen von dem getrennt lebenden Vater. Eine Mitteilung gegenüber dem Beklagten erfolgte insoweit nicht.

3

Im Januar 2007 erfuhr der Beklagte von den Unterhaltszahlungen und hob mit an die Mutter gerichtetem Bescheid vom 28.6.2007 die für den Zeitraum 1.8.2005 bis 31.7.2006 ergangenen Bewilligungen "für Sie und Ihre Kinder" auf. Die Gesamtüberzahlung in Höhe von 2539,65 Euro war nach den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft und jeweils nach Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung aufgeschlüsselt. Für die Klägerin ergab sich ein Gesamtbetrag von 1820,90 Euro (1292,85 Euro Regelleistung und 528,05 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass der Bescheid, soweit er die Kinder betreffe, an die Mutter als gesetzliche Vertreterin ergehe, und die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2539,65 Euro gefordert. Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der Beklagte die Erstattungssumme durch einen unmittelbar an die zwischenzeitlich volljährig gewordene Klägerin versandten Bescheid vom 1.10.2008 auf 1770,99 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008).

4

Die hiergegen gerichtete Klage hat die Klägerin hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide zurückgenommen und der Beklagte hat die Erstattungssumme in einem Erörterungstermin am 7.1.2010 auf 1043,51 Euro reduziert. Die gegen das Erstattungsverlangen gerichtete Klage hat die Klägerin fortgeführt und zugleich "die Einrede des § 1629a BGB" erhoben. Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Klage abgewiesen und zugleich die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 9.8.2010). Der auf § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestützte Erstattungsbescheid sei rechtmäßig. § 1629a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) stehe dem nicht entgegen. Ob diese Vorschrift ohnehin erst im Vollstreckungsverfahren Berücksichtigung finden könne, könne dahinstehen. Vielmehr sei diese Norm im Sozialrecht von vornherein nicht anwendbar. Insbesondere beschränke sich der in § 61 Satz 2 SGB X enthaltene Verweis auf die ergänzende Anwendung der Vorschriften des BGB auf öffentlich-rechtliche Verträge und dies bedeute im Umkehrschluss, dass die Vorschriften des BGB im Bereich des SGB X nicht allgemein anwendbar seien. Eine entsprechende Anwendung des § 1629a BGB scheide aus, weil es an einer mit dem Zivilrecht vergleichbaren Interessenlage fehle und für die Anwendung dieser Vorschrift kein Bedürfnis bestehe. Bei der Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß §§ 45 ff SGB X habe die Behörde bereits die unterschiedlichen öffentlichen und privaten Interessen abzuwägen. Etwas anderes folge auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des § 1629a BGB ausgehe, stehe seiner Anwendung im konkreten Fall doch § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB entgegen, wonach die Haftungsbeschränkung nicht für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften gelte, die alleine der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Bei den nunmehr zurückgeforderten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes handele es sich um solche Verbindlichkeiten.

5

In ihrer fristgerecht unter Beifügung einer Zustimmungserklärung des Beklagten in elektronischer Form eingelegten Sprungrevision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 1629a BGB sowie § 50 SGB X. Ergänzend beruft sie sich auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 23.7.2009 an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, in dem ausgeführt wird, dass die Gefahr einer Überschuldung Minderjähriger durch die Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf § 1629a BGB nicht gesehen werde. Diese Norm begründe ein Leistungsverweigerungsrecht für das dann volljährige Kind gegenüber dem Gläubiger. Der Erstattungsanspruch bestünde weiterhin, müsse aber nicht mehr erfüllt werden. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Grundsicherungsstellen gemäß § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) entsprechend beraten. Die Klägerin ist allerdings der Ansicht, dass es ihr möglich sein müsse, diesen Einwand bereits außerhalb des Vollstreckungsverfahrens geltend zu machen.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 9. August 2010 sowie den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 28. Juni 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. Oktober 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2008 sowie des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 7. Januar 2010 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er verteidigt das angefochtene Urteil und weist nur ergänzend darauf hin, dass § 1629a BGB erst im Vollstreckungsverfahren Anwendung finden könne. Die Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Bescheids bleibe hiervon unberührt.

Entscheidungsgründe

9

Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig (hierzu A.) und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das Landessozialgericht (LSG) begründet (vgl § 170 Abs 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz; hierzu B.).

10

A. Die Klägerin hat die Sprungrevision form- und fristgerecht eingelegt.

11

Die Revision ist nach § 164 Abs 1 Satz 1 iVm § 65a SGG mittels eines elektronischen Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur formgerecht erhoben worden(vgl § 65a Abs 1 Satz 3 SGG iVm § 2 Abs 3 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundessozialgericht, BGBl I 2006, 3219; vgl grundlegend BFHE 215, 47 zur "Funktionsäquivalenz" der Signatur zur eigenhändigen Unterschrift).

12

Die für die Sprungrevision geltenden Formerfordernisse sind erfüllt (vgl § 161 Abs 1 SGG): Das SG hat die Sprungrevision in seinem Urteil zugelassen und die Zustimmungserklärung des Revisionsbeklagten ist innerhalb der Revisionsfrist beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Denn der Revisionsschrift der Klägerin war eine Erklärung des Beklagten beigefügt, nach der er sich damit einverstanden erklärt, dass "die Sprungrevision eingelegt und zugelassen wird".

13

Dass die Zustimmungserklärung des Beklagten nicht im Original übersandt wurde, sondern in elektronischer Form als Anhang im pdf-Format zu der in elektronischer Form ordnungsgemäß übersandten Revisionsschrift, steht dem in § 161 Abs 1 Satz 1 SGG enthaltenen Schriftlichkeitserfordernis nicht entgegen. Dass das Schriftformerfordernis für die Zustimmungserklärung erfüllt ist, wenn der Revisionskläger die ihm per Telefax zugeleitete Zustimmung des Gegners seinerseits per Fax an das Gericht weiterleitet, entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 13; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 161 RdNr 4a). Denn angesichts der auch bei "Originalen" möglichen Fälschungen ist für die Erfüllung des Formerfordernisses entscheidend, dass aus der Erklärung die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision mit der Folge einer Übergehung der Berufungsinstanz, die Person des Erklärenden und dessen Wille, die Erklärung in den Verkehr zu bringen, entnommen werden kann.

14

Diese Voraussetzungen sind auch gewahrt, wenn ein Beteiligter die ihm als Telefax zugesandte Zustimmungserklärung eines anderen Beteiligten einscannt und in eine pdf-Datei umwandelt, um sie als elektronische Datei im Rahmen seiner elektronischen Aktenbearbeitung und Kommunikation mit dem Gericht weiterverwenden zu können. Aus der Einfügung des § 65a SGG durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl I 837) und der damit begründeten Zulässigkeit der Übermittlung von elektronischen Dokumenten an die Gerichte kann nur hergeleitet werden, dass die Übermittlung eines eingescanntes Dokumentes als Anhang einer den Anforderungen des § 65a SGG genügenden Revisionsschrift dem Schriftformerfordernis genügt. Die Möglichkeit, als Anlage ein eingescanntes Dokument zu versenden, ohne dabei mit verfahrensrechtlich vorgegebenen Formerfordernissen in Konflikt zu kommen, ist die notwendige Folge dieser technischen Möglichkeit und des mit dem Gesetz verfolgten Zweckes, auch in Gerichtsverfahren elektronische Dokumente als Äquivalent zur Papierform rechtswirksam zu verwenden (Gesetzesbegründung zum Justizkommunikationsgesetz, BT-Drucks 15/4067 S 24).

15

B. Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 4 Satz 1 SGG). Ob die angefochtene Entscheidung mit revisiblem Recht vereinbar ist (vgl § 162 SGG)kann aufgrund des vom SG festgestellten Sachverhalts (vgl § 163 SGG) nicht abschließend geprüft werden.

16

Mangels fehlender Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob der hier noch alleine streitgegenständliche und auf § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 50 SGB X beruhende Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1.10.2008 und des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2008 sowie des Teilanerkenntnisses des Beklagten vom 7.1.2010 formell rechtmäßig ist; insbesondere ob die nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 24 Abs 1 SGB X erforderliche Anhörung stattgefunden hat oder ein entsprechender Verfahrensmangel geheilt worden ist(s I.). Allerdings steht der materiellen Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts nicht bereits seine mangelnde Bestimmtheit entgegen (s II.). Während die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 SGB X im vorliegenden Fall grundsätzlich vorliegen(s III.), konnte aber ebenfalls nicht abschließend entschieden werden, ob die Haftung der Klägerin hier gemäß des entsprechend anwendbaren § 1629a BGB begrenzt ist und der Erstattungsbescheid bereits deshalb (ggf teilweise) aufzuheben ist(s IV.).

17

I. Der Rechtsstreit unterliegt bereits deshalb der Zurückverweisung, weil der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des SG die formelle Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides nicht abschließend prüfen kann. Insbesondere fehlt es an Feststellungen zu der Frage, ob vor Erlass des Erstattungsbescheides eine Anhörung der Klägerin gemäß § 24 Abs 1 SGB X stattgefunden hat.

18

Auch wenn die Erstattung entsprechend der Forderung des § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X mit der (hier gemäß § 77 SGG bindend gewordenen) Aufhebung verbunden worden ist, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt nach § 31 SGB X handelt, der seinerseits in die Rechte der Klägerin eingegriffen hat und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzt(vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 12).

19

1. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von diesem Anhörungserfordernis sind nicht gegeben. Ein Fall des Ausnahmekatalogs des § 24 Abs 2 SGB X liegt bereits tatbestandlich nicht vor. Insbesondere wurden nicht lediglich einkommensabhängige Leistungen an geänderte Verhältnisse angepasst (§ 24 Abs 2 Nr 5 SGB X), weil die Behörde auf der Grundlage des § 50 SGB X für die Vergangenheit Leistungen erstattet verlangt.

20

Der Anwendungsbereich des § 24 SGB X ist für den vorliegenden Fall ebenfalls nicht - etwa im Sinne einer teleologischen Reduktion(vgl hierzu BSG SozR 4-1300 § 24 Nr 1) - eingeschränkt (vgl Thieme in Wannagat, SGB X, Stand 2001, § 24 RdNr 6). Eine solche Einschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Erstattung nach § 50 Abs 1 SGB X ohnehin akzessorisch zu der hier bestandskräftigen Aufhebung ist, weil es sich bei § 24 Abs 2 SGB X um einen abschließenden Ausnahmekatalog handelt, wie sich aus der rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung und dem Vergleich mit § 28 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ergibt, der eine Generalklausel mit Beispielen enthält(stRspr BSGE 44, 207 = SozR 1200 § 34 Nr 2; BSG SozR 1200 § 34 Nr 14; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2011, § 24 RdNr 10). Dass es nicht darauf ankommt, ob die Anhörung die Entscheidung in der Sache hätte beeinflussen können, folgt auch aus § 42 Satz 2 SGB X.

21

2. Das LSG wird zu klären haben, ob bislang eine Anhörung gemäß § 24 Abs 1 SGB X stattgefunden hat oder ob, sollte dies nicht der Fall gewesen sein, im Widerspruchs- oder Klageverfahren gemäß § 41 Abs 2 SGB X eine Heilung dieses Verfahrensmangels stattgefunden hat.

22

a) Dabei wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass, solange die Klägerin minderjährig war, die vor dem Erlass des Erstattungsbescheides erforderliche Anhörung gegenüber einem vertretungsberechtigten Erziehungsberechtigten zu erfolgen hatte. Auf die Frage, ob § 38 SGB II für das Aufhebungs- und Erstattungsverfahren überhaupt Anwendung finden kann(vgl hierzu Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 38 RdNr 2, 23b), kommt es deswegen nicht an.

23

Die Vertretungsmacht, die hier die Notwendigkeit einer Anhörung der Erziehungsberechtigten begründet, folgt aus der elterlichen Sorge (§ 1629 Abs 1 Satz 1 BGB). Dabei lässt sich den Feststellungen des SG bereits nicht entnehmen, ob abweichend von der gemäß § 1629 Abs 1 Satz 2 BGB grundsätzlich gemeinschaftlichen Vertretung des Kindes hier eine alleinige Vertretung durch die Mutter nach § 1629 Abs 1 Satz 3 BGB in Betracht kommt(vgl hierzu BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2). Im Rahmen der Anhörung braucht dieser Frage allerdings nicht nachgegangen zu werden, weil die Anhörung eines Elternteils insoweit ausreichend ist.

24

Obwohl nach § 24 Abs 1 SGB X "der Beteiligte"(vgl § 12 SGB X) anzuhören ist, gilt dies nicht für den Fall, dass der Beteiligte sozialrechtlich nicht handlungsfähig ist (vgl § 11 Abs 1 SGB X). Dann ist sein gesetzlicher Vertreter anzuhören (vgl nur Mutschler in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 24 RdNr 10). Dem steht § 36 SGB I als öffentlich-rechtliche Ausnahme nach § 11 Abs 1 Nr 2 SGB X(von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 11 RdNr 7) nicht entgegen, weil es sich beim Aufhebungs- und Erstattungsverfahren um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren handelt, das nicht auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichtet ist und deswegen von § 36 Abs 1 Satz 1 SGB I, der erkennbar auf den rechtlichen Vorteil für den Minderjährigen abstellt, nicht umfasst ist(vgl Didong in: jurisPK-SGB I, § 36 RdNr 16; Mrozynski, SGB I, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr 15; Udsching/Link, SGb 2007, 513, 516).

25

Für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber Minderjährigen hat der Senat unter Heranziehung des Zustellungsrechts des Bundes bereits entschieden, dass die Bekanntgabe gegenüber einem gesetzlichen Vertreter genügt (BSGE 102, 76 = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, RdNr 21 unter Berufung auf § 6 Abs 3 VwZG; vgl auch Udsching/Link, SGb 2007, 513, 516). Dies gilt entsprechend auch für die Anhörung. Dagegen spricht nicht, dass § 6 Abs 3 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) letztlich der in § 1629 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 BGB geregelten Empfangsvertretung als Fall der "passiven" Stellvertretung entspricht(vgl zu § 6 Abs 3 VwZG: Sadler, VwVG/VwZG, 7. Aufl 2010, § 6 RdNr 20; Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 9. Aufl 2011, § 6 VwZG RdNr 4; vgl zu § 1629 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 BGB; Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629 RdNr 15). Denn das in § 24 Abs 1 SGB X geregelte Anhörungserfordernis dient in erster Linie dem Schutz vor Überraschungsentscheidungen. Zudem soll es das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken (vgl BT-Drucks 7/868 S 28). Es erfüllt damit seinen Zweck, ohne dass es ein aktives Tun des Anzuhörenden bzw seines Vertreters voraussetzt. Im Übrigen erschiene es widersprüchlich, wenn zwar die mit der Gefahr der Bestandskraft einhergehende Bekanntgabe eines Bescheides an nur einen Elternteil erfolgen dürfte, nicht aber die vor dem Erlass des Bescheides notwendige Anhörung.

26

b) Im Hinblick auf die mögliche Heilung einer unterlassenen Anhörung, wird das LSG zu berücksichtigen haben, dass die Nachholung der Anhörung nach § 41 Abs 2 SGB X im Gerichtsverfahren ein eingeständiges, nicht notwendigerweise förmliches Verwaltungsverfahren - ggf unter Aussetzung des Gerichtsverfahrens - voraussetzt, das auch die Erklärung der Behörde umfasst, sie halte nach erneuter Prüfung unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Anhörung am bisher erlassenen Verwaltungsakt fest(ausführlich BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

27

c) Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, dass vor Erlass des Erstattungsbescheides eine Anhörung nicht stattgefunden hat und dieser Verfahrensmangel bislang nicht geheilt worden ist - auch nicht im Rahmen des von der Klägerin durchgeführten Widerspruchsverfahrens oder des Erörterungstermins -, wird es zu beachten haben, dass jedenfalls im jetzt durchzuführenden Berufungsverfahren keine Heilung mehr in Betracht kommt.

28

Nach § 41 Abs 2 SGB X erfährt die Möglichkeit der Heilung insofern eine zeitliche Grenze, als die Anhörung nach § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X nur bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Entsprechend der mit § 41 Abs 2 SGB X korrespondierenden Vorschrift des § 114 Abs 2 Satz 2 SGG(vgl BSG SozR 3-2600 § 243 Nr 9: "funktionale Einheit") ist diese Vorschrift nicht mehr anwendbar, nachdem erstmals die letzte Tatsacheninstanz abgeschlossen wurde. Im Falle der Sprungrevision wird die zeitliche Grenze damit durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils gesetzt (vgl allgemein Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 41 RdNr 23, 27; offen gelassen von: BSG vom 2.6.2004 - B 7 AL 58/03 R - BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, RdNr 9 = Juris RdNr 17; BSG vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - Juris RdNr 19).

29

Gegen die Heilung eines Verfahrensmangels durch Nachholung im Gerichtsverfahren im Rahmen eines wiedereröffneten Berufungsverfahrens nach einer Zurückverweisung spricht entscheidend, dass diese von einem Verfahrensmangel des LSG - nämlich fehlenden Feststellungen zur Anhörung - abhängig ist. Denn eine Zurückverweisung kommt nur in Betracht, wenn das LSG keine Feststellungen zur Anhörung getroffen hat. Hat das LSG hingegen festgestellt, dass keine Anhörung erfolgt ist, besteht kein Grund für eine Zurückverweisung. Das Letztere muss ebenfalls gelten, wenn das LSG keine Feststellungen getroffen hat und diese fehlenden Feststellungen des LSG in Verbindung mit einer Aufklärungsrüge eines Beteiligten zu entsprechenden Ermittlungen und Feststellungen des Revisionsgerichts führen. Für eine Verschlechterung der Rechtsposition des klagenden Adressaten eines Verwaltungsakts, in dem der beklagten Behörde eine weitere Gelegenheit zur Heilung ihres Verfahrensfehlers eingeräumt wird, wenn es im anschließenden gerichtlichen Verfahren zu einem Verfahrensmangel des angerufenen Gerichts gekommen ist, der von der Behörde erfolgreich gerügt wird, ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Dagegen spricht vielmehr der Ausnahmecharakter des § 114 Abs 2 Satz 2 SGG, nachdem der vergleichbare § 94 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung aufgehoben wurde(vgl Berchtold in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, 97, 115 f sowie BSG vom 16.12.2008 - B 4 AS 48/07 R - RdNr 19; BSG vom 31.10.2002 - B 4 RA 43/01 R - Juris RdNr 17).

30

II. Der angefochtene Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 war (noch) inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt zum einen, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten (näher BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN). Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BVerwGE 123, 261, 283).

32

1. Bedenken gegenüber der hinreichenden Bestimmtheit des mit dem inzwischen bestandskräftig gewordenen Aufhebungsbescheides verbundenen Erstattungsbescheides ergeben sich nicht bereits daraus, dass der Adressat des Erstattungsverlangens nicht hinreichend erkennbar wäre.

33

Zwar könnten sich deswegen Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit ergeben, weil der Erstattungsbescheid vom 28.6.2007 alleine an die Mutter der seinerzeit noch minderjährigen Klägerin gerichtet war. Auch wird die Mutter entsprechend dieser Adressierung an verschiedenen Stellen des Bescheides direkt angesprochen, wenn es etwa heißt, es bestünde gegen diese eine Gesamtforderung in Höhe von 2539,65 Euro und dieser Betrag sei von ihr gemäß § 50 SGB X zu erstatten. Entscheidend ist allerdings, dass sich aus dem Bescheid mit hinreichender Deutlichkeit ergibt, dass der zurückzuzahlende Gesamtbetrag das Ergebnis einer Addition von insgesamt drei Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidungen ist, die sich jeweils an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft richten. So heißt es im Rahmen der hier noch streitgegenständlichen Erstattungsregelung, es "wurden Ihnen und Ihren Kindern [...] Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 2539,65 Euro zu Unrecht gezahlt". Die (individuelle) Aufschlüsselung der überzahlten Leistungen ist Bestandteil der Aufhebungsentscheidung, vor deren Hintergrund auch die Erstattungsregelung zu sehen ist, weil der Beklagte, entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs 3 Satz 2 SGB X, beide Entscheidungen verbunden hat(vgl auch BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 27 RdNr 13).

34

Dass der Beklagte bei Erlass des Erstattungsbescheides nicht davon ausging, die Mutter der Klägerin sei (Gesamt-)Schuldnerin der Rückforderungssumme, ergibt sich dabei insbesondere aus der Formulierung: "Soweit der Bescheid Ihre Kinder betrifft, ergeht er an Sie als gesetzlichen Vertreter." Vor dem Hintergrund der fehlenden sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit der Klägerin und ihrer Schwester zum damaligen Zeitpunkt war es konsequent, die Erfüllung der Rückzahlungsverpflichtung alleine von einem Elternteil zu verlangen, ohne dass dadurch die eigentlichen Bescheidadressaten nicht mehr erkennbar wären.

35

2. Weitergehende Bedenken gegenüber der Bestimmtheit des Erstattungsbescheides bestehen nicht. Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob die zum Arbeitsförderungsrecht ergangene Rechtsprechung des BSG, wonach ein Aufhebungsbescheid dann nicht hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X ist, wenn er nur eine Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum in Höhe eines Gesamtbetrags ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Wochen enthält(BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, RdNr 10; SozR 3-1500 § 128 Nr 15 S 32 f), auf das SGB II, eventuell modifiziert um das hier grundsätzlich geltende Monatsprinzip, zu übertragen ist.

36

Zumindest für den hier noch streitgegenständlichen Erstattungsverwaltungsakt lässt sich die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung der gesetzlichen Regelung des § 50 SGB X nicht entnehmen(so auch Krasney in Kasseler Komm, SGB X, Stand 2011, § 33 RdNr 7; Sächsisches LSG vom 18.9.2008 - L 3 AS 40/08 - Juris RdNr 60). § 50 Abs 3 Satz 1 SGB X fordert lediglich, die "zu erstattende Leistung" festzusetzen. Weitergehende Differenzierungsanforderungen dürften nicht zuletzt der eigentlichen Zielvorgabe der Bestimmtheitsanforderung, nämlich eine eindeutige Vollstreckungsgrundlage zu schaffen und dem Betroffenen das von ihm erwartete Verhalten klar vor Augen zu führen, eher abträglich sein.

37

3. Der Erstattungsbescheid ist auch nicht deshalb zu unbestimmt, weil er in der Gestalt, die er durch den Änderungsbescheid vom 1.10.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 18.11.2008 erfahren hat, im Rahmen der Festsetzung der zu erstattenden Leistung nicht mehr zwischen dem der Klägerin bewilligten Sozialgeld und den Leistungen für Unterkunft und Heizung unterschied. Soweit teilweise vertreten wird, ein Aufhebungs- und wohl auch ein Erstattungsbescheid seien nur dann hinreichend bestimmt, wenn sie - spiegelbildlich zur Bewilligung - die aufgehobenen Leistungen nach Leistungsarten unterschieden, insbesondere also deutlich machten, ob es sich um Leistungen für Unterkunft und Heizung oder um die Regelleistung handele (so LSG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2010 - L 3 AS 138/08 - Juris RdNr 54 ff), folgt dem der Senat jedenfalls für die Festsetzung der zu erstattenden Leistung nach § 50 SGB X nicht. Gegen die Notwendigkeit weiterer Differenzierungen im Rahmen der isolierten Rückforderung spricht die im Grundsatz bestehende Akzessorietät des Erstattungsverwaltungsakts zum Ergebnis der Aufhebungsentscheidung. Die Vorschrift des § 40 Abs 2 Satz 1 SGB II, wonach abweichend von § 50 SGB X unter bestimmten Umständen ein Teil der Unterkunftskosten von der Erstattung ausgenommen bleibt, steht dem nicht entgegen. Dies betrifft allenfalls die Begründung des Verwaltungsakts, nicht aber die hinreichende Bestimmtheit seines Verfügungssatzes.

38

III. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen vor. Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen nach dieser Vorschrift zu erstatten. Hier ist der Aufhebungsbescheid vom 28.6.2007 durch die Rücknahme der Klage bereits bestandskräftig geworden (vgl § 77 SGG).

39

Zutreffend hat sich der Beklagte im Hinblick auf die Rückforderung zudem an die Klägerin gewandt. Ausgehend von der Annahme, dass das SGB II keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher kennt, sondern dass Anspruchsinhaber grundsätzlich jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind (grundlegend BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 12), können auch in der Rückforderungskonstellation nur von demjenigen Leistungen verlangt werden, dem sie zuvor bewilligt worden waren (vgl nur BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 7 RdNr 15; Udsching/Link, SGb 2007, 513, 514). Ein Erstattungsanspruch etwa gegen die gesetzlichen Vertreter des Leistungsempfängers scheidet auch dann aus, wenn diese die Überzahlung durch Verletzung ihrer Mitteilungspflichten hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse verursacht haben (so zur Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz bereits BVerwG, NZS 1992, 156; FEVS 43, 324). Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber dem Vertreter nach § 34 SGB II wird davon nicht berührt.

40

IV. Eine abschließende Entscheidung der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob § 1629a BGB bereits zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheides führt, ist nicht möglich. Entgegen der Ansicht des SG ist § 1629a BGB auch im Rahmen der Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II entsprechend anwendbar(dazu unter 1.), und zwar bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren (dazu unter 2.). Dem steht auch § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB nicht entgegen(dazu unter 3.). Jedoch hat das SG, von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent, keine Feststellungen zur Höhe des Vermögens der Klägerin bei Eintritt der Volljährigkeit getroffen.

41

1. Dem Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Revisionsklägerin gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X kann die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegenstehen.

42

In seinem Beschluss vom 13.5.1986 (1 BvR 1542/84 - BVerfGE 72, 155 = NJW 1986, 1859) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ua ausgeführt: Das als Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG) anerkannte Recht auf Selbstbestimmung wird berührt, wenn Eltern ihre minderjährigen Kinder kraft der ihnen zustehenden gesetzlichen Vertretungsmacht (§ 1629 Abs 1 BGB) finanziell verpflichten können. Hierdurch können in erheblichem Maße die Grundbedingungen freier Entfaltung und Entwicklung und damit nicht nur einzelne Ausformungen allgemeiner Handlungsfreiheit, sondern die engere persönliche Lebenssphäre junger Menschen betroffen werden. Es ist verfassungsrechtlich noch hinnehmbar, wenn sich die Haftung des Minderjährigen bei einem ererbten und fortgeführten Handelsgeschäft auf das im Wege der Erbfolge erworbene Vermögen beschränkt. Nichts anderes kann für die finanziellen Folgen gelten, die Minderjährigen als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft über die Vertretungsregelung für Bedarfsgemeinschaften nach § 38 SGB II aufgebürdet werden.

43

Der Gesetzgeber ist der vom BVerfG in dem Beschluss vom 13.5.1986 (aaO) formulierten Aufforderung, in Wahrnehmung seiner Wächteramtes (Art 6 Abs 2 Satz 2 GG) Regelungen zu treffen, die verhindern, dass der volljährig Gewordene nicht mehr als nur eine scheinbare Freiheit erreicht, nachgekommen und hat durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.8.1998 ( BGBl I 2487) § 1629a BGB geschaffen. Danach ist die Haftung des ehemaligen Minderjährigen und nun volljährig Gewordenen für Verbindlichkeiten, die Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht mit Wirkung für den Minderjährigen begründet haben, beschränkt auf den Bestand des Vermögens des Minderjährigen bei Eintritt der Volljährigkeit. Diese in Ausführung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erfolgte gesetzgeberische Entscheidung gilt mangels anderer Anhaltspunkte für die "Minderjährigenhaftung" im SGB II entsprechend.

44

Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 34a SGB II "Ersatzansprüche für rechtswidrig erhaltene Leistungen" durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453 - RBEG), in der ausgeführt wird: "Die Regelung des neuen § 34a trägt damit dem praktischen Bedürfnis nach Inanspruchnahme des Verursachers Rechnung, da insbesondere bei Leistungsgewährung an minderjährige Kinder auch ein Anspruch gegenüber den gesetzlichen Vertretern bestehen kann. ... Im Übrigen gilt bei Eintritt der Volljährigkeit zugunsten der Schuldner § 1629a BGB, so dass insoweit eine Beschränkung auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen gegeben sein kann." (BT-Drucks 17/3404 S 113). Dies deckt sich mit der von der Klägerin zur Akte gereichten Antwort des BMAS an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, wonach vor dem Hintergrund der Regelung des § 1629a BGB eine Gefahr des überschuldeten Eintritts in die Volljährigkeit nicht gesehen werde und dementsprechend kein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich sei.

45

2. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann diese entsprechende Geltung der Haftungsbeschränkung gemäß § 1629a BGB nicht erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwendung finden(so aber für das Steuerfestsetzungsverfahren BFHE 203, 5), weil schon der Erstattungsbescheid aus den aufgezeigten Gründen gegen das höherrangige Verfassungsrecht verstößt.

46

Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum ein (verfassungswidriger) Erstattungsbescheid gegenüber einem volljährig Gewordenen zunächst bestandskräftig werden sollte, bevor diesem die Möglichkeit gegeben werden soll, seine Haftungsbeschränkung, die zu diesem Zeitpunkt bereits "entscheidungsreif" wäre, geltend zu machen. Abgesehen von den durch das Vollstreckungsverfahren entstehenden weiteren (unnötigen) Kosten erscheint es auch unter Praktikabilitätsgesichtspunkten geboten, die ggf schwierige Feststellung des Vermögens bei Eintritt der Volljährigkeit möglichst zeitnah zu bestimmen.

47

Sollte - wie vorliegend - der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig sein, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig. Dies entspricht der § 1629a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit(vgl nur Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629a BGB RdNr 8; kritisch hierzu K. Schmidt, Festschrift für Derleder, 2005, S 601, 607). Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides.

48

Tritt - wie in diesem Verfahren - die Volljährigkeit nach Erlass des ursprünglichen Erstattungsbescheides, aber noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, ist zu beachten, dass bei (reinen) Anfechtungsklagen der maßgebende Zeitpunkt in der Regel die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung ist (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, § 54 RdNr 33 mwN). Sollten die Voraussetzungen des § 1629a BGB gegeben sein, was mangels Feststellungen des SG zur Vermögenslage der Klägerin bei Eintritt der Volljährigkeit nicht beurteilt werden kann, wäre der Erstattungsbescheid von Anfang an rechtswidrig.

49

3. Der Haftungsbeschränkung der Klägerin steht vorliegend nicht entgegen, dass die Haftungsbeschränkung nicht für Rechtsgeschäfte aus der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gilt (§ 1629a Abs 2 Alt 2 BGB). Denn diese Regelung zielt entsprechend dem Begriff "persönliche Bedürfnisse" nicht auf das durch das SGB II abgedeckte Existenzminimum, sondern auf Kleingeschäfte des täglichen Lebens seitens des Minderjährigen oder größere altersgerechte Anschaffungen wie ein Fahrrad oder einen Computer ab (vgl auch Gesetzesbegründung zum RBEG, BT-Drucks 17/3404 S 113).

50

Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des MHbeG sollen mit dieser Ausnahme von der Haftungsbegrenzung nicht nur Kleingeschäfte des täglichen Lebens (zB Kauf von Nahrungsmitteln oder Schulutensilien), sondern auch größere Geschäfte erfasst werden, die für Minderjährige der jeweiligen Altersstufe typisch oder jedenfalls nicht ungewöhnlich sind (zB Kauf eines Fahrrades oder Computers). In beiden Fällen bedürfe der Minderjährige keines Schutzes, weil ihm der Gegenwert des Geschäfts unmittelbar zugute komme und keine "unzumutbaren" finanziellen Belastungen im Sinne der Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 72, 155, 173) in Rede stünden (BT-Drucks 13/5624 S 13, ebenso: Diederichsen in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 1629a RdNr 11).

51

Auch wenn die dem Minderjährigen gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes den (im Sinne der Existenzsicherung) verstandenen "persönlichen Bedürfnissen" des Kindes dienten, sind diese von der Ausnahmeregelung nicht mit umfasst. Auf den Fall, dass grundsätzlich alle "persönlichen Bedürfnisse" des Kindes durch staatliche Fürsorgeleistungen sichergestellt werden müssen, weil die Leistungsfähigkeit der Eltern als Unterhaltsverpflichtete nicht genügt, zielt die Ausnahmeregelung erkennbar nicht ab. Zudem ist in diesen Fällen gerade nicht mehr der (generalisierte) Schluss zulässig, dass durch die Rückforderung keine unzumutbaren finanziellen Belastungen entstehen. Allein diese Grundannahme rechtfertigt aber die Anwendung dieser Ausnahmeregelung, ohne dass es im Rahmen der Rückforderung von SGB II-Leistungen überzeugen würde, eine summenmäßige Begrenzung einzuführen, ab der die auf dem Fehlverhalten der (grundsätzlich ebenfalls ersatzpflichtigen) Eltern beruhende Schuldenlast "unzumutbar" wäre (für eine teleologische Reduktion des § 1629a Abs 2 Alt 2 BGB für den Fall, dass dem Minderjährigen erhebliche finanzielle Belastungen drohten, Huber in Münchener Komm, BGB, 5. Aufl 2008, § 1629a RdNr 28).

52

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für alle drei Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines am 17.5.2008 erlittenen Unfalls als Arbeitsunfall.

2

Der 1946 geborene Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und übte in den Niederlanden bis zur Insolvenz seines Unternehmens eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer aus. Neben seinem Wohnsitz in den Niederlanden verfügte er seit Mai 2002 in der Gemeinde I. bei T. über einen weiteren Wohnsitz. Zusammen mit einer anderen Person pachtete der Kläger im Jahre 2003 den Jagdbezirk I. I, sowie im Jahre 2005 den angrenzenden Jagdbezirk V. Durch Bescheid vom 28.7.2005 wurde die Jagdgemeinschaft "H./K." ab 1.4.2005 in das Unternehmerverzeichnis aufgenommen. Dort heißt es: "Als Jagdpächter sind sie ab dem vorgenannten Zeitpunkt Pflichtmitglied der Berufsgenossenschaft und unterliegen ab der Beitragsumlage 2005 der Beitragspflicht." Der Aufnahmebescheid ist an die Adresse des Klägers in I. adressiert; beigefügt war ein Merkblatt, in dem ausgeführt wird: "Gemäß § 2 SGB VII umfasst die gesetzliche Unfallversicherung zunächst alle Beschäftigten. Als versicherte Personen in den Jagden kommen hauptsächlich Berufsjäger, Treiber, bestätigte Jagdaufseher usw., also alle Personen in Frage, die für Rechnung und im Auftrage des Jagdunternehmers bei der Jagd und Hege beschäftigt werden. Als Besonderheit der LUV erstreckt sich der Versicherungsschutz außerdem auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter)." Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagten unbekannt, dass der Kläger noch über einen niederländischen Wohnsitz verfügte sowie in den Niederlanden eine selbständige Tätigkeit als Bauunternehmer ausübte.

3

Bei Reparaturarbeiten an seinem Hochsitz im Jagdbezirk stürzte der Kläger am 17.5.2008 aus mehreren Meter Höhe ab und zog sich hierbei Verletzungen zu. Die Beklagte gewährte bis Oktober 2009 die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung. Durch Bescheid vom 23.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.9.2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als von ihr zu entschädigenden Arbeitsunfall ab, weil der Kläger nach den Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in der deutschen Unfallversicherung versichert gewesen sei. Da sich nach seinen Angaben der Hauptwohnsitz in den Niederlanden befunden habe und er dort selbständig tätig gewesen sei, seien auf der Basis des EG-Vertrages (EGV) die Regelungen der VO (EWG) 1408/71 einschlägig.

4

Durch Urteil vom 3.11.2011 hat das SG Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger unterliege aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit und seines gewöhnlichen Aufenthalts in den Niederlanden ausschließlich dem dortigen Sozialversicherungssystem. Seine hiergegen erhobene Berufung hat der Kläger im Wesentlichen darauf gestützt, dass es gemäß § 3 SGB IV für die Beurteilung seines Versicherungsschutzes allein auf die Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit als Jagdpächter in der Bundesrepublik Deutschland ankomme.

5

Das LSG Rheinland-Pfalz hat die Berufung durch Urteil vom 6.9.2012 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es komme nicht alleine auf die inländische unternehmerische Tätigkeit als Jagdpächter an. Der Vorrang des Wohnsitzstaats werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die entsprechende selbständige Tätigkeit in den Niederlanden versicherungsfrei sei. Dies gelte auch bei Anwendung der Neuregelung der Art 11 Abs 1 iVm 13 Abs 2 VO (EG) 883/2004. Auch unter dem Gesichtspunkt der Formalversicherung könne der Kläger keine Leistungsansprüche geltend machen. Aus der Beitragszahlung für das Unternehmen folge kein Vertrauensschutz, weil sich der Beitrag für Jagden gemäß § 47 der Satzung der Beklagten nach dem Veranlagungswert in Form der bejagbaren Fläche richte und mithin keine Beiträge konkret für einzelne Versicherte - auch nicht für den Kläger als Unternehmer - erhoben würden.

6

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision vertritt der Kläger die Auffassung, dass seine Versicherungspflicht insbesondere in dem Aufnahmebescheid vom 28.7.2005 festgestellt worden sei. Das LSG verkenne die Grundsätze der sog Formalversicherung. Die Beklagte dürfe nach der Rechtsprechung des BVerfG auch nicht ohne gewichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung wechseln. Zudem habe die Jagdpacht keinerlei Bezugspunkt zu den Niederlanden und dem dort geltenden Sozialversicherungssystem. Insofern liege keine Kollisionslage vor, die durch die Anwendung der besonderen europarechtlichen Kollisionsvorschriften auf seine Leistungsansprüche gelöst werden müsste.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3. November 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. September 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 17. Mai 2008 ein Arbeitsunfall ist.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die angefochtenen Urteile und Bescheide beruhen auf einer Rechtsverletzung. Der Kläger stand nach dem Gesamtzusammenhang der in dem Bescheid vom 28.7.2005 getroffenen Regelungen bei der Beklagten in einem formalen Versicherungsverhältnis (dazu unter 1.) und hat als bei der Beklagten Versicherter am 17.5.2008 einen Arbeitsunfall erlitten (hierzu unter 2.). Dem Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls nach deutschem Recht stehen europarechtliche Regelungen nicht entgegen (vgl unter 3.).

11

Der Kläger begehrt mit der zulässigen Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage die Feststellung, dass der Unfall vom 17.5.2008, als er beim Reparieren eines Hochsitzes auf dem Gelände der von ihm betriebenen Jagdpacht abstürzte und verschiedene Verletzungen erlitt, ein Arbeitsunfall ist. Die Anfechtungsklage ist begründet, weil die Ablehnung der Feststellung eines Arbeitsunfalls durch die Beklagte rechtswidrig war und der Kläger dadurch in einem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt ist (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG). Er hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Feststellung, weil ein Arbeitsunfall iS von § 8 SGB VII vorliegt. Damit ist auch die Feststellungsklage begründet, weil das umstrittene Rechtsverhältnis besteht.

12

1. Der Kläger stand bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses in einem (formalen) Versicherungsverhältnis. Der Bescheid vom 28.7.2005 beinhaltet bei objektiver Betrachtung die Feststellung des Bestehens einer Pflichtversicherung des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten (dazu a). Dieser auf eine bestehende Befugnisnorm (dazu b) gestützte Bescheid ist zwar rechtswidrig (dazu c). Die in dem Bescheid getroffenen Regelungen beruhen auf einer Ermächtigungsgrundlage (dazu d), ihre Wirksamkeit scheitert weder an europarechtlichen Kollisionsnormen (dazu e), noch sind sie nach deutschem Sozialverwaltungsrecht nichtig (dazu f). Dahinstehen kann, ob darüber hinaus die Voraussetzungen einer Formalversicherung bestehen, weil bereits ein formales Versicherungsverhältnis vorliegt (dazu g).

13

a) Nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII sind Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sowie ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner kraft Gesetzes unfallversichert. Hierzu zählen auch Jagdpächter iS von § 11 Bundesjagdgesetz(BJgdG, idF der Bekanntmachung vom 29.9.1976 , zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29.5.2013 ) und zwar ohne Rücksicht darauf, ob mit der Ausübung des Jagdrechts ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (BSG Urteil vom 20.12.1961 - 2 RU 136/60 - BSGE 16, 79 = SozR Nr 24 zu § 537 RVO).

14

Unabhängig von der Frage, ob für den Kläger aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen (§ 6 SGB IV iVm Art 13 ff VO 1408/71) wegen seiner selbständigen Tätigkeit und seines Wohnsitzes in den Niederlanden die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts ausgeschlossen ist und dementsprechend die gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII auf ihn keine Anwendung finden(vgl hierzu im Einzelnen unter 1 c), war er jedenfalls aufgrund des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 28.7.2005 gegen Unfälle, die seiner Jagdpacht zuzurechnen sind, versichert. Die Feststellung des Bestehens der Pflichtmitgliedschaft ist ein Verwaltungsakt gemäß § 31 SGB X, weil sie die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts beinhaltet und auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist(vgl BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2 zum Versicherungsschein; BSG Urteil vom 24.11.2005 - B 12 KR 18/04 R - SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 23 f).

15

Der Senat legt den Bescheid vom 28.7.2005 nach dem Gesamtzusammenhang seiner Verfügungssätze so aus, dass der Kläger als Empfänger diesen nur so verstehen konnte, dass ihm persönlich Versicherungsschutz bei seiner Tätigkeit als Jagdpächter zustehen soll. Zwar beziehen sich die in dem Bescheid vom 28.7.2005 ausdrücklich formulierten Verfügungssätze lediglich auf die Eintragung in das Unternehmerverzeichnis, die Feststellung der Pflichtmitgliedschaft und die damit verbundene Beitragspflicht sowie die Größe des Jagdreviers als Berechnungsgrundlage für den zu zahlenden Beitrag. Bei der Auslegung von Verfügungssätzen iS des § 31 SGB X ist jedoch vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten(§ 133 BGB) auszugehen, wobei alle Zusammenhänge zu berücksichtigen sind, die die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl BSG Urteil vom 16.11.2005 - B 2 U 28/04 R - juris RdNr 13; BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 f; BSG Urteil vom 16.11.1995 - 4 RLw 4/94 - SozR 3-1300 § 31 Nr 10 S 12). Maßgebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung (BSG Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 8/07 R - juris RdNr 12; BSG Urteil vom 28.10.2008 - B 8 SO 33/07 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 15; vgl BSG Urteil vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R - BSGE 89, 90, 99 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 12 f; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 56) bzw das objektivierte Empfängerverständnis (BSG Urteil vom 10.7.2012 - B 13 R 85/11 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 14 RdNr 25; vgl BSG Urteil vom 1.3.1979 - 6 RKa 3/78 - BSGE 48, 56, 58 f = SozR 2200 § 368a Nr 5 S 10). Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehaltes eines Verwaltungsaktes kommt es mithin darauf an, wie Adressaten und Drittbetroffene ihn nach Treu und Glauben verstehen mussten bzw durften (vgl BVerwG Urteil vom 7.6.1991 - 7 C 43/90 - NVwZ 1993, 177, 179; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl 2012, § 35 RdNr 54). Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BVerwG Urteil vom 18.6.1980 - 6 C 55/79 - BVerwGE 60, 223, 228).

16

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien durfte der Kläger davon ausgehen, dass mit der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis und der Feststellung der Pflichtmitgliedschaft eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung in einem an ihn persönlich adressierten und unter Erwähnung der von ihm selbst ausgeübten Jagdpacht gefassten Bescheid, er persönlich gegen Unfälle im Zusammenhang mit der Jagdpacht künftig versichert werden sollte (vgl BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 12 AL 1/05 R - SozR 4-2400 § 27 Nr 2). Dies folgt zum einen daraus, dass in dem Begründungstext des Bescheids vom 28.7.2005 auf § 123 SGB VII verwiesen wird, aus dem sich iVm § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII die Versicherungspflicht für Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens als zwingende Rechtsfolge ergibt. Auch wenn sich die Bindungswirkung eines Verwaltungsakts iS des § 77 SGG grundsätzlich auf den Verfügungssatz beschränkt(BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21), kann einem Satz der Begründung eines Verwaltungsakts nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht eine solche Bedeutung zukommen, dass er unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten als selbständige Feststellung im Sinne eines (weiteren) Verfügungssatzes zu werten ist (BSG Urteil vom 20.11.1996 - 3 RK 5/96 - BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21; BSG Urteil vom 30.1.1990 - 11 RAr 47/88 - BSGE 66, 168, 173 = SozR 3-2400 § 7 Nr 1). Verstärkt wird dies im vorliegenden Fall durch den Umstand, dass nach den Feststellungen des LSG, die seitens der Beteiligten nicht in Zweifel gezogen werden, dem Bescheid als Anlage ein "Merkblatt über die gesetzliche Unfallversicherung der Jagden" beigefügt war, welches unter Nennung des § 2 SGB VII ausdrücklich ausführt, dass sich der Versicherungsschutz in der LUV auch auf den Unternehmer (Eigenjagdbesitzer oder Jagdpächter) erstrecke.Diese Erklärung kann von einem objektiven Empfängerhorizont aus nur so verstanden werden, dass dem Kläger gegenüber das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses zwischen ihm und der Beklagten, also ein Rechtsverhältnis, festgestellt wird (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2).

17

Der Kläger musste zudem davon ausgehen, dass der an ihn persönlich gerichtete Bescheid nach Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen durch eine Berufsgenossenschaft in seinem konkreten Einzelfall im Rahmen eines - von Amts wegen eingeleiteten - Verwaltungsverfahren iS von § 8 SGB X erfolgt ist(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), und daher alle rechtlichen Aspekte geprüft wurden. Bei Irrtum der erlassenden Behörde über rechtliche Voraussetzungen oder tatsächliche Umstände bleibt bis zum Eintritt des Versicherungsfalls allenfalls das Rücknahmeinstrumentarium der §§ 44 ff SGB X, von dem die Beklagte vorliegend gerade keinen Gebrauch gemacht hat(vgl BSG Urteil vom 5.7.1994 - 2 RU 33/93 - juris; BSG Urteil vom 26.9.1986 - 2 RU 54/85 - mwN in HV-Info 1987, 33).

18

b) Ermächtigungsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht ist § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII, wonach der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer feststellt(BSG Urteil vom 5.2.2008 - B 2 U 3/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 4 RdNr 14). Die Vorschrift ermächtigt nicht nur zur Feststellung der sachlichen und örtlichen "Zuständigkeit", sondern auch dazu, einem Unternehmer gegenüber (irgend)ein Versicherungsverhältnis zwischen diesem und dem Träger festzustellen (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2, RdNr 31).

19

c) Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 28.7.2005 ist jedoch, was das LSG zutreffend erkannt hat, rechtswidrig, weil der Kläger kraft europäischer Kollisionsnormen ausschließlich dem gesetzlichen Regelungsregime der Niederlanden unterlag. Dies ändert jedoch nichts an der Wirksamkeit der in dem Bescheid aus der Sicht des Empfängerhorizonts (vgl soeben b) getroffenen Regelungen über einen Versicherungsschutz des Klägers als Jagdpächter (sogleich unter d ff).

20

Auf den Rechtsstreit finden noch die Vorschriften der VO (EWG) 1408/71 vom 14.6.1971 (ABl L 149 vom 5.7.1971, S 2-50) Anwendung und nicht die VO (EG) 883/2004, die die VO (EWG) 1408/71 erst zum 1.5.2010 - mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung VO (EG) 987/2009 - abgelöst hat (Art 91 VO 883/2004; Art 97 VO 987/2009). Aus Art 87 Abs 1 VO (EG) 883/2004, der nach Art 93 VO (EG) 987/2009 für Sachverhalte im Anwendungsbereich der Durchführungsverordnung gilt, ergibt sich, dass das neue Recht keinen Anspruch für den Zeitraum vor Beginn seiner Anwendung begründet (vgl EuGH Urteil vom 19.7.2012 - C-522/10 - "Reichel-Albert" - EuGHE I 2012, 518, RdNr 26). Zum einen begehrt der Kläger vorliegend nur die Feststellung eines Versicherungsfalls, nicht hingegen die Zahlbarmachung einer konkreten Leistung. Aber selbst wenn man diese Feststellung als (notwendige) Vorstufe für den Leistungsfall ansieht, stellt sie die Grundlage für die bereits seitens der Beklagten unmittelbar nach dem Unfallereignis erbrachten Sachleistungen dar, weshalb Gegenstand des Rechtsstreits nicht alleine Leistungen für die Zeit nach Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 sind. Der Fall ist daher umfassend nach der VO (EWG) 1408/71 zu prüfen.

21

Der Kläger unterlag hier den Vorschriften des niederländischen Rechts. Nach Art 13 Abs 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 unterliegen, vorbehaltlich der Art 14c und 14f, Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Art 13 Abs 2 lit b VO (EWG) 1408/71 bestimmt näher, dass eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Abweichend hiervon sieht Art 14a Nr 2 und 3 der VO (EWG) 1408/71 vor, dass eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. Eine Person, die eine selbständige Tätigkeit in einem Unternehmen ausübt, das seinen Sitz im Gebiet eines Mitgliedstaats hat und durch dessen Betrieb die gemeinsame Grenze von zwei Mitgliedstaaten verläuft, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Unternehmen seinen Sitz hat (Nr 3). Keine dieser Varianten liegt hier vor. Vielmehr verfügt der Kläger nach den Feststellungen des LSG über zwei Wohnsitze und übt zwei verschiedene selbständige Tätigkeiten in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten isoliert nebeneinander aus. Der EuGH hat hierzu durch Beschluss vom 20.10.2000 klargestellt, dass der in Art 13 VO (EWG) 1408/71 verankerte Grundsatz der Anwendbarkeit nur eines Rechts gebiete, auch in solchen Fällen auf den "Wohnort" abzustellen (EuGH Urteil vom 20.10.2000 - C-242/99 - "Vogler" - EuGHE I 2000, 9083, RdNr 24 und RdNr 27; in diesem Sinne auch EuGH Urteil vom 18.4.2013 - C-548/11 - "Mulders" - vgl dazu Fuchs, NZS 2014, 121, 124).

22

Der Kläger hatte seinen Wohnort in diesem Sinne in den Niederlanden. Als Wohnort bestimmt Art 1 lit h VO (EWG) 1408/71 den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Kommen zwei Aufenthaltsorte (Art 1 lit i VO 1408/71) in Betracht, bestimmt sich der Wohnort nach objektiven und subjektiven Umständen. Entscheidend ist, wo sich der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen des Einzelnen befindet (Eichenhofer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 1 RdNr 31). Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass der Begriff des Mitgliedstaats, in dem die Person wohnt, den Staat bezeichnet, in dem die Person gewöhnlich wohnt und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet (EuGH Urteil vom 16.5.2013 - C-589/10 - "Wencel" - ZESAR 2013, 456; EuGH Urteil vom 25.2.1999 - C-90/97 - "Swaddling" - EuGHE I 1999, 1075, RdNr 29). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hielt sich der Kläger zeitlich überwiegend an seinem Wohnort in den Niederlanden auf, wo er eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit als Bauunternehmer ausübte. Die rechtliche Schlussfolgerung des LSG, den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und damit seinen Wohnort iS von Art 1 lit h und i VO (EWG) 1408/71 als in den Niederlanden liegend zu bestimmen, ist daher nicht zu beanstanden. Ein anderes Ergebnis würde sich im Übrigen wohl auch nicht unter Anwendung der VO (EG) 883/2004 ergeben.

23

d) Trotz seiner Rechtswidrigkeit ist der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 gleichwohl wirksam. Der Verwaltungsakt vom 28.7.2005 wurde dem Kläger ordnungsgemäß bekannt gegeben (§ 37 Abs 1 SGB X; BSG Urteil vom 13.11.1985 - 1/8 RR 5/83 - BSGE 59, 122, 128 = SozR 2200 § 253 Nr 2). Die Ermächtigung des § 136 Abs 1 SGB VII gilt nämlich auch dann, wenn die Feststellung erfolgt, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Beklagte hat sich somit auf eine vorhandene Ermächtigungsgrundlage gestützt, um durch den Aufnahmebescheid den Beginn der von ihr angenommenen Zuständigkeit aufgrund einer gesetzlichen Versicherung des Unternehmers nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII festzustellen(BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s zum Aufnahmebescheid Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5).

24

e) Die Wirksamkeit der Feststellung des Versicherungsschutzes scheitert nicht an europarechtlichen Kollisionsnormen, die lediglich das anzuwendende materielle Recht (Statut), nicht hingegen - wie Sachnormen - unmittelbar das zugrunde liegende Lebensverhältnis und damit auch das Verfahrensrecht regeln (von Maydell, Sach- und Kollisionsnormen, 1967, S 22 ff). Zwar genießen unmittelbar geltende Vorschriften des Unionsrechts im Kollisionsfall Anwendungsvorrang gegenüber dem nationalen Recht (s EuGH Urteil vom 15.7.1964 - C-6/64 - "Costa./. E.N.E.L" - EuGHE 1964, 1251; EuGH Urteil vom 7.2.1991 - C-184/89 - "Nimz" - EuGHE I 1991, I-297, RdNr 19; BVerfGE 75, 223, 244; BVerfGE 85, 191, 204).Jedoch beeinflusst der Grundsatz vom "Vorrang des Unionsrechts" nicht die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl 2011, Einführung II RdNr 38), wonach diese berechtigt und verpflichtet sind, das Unionsrecht ebenso wie das nationale Recht nach den Regelungen des nationalen (Verwaltungs-) Verfahrensrechts unter Berücksichtigung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze der EU zu vollziehen, soweit nicht unmittelbar geltende Verfahrensbestimmungen der EU ausnahmsweise vorgehen (vgl EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/82 - "Milchkontor" - EuGHE 1983, 2633, 2665; vgl BVerwG Urteil vom 29.11.1990 - 3 C 77.87 - BVerwGE 87, 154, 158). Art 48 AEUV sieht wie zuvor Art 42 EGV gerade eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vor, weshalb im Übrigen die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt werden. Somit bleibt jeder Mitgliedstaat dafür zuständig, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (vgl EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737). Ebenso wenig wie die VO (EWG) 1408/71 gemäß § 6 SGB IV gegenüber § 3 SGB IV vorrangige Regelungen zum Bestehen der Versicherungspflicht nach nationalem Recht sowie einer Pflichtmitgliedschaft bei einem nationalen Sozialversicherungsträger enthält, sondern diese nur ergänzt(BSG Urteil vom 26.1.2005 - B 12 P 4/02 R - SozR 4-2400 § 3 Nr 1; vgl BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 1 KR 5/98 R - BSGE 84, 98, 100 = SozR 3-2400 § 3 Nr 6 S 8), kann sie demgemäß ein nach nationalem Verwaltungsverfahrensrecht entstandenes (formales) Versicherungsverhältnis beseitigen. Eine europarechtliche Norm, die bestimmt, dass ein materiell europarechtswidriger Verwaltungsakt grundsätzlich nichtig ist, existiert ersichtlich nicht.

25

f) Der das Versicherungsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten feststellende Verwaltungsakt vom 28.7.2005 ist auch nicht gemäß § 40 SGB X nichtig. Die in § 40 Abs 2 SGB X genannten Tatbestände liegen nicht vor. Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Auch wenn aufgrund europarechtlicher Kollisionsnormen der Kläger alleine dem niederländischen Sozialversicherungsrecht unterfällt und die Feststellung eines Sozialversicherungsverhältnisses nach deutschem Recht mithin objektiv rechtswidrig war, war dieser Fehler nach den Kriterien des § 40 Abs 1 SGB X nicht "offensichtlich". Maßstab für die "Offensichtlichkeit" eines Fehlers ist der Durchschnittsbürger, der ohne besondere Sachkenntnis den Fehler erkennen können muss (vgl nur Roos in von Wulffen, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10 mwN). Dass ein Jagdpächter, der zumindest auch über einen Wohnsitz im Gebiet des Geltungsbereichs des SGB X verfügt, hinsichtlich seiner in Deutschland betriebenen Jagdpachten deutschem Sozialversicherungsrecht nicht unterliegt, ist nicht in diesem Sinne offenkundig (vgl BSG Beschluss vom 23.2.2005 - B 2 U 409/04 B - juris). Selbst bei groben Zuständigkeitsverstößen ist ein Feststellungsbescheid daher zwar rechtswidrig aber nicht nichtig (BSG Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 285 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; BSG Urteil vom 30.10.1974 - 2 RU 42/73 - BSGE 38, 187, 192 = SozR 2200 § 664 Nr 1; s auch Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, § 136 RdNr 3). Schließlich führt auch der (oben unter e> bereits zitierte) Grundsatz vom "Vorrang des Europarechts" nicht dazu, dass jeder Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht binnenstaatlich als Nichtigkeitsgrund zu behandeln ist (BVerwG Beschluss vom 11.5.2000 - 11 B 26/00 - NVwZ 2000, 1039; BVerwG Urteil vom 18.4.1997 - 3 C 3.95 - BVerwGE 104, 289, 295 f; vgl EuGH Urteil vom 19.9.2006 - C-392/04, C-422/04 - "i-21 Germany und Arcor" - EuGH I 2006, 8559 ff).

26

g) Der Senat konnte es aufgrund des durch Verwaltungsakt vom 28.7.2005 festgestellten formalen Versicherungsverhältnisses dahinstehen lassen, ob auch die Voraussetzungen einer Formalversicherung vorliegen, weil die Beklagte den Kläger ohne dessen Verschulden auch vom Beitragsjahr 2005 an regelmäßig zu Beiträgen veranlagt hat. Während das hier vorliegende formale Versicherungsverhältnis durch einen rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt begründet wird (vgl grundlegend BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2), stellt die Rechtsprechung des BSG zur Formalversicherung im Wesentlichen auf den Vertrauensschutz desjenigen ab, der (wegen der Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis als Mitglied und zugleich als Versicherter) unbeanstandet Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichtet hat (s BSG Urteil vom 30.3.1988 - 2 RU 34/87 - SozR 2200 § 539 Nr 126 mwN; BSG Urteil vom 26.11.1987 - 2 RU 7/87 - SozR 2200 § 776 Nr 8 mwN; BSG Urteil vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71 = SozR Nr 40 zu § 539 RVO). Die Formalversicherung kann sich auch auf Fälle erstrecken, in denen einzelne nicht versicherungspflichtige Personen in den Lohnnachweis aufgenommen und bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt worden sind (BSG Urteil vom 14.12.1999 - B 2 U 48/98 R - juris; vgl BSG Urteil vom 27.7.1972 - 2 RU 193/68 - BSGE 34, 230, 233 = SozR Nr 1 zu § 664 RVO mwN).

27

Durch den materiell-rechtlich rechtswidrigen, aber wirksamen Verwaltungsakt vom 28.7.2005 (§ 39 Abs 1 bis 3 SGB X), der dem Kläger ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde (§ 37 Abs 1 SGB X)ist somit ein formales Versicherungsverhältnis begründet worden (BSG Urteil vom 17.5.2011 - B 2 U 18/10 R - BSGE 108, 194 = SozR 4-2700 § 6 Nr 2; s auch Streubel in LPK-SGB VII, 3. Aufl 2011, § 136 RdNr 5). Damit war der Kläger kraft der Regelungswirkung des Verwaltungsakts und unabhängig von dem anwendbaren Rechtsstatut zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses gegen im wesentlichen Zusammenhang mit seiner Jagdpacht stehende Unfälle versichert, weil die Beklagte das versicherungsrechtliche Wagnis, gegen das die Unfallversicherung schützt, rechtsverbindlich übernommen hat (vgl BSG Urteil vom 30.6.1965 - 2 RU 175/63 - BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr 1 zu § 555 RVO; BSG Urteil vom 27.7.1989 - 2 RU 54/88 - SozR 2200 § 551 Nr 3).

28

2. Das Ereignis vom 17.5.2008 stellte auch einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs 1 SGB VII dar. Hiernach sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Tatbestandsvoraussetzung eines Arbeitsunfalls (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 9/10 R - BSGE 107, 197 = SozR 4-2700 § 2 Nr 17; vgl BSG Urteil vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 9 mwN).

29

Der Unfall in Form des Sturzes vom Hochsitz ereignete sich bei einer Verrichtung des Klägers, die sowohl objektiv (BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) als auch subjektiv auf Erfüllung des Tatbestands der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet war. Im Bereich der Unternehmerversicherung sind alle Tätigkeiten, die im inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen, versichert (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 RdNr 10.3.), und daher auch alle Nebentätigkeiten, die dem Erhalt des Jagdreviers dienen, somit auch die Reparatur eines Hochsitzes (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 123 RdNr 13). Der Kläger hat zudem rechtlich wesentlich durch das angeschuldigte Unfallereignis verursacht Gesundheitsschäden in Form von Frakturen zweier Lendenwirbelkörper und des Handgelenks erlitten.

30

3. Aus dem formalen Versicherungsverhältnis folgt der Anspruch des Klägers, den Versicherungsfall festzustellen. Die Anerkennung eines Versicherungsfalls nach deutschem Unfallversicherungsrecht führt auch nicht zu Wirkungsverlusten des Unionsrechts. Zum einen wird dadurch keine verfahrensrechtliche Schlechterstellung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten im Sinne des Diskriminierungsverbots bewirkt (s EuGH Urteil vom 21.9.1983 - C-205/215/82 - "Milchkontor" - EuGHE I 1983, 2633) noch wird zum anderen die effektive Durchsetzung des Unionsrechts dadurch behindert (sog Effektivitätsgebot, EuGH Urteil vom 15.9.1998 - C-231/96 - "Edis" - EuGHE I 1998, 4951, RdNr 19 und 34). Die Bestimmungen der VO (EWG) 1408/71 sind im Lichte des Art 48 AEUV so auszulegen, dass sie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erleichtern sollen (EuGH Urteil vom 30.6.2011 - C-388/09 - "da Silva Martins" - EuGHE I 2011, 5737, RdNr 70). Dies impliziert, dass Wanderarbeitnehmer nicht deshalb Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit verlieren oder geringere Leistungen erhalten dürfen, weil sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben. Eine Auslegung dieser Bestimmungen, die es einem Mitgliedstaat verbietet, Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen einen weitergehenden sozialen Schutz zu gewähren, als sich aus der Anwendung europarechtlicher Normen ergibt, liefe dem Ziel der VO (EWG) 1408/71 und Art 48 AEUV zuwider (vgl EuGH Urteil vom 16.7.2009 - C 208/07 - "von Chamier-Gliszinski" - EuGHE I 2009, 6097, RdNr 56). Entscheidend ist, ob bei unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen der Art 13 ff der VO (EWG) 1408/71 gewährten Leistungen des nicht zuständigen Mitgliedstaates (hier Deutschlands) ein Arbeitnehmer in Folge der Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit einen Rechtsnachteil erleidet (s EuGH Urteil vom 12.6.2012 - C-611/10 ua - "Hudzinski" - juris RdNr 26 ff).Dies gilt auch für die Freiheit der Selbständigen als Teil der Niederlassungsfreiheit (Art 49 AEUV), da die Freizügigkeit auch diesbezüglich oberster Leitgedanke der Koordinierung ist (s Art 48 Abs 1 AEUV; vgl Fuchs in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 1 Aufl 2009, VO 1408/71 RdNr 4 zu Art 39 ff; Langer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Vorbemerkungen zu Art 39 EG RdNr 1).

31

Durch die vom Kläger begehrte Feststellung des Versicherungsfalls in Deutschland sind indes keinerlei Nachteile oder gar ein Verlust etwaiger Leistungsansprüche im zuständigen Mitgliedstaat Niederlande zu befürchten. Das BSG ist nicht durch § 162 SGG gehindert, insoweit auch ausländisches Recht zu prüfen(BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 13/5 RJ 39/90 - BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSG Urteil vom 24.7.1997 - 11 RAr 95/96 - BSGE 80, 295, 299 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 49/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25; BSG Urteil vom 31.8.1977 - 1 RA 155/75 - BSGE 44, 221, 222 = SozR 5050 § 15 Nr 8), weil das LSG - aus seiner Sicht konsequent - das niederländische Recht nicht erörtert hat (vgl BSG Urteil vom 18.12.2008 - B 11 AL 32/07 R - BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4; BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 24/91 - BSGE 71, 163 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSG Urteil vom 8.7.1993 - 7 RAr 64/92 - BSGE 73, 10 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1).

32

Eine gesetzliche Unfallversicherung existiert in den Niederlanden nicht (Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4 Aufl 2005, Art 61 RdNr 2). Ansprüche wegen Arbeitsunfähigkeit oder Invalidität werden dort unabhängig von der Entstehungsursache durch verschiedene Arbeitnehmerversicherungen (werknemersverzekeringen) entschädigt, die im Unterschied zu den wohnsitzabhängigen Volksversicherungen (volksverzekeringen) alleine abhängig Beschäftigten, nicht aber Selbständigen offenstehen (vgl Pabst, BPUZ 11/2002, 580; Walser, ZFSH/SGB 2008, 195; s auch http://www.svb.nl/int/de sowie http://www.government.nl/documents-and-publications/leaflets/2012/08/02/short-survey-of-social-security-in-the-netherlands-1-july-2012.html). Der Senat hat keine Zweifel, dass der Kläger als Bauunternehmer in den Niederlanden eine selbständige Berufstätigkeit ausgeübt hat, in deren Rahmen er Leistungen erhielt, die es ihm ermöglichten, ganz oder teilweise seinen Lebensunterhalt zu bestreiten (EuGH Urteil vom 23.10.1986 - C-300/84 - "van Roosmalen" - EuGHE I 1986, 3097). Nach den Angaben des Klägers hat dieser auch von der im niederländischen Recht vereinzelt bestehenden Möglichkeit, sich freiwillig in einem Zweig der gesetzlichen Arbeitnehmerversicherung gegen Krankheit oder Invalidität zu versichern, keinen Gebrauch gemacht. Im Ergebnis ist somit das Eingreifen nationaler Antikumulierungsvorschriften iS von Art 12 Abs 2 VO (EWG) 1408/71, die zu einem Rechtsnachteil für den Kläger führen könnten, wenn Versicherungsschutz (und Leistungen) nach deutschem Recht gewährt werden, nicht denkbar. Der Senat konnte dabei dahinstehen lassen, ob der Kläger eine private Unfallversicherung zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfallereignisses abgeschlossen hatte, weil diese nicht zu den in Art 4 VO (EWG) 1408/71 vorausgesetzten Zweigen der sozialen Sicherheit zählt (vgl Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 4 RdNr 5) und dementsprechend bei etwaigen Antikumulierungsnormen keine Berücksichtigung findet.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger als bestellten Bevollmächtigten der Bau & Forstbetrieb L. Limited (B & F L. Limited) für deren Beitragsschulden in voller Höhe durch Beitragsbescheid in Anspruch nehmen durfte.

2

Der Kläger war (Mit-)Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der B & F L. Limited, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem und walisischem Recht, die im Handelsregister für England und Wales (Companies House) eingetragen war. Satzungssitz war Birmingham; das Haftungskapital betrug 100 englische Pfund. Unternehmensgegenstand waren ua Maurer-, Putz- und Betonarbeiten.

3

Mit identischem Unternehmensgegenstand meldete die B & F L. Limited am 29.12.2005 im Inland eine Zweigstelle als Gewerbe an. Diese wurde später in das Handelsregister beim AG Frankfurt (Oder) eingetragen. In der Gewerbeanmeldung wurde der Kläger als Bevollmächtigter der B & F L. Limited benannt. Die Zweigniederlassung nahm ihre Geschäftstätigkeit zum 1.1.2006 auf. Im Jahre 2007 stellte sie den Geschäftsbetrieb ein. Das Gewerbe wurde zum 28.2.2007 abgemeldet. Das AG Frankfurt (Oder) eröffnete durch Beschluss vom 2.4.2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B & F L. Limited. Die Beklagte forderte vom Kläger persönlich nach Anhörung Umlagen und Unfallversicherungsbeiträge iHv 8639,41 Euro für das Umlagejahr 2006 (Beitragsbescheid vom 7.6.2010, Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010).

4

Das SG Frankfurt (Oder) hat die Bescheide auf die Klage aufgehoben (Urteil vom 4.3.2013): Ein Rückgriff auf den Kläger nach § 130 Abs 2 SGB VII sei nicht möglich, weil die Vorschrift nur Fälle erfasse, in denen ein ausländisches Unternehmen im Inland überhaupt keinen Sitz habe. Ein Inlandssitz bestehe, wenn im Inland eine Betriebsstätte unter verantwortlicher Leitung des Unternehmers existiere. Ein Zugriff auf einen Bevollmächtigten sei dann nicht erforderlich, weil mit der Zweigniederlassung ein für den Unfallversicherungsträger greifbarer Schuldner existiere.

5

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Berlin-Brandenburg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.4.2015): Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nach § 150 Abs 2 S 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII Schuldner der Beitragsforderung. Er sei als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer unzweifelhaft Bevollmächtigter iS des § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Auch habe die B & F L. Limited keinen Inlandssitz gehabt. Maßgeblich hierfür sei die sog Gründungstheorie des EuGH. Hiernach komme es auf den Staat an, in dem die Gesellschaft gegründet worden sei. Die B & F L. Limited habe ihren Gesellschaftssitz weiterhin in Großbritannien. Den Entscheidungen des EuGH zur Gründungstheorie sei der Grundgedanke zu entnehmen, dass, wenn ein EU-Staatsangehöriger in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig eine Kapitalgesellschaft gründe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft dann aber ausschließlich in einem anderen Mitgliedsstaat entfalte, auf die Gesellschaft das Recht des Gründungsstaates Anwendung finde. Der Kläger könne nicht iS eines Rosinenpickens im Rahmen seiner Gestaltungsmöglichkeiten eine Gesellschaft nach ausländischem Recht gründen, mit dieser ausschließlich im Inland Geschäftsaktivitäten entfalten, um sich dann dennoch als inländische Gesellschaft behandeln lassen zu wollen. Zudem bestehe bei ausländischen Gesellschaften, die mangels Mindestkapitalisierung weniger solvent seien, ein Bedürfnis, einen gesamtschuldnerisch haftenden Bevollmächtigten nach § 130 Abs 2 SGB VII zu bestellen. Insbesondere spreche auch § 130 Abs 2 S 3 SGB VII, der den Ort der inländischen Betriebsstätte als Sitz fingiere, für eine an rechtlichen Gesichtspunkten orientierte Begriffsbestimmung. Einer solchen Fiktion bedürfte es nicht, wenn allein die Existenz einer Zweigniederlassung ohne Weiteres einen Inlandssitz begründen würde. Schließlich würde nach §§ 13d ff HGB für ausländische Gesellschaften im Geltungsbereich des HGB eine Niederlassung eingetragen, ohne dass hierdurch eine Änderung des Unternehmenssitzes eintrete.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 150 Abs 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Der Unternehmenssitz sei gemäß § 130 Abs 1 SGB VII nicht rechtlich, sondern nach dem organisatorischen Mittelpunkt zu bestimmen. Soweit ein Unternehmen im Inland einen organisatorischen Mittelpunkt habe, habe es mit dieser selbständigen Niederlassung einen Inlandssitz.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 SGG) des Klägers abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten in dem Beitragsbescheid vom 7.6.2010 iVm dem Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010, ihn als Gesamtschuldner allein in voller Höhe für die Beiträge der B & F L. Limited im Umlagejahr 2006 heranzuziehen, ist rechtswidrig. Zwar lagen im hier maßgebenden Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Jahre 2010 die Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen § 168 Abs 1, § 130 Abs 2 S 2, § 150 Abs 1 S 1, Abs 2 S 2 SGB VII zu Lasten des Klägers vor. Die neu entstandene Beitragspflicht des Klägers änderte jedoch nichts daran, dass die B & F L. Limited weiterhin ebenfalls Beitragsschuldnerin war (nachfolgend 1.). Die Beklagte hat es aber versäumt, von der ihr in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch zu machen und zu begründen, wieso sie die Beiträge von dem Kläger persönlich in voller Höhe als Gesamtschuldner fordert. Insofern liegt ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs vor (§ 54 Abs 2 S 2 SGG; nachfolgend 2.).

10

1. Nach § 168 Abs 1 SGB VII teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Beitragspflichtig sind nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII die Unternehmer(§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), für deren Unternehmen (§ 121 Abs 1 SGB VII) Versicherte (§§ 2, 3 und 6 SGB VII) tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die (örtliche) Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers und dessen Gläubigerstellung im Beitragsschuldverhältnis richtet sich gemäß § 130 Abs 1 S 1 SGB VII nach dem Sitz des Unternehmens. Diese Vorschrift regelt indes nur Fälle, in denen Unternehmen einen Inlandssitz haben, wie sich im Umkehrschluss aus § 130 Abs 2 S 1 SGB VII ergibt ("Hat ein Unternehmen keinen Sitz im Inland …"). Für Unternehmen mit Sitz im Ausland greift § 130 Abs 1 S 1 SGB VII demnach nicht. Vielmehr gilt dann § 130 Abs 2 S 1 SGB VII, der die Bestellung eines Bevollmächtigten vorsieht. Beide Absätze des § 130 SGB VII stehen also in einem Stufenverhältnis, sodass § 130 Abs 2 SGB VII nur zur Anwendung kommt, wenn § 130 Abs 1 SGB VII nicht einschlägig ist. Hat das Unternehmen einen Inlandssitz, steht dem Unfallversicherungsträger als Gläubiger der Beitragsforderung allein der Unternehmer als Schuldner gegenüber (s auch Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland (mehr) hat, muss er gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland bestellen, der kraft Gesetzes(§ 130 Abs 2 S 2 SGB VII) die Pflichten des Unternehmers hat. Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII haften "die in § 130 Abs 2 S 1 … genannten Bevollmächtigten … mit den Unternehmern als Gesamtschuldner".

11

a) Zuständiger Unfallversicherungsträger und damit Gläubigerin der geltend gemachten Beitragsforderung ist die Beklagte, weil die B & F L. Limited ihren unfallversicherungsrechtlichen Unternehmenssitz am Ort ihrer Zweigniederlassung im inländischen R. hatte, als die Beitragsansprüche im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach entstanden sind (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII). Die Zweigniederlassung der B & F L. Limited war ein "Unternehmen" iS des § 121 Abs 1 SGB VII. Nach dessen Klammerzusatz erfasst der unfallversicherungsrechtliche Unternehmensbegriff neben Betrieben und Einrichtungen auch bloße Tätigkeiten (Senatsurteil vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2 RdNr 13)und ist mithin denkbar weit. Da die B & F L. Limited ihre Geschäftstätigkeit in R. tatsächlich ausübte, war ihre dortige Zweigniederlassung ein "Unternehmen" iS des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung. Der "Sitz" des Unternehmens ist sein organisatorischer Mittelpunkt, von dem es kaufmännisch und technisch geleitet wird (so bereits RVA EuM 14, 182; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, 4/2014, § 130 RdNr 10; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl 2014, § 130 RdNr 2; Leube in Kater/Leube, 1997, SGB VII, § 130 RdNr 3; Quabach, Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VII, 2. Aufl 2014, § 130 RdNr 17; Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Dies war bei der im Vereinigten Königreich gegründeten, aber ausschließlich in Deutschland tätigen B & F L. Limited nicht ihr satzungsrechtlicher Sitz in B., sondern der Ort der Zweigniederlassung in R. Dagegen ist ein an rechtlichen Gesichtspunkten orientiertes Begriffsverständnis des Unternehmenssitzes - wie vom LSG angenommen - mit dem auf die tatsächliche Tätigkeitsausübung bezogenen Unternehmensbegriff des SGB VII unvereinbar. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit die vom EuGH in anderem Zusammenhang entwickelte sog "Gründungstheorie" dem insofern eindeutigen Wortlaut und Regelungszusammenhang der §§ 121,130 SGB VII vorgehen sollte. Dass europarechtlich eine Gründung des Unternehmens in einem anderen Land zulässig ist, ändert nichts am Anknüpfen der § 121 SGB VII und § 130 SGB VII an der faktischen Organisation eines Unternehmens im Inland(anders offenbar LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 4.12.2014 - L 6 U 99/12 - IPRspr 2014, Nr 33, 54 ff = Juris RdNr 33 ff).

12

b) Beitragspflichtig und damit Schuldnerin der im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII)entstandenen Beitragsforderung war zunächst ausschließlich die B & F L. Limited als Unternehmerin (§ 150 Abs 1 S 1 SGB VII), der das Ergebnis des Unternehmens (Zweigniederlassung) unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichte (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Diese Beitragspflicht blieb bestehen, als der bevollmächtigte Kläger am 1.3.2007 als weiterer Beitragsschuldner gemäß § 130 Abs 2 S 2 SGB VII kraft gesetzlichen Schuldbeitritts neben die B & F L. Limited trat. Diese Vorschrift erstreckt "die Pflichten des Unternehmers", zu denen auch die Beitragspflicht nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII zählt, auf dessen Bevollmächtigten. Einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland hat der Unternehmer gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII zu bestellen, wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland hat. Die damit verbundene Rechtspflicht, einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen, entstand für die B & F L. Limited erstmals am 1.3.2007 um 0.00 Uhr, nachdem sie nach den nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)als Unternehmerin mit Sitz im Vereinigten Königreich den Geschäftsbetrieb in ihrer inländischen Zweigniederlassung am 28.2.2007 um 24.00 Uhr eingestellt und das Gewerbe abgemeldet hatte. Damit hatte sie am 1.3.2007 ab 0.00 Uhr keinen Sitz im Inland mehr. Gleichzeitig war dieser Rechtspflicht Genüge getan, weil die Unternehmerin den Kläger, der seinen Wohnsitz im Inland hatte, nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts bereits in der Gewerbeanmeldung vom 29.12.2005 ausdrücklich als ihren "Bevollmächtigten" bezeichnet und in der Handelsregisteranmeldung als alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer benannt und damit zu ihrem Bevollmächtigten im Inland bestellt hatte.

13

Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII hat der Kläger als Gesamtschuldner für die (Beitrags-)Pflicht der B & F L. Limited einzustehen und konnte gemäß § 168 Abs 1 SGB VII - im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 10.12.2010 - als solcher durch Beitragsbescheid in Haftung genommen werden. Entscheidend ist deshalb im vorliegenden Fall, dass der Beklagten bei Erlass der angefochtenen Bescheide nach der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Rechts- und bestehenden Sachlage zwei Schuldner für die Beitragsforderung zur Verfügung standen, nämlich nach wie vor die B & F L. Limited und nach der Aufgabe deren Produktionsstätte im Inland der Kläger persönlich. Insofern ist es auch wenig nachvollziehbar, inwiefern das Abstellen auf das deutsche Beitragsrecht der §§ 130, 150 SGB VII dem Kläger hier eine "Rosinenpickerei" ermöglichen könnte.

14

2. Die Beklagte hat es jedoch versäumt, ihr durch § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumtes Ermessen, ob und ggf welchen der beiden Gesamtschuldner sie in welcher Höhe in Haftung nimmt, zu betätigen(zu der von § 150 Abs 2 S 2 SGB VII generell geforderten Ermessensausübung vgl bereits Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Damit war der an den Kläger persönlich gerichtete Beitragsbescheid vom 7.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2010 wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben.

15

Die Möglichkeit eines Gläubigers, "die Leistung nach ... Belieben von jedem" der (Gesamt-)Schuldner "ganz oder zu einem Teil" zu "fordern" (vgl § 421 S 1 BGB), ist im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich in der Weise überformt, dass bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität ("ganz oder zu einem Teil") eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen ist. An die Stelle des zivilrechtlichen Beliebens tritt - schon wegen des verfassungsrechtlichen Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) - im öffentlichen Recht die ermessensgebundene Entscheidung. Mit der gesetzlichen Anordnung in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigter als Gesamtschuldner haften, wird der ausführenden Behörde damit gleichzeitig Ermessen eingeräumt; der Gesamtschuldnerschaft im öffentlichen Recht ist - mit anderen Worten - die Ermessenseinräumung begrifflich immanent.

16

Der Unfallversicherungsträger ist als Träger öffentlicher Gewalt grundrechtsgebunden, sodass die belastende Entscheidung, welchen von mehreren Grundrechtsträgern (= Schuldnern) er in welcher Höhe in Anspruch nehmen möchte (Grundrechtseingriff), nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen (Auswahl-)Ermessen der Behörde steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Im Fall der Gesamtschuldnerschaft kann der einzelne Beitragspflichtige deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung seiner Freiheitsgrundrechte, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots in Anspruch genommen werden. Jeder Gesamtschuldner hat ein subjektiv-öffentliches Recht, dass der Unfallversicherungsträger die belastende Entscheidung über seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft. In diesem Sinne liegt es auch nach ständiger Rechtsprechung des BFH im Ermessen der Finanzbehörde, welchen Gesamtschuldner iS des § 44 AO sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt(vgl zB BFH Urteil vom 2.12.2003 - VII R 17/03 - BFHE 204, 380 sowie Beschlüsse vom 12.7.1999 - VII B 2/99 - Juris RdNr 15 und vom 7.10.2004 - VII B 46/04 - BeckRS 2004, 25007513; Ratschow in Klein, AO, 13. Aufl 2016, § 44 RdNr 13). Gleiches gilt für den Erlass von Haftungsbescheiden nach § 191 AO(vgl BFH Urteile vom 24.10.1979 - VII R 7/77 - BFHE 129, 13 = Juris RdNr 10 mwN und vom 23.10.1985 - I R 248/81 - BFHE 145, 175 = Juris RdNr 27; Intemann in Koenig, AO, 3. Aufl 2014, § 191 RdNr 35 f). Im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung kann nichts anderes gelten, weshalb § 150 Abs 2 S 2 SGB VII insofern als Ausdruck eines allgemeinen das Beitragsrecht beherrschenden Grundsatzes anzusehen ist(ebenso Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Denn immer dort, wo die Behörde die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten hat (hier: Auswahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern und Festsetzung der Forderungshöhe "ganz oder zum Teil"), ist sie iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB I ermächtigt, "nach ihrem Ermessen" zu handeln und hat gleichzeitig "ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten". Dass sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur auf die "Entscheidung über Sozialleistungen" erstreckt, ist bedeutungslos, weil die og Ermessensgrundsätze für das Sozialrecht generell gelten (vgl statt aller Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 39 RdNr 1).

17

Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I)verletzt ist (s auch § 54 Abs 2 S 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (sog Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (sog Ermessensfehlgebrauch). Dies ist zu beurteilen anhand der in den angefochtenen Bescheiden angegebenen Ermessensgründe (§ 35 Abs 1 S 3 SGB X). Weder der Beitragsbescheid vom 7.8.2010 noch der Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010 enthalten Ermessenserwägungen, sodass beide Verwaltungsakte wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und deshalb aufzuheben sind. Dass die Heranziehung des Klägers als Gesamtschuldner in voller Höhe für die von der Unternehmerin im Umlagejahr 2006 ebenfalls geschuldeten Beiträge die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der Möglichkeit, unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände eine höhenmäßig differenzierte Haftungsquote festzusetzen, von vornherein auszuschließen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

(1) Beitragspflichtig sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die nach § 2 versicherten Unternehmer sowie die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 Versicherten sind selbst beitragspflichtig. Für Versicherte nach § 6 Absatz 1 Satz 2 ist die jeweilige Organisation oder der jeweilige Verband beitragspflichtig. Entsprechendes gilt in den Fällen des § 6 Absatz 1 Satz 3.

(2) Neben den Unternehmern sind beitragspflichtig

1.
die Auftraggeber, soweit sie Zwischenmeistern und Hausgewerbetreibenden zur Zahlung von Entgelt verpflichtet sind,
2.
die Reeder, soweit beim Betrieb von Seeschiffen andere Unternehmer sind oder auf Seeschiffen durch andere ein Unternehmen betrieben wird.
Die in Satz 1 Nr. 1 und 2 Genannten sowie die in § 130 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 genannten Bevollmächtigten haften mit den Unternehmern als Gesamtschuldner.

(3) Für die Beitragshaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung gilt § 28e Abs. 2 und 4 des Vierten Buches, für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe gilt § 28e Absatz 3a bis 3f des Vierten Buches und für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers adressierte Pakete befördern, gilt § 28e Absatz 3g des Vierten Buches entsprechend. Der Nachunternehmer oder der von diesem beauftragte Verleiher hat für den Nachweis nach § 28e Absatz 3f des Vierten Buches eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen; diese enthält insbesondere Angaben über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile und diesen zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge.

(4) Bei einem Wechsel der Person des Unternehmers sind der bisherige Unternehmer und sein Nachfolger bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Wechsel angezeigt wurde, zur Zahlung der Beiträge und damit zusammenhängender Leistungen als Gesamtschuldner verpflichtet.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger als bestellten Bevollmächtigten der Bau & Forstbetrieb L. Limited (B & F L. Limited) für deren Beitragsschulden in voller Höhe durch Beitragsbescheid in Anspruch nehmen durfte.

2

Der Kläger war (Mit-)Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der B & F L. Limited, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem und walisischem Recht, die im Handelsregister für England und Wales (Companies House) eingetragen war. Satzungssitz war Birmingham; das Haftungskapital betrug 100 englische Pfund. Unternehmensgegenstand waren ua Maurer-, Putz- und Betonarbeiten.

3

Mit identischem Unternehmensgegenstand meldete die B & F L. Limited am 29.12.2005 im Inland eine Zweigstelle als Gewerbe an. Diese wurde später in das Handelsregister beim AG Frankfurt (Oder) eingetragen. In der Gewerbeanmeldung wurde der Kläger als Bevollmächtigter der B & F L. Limited benannt. Die Zweigniederlassung nahm ihre Geschäftstätigkeit zum 1.1.2006 auf. Im Jahre 2007 stellte sie den Geschäftsbetrieb ein. Das Gewerbe wurde zum 28.2.2007 abgemeldet. Das AG Frankfurt (Oder) eröffnete durch Beschluss vom 2.4.2007 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B & F L. Limited. Die Beklagte forderte vom Kläger persönlich nach Anhörung Umlagen und Unfallversicherungsbeiträge iHv 8639,41 Euro für das Umlagejahr 2006 (Beitragsbescheid vom 7.6.2010, Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010).

4

Das SG Frankfurt (Oder) hat die Bescheide auf die Klage aufgehoben (Urteil vom 4.3.2013): Ein Rückgriff auf den Kläger nach § 130 Abs 2 SGB VII sei nicht möglich, weil die Vorschrift nur Fälle erfasse, in denen ein ausländisches Unternehmen im Inland überhaupt keinen Sitz habe. Ein Inlandssitz bestehe, wenn im Inland eine Betriebsstätte unter verantwortlicher Leitung des Unternehmers existiere. Ein Zugriff auf einen Bevollmächtigten sei dann nicht erforderlich, weil mit der Zweigniederlassung ein für den Unfallversicherungsträger greifbarer Schuldner existiere.

5

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Berlin-Brandenburg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.4.2015): Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nach § 150 Abs 2 S 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII Schuldner der Beitragsforderung. Er sei als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer unzweifelhaft Bevollmächtigter iS des § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Auch habe die B & F L. Limited keinen Inlandssitz gehabt. Maßgeblich hierfür sei die sog Gründungstheorie des EuGH. Hiernach komme es auf den Staat an, in dem die Gesellschaft gegründet worden sei. Die B & F L. Limited habe ihren Gesellschaftssitz weiterhin in Großbritannien. Den Entscheidungen des EuGH zur Gründungstheorie sei der Grundgedanke zu entnehmen, dass, wenn ein EU-Staatsangehöriger in einem Mitgliedsstaat rechtmäßig eine Kapitalgesellschaft gründe, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft dann aber ausschließlich in einem anderen Mitgliedsstaat entfalte, auf die Gesellschaft das Recht des Gründungsstaates Anwendung finde. Der Kläger könne nicht iS eines Rosinenpickens im Rahmen seiner Gestaltungsmöglichkeiten eine Gesellschaft nach ausländischem Recht gründen, mit dieser ausschließlich im Inland Geschäftsaktivitäten entfalten, um sich dann dennoch als inländische Gesellschaft behandeln lassen zu wollen. Zudem bestehe bei ausländischen Gesellschaften, die mangels Mindestkapitalisierung weniger solvent seien, ein Bedürfnis, einen gesamtschuldnerisch haftenden Bevollmächtigten nach § 130 Abs 2 SGB VII zu bestellen. Insbesondere spreche auch § 130 Abs 2 S 3 SGB VII, der den Ort der inländischen Betriebsstätte als Sitz fingiere, für eine an rechtlichen Gesichtspunkten orientierte Begriffsbestimmung. Einer solchen Fiktion bedürfte es nicht, wenn allein die Existenz einer Zweigniederlassung ohne Weiteres einen Inlandssitz begründen würde. Schließlich würde nach §§ 13d ff HGB für ausländische Gesellschaften im Geltungsbereich des HGB eine Niederlassung eingetragen, ohne dass hierdurch eine Änderung des Unternehmenssitzes eintrete.

6

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 150 Abs 2 iVm § 130 Abs 2 S 1 SGB VII. Der Unternehmenssitz sei gemäß § 130 Abs 1 SGB VII nicht rechtlich, sondern nach dem organisatorischen Mittelpunkt zu bestimmen. Soweit ein Unternehmen im Inland einen organisatorischen Mittelpunkt habe, habe es mit dieser selbständigen Niederlassung einen Inlandssitz.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2013 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG das zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1 SGG) des Klägers abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten in dem Beitragsbescheid vom 7.6.2010 iVm dem Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010, ihn als Gesamtschuldner allein in voller Höhe für die Beiträge der B & F L. Limited im Umlagejahr 2006 heranzuziehen, ist rechtswidrig. Zwar lagen im hier maßgebenden Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Jahre 2010 die Tatbestandsvoraussetzungen der herangezogenen § 168 Abs 1, § 130 Abs 2 S 2, § 150 Abs 1 S 1, Abs 2 S 2 SGB VII zu Lasten des Klägers vor. Die neu entstandene Beitragspflicht des Klägers änderte jedoch nichts daran, dass die B & F L. Limited weiterhin ebenfalls Beitragsschuldnerin war (nachfolgend 1.). Die Beklagte hat es aber versäumt, von der ihr in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumten gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch zu machen und zu begründen, wieso sie die Beiträge von dem Kläger persönlich in voller Höhe als Gesamtschuldner fordert. Insofern liegt ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauchs vor (§ 54 Abs 2 S 2 SGG; nachfolgend 2.).

10

1. Nach § 168 Abs 1 SGB VII teilt der Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu zahlenden Beitrag schriftlich mit. Beitragspflichtig sind nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII die Unternehmer(§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII), für deren Unternehmen (§ 121 Abs 1 SGB VII) Versicherte (§§ 2, 3 und 6 SGB VII) tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die (örtliche) Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers und dessen Gläubigerstellung im Beitragsschuldverhältnis richtet sich gemäß § 130 Abs 1 S 1 SGB VII nach dem Sitz des Unternehmens. Diese Vorschrift regelt indes nur Fälle, in denen Unternehmen einen Inlandssitz haben, wie sich im Umkehrschluss aus § 130 Abs 2 S 1 SGB VII ergibt ("Hat ein Unternehmen keinen Sitz im Inland …"). Für Unternehmen mit Sitz im Ausland greift § 130 Abs 1 S 1 SGB VII demnach nicht. Vielmehr gilt dann § 130 Abs 2 S 1 SGB VII, der die Bestellung eines Bevollmächtigten vorsieht. Beide Absätze des § 130 SGB VII stehen also in einem Stufenverhältnis, sodass § 130 Abs 2 SGB VII nur zur Anwendung kommt, wenn § 130 Abs 1 SGB VII nicht einschlägig ist. Hat das Unternehmen einen Inlandssitz, steht dem Unfallversicherungsträger als Gläubiger der Beitragsforderung allein der Unternehmer als Schuldner gegenüber (s auch Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland (mehr) hat, muss er gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland bestellen, der kraft Gesetzes(§ 130 Abs 2 S 2 SGB VII) die Pflichten des Unternehmers hat. Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII haften "die in § 130 Abs 2 S 1 … genannten Bevollmächtigten … mit den Unternehmern als Gesamtschuldner".

11

a) Zuständiger Unfallversicherungsträger und damit Gläubigerin der geltend gemachten Beitragsforderung ist die Beklagte, weil die B & F L. Limited ihren unfallversicherungsrechtlichen Unternehmenssitz am Ort ihrer Zweigniederlassung im inländischen R. hatte, als die Beitragsansprüche im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach entstanden sind (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII). Die Zweigniederlassung der B & F L. Limited war ein "Unternehmen" iS des § 121 Abs 1 SGB VII. Nach dessen Klammerzusatz erfasst der unfallversicherungsrechtliche Unternehmensbegriff neben Betrieben und Einrichtungen auch bloße Tätigkeiten (Senatsurteil vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2 RdNr 13)und ist mithin denkbar weit. Da die B & F L. Limited ihre Geschäftstätigkeit in R. tatsächlich ausübte, war ihre dortige Zweigniederlassung ein "Unternehmen" iS des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung. Der "Sitz" des Unternehmens ist sein organisatorischer Mittelpunkt, von dem es kaufmännisch und technisch geleitet wird (so bereits RVA EuM 14, 182; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, 4/2014, § 130 RdNr 10; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl 2014, § 130 RdNr 2; Leube in Kater/Leube, 1997, SGB VII, § 130 RdNr 3; Quabach, Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VII, 2. Aufl 2014, § 130 RdNr 17; Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 12/2012, § 130 RdNr 4). Dies war bei der im Vereinigten Königreich gegründeten, aber ausschließlich in Deutschland tätigen B & F L. Limited nicht ihr satzungsrechtlicher Sitz in B., sondern der Ort der Zweigniederlassung in R. Dagegen ist ein an rechtlichen Gesichtspunkten orientiertes Begriffsverständnis des Unternehmenssitzes - wie vom LSG angenommen - mit dem auf die tatsächliche Tätigkeitsausübung bezogenen Unternehmensbegriff des SGB VII unvereinbar. Auch ist nicht erkennbar, inwieweit die vom EuGH in anderem Zusammenhang entwickelte sog "Gründungstheorie" dem insofern eindeutigen Wortlaut und Regelungszusammenhang der §§ 121,130 SGB VII vorgehen sollte. Dass europarechtlich eine Gründung des Unternehmens in einem anderen Land zulässig ist, ändert nichts am Anknüpfen der § 121 SGB VII und § 130 SGB VII an der faktischen Organisation eines Unternehmens im Inland(anders offenbar LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 4.12.2014 - L 6 U 99/12 - IPRspr 2014, Nr 33, 54 ff = Juris RdNr 33 ff).

12

b) Beitragspflichtig und damit Schuldnerin der im Kalenderjahr 2006 kraft Gesetzes dem Grunde nach (§ 152 Abs 1 S 1 SGB VII)entstandenen Beitragsforderung war zunächst ausschließlich die B & F L. Limited als Unternehmerin (§ 150 Abs 1 S 1 SGB VII), der das Ergebnis des Unternehmens (Zweigniederlassung) unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereichte (§ 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Diese Beitragspflicht blieb bestehen, als der bevollmächtigte Kläger am 1.3.2007 als weiterer Beitragsschuldner gemäß § 130 Abs 2 S 2 SGB VII kraft gesetzlichen Schuldbeitritts neben die B & F L. Limited trat. Diese Vorschrift erstreckt "die Pflichten des Unternehmers", zu denen auch die Beitragspflicht nach § 150 Abs 1 S 1 SGB VII zählt, auf dessen Bevollmächtigten. Einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland hat der Unternehmer gemäß § 130 Abs 2 S 1 SGB VII zu bestellen, wenn und sobald sein Unternehmen keinen Sitz im Inland hat. Die damit verbundene Rechtspflicht, einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen, entstand für die B & F L. Limited erstmals am 1.3.2007 um 0.00 Uhr, nachdem sie nach den nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)als Unternehmerin mit Sitz im Vereinigten Königreich den Geschäftsbetrieb in ihrer inländischen Zweigniederlassung am 28.2.2007 um 24.00 Uhr eingestellt und das Gewerbe abgemeldet hatte. Damit hatte sie am 1.3.2007 ab 0.00 Uhr keinen Sitz im Inland mehr. Gleichzeitig war dieser Rechtspflicht Genüge getan, weil die Unternehmerin den Kläger, der seinen Wohnsitz im Inland hatte, nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts bereits in der Gewerbeanmeldung vom 29.12.2005 ausdrücklich als ihren "Bevollmächtigten" bezeichnet und in der Handelsregisteranmeldung als alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer benannt und damit zu ihrem Bevollmächtigten im Inland bestellt hatte.

13

Nach § 150 Abs 2 S 2 SGB VII hat der Kläger als Gesamtschuldner für die (Beitrags-)Pflicht der B & F L. Limited einzustehen und konnte gemäß § 168 Abs 1 SGB VII - im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung am 10.12.2010 - als solcher durch Beitragsbescheid in Haftung genommen werden. Entscheidend ist deshalb im vorliegenden Fall, dass der Beklagten bei Erlass der angefochtenen Bescheide nach der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Rechts- und bestehenden Sachlage zwei Schuldner für die Beitragsforderung zur Verfügung standen, nämlich nach wie vor die B & F L. Limited und nach der Aufgabe deren Produktionsstätte im Inland der Kläger persönlich. Insofern ist es auch wenig nachvollziehbar, inwiefern das Abstellen auf das deutsche Beitragsrecht der §§ 130, 150 SGB VII dem Kläger hier eine "Rosinenpickerei" ermöglichen könnte.

14

2. Die Beklagte hat es jedoch versäumt, ihr durch § 150 Abs 2 S 2 SGB VII eingeräumtes Ermessen, ob und ggf welchen der beiden Gesamtschuldner sie in welcher Höhe in Haftung nimmt, zu betätigen(zu der von § 150 Abs 2 S 2 SGB VII generell geforderten Ermessensausübung vgl bereits Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Damit war der an den Kläger persönlich gerichtete Beitragsbescheid vom 7.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2010 wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und schon deshalb aufzuheben.

15

Die Möglichkeit eines Gläubigers, "die Leistung nach ... Belieben von jedem" der (Gesamt-)Schuldner "ganz oder zu einem Teil" zu "fordern" (vgl § 421 S 1 BGB), ist im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts verfassungsrechtlich in der Weise überformt, dass bei der Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität ("ganz oder zu einem Teil") eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen ist. An die Stelle des zivilrechtlichen Beliebens tritt - schon wegen des verfassungsrechtlichen Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) - im öffentlichen Recht die ermessensgebundene Entscheidung. Mit der gesetzlichen Anordnung in § 150 Abs 2 S 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigter als Gesamtschuldner haften, wird der ausführenden Behörde damit gleichzeitig Ermessen eingeräumt; der Gesamtschuldnerschaft im öffentlichen Recht ist - mit anderen Worten - die Ermessenseinräumung begrifflich immanent.

16

Der Unfallversicherungsträger ist als Träger öffentlicher Gewalt grundrechtsgebunden, sodass die belastende Entscheidung, welchen von mehreren Grundrechtsträgern (= Schuldnern) er in welcher Höhe in Anspruch nehmen möchte (Grundrechtseingriff), nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen (Auswahl-)Ermessen der Behörde steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Im Fall der Gesamtschuldnerschaft kann der einzelne Beitragspflichtige deshalb nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung seiner Freiheitsgrundrechte, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots in Anspruch genommen werden. Jeder Gesamtschuldner hat ein subjektiv-öffentliches Recht, dass der Unfallversicherungsträger die belastende Entscheidung über seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft. In diesem Sinne liegt es auch nach ständiger Rechtsprechung des BFH im Ermessen der Finanzbehörde, welchen Gesamtschuldner iS des § 44 AO sie in welcher Höhe in Anspruch nimmt(vgl zB BFH Urteil vom 2.12.2003 - VII R 17/03 - BFHE 204, 380 sowie Beschlüsse vom 12.7.1999 - VII B 2/99 - Juris RdNr 15 und vom 7.10.2004 - VII B 46/04 - BeckRS 2004, 25007513; Ratschow in Klein, AO, 13. Aufl 2016, § 44 RdNr 13). Gleiches gilt für den Erlass von Haftungsbescheiden nach § 191 AO(vgl BFH Urteile vom 24.10.1979 - VII R 7/77 - BFHE 129, 13 = Juris RdNr 10 mwN und vom 23.10.1985 - I R 248/81 - BFHE 145, 175 = Juris RdNr 27; Intemann in Koenig, AO, 3. Aufl 2014, § 191 RdNr 35 f). Im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung kann nichts anderes gelten, weshalb § 150 Abs 2 S 2 SGB VII insofern als Ausdruck eines allgemeinen das Beitragsrecht beherrschenden Grundsatzes anzusehen ist(ebenso Ricke in KassKomm, SGB VII, Stand 3/2013, § 150 RdNr 10). Denn immer dort, wo die Behörde die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten hat (hier: Auswahl zwischen mehreren Gesamtschuldnern und Festsetzung der Forderungshöhe "ganz oder zum Teil"), ist sie iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB I ermächtigt, "nach ihrem Ermessen" zu handeln und hat gleichzeitig "ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten". Dass sich die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur auf die "Entscheidung über Sozialleistungen" erstreckt, ist bedeutungslos, weil die og Ermessensgrundsätze für das Sozialrecht generell gelten (vgl statt aller Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 39 RdNr 1).

17

Ob eine Behörde das Ermessen zutreffend ausgeübt hat, unterliegt im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkter Überprüfung. Eine Ermessensentscheidung ist als solche nur rechtswidrig und auf Anfechtung hin nur dann aufzuheben, wenn der Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs 1 S 2 SGB I)verletzt ist (s auch § 54 Abs 2 S 2 SGG). Das Gericht darf nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltung setzen, sondern nur prüfen, ob ein Ermessensfehler vorliegt. Ermessensfehlerhaft ist es, wenn die Behörde ihrer Pflicht zur Ermessensbetätigung überhaupt nicht nachgekommen ist (sog Ermessensnichtgebrauch) oder wenn ihr bei Ausübung des Ermessens Rechtsfehler unterlaufen sind (sog Ermessensfehlgebrauch). Dies ist zu beurteilen anhand der in den angefochtenen Bescheiden angegebenen Ermessensgründe (§ 35 Abs 1 S 3 SGB X). Weder der Beitragsbescheid vom 7.8.2010 noch der Widerspruchsbescheid vom 10.12.2010 enthalten Ermessenserwägungen, sodass beide Verwaltungsakte wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig und deshalb aufzuheben sind. Dass die Heranziehung des Klägers als Gesamtschuldner in voller Höhe für die von der Unternehmerin im Umlagejahr 2006 ebenfalls geschuldeten Beiträge die einzige rechtmäßige Entscheidung gewesen wäre (Ermessensschrumpfung auf Null), ist angesichts der Möglichkeit, unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände eine höhenmäßig differenzierte Haftungsquote festzusetzen, von vornherein auszuschließen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO.

Schulden mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (Gesamtschuldner), so kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder zu einem Teil fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet.

(1) Beitragspflichtig sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen. Die nach § 2 versicherten Unternehmer sowie die nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 Versicherten sind selbst beitragspflichtig. Für Versicherte nach § 6 Absatz 1 Satz 2 ist die jeweilige Organisation oder der jeweilige Verband beitragspflichtig. Entsprechendes gilt in den Fällen des § 6 Absatz 1 Satz 3.

(2) Neben den Unternehmern sind beitragspflichtig

1.
die Auftraggeber, soweit sie Zwischenmeistern und Hausgewerbetreibenden zur Zahlung von Entgelt verpflichtet sind,
2.
die Reeder, soweit beim Betrieb von Seeschiffen andere Unternehmer sind oder auf Seeschiffen durch andere ein Unternehmen betrieben wird.
Die in Satz 1 Nr. 1 und 2 Genannten sowie die in § 130 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 genannten Bevollmächtigten haften mit den Unternehmern als Gesamtschuldner.

(3) Für die Beitragshaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung gilt § 28e Abs. 2 und 4 des Vierten Buches, für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe gilt § 28e Absatz 3a bis 3f des Vierten Buches und für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers adressierte Pakete befördern, gilt § 28e Absatz 3g des Vierten Buches entsprechend. Der Nachunternehmer oder der von diesem beauftragte Verleiher hat für den Nachweis nach § 28e Absatz 3f des Vierten Buches eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen; diese enthält insbesondere Angaben über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile und diesen zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge.

(4) Bei einem Wechsel der Person des Unternehmers sind der bisherige Unternehmer und sein Nachfolger bis zum Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Wechsel angezeigt wurde, zur Zahlung der Beiträge und damit zusammenhängender Leistungen als Gesamtschuldner verpflichtet.

(1) Auf die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft finden anstelle der Vorschriften über die Berechnungsgrundlagen aus dem Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts die folgenden Absätze Anwendung.

(2) Berechnungsgrundlagen für die Beiträge der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sind das Umlagesoll, der Flächenwert, der Arbeitsbedarf, der Arbeitswert oder ein anderer vergleichbarer Maßstab. Die Satzung hat bei der Festlegung der Berechnungsgrundlagen die Unfallrisiken in den Unternehmen insbesondere durch die Bildung von Risikogruppen zu berücksichtigen; sie kann hierzu einen Gefahrtarif aufstellen. Ein angemessener solidarischer Ausgleich ist sicherzustellen. Die Satzung kann zusätzlich zu den Berechnungsgrundlagen nach den Sätzen 1 und 2 Mindestbeiträge und Berechnungsgrundlagen für Grundbeiträge festlegen.

(3) Für Unternehmen ohne Bodenbewirtschaftung und für Nebenunternehmen eines landwirtschaftlichen Unternehmens kann die Satzung angemessene Berechnungsgrundlagen bestimmen; Absatz 2 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(4) Der Flächenwert der landwirtschaftlichen Nutzung wird durch Vervielfältigung des durchschnittlichen Hektarwertes dieser Nutzung in der Gemeinde oder in dem Gemeindeteil, in dem die Flächen gelegen sind oder der Betrieb seinen Sitz hat, mit der Größe der im Unternehmen genutzten Flächen (Eigentums- und Pachtflächen) gebildet, wobei die Satzung eine Höchstgrenze für den Hektarwert vorsehen kann. Die Satzung bestimmt das Nähere zum Verfahren; sie hat außerdem erforderliche Bestimmungen zu treffen über die Ermittlung des Flächenwertes für

1.
die forstwirtschaftliche Nutzung,
2.
das Geringstland,
3.
die landwirtschaftlichen Nutzungsteile Hopfen und Spargel,
4.
die weinbauliche und gärtnerische Nutzung,
5.
die Teichwirtschaft und Fischzucht,
6.
sonstige landwirtschaftliche Nutzung.

(5) Der Arbeitsbedarf wird nach dem Durchschnittsmaß der für die Unternehmen erforderlichen menschlichen Arbeit unter Berücksichtigung der Kulturarten geschätzt und das einzelne Unternehmen hiernach veranlagt. Das Nähere über die Abschätzung und die Veranlagung bestimmt die Satzung. Der Abschätzungstarif hat eine Geltungsdauer von höchstens sechs Kalenderjahren; die §§ 158 und 159 gelten entsprechend.

(6) Arbeitswert ist der Wert der Arbeit, die von den im Unternehmen tätigen Versicherten im Kalenderjahr geleistet wird. Die Satzung bestimmt unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Tätigkeit, für welche Versicherten sich der Arbeitswert nach dem Arbeitsentgelt, nach dem Jahresarbeitsverdienst, nach dem Mindestjahresarbeitsverdienst oder nach in der Satzung festgelegten Beträgen bemißt. Soweit sich der Arbeitswert nach den in der Satzung festgelegten Beträgen bemißt, gelten § 157 Abs. 5 und die §§ 158 bis 160 entsprechend.

(1) Sind die Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln, haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht ein Anspruch.

(2) Für Ermessensleistungen gelten die Vorschriften über Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, entsprechend, soweit sich aus den Vorschriften dieses Gesetzbuchs nichts Abweichendes ergibt.

(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

1.
Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege,
2.
Unternehmen, in denen ohne Bodenbewirtschaftung Nutz- oder Zuchttiere zum Zwecke der Aufzucht, der Mast oder der Gewinnung tierischer Produkte gehalten werden,
3.
land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen,
4.
Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
5.
Jagden,
6.
die Landwirtschaftskammern und die Berufsverbände der Landwirtschaft,
7.
Unternehmen, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
8.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und deren weitere Einrichtungen sowie die Zusatzversorgungskasse und das Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht

1.
Haus- und Ziergärten,
2.
andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2538),
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß auch andere als die in Absatz 1 genannten Unternehmen als landwirtschaftliche Unternehmen gelten, wenn diese überwiegend der Land- und Forstwirtschaft dienen.

(4) Unternehmen, die aufgrund von Allgemeinen Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes beim Inkrafttreten dieses Buches einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angehören, gelten als landwirtschaftliche Unternehmen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft diese Unternehmen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zusammenfassen. Dabei können die Zuständigkeiten auch abweichend von den Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes bestimmt werden, soweit dies erforderlich ist, um zusammengehörige Unternehmensarten einheitlich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder den gewerblichen Berufsgenossenschaften zuzuweisen.

Von der Versicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 werden auf Antrag Unternehmer landwirtschaftlicher Unternehmen im Sinne des § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis zu einer Größe von 0,25 Hektar und ihre Ehegatten oder Lebenspartner unwiderruflich befreit; dies gilt nicht für Spezialkulturen. Das Nähere bestimmt die Satzung.

(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

1.
Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege,
2.
Unternehmen, in denen ohne Bodenbewirtschaftung Nutz- oder Zuchttiere zum Zwecke der Aufzucht, der Mast oder der Gewinnung tierischer Produkte gehalten werden,
3.
land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen,
4.
Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
5.
Jagden,
6.
die Landwirtschaftskammern und die Berufsverbände der Landwirtschaft,
7.
Unternehmen, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
8.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und deren weitere Einrichtungen sowie die Zusatzversorgungskasse und das Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht

1.
Haus- und Ziergärten,
2.
andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2538),
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß auch andere als die in Absatz 1 genannten Unternehmen als landwirtschaftliche Unternehmen gelten, wenn diese überwiegend der Land- und Forstwirtschaft dienen.

(4) Unternehmen, die aufgrund von Allgemeinen Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes beim Inkrafttreten dieses Buches einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angehören, gelten als landwirtschaftliche Unternehmen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft diese Unternehmen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zusammenfassen. Dabei können die Zuständigkeiten auch abweichend von den Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes bestimmt werden, soweit dies erforderlich ist, um zusammengehörige Unternehmensarten einheitlich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder den gewerblichen Berufsgenossenschaften zuzuweisen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert wird für jede Instanz auf 5.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten umstritten.

2

Der Kläger ist Eigentümer eines Wiesengrundstücks von 0,4163 ha, das zwei Mal jährlich gemäht wird. Das Schnittgut dient allein der Heugewinnung. Mit Bescheid der Lippischen Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (BG; Rechtsvorgängerin der Beklagten) vom 18.4.1980 wurde er in deren Unternehmerverzeichnis (Kataster) aufgenommen. Seinen im August 2006 gestellten Antrag, den Aufnahmebescheid zurückzunehmen und das Ende der Mitgliedschaft festzustellen, lehnte die Beklagte ab, weil das Grünland zur Erhaltung des Kulturzustandes gepflegt werde (Bescheid vom 13.9.2006, Widerspruchsbescheid vom 20.12.2006).

3

Das SG Detmold hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 26.9.2008). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 2.6.2010). Der Kläger habe seit 1.1.1980 ein Unternehmen der Landwirtschaft betrieben. Zwar liege eine planmäßige Aufzucht und Aberntung von Bodengewächsen nicht vor. Die Eigenschaft als landwirtschaftlicher Unternehmer entfalle aber erst dann, wenn entweder die Bodenfläche im Wesentlichen Ödland sei und landwirtschaftlich nicht genutzt werden könne oder die Bodenbewirtschaftung auf Dauer eingestellt werde. Eine zeitliche Geringfügigkeitsgrenze habe unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht bestanden. Die mit dem SGB VII mit Wirkung ab 1.1.1997 eingeführten Bagatellgrenzen seien überschritten.

4

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung der §§ 776 Abs 1 Nr 1 RVO und 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Er sei kein landwirtschaftlicher Unternehmer, da es an einer Bodenbewirtschaftung zur Gewinnung landwirtschaftlicher Erzeugnisse fehle. Das Grundstück würde allein gemäht, um im Sinne landschaftspflegerischer Aktivitäten den Kulturzustand zu erhalten, Beeinträchtigungen Dritter durch Samenflug zu vermeiden und für Fahrzeugführer die Sicht auf angrenzende Straßen freizuhalten. Das Schnittgut sei für ihn unerwünschter Abfall.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Juni 2010 und des Sozialgerichts Detmold vom 26. September 2008 sowie die Ablehnungsentscheidungen der Beklagten im Bescheid vom 13. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 18. April 1980, hilfsweise dessen Aufhebung für die Zeit ab 1. Januar 1997 festzustellen, dass er nicht Mitglied der Beklagten ist.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Bodenbewirtschaftung umfasse alle Bestellungs-, Pflege-, und Aberntungstätigkeiten einschließlich der Bearbeitung und Düngung des Bodens. Der nur geringe Arbeitsaufwand des Klägers sei unerheblich.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Die Ablehnungsentscheidungen der Beklagten im Bescheid vom 13.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2006 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Rücknahme oder Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 18.4.1980 und Feststellung seiner Nicht-Mitgliedschaft bei der Beklagten.

9

Die angefochtene Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Aufnahmeentscheidung vom 18.4.1980 wegen anfänglicher Unrichtigkeit und das hierauf gerichtete Verpflichtungsbegehren des Klägers beurteilen sich nach § 44 Abs 2 SGB X. Der hierzu nachrangige Anspruch auf Aufhebung der Aufnahmeentscheidung wegen einer im Nachhinein eingetretenen nachträglichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse richtet sich hingegen nach § 48 Abs 1 SGB X. Diese Vorschriften werden nicht durch die Regelungen des § 136 Abs 1 Satz 4 iVm Abs 2 SGB VII als leges speciales verdrängt, die lediglich die Überweisung von Unternehmen und damit die Beziehungen der Unfallversicherungsträger zueinander betreffen.

10

Nach § 44 Abs 2 SGB X ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist; er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Es ist weder geltend gemacht worden noch erkennbar, dass die Beklagte bei der Aufnahme des Klägers in das Unternehmerverzeichnis von einem Sachverhalt ausgegangen sein könnte, der sich (nachträglich) als unrichtig erweist. Sie hat auch das Recht nicht unrichtig angewandt. Ihre Entscheidung im Bescheid vom 18.4.1980, den Kläger als landwirtschaftlichen Unternehmer im Kataster zu führen, entsprach der damaligen Sach- und Rechtslage.

11

Der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme begehrt wird, muss von Anfang an rechtswidrig sein. Maßgeblich ist daher das Recht, das für den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes vom 18.4.1980 gilt, hier das der RVO. Nach § 792 iVm § 658 Abs 1 RVO war jeder Unternehmer Mitglied der sachlich zuständigen BG, dessen Unternehmen seinen Sitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich der BG hatte. Unternehmer war gemäß § 658 Abs 2 Nr 1 RVO derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) ging. Von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung waren nach § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaus umfasst, es sei denn, es handelte sich um Haus-, Zier- oder andere Kleingärten, die weder regelmäßig noch in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet wurden und deren Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienten(§ 778 RVO). Auf der Grundlage dieser Vorschriften ist der Kläger zu Recht zum 1.1.1980 selbst versichertes und beitragspflichtiges Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten geworden.

12

Sein unfallversicherungsrechtlicher Rechtsstatus als landwirtschaftlicher Unternehmer war nicht von vornherein deswegen ausgeschlossen, weil er unter die Spezialvorschrift des § 778 RVO, einer Ausnahmeregelung für Ziergärten, Hausgärten und andere Kleingärten, gefallen wäre. Bei dem Wiesengrundstück von 0,4163 ha handelt es sich offenkundig nicht um einen der Verschönerung dienenden Ziergarten. Da seine Nutzung nicht auf den häuslichen Bedarf ausgerichtet ist, stellt es auch keinen Hausgarten dar. Schließlich scheidet ein anderer Kleingarten aus, denn selbst die ursprünglich vom Reichsversicherungsamt angenommene Obergrenze von 2.500 m² (vgl hierzu BSG vom 31.1.1989 - 2 RU 30/88 - BSGE 64, 252, 254 = SozR 2200 § 778 Nr 2 S 7) ist überschritten.

13

Durch das Mähen des Wiesengrundstücks wurde ein "Unternehmen" im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung begründet. Der Begriff des Unternehmens ist durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I, 241) als Sammelbegriff für Betriebe, Einrichtungen und Tätigkeiten ausgestaltet worden. Die Aufzählung im Klammerzusatz des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO macht deutlich, dass unter einem Unternehmen nicht nur ein Betrieb im herkömmlichen wirtschaftlichen Sinne zu verstehen ist. Der unfallversicherungsrechtliche Begriff des Unternehmens knüpft nicht an eine bestimmte Rechtsform oder das Vorliegen einer organisatorischen Einheit an und setzt weder einen Geschäftsbetrieb noch eine auf Erwerb oder Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit voraus (BSG vom 5.8.1976 - 2 RU 189/74 - BSGE 42, 126, 128 = SozR 2200 § 539 Nr 24 S 68; BSG vom 28.9.1999 - B 2 U 40/98 R - SozR 3-2200 § 776 Nr 5 S 12 f). Anders als nach § 1 Abs 3 des bis zum 31.12.1994 geltenden Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) kommt es auch nicht darauf an, dass das Unternehmen nach seiner Art und Größe eine Existenzgrundlage bilden kann. Vielmehr ist in der gesetzlichen Unfallversicherung jede Tätigkeit geeignet, ein Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen. Dieser weite unfallversicherungsrechtliche Begriff des Unternehmens gilt auch für die landwirtschaftliche Unfallversicherung. § 792 RVO bestimmt ausdrücklich die Anwendbarkeit des § 658 RVO. Ein landwirtschaftliches "Unternehmen" im weiten unfallversicherungsrechtlichen Sinn liegt schon deshalb nicht nur dann vor, wenn der Unternehmer einen landwirtschaftlichen Betrieb oder eine landwirtschaftliche Einrichtung führt.

14

Der Kläger betreibt das Unternehmen und ist damit "Unternehmer". Es geht für seine Rechnung (vgl § 658 Abs 2 Nr 1 RVO), denn ihm gereicht es unmittelbar zum wirtschaftlichen Vor- oder Nachteil (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 42/99 R - juris RdNr 16 mwN). Nach seinem eigenen Vorbringen wird das Grundstück gemäht, um nachteilige Einwirkungen auf Dritte zu vermeiden. Dass er die Wiese durch Dritte mähen lässt, berührt seine Eigenschaft als Unternehmer, dem dies zum Vorteil gereicht, nicht (vgl BSG vom 5.5.1998 - B 2 U 30/97 R - BSGE 82, 132, 135 = SozR 3-2200 § 802 Nr 1 S 5).

15

Dieses Unternehmen des Klägers ist "landwirtschaftlicher" Natur. Der Begriff der "landwirtschaftlichen" Unternehmen ist im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gesetzlich definiert. Er erfasst nach dem Gesetz nicht nur bodenbewirtschaftende Unternehmen. Soweit er sich auf solche bezieht, verlangt er schon nach seiner alltagssprachlichen Bedeutung, dass der Unternehmer, der, wie der Kläger, keinen Betrieb und keine Einrichtung führt, wirtschaftende Tätigkeiten am "Land" durchführen lässt oder durchführt. Daher ist landwirtschaftlicher Unternehmer, wer als Besitzer von Grundstücken (Eigentümer, Pächter, Nießbraucher oder sonstige Nutzer) auf eigene Rechnung Tätigkeiten verrichtet oder verrichten lässt, die mit dem Boden in irgendeiner Art wirtschaften (vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 42/99 R - juris RdNr 16 mwN). Hingegen reicht es nicht aus, dass jemand Eigentümer, Besitzer oder Nutzungsberechtigter an einem Grundstück ist, ohne eine mit dem Boden wirtschaftende Tätigkeit zu entfalten (oder einen landwirtschaftlichen Betrieb, eine solche Einrichtung oder eine darauf bezogene Verwaltung zu führen).

16

Das Abmähen der auf einem Grundstück gewachsenen Pflanzen ist (wie deren Anbau und die Bearbeitung des Bodens zwecks Pflanzenanbaus) eine mit dem Boden wirtschaftende Tätigkeit. Zur Bodenbewirtschaftung zählt nicht nur die Bestellung des Bodens durch Säen oder Pflanzen und seine Bearbeitung durch zB Pflügen, Düngen oder Bewässern. Sie umfasst vielmehr sämtliche Tätigkeiten, die - wie hier - dem Abschneiden von Bodengewächsen oder der Gewinnung von Bodenerzeugnissen dienen. Unerheblich ist, ob die Bodenerzeugnisse auf einer Aufzucht beruhen und zu welchem Zweck sie gewonnen werden. Auch das Mähen von Gras zur Heugewinnung ohne weitere Verwendung des Heus gehört damit zu den landwirtschaftlichen Tätigkeiten (vgl BSG vom 17.2.1971 - 7/2 RU 124/67 - BSGE 32, 211, 212 = SozR Nr 1 zu § 815 RVO). Der bloße Besitz eines Grundstücks mit Pflanzenbewuchs macht also den Eigentümer, Pächter oder sonstigen Nutzungsberechtigten noch nicht zum landwirtschaftlichen Unternehmer. Die Mitgliedschaft in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung wird, soweit kein Betrieb, keine Einrichtung und keine Verwaltung geführt wird, erst durch die Verrichtung einer bodenbewirtschaftenden Tätigkeit begründet, die ihrer Art nach eine unfallversicherte Tätigkeit sein kann.

17

Anderes ergibt sich nicht aus § 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG). Danach ist Landwirt, wer als Unternehmer ein auf Bodenbewirtschaftung beruhendes Unternehmen der Landwirtschaft betreibt, das die Mindestgröße erreicht (Abs 2 Satz 1). Zur erforderlichen Bodenbewirtschaftung gehören diejenigen wirtschaftlichen Tätigkeiten von nicht ganz kurzer Dauer, die der Unternehmer zum Zwecke einer überwiegend planmäßigen Aufzucht von Bodengewächsen ausübt (Abs 4 Satz 2 Halbs 1). Es kann dahingestellt bleiben, wie der Begriff "Aufzucht" zu verstehen ist, ob er ein aktives Tun durch Eingriff in das natürliche Geschehen voraussetzt und das bloße wilde Wachsen nicht gesäten Grases nicht erfasst. Die Vorschrift des § 1 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 Satz 2 Halbs 1 ALG ist bei der Feststellung eines landwirtschaftlichen Unternehmens im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nicht anwendbar.

18

Das ALG ist durch Art 1 des Agrarsozialreformgesetzes 1995 (ASRG 1995) vom 29.7.1994 (BGBl I, 1890) mit Wirkung zum 1.1.1995 eingeführt worden. Eine § 1 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 Satz 2 Halbs 1 ALG entsprechende Regelung sah das GAL nicht vor. Obwohl durch Art 8 ASRG 1995 zugleich auch das Dritte Buch der RVO über die Gesetzliche Unfallversicherung geändert worden ist, hat der Gesetzgeber davon abgesehen, ausdrücklich oder durch Verweisung auf das ALG jene Definition des Begriffs der Bodenbewirtschaftung in das Unfallversicherungsrecht des Dritten Buches der RVO zu übernehmen.

19

Auch nach der Gesetzessystematik wurden nach § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO grundsätzlich sämtliche Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft in die landwirtschaftliche Unfallversicherung einbezogen. Lediglich Haus-, Zier- und andere Kleingärten gelten nach § 778 RVO nicht als landwirtschaftliche Unternehmen. Dieses Regelungskonzept bestätigt, dass sich die landwirtschaftliche Unfallversicherung mangels zumindest begrifflicher Erläuterung des landwirtschaftlichen Unternehmens auf sämtliche bodenbewirtschaftenden Unternehmen mit Ausnahme von Haus-, Zier- und anderen Kleingärten erstreckt. Damit wird dem Anliegen Rechnung getragen, die betrieblichen Risiken der Landwirtschaft so weit wie möglich abzudecken.

20

Die Mitgliedschaft des landwirtschaftlichen Unternehmers in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung begründet seinen eigenen Versicherungsschutz bei Verrichtung einer Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer sowie den seiner Beschäftigten und "Wie-Beschaftigten" in dieser Versicherung. Nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO waren Unternehmer gegen Arbeitsunfall versichert, solange und soweit sie als solche Mitglieder einer landwirtschaftlichen BG waren. Für diesen Personenkreis wurde entgegen der Regel, dass Unternehmer nicht versichert sind, ein berechtigtes Interesse an einem Unfallversicherungsschutz angenommen (vgl BT-Drucks IV/120 S 51 zu § 539). Dieses berechtigte Interesse besteht unabhängig von der Größe des landwirtschaftlichen Unternehmens und der Art der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Auch solche bodenbewirtschaftende Tätigkeiten, die nicht der Aufzucht von Bodengewächsen dienen, kann der Gesetzgeber in die Unfallversicherung einbeziehen, da ihnen ein nicht unwesentliches Unfallrisiko eigen ist. § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO stellt auf die umfassende Organisationseinheit "Unternehmen" iS des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO ab, ohne Grenzen oder Einschränkungen festzulegen. Nur Tätigkeiten in Haus-, Zier- oder anderen Kleingärten sind nach § 778 RVO unter den dort genannten Voraussetzungen von der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ausgenommen worden(vgl BSG vom 12.6.1980 - 2 BU 175/88 - juris RdNr 8).

21

Mit der vorliegenden Entscheidung weicht der Senat nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung ab. Es ist zwar zutreffend, dass in früheren Urteilen solche (regelmäßigen) Tätigkeiten als von einem landwirtschaftlichen Unternehmen umfasst bezeichnet wurden, die von nicht ganz kurzer Dauer und dazu bestimmt waren, Bodengewächse überwiegend planmäßig aufzuziehen und abzuernten (vgl zuletzt BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 51/02 R - juris RdNr 17; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 37/02 R - juris RdNr 16; BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 28/99 R - juris RdNr 16 und B 2 U 42/99 R - juris RdNr 19, jeweils mwN). Damals waren aber nur Fallgestaltungen zu beurteilen, in denen die planmäßige Aufzucht und das regelmäßige Abernten von Bodengewächsen festgestellt oder die landwirtschaftliche Fläche verpachtet war. Diese tatsächlichen Feststellungen wurden lediglich als eine hinreichende Bedingung für ein "landwirtschaftliches Unternehmen" angesehen. Hingegen wurde nicht gesagt, dass dies eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines landwirtschaftlichen Unternehmens wäre. Notwendig ist allein eine im genannten Sinn mit dem Boden wirtschaftende Tätigkeit. Deshalb kommt es nach den abschließenden Ausnahmeregelungen des Gesetzes für Zier-, Haus- und andere Kleingärten, bei denen dieser Aspekt berücksichtigt wird, grundsätzlich auch nicht darauf an, ob die Bodenbewirtschaftung nur einen geringfügigen Arbeitsaufwand erfordert. Gleichwohl kann offen bleiben, ob bei Tätigkeiten an anderen Grundstücken als Zier-, Haus- und Kleingärten bezogen auf den Arbeitsaufwand bei der Bodenbewirtschaftung eine allgemeine Geringfügigkeits- oder Bagatellgrenze für ganz geringfügige Tätigkeiten besteht (zuletzt auch offen gelassen in BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 51/02 R - juris RdNr 21 und vom 6.5.2003 - B 2 U 37/02 R - juris RdNr 17). Der mit dem (hier zweimaligen) Mähen der 0,4163 ha großen Fläche verbundene Arbeitsaufwand kann jedenfalls nicht mehr als ganz geringfügig bezeichnet werden.

22

Zwar hat der Senat im Beschluss vom 25.10.1989 (2 BU 99/89) ausgeführt, dass das gelegentliche Mähen einer Wiese zur Abwehr eventueller Beschwerden der Nachbarn über Unkrautsamenflug ohne weitere Nutzung des abgemähten Grases nicht geeignet ist, ein landwirtschaftliches Unternehmen zu begründen. Zu entscheiden war aber über ein verwahrlostes Wiesengrundstück von nur 0,35 ha, das lediglich hin und wieder durch den fünfzehnjährigen Enkelsohn des Klägers gemäht wurde. Ob das Abmähen von Gras auf einer Wiese für sich allein eine landwirtschaftliche unternehmerische Tätigkeit darstellt, hat der Senat jedoch wegen des vom LSG tatsächlich und bindend festgestellten geringfügigen Arbeitsaufwandes des Enkels ausdrücklich offen gelassen. Soweit der Beschluss in eine von diesem Urteil abweichende Richtung weisen kann, wird an ihm nicht festgehalten.

23

Die Ablehnung des erhobenen Anspruchs auf Aufhebung der Aufnahmeentscheidung im Bescheid vom 18.4.1980 ist mangels einer wesentlichen nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Abs 1 Satz 2 Nr 1). Eine Änderung in diesen Verhältnissen ist wesentlich, wenn der Verwaltungsakt, so wie er ursprünglich nach der damaligen Sach- und Rechtslage zu Recht erlassen wurde, nach der neuen Sach- und Rechtslage nicht mehr ergehen dürfte (BSG vom 20.3.2007 - B 2 U 21/06 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 11 RdNr 11 mwN).

24

Gegenüber den Verhältnissen, die bei Erlass des Aufnahmebescheids vom 18.4.1980 vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung tatsächlicher oder rechtlicher Art nicht eingetreten. Dass das Wiesengrundstück mittlerweile nicht mehr gemäht würde, ist weder vom LSG festgestellt noch vom Kläger vorgetragen worden. Eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen ist nicht darin zu erblicken, dass das Dritte Buch der RVO zum 1.1.1997 durch das SGB VII abgelöst worden ist. An die Stelle der bis zum Jahre 1996 geltenden §§ 792 iVm 658 Abs 2 Nr 1, § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und § 778 RVO sind zum 1.1.1997 die inhaltsgleichen Vorschriften der §§ 121 Abs 1, 123 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 sowie § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII getreten. Auch danach ist die Nutzung des Grundstücks durch den Kläger als landwirtschaftliches Unternehmen zu qualifizieren und er als landwirtschaftlicher Unternehmer Mitglied der Beklagten (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGB VII).

25

Gemäß § 121 Abs 1 SGB VII umfasst der unfallversicherungsrechtliche Begriff des Unternehmens Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen und Tätigkeiten. Diese Vorschrift betrifft nicht nur die gewerblichen BGen, obwohl der Begriff des Unternehmens in der die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen BGen regelnden Bestimmung des § 123 Abs 1 SGB VII als "landwirtschaftliches Unternehmen" beschrieben wird. Nach § 123 Abs 2 SGB VII sind von den landwirtschaftlichen Unternehmen aber nur Haus-, Zier- und andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes ausgeschlossen, es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt. Daher ist auch nach dem Recht des SGB VII jede den Boden bewirtschaftende Tätigkeit geeignet, ein Unternehmen zu begründen. Eine Begrenzung des landwirtschaftlichen Unternehmens auf Betriebe, Verwaltungen und Einrichtungen war mit der Einführung des SGB VII nicht verbunden (vgl BT-Drucks 13/2204 S 104 zu § 123 Abs 1).

26

Unternehmer ist nach § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII derjenige, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Die Abweichung vom Wortlaut des § 658 Abs 2 Nr 1 RVO bedeutet ebenso keine sachliche Änderung, sondern die Übernahme der dazu ergangenen Rechtsprechung(vgl BSG vom 7.11.2000 - B 2 U 42/99 R - juris RdNr 22; BT-Drucks 13/2204 S 108 zu § 136 Abs 3). Auch der Begriff des landwirtschaftlichen Unternehmers wird im SGB VII unverändert verwendet (vgl BT-Drucks aaO S 104 zu § 123 Abs 1). Allerdings räumt § 5 SGB VII den Unternehmern landwirtschaftlicher Unternehmen bis zu einer Größe von 0,12 ha (1.1.1997 bis zum 29.3.2005) oder 0,25 ha (seit 30.3.2005) das Recht ein, die Befreiung von der Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 5 SGB VII zu beantragen. Die Größe der hier bewirtschafteten Fläche liegt indes erheblich über dieser Grenze. Eine Befreiung des Klägers ist auch nicht verfügt worden.

27

Da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme oder Aufhebung des Aufnahmebescheids vom 18.4.1980 hat, ist auch für die begehrte Feststellung kein Raum.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

29

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 1 SGG iVm § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 und § 63 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG) und war für die Vorinstanzen abzuändern.

30

In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen in einem Rechtszug - wie hier - weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört, werden nach § 197a Abs 1 Satz 1 SGG Kosten nach den Vorschriften des GKG erhoben. Nach § 52 Abs 1 GKG ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 GKG). Ein Streitwert von über 2.500.000 Euro darf nicht angenommen werden (§ 52 Abs 4 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 Euro (Auffangstreitwert) anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG).

31

Für Rechtsstreitigkeiten um den zuständigen Unfallversicherungsträger hat der Senat den Streitwert auf das Dreifache des bei dem bisherigen Unfallversicherungsträger angefallenen Jahresbeitrags, mindestens jedoch den vierfachen Auffangstreitwert beziffert. Begründet wurde dies mit der erheblichen Bedeutung der Zuordnung eines Unternehmens zu einem bestimmten Unfallversicherungsträger aufgrund der sich daraus ergebenden Beitragsbelastung, der zu erbringenden Präventionsleistungen nebst der damit einhergehenden Überwachung und Beratung sowie der relativ hohen Voraussetzungen für eine Überweisung von einem Unfallversicherungsträger zu einem anderen (Beschluss vom 28.2.2006 - B 2 U 31/05 R - SozR 4-1920 § 52 Nr 3 RdNr 10). Diese Gesichtspunkte sind jedenfalls im vorliegenden Verfahren, in dem sich der Kläger allein gegen seine Heranziehung als (landwirtschaftlicher) Unternehmer durch die Beklagte wendet, nicht geeignet, einen höheren Streitwert als 5.000 Euro zu begründen.

32

Der Streitwert ist in erster Linie nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Die Bedeutung der Sache bestimmt sich nach dem Gegenstand des konkreten Prozesses. Eventuelle, nicht vorhersehbare mittelbare Folgewirkungen sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Ob Präventionsleistungen erbracht werden und sich im Nachhinein die anfängliche Unrichtigkeit der die Zuständigkeit eines Unfallversicherungsträgers feststellenden Verwaltungsentscheidung herausstellt oder sich die tatsächlichen unternehmerischen Verhältnisse grundlegend ändern, ist völlig ungewiss. Auch die mit der Zuständigkeit zu einem Unfallversicherungsträger regelmäßig verbundene Beitragsbelastung ist kein geeignetes Beurteilungskriterium, wenn Gegenstand des Verfahrens ausschließlich die Frage der Mitgliedschaft ist. Bereits bindend gewordene Beitragsbescheide werden nicht durch die gerichtliche Aufhebung eines die Zuständigkeit bei einem Unfallversicherungsträger feststellenden Verwaltungsaktes beseitigt. Sind Beitragsbescheide eigenständig angegriffen, bestimmt deren Höhe den Streitwert (§ 52 Abs 3 GKG). Zudem hängt die Beitragshöhe von verschiedenen Faktoren ab und lässt sich eine Beitragsstabilität nicht vorhersagen. Für die Festsetzung des Streitwerts fehlt es vorliegend an hinreichenden Anhaltspunkten. Dem trägt § 52 Abs 2 GKG Rechnung, der für solche Fälle einen Auffangstreitwert von 5.000 Euro vorsieht.

(1) Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ist für folgende Unternehmen (landwirtschaftliche Unternehmen) zuständig, soweit sich nicht aus dem Dritten Unterabschnitt eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand ergibt:

1.
Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft einschließlich des Garten- und Weinbaues, der Fischzucht, Teichwirtschaft, Seen-, Bach- und Flußfischerei (Binnenfischerei), der Imkerei sowie der den Zielen des Natur- und Umweltschutzes dienenden Landschaftspflege,
2.
Unternehmen, in denen ohne Bodenbewirtschaftung Nutz- oder Zuchttiere zum Zwecke der Aufzucht, der Mast oder der Gewinnung tierischer Produkte gehalten werden,
3.
land- und forstwirtschaftliche Lohnunternehmen,
4.
Park- und Gartenpflege sowie Friedhöfe,
5.
Jagden,
6.
die Landwirtschaftskammern und die Berufsverbände der Landwirtschaft,
7.
Unternehmen, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
8.
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und deren weitere Einrichtungen sowie die Zusatzversorgungskasse und das Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft.

(2) Landwirtschaftliche Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 sind nicht

1.
Haus- und Ziergärten,
2.
andere Kleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes vom 28. Februar 1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 21. September 1994 (BGBl. I S. 2538),
es sei denn, sie werden regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht hauptsächlich dem eigenen Haushalt.

(3) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß auch andere als die in Absatz 1 genannten Unternehmen als landwirtschaftliche Unternehmen gelten, wenn diese überwiegend der Land- und Forstwirtschaft dienen.

(4) Unternehmen, die aufgrund von Allgemeinen Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes beim Inkrafttreten dieses Buches einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft angehören, gelten als landwirtschaftliche Unternehmen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft diese Unternehmen in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zusammenfassen. Dabei können die Zuständigkeiten auch abweichend von den Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes bestimmt werden, soweit dies erforderlich ist, um zusammengehörige Unternehmensarten einheitlich der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft oder den gewerblichen Berufsgenossenschaften zuzuweisen.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.