Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 16. Okt. 2013 - 2 K 433/13 Kg
Tenor
Der Aufhebungsbescheid vom 05.04.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2013 wird dahin geändert, dass für den Zeitraum Januar bis einschließlich August 2012 für die Tochter S Kindergeld in Höhe von monatlich 184 € festgesetzt wird.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
2 K 433/13 Kg
23Finanzgericht Düsseldorf
4Im Namen des Volkes
5URTEIL
6In dem Rechtsstreit
7- Klägerin -
8gegen
9- Beklagter -
10wegen Kindergeld
11hat der 2. Senat in der Besetzung:
12Präsident des Finanzgerichts Richterin am Finanzgericht
13Richter am Finanzgericht
14ehrenamtliche Richterin
15ehrenamtlicher Richter
16ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 16.10.2013 für Recht erkannt:
17Der Aufhebungsbescheid vom 05.04.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2013 wird dahin geändert, dass für den Zeitraum Januar bis einschließlich August 2012 für die Tochter S Kindergeld in Höhe von monatlich 184 € festgesetzt wird.
18Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
19Die Revision wird zugelassen.
20Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
21T a t b e s t a n d
22Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis einschließlich August 2012.
23Die am ……..1987 geborene Tochter der Klägerin, S, wurde von 2009 bis 2012 als Stadtinspektoranwärterin bei der Stadtverwaltung K ausgebildet. Während dieser Ausbildung, am … 2011, hatte die Tochter geheiratet.
24Nachdem die Klägerin Nachweise zu den Einkünften und Bezügen des Kindes ab 2010 beim Beklagten eingereicht hatte, hob dieser mit Bescheid vom 05.04.2012 die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom 01.01.2010 auf und forderte das bis zum 30.04.2012 gezahlte Kindergeld zurück.
25Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, mit dem sie geltend machte, dass nach der ab 2012 zu beachtenden Gesetzesänderung das Einkommen eines Kindes während der Erstausbildung nicht mehr zu prüfen sei. Im Übrigen beziehe ihr Schwiegersohn lediglich Krankengeld.
26Der Beklagte war der Auffassung, dass bei einem verheirateten Kind das verfügbare Einkommen auch nach der Gesetzesänderung weiterhin zu prüfen sei (sog. Mangelfallprüfung). Bereits die Einkünfte und Bezüge des Kindes S lägen hier für sämtliche Zeiträume über dem Grenzbetrag von 8.004 €. Auch ab dem 01.01.2012 bestehe kein Anspruch auf Kindergeld, da das verfügbare Nettoeinkommen des Kindes – nach Ansicht des Beklagten in Höhe von 6.793,52 € - den anteiligen Grenzbetrag (5.336 € = 8/12 von 8.004 €) übersteige. Eine Prüfung der Einkünfte und Bezüge des Schwiegersohnes sei daher nicht erforderlich. Daraufhin wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 16.01.2013).
27Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist – unter Bezugnahme auf das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 30.11.2012 4 K 1569/12 Kg (Entscheidungen der FG –EFG- 2013, 298) - der Ansicht, dass ihr ab 2012 Kindergeld zustehe. Der Beklagte beachte nicht die ab 2012 geltende Rechtslage. Ihre Tochter habe sich im streitigen Zeitraum in einer erstmaligen Berufsausbildung befunden und werde von ihr unterstützt. Ob ein sog. Mangelfall vorliege, sei nicht mehr zu prüfen. Kindergeld sei unabhängig davon festzusetzen, ob die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes und die des Ehepartners den Grenzbetrag überschritten.
28Im Übrigen sei der Ehemann der Tochter in dem hier fraglichen Streitzeitraum des Jahres 2012 wegen seiner Krankheit von dieser unterstützt worden ist. Er selbst habe lediglich Krankengeld bezogen. Hierzu hat die Klägerin Kopien von Kontoauszügen eingereicht (Bl. 14 bis 18 d. Gerichtsakte).
29Die Klägerin beantragt,
30den Aufhebungsbescheid vom 05.04.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2013 dahin zu ändern, dass für den Zeitraum Januar bis einschließlich August 2012 für ihre Tochter S Kindergeld in Höhe von monatlich 184 € festgesetzt wird.
31Der Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen,
33hilfsweise, die Revision zuzulassen.
34Er ist der Ansicht, der Klägerin stehe ab 2012 kein Kindergeldanspruch zu. Die sog. Mangelfallprüfung sei nach Nr. 31.2.2 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) auch über den 01.01.2012 hinaus bei verheirateten Kindern durchzuführen. Als Familienkasse sei er an die Verwaltungsanweisung gebunden.
35In der mündlichen Verhandlung am 25.07.2013 haben die Beteiligten auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am 25.07.2013 und der vom Gericht beigezogenen Kindergeldakte Bezug genommen.
37E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
38Der Senat entscheidet nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
39Die Klage ist begründet.
40Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis einschließlich August 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
41Die Klägerin hat für diesen Zeitraum einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter S.
42Die Tochter der Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für volljährige Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gemäß §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a des Einkommensteuergesetzes (EStG), weil sie sich in diesem Zeitraum in einer Berufsausbildung als Stadtinspektoranwärterin befand. Die Einschränkung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 gültigen Fassung, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums nur dann berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, greift im Streitfall nicht. Bei der Berufsausbildung der Tochter handelt es sich um eine Erstausbildung.
43Zusätzliche Voraussetzungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen. Auf die Höhe der Ausbildungsvergütung der Tochter kommt es für den Kindergeldanspruch nicht mehr an. Die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis einschließlich 2011 gültigen Fassung (EStG a. F.) enthaltene Regelung ist ab dem Jahr 2012 entfallen (Art. 1 Nr. 17 a des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 01.11.2011, Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2011, S. 2131, 2133).
44Nach der für den Streitzeitraum anzuwendenden Neuregelung ist nicht mehr zu prüfen, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes – wie in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a. F. vorgesehen – den Grenzbetrag von 8.004 € übersteigen. Diese Prüfung entfällt auch bei einem verheirateten Kind. Auch der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den Ehegatten nach §§ 1608 Satz 1, 1360, 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der bis 2011 zu den maßgeblichen Einkünften und Bezügen zählte (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 22.12.2011 III R 8/08, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2012, 340), ist nicht mehr maßgeblich. Der Senat schließt sich insofern dem rechtskräftigen Urteil des FG Münster vom 30.11.2012 4 K 1569/12 Kg an (EFG 2013, 298; mit zustimmender Anmerkung v. Siegers, EFG 2013, 299; so auch zu verheirateten Kindern: FG Münster, Urteil vom 24.04.2013 5 K 3297/12 Kg, Revision eingelegt, Az. BFH: III R 22/13, EFG 2013, 1242; FG München, Urteil vom 20.02.2013 9 K 3405/12, Revision nach NZB zugelassen, Az. BFH: III R 33/13; Sächsisches FG, Urteil vom 13.06.2013 2 K 458/13 (Kg), Revision eingelegt, Az. BFH: III R 34/13, FG Köln, Urteil vom 16.07.2013 9 K 935/13, Revision eingelegt, Az. BFH: XI R 32/13; FG Düsseldorf, Urteil vom 27.08.2013 10 K 1940/13 Kg, Revision eingelegt, Az. BFH: III R 44/13; jeweils zitiert nach juris; zu einem unverheirateten Kind: FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.09.2013 4 K 951/12, Revision eingelegt, Az. BFH: III R 46/13; Sächsisches FG, Urteil vom 26.06.2013 2 K 470/13 (Kg), Revision eingelegt, Az. BFH: III R 37/13, jeweils zitiert nach juris).
45Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum ausgelaufenen Recht (z. B. BFH-Urteil vom 02.03.2000 VI R 13/99, BStBl II 2000, 522) setzte der Kindergeldanspruch für ein verheiratetes Kind eine „typische Unterhaltssituation“ voraus, welche nach der Eheschließung für die Eltern regelmäßig nicht mehr gegeben ist. Ab diesem Zeitpunkt ist in erster Linie der Ehegatte dem Kind zum Unterhalt verpflichtet, sodass kein Bedarf mehr für eine Entlastung der Eltern im Rahmen des Familienleistungsausgleichs besteht. Eine Ausnahme machte der Bundesfinanzhof nur für den Fall, dass das Einkommen des Ehegatten so gering war, dass dieser zum Unterhalt nicht in der Lage war, das Kind ebenfalls nicht über ausreichende eigene Einkünfte verfügte und die Eltern deshalb weiterhin für das Kind aufkommen mussten (sog. Mangelfall). Die DA-FamEStG 2013 hält bis heute in Nr. 31.2.2 an dieser Entscheidung fest.
46Diese Grundsätze sind jedoch auf den Streitfall nicht mehr anzuwenden.
47Zum einen sieht das aktuelle Gesetz seinem Wortlaut nach keinerlei Einschränkungen für verheiratete Kinder vor. Ab 2012 ist die Kindergeldberechtigung der Eltern von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes und damit von der Unterhaltspflicht vollständig gelöst worden. Zum anderen ist nach der gesetzgeberischen Entscheidung Kindergeld nur bei Vorliegen eines bestimmten Berücksichtigungstatbestandes, hier einer erstmaligen Berufsausbildung, unabhängig von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes, zu gewähren. Eine „typische Unterhaltssituation“ wird nicht vorausgesetzt. Der Gesetzgeber hat eine Ausweitung der Begünstigungsfälle bewusst in Kauf genommen. Laut Begründung des Gesetzesentwurfs sollen mit dem Wegfall des Grenzbetrages eine erhebliche Vereinfachung der Anspruchsvoraussetzungen und damit eine Entlastung von Eltern, volljährigen Kindern, Familienkassen und Finanzämtern erreicht werden (Bundestags-Drucksache 17/5125, S. 41). Dieser Gesetzeszweck würde unterlaufen, wenn im Fall verheirateter Kinder weiterhin „typische Unterhaltssituationen“, d. h. die Einkünfte und Bezüge des Kindes und zusätzlich die des Ehepartners, geprüft werden müssten. Hätte der Gesetzgeber den Kindergeldanspruch für verheiratete Kinder einschränken wollen, hätte er einen entsprechenden Tatbestand eingeführt (FG Münster, Urteil vom 30.11.2012 4 K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298).
48Im Gegensatz zum o. g. Urteil des FG Münster kommt hier noch hinzu, dass der Kindergeldanspruch der Klägerin bereits nur aufgrund der Höhe der Einkünfte ihrer Tochter, welche bei der sog. Mangelfallprüfung auch anzusetzen sind, vom Beklagten ausgeschlossen wird. Nach der Neuregelung sollen die Einkünfte und Bezüge des Kindes aber nicht mehr berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles davon auszugehen, dass der Tochter S im Jahr 2012 gegen den Ehegatten kein Unterhaltsanspruch zustand. Vielmehr ist diese für ihren Ehemann, der lediglich Krankengeld bezog, aufgekommen. Zugleich ist die Tochter weiterhin von ihrer Mutter, der Klägerin, unterstützt worden.
49Im Übrigen hat der Bundesfinanzhof das Erfordernis einer „typischen Unterhaltssituation“ - vor der Gesetzesänderung - in seiner neueren Rechtsprechung, jedenfalls für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung, ausdrücklich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal aufgegeben (z. B. BFH-Urteil vom 17.06.2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982).
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
51Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Die Entscheidung weicht von der bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung DA 31.2.2 FamEStG ab.
52Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 16. Okt. 2013 - 2 K 433/13 Kg
Urteilsbesprechungen zu Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 16. Okt. 2013 - 2 K 433/13 Kg
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Finanzgericht Düsseldorf Urteil, 16. Okt. 2013 - 2 K 433/13 Kg zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(1) Kinder sind
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im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder, - 2.
Pflegekinder (Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht).
(2)1Besteht bei einem angenommenen Kind das Kindschaftsverhältnis zu den leiblichen Eltern weiter, ist es vorrangig als angenommenes Kind zu berücksichtigen.2Ist ein im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandtes Kind zugleich ein Pflegekind, ist es vorrangig als Pflegekind zu berücksichtigen.
(3) Ein Kind wird in dem Kalendermonat, in dem es lebend geboren wurde, und in jedem folgenden Kalendermonat, zu dessen Beginn es das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, berücksichtigt.
(4)1Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird berücksichtigt, wenn es
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noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist oder - 2.
noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und - a)
für einen Beruf ausgebildet wird oder - b)
sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einer vom Wehr- oder Zivildienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder als Dienstleistender im Ausland nach § 14b des Zivildienstgesetzes oder der Ableistung des freiwilligen Wehrdienstes nach § 58b des Soldatengesetzes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstaben d liegt, oder - c)
eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann oder - d)
einen der folgenden freiwilligen Dienste leistet: - aa)
ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes, - bb)
ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes, - cc)
einen Bundesfreiwilligendienst im Sinne des Bundesfreiwilligendienstgesetzes, - dd)
eine Freiwilligentätigkeit im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps im Sinne der Verordnung (EU) 2021/888 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 zur Aufstellung des Programms für das Europäische Solidaritätskorps und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) 2018/1475 und (EU) Nr. 375/2014 (ABl. L 202 vom 8.6.2021, S. 32), - ee)
einen anderen Dienst im Ausland im Sinne von § 5 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes, - ff)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ im Sinne der Förderleitlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. Januar 2016, - gg)
einen Freiwilligendienst aller Generationen im Sinne von § 2 Absatz 1a des Siebten Buches Sozialgesetzbuch oder - hh)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 4. Januar 2021 (GMBl S. 77) oder
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wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.
(5)1In den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 Buchstabe a und b wird ein Kind, das
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den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, oder - 2.
sich anstelle des gesetzlichen Grundwehrdienstes freiwillig für die Dauer von nicht mehr als drei Jahren zum Wehrdienst verpflichtet hat, oder - 3.
eine vom gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst befreiende Tätigkeit als Entwicklungshelfer im Sinne des § 1 Absatz 1 des Entwicklungshelfer-Gesetzes ausgeübt hat,
(6)1Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wird für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 3 012 Euro für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein Freibetrag von 1 464 Euro für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes vom Einkommen abgezogen.2Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, verdoppeln sich die Beträge nach Satz 1, wenn das Kind zu beiden Ehegatten in einem Kindschaftsverhältnis steht.3Die Beträge nach Satz 2 stehen dem Steuerpflichtigen auch dann zu, wenn
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der andere Elternteil verstorben oder nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder - 2.
der Steuerpflichtige allein das Kind angenommen hat oder das Kind nur zu ihm in einem Pflegekindschaftsverhältnis steht.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Vater einer im Jahr 1982 geborenen Tochter (T), die seit August 2001 verheiratet war. Im August 2002 trennte sich T von ihrem Ehemann (E), im April 2005 wurde die Ehe geschieden. Trotz eines entsprechenden Urteils des Amtsgerichts R vom 22. Juni 2004 leistete E zunächst keinen Unterhalt an T. Erst im Zwangsvollstreckungsverfahren zahlte er Ende des Jahres 2005 einen Betrag von 4.500 €.
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T befand sich bis September 2003 in einer Ausbildung zur Arzthelferin. Der Kläger bezog für sie Kindergeld. Durch Bescheid vom 28. Juni 2005 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung ab Januar 2003 auf. Sie war der Ansicht, die Einkünfte und Bezüge von T hätten unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegenüber E die anteilige Einkünfte- und Bezügegrenze nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) überschritten.
- 3
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Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt und hob den Aufhebungsbescheid sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung auf (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 628). Es führte aus, der Unterhaltsanspruch von T gegenüber E sei nicht als Bezug anzusetzen. Die spätere Unterhaltszahlung des E zum Ende des Jahres 2005 habe auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) keine Auswirkung.
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Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
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Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 6
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Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der zunächst nicht erfüllte Unterhaltsanspruch von T gegenüber E nicht für den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) als Bezug i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigen ist und dass die nachträgliche, erst Ende 2005 geleistete Unterhaltszahlung des E für den Streitzeitraum nicht von Bedeutung ist.
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2. Für ein volljähriges Kind, das einen der Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG erfüllt, wird gemäß § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG Kindergeld gewährt, wenn seine Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einen Grenzbetrag nicht übersteigen, der sich im Jahr 2003 auf 7.188 € belief.
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a) Zu den Bezügen eines verheirateten Kindes gehören auch die Unterhaltsleistungen des Ehegatten. Allerdings besteht nach der Eheschließung des Kindes grundsätzlich kein Kindergeldanspruch der Eltern mehr, weil ab diesem Zeitpunkt in erster Linie der Ehepartner dem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist (§ 1608 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB-- i.V.m. §§ 1360, 1360a BGB). Die Eltern sind nur noch nachrangig unterhaltsverpflichtet. Ausnahmsweise müssen Eltern gegenüber ihrem verheirateten Kind Unterhaltsleistungen erbringen, wenn das Einkommen des Ehepartners so gering ist, dass er zum vollständigen Unterhalt nicht in der Lage ist --sog. Mangelfall-- (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. März 2000 VI R 13/99, BFHE 191, 69, BStBl II 2000, 522; Senatsurteile vom 19. April 2007 III R 65/06, BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, und vom 4. August 2011 III R 48/08, BStBl II 2011, 975). Ein Mangelfall ist bei kinderlosen Ehen anzunehmen, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überschreiten (Senatsurteil in BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, m.w.N.).
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b) Die Höhe der als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzenden Unterhaltsleistungen lässt sich bei Ehegatten, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, in der Regel nur rechnerisch ermitteln, da sich die tatsächlichen Zu- und Abflüsse von Geldmitteln oder von Gütern in Geldeswert (vgl. § 8 Abs. 1 EStG) innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft zumeist nicht nachvollziehen lassen. Die Unterhaltsleistungen des zum Unterhalt verpflichteten Ehepartners sind deshalb regelmäßig zu schätzen. Bei einer kinderlosen Ehe, in der ein Ehepartner allein verdient und ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielt, entspricht es der Lebenserfahrung, dass dem nicht verdienenden Ehepartner in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt. Verfügt das Kind auch über eigene Mittel, so ist zu unterstellen, dass sich die Eheleute ihr verfügbares Einkommen teilen. Unterhaltsleistungen sind daher in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes anzunehmen (Senatsurteil in BFHE 218, 70, BStBl II 2008, 756, m.w.N.). Bei Prüfung der Frage, in welcher Höhe dem geringer verdienenden Ehegatten Unterhaltsleistungen seitens des höher Verdienenden als Bezüge zuzurechnen sind, ist somit in der Regel nicht auf den tatsächlichen Zufluss von Unterhaltsleistungen abzustellen.
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c) Dagegen können bei getrennt lebenden Ehegatten die Unterhaltsleistungen des höher verdienenden Ehegatten dem Grunde und der Höhe nach bestimmt werden. In solchen Fällen ist entgegen Abschn. 63.4.2.5 Abs. 6 Satz 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG), Stand 2004 (BStBl I 2004, 743; nunmehr Abschn. 31.2.2 Abs. 6 Satz 3 DA-FamEStG 2010, BStBl I 2009, 1030, sowie BStBl I 2011, 21) das Zuflussprinzip anzuwenden, das auch in anderen Fällen für Bezüge gilt (BFH-Urteil vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525, m.w.N.; Dürr in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, 1998 ff., § 32 Rz 84). Unterhaltsleistungen eines getrennt lebenden Ehegatten sind demnach nur dann als Bezüge i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG anzusetzen, wenn sie dem unterhaltsberechtigten Ehegatten auch tatsächlich zugeflossen sind, sofern dieser nicht auf die Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs verzichtet hat (§ 32 Abs. 4 Satz 9 EStG).
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3. Im Streitfall erhielt T die Unterhaltszahlung des von ihr getrennt lebenden E erst Ende des Jahres 2005 im Wege der Zwangsvollstreckung, nachdem sie sich zuvor um eine frühere Erfüllung ihrer Ansprüche bemüht hatte. Diese Zahlung ist für die Ermittlung der Einkünfte und Bezüge, die auf den streitigen Zeitraum (Januar bis September 2003) entfallen, in dem sich T in Berufsausbildung befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), ohne Bedeutung. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) belaufen sich die für diese Monate anzusetzenden Einkünfte und Bezüge auf 4.733,36 € und liegen damit unter dem anteiligen Jahresgrenzbetrag von 5.391 €.
Tenor
Der Ablehnungsbescheid vom 25. Juni 2012 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. August 2012 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für seine Tochter für den Zeitraum April 2012 bis August 2012 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Kindergeldfestsetzung für die Tochter des Klägers, geboren Mai 1989. Die Tochter ist ledig und hat ein eigenes Kind. Bis August 2012 befand sich die Tochter in Ausbildung zur Friseurin. Der letzte Prüfungstag war der 31. August 2012.
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Mit Antrag vom 5. April 2012 beantragte der Kläger für seine Tochter Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juni 2012 mit der Begründung ab, dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) nicht erfüllt seien und dass aufgrund der Nichtvorlage der Einkommensnachweise des Vaters des Enkelkindes nicht geprüft werden könne, ob nicht mehr die Eltern des Kindes, sondern der Vater des Enkelkindes nach § 1615 I Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Unterhalt verpflichtet sei.
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Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die am 12. September 2012 erhobene Klage. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld vorliegen würden und dass die Tochter keine Einkünfte erzielt habe, die den gesetzlich festgelegten Grenzbetrag überschreiten würden. Insbesondere habe die Tochter gegenüber dem Kindeskindsvater keinen Anspruch auf Unterhaltsleistungen nach § 1615 I BGB und sei er, der Kläger, als Elternteil weiterhin zum Unterhalt verpflichtet. Die Tochter habe zu keinem Zeitpunkt mit dem Kindeskindsvater in einer Haushaltsgemeinschaft zusammengelebt und von diesem auch keinen Unterhalt erhalten. Zudem sei nach der Gesetzesänderung seit dem 1. Januar 2012 das erzielte Nettoeinkommen der Tochter nicht mehr zu berücksichtigen. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung sei der Kindergeldanspruch unabhängig vom Einkommen der Tochter gegeben.
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Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 13. August 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, an den Kläger Kindergeld in gesetzlicher Höhe für das Kind ab April 2012 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte stellt dar, dass der Grundtatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG bis August 2012 nachgewiesen sei. Sie ist jedoch der Ansicht, dass ein Anspruch auf Kindergeld nur dann bestehe, wenn der Kläger nachweise, dass der eigentlich vorrangig Unterhaltsverpflichtete – hier der Kindeskindsvater – aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation nicht in der Lage sei, seiner Verpflichtung zur Sicherung des Kindesunterhaltes nachzukommen, so genannter Mangelfall. Da die hierzu notwendigen Einkommensnachweise nicht vorgelegt worden seien, scheide ein Anspruch auf Kindergeld aus. Die Mangelfallprüfung sei nach der Dienstanweisung der Familienkassen (DA 31.2.3 DA-FamEStG Stand 2013) auch nach der Neufassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 (BGBl. I S. 2131) weiterhin vorzunehmen. Das verfügbare Nettoeinkommen der Tochter übersteige den Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG, so dass ein Anspruch auf Kindergeld nicht bestehe.
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Dem Senat hat die Kindergeldakte der Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Der Senat entscheidet nach § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
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Der Senat legt das Klagebegehren des Klägers dahingehend aus, dass er Kindergeld für den Zeitraum seiner Antragstellung (April 2012) bis zum Ende der Ausbildung seiner Tochter (August 2012) beantragt. Für den Folgezeitraum ist ein Anspruch auf Kindergeld nicht ersichtlich und wurde vom Kläger auch nicht dargelegt. Zudem ist der Senat in zeitlicher Hinsicht an die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung im August 2012 gebunden. Die Ablehnung der Kindergeldfestsetzung bindet nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (vgl. BFH Urteil vom 05.07.2012 V R 58/10, BFH/NV 2012, 1953; Urteil vom 22.12.2011 III R 41/07, BStBl II 2012, 681).
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Die insoweit zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Kläger hat für den Zeitraum April bis August 2012 einen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Kindergeld gemäß §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG sind erfüllt, da die Tochter des Klägers das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet und sich in Ausbildung befunden hat.
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Dass ein Kindergeldanspruch wegen der Berufsausbildung der Tochter dem Grunde nach besteht, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Streitig ist lediglich die Ansicht der Beklagten, dass auch nach Wegfall des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der Fassung vor Ergehen des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 weiterhin eine so genannte Mangelfallprüfung durchzuführen ist.
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Neben den grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 für den Bezug von Kindergeld enthält das EStG keine weiteren Voraussetzungen, insbesondere sind keine Grenzbeträge hinsichtlich eigener Einkünfte und Bezüge des Kindes mehr einzuhalten. Die Höhe der Ausbildungsvergütung der Tochter bzw. ihr Bezug von Berufsausbildungsbeihilfe ist für den Kindergeldanspruch nicht maßgeblich, da die in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis zum 31. Dezember 2011 gültigen Fassung (EStG a. F.) enthaltene Regelung eines so genannten Grenzbetrages zum 1. Januar 2012 entfallen ist (Art. 1 Nr. 17 Buchstabe a), Art. 18 Abs. 1 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 1. November 2011, BGBl. I 2011, S. 2131 ff.).
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Gleiches gilt für einen möglichen Unterhaltsanspruch der Tochter gegen den Vater ihres Kindes nach §§ 1615 I BGB, der bis 2011 zu den maßgeblichen Einkünften und Bezügen gehörte. Der Senat lässt deshalb dahingestellt, ob die Tochter ggf. einen Anspruch nach § 1615 I BGB gegenüber dem Kindeskindsvater hatte bzw. ob ein solcher Unterhalt überhaupt gezahlt wurde.
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Die Einkünfte des Kindeskindsvaters sind für den Kindergeldanspruch des Klägers nämlich nicht von Bedeutung. Ob ein so genannter „Mangelfall” vorliegt, ist unerheblich, weil der Umstand, dass die Tochter ein eigenes Kind hat, dem Kindergeldanspruch nicht entgegensteht. Für Kinder mit eigenen Kindern sieht das Gesetz keinerlei Einschränkungen vor. Der Kindergeldanspruch setzt entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) keine „typische Unterhaltssituation” voraus. Nach diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal war ein Kindergeldanspruch nicht gegeben, wenn ein Kind verheiratet war und kein sog. „Mangelfall” vorlag (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19.4.2007 III R 65/06, BStBl II 2008, 756) oder das Kind einer Vollzeitbeschäftigung nachging (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20.7.2006 III R 78/04, BFH/NV 2006, 2248 und III R 58/05, BFH/NV 2006, 2249).
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Das Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der „typischen Unterhaltssituation” hat der BFH in seiner neueren Rechtsprechung – jedenfalls für die Fälle der Vollzeitbeschäftigung – ausdrücklich aufgegeben (BFH-Urteile vom 17.6.2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982; vom 27.1.2011 III R 57/10, BFH/NV 2011, 1316; und vom 22.12.2011 III R 64/10, BFH/NV 2012, 927; III R 65/10, BFH/NV 2012, 929; III R 67/10, BFH/NV 2012, 930; III R 93/10, BFH/NV 2012, 932 und III R 66/10, BFH/NV 2012, 1301). Zur Begründung führt der BFH aus, dass eine typische Unterhaltssituation kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigungstatbestände sei. Die Frage, ob ein Kind typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen seiner Eltern angewiesen ist, sei nach der gesetzlichen Regelung erst im Rahmen der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a. F.) zu prüfen.
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Der Senat schließt sich der geänderten Rechtsprechung an. Mangels gesetzlicher Regelung kann das Fehlen einer typischen Unterhaltssituation einen nach dem Gesetz bestehenden Kindergeldanspruch nicht ausschließen. Daran hat sich mit dem Wegfall der Prüfung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes zum 1. Januar 2012 nichts geändert. Nach der gesetzgeberischen Entscheidung ist Kindergeld nunmehr bei Vorliegen eines Berücksichtigungstatbestandes unabhängig von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu gewähren. Dabei hat der Gesetzgeber eine Ausweitung der Begünstigungsfälle bewusst in Kauf genommen. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs soll diese Ausweitung den Umfang der begünstigten Fälle nicht wesentlich erweitern. Der Wegfall des Grenzbetrages soll vielmehr zu einer erheblichen Entlastung von Eltern, volljährigen Kindern, Familienkassen und Finanzämtern führen (Bundestags-Drucksache 17/5125, S. 41). Das Erfordernis einer typischen Unterhaltssituation, die sich durch die Höhe des eigenen Einkommens des Kindes ausdrückt, ist bereits nicht mehr gesetzliche Voraussetzung. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung liefe das Erfordernis eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „typische Unterhaltssituation” zuwider. Hätte der Gesetzgeber den Kindergeldanspruch für verheiratete Kinder oder Kinder mit eigenen Kindern und einem Unterhaltsanspruch gegen den Kindeskindsvater ausschließen wollen, hätte er einen entsprechenden Ausschlusstatbestand eingeführt (vgl. zu verheirateten Kindern: FG Münster Urteil vom 30.11.2012 4 K 1569/12 Kg, EFG 2013, 298; FG Münster Gerichtsbescheid vom 24.04.2013 5 K 3297/12 Kg, Revision eingelegt Az. des BFH: III R 22/13, StED 2013, 392; Sächsisches Finanzgericht Urteil vom 13.06.2013 2 K 458/13 (Kg), Revision eingelegt Az. des BFH: III R 34/13, juris; FG Köln Urteil vom 16.07.2013 9 K 935/13, juris; vgl. zu Unterhaltsanspruch nach § 1615 I BGB: Sächsisches Finanzgericht Urteil vom 26.06.2013 2 K 470/13 (Kg), Revision anhängig Az. des BFH: III R 37/13, juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage der Kindergeldberechtigung für Kinder mit eigenen Kindern nach Wegfall des Grenzbetrags zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO). Zudem widerspricht die Entscheidung einer bundesweit geltenden Verwaltungsanweisung (DA 31.2.3 FamEStG Stand 2013).
Tatbestand
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I. Der im August 1984 geborene Sohn (S) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) bestand im Februar 2005 die Abschlussprüfung als Werkzeugmechaniker und wurde im Anschluss von dem bisherigen Ausbildungsbetrieb übernommen. Zum 31. August 2008 verließ er das Unternehmen auf eigenen Wunsch und besucht seit September 2008 eine Fachschule für Technik mit dem Ziel, einen Abschluss als staatlich geprüfter Techniker Mechatronik zu erreichen. Bereits im März 2008 hatte ihm die Schule mitgeteilt, dass er für das Schuljahr 2008/2009 in die Fachschule für Technik aufgenommen werden könne.
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Im Juli 2008 beantragte die Klägerin Kindergeld für S und gab an, dass er sich ab September 2008 in Schul- oder Berufsausbildung befinde. Diesen Antrag lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) mit Bescheid vom 20. August 2008 ab, da S von März bis Dezember 2008 "für den Kindergeldanspruch zu berücksichtigen" sei und sein "Einkommen" in dieser Zeit den anteiligen Jahresgrenzbetrag von 6.400 € voraussichtlich übersteige. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 16. Dezember 2008 4 K 4658/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1759) statt und verpflichtete die Familienkasse zur Festsetzung von Kindergeld für die Monate September bis Dezember 2008. Der Klägerin stehe für diese Monate Kindergeld für S zu, denn S befinde sich in dieser Zeit in Berufsausbildung und es sei nicht zu erwarten, dass seine Einkünfte und Bezüge in diesem Zeitraum den --anteiligen-- Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 2008 geltenden Fassung (EStG) übersteigen würden. In dem Zeitraum von März bis August 2008 sei S nicht als Kind zu berücksichtigen. S habe sich zwar spätestens im März 2008 um einen Ausbildungsplatz bemüht und habe den ihm zugesagten Ausbildungsplatz erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten können. Da er aber (weiterhin) einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgegangen sei, sei der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht erfüllt.
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Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine fehlerhafte Auslegung von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
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Sie beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Ablehnungsbescheid der Familienkasse vom 20. August 2008 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 1. September 2008 sind rechtmäßig.
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1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das --wie S im Streitjahr 2008-- das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen. Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich der Betrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um ein Zwölftel; Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Sätze 7 und 8 EStG).
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2. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG festgestellt, dass S in den Monaten September bis Dezember 2008, in denen er die Fachschule für Technik besuchte, i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde. Zutreffend geht das FG auch davon aus, dass S in den Monaten März bis August 2008 i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte. Denn dieser Berücksichtigungstatbestand ist nicht nur dann gegeben, wenn das Kind trotz ernsthaften Bemühens noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00, BFHE 203, 98, BStBl II 2003, 845; Senatsurteil vom 15. September 2005 III R 67/04, BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305, unter II.2.).
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3. Entgegen der Auffassung des FG wird der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht dadurch ausgeschlossen, dass S in den danach auch zu berücksichtigenden Monaten März bis August 2008 einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging:
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a) Eine Vollzeiterwerbstätigkeit konnte eine Berücksichtigung als Kind nach bisheriger Rechtsprechung des BFH ausschließen, wenn das Kind sie in einer Übergangszeit i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG oder während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ausübte (z.B. BFH-Urteile vom 19. Oktober 2001 VI R 39/00, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; vom 14. Mai 2002 VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551; Senatsurteile in BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305; vom 23. Februar 2006 III R 82/03, BFHE 212, 476, BStBl II 2008, 702, und III R 8/05, 46/05, BFHE 212, 486, BStBl II 2008, 704; vom 20. Juli 2006 III R 58/05, BFH/NV 2006, 2249, und III R 78/04, BFH/NV 2006, 2248; vom 16. November 2006 III R 15/06, BFHE 216, 74, BStBl II 2008, 56; vom 15. März 2007 III R 25/06, BFH/NV 2007, 1481). Begründet wurde dies damit, dass der Gesetzgeber auch bei den in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG geregelten Berücksichtigungstatbeständen davon ausgegangen sei, dass sich das Kind typischerweise in einer Unterhaltssituation befinde, die derjenigen während einer Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) entspreche. Hieran --und damit an einer durch die Unterhaltslasten bedingten Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern, die eine Entlastung durch Kindergeld bzw. durch einen Kinderfreibetrag rechtfertige-- fehle es jedoch typischerweise, wenn das Kind einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Unabhängig von der Höhe der von dem Kind in dieser Zeit erzielten Einkünfte und Bezüge bestehe daher typischerweise keine Unterhaltspflicht der Eltern.
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b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht mehr fest.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist es verfassungsrechtlich geboten, der durch Unterhaltsleistungen für Kinder geminderten Leistungsfähigkeit der Eltern Rechnung zu tragen (vgl. hierzu BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653). Deshalb werden Kinder unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG auch nach Volljährigkeit noch berücksichtigt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass den Eltern typischerweise Unterhaltsaufwendungen entstehen, wenn das Kind z.B. noch für einen Beruf ausgebildet wird, sich zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet oder auf einen Ausbildungsplatz wartet (vgl. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG). Eine typische Unterhaltssituation ist aber kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der einzelnen Berücksichtigungstatbestände. Ob ein Kind wegen eigener Einkünfte typischerweise nicht auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen und deshalb nicht als Kind zu berücksichtigen ist, ist nach der gesetzlichen Regelung nicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG zu ermitteln, sondern erst auf einer zweiten Stufe bei der Prüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag überschreiten (z.B. BFH-Urteile vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523; vom 26. November 2003 VIII R 30/03, BFH/NV 2004, 1223; vom 17. Februar 2004 VIII R 84/03, BFH/NV 2004, 1229; vom 30. November 2004 VIII R 9/04, BFH/NV 2005, 860; vgl. auch Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 Rz 25; Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl., § 32 Rz 22). Der Gesetzgeber unterstellt typisierend, dass Eltern nicht (mehr) mit Unterhaltsaufwendungen für das Kind belastet sind und ihre Leistungsfähigkeit damit derjenigen kinderloser Steuerpflichtiger entspricht (z.B. BFH-Urteile in BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, und vom 16. April 2002 VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027), wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den maßgebenden Grenzbetrag übersteigen. Ob Unterhaltsverpflichtungen der Eltern typischerweise vorliegen, hängt nach der gesetzlichen Regelung nicht von der Situation in den einzelnen Monaten ab, in denen die Kinder einen Tatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG erfüllen, sondern von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes in dem gesamten Zeitraum, in dem sie die Voraussetzungen eines Berücksichtungstatbestands des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG erfüllen.
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bb) Diese Regelung verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot, das Existenzminimum einer Familie steuerfrei zu belassen. Es ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt, dass insbesondere der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG selbst, der in etwa dem steuerfreien Existenzminimum entspricht, verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Gesetzgeber sich insoweit für einen Jahres- und nicht für einen Monatsgrenzbetrag entschieden hat. Er durfte typisierend davon ausgehen, dass ein Kind, das in einem Kalenderjahr Einkünfte und Bezüge in einer bestimmten Höhe erzielt, während des ganzen Jahres nicht unterhaltsbedürftig ist. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist eine typisierende Regelung, die der Vereinfachung der Rechtsanwendung dienen und in vertretbarem Umfang Verwaltungsmehraufwand vermeiden soll. Ein Monatsgrenzbetrag würde gegenüber dem Jahresgrenzbetrag aber zu erheblichem Verwaltungsmehraufwand führen, da die Familienkassen gezwungen wären, die Einkünfte und Bezüge für dem Grunde nach zu berücksichtigende Kinder monatlich festzustellen (z.B. BFH-Urteil vom 13. Juli 2004 VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36).
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cc) Nach diesen Rechtsgrundsätzen schließt eine Vollzeiterwerbstätigkeit neben einer ernsthaft und nachhaltig betriebenen Ausbildung die Berücksichtigung als Kind in der Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) nicht aus; ebenso wenig kommt es für die Beurteilung einer Maßnahme als Berufsausbildung darauf an, ob diese im Rahmen eines den vollen Lebensunterhalt des Kindes sicherstellenden Dienstverhältnisses erfolgt. Der Tatbestand der Berufsausbildung wird nicht für die Monate ausgeschlossen, in denen das Kind über Einkünfte und Bezüge in einer solchen Höhe verfügt, dass es auf Unterhaltsleistungen der Eltern nicht angewiesen ist (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2005, 860; vom 14. Dezember 2004 VIII R 44/04, BFH/NV 2005, 1039; Senatsbeschluss vom 31. Juli 2008 III B 64/07, BFHE 222, 471; Senatsurteile vom 22. Oktober 2009 III R 29/08, BFH/NV 2010, 627; vom 21. Januar 2010 III R 62/08, BFH/NV 2010, 871, und III R 68/08, BFH/NV 2010, 872; vom 24. Februar 2010 III R 3/08, BFH/NV 2010, 1262).
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dd) Gleiches gilt für die Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG. Auch hier hängt die Erfüllung des jeweiligen Berücksichtigungstatbestands nicht davon ab, dass in jedem Monat eine typische Unterhaltssituation gegeben ist, die vermuten lässt, dass die Eltern mit Unterhaltsaufwendungen belastet waren. Vielmehr entscheidet sich erst bei der Prüfung, ob Einkünfte und Bezüge des Kindes den (ggf. anteiligen) Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, ob den Eltern typischerweise Unterhaltsaufwendungen entstanden sind. Bei der Grenzbetragsprüfung kommt es weder auf die Herkunft der Einkünfte und Bezüge an noch darauf, in welchen Monaten innerhalb des Berücksichtigungszeitraums sie zugeflossen sind. Dass danach im Einzelfall der Kindergeldanspruch nicht nur für die Monate entfällt, in denen das Kind vollzeiterwerbstätig ist, sondern auch für die Zeiträume eines Jahres, in denen die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern durch die Ausbildung des Kindes gemindert ist, beruht auf dem Jahresprinzip des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Sind im Fall des Überschreitens des Jahresgrenzbetrags die Einkünfte und Bezüge eines Kindes in den einzelnen Berücksichtigungsmonaten unterschiedlich hoch, so ist es nach dem Jahresprinzip ausgeschlossen, Kindergeld für einzelne Monate, in denen keine oder nur geringe Einkünfte oder Bezüge zugeflossen sind, zu gewähren (z.B. Senatsbeschlüsse in BFHE 222, 471, und vom 19. September 2008 III B 102/07, BFH/NV 2009, 16; vgl. ferner Senatsurteile in BFH/NV 2010, 627, und in BFH/NV 2010, 1262).
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c) Mit der vorliegenden Entscheidung weicht der Senat zwar von Entscheidungen des VI. Senats (z.B. von dem Urteil in BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481) und des VIII. Senats (z.B. von dem Urteil in BFH/NV 2002, 1551) ab. Eine Anfrage bei diesen Senaten ist jedoch nicht erforderlich, da diese Senate nach dem Geschäftsverteilungsplan des BFH für Fragen betreffend §§ 31, 32 EStG und Kindergeld (§§ 62 bis 78 EStG) nicht mehr zuständig sind.
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4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen. S war nicht nur in den Monaten September bis Dezember 2008 (nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sondern auch in den vorangegangenen Monaten März bis August 2008 (nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) als Kind zu berücksichtigen. Da seine Einkünfte und Bezüge in dem danach insgesamt zu berücksichtigenden Zeitraum März bis Dezember 2008 den Feststellungen des FG zufolge den anteiligen Jahresgrenzbetrag überschreiten würden, hat die Familienkasse den Kindergeldantrag der Klägerin zu Recht abgelehnt.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.
(2) Vollstreckt wird
- 1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.
(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.