Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 06. Juli 2015 - 7 Sa 124/15

bei uns veröffentlicht am06.07.2015

Gründe

LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG

7 Sa 124/15

Urteil

Datum: 06.07.2015

4 Ca 699/14 (Arbeitsgericht Weiden)

Rechtsvorschriften:

Leitsatz:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden vom 04.02.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Beklagte betreibt ein Transportgewerbe. Er beschäftigt nicht mehr als 10 Arbeitnehmer.

Der Kläger war beim Beklagten seit 05.11.2013 als Lkw - Fahrer beschäftigt.

Der Kläger wurde am Nachmittag des 14.10.2014, als er mit seinem privaten PKW unterwegs war, von der Polizei im Rahmen einer Schleierfahndung kontrolliert. Die Polizei nahm einen Drogenwischtest vor, der sich als positiv erwies. Die daraufhin erfolgte Blutuntersuchung ergab, dass der Kläger Amphetamin und Methamphetamin (Crystal Meth) konsumiert hatte. Ein eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 170 StPO wegen der geringen festgestellten Menge eingestellt, die Tat als Ordnungswidrigkeit weiterverfolgt.

Der Kläger nahm am 15.10.2014 um 4:00 Uhr seine Arbeit als Lkw - Fahrer auf.

Am 27.10.2014 fand zwischen den Parteien ein Gespräch statt.

Mit Schreiben vom 28.10.2014 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung.

Der Kläger erhob gegen die Kündigung am 06.11.2014 die vorliegende Klage zum Arbeitsgericht Weiden.

Mit Urteil vom 04.02.2015 stellte das Arbeitsgericht Weiden fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet worden sei, sondern bis 30.11.2014 fortbestanden habe.

Das Urteil wurde dem Beklagten am 03.03.2015 zugestellt.

Der Beklagte legte gegen das Urteil am 02.04.2015 Berufung ein und begründete sie am 30.04.2015.

Der Beklagte trägt vor, der Kläger habe ihn am 14.10.2014 um 21:30 Uhr angerufen und erklärt, er finde seinen Führerschein nicht und dürfe lt. Polizei nicht fahren. Er, der Beklagte, habe dieser Argumentation nicht folgen können. Daraufhin habe der Kläger erzählt, er sei von der Polizei angehalten worden und dürfe nicht mehr fahren, weil er seinen Führerschein verloren habe. Der Beklagte führt aus, in dem Gespräch am 27.10.2014 sei er auf das Telefonat am 14.10.2014 zurückgekommen. Der Kläger habe eingeräumt, dass er bei einem Drogenwischtest positiv getestet worden sei. Auf seine, des Beklagten Frage, ob bei dem Drogentest noch etwas herauskommen werde, habe der Kläger erklärt, das könne sein, er habe am Samstag (11.10.2014) Drogen konsumiert. Der Beklagte trägt vor, er habe dem Kläger erklärt, dass alle Fahrer sich jährlich beim Gesundheitsdienst der Berufsgenossenschaft einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen müssten, bei der auch Blutuntersuchungen vorgenommen würden. Der Kläger habe im Hinblick darauf, dass er Drogen in sich hineingezogen habe, darum gebeten, nicht zu einer solchen Untersuchung gehen zu müssen. Er habe offensichtlich die Befürchtung gehabt, dass sein Drogenkonsum erneut aufkomme.

Der Beklagte führt aus, nach den Bekundungen der Polizei werde den positiv getesteten Fahrern auferlegt, innerhalb von 48 Stunden kein Kraftfahrzeug zu führen.

Der Beklagte macht geltend, es wäre unverantwortlich gewesen, den Kläger als Fahrer weiterzubeschäftigen. Der Kläger habe offensichtlich Probleme mit Drogen. Er habe vom 11.10.2014 bis zur polizeilichen Kontrolle am 14.10.2014 unter Drogeneinfluss gestanden. Einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft habe er sich entziehen wollen. Hätte er ihn weiter als Kraftfahrer eingesetzt und wäre es zu einem Unfall gekommen, wäre nicht auszudenken, welche Folgen dies für dann Geschädigte gehabt hätte.

Der Beklagte macht geltend, er fahre ausschließlich für die Firma B…. Diese bestehe auf zuverlässigen Fahrern. Bei Unzuverlässigkeit des Spediteurs führe dies nicht nur zu Vertragsstrafen, sondern auch zur Aufkündigung des Vertrags.

Der Beklagte beantragt:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Weiden i.d.OPf. vom 04.02.2015, Az. 4 Ca 699/14, wird in Ziffer 1, Satz 1, aufgehoben und die Klage auch insoweit abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Kläger beantragt:

1. Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Kläger trägt vor, im Verlauf des Arbeitsverhältnisses habe es kein gleichartiges vorangegangenes Ereignis gegeben. Es hätten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit oder eine Gefährdung Dritter vorgelegen. Der einmalige Drogenkonsum rechtfertige nicht eine fristlose Kündigung.

Wegen des weitergehenden Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 23.06.2015 ist die Strafakte der Staatsanwaltschaft Weiden - Az.: 24 Js 983/14 beigezogen worden.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Absatz 2 c) ArbGG, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Absatz 1 Satz 1 und 2 ArbGG.

Die Berufung ist unbegründet.

Gegenstand der Berufung ist lediglich die Frage, ob das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 28.10.2014 mit sofortiger Wirkung beendet worden ist.

Dies ist, wie das Erstgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht der Fall.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, kann das Arbeitsverhältnis gemäß § 626 Absatz 1 BGB aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils, § 241 Absatz 2 BGB. Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. Bundesarbeitsgericht - Urteil vom 18.12.2014 - 2 AZR 265/14; juris).

Gemessen an diesen Kriterien erweist sich die außerordentliche Kündigung des Beklagten als unwirksam.

Allerdings hat der Kläger gegen die ihm obliegenden Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten verstoßen. Der Kläger war als Lkw - Fahrer tätig. Es gehört zu den Pflichten eines Lkw - Fahrers, den ihm anvertrauten Lkw mitsamt der Ladung ausschließlich in einem Zustand uneingeschränkter Fahrtüchtigkeit zu führen. Gegen diese Pflicht hat der Kläger verstoßen. Er hat am jedenfalls am 13.10.2014, 14.10.2014 und 15.10.2014 den Lkw des Beklagten unter Drogeneinfluss gefahren. Nach dem nicht bestrittenen Vorbringen des Beklagten hatte der Kläger in der streitgegenständlichen Woche Frühschicht, d. h., er begann seine Fahrten um 4:00 Uhr. Der Kläger bestreitet weder, dass er ab Montagmorgen gefahren ist, noch, dass er am 11.10.2014 Drogen genommen hat. Dabei handelte es sich um Amphetamin und Methamphetamin (Crystal Meth). Dies ergibt sich aus der beigezogenen Strafakte.

Da der am 14.10.2014 um 15:00 Uhr durchgeführte Drogentest positiv war und der Kläger nicht vorträgt, er habe nach dem 11.10.2014 weitere Drogen eingenommen, müssen die am 14.10.2014 festgestellten Werte auf dem Drogenkonsum am 11.10.2014 beruhen. Dies bedeutet zwangsläufig, dass der Kläger bei den Fahrten am Montag bis Mittwoch unter Drogeneinfluss fuhr.

In diesem Verhalten liegt ein Vertragsverstoß, der grundsätzlich als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB gewertet werden kann.

Nach Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles kommt das erkennende Gericht zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung des Beklagten unverhältnismäßig war.

Es liegen keine Umstände vor, die den Schluss zulassen, der Kläger sei an den genannten Tagen gefahren, obwohl er fahruntüchtig gewesen sei. Insbesondere ist nicht bekannt, ob der Kläger wegen der eingenommenen Drogen nicht in der Lage war, den Lkw noch sicher zu führen. Erkennbare Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit hat der Beklagte nicht geltend gemacht.

Dass der Kläger jedenfalls am 15.10.2014 eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Absatz 2 StVG begangen hat, bedeutet nicht zwingend, dass der Kläger an diesem und an den zwei Tagen zuvor den Lkw wegen drogenbedingter Fahruntüchtigkeit nicht führen konnte, insbesondere eine konkrete Gefährdung vorlag.

Gemäß § 24 a Absatz 2 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung bestimmter, namentlich aufgeführter berauschender Mittel im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Die Wirkung wird kraft gesetzlicher Regelung angenommen, wenn ein solches Mittel unabhängig von der Konzentration im Blut nachgewiesen wird. Geahndet wird bereits die abstrakte Gefährdung. Insoweit wird keine Aussage darüber getroffen, ob eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit vorgelegen hat, die zu einer Gefahr vor allem auch für das Fahrzeug des Beklagten und der Ladung führte.

Der Kläger hat zweifelsohne gegen § 24 a Absatz 2 StVG verstoßen. Dies allein stellt indes keinen Kündigungsgrund dar.

Das Recht des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, setzt voraus, dass eine nicht behebbare Störung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere der Interessen des Arbeitgebers vorliegt. Dagegen ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht Sachwalter der Belange der Allgemeinheit.

Ein einmaliger Verstoß gegen die StVG ohne eine konkrete Gefahr für die Interessen des Arbeitgebers ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts ohne das Vorliegen weiterer Umstände nicht als eine so schwerwiegende Vertragsverletzung anzusehen, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten ist, die Kündigungsfrist einzuhalten. Dabei kann vorliegend unentschieden bleiben, ob eine ordentliche Kündigung eine vorherige vergebliche Abmahnung voraussetzen würde. Im vorliegenden Fall wurde das Arbeitsverhältnis nach der Umdeutung des Erstgerichts der außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung zum 30.11.2014 beendet.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Annahme des Beklagten, es habe sich nicht nur um einen einmaligen Drogenkonsum gehandelt, sondern der Kläger nehme dauerhaft Drogen zu sich. Allerdings wäre dieser Umstand geeignet, die persönliche Eignung des Klägers für die Tätigkeit eines Lkw - Fahrers in Frage zu stellen. Ob dies eine außerordentliche Kündigung bedingen könnte, kann dahin stehen. Insoweit liegt keine gesicherte Tatsache vor. Insbesondere ergibt sich dies nicht aus dem Gespräch, das der Beklagte und der Kläger am 27.10.2014 geführt haben.

Der Beklagte macht insoweit geltend, der Kläger habe sich einer Untersuchung durch den medizinischen Dienst der Berufsgenossenschaft entziehen wollen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger eine Untersuchung generell verweigerte, woraus unter Umständen der Schluss gezogen werden könnte, der Kläger konsumiere regelmäßig verbotene Drogen. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, wann eine Untersuchung hätte stattfinden sollen, insbesondere ob es um die generellen Untersuchungen ging. Vielmehr ergibt sich aus dem Kündigungsschreiben, dass es um eine aktuelle Untersuchung ging. Danach wurde dem Kläger in dem Gespräch mit einer Untersuchung gedroht. Im Kündigungsschreiben heißt es: „Die Einnahme von Drogen gaben Sie nach mehrmaligen Nachfragen und Androhung auf eine Untersuchung über den ASD der BG - Verkehr zu.“

Mangels des Nachweises einer konkreten Beeinträchtigung durch den Drogenkonsum des Klägers am 11.10.2014 ist die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses demgemäß nicht gerechtfertigt.

Es bestand daher keine Veranlassung, das Ersturteil abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Zulassung der Revision erfolgte wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein einmaliger Drogenkonsum die außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers begründen kann, § 72 Absatz 2 ArbGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Revision einlegen.

Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss innerhalb einer Frist von einem Monat eingelegt und innerhalb einer Frist von zwei Monaten begründet werden.

Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils.

Die Revision muss beim Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt Postanschrift: Bundesarbeitsgericht 99113 Erfurt Telefax-Nummer: 0361 2636-2000 eingelegt und begründet werden.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Es genügt auch die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten der Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von Zusammenschlüssen solcher Verbände

- für ihre Mitglieder

- oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder

oder

von juristischen Personen, deren Anteile sämtlich in wirtschaftlichem Eigentum einer der im vorgenannten Absatz bezeichneten Organisationen stehen,

- wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt

- und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In jedem Fall muss der Bevollmächtigte die Befähigung zum Richteramt haben.

Zur Möglichkeit der Revisionseinlegung mittels elektronischen Dokuments wird auf die Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesarbeitsgericht vom 09.03.2006 (BGBl. I, 519 ff.) hingewiesen. Einzelheiten hierzu unter http://www.bundesarbeitsgericht.de/.

Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 06. Juli 2015 - 7 Sa 124/15

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona
Landesarbeitsgericht Nürnberg Urteil, 06. Juli 2015 - 7 Sa 124/15 zitiert 8 §§.

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Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis 30.11.2014 fortbestanden hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Streitwert wird auf 4.800 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten u. a. um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 1984 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 05.11.2013 als Lkw-Fahrer mit einer Bruttomonatsvergütung von 1600 € beschäftigt.

Am 14.10.2014 wurde der Kläger bei einer Privatfahrt mit seinem Pkw von der Polizei angehalten und einem Drogentest unterzogen. Er rief am Abend desselben Tages den Inhaber der Beklagten an und sagte, dass er die morgige Frühschicht nicht fahren könne, weil er seinen Führerschein nicht finde. Er sei von der Polizei angehalten worden und dürfe jetzt nicht mehr fahren, weil er seinen Führerschein verloren hätte. Der Inhaber der Beklagten wies den Kläger daraufhin, dass er einen Ersatzfahrer für die Tour des Klägers nicht finden könne und eine rechtzeitige Auslieferung sehr wichtig sei. Der Kläger erklärt sich schließlich dazu bereit, die Fahrt durchzuführen.

Am 27.10.2014 sprach der Inhaber der Beklagten den Kläger noch einmal auf das Telefonat vom 14.10.2014 an und fragte, weshalb ihm die Polizei untersagt habe, einen Lkw zu führen. Der Inhaber der Beklagten hielt dem Kläger vor, dass es nicht sein könne, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht finden könne. Der Kläger gestand, dass er von der Polizei angehalten worden sei und ein Drogentest vorgenommen worden sei. Der weitere Verlauf des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Bl. 30 d. A.).

Mit Schreiben vom 28.10.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage wurde der Beklagten am 13.11.2014 zustellt.

Der Kläger ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Er wisse nicht, ob illegale Substanzen in seinem Blut nachzuweisen seien. Das Ermittlungsverfahren sei immerhin eingestellt worden. Im Übrigen habe sich der gesamte Vorfall im Privatbereich zugetragen.

Der Kläger beantragt daher

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht aufgelöst worden ist,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger habe eingeräumt, dass er von der Polizei angehalten und ein Drogentest durchgeführt worden sei. Bei dem Drogentest könne auch etwas herauskommen, da er am Samstag, den 11.10.2014, Drogen konsumiert habe. Der Inhaber der Beklagten habe den Kläger darauf hingewiesen, dass sich alle Fahrer einmal im Jahr einer Gesundheitsuntersuchung bei der Berufsgenossenschaft unterziehen müssten. Der Kläger habe gebeten, diese Untersuchung nicht absolvieren zu müssen, weil er Drogen eingenommen habe. Eigene Recherchen der Beklagten hätten ergeben, dass dem Kläger nach der Kontrolle durch die Polizei ein 48-stündiges Fahrverbot auferlegt worden ist. Auch davon habe der Kläger bei seinem Anruf am 14.10.2014 nichts erwähnt.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei wegen seines Drogenkonsums als Berufskraftfahrer ungeeignet und eine Gefahr für die Allgemeinheit. Eine anderweitige Verwendung habe sie für den Kläger nicht. Zudem sei der Kläger bereits dreimal abgemahnt worden (Bl. 21 ff d. A.).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 21.03.2013 sowie 11.07.2013 Bezug genommen.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die Klage hat zum Teil Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet. Die Kündigung wirkt jedoch als ordentliche Kündigung und beendet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.11.2014.

I.

Die Klage ist zulässig.

1. Das Arbeitsgericht Weiden ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen.

Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG.

2. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem im Bereich des angerufenen Arbeitsgerichts gelegenen Sitz der Beklagten (§§ 12, 13 ZPO).

3. Das nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich für den Klageantrag schon daraus, dass die Kündigung als rechtswirksam gelten würde, wenn der Kläger auf einen entsprechenden Kündigungsschutzantrag verzichten würde (§§ 4, 7, 13 KSchG).

Im Übrigen bestehen an der Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.

II.

In der Sache ist der Klage nur zum Teil Erfolg beschieden. Die außerordentliche Kündigung vom 28.10.2014 erweist sich als rechtsunwirksam. Sie ist jedoch in eine ordentliche Kündigung umzudeuten und beendet das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2014.

1) Der Kündigung liegt kein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zugrunde.

a) Die Kammer hatte das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu prüfen, da der Kläger rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG (i. V. m. § 13 KSchG) Klage gegen die streitgegenständliche Kündigung erhoben hat. Unter Berücksichtigung des Zugangs der Kündigung am 28.10.2014 erfolgte die Klageerhebung durch Zustellung am 13.11.2014 ohne weiteres fristgerecht.

b) Die von der Beklagten vorgetragenen Verfehlungen des Klägers rechtfertigen die fristlose Kündigung nicht und stellen keinen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB dar.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; vgl. BAG v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer der Überzeugung, dass eine Privatfahrt unter Drogeneinfluss zwar ein wichtiger Grund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers sein kann. Unter Abwägung der Besonderheiten des hiesigen Falls war die Beklagte dennoch gehalten, den Kläger vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG v. 20.11.2014, Az. 2 AZR 651/13, zitiert nach juris).

Zugunsten des Klägers spricht, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren betreffend ein Vergehen nach § 29 BtMG eingestellt worden ist. Die Einstellung erfolgte nach § 170 Abs. 2 StPO, so dass davon auszugehen ist, dass ein intensiver Kontakt des Klägers mit Betäubungsmitteln, der über § 29 BtMG verfolgt wird, nicht bestand, zumindest nicht nachzuweisen war. Zudem erstreckte sich das Ermittlungsverfahren weder auf § 316 StGB, noch auf § 315c StGB, so dass offenbar keinerlei Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der klägerischen Fahrtüchtigkeit oder eine Gefährdung von Dritten vorlagen.

Ebenfalls zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass der behauptete Drogenkonsum an einem Samstag - also unstreitig außerhalb der Arbeitszeit - stattgefunden haben soll. Für den Kläger war ggf. nicht zu erkennen, dass sich ein Drogenkonsum in der Freizeit über einen längeren Zeitraum leistungsmindernd und -einschränkend auswirken kann und damit auch die vertragsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung gefährdet.

Auch ein Verstoß des Klägers gegen ein von der Polizei verhängtes „Fahrverbot“ hat die Pflichtwidrigkeit des klägerischen Handelns nicht maßgeblich verstärkt. Indem der Kläger der Aufforderung der Beklagten nachgekommen ist und seine Fahrt am 15.10.2014 durchgeführt hat, hat er sich nicht eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) schuldig gemacht. Das Verfahren und die Voraussetzungen für die Verhängung von Fahrverboten (§ 44 StGB) und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 3 StVG, § 69 StGB) ist gesetzlich abschließend geregelt. Besondere Befugnisse der Polizei, kurzzeitige Fahrverbote auszusprechen, bestehen nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Polizei den Kläger lediglich angehalten hat, auf das Führen eines Fahrzeugs innerhalb der nächsten 48 Stunden - bis zum Abbau der Drogenstoffe - zu verzichten. Andernfalls könnte der Kläger eine (weitere) Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG begehen. Mit einer derartigen Anweisung veranschaulicht die Polizei dem Drogenkonsument nachdrücklich, dass er sich erneut strafbar machen könnte, wenn er im Straßenverkehr weiterhin ein Fahrzeug führt. Sie weist damit lediglich auf die bestehende Gesetzeslage hin, ohne durch ein „Fahrverbot“ dem Kläger zusätzliche Einschränkungen aufzuerlegen.

Letztlich ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger nicht willens oder fähig gewesen wäre, sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung zukünftig zu ändern. Umstände, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Eine einmalige, für Dritte folgenlos gebliebene Fahrt unter Drogeneinfluss im Privatbereich stellt weder die grundsätzliche Eignung des Klägers als Kraftfahrer in Frage, noch lässt sie den Schluss zu, der Kläger sei nach Ausspruch einer Abmahnung zu keiner Verhaltensänderung bereit.

Auf die als Abmahnungen bezeichneten Schreiben kann sich die Beklagte nicht erfolgreich berufen. Ungeachtet der Zweifel, ob die in den Schreiben aufgeführten Pflichtverletzungen denselben Pflichtenkreis betreffen und damit als einschlägige Abmahnungen zu werten wären, sind alle drei „Abmahnungen“ nicht als Abmahnungen im Rechtssinne zu verstehen. Mangels Kündigungsandrohung kommt ihnen keine Warnfunktion zu.

3. Die Kündigung vom 28.10.2014 vermag das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos zu beenden, sie löst das Arbeitsverhältnis jedoch als ordentliche Kündigung zum 30.11.2014 auf.

Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist (BAG v. 12.05.2010, Az. 2 AZR 845/08, zitiert nach juris).

Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 28.10.2014, das mit „Fristloser Kündigung“ überschrieben ist und die Erklärung enthält, die Beklagte kündige „das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung“, lässt den unbedingten Beendigungswillen der Beklagten ohne weiteres erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es der Beklagten darauf ankam, sich schnellstmöglich von ihm zu trennen.

Umstände, die andere Auslegung des Kündigungsschreibens zulassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Nachdem das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt und andere Unwirksamkeitsgründe nicht bestehen, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB zum 30.11.2014 beendet. Da die Kündigungsschutzklage auf den zeitlich uneingeschränkten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, war die Klage im Übrigen abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht im Hinblick auf das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO). Nachdem sich die außerordentliche Kündigung als unwirksam erwiesen hat, das Arbeitsverhältnis dennoch gut einen Monat nach Ausspruch der Kündigung beendet worden ist, sind die Kosten des Rechtsstreits zu teilen bzw. gegeneinander aufzuheben. Den Streitwert setzt die Kammer nach den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG auf den Betrag von drei Monatsgehältern fest.

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet worden ist, sondern bis 30.11.2014 fortbestanden hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Streitwert wird auf 4.800 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten u. a. um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 1984 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 05.11.2013 als Lkw-Fahrer mit einer Bruttomonatsvergütung von 1600 € beschäftigt.

Am 14.10.2014 wurde der Kläger bei einer Privatfahrt mit seinem Pkw von der Polizei angehalten und einem Drogentest unterzogen. Er rief am Abend desselben Tages den Inhaber der Beklagten an und sagte, dass er die morgige Frühschicht nicht fahren könne, weil er seinen Führerschein nicht finde. Er sei von der Polizei angehalten worden und dürfe jetzt nicht mehr fahren, weil er seinen Führerschein verloren hätte. Der Inhaber der Beklagten wies den Kläger daraufhin, dass er einen Ersatzfahrer für die Tour des Klägers nicht finden könne und eine rechtzeitige Auslieferung sehr wichtig sei. Der Kläger erklärt sich schließlich dazu bereit, die Fahrt durchzuführen.

Am 27.10.2014 sprach der Inhaber der Beklagten den Kläger noch einmal auf das Telefonat vom 14.10.2014 an und fragte, weshalb ihm die Polizei untersagt habe, einen Lkw zu führen. Der Inhaber der Beklagten hielt dem Kläger vor, dass es nicht sein könne, dass die Polizei ein Fahrverbot ausspreche, nur weil man seinen Führerschein nicht finden könne. Der Kläger gestand, dass er von der Polizei angehalten worden sei und ein Drogentest vorgenommen worden sei. Der weitere Verlauf des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Ein gegen den Kläger eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Bl. 30 d. A.).

Mit Schreiben vom 28.10.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage wurde der Beklagten am 13.11.2014 zustellt.

Der Kläger ist der Ansicht, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Er wisse nicht, ob illegale Substanzen in seinem Blut nachzuweisen seien. Das Ermittlungsverfahren sei immerhin eingestellt worden. Im Übrigen habe sich der gesamte Vorfall im Privatbereich zugetragen.

Der Kläger beantragt daher

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht aufgelöst worden ist,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger habe eingeräumt, dass er von der Polizei angehalten und ein Drogentest durchgeführt worden sei. Bei dem Drogentest könne auch etwas herauskommen, da er am Samstag, den 11.10.2014, Drogen konsumiert habe. Der Inhaber der Beklagten habe den Kläger darauf hingewiesen, dass sich alle Fahrer einmal im Jahr einer Gesundheitsuntersuchung bei der Berufsgenossenschaft unterziehen müssten. Der Kläger habe gebeten, diese Untersuchung nicht absolvieren zu müssen, weil er Drogen eingenommen habe. Eigene Recherchen der Beklagten hätten ergeben, dass dem Kläger nach der Kontrolle durch die Polizei ein 48-stündiges Fahrverbot auferlegt worden ist. Auch davon habe der Kläger bei seinem Anruf am 14.10.2014 nichts erwähnt.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger sei wegen seines Drogenkonsums als Berufskraftfahrer ungeeignet und eine Gefahr für die Allgemeinheit. Eine anderweitige Verwendung habe sie für den Kläger nicht. Zudem sei der Kläger bereits dreimal abgemahnt worden (Bl. 21 ff d. A.).

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vom 21.03.2013 sowie 11.07.2013 Bezug genommen.

Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Gründe

Die Klage hat zum Teil Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.10.2014 nicht fristlos beendet. Die Kündigung wirkt jedoch als ordentliche Kündigung und beendet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.11.2014.

I.

Die Klage ist zulässig.

1. Das Arbeitsgericht Weiden ist zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen.

Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG.

2. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem im Bereich des angerufenen Arbeitsgerichts gelegenen Sitz der Beklagten (§§ 12, 13 ZPO).

3. Das nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich für den Klageantrag schon daraus, dass die Kündigung als rechtswirksam gelten würde, wenn der Kläger auf einen entsprechenden Kündigungsschutzantrag verzichten würde (§§ 4, 7, 13 KSchG).

Im Übrigen bestehen an der Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.

II.

In der Sache ist der Klage nur zum Teil Erfolg beschieden. Die außerordentliche Kündigung vom 28.10.2014 erweist sich als rechtsunwirksam. Sie ist jedoch in eine ordentliche Kündigung umzudeuten und beendet das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2014.

1) Der Kündigung liegt kein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zugrunde.

a) Die Kammer hatte das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu prüfen, da der Kläger rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG (i. V. m. § 13 KSchG) Klage gegen die streitgegenständliche Kündigung erhoben hat. Unter Berücksichtigung des Zugangs der Kündigung am 28.10.2014 erfolgte die Klageerhebung durch Zustellung am 13.11.2014 ohne weiteres fristgerecht.

b) Die von der Beklagten vorgetragenen Verfehlungen des Klägers rechtfertigen die fristlose Kündigung nicht und stellen keinen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB dar.

aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angesichts der konkreten Umstände des Falls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; vgl. BAG v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer der Überzeugung, dass eine Privatfahrt unter Drogeneinfluss zwar ein wichtiger Grund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung eines Berufskraftfahrers sein kann. Unter Abwägung der Besonderheiten des hiesigen Falls war die Beklagte dennoch gehalten, den Kläger vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzumahnen.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG v. 20.11.2014, Az. 2 AZR 651/13, zitiert nach juris).

Zugunsten des Klägers spricht, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren betreffend ein Vergehen nach § 29 BtMG eingestellt worden ist. Die Einstellung erfolgte nach § 170 Abs. 2 StPO, so dass davon auszugehen ist, dass ein intensiver Kontakt des Klägers mit Betäubungsmitteln, der über § 29 BtMG verfolgt wird, nicht bestand, zumindest nicht nachzuweisen war. Zudem erstreckte sich das Ermittlungsverfahren weder auf § 316 StGB, noch auf § 315c StGB, so dass offenbar keinerlei Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der klägerischen Fahrtüchtigkeit oder eine Gefährdung von Dritten vorlagen.

Ebenfalls zugunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass der behauptete Drogenkonsum an einem Samstag - also unstreitig außerhalb der Arbeitszeit - stattgefunden haben soll. Für den Kläger war ggf. nicht zu erkennen, dass sich ein Drogenkonsum in der Freizeit über einen längeren Zeitraum leistungsmindernd und -einschränkend auswirken kann und damit auch die vertragsgemäße Erbringung der Arbeitsleistung gefährdet.

Auch ein Verstoß des Klägers gegen ein von der Polizei verhängtes „Fahrverbot“ hat die Pflichtwidrigkeit des klägerischen Handelns nicht maßgeblich verstärkt. Indem der Kläger der Aufforderung der Beklagten nachgekommen ist und seine Fahrt am 15.10.2014 durchgeführt hat, hat er sich nicht eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) schuldig gemacht. Das Verfahren und die Voraussetzungen für die Verhängung von Fahrverboten (§ 44 StGB) und die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 3 StVG, § 69 StGB) ist gesetzlich abschließend geregelt. Besondere Befugnisse der Polizei, kurzzeitige Fahrverbote auszusprechen, bestehen nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Polizei den Kläger lediglich angehalten hat, auf das Führen eines Fahrzeugs innerhalb der nächsten 48 Stunden - bis zum Abbau der Drogenstoffe - zu verzichten. Andernfalls könnte der Kläger eine (weitere) Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG begehen. Mit einer derartigen Anweisung veranschaulicht die Polizei dem Drogenkonsument nachdrücklich, dass er sich erneut strafbar machen könnte, wenn er im Straßenverkehr weiterhin ein Fahrzeug führt. Sie weist damit lediglich auf die bestehende Gesetzeslage hin, ohne durch ein „Fahrverbot“ dem Kläger zusätzliche Einschränkungen aufzuerlegen.

Letztlich ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger nicht willens oder fähig gewesen wäre, sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung zukünftig zu ändern. Umstände, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Eine einmalige, für Dritte folgenlos gebliebene Fahrt unter Drogeneinfluss im Privatbereich stellt weder die grundsätzliche Eignung des Klägers als Kraftfahrer in Frage, noch lässt sie den Schluss zu, der Kläger sei nach Ausspruch einer Abmahnung zu keiner Verhaltensänderung bereit.

Auf die als Abmahnungen bezeichneten Schreiben kann sich die Beklagte nicht erfolgreich berufen. Ungeachtet der Zweifel, ob die in den Schreiben aufgeführten Pflichtverletzungen denselben Pflichtenkreis betreffen und damit als einschlägige Abmahnungen zu werten wären, sind alle drei „Abmahnungen“ nicht als Abmahnungen im Rechtssinne zu verstehen. Mangels Kündigungsandrohung kommt ihnen keine Warnfunktion zu.

3. Die Kündigung vom 28.10.2014 vermag das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos zu beenden, sie löst das Arbeitsverhältnis jedoch als ordentliche Kündigung zum 30.11.2014 auf.

Eine nach § 626 Abs. 1 BGB unwirksame außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB umgedeutet werden, wenn dies dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Kündigungszugangs erkennbar ist (BAG v. 12.05.2010, Az. 2 AZR 845/08, zitiert nach juris).

Der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 28.10.2014, das mit „Fristloser Kündigung“ überschrieben ist und die Erklärung enthält, die Beklagte kündige „das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung“, lässt den unbedingten Beendigungswillen der Beklagten ohne weiteres erkennen. Der Kläger musste davon ausgehen, dass es der Beklagten darauf ankam, sich schnellstmöglich von ihm zu trennen.

Umstände, die andere Auslegung des Kündigungsschreibens zulassen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Nachdem das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt und andere Unwirksamkeitsgründe nicht bestehen, hat die Kündigung das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB zum 30.11.2014 beendet. Da die Kündigungsschutzklage auf den zeitlich uneingeschränkten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, war die Klage im Übrigen abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht im Hinblick auf das anteilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien (§§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO). Nachdem sich die außerordentliche Kündigung als unwirksam erwiesen hat, das Arbeitsverhältnis dennoch gut einen Monat nach Ausspruch der Kündigung beendet worden ist, sind die Kosten des Rechtsstreits zu teilen bzw. gegeneinander aufzuheben. Den Streitwert setzt die Kammer nach den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 4 GKG auf den Betrag von drei Monatsgehältern fest.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 26. November 2013 - 7 Sa 444/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und über einen Auflösungsantrag des beklagten Landkreises.

2

Die Klägerin ist Dipl.-Verwaltungswirtin. Sie war bei dem beklagten Landkreis seit Oktober 2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Auf das Arbeitsverhältnis fand aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung der TVöD-VKA Anwendung.

3

Am 22. April 2012 fand die Wahl des Landrats statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb mit einem Flyer für sich. In diesem stellte sie die „Säulen“ ihrer Politik vor, als welche sie „Transparenz in der Verwaltung“, „Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien und Senioren“ bezeichnete. Zum Punkt „Transparenz in der Verwaltung“ hieß es in dem Flyer:

        

„Wie der jüngste Umweltskandal in [B.] und der Subventionsbetrug am [Rathaus in C.] beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft.“

4

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18. April 2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

5

Nach Beteiligung des Personalrats kündigte der beklagte Landkreis das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 21. April 2012 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2012. Er warf der Klägerin üble Nachrede und Beleidigung seines Repräsentanten vor.

6

Gegen die Kündigung hat die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, es sei weder ein Grund für die außerordentliche noch für die ordentliche Kündigung gegeben. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Wahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr nicht darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des Rathauses in C. nichts unternommen habe und stattdessen transparenter und in der Öffentlichkeit aktiver mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Übrigen habe sie nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Die Klägerin hat zudem die Personalratsbeteiligung als fehlerhaft gerügt.

7

Sie hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. April 2012 aufgelöst wurde;

        

2.    

den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom 27. September 2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiter zu beschäftigten.

8

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Abfindung aufzulösen.

9

Er hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, dieser decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafvereitelung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung und üble Nachrede. Der Landrat müsse dies auch im Wahlkampf nicht hinnehmen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG aufzulösen. Der Betriebsfrieden sei nachhaltig gestört. Schon früher habe es wegen einer Konkurrentenklage Spannungen mit der Klägerin gegeben. Diese müsse sich außerdem das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen. Der habe die Landratswahl angefochten. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit auch mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

10

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben, den Auflösungsantrag des Beklagten hat es abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der beklagte Landkreis die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat richtig entschieden.

13

I. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 39; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 16).

15

2. Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 40; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 19). Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - aaO; 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO mwN).

16

3. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 41; 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - aaO).

17

a) Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 24 mwN). Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (vgl. BVerfG 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 - Rn. 18 mwN).

18

b) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 42; 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden - und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - aaO; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO).

19

aa) Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198).

20

bb) Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

21

4. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe ihre Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt, nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, bei den Äußerungen der Klägerin in dem Wahl-Werbeflyer habe es sich um eine vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerung gehandelt. Diese habe die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten und gehe, da sie im Wahlkampf erfolgt sei, der Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem beklagten Landkreis vor.

22

a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Aussagen der Klägerin in dem am 18. April 2012 verteilten Flyer stellten nicht schon deshalb keine Vertragspflichtverletzung dar, weil sie außerdienstlich und überdies im Wahlkampf gefallen seien. Die Klägerin hat die Amtswahrnehmung des Landrats kritisiert. Das berührt unmittelbar die Belange auch des beklagten Landkreises.

23

b) Das vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Verständnis der Äußerungen in dem Flyer ist nicht zu beanstanden. Das Gericht hat angenommen, die Wahlwerbung sei nicht zwingend dahin zu verstehen, die Klägerin habe dem amtierenden Landrat kriminelles Verhalten vorgeworfen. Ebenso gut sei eine mildere, politische Deutung möglich. Danach habe die Klägerin dem Landrat den Vorwurf gemacht, bei Betrügereien im Landkreis das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen und damit demokratische Kontrolle zu behindern. Insofern handele es sich um eine Meinungsäußerung, die dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG unterfalle. Die dagegen vom beklagten Landkreis vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

24

aa) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 47; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312).

25

(1) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 20; 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - Rn. 31). Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BVerfG 12. Mai 2009 - 1 BvR 2272/04 - aaO mwN; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 505/13 - Rn. 46).

26

(2) Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40). Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18 mwN). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO). Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes (BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 - aaO mwN).

27

(3) In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 28; BGH 27. April 1999 - VI ZR 174/97 - zu II 2 a der Gründe; 22. Juni 1982 - VI ZR 255/80 - zu 2 b der Gründe).

28

bb) Danach enthält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es sei ein - verglichen mit der Deutung des Beklagten - milderes, nämlich politisches Verständnis der Äußerung der Klägerin ohne Weiteres möglich, keinen Rechtsfehler. Das Landesarbeitsgericht hat den möglichen Aussagegehalt der fraglichen Äußerung nach ihrem Kontext beurteilt und dabei berücksichtigt, dass es sich um eine Äußerung im Rahmen von Wahlwerbung, also als Teil der politischen Auseinandersetzung mit einem Gegenkandidaten handelte. Die Aussage über dessen Amtswahrnehmung war in das eigene „Drei-Säulen-Programm“ der Klägerin eingebettet. Mit der Formulierung, der amtierende Landrat „decke“ Betrügereien im Landkreis, war deshalb nicht notwendigerweise der Vorwurf verbunden, der Landrat habe sich selbst - etwa der Strafvereitelung - strafbar gemacht. Ebenso gut lässt sich die Äußerung dahin verstehen, der Landrat habe politisch nicht genügend zur Aufklärung der aufgeführten - angeblichen - Missstände unternommen. Diese Deutung liegt angesichts der von der Klägerin an gleicher Stelle hervorgehobenen Bedeutung von Transparenz im Verwaltungshandeln sogar näher. Daran ändern der Fettdruck und die farbige Gestaltung des Flyers unter Nutzung von Fotomaterial nichts. Der Vorwurf wiegt politisch schwer genug, um als ein aus Sicht der Klägerin maßgebliches und gestalterisch zu unterstreichendes Argument in der Auseinandersetzung mit ihrem Gegenkandidaten betont zu werden.

29

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht in der Äußerung der Klägerin über den amtierenden Landrat ihrem Schwerpunkt nach ein Werturteil gesehen, und nicht eine dem Wahrheits- oder Unwahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

30

(1) Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung - vermeintlicher - Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten (für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 50). Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.

31

(2) Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Klägerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Klägerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Klägerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Klägerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Klägerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Beklagte im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.

32

(3) Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Klägerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe (vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 19).

33

(4) Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Klägerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Klägerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.

34

dd) Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Klägerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Beklagten angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.

35

c) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Klägerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Beklagten eingeräumt.

36

aa) Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Klägerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.

37

bb) Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Klägerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson (zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 41). Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Klägerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Klägerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 39). In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Klägerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.

38

cc) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Klägerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Klägerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen (vgl. bspw. die Pressemitteilung der Deutschen Umwelthilfe vom 2. November 2011 als Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 28. Januar 2013: „Das Landratsamt verharmlost … und blockiert…“). Es ging - entgegen der Auffassung des Beklagten - um eine politische Frage von öffentlichem Interesse (vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17. April 2014 - 5709/09 - Rn. 42), hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.

39

dd) Die Klägerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber - wie ausgeführt - auch dem Flyer der Klägerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil - hier über die Amtsausübung des Landrats - und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG 22. Juni 1982 - 1 BvR 1376/79 - zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198). Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“(vgl. BVerfG 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet). Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.

40

ee) Die Äußerung der Klägerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.

41

(1) Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Klägerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.

42

(2) Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Klägerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Beklagten in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.

43

(3) Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Klägerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.

44

(4) Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, die Klägerin habe bewusst einen so späten Zeitpunkt für die Veröffentlichung gewählt, dass dem amtierenden Landrat vor der Wahl keine Reaktion mehr möglich gewesen sei, ist dies bereits unschlüssig. Das Anzeigenblatt wurde am 18. April 2012 verteilt, die Landratswahl fand am 22. April 2012 statt.

45

II. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat - wie ausgeführt - ihre Vertragspflichten nicht verletzt.

46

III. Den Auflösungsantrag des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgewiesen. Der beklagte Landkreis hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG entgegenstünden. Weder genügen frühere Spannungen aufgrund einer Konkurrentenklage als Auflösungsgrund, noch ist ersichtlich, warum sich die Klägerin ein Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müsste.

47

IV. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

48

V. Als unterlegene Partei hat der beklagte Landkreis gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    F. Löllgen     

        

    Gerschermann    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.