Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15

bei uns veröffentlicht am20.10.2016

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.08.2015 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Streitig ist die Gewährung höherer Altersrente im Rahmen eines Zugunstenverfahrens, insbesondere das Ausmaß der Berücksichtigung von in R. zurückgelegten Zeiten.
Der am 1949 geborene Kläger ist in R. geboren und war dort u. a. vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 als Schlosser tätig (vgl. das Arbeitsbuch, Übersetzung Blatt 113 VA). Am 19.06.1990 siedelte er nach Deutschland aus. Nach eigenen Angaben ist er Inhaber des Vertriebenenausweises A.
Mit Bescheid vom 07.07.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelaltersrente ab dem 01.08.2014 in Höhe von monatlich anfangs 1.265,59 EUR (brutto). Der Berechnung lag u. a. auch der Zeitraum der Beschäftigung in R. vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 zu Grunde, allerdings in Bezug auf die hieraus sich ergebenden Entgeltpunkte nur mit einer Anrechnung zu fünf Sechsteln. Hinsichtlich der Rentenberechnung wird auf den Bescheid verwiesen.
Im Oktober 2014 beantragte der Kläger im Rahmen des § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) eine wertmäßig ungekürzte volle Anrechnung u. a. der Zeit vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 und legte hierzu das certifikat de munca (Arbeitszertifikat) Nr. 32 vom 05.09.2014 seines früheren Arbeitgebers vor. In diesem Arbeitszertifikat werden bezogen auf die jeweiligen Jahre von 1971 bis 1990 die gearbeiteten Tage (bei einer Sechs-Tage-Woche), die Tage des Erholungsurlaubs, die Tage von Kranken-/Mutterschaftsurlaub (1979, 1980 und 1983 insgesamt 11, 6 bzw. 5 Tage, im Übrigen negativ), Feiertage und Sonntage (für volle Jahre zwischen 56 und 59 Tage) sowie Tage unbezahlten Urlaubs (für alle Jahre negativ) ausgewiesen. Bei Addition der angegebenen Tage ergibt sich exakt die Anzahl von Kalendertagen des jeweiligen Jahres (in der Bescheinigung nicht ausgewiesen). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 112 der Verwaltungsakte, hinsichtlich der Übersetzung auf Blatt 37 der LSG-Akte Bezug genommen. Mit Bescheid vom 18.11.2014 und Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 lehnte die Beklagte die ungekürzte „Anerkennung“ auch des Zeitraums vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 ab, weil das Arbeitszertifikat nur jährliche Angaben enthalte.
Das hiergegen am 10.02.2015 angerufene Sozialgericht Karlsruhe hat mit Urteil vom 18.08.2015 die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, den Bescheid vom 07.07.2014 abzuändern und dem Kläger eine höhere Altersrente ab dem 01.08.2014 unter Berücksichtigung der in R. vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 zurückgelegten Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten zu gewähren. Es hat sich der nicht näher begründeten Auffassung der Beklagten, nur eine monatweise Bescheinigung mit im Übrigen identischem Inhalt könne den Nachweis der Beitragszeiten erbringen, nicht angeschlossen.
Gegen das ihr am 04.09.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 02.10.2015 Berufung eingelegt und u. a. - erstmals - darauf hingewiesen, dass für das Jahr 1990 zwar zutreffend insgesamt 157 Tage bescheinigt würden, die ausgewiesenen 33 Sonn- und Feiertage jedoch unrichtig seien, weil im damaligen Zeitraum lediglich 26 Sonn- und Feiertage gelegen hätten. Die Zahlen seien somit in sich nicht schlüssig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18.08.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
10 
die Berufung zurückzuweisen.
11 
Er räumt ein, dass im Zeitraum vom 01.01. bis 06.06.1990 nur 26 Sonn- und Feiertage lagen und es 24 Urlaubstage gewesen seien, der Zeitraum aber 157 Kalendertage umfasse, sodass 107 Arbeitstage verbleiben würden, während in der Bescheinigung nur 100 Arbeitstage aufgeführt worden seien. Dies führe allerdings nicht zur Annahme von Widersprüchlichkeit der Bescheinigung, weil diese Differenz vermutlich auf einen Schreibfehler zurückzuführen sei.
12 
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
13 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
14 
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Dem Kläger steht keine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung höherer Entgeltpunkte für die in R. im Zeitraum vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 zurückgelegte Beitragszeit zu.
15 
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 18.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2015, mit dem die Beklagte - dies hat das Sozialgericht zutreffend erkannt - den Antrag des Klägers vom Oktober 2014 ablehnte, mit dem der Kläger gemäß § 44 SGB X sinngemäß höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer vollen Anrechnung der in R. zurückgelegten Beitragszeit vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 begehrte. Nur insoweit, was diesen Zeitraum anbetrifft, wandte sich der Kläger in seinem Widerspruch gegen den die volle Berücksichtigung noch weiterer rumänischer Zeiten ablehnenden Bescheid vom 18.11.2014 und nur insoweit hat der Kläger in seiner Klage die Verurteilung der Beklagten begehrt. Dementsprechend beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf die Frage, ob dem Kläger höhere Regelaltersrente zusteht, weil der Zeitraum vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 in vollem Umfange in die Rentenberechnung einzufließen hat.
16 
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheides vom 07.07.2014 und Gewährung höherer Rente. Denn dem Kläger steht keine höhere Altersrente zu. Die Beklagte legte der Rentenberechnung zu Recht Entgeltpunkte für die streitigen Beitragszeiten aus der rumänischen Sozialversicherung in einem um ein Sechstel gekürzten Umfang zu Grunde.
17 
Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers auf höhere Altersrente sind die Regelungen der §§ 63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über die Rentenhöhe. Danach richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der in Entgeltpunkte umgerechneten Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Denn gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des - vom Alter des Versicherten bei Rentenbeginn abhängigen (vgl. § 77 SGB VI) - Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI fließen Entgeltpunkte für Beitragszeiten in die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte ein. Diese werden für im Bundesgebiet zurückgelegte Beitragszeiten ermittelt. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei Vertriebenen wie dem Kläger Beitragszeiten, die bei einem nicht deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung solcher Zeiten genügt es zunächst, wenn die nach dem Gesetz erheblichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG). Allerdings werden nach § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die gemäß § 22 Abs. 1 FRG ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt. Nachgewiesene Zeiten sind solche, bei denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie zurückgelegt sind (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.11.1982, 11 RA 64/81 in SozR 5050 § 15 Nr. 23). Für den erforderlichen Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R in SozR 4-3800 § 1 Nr. 20).
18 
Unter § 15 FRG fallen dabei nur solche Zeiten, für die Beiträge zur (nicht deutschen) Rentenversicherung zu entrichten waren, in R. also keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung (u.a. BSG, Beschluss vom 16.10.1997, 13 BJ 21/96). Dabei liegt ein Nachweis solcher Beitragszeiten nur dann vor, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt wird, dass in die vom Arbeitgeber bescheinigten Zeiten keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung ohne Beitragsentrichtung fallen (BSG, a.a.O.). Dies erfordert grundsätzlich differenzierte Angaben auch zu solchen Arbeitsunterbrechungen.
19 
Vor diesem Hintergrund vermögen die vom Kläger schon früher vorgelegten Unterlagen (Arbeitsbuch und zwei Arbeitsbescheinigungen, vgl. Bl. 54/55 und 63/Ü63 LSG-Akte) angesichts der dort nur pauschal erfolgten Angaben keinen Nachweis der Beitragsentrichtung zu erbringen. Dies behauptet auch der Kläger nicht.
20 
Zu Unrecht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass das vom Kläger vorgelegte Arbeitszertifikat Nr. 32 einen derartigen Nachweis von Beitragszeiten erbringt. Zwar erscheinen die auf das jeweilige Kalenderjahr bezogenen Angaben zu den Arbeitstagen und den (möglichen) Arbeitsunterbrechungen hinreichend differenziert, die angegebenen Tage addieren sich insgesamt auf die jeweilige Anzahl von Tagen dieses Kalenderjahres, so dass weitergehende Unterbrechungszeiträume auszuschließen wären. Inwieweit dies auch für den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hervorgehobenen Aspekt gilt, wonach möglicherweise in die bescheinigten Arbeitstage auch Krankheitstage eingingen, die in R. für 90 Tage im Jahr beihilfefähig gewesen seien (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014, L 6 R 1048/12, juris, und Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.03.2008, L 5 R 32/07, juris) und damit die bescheinigten Krankheitstage (z.B. im Jahre 1979 elf Tage) möglicherweise über diese 90 Tage hinausgingen, bedarf keiner näheren Betrachtung. Das Arbeitszertifikat Nr. 32 erbringt insgesamt keinen Beweis für die ausgewiesenen Tage. Die erwähnten, von der Beklagten (erstmals) im Berufungsverfahren erhobenen Einwände greifen durch.
21 
Das vom Kläger vorgelegte Arbeitszertifikat belegt für das Jahr 1990 insgesamt 157 Tage. Damit umfassen diese Angaben den gesamten letzten Zeitraum seiner Beschäftigung in R. (s. u.a. das Arbeitsbuch: Beschäftigung im Jahr 1990 bis zum 06.06.1990 = 157 Tage).
22 
Dabei schlüsselt das Arbeitszertifikat diese Tage auch für das Jahr 1990 und damit den Zeitraum vom 01.01. bis 06.06.1990 nach Arbeitstagen (100), Urlaubstagen (24), Krankheitstagen (sinngemäß 0), Tagen unbezahlten Urlaubs (sinngemäß 0) sowie Sonn- und Feiertagen (33) auf. Hieraus ergeben sich in der Addition jene 157 Tage, die der Beschäftigungszeitraum vom 01.01.1990 bis zum 06.06.1990 umfasste. Indessen fielen in diesen Zeitraum tatsächlich lediglich 26 Sonn- und (rumänische) Feiertage. Dies hat die Beklagte zutreffend dargelegt und dies ist vom Kläger ausdrücklich bestätigt worden.
23 
Hieraus folgt, dass das Arbeitszertifikat für das Jahr 1990 insgesamt sieben Sonn- und Feiertage zu viel ausweist. Auch dies hat der Kläger ausdrücklich bestätigt. Umgekehrt folgt hieraus, dass an anderer Stelle sieben Tage zu wenig ausgewiesen sind. Nach den Überlegungen der Beklagten - Verbrauch des gesamten Jahresurlaubs (24 Tage) bei ansonsten fehlenden Krankheitstagen und keinem unbezahlten Urlaub - wäre diese Differenz allein bei den bescheinigten Arbeitstagen zu korrigieren, also dort wären statt 100 nunmehr 107 Tage anzusetzen. Auch dies hat der Kläger ausdrücklich bestätigt.
24 
Indessen weckt dies durchschlagende Zweifel an der Richtigkeit der Aussage im Arbeitszertifikat, wonach „die“ - also alle - „Daten aus den im Archiv befindlichen Personalakte/Lohnzahlungslisten entnommen“ worden seien. Die Vermutung des Klägers, es könne sich um „einen“ Schreibfehler handeln, erklärt schon nicht die Unstimmigkeit in zwei verschiedenen Sparten (Arbeitstage einerseits, Sonn- und Feiertage andererseits). Umgekehrt, ausgehend von einem Irrtum in einer Sparte (hier: Sonn- und Feiertage), ist die Ausweisung einer in der anderen Sparte erforderlichen Zahl zur Erreichung der Gesamtzahl der zu belegenden Tage (157) Anlass zur Annahme, dass (zumindest) ein Teil der bestätigten Zeiten allein rechnerisch ermittelt wurde, also - entgegen der Behauptung im Arbeitszertifikat - gerade nicht auf Grund einer Auswertung der Lohnlisten. Denn aus Sicht des Senats wäre es ein unwahrscheinlicher Zufall, wenn gerade für das Jahr 1990 zwei sich mathematisch ausgleichende Erhebungsfehler - Fehler in der Auswertung von Lohnlisten (Monate Januar bis Juni) mit genau jenem Defizit von sieben Tagen, wie bei der Ermittlung von Sonn- und Feiertagen zu viel errechnet wurden - vorgekommen wären. Dabei kommt - worauf die Beklagte hingewiesen und was der Kläger bestätigt hat - als ausgleichende Variable nur die Anzahl der Arbeitstage in Betracht, weil für die Urlaubstage schon deren maximale jährliche Anzahl (24, wie schon in den Jahren 1987 bis 1989, in denen der Kläger ganzjährig beschäftigt war) ausgewiesen wird und ansonsten keine Fehlzeiten angegeben sind.
25 
Dies, eine rechnerische Ermittlung bescheinigter Daten, wäre auch die Erklärung, aus welchen Gründen keine monatsweise Aufstellung, sondern eine jährliche Aufstellung der ausgewiesenen Zeiten erfolgte. Denn im Falle einer Auswertung (auch) der Lohnlisten - was im Arbeitszertifikat versichert wurde - wäre diese Auswertung - weil die Lohnlisten monatlich erstellt wurden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2000, L 9 RJ 2551/98, in juris, auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens) - jedenfalls hinsichtlich der Arbeitstage monatsweise erfolgt und nach dieser monatsweisen Auswertung wäre dann durch Addition die jahresbezogene Zahl von Arbeitstagen errechnet worden. Wenn aber ohnehin monatsbezogene Zahlen durch Auswertung der Lohnlisten zu erheben waren, ist nicht plausibel, aus welchen Gründen diese Daten nicht bescheinigt wurden, wie dies in einer vom Kläger mit dem Antrag nach § 44 SGB X vorgelegten Bescheinigung eines anderen Arbeitgebers in Bezug auf einen vorliegend nicht streitigen Zeitraum erfolgte (vgl. Bl. 111 VA). Dies stützt die Ansicht der Beklagten, zum Nachweis von Beitragszeiten auf Grund von Lohnlisten eine monatliche Auflistung zu verlangen (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014, L 6 R 1048/12, juris).
26 
Soweit der Kläger im Klageverfahren darauf hinweist, es bleibe dem Arbeitgeber überlassen, in welcher Form (gemeint: monatlich oder jährlich) er Nachweise erstellt, mag dies zutreffen. Es ist jedoch nicht dem rumänischen Arbeitgeber zu Entscheidung überlassen, ob die gewählte Form den Nachweis der Beitragsentrichtung erbringt.
27 
Damit besteht der durchschlagende Verdacht, dass bescheinigte Daten - jedenfalls zum Teil - allein rechnerisch ermittelt wurden, ausgehend von einer rechnerisch ermittelten Anzahl von zu bescheinigenden 157 Tagen, einem (u.U. auf Grund des entsprechenden Anspruchs zustehenden, also unabhängig von der Frage, ob in Anspruch genommen) Jahresurlaub (24 Tage), einer leicht zu ermittelnden (weil meist nicht vorhandenen oder als nicht vorhanden angesehenen) Anzahl von Krankheitstagen und Tagen unbezahlten Urlaubs (jeweils 0) und einer durch Auswertung des Kalenders fälschlich - gleich im Rahmen der Auswertung oder als Schreibfehler - erfolgten Ermittlung der Anzahl von Sonn- und Feiertagen (33 statt richtig 24). Dies begründet durchschlagende Zweifel an der Richtigkeit des Arbeitszertifikats insgesamt, denn dieses, für das Jahr 1990 dargelegte Szenario ist auch für die übrigen bescheinigten Jahre angesichts der dargelegten Vereinfachung mit einer sich erübrigenden monatsweisen Auswertung naheliegend. Damit kommt diesem Arbeitszertifikat keine Beweiskraft i.S. eines Nachweises der Beitragsentrichtung in den streitigen Zeiträumen zu.
28 
Soweit der Kläger im Klageverfahren darauf hingewiesen hat, dass in R. für Arbeitnehmer verbreitet auch Karteikarten für das jeweilige Jahr mit sämtlichen, für die Lohnabrechnung maßgebenden Daten (einschließlich Arbeits- und Fehltage) angelegt worden seien, führt dies nicht weiter. Denn für die Beweiskraft einer Arbeitgeberbescheinigung kommt es maßgeblich auch darauf an, auf welchen Quellen die Angaben beruhen. Entsprechend wurde im vorgelegten Arbeitszertifikat neben der Personalakte gerade auf die (monatlich erstellten, s.o.) Lohnlisten verwiesen. Dabei kann wiederum offen bleiben, welche Rückschlüsse aus dem Umstand zu ziehen sind, dass unklar bleibt, welche konkreten Daten vom Arbeitgeber vorliegend aus der Personalakte und welche Daten aus den Lohnlisten entnommen sein sollen, insoweit also Unklarheit über die tatsächlichen Quellen der einzelnen Daten herrscht. Der dargelegte Fehler in der Bescheinigung mit der wahrscheinlichen Fehlerursache wird dadurch jedenfalls nicht ausgeräumt.
29 
Auf Grund der dargelegten Umstände des vorliegenden Falles sieht auch der Senat Anlass, zur Plausibilität und zur Vermeidung von Missbrauch grundsätzlich und zumindest eine den zu Grunde liegenden Quellen entsprechende differenzierte Bescheinigung zu verlangen, im Falle von Lohnlisten als Quelle also eine monatsweise Auflistung der Arbeitstage. Eine Jahresbescheinigung, wie vom Kläger vorgelegt, genügt damit nicht zum Nachweis einer Beitragsentrichtung.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
14 
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Dem Kläger steht keine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung höherer Entgeltpunkte für die in R. im Zeitraum vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 zurückgelegte Beitragszeit zu.
15 
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 18.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2015, mit dem die Beklagte - dies hat das Sozialgericht zutreffend erkannt - den Antrag des Klägers vom Oktober 2014 ablehnte, mit dem der Kläger gemäß § 44 SGB X sinngemäß höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer vollen Anrechnung der in R. zurückgelegten Beitragszeit vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 begehrte. Nur insoweit, was diesen Zeitraum anbetrifft, wandte sich der Kläger in seinem Widerspruch gegen den die volle Berücksichtigung noch weiterer rumänischer Zeiten ablehnenden Bescheid vom 18.11.2014 und nur insoweit hat der Kläger in seiner Klage die Verurteilung der Beklagten begehrt. Dementsprechend beschränkt sich die gerichtliche Prüfung auf die Frage, ob dem Kläger höhere Regelaltersrente zusteht, weil der Zeitraum vom 20.07.1971 bis 06.06.1990 in vollem Umfange in die Rentenberechnung einzufließen hat.
16 
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf teilweise Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheides vom 07.07.2014 und Gewährung höherer Rente. Denn dem Kläger steht keine höhere Altersrente zu. Die Beklagte legte der Rentenberechnung zu Recht Entgeltpunkte für die streitigen Beitragszeiten aus der rumänischen Sozialversicherung in einem um ein Sechstel gekürzten Umfang zu Grunde.
17 
Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers auf höhere Altersrente sind die Regelungen der §§ 63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über die Rentenhöhe. Danach richtet sich die Höhe der Rente vor allem nach der in Entgeltpunkte umgerechneten Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Denn gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des - vom Alter des Versicherten bei Rentenbeginn abhängigen (vgl. § 77 SGB VI) - Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI fließen Entgeltpunkte für Beitragszeiten in die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte ein. Diese werden für im Bundesgebiet zurückgelegte Beitragszeiten ermittelt. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei Vertriebenen wie dem Kläger Beitragszeiten, die bei einem nicht deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung solcher Zeiten genügt es zunächst, wenn die nach dem Gesetz erheblichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG). Allerdings werden nach § 22 Abs. 3 FRG für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die gemäß § 22 Abs. 1 FRG ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt. Nachgewiesene Zeiten sind solche, bei denen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie zurückgelegt sind (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 09.11.1982, 11 RA 64/81 in SozR 5050 § 15 Nr. 23). Für den erforderlichen Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R in SozR 4-3800 § 1 Nr. 20).
18 
Unter § 15 FRG fallen dabei nur solche Zeiten, für die Beiträge zur (nicht deutschen) Rentenversicherung zu entrichten waren, in R. also keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung (u.a. BSG, Beschluss vom 16.10.1997, 13 BJ 21/96). Dabei liegt ein Nachweis solcher Beitragszeiten nur dann vor, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt wird, dass in die vom Arbeitgeber bescheinigten Zeiten keine Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Arbeitsunterbrechung ohne Beitragsentrichtung fallen (BSG, a.a.O.). Dies erfordert grundsätzlich differenzierte Angaben auch zu solchen Arbeitsunterbrechungen.
19 
Vor diesem Hintergrund vermögen die vom Kläger schon früher vorgelegten Unterlagen (Arbeitsbuch und zwei Arbeitsbescheinigungen, vgl. Bl. 54/55 und 63/Ü63 LSG-Akte) angesichts der dort nur pauschal erfolgten Angaben keinen Nachweis der Beitragsentrichtung zu erbringen. Dies behauptet auch der Kläger nicht.
20 
Zu Unrecht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass das vom Kläger vorgelegte Arbeitszertifikat Nr. 32 einen derartigen Nachweis von Beitragszeiten erbringt. Zwar erscheinen die auf das jeweilige Kalenderjahr bezogenen Angaben zu den Arbeitstagen und den (möglichen) Arbeitsunterbrechungen hinreichend differenziert, die angegebenen Tage addieren sich insgesamt auf die jeweilige Anzahl von Tagen dieses Kalenderjahres, so dass weitergehende Unterbrechungszeiträume auszuschließen wären. Inwieweit dies auch für den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hervorgehobenen Aspekt gilt, wonach möglicherweise in die bescheinigten Arbeitstage auch Krankheitstage eingingen, die in R. für 90 Tage im Jahr beihilfefähig gewesen seien (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014, L 6 R 1048/12, juris, und Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 28.03.2008, L 5 R 32/07, juris) und damit die bescheinigten Krankheitstage (z.B. im Jahre 1979 elf Tage) möglicherweise über diese 90 Tage hinausgingen, bedarf keiner näheren Betrachtung. Das Arbeitszertifikat Nr. 32 erbringt insgesamt keinen Beweis für die ausgewiesenen Tage. Die erwähnten, von der Beklagten (erstmals) im Berufungsverfahren erhobenen Einwände greifen durch.
21 
Das vom Kläger vorgelegte Arbeitszertifikat belegt für das Jahr 1990 insgesamt 157 Tage. Damit umfassen diese Angaben den gesamten letzten Zeitraum seiner Beschäftigung in R. (s. u.a. das Arbeitsbuch: Beschäftigung im Jahr 1990 bis zum 06.06.1990 = 157 Tage).
22 
Dabei schlüsselt das Arbeitszertifikat diese Tage auch für das Jahr 1990 und damit den Zeitraum vom 01.01. bis 06.06.1990 nach Arbeitstagen (100), Urlaubstagen (24), Krankheitstagen (sinngemäß 0), Tagen unbezahlten Urlaubs (sinngemäß 0) sowie Sonn- und Feiertagen (33) auf. Hieraus ergeben sich in der Addition jene 157 Tage, die der Beschäftigungszeitraum vom 01.01.1990 bis zum 06.06.1990 umfasste. Indessen fielen in diesen Zeitraum tatsächlich lediglich 26 Sonn- und (rumänische) Feiertage. Dies hat die Beklagte zutreffend dargelegt und dies ist vom Kläger ausdrücklich bestätigt worden.
23 
Hieraus folgt, dass das Arbeitszertifikat für das Jahr 1990 insgesamt sieben Sonn- und Feiertage zu viel ausweist. Auch dies hat der Kläger ausdrücklich bestätigt. Umgekehrt folgt hieraus, dass an anderer Stelle sieben Tage zu wenig ausgewiesen sind. Nach den Überlegungen der Beklagten - Verbrauch des gesamten Jahresurlaubs (24 Tage) bei ansonsten fehlenden Krankheitstagen und keinem unbezahlten Urlaub - wäre diese Differenz allein bei den bescheinigten Arbeitstagen zu korrigieren, also dort wären statt 100 nunmehr 107 Tage anzusetzen. Auch dies hat der Kläger ausdrücklich bestätigt.
24 
Indessen weckt dies durchschlagende Zweifel an der Richtigkeit der Aussage im Arbeitszertifikat, wonach „die“ - also alle - „Daten aus den im Archiv befindlichen Personalakte/Lohnzahlungslisten entnommen“ worden seien. Die Vermutung des Klägers, es könne sich um „einen“ Schreibfehler handeln, erklärt schon nicht die Unstimmigkeit in zwei verschiedenen Sparten (Arbeitstage einerseits, Sonn- und Feiertage andererseits). Umgekehrt, ausgehend von einem Irrtum in einer Sparte (hier: Sonn- und Feiertage), ist die Ausweisung einer in der anderen Sparte erforderlichen Zahl zur Erreichung der Gesamtzahl der zu belegenden Tage (157) Anlass zur Annahme, dass (zumindest) ein Teil der bestätigten Zeiten allein rechnerisch ermittelt wurde, also - entgegen der Behauptung im Arbeitszertifikat - gerade nicht auf Grund einer Auswertung der Lohnlisten. Denn aus Sicht des Senats wäre es ein unwahrscheinlicher Zufall, wenn gerade für das Jahr 1990 zwei sich mathematisch ausgleichende Erhebungsfehler - Fehler in der Auswertung von Lohnlisten (Monate Januar bis Juni) mit genau jenem Defizit von sieben Tagen, wie bei der Ermittlung von Sonn- und Feiertagen zu viel errechnet wurden - vorgekommen wären. Dabei kommt - worauf die Beklagte hingewiesen und was der Kläger bestätigt hat - als ausgleichende Variable nur die Anzahl der Arbeitstage in Betracht, weil für die Urlaubstage schon deren maximale jährliche Anzahl (24, wie schon in den Jahren 1987 bis 1989, in denen der Kläger ganzjährig beschäftigt war) ausgewiesen wird und ansonsten keine Fehlzeiten angegeben sind.
25 
Dies, eine rechnerische Ermittlung bescheinigter Daten, wäre auch die Erklärung, aus welchen Gründen keine monatsweise Aufstellung, sondern eine jährliche Aufstellung der ausgewiesenen Zeiten erfolgte. Denn im Falle einer Auswertung (auch) der Lohnlisten - was im Arbeitszertifikat versichert wurde - wäre diese Auswertung - weil die Lohnlisten monatlich erstellt wurden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2000, L 9 RJ 2551/98, in juris, auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens) - jedenfalls hinsichtlich der Arbeitstage monatsweise erfolgt und nach dieser monatsweisen Auswertung wäre dann durch Addition die jahresbezogene Zahl von Arbeitstagen errechnet worden. Wenn aber ohnehin monatsbezogene Zahlen durch Auswertung der Lohnlisten zu erheben waren, ist nicht plausibel, aus welchen Gründen diese Daten nicht bescheinigt wurden, wie dies in einer vom Kläger mit dem Antrag nach § 44 SGB X vorgelegten Bescheinigung eines anderen Arbeitgebers in Bezug auf einen vorliegend nicht streitigen Zeitraum erfolgte (vgl. Bl. 111 VA). Dies stützt die Ansicht der Beklagten, zum Nachweis von Beitragszeiten auf Grund von Lohnlisten eine monatliche Auflistung zu verlangen (ebenso Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 25.02.2014, L 6 R 1048/12, juris).
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Soweit der Kläger im Klageverfahren darauf hinweist, es bleibe dem Arbeitgeber überlassen, in welcher Form (gemeint: monatlich oder jährlich) er Nachweise erstellt, mag dies zutreffen. Es ist jedoch nicht dem rumänischen Arbeitgeber zu Entscheidung überlassen, ob die gewählte Form den Nachweis der Beitragsentrichtung erbringt.
27 
Damit besteht der durchschlagende Verdacht, dass bescheinigte Daten - jedenfalls zum Teil - allein rechnerisch ermittelt wurden, ausgehend von einer rechnerisch ermittelten Anzahl von zu bescheinigenden 157 Tagen, einem (u.U. auf Grund des entsprechenden Anspruchs zustehenden, also unabhängig von der Frage, ob in Anspruch genommen) Jahresurlaub (24 Tage), einer leicht zu ermittelnden (weil meist nicht vorhandenen oder als nicht vorhanden angesehenen) Anzahl von Krankheitstagen und Tagen unbezahlten Urlaubs (jeweils 0) und einer durch Auswertung des Kalenders fälschlich - gleich im Rahmen der Auswertung oder als Schreibfehler - erfolgten Ermittlung der Anzahl von Sonn- und Feiertagen (33 statt richtig 24). Dies begründet durchschlagende Zweifel an der Richtigkeit des Arbeitszertifikats insgesamt, denn dieses, für das Jahr 1990 dargelegte Szenario ist auch für die übrigen bescheinigten Jahre angesichts der dargelegten Vereinfachung mit einer sich erübrigenden monatsweisen Auswertung naheliegend. Damit kommt diesem Arbeitszertifikat keine Beweiskraft i.S. eines Nachweises der Beitragsentrichtung in den streitigen Zeiträumen zu.
28 
Soweit der Kläger im Klageverfahren darauf hingewiesen hat, dass in R. für Arbeitnehmer verbreitet auch Karteikarten für das jeweilige Jahr mit sämtlichen, für die Lohnabrechnung maßgebenden Daten (einschließlich Arbeits- und Fehltage) angelegt worden seien, führt dies nicht weiter. Denn für die Beweiskraft einer Arbeitgeberbescheinigung kommt es maßgeblich auch darauf an, auf welchen Quellen die Angaben beruhen. Entsprechend wurde im vorgelegten Arbeitszertifikat neben der Personalakte gerade auf die (monatlich erstellten, s.o.) Lohnlisten verwiesen. Dabei kann wiederum offen bleiben, welche Rückschlüsse aus dem Umstand zu ziehen sind, dass unklar bleibt, welche konkreten Daten vom Arbeitgeber vorliegend aus der Personalakte und welche Daten aus den Lohnlisten entnommen sein sollen, insoweit also Unklarheit über die tatsächlichen Quellen der einzelnen Daten herrscht. Der dargelegte Fehler in der Bescheinigung mit der wahrscheinlichen Fehlerursache wird dadurch jedenfalls nicht ausgeräumt.
29 
Auf Grund der dargelegten Umstände des vorliegenden Falles sieht auch der Senat Anlass, zur Plausibilität und zur Vermeidung von Missbrauch grundsätzlich und zumindest eine den zu Grunde liegenden Quellen entsprechende differenzierte Bescheinigung zu verlangen, im Falle von Lohnlisten als Quelle also eine monatsweise Auflistung der Arbeitstage. Eine Jahresbescheinigung, wie vom Kläger vorgelegt, genügt damit nicht zum Nachweis einer Beitragsentrichtung.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
31 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15 zitiert 17 §§.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 77 Zugangsfaktor


(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. (

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(1) Für Zeiten der in §§ 15 und 16 genannten Art werden Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermittelt. Hierzu werden für Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 die in Anlag

Fremdrentengesetz - FRG | § 15


(1) Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Sind die Beiträge auf Grund einer abhängigen Beschäftigung oder einer s

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 63 Grundsätze


(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen. (2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 64 Rentenformel für Monatsbetrag der Rente


Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn 1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,2. der Rentenartfaktor und3. der aktuelle Rentenwertmit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden

Fremdrentengesetz - FRG | § 4


(1) Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismi

Referenzen - Urteile

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 20. Okt. 2016 - L 10 R 4174/15 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 25. Feb. 2014 - L 6 R 1048/12

bei uns veröffentlicht am 25.02.2014

Tenor I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abgewiesen. II

Bundessozialgericht Urteil, 17. Apr. 2013 - B 9 V 1/12 R

bei uns veröffentlicht am 17.04.2013

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen

Referenzen

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen.

(2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet. Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (Anlage 1) ergibt einen vollen Entgeltpunkt.

(3) Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist.

(4) Das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente wird durch den Rentenartfaktor bestimmt.

(5) Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

(6) Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden.

(7) Der aktuelle Rentenwert wird entsprechend der Entwicklung des Durchschnittsentgelts unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung jährlich angepasst.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn

1.
die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
2.
der Rentenartfaktor und
3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind.

(2) Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren,

1.
bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0,
2.
bei Renten wegen Alters, die
a)
vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0,
3.
bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0,
4.
bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat,
a)
der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
für den Versicherte trotz erfüllter Wartezeit eine Rente wegen Alters nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005 höher als 1,0.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente vor Vollendung des 62. Lebensjahres oder ist bei Hinterbliebenenrenten der Versicherte vor Vollendung des 62. Lebensjahres verstorben, ist die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 62. Lebensjahres des Versicherten gilt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dem Beginn und der vorzeitigen oder späteren Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters stehen für die Ermittlung des Zugangsfaktors für Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters die Zeitpunkte nach § 66 Absatz 3a Satz 1 gleich, zu denen die Zuschläge berücksichtigt werden.

(3) Für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, bleibt der frühere Zugangsfaktor maßgebend. Dies gilt nicht für die Hälfte der Entgeltpunkte, die Grundlage einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung waren. Der Zugangsfaktor wird für Entgeltpunkte, die Versicherte bei

1.
einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 oder
2.
einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder einer Erziehungsrente mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 62. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003,
3.
einer Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005
je Kalendermonat erhöht.

(4) Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Hinterbliebenenrenten, deren Berechnung 40 Jahre mit den in § 51 Abs. 3a und 4 und mit den in § 52 Abs. 2 genannten Zeiten zugrunde liegen, sind die Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Vollendung des 65. Lebensjahres die Vollendung des 63. Lebensjahres und an die Stelle der Vollendung des 62. Lebensjahres die Vollendung des 60. Lebensjahres tritt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Ermittlung des Zugangsfaktors für die nach § 66 Absatz 1 Satz 2 gesondert zu bestimmenden persönlichen Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn

1.
die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
2.
der Rentenartfaktor und
3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

(1) Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

(2) Absatz 1 gilt auch für außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eingetretene Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind.

(3) Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden. Der mit der Durchführung des Verfahrens befaßte Versicherungsträger ist für die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen zuständig; er gilt als Behörde im Sinne des § 156 des Strafgesetzbuchs.

(1) Für Zeiten der in §§ 15 und 16 genannten Art werden Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermittelt. Hierzu werden für Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 die in Anlage 14 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch genannten oder nach § 256b Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch festgestellten Durchschnittsjahresverdienste um ein Fünftel erhöht und für Zeiten vor dem 1. Januar 1950 Entgeltpunkte auf Grund der Anlagen 1 bis 16 dieses Gesetzes ermittelt. Die Bestimmung des maßgeblichen Bereichs richtet sich danach, welchem Bereich der Betrieb, in dem der Versicherte seine Beschäftigung ausgeübt hat, zuzuordnen wäre, wenn der Betrieb im Beitrittsgebiet gelegen hätte. Ist der Betrieb Teil einer größeren Unternehmenseinheit, ist für die Bestimmung des Bereichs diese maßgeblich. Kommen nach dem Ergebnis der Ermittlungen mehrere Bereiche in Betracht, ist von ihnen der Bereich mit den niedrigsten Durchschnittsverdiensten des jeweiligen Jahres maßgeblich. Ist eine Zuordnung zu einem oder zu einem von mehreren Bereichen nicht möglich, so erfolgt die Zuordnung zu dem Bereich mit den für das jeweilige Jahr niedrigsten Durchschnittsverdiensten. Die Sätze 5 und 6 gelten entsprechend für die Zuordnung zu einer Qualifikations- oder Leistungsgruppe. Zeiten eines gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes werden Entgeltpunkte zugeordnet, die zu berücksichtigen wären, wenn der Wehr- oder Ersatzdienst im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet abgeleistet worden wäre. Kindererziehungszeiten nach § 28b sind Entgeltpunkte zuzuordnen, wie wenn die Erziehung im Bundesgebiet erfolgt wäre.

(2) Zeiten der Ausbildung als Lehrling oder Anlernling erhalten für jeden Kalendermonat 0,025 Entgeltpunkte.

(3) Für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, werden die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt.

(4) Die nach den Absätzen 1 und 3 maßgeblichen Entgeltpunkte werden mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Sind die Beiträge auf Grund einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit entrichtet, so steht die ihnen zugrunde liegende Beschäftigung oder Tätigkeit einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich. Für Personen, die zum Personenkreis des § 1 Buchstabe b gehören, werden rentenrechtliche Zeiten bis zum 8. Mai 1945 berücksichtigt.

(2) Als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Absatzes 1 ist jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern. Wird durch die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung dem Erfordernis, einem der in Satz 1 genannten Systeme anzugehören, Genüge geleistet, so ist auch die betreffende Einrichtung als gesetzliche Rentenversicherung anzusehen, und zwar auch für Zeiten bis zum 31. Dezember 1890 zurück, in denen es ein System der in Satz 1 genannten Art noch nicht gegeben hat. Als gesetzliche Rentenversicherung gelten nicht Systeme, die vorwiegend zur Sicherung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschaffen sind.

(3) Zeiten einer Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeiten im Sinne des Absatzes 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. Als Beitragszeiten gelten die Zeiten, in denen der Versicherte nach dem 8. Mai 1945 im Herkunftsgebiet den gesetzlichen Grundwehrdienst geleistet hat. Als Beitragszeiten gelten nicht Zeiten,

a)
die ohne Beitragsleistung rückwirkend in ein System der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen worden sind,
b)
die außerhalb der Herkunftsgebiete ohne Beitragsleistung an den Träger im Herkunftsgebiet oder in einem System nach Absatz 2 Satz 3 zurückgelegt worden sind,
c)
für die Entgeltpunkte nicht ermittelt werden,
d)
die von Zeit- oder Berufssoldaten oder vergleichbaren Personen zurückgelegt worden sind.

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger in Rumänien zurückgelegte Beitragszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.

Der 1946 in T., Rumänien, geborene Kläger war in der Zeit vom 02.08.1965 bis 05.10.1966 und vom 01.03.1968 bis 14.06.1975 als ausgebildeter Maschinenschlosser in Rumänien tätig. Seit 21.08.1975 hat er seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Er besitzt den Vertriebenenausweis A, ausgestellt am 13.11.1975.

Am 04.03.1980 beantragte der Kläger die Feststellung von Beitragszeiten für seine Beschäftigung in Rumänien. Er legte eine Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 vor, mit welcher bestätigt wurde, dass er von 02.08.1965 bis 05.10.1966 sowie von 01.03.1968 bis 14.06.1975 dort beschäftigt war und von 24.10.1966 bis 12.02.1968 Wehrdienst geleistet hat. Mit bestandskräftigem Vormerkungsbescheid vom 28.04.1982 stellte die Beklagte die rumänischen Beschäftigungszeiten als glaubhaft gemacht nach § 19 Abs. 2 FRG a. F. zu 5/6 fest.

Am 28.07.2011 stellte der Kläger Antrag auf Regelaltersrente, welche mit Bescheid der Beklagten vom 12.09.2011 ab 01.11.2011 in Höhe von Euro 1137,23 mtl. bewilligt wurde. Hierbei wurden die für die rumänischen Beitragszeiten festgestellten Entgeltpunkte gemäß § 22 Abs. 3 FRG wie festgestellt um 1/6 gekürzt. Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers am 07.10.2011 Widerspruch ein und übermittelte eine Bescheinigung (Adeverinta Nr. 444) der Handelsgesellschaft „P.“ AG, T., vom 24.10.2011, welche als Rechtsnachfolgerin der „Mechanischen Werke“ in T. erneut die Beschäftigungszeiten des Klägers bestätigte und im Weiteren als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ die Fehlzeiten aufgeschlüsselt nach Jahr (Zeile) sowie nach Monat und Art der Fehlzeiten darstellt (12 Spalten mit jew. drei Rubriken: 1. Krankschreibung, 2. unbezahlter Urlaub, 3. sonstige unbezahlte Abwesenheiten). Insgesamt wurden hierbei Fehlzeiten von 10 Tagen ausgewiesen. Weiter wurde angegeben, dass während der gesamten Beschäftigungszeiten Beiträge zur Sozialversicherungskasse entrichtet und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten bzw. Anwesenheitslisten entnommen worden seien.

Mit Schreiben vom 11.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass die Feststellung als lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeit bereits in den früheren Vormerkungsbescheiden erfolgt sei; insoweit enthalte der Rentenbescheid vom 12.09.2011 keine neue Entscheidung. Da nunmehr erstmals im Widerspruchsverfahren eine andere Bewertung dieser Zeiten beantragt worden sei, habe zunächst die Fachabteilung hierüber zu entscheiden. Der Widerspruch müsste dementsprechend als unzulässig zurückgewiesen werden. Für den Fall einer Rücknahme des Widerspruchs werde dieser als Antrag auf Überprüfung gewertet. Mit Schreiben vom 16.11.2011 erklärte sich der Bevollmächtigte des Klägers mit dieser Vorgehensweise einverstanden.

Daraufhin erließ die Beklagte am 20.12.2011 den angefochtenen Bescheid, mit welchem die Berücksichtigung der rumänischen Beitragszeiten zu 6/6 abgelehnt wurde. Die vorgelegte Bescheinigung könne nicht als Nachweis zur Berücksichtigung ungekürzter Zeiten führen. Gegen diese Entscheidung legte der Klägerbevollmächtigte am 12.01.2012 Widerspruch ein. In der Adeverinta Nr. 444 seien nachweislich alle Fehlzeiten eingetragen. Solche Bescheinigungen würden von den Gerichten als Nachweis anerkannt werden. Die fehlende Eintragung der tatsächlichen Arbeitstage sei unerheblich. Die Beklagte zog eine Kopie des rumänischen Arbeitsbuches bei und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.02.2012 als unbegründet zurück. Die vorgelegte sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ könne lediglich als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden, da sie keine Angaben über die geleisteten Arbeitstage enthalte.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 21.02.2012 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München (SG), mit welcher die volle Anerkennung der streitigen Beitragszeiten zu 6/6 begehrt wurde. Die Adeverinta Nr. 444 enthalte detaillierte Lohnlistenauszüge mit Angaben zu den Unterbrechungstatbeständen während der rumänischen Beschäftigung des Klägers und sei entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als Nachweis ausreichend. Eine Eintragung einzelner Arbeitstage sei allenfalls bei Tagelöhnern erforderlich.

Mit Urteil vom 21.08.2012 gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte, die Altersrente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten als nachgewiesen (zu 6/6) „zu berechnen und zu leisten“. Eine ungekürzte Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG als nachgewiesene Zeiten sei geboten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass sie in dem geltend gemachten Umfang ohne relevante Unterbrechungen tatsächlich zurückgelegt worden sind. Adeverintas seien zum Nachweis von Beitragszeiten grundsätzlich geeignet, wenn sie über die bloße Bestätigung von Beginn und Ende der Beschäftigung hinaus Angaben über den Umfang der Beitrags- und Beschäftigungszeiten und insbes. die Unterbrechung durch Fehlzeiten enthalten. Diesen Vorgaben entspreche die Adeverinta Nr. 444. Aus ihr lasse sich entnehmen, dass der Kläger über insgesamt bescheinigte 10 Abwesenheitstage hinaus keine weiteren Fehlzeiten gehabt habe. Die Adeverinta entspreche damit den Anforderungen, die das Bayer. LSG mit Urteil vom 12.07.2000 (L 19 RJ 163/99) aufgestellt habe. Innerhalb eines vollen Kalendermonates bleibe bei einem nach Monaten bezahlten Arbeitnehmer „denkgesetzlich“ neben abschließend dokumentierten Fehlzeiten kein Raum für Unklarheiten, mit denen Zweifel an einer kontinuierlichen Beitragszahlung begründet werden könnten.

Am 06.12.2012 legte die Beklagte Berufung ein und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung. Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 05.03.2013 stattgegeben. Die Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor, die streitigen Zeiten seien nach wie vor lediglich als glaubhaft gemacht anzuerkennen. Die Adeverinta Nr. 444 werde als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für den Nachweis von Beitragszeiten nicht gerecht. Sie weise lediglich Anfang und Ende der Beschäftigung sowie Ausfallzeiten, nicht jedoch die in den einzelnen Jahren und Monaten tatsächlich geleisteten Arbeitstage nach. Der erkennende Senat habe mit Urteil vom 21.12.2010 (AZ L 6 R 342/09) gefordert, dass den vorgelegten Bescheinigungen im einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein müssten. Auch habe eine andere Kammer des SG München bereits entschieden, dass mit einer 3-Spalten-Bescheinigung der Nachweis nicht geführt sei, dass die Lohnlisten ordnungsgemäß ausgewertet und dass während des gesamten Beschäftigungszeitraums lückenlos Beiträge entrichtet worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2014 bestätigte der Bevollmächtigte des Klägers, dass die archivierten Lohn- und Gehaltslisten des Klägers keine über die Adeverinta Nr. 444 hinausgehenden Angaben enthalten, insbesondere keine Angaben über die tatsächlichen Arbeitstage. Die Listen weisen jeweils nur die für jeden einzelnen Monat gezahlten Löhne sowie eventuelle Lohnabzüge unter Benennung des Unterbrechungssachverhaltes auf.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abzuweisen.

der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, eine Aufstellung der einzelnen Arbeitstage sei entbehrlich. Der Versicherte müsse nicht einen Nachweis über geleistete Arbeitstage vorlegen, sondern den Nachweis führen, dass weniger Fehlzeiten vorhanden sind, als vom Gesetz mit der pauschalen Kürzung um 1/6 angenommen. Diesen Nachweis habe der Kläger als Monatslöhner mit der Vorlage einer 3-Spalten-Bescheinigung hinreichend erbracht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Berufungsakte, die Akte des Sozialgerichts München sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Berücksichtigung der in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten in vollem Umfang verurteilt. Die streitgegenständlichen Bescheide, mit denen die Beklagte die Anrechnung in Höhe von lediglich 5/6 bestätigt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Allerdings ist zunächst festzustellen, dass die von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Rentenbewilligung vorgeschlagene Vorgehensweise im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 06.05.2010 (B 13 R 118/08 R) unzutreffend war. Nach dieser Entscheidung werden durch den Rentenbescheid alle früheren Vormerkungsbescheide ersetzt, so dass es regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten für ein besonderes Verfahren zur Korrektur von Vormerkungen rentenrechtlicher Zeiten fehlt. Dies steht jedoch vorliegend einer sachlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Bescheide nicht entgegen. Im Hinblick auf die von der Beklagten angeregten Rücknahme des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 12.09.2011 kann vorliegend der Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012, mit welchem eine Anrechnung der streitigen Zeiten zu 6/6 nochmals ausdrücklich abgelehnt wurde, als Ergebnis einer Überprüfung des rechtskräftigen Altersrentenbescheides vom 12.09.2011 nach § 44 SGB X angesehen werden.

Zutreffend hat die Beklagte die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Umfang von 6/6 abgelehnt. Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchst. a Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei einem anerkannten Vertriebenen - wie vorliegend dem Kläger - die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Allerdings findet nach § 22 Abs. 3 FRG in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte auf fünf Sechstel statt. Die Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m. w. N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144; 20, 255; Bayer. LSG, vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02 m. w. N.).

Es darf danach vorliegend kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass die - eine höhere Beitragsdichte als 5/6 erreichenden - geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne Unterbrechungstatbestände zeitlich lückenlos zurückgelegt worden sind. Nachgewiesen sind tatsächliche Beitragszeiten allerdings nicht bereits dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind. Vielmehr muss darüber hinausgehend auch feststehen, dass währenddessen keine Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten etc.) eingetreten sind, die zu einer - wenn auch nur vorübergehenden - Unterbrechung der Beitragsentrichtung geführt haben können. Das Gericht muss hierbei aufgrund konkreter und glaubhafter Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten davon überzeugt sein, dass im Einzelfall eine den Anteil von fünf Sechsteln übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Es müssen den vorgelegten Unterlagen mithin im Einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein bzw. es muss eindeutig feststehen, dass eine bestimmte Beschäftigungszeit tatsächlich nicht unterbrochen gewesen ist (vgl. BSGE 38, 80; BSG vom 24.07.1980, Az.: 5 RJ 38/79; BSG vom 20.08.1974, Az.: 4 RJ 241/73; LSG Hessen vom 28.03.2008, Az.:L 5 R 32/07).

Ausgehend von diesen Grundsätzen können die vom Kläger behaupteten rumänischen Beitragszeiten nur als glaubhaft gemacht, nicht aber als nachgewiesen angesehen werden. Zunächst kann dem Arbeitsbuch des Klägers nur entnommen werden, dass dieser in Rumänien zu bestimmten Zeiten in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterlag. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in die bescheinigten Anstellungszeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung gefallen sind, die im rumänischen Sozialversicherungsrecht unabhängig von einer Beitragsentrichtung durch den Arbeitgeber voll als Beschäftigungszeit anerkannt wurden. Der Nachweis einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der gesamten bestätigten Zeiten kann mit den Angaben aus dem Arbeitsbuch damit regelmäßig nicht geführt werden. Dieses kann grundsätzlich nur als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden (vgl. LSG Hessen a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

Gleiches gilt für die vom Kläger vorgelegten Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten. Das Landessozialgericht für das Saarland hat in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 14.10.2005 (L 7 RJ 98/03) die Auffassung vertreten, dass Arbeitsbescheinigungen aus Rumänien (Adeverintas) auch dann, wenn sie auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden sind, grundsätzlich nicht geeignet sind, den vollen Beweis für die ununterbrochene Zurücklegung von Versicherungszeiten zu erbringen. Diese Entscheidung überzeugt insbesondere im Hinblick auf die Besonderheiten des rumänischen Arbeitsrechts, wonach beispielsweise bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich Beihilfeleistungen erbracht wurden und bei krankheitsbedingten Fehlzeit von 90 Tagen die Beschäftigung als nicht unterbrochen galt. Weiter galten als Beschäftigungszeiten auch solche Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer beruflich oder politisch ausgebildet wurde. Die dem deutschen Rentenrecht eigene Unterscheidung zwischen Beitragszeiten und beitragslosen Versicherungszeiten kannte das rumänische Recht insoweit nicht (vgl. LSG Saarland, a. a. O.; Hessisches LSG, Urteil vom 27.1.2004, Az.: L 2 RJ 1062/02m. w. N.; Urteil vom 28.03.2008, Az.: L 5 R 32/07 m. w. N.)

Es kann offen bleiben, ob der Auffassung des LSG Saarland zu folgen ist, da die im hier zu entscheidenden Fall vom Kläger vorgelegten Adeverintas den Nachweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für eine Beschäftigung mit einer den Anteil von 5/6 übersteigenden Beitragsleistung bereits aufgrund ihrer beschränkten Aussagekraft nicht zu erbringen vermögen. Die Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 enthält über die Bestätigung der reinen Beschäftigungszeiten hinaus keinerlei Angaben und ist somit per se zum Nachweis einer entsprechenden Beitragsdichte ungeeignet. Aber auch die Bescheinigung Nummer 444 vom 24.10.2011 vermag diesen Nachweis nicht zu führen. Zwar werden im Rahmen einer Zeilen- und Spaltenübersicht dezidiert nach Monaten sowie nach Grund der Abwesenheit nur insgesamt 10 Tage an Fehlzeiten ausgewiesen. Weiter wird pauschal bestätigt, dass die „Beiträge zur Sozialversicherungskasse während des gesamten Beschäftigungszeitraums gezahlt“ und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten/Anwesenheitslisten entnommen worden sind. Gleichwohl verbleiben für den Senat bei Würdigung dieser Bescheinigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des rumänischen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie nach den Umständen des Einzelfalles begründete Zweifel an ihrer Beweiskraft.

Um die im Rahmen des zu erbringenden Vollbeweises erforderliche Plausibilitätsprüfung einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte durchführen zu können, ist zu fordern, dass Lohn- und Gehaltslisten bzw. die Auszüge hieraus jedenfalls monats- bzw. jahresbezogene Angaben über die jeweilige Zahl der Arbeitstage (ggf. unter Berücksichtigung gesetzlicher Feiertage) sowie sämtlicher Absenzen enthalten. Diesbezüglich hält der Senat die in der vorliegenden Bescheinigung vorgenommene Aufteilung lediglich nach Krankheitszeiten, unbezahltem Urlaub und sonstigen unbezahltem Abwesenheiten nicht für ausreichend. Um eine Kongruenz zwischen der Anzahl der Arbeitstage insgesamt und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten feststellen bzw. mögliche Widersprüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können, sind zudem valide Angaben über Beginn und Ende aller Unterbrechungszeiträume erforderlich. Für den Beweiswert von Lohn und Gehaltslisten und der auf ihrer Grundlage erstellten Adeverintas ist insoweit von Bedeutung, dass auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen sowie der Umfang bezahlter Abwesenheiten wie gesetzlicher Urlaub (unter Angabe des individuellen Urlaubsanspruchs), Fortbildungen, Dienstbefreiungen, Krankheitstage mit/ohne Lohnfortzahlung etc. ausgewiesen werden. Die Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten können vorliegend aufgrund ihres lediglich rudimentären Gehaltes keine hinreichend sicheren Aussagen darüber machen, in welchem Umfang der Kläger nach dem Arbeitsverhältnis zur Arbeitsleistung angehalten war und in welchem potentiell beitragspflichtigen Umfang er dieser Obliegenheit auch tatsächlich nachgekommen ist. Sie vermögen in ihrer Pauschalität eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine über 5/6 liegende Beitragsleistung des Klägers damit nicht zu begründen.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass im vorliegenden Fall bereits die Lohn- und Gehaltslisten die vom Senat geforderten weitergehenden Angaben nicht enthalten, kann dies eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Die insofern bestehende Lückenhaftigkeit dieser Listen - deren Beiziehung im Hinblick auf die glaubhaften Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers nicht erforderlich war - führt nicht dazu, dass die vom Gesetz aufgestellten Beweisanforderungen (Nachweis i. S. d. Vollbeweises) reduziert werden könnten. Denn dann müssten für alle weiteren nach dem Fremdrentengesetz berechtigten Personenkreise, welche sich nicht auf die rumänische Besonderheit archivierter Lohn- und Gehaltslisten berufen können, aufgrund eines insoweit zu unterstellenden Beweisnotstandes ebenfalls geringere Anforderungen gelten. Das Gesetz sieht aber für Konstellationen, in welchen ein Nachweis nicht vollumfänglich geführt werden kann, gerade den erleichterten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung der Beitragszeiten mit der Folge vor, dass ein pauschalierter Abschlag um ein Sechstel hinzunehmen ist. Dieser gesetzlichen Systematik kann sich auch der Kläger nicht entziehen.

Diesem Ergebnis steht auch das vom Klägerbevollmächtigten herangezogene Urteil des Bayer. LSG vom 08.07.1997 (L 5 Ar 475/95) nicht entgegen. Zum einen ist nicht erkennbar, ob diese Entscheidung eine Adeverinta bzw. Lohn- und Gehaltslisten betrifft, welche in Form und Inhalt den vorliegend zu beurteilenden vergleichbar sind. Zum anderen wurde im dort entschiedenen Fall die maßgebliche Bescheinigung durch Zeugenaussagen untermauert. Letztlich darf diese Entscheidung als überholt angesehen werden, da im Zeitpunkt des dortigen Urteils neuere Erkenntnisse über die in Rumänien geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten noch nicht bekannt waren. Insbesondere lag das vom LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 9 RJ 2551/98 eingeholte Gutachten des Institutes für Ostrecht vom 15.12.1999 noch nicht vor. Auch die vom LSG Baden-Württemberg in der Folge getroffene Entscheidung ist nicht geeignet, einen Anspruch des Klägers zu begründen. Das entsprechende Urteil vom 11.12.2000 (L 9 RJ 2551/98) gab zwar der dortigen Berufung des Klägers statt, fordert jedoch ebenfalls, dass aus der Bescheinigung nicht nur Fehlzeiten sondern auch die tatsächlich geleisteten Arbeitstage vollständig hervorgehen und konkrete Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen müssen. Welche Form von Adeverinta dieser Entscheidung zugrunde lag, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Festzuhalten ist, dass die vorliegend zu beurteilende Bescheinigung auch nach den vom LSG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 11.12.2000 (a. a. O.) statuierten Anforderungen eine über 5/6 liegende Beitragsdichte lediglich glaubhaft macht, jedoch nicht nachweist.

Es kann letztlich auch offen bleiben, ob - wie vom SG und auch vom 19. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 14.05.2002, L 19 RJ 514/01) vertreten - allgemein keine zu hohen Anforderungen an Adeverintas gestellt werden dürfen. Nach Ansicht des 19. Senats genügt es insoweit, wenn die Bescheinigungen eine jahres- bzw. ggf. monatsbezogene Aufschlüsselung der Fehlzeiten ausweisen und den Lohnlisten aus den Archiven der Arbeitgeber entnommen wurden. Mehr oder weniger unvermeidbare Ungenauigkeiten, die sich bei der Auszählung von Arbeitstagen ergeben können, seien im Ergebnis bedeutungslos, da eine Vielzahl von Gründen denkbar sei, warum die tatsächlichen Arbeitstage geringer ausfallen könnten als die kalendarisch möglichen. Der dort zu entscheidende Fall unterscheidet sich vom hier zu beurteilenden insoweit, als der dortigen Entscheidung ausweislich des Tatbestandes gerade keine sog. „3-Spalten-Beschei- nigung“ sondern eine dezidierte, insbesondere nach gearbeiteten Tagen, Erholungs- und Krankenurlaub, unbezahltem Urlaub, Studienurlaub, freien Tagen und unentschuldigtem Fehlen aufgeschlüsselte Bescheinigung zugrunde lag.

Das Urteil des Sozialgerichts war dementsprechend aufzuheben und die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger in Rumänien zurückgelegte Beitragszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.

Der 1946 in T., Rumänien, geborene Kläger war in der Zeit vom 02.08.1965 bis 05.10.1966 und vom 01.03.1968 bis 14.06.1975 als ausgebildeter Maschinenschlosser in Rumänien tätig. Seit 21.08.1975 hat er seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Er besitzt den Vertriebenenausweis A, ausgestellt am 13.11.1975.

Am 04.03.1980 beantragte der Kläger die Feststellung von Beitragszeiten für seine Beschäftigung in Rumänien. Er legte eine Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 vor, mit welcher bestätigt wurde, dass er von 02.08.1965 bis 05.10.1966 sowie von 01.03.1968 bis 14.06.1975 dort beschäftigt war und von 24.10.1966 bis 12.02.1968 Wehrdienst geleistet hat. Mit bestandskräftigem Vormerkungsbescheid vom 28.04.1982 stellte die Beklagte die rumänischen Beschäftigungszeiten als glaubhaft gemacht nach § 19 Abs. 2 FRG a. F. zu 5/6 fest.

Am 28.07.2011 stellte der Kläger Antrag auf Regelaltersrente, welche mit Bescheid der Beklagten vom 12.09.2011 ab 01.11.2011 in Höhe von Euro 1137,23 mtl. bewilligt wurde. Hierbei wurden die für die rumänischen Beitragszeiten festgestellten Entgeltpunkte gemäß § 22 Abs. 3 FRG wie festgestellt um 1/6 gekürzt. Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers am 07.10.2011 Widerspruch ein und übermittelte eine Bescheinigung (Adeverinta Nr. 444) der Handelsgesellschaft „P.“ AG, T., vom 24.10.2011, welche als Rechtsnachfolgerin der „Mechanischen Werke“ in T. erneut die Beschäftigungszeiten des Klägers bestätigte und im Weiteren als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ die Fehlzeiten aufgeschlüsselt nach Jahr (Zeile) sowie nach Monat und Art der Fehlzeiten darstellt (12 Spalten mit jew. drei Rubriken: 1. Krankschreibung, 2. unbezahlter Urlaub, 3. sonstige unbezahlte Abwesenheiten). Insgesamt wurden hierbei Fehlzeiten von 10 Tagen ausgewiesen. Weiter wurde angegeben, dass während der gesamten Beschäftigungszeiten Beiträge zur Sozialversicherungskasse entrichtet und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten bzw. Anwesenheitslisten entnommen worden seien.

Mit Schreiben vom 11.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass die Feststellung als lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeit bereits in den früheren Vormerkungsbescheiden erfolgt sei; insoweit enthalte der Rentenbescheid vom 12.09.2011 keine neue Entscheidung. Da nunmehr erstmals im Widerspruchsverfahren eine andere Bewertung dieser Zeiten beantragt worden sei, habe zunächst die Fachabteilung hierüber zu entscheiden. Der Widerspruch müsste dementsprechend als unzulässig zurückgewiesen werden. Für den Fall einer Rücknahme des Widerspruchs werde dieser als Antrag auf Überprüfung gewertet. Mit Schreiben vom 16.11.2011 erklärte sich der Bevollmächtigte des Klägers mit dieser Vorgehensweise einverstanden.

Daraufhin erließ die Beklagte am 20.12.2011 den angefochtenen Bescheid, mit welchem die Berücksichtigung der rumänischen Beitragszeiten zu 6/6 abgelehnt wurde. Die vorgelegte Bescheinigung könne nicht als Nachweis zur Berücksichtigung ungekürzter Zeiten führen. Gegen diese Entscheidung legte der Klägerbevollmächtigte am 12.01.2012 Widerspruch ein. In der Adeverinta Nr. 444 seien nachweislich alle Fehlzeiten eingetragen. Solche Bescheinigungen würden von den Gerichten als Nachweis anerkannt werden. Die fehlende Eintragung der tatsächlichen Arbeitstage sei unerheblich. Die Beklagte zog eine Kopie des rumänischen Arbeitsbuches bei und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.02.2012 als unbegründet zurück. Die vorgelegte sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ könne lediglich als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden, da sie keine Angaben über die geleisteten Arbeitstage enthalte.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 21.02.2012 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München (SG), mit welcher die volle Anerkennung der streitigen Beitragszeiten zu 6/6 begehrt wurde. Die Adeverinta Nr. 444 enthalte detaillierte Lohnlistenauszüge mit Angaben zu den Unterbrechungstatbeständen während der rumänischen Beschäftigung des Klägers und sei entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als Nachweis ausreichend. Eine Eintragung einzelner Arbeitstage sei allenfalls bei Tagelöhnern erforderlich.

Mit Urteil vom 21.08.2012 gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte, die Altersrente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten als nachgewiesen (zu 6/6) „zu berechnen und zu leisten“. Eine ungekürzte Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG als nachgewiesene Zeiten sei geboten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass sie in dem geltend gemachten Umfang ohne relevante Unterbrechungen tatsächlich zurückgelegt worden sind. Adeverintas seien zum Nachweis von Beitragszeiten grundsätzlich geeignet, wenn sie über die bloße Bestätigung von Beginn und Ende der Beschäftigung hinaus Angaben über den Umfang der Beitrags- und Beschäftigungszeiten und insbes. die Unterbrechung durch Fehlzeiten enthalten. Diesen Vorgaben entspreche die Adeverinta Nr. 444. Aus ihr lasse sich entnehmen, dass der Kläger über insgesamt bescheinigte 10 Abwesenheitstage hinaus keine weiteren Fehlzeiten gehabt habe. Die Adeverinta entspreche damit den Anforderungen, die das Bayer. LSG mit Urteil vom 12.07.2000 (L 19 RJ 163/99) aufgestellt habe. Innerhalb eines vollen Kalendermonates bleibe bei einem nach Monaten bezahlten Arbeitnehmer „denkgesetzlich“ neben abschließend dokumentierten Fehlzeiten kein Raum für Unklarheiten, mit denen Zweifel an einer kontinuierlichen Beitragszahlung begründet werden könnten.

Am 06.12.2012 legte die Beklagte Berufung ein und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung. Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 05.03.2013 stattgegeben. Die Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor, die streitigen Zeiten seien nach wie vor lediglich als glaubhaft gemacht anzuerkennen. Die Adeverinta Nr. 444 werde als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für den Nachweis von Beitragszeiten nicht gerecht. Sie weise lediglich Anfang und Ende der Beschäftigung sowie Ausfallzeiten, nicht jedoch die in den einzelnen Jahren und Monaten tatsächlich geleisteten Arbeitstage nach. Der erkennende Senat habe mit Urteil vom 21.12.2010 (AZ L 6 R 342/09) gefordert, dass den vorgelegten Bescheinigungen im einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein müssten. Auch habe eine andere Kammer des SG München bereits entschieden, dass mit einer 3-Spalten-Bescheinigung der Nachweis nicht geführt sei, dass die Lohnlisten ordnungsgemäß ausgewertet und dass während des gesamten Beschäftigungszeitraums lückenlos Beiträge entrichtet worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2014 bestätigte der Bevollmächtigte des Klägers, dass die archivierten Lohn- und Gehaltslisten des Klägers keine über die Adeverinta Nr. 444 hinausgehenden Angaben enthalten, insbesondere keine Angaben über die tatsächlichen Arbeitstage. Die Listen weisen jeweils nur die für jeden einzelnen Monat gezahlten Löhne sowie eventuelle Lohnabzüge unter Benennung des Unterbrechungssachverhaltes auf.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abzuweisen.

der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, eine Aufstellung der einzelnen Arbeitstage sei entbehrlich. Der Versicherte müsse nicht einen Nachweis über geleistete Arbeitstage vorlegen, sondern den Nachweis führen, dass weniger Fehlzeiten vorhanden sind, als vom Gesetz mit der pauschalen Kürzung um 1/6 angenommen. Diesen Nachweis habe der Kläger als Monatslöhner mit der Vorlage einer 3-Spalten-Bescheinigung hinreichend erbracht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Berufungsakte, die Akte des Sozialgerichts München sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Berücksichtigung der in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten in vollem Umfang verurteilt. Die streitgegenständlichen Bescheide, mit denen die Beklagte die Anrechnung in Höhe von lediglich 5/6 bestätigt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Allerdings ist zunächst festzustellen, dass die von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Rentenbewilligung vorgeschlagene Vorgehensweise im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 06.05.2010 (B 13 R 118/08 R) unzutreffend war. Nach dieser Entscheidung werden durch den Rentenbescheid alle früheren Vormerkungsbescheide ersetzt, so dass es regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten für ein besonderes Verfahren zur Korrektur von Vormerkungen rentenrechtlicher Zeiten fehlt. Dies steht jedoch vorliegend einer sachlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Bescheide nicht entgegen. Im Hinblick auf die von der Beklagten angeregten Rücknahme des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 12.09.2011 kann vorliegend der Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012, mit welchem eine Anrechnung der streitigen Zeiten zu 6/6 nochmals ausdrücklich abgelehnt wurde, als Ergebnis einer Überprüfung des rechtskräftigen Altersrentenbescheides vom 12.09.2011 nach § 44 SGB X angesehen werden.

Zutreffend hat die Beklagte die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Umfang von 6/6 abgelehnt. Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchst. a Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei einem anerkannten Vertriebenen - wie vorliegend dem Kläger - die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Allerdings findet nach § 22 Abs. 3 FRG in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte auf fünf Sechstel statt. Die Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m. w. N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144; 20, 255; Bayer. LSG, vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02 m. w. N.).

Es darf danach vorliegend kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass die - eine höhere Beitragsdichte als 5/6 erreichenden - geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne Unterbrechungstatbestände zeitlich lückenlos zurückgelegt worden sind. Nachgewiesen sind tatsächliche Beitragszeiten allerdings nicht bereits dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind. Vielmehr muss darüber hinausgehend auch feststehen, dass währenddessen keine Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten etc.) eingetreten sind, die zu einer - wenn auch nur vorübergehenden - Unterbrechung der Beitragsentrichtung geführt haben können. Das Gericht muss hierbei aufgrund konkreter und glaubhafter Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten davon überzeugt sein, dass im Einzelfall eine den Anteil von fünf Sechsteln übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Es müssen den vorgelegten Unterlagen mithin im Einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein bzw. es muss eindeutig feststehen, dass eine bestimmte Beschäftigungszeit tatsächlich nicht unterbrochen gewesen ist (vgl. BSGE 38, 80; BSG vom 24.07.1980, Az.: 5 RJ 38/79; BSG vom 20.08.1974, Az.: 4 RJ 241/73; LSG Hessen vom 28.03.2008, Az.:L 5 R 32/07).

Ausgehend von diesen Grundsätzen können die vom Kläger behaupteten rumänischen Beitragszeiten nur als glaubhaft gemacht, nicht aber als nachgewiesen angesehen werden. Zunächst kann dem Arbeitsbuch des Klägers nur entnommen werden, dass dieser in Rumänien zu bestimmten Zeiten in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterlag. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in die bescheinigten Anstellungszeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung gefallen sind, die im rumänischen Sozialversicherungsrecht unabhängig von einer Beitragsentrichtung durch den Arbeitgeber voll als Beschäftigungszeit anerkannt wurden. Der Nachweis einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der gesamten bestätigten Zeiten kann mit den Angaben aus dem Arbeitsbuch damit regelmäßig nicht geführt werden. Dieses kann grundsätzlich nur als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden (vgl. LSG Hessen a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

Gleiches gilt für die vom Kläger vorgelegten Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten. Das Landessozialgericht für das Saarland hat in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 14.10.2005 (L 7 RJ 98/03) die Auffassung vertreten, dass Arbeitsbescheinigungen aus Rumänien (Adeverintas) auch dann, wenn sie auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden sind, grundsätzlich nicht geeignet sind, den vollen Beweis für die ununterbrochene Zurücklegung von Versicherungszeiten zu erbringen. Diese Entscheidung überzeugt insbesondere im Hinblick auf die Besonderheiten des rumänischen Arbeitsrechts, wonach beispielsweise bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich Beihilfeleistungen erbracht wurden und bei krankheitsbedingten Fehlzeit von 90 Tagen die Beschäftigung als nicht unterbrochen galt. Weiter galten als Beschäftigungszeiten auch solche Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer beruflich oder politisch ausgebildet wurde. Die dem deutschen Rentenrecht eigene Unterscheidung zwischen Beitragszeiten und beitragslosen Versicherungszeiten kannte das rumänische Recht insoweit nicht (vgl. LSG Saarland, a. a. O.; Hessisches LSG, Urteil vom 27.1.2004, Az.: L 2 RJ 1062/02m. w. N.; Urteil vom 28.03.2008, Az.: L 5 R 32/07 m. w. N.)

Es kann offen bleiben, ob der Auffassung des LSG Saarland zu folgen ist, da die im hier zu entscheidenden Fall vom Kläger vorgelegten Adeverintas den Nachweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für eine Beschäftigung mit einer den Anteil von 5/6 übersteigenden Beitragsleistung bereits aufgrund ihrer beschränkten Aussagekraft nicht zu erbringen vermögen. Die Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 enthält über die Bestätigung der reinen Beschäftigungszeiten hinaus keinerlei Angaben und ist somit per se zum Nachweis einer entsprechenden Beitragsdichte ungeeignet. Aber auch die Bescheinigung Nummer 444 vom 24.10.2011 vermag diesen Nachweis nicht zu führen. Zwar werden im Rahmen einer Zeilen- und Spaltenübersicht dezidiert nach Monaten sowie nach Grund der Abwesenheit nur insgesamt 10 Tage an Fehlzeiten ausgewiesen. Weiter wird pauschal bestätigt, dass die „Beiträge zur Sozialversicherungskasse während des gesamten Beschäftigungszeitraums gezahlt“ und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten/Anwesenheitslisten entnommen worden sind. Gleichwohl verbleiben für den Senat bei Würdigung dieser Bescheinigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des rumänischen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie nach den Umständen des Einzelfalles begründete Zweifel an ihrer Beweiskraft.

Um die im Rahmen des zu erbringenden Vollbeweises erforderliche Plausibilitätsprüfung einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte durchführen zu können, ist zu fordern, dass Lohn- und Gehaltslisten bzw. die Auszüge hieraus jedenfalls monats- bzw. jahresbezogene Angaben über die jeweilige Zahl der Arbeitstage (ggf. unter Berücksichtigung gesetzlicher Feiertage) sowie sämtlicher Absenzen enthalten. Diesbezüglich hält der Senat die in der vorliegenden Bescheinigung vorgenommene Aufteilung lediglich nach Krankheitszeiten, unbezahltem Urlaub und sonstigen unbezahltem Abwesenheiten nicht für ausreichend. Um eine Kongruenz zwischen der Anzahl der Arbeitstage insgesamt und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten feststellen bzw. mögliche Widersprüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können, sind zudem valide Angaben über Beginn und Ende aller Unterbrechungszeiträume erforderlich. Für den Beweiswert von Lohn und Gehaltslisten und der auf ihrer Grundlage erstellten Adeverintas ist insoweit von Bedeutung, dass auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen sowie der Umfang bezahlter Abwesenheiten wie gesetzlicher Urlaub (unter Angabe des individuellen Urlaubsanspruchs), Fortbildungen, Dienstbefreiungen, Krankheitstage mit/ohne Lohnfortzahlung etc. ausgewiesen werden. Die Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten können vorliegend aufgrund ihres lediglich rudimentären Gehaltes keine hinreichend sicheren Aussagen darüber machen, in welchem Umfang der Kläger nach dem Arbeitsverhältnis zur Arbeitsleistung angehalten war und in welchem potentiell beitragspflichtigen Umfang er dieser Obliegenheit auch tatsächlich nachgekommen ist. Sie vermögen in ihrer Pauschalität eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine über 5/6 liegende Beitragsleistung des Klägers damit nicht zu begründen.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass im vorliegenden Fall bereits die Lohn- und Gehaltslisten die vom Senat geforderten weitergehenden Angaben nicht enthalten, kann dies eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Die insofern bestehende Lückenhaftigkeit dieser Listen - deren Beiziehung im Hinblick auf die glaubhaften Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers nicht erforderlich war - führt nicht dazu, dass die vom Gesetz aufgestellten Beweisanforderungen (Nachweis i. S. d. Vollbeweises) reduziert werden könnten. Denn dann müssten für alle weiteren nach dem Fremdrentengesetz berechtigten Personenkreise, welche sich nicht auf die rumänische Besonderheit archivierter Lohn- und Gehaltslisten berufen können, aufgrund eines insoweit zu unterstellenden Beweisnotstandes ebenfalls geringere Anforderungen gelten. Das Gesetz sieht aber für Konstellationen, in welchen ein Nachweis nicht vollumfänglich geführt werden kann, gerade den erleichterten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung der Beitragszeiten mit der Folge vor, dass ein pauschalierter Abschlag um ein Sechstel hinzunehmen ist. Dieser gesetzlichen Systematik kann sich auch der Kläger nicht entziehen.

Diesem Ergebnis steht auch das vom Klägerbevollmächtigten herangezogene Urteil des Bayer. LSG vom 08.07.1997 (L 5 Ar 475/95) nicht entgegen. Zum einen ist nicht erkennbar, ob diese Entscheidung eine Adeverinta bzw. Lohn- und Gehaltslisten betrifft, welche in Form und Inhalt den vorliegend zu beurteilenden vergleichbar sind. Zum anderen wurde im dort entschiedenen Fall die maßgebliche Bescheinigung durch Zeugenaussagen untermauert. Letztlich darf diese Entscheidung als überholt angesehen werden, da im Zeitpunkt des dortigen Urteils neuere Erkenntnisse über die in Rumänien geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten noch nicht bekannt waren. Insbesondere lag das vom LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 9 RJ 2551/98 eingeholte Gutachten des Institutes für Ostrecht vom 15.12.1999 noch nicht vor. Auch die vom LSG Baden-Württemberg in der Folge getroffene Entscheidung ist nicht geeignet, einen Anspruch des Klägers zu begründen. Das entsprechende Urteil vom 11.12.2000 (L 9 RJ 2551/98) gab zwar der dortigen Berufung des Klägers statt, fordert jedoch ebenfalls, dass aus der Bescheinigung nicht nur Fehlzeiten sondern auch die tatsächlich geleisteten Arbeitstage vollständig hervorgehen und konkrete Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen müssen. Welche Form von Adeverinta dieser Entscheidung zugrunde lag, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Festzuhalten ist, dass die vorliegend zu beurteilende Bescheinigung auch nach den vom LSG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 11.12.2000 (a. a. O.) statuierten Anforderungen eine über 5/6 liegende Beitragsdichte lediglich glaubhaft macht, jedoch nicht nachweist.

Es kann letztlich auch offen bleiben, ob - wie vom SG und auch vom 19. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 14.05.2002, L 19 RJ 514/01) vertreten - allgemein keine zu hohen Anforderungen an Adeverintas gestellt werden dürfen. Nach Ansicht des 19. Senats genügt es insoweit, wenn die Bescheinigungen eine jahres- bzw. ggf. monatsbezogene Aufschlüsselung der Fehlzeiten ausweisen und den Lohnlisten aus den Archiven der Arbeitgeber entnommen wurden. Mehr oder weniger unvermeidbare Ungenauigkeiten, die sich bei der Auszählung von Arbeitstagen ergeben können, seien im Ergebnis bedeutungslos, da eine Vielzahl von Gründen denkbar sei, warum die tatsächlichen Arbeitstage geringer ausfallen könnten als die kalendarisch möglichen. Der dort zu entscheidende Fall unterscheidet sich vom hier zu beurteilenden insoweit, als der dortigen Entscheidung ausweislich des Tatbestandes gerade keine sog. „3-Spalten-Beschei- nigung“ sondern eine dezidierte, insbesondere nach gearbeiteten Tagen, Erholungs- und Krankenurlaub, unbezahltem Urlaub, Studienurlaub, freien Tagen und unentschuldigtem Fehlen aufgeschlüsselte Bescheinigung zugrunde lag.

Das Urteil des Sozialgerichts war dementsprechend aufzuheben und die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen.

(2) Das in den einzelnen Kalenderjahren durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen wird in Entgeltpunkte umgerechnet. Die Versicherung eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (Anlage 1) ergibt einen vollen Entgeltpunkt.

(3) Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist.

(4) Das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente wird durch den Rentenartfaktor bestimmt.

(5) Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

(6) Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte mit dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert vervielfältigt werden.

(7) Der aktuelle Rentenwert wird entsprechend der Entwicklung des Durchschnittsentgelts unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur allgemeinen Rentenversicherung jährlich angepasst.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn

1.
die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
2.
der Rentenartfaktor und
3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

(1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind.

(2) Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren,

1.
bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0,
2.
bei Renten wegen Alters, die
a)
vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0,
3.
bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0,
4.
bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat,
a)
der sich vom Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist, bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres des Versicherten ergibt, um 0,003 niedriger als 1,0 und
b)
für den Versicherte trotz erfüllter Wartezeit eine Rente wegen Alters nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005 höher als 1,0.
Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente vor Vollendung des 62. Lebensjahres oder ist bei Hinterbliebenenrenten der Versicherte vor Vollendung des 62. Lebensjahres verstorben, ist die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 62. Lebensjahres des Versicherten gilt nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dem Beginn und der vorzeitigen oder späteren Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters stehen für die Ermittlung des Zugangsfaktors für Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters die Zeitpunkte nach § 66 Absatz 3a Satz 1 gleich, zu denen die Zuschläge berücksichtigt werden.

(3) Für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, bleibt der frühere Zugangsfaktor maßgebend. Dies gilt nicht für die Hälfte der Entgeltpunkte, die Grundlage einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung waren. Der Zugangsfaktor wird für Entgeltpunkte, die Versicherte bei

1.
einer Rente wegen Alters nicht mehr vorzeitig in Anspruch genommen haben, um 0,003 oder
2.
einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder einer Erziehungsrente mit einem Zugangsfaktor kleiner als 1,0 nach Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 62. Lebensjahres bis zum Ende des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen haben, um 0,003,
3.
einer Rente nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht in Anspruch genommen haben, um 0,005
je Kalendermonat erhöht.

(4) Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Hinterbliebenenrenten, deren Berechnung 40 Jahre mit den in § 51 Abs. 3a und 4 und mit den in § 52 Abs. 2 genannten Zeiten zugrunde liegen, sind die Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle der Vollendung des 65. Lebensjahres die Vollendung des 63. Lebensjahres und an die Stelle der Vollendung des 62. Lebensjahres die Vollendung des 60. Lebensjahres tritt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Ermittlung des Zugangsfaktors für die nach § 66 Absatz 1 Satz 2 gesondert zu bestimmenden persönlichen Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung.

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn

1.
die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
2.
der Rentenartfaktor und
3.
der aktuelle Rentenwert
mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.

(1) Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

(2) Absatz 1 gilt auch für außerhalb der Bundesrepublik Deutschland eingetretene Tatsachen, die nach den allgemeinen Vorschriften erheblich sind.

(3) Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden. Der mit der Durchführung des Verfahrens befaßte Versicherungsträger ist für die Abnahme eidesstattlicher Versicherungen zuständig; er gilt als Behörde im Sinne des § 156 des Strafgesetzbuchs.

(1) Für Zeiten der in §§ 15 und 16 genannten Art werden Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 Satz 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ermittelt. Hierzu werden für Zeiten nach dem 31. Dezember 1949 die in Anlage 14 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch genannten oder nach § 256b Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch festgestellten Durchschnittsjahresverdienste um ein Fünftel erhöht und für Zeiten vor dem 1. Januar 1950 Entgeltpunkte auf Grund der Anlagen 1 bis 16 dieses Gesetzes ermittelt. Die Bestimmung des maßgeblichen Bereichs richtet sich danach, welchem Bereich der Betrieb, in dem der Versicherte seine Beschäftigung ausgeübt hat, zuzuordnen wäre, wenn der Betrieb im Beitrittsgebiet gelegen hätte. Ist der Betrieb Teil einer größeren Unternehmenseinheit, ist für die Bestimmung des Bereichs diese maßgeblich. Kommen nach dem Ergebnis der Ermittlungen mehrere Bereiche in Betracht, ist von ihnen der Bereich mit den niedrigsten Durchschnittsverdiensten des jeweiligen Jahres maßgeblich. Ist eine Zuordnung zu einem oder zu einem von mehreren Bereichen nicht möglich, so erfolgt die Zuordnung zu dem Bereich mit den für das jeweilige Jahr niedrigsten Durchschnittsverdiensten. Die Sätze 5 und 6 gelten entsprechend für die Zuordnung zu einer Qualifikations- oder Leistungsgruppe. Zeiten eines gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes werden Entgeltpunkte zugeordnet, die zu berücksichtigen wären, wenn der Wehr- oder Ersatzdienst im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet abgeleistet worden wäre. Kindererziehungszeiten nach § 28b sind Entgeltpunkte zuzuordnen, wie wenn die Erziehung im Bundesgebiet erfolgt wäre.

(2) Zeiten der Ausbildung als Lehrling oder Anlernling erhalten für jeden Kalendermonat 0,025 Entgeltpunkte.

(3) Für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, werden die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt.

(4) Die nach den Absätzen 1 und 3 maßgeblichen Entgeltpunkte werden mit dem Faktor 0,6 vervielfältigt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Sind die Beiträge auf Grund einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit entrichtet, so steht die ihnen zugrunde liegende Beschäftigung oder Tätigkeit einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich. Für Personen, die zum Personenkreis des § 1 Buchstabe b gehören, werden rentenrechtliche Zeiten bis zum 8. Mai 1945 berücksichtigt.

(2) Als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Absatzes 1 ist jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen sind, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern. Wird durch die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung dem Erfordernis, einem der in Satz 1 genannten Systeme anzugehören, Genüge geleistet, so ist auch die betreffende Einrichtung als gesetzliche Rentenversicherung anzusehen, und zwar auch für Zeiten bis zum 31. Dezember 1890 zurück, in denen es ein System der in Satz 1 genannten Art noch nicht gegeben hat. Als gesetzliche Rentenversicherung gelten nicht Systeme, die vorwiegend zur Sicherung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst geschaffen sind.

(3) Zeiten einer Beschäftigung, die bei ihrer Zurücklegung nach dem zu dieser Zeit geltenden Recht als Beitragszeiten im Sinne des Absatzes 1 anrechnungsfähig waren und für die an einen Träger eines Systems der sozialen Sicherheit Beiträge nicht entrichtet worden sind, stehen den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, soweit für sie nach Bundesrecht Beiträge zu zahlen gewesen wären. Als Beitragszeiten gelten die Zeiten, in denen der Versicherte nach dem 8. Mai 1945 im Herkunftsgebiet den gesetzlichen Grundwehrdienst geleistet hat. Als Beitragszeiten gelten nicht Zeiten,

a)
die ohne Beitragsleistung rückwirkend in ein System der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen worden sind,
b)
die außerhalb der Herkunftsgebiete ohne Beitragsleistung an den Träger im Herkunftsgebiet oder in einem System nach Absatz 2 Satz 3 zurückgelegt worden sind,
c)
für die Entgeltpunkte nicht ermittelt werden,
d)
die von Zeit- oder Berufssoldaten oder vergleichbaren Personen zurückgelegt worden sind.

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger in Rumänien zurückgelegte Beitragszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.

Der 1946 in T., Rumänien, geborene Kläger war in der Zeit vom 02.08.1965 bis 05.10.1966 und vom 01.03.1968 bis 14.06.1975 als ausgebildeter Maschinenschlosser in Rumänien tätig. Seit 21.08.1975 hat er seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Er besitzt den Vertriebenenausweis A, ausgestellt am 13.11.1975.

Am 04.03.1980 beantragte der Kläger die Feststellung von Beitragszeiten für seine Beschäftigung in Rumänien. Er legte eine Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 vor, mit welcher bestätigt wurde, dass er von 02.08.1965 bis 05.10.1966 sowie von 01.03.1968 bis 14.06.1975 dort beschäftigt war und von 24.10.1966 bis 12.02.1968 Wehrdienst geleistet hat. Mit bestandskräftigem Vormerkungsbescheid vom 28.04.1982 stellte die Beklagte die rumänischen Beschäftigungszeiten als glaubhaft gemacht nach § 19 Abs. 2 FRG a. F. zu 5/6 fest.

Am 28.07.2011 stellte der Kläger Antrag auf Regelaltersrente, welche mit Bescheid der Beklagten vom 12.09.2011 ab 01.11.2011 in Höhe von Euro 1137,23 mtl. bewilligt wurde. Hierbei wurden die für die rumänischen Beitragszeiten festgestellten Entgeltpunkte gemäß § 22 Abs. 3 FRG wie festgestellt um 1/6 gekürzt. Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers am 07.10.2011 Widerspruch ein und übermittelte eine Bescheinigung (Adeverinta Nr. 444) der Handelsgesellschaft „P.“ AG, T., vom 24.10.2011, welche als Rechtsnachfolgerin der „Mechanischen Werke“ in T. erneut die Beschäftigungszeiten des Klägers bestätigte und im Weiteren als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ die Fehlzeiten aufgeschlüsselt nach Jahr (Zeile) sowie nach Monat und Art der Fehlzeiten darstellt (12 Spalten mit jew. drei Rubriken: 1. Krankschreibung, 2. unbezahlter Urlaub, 3. sonstige unbezahlte Abwesenheiten). Insgesamt wurden hierbei Fehlzeiten von 10 Tagen ausgewiesen. Weiter wurde angegeben, dass während der gesamten Beschäftigungszeiten Beiträge zur Sozialversicherungskasse entrichtet und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten bzw. Anwesenheitslisten entnommen worden seien.

Mit Schreiben vom 11.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass die Feststellung als lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeit bereits in den früheren Vormerkungsbescheiden erfolgt sei; insoweit enthalte der Rentenbescheid vom 12.09.2011 keine neue Entscheidung. Da nunmehr erstmals im Widerspruchsverfahren eine andere Bewertung dieser Zeiten beantragt worden sei, habe zunächst die Fachabteilung hierüber zu entscheiden. Der Widerspruch müsste dementsprechend als unzulässig zurückgewiesen werden. Für den Fall einer Rücknahme des Widerspruchs werde dieser als Antrag auf Überprüfung gewertet. Mit Schreiben vom 16.11.2011 erklärte sich der Bevollmächtigte des Klägers mit dieser Vorgehensweise einverstanden.

Daraufhin erließ die Beklagte am 20.12.2011 den angefochtenen Bescheid, mit welchem die Berücksichtigung der rumänischen Beitragszeiten zu 6/6 abgelehnt wurde. Die vorgelegte Bescheinigung könne nicht als Nachweis zur Berücksichtigung ungekürzter Zeiten führen. Gegen diese Entscheidung legte der Klägerbevollmächtigte am 12.01.2012 Widerspruch ein. In der Adeverinta Nr. 444 seien nachweislich alle Fehlzeiten eingetragen. Solche Bescheinigungen würden von den Gerichten als Nachweis anerkannt werden. Die fehlende Eintragung der tatsächlichen Arbeitstage sei unerheblich. Die Beklagte zog eine Kopie des rumänischen Arbeitsbuches bei und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.02.2012 als unbegründet zurück. Die vorgelegte sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ könne lediglich als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden, da sie keine Angaben über die geleisteten Arbeitstage enthalte.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 21.02.2012 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München (SG), mit welcher die volle Anerkennung der streitigen Beitragszeiten zu 6/6 begehrt wurde. Die Adeverinta Nr. 444 enthalte detaillierte Lohnlistenauszüge mit Angaben zu den Unterbrechungstatbeständen während der rumänischen Beschäftigung des Klägers und sei entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als Nachweis ausreichend. Eine Eintragung einzelner Arbeitstage sei allenfalls bei Tagelöhnern erforderlich.

Mit Urteil vom 21.08.2012 gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte, die Altersrente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten als nachgewiesen (zu 6/6) „zu berechnen und zu leisten“. Eine ungekürzte Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG als nachgewiesene Zeiten sei geboten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass sie in dem geltend gemachten Umfang ohne relevante Unterbrechungen tatsächlich zurückgelegt worden sind. Adeverintas seien zum Nachweis von Beitragszeiten grundsätzlich geeignet, wenn sie über die bloße Bestätigung von Beginn und Ende der Beschäftigung hinaus Angaben über den Umfang der Beitrags- und Beschäftigungszeiten und insbes. die Unterbrechung durch Fehlzeiten enthalten. Diesen Vorgaben entspreche die Adeverinta Nr. 444. Aus ihr lasse sich entnehmen, dass der Kläger über insgesamt bescheinigte 10 Abwesenheitstage hinaus keine weiteren Fehlzeiten gehabt habe. Die Adeverinta entspreche damit den Anforderungen, die das Bayer. LSG mit Urteil vom 12.07.2000 (L 19 RJ 163/99) aufgestellt habe. Innerhalb eines vollen Kalendermonates bleibe bei einem nach Monaten bezahlten Arbeitnehmer „denkgesetzlich“ neben abschließend dokumentierten Fehlzeiten kein Raum für Unklarheiten, mit denen Zweifel an einer kontinuierlichen Beitragszahlung begründet werden könnten.

Am 06.12.2012 legte die Beklagte Berufung ein und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung. Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 05.03.2013 stattgegeben. Die Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor, die streitigen Zeiten seien nach wie vor lediglich als glaubhaft gemacht anzuerkennen. Die Adeverinta Nr. 444 werde als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für den Nachweis von Beitragszeiten nicht gerecht. Sie weise lediglich Anfang und Ende der Beschäftigung sowie Ausfallzeiten, nicht jedoch die in den einzelnen Jahren und Monaten tatsächlich geleisteten Arbeitstage nach. Der erkennende Senat habe mit Urteil vom 21.12.2010 (AZ L 6 R 342/09) gefordert, dass den vorgelegten Bescheinigungen im einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein müssten. Auch habe eine andere Kammer des SG München bereits entschieden, dass mit einer 3-Spalten-Bescheinigung der Nachweis nicht geführt sei, dass die Lohnlisten ordnungsgemäß ausgewertet und dass während des gesamten Beschäftigungszeitraums lückenlos Beiträge entrichtet worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2014 bestätigte der Bevollmächtigte des Klägers, dass die archivierten Lohn- und Gehaltslisten des Klägers keine über die Adeverinta Nr. 444 hinausgehenden Angaben enthalten, insbesondere keine Angaben über die tatsächlichen Arbeitstage. Die Listen weisen jeweils nur die für jeden einzelnen Monat gezahlten Löhne sowie eventuelle Lohnabzüge unter Benennung des Unterbrechungssachverhaltes auf.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abzuweisen.

der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, eine Aufstellung der einzelnen Arbeitstage sei entbehrlich. Der Versicherte müsse nicht einen Nachweis über geleistete Arbeitstage vorlegen, sondern den Nachweis führen, dass weniger Fehlzeiten vorhanden sind, als vom Gesetz mit der pauschalen Kürzung um 1/6 angenommen. Diesen Nachweis habe der Kläger als Monatslöhner mit der Vorlage einer 3-Spalten-Bescheinigung hinreichend erbracht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Berufungsakte, die Akte des Sozialgerichts München sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Berücksichtigung der in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten in vollem Umfang verurteilt. Die streitgegenständlichen Bescheide, mit denen die Beklagte die Anrechnung in Höhe von lediglich 5/6 bestätigt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Allerdings ist zunächst festzustellen, dass die von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Rentenbewilligung vorgeschlagene Vorgehensweise im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 06.05.2010 (B 13 R 118/08 R) unzutreffend war. Nach dieser Entscheidung werden durch den Rentenbescheid alle früheren Vormerkungsbescheide ersetzt, so dass es regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten für ein besonderes Verfahren zur Korrektur von Vormerkungen rentenrechtlicher Zeiten fehlt. Dies steht jedoch vorliegend einer sachlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Bescheide nicht entgegen. Im Hinblick auf die von der Beklagten angeregten Rücknahme des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 12.09.2011 kann vorliegend der Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012, mit welchem eine Anrechnung der streitigen Zeiten zu 6/6 nochmals ausdrücklich abgelehnt wurde, als Ergebnis einer Überprüfung des rechtskräftigen Altersrentenbescheides vom 12.09.2011 nach § 44 SGB X angesehen werden.

Zutreffend hat die Beklagte die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Umfang von 6/6 abgelehnt. Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchst. a Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei einem anerkannten Vertriebenen - wie vorliegend dem Kläger - die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Allerdings findet nach § 22 Abs. 3 FRG in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte auf fünf Sechstel statt. Die Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m. w. N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144; 20, 255; Bayer. LSG, vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02 m. w. N.).

Es darf danach vorliegend kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass die - eine höhere Beitragsdichte als 5/6 erreichenden - geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne Unterbrechungstatbestände zeitlich lückenlos zurückgelegt worden sind. Nachgewiesen sind tatsächliche Beitragszeiten allerdings nicht bereits dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind. Vielmehr muss darüber hinausgehend auch feststehen, dass währenddessen keine Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten etc.) eingetreten sind, die zu einer - wenn auch nur vorübergehenden - Unterbrechung der Beitragsentrichtung geführt haben können. Das Gericht muss hierbei aufgrund konkreter und glaubhafter Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten davon überzeugt sein, dass im Einzelfall eine den Anteil von fünf Sechsteln übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Es müssen den vorgelegten Unterlagen mithin im Einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein bzw. es muss eindeutig feststehen, dass eine bestimmte Beschäftigungszeit tatsächlich nicht unterbrochen gewesen ist (vgl. BSGE 38, 80; BSG vom 24.07.1980, Az.: 5 RJ 38/79; BSG vom 20.08.1974, Az.: 4 RJ 241/73; LSG Hessen vom 28.03.2008, Az.:L 5 R 32/07).

Ausgehend von diesen Grundsätzen können die vom Kläger behaupteten rumänischen Beitragszeiten nur als glaubhaft gemacht, nicht aber als nachgewiesen angesehen werden. Zunächst kann dem Arbeitsbuch des Klägers nur entnommen werden, dass dieser in Rumänien zu bestimmten Zeiten in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterlag. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in die bescheinigten Anstellungszeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung gefallen sind, die im rumänischen Sozialversicherungsrecht unabhängig von einer Beitragsentrichtung durch den Arbeitgeber voll als Beschäftigungszeit anerkannt wurden. Der Nachweis einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der gesamten bestätigten Zeiten kann mit den Angaben aus dem Arbeitsbuch damit regelmäßig nicht geführt werden. Dieses kann grundsätzlich nur als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden (vgl. LSG Hessen a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

Gleiches gilt für die vom Kläger vorgelegten Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten. Das Landessozialgericht für das Saarland hat in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 14.10.2005 (L 7 RJ 98/03) die Auffassung vertreten, dass Arbeitsbescheinigungen aus Rumänien (Adeverintas) auch dann, wenn sie auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden sind, grundsätzlich nicht geeignet sind, den vollen Beweis für die ununterbrochene Zurücklegung von Versicherungszeiten zu erbringen. Diese Entscheidung überzeugt insbesondere im Hinblick auf die Besonderheiten des rumänischen Arbeitsrechts, wonach beispielsweise bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich Beihilfeleistungen erbracht wurden und bei krankheitsbedingten Fehlzeit von 90 Tagen die Beschäftigung als nicht unterbrochen galt. Weiter galten als Beschäftigungszeiten auch solche Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer beruflich oder politisch ausgebildet wurde. Die dem deutschen Rentenrecht eigene Unterscheidung zwischen Beitragszeiten und beitragslosen Versicherungszeiten kannte das rumänische Recht insoweit nicht (vgl. LSG Saarland, a. a. O.; Hessisches LSG, Urteil vom 27.1.2004, Az.: L 2 RJ 1062/02m. w. N.; Urteil vom 28.03.2008, Az.: L 5 R 32/07 m. w. N.)

Es kann offen bleiben, ob der Auffassung des LSG Saarland zu folgen ist, da die im hier zu entscheidenden Fall vom Kläger vorgelegten Adeverintas den Nachweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für eine Beschäftigung mit einer den Anteil von 5/6 übersteigenden Beitragsleistung bereits aufgrund ihrer beschränkten Aussagekraft nicht zu erbringen vermögen. Die Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 enthält über die Bestätigung der reinen Beschäftigungszeiten hinaus keinerlei Angaben und ist somit per se zum Nachweis einer entsprechenden Beitragsdichte ungeeignet. Aber auch die Bescheinigung Nummer 444 vom 24.10.2011 vermag diesen Nachweis nicht zu führen. Zwar werden im Rahmen einer Zeilen- und Spaltenübersicht dezidiert nach Monaten sowie nach Grund der Abwesenheit nur insgesamt 10 Tage an Fehlzeiten ausgewiesen. Weiter wird pauschal bestätigt, dass die „Beiträge zur Sozialversicherungskasse während des gesamten Beschäftigungszeitraums gezahlt“ und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten/Anwesenheitslisten entnommen worden sind. Gleichwohl verbleiben für den Senat bei Würdigung dieser Bescheinigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des rumänischen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie nach den Umständen des Einzelfalles begründete Zweifel an ihrer Beweiskraft.

Um die im Rahmen des zu erbringenden Vollbeweises erforderliche Plausibilitätsprüfung einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte durchführen zu können, ist zu fordern, dass Lohn- und Gehaltslisten bzw. die Auszüge hieraus jedenfalls monats- bzw. jahresbezogene Angaben über die jeweilige Zahl der Arbeitstage (ggf. unter Berücksichtigung gesetzlicher Feiertage) sowie sämtlicher Absenzen enthalten. Diesbezüglich hält der Senat die in der vorliegenden Bescheinigung vorgenommene Aufteilung lediglich nach Krankheitszeiten, unbezahltem Urlaub und sonstigen unbezahltem Abwesenheiten nicht für ausreichend. Um eine Kongruenz zwischen der Anzahl der Arbeitstage insgesamt und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten feststellen bzw. mögliche Widersprüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können, sind zudem valide Angaben über Beginn und Ende aller Unterbrechungszeiträume erforderlich. Für den Beweiswert von Lohn und Gehaltslisten und der auf ihrer Grundlage erstellten Adeverintas ist insoweit von Bedeutung, dass auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen sowie der Umfang bezahlter Abwesenheiten wie gesetzlicher Urlaub (unter Angabe des individuellen Urlaubsanspruchs), Fortbildungen, Dienstbefreiungen, Krankheitstage mit/ohne Lohnfortzahlung etc. ausgewiesen werden. Die Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten können vorliegend aufgrund ihres lediglich rudimentären Gehaltes keine hinreichend sicheren Aussagen darüber machen, in welchem Umfang der Kläger nach dem Arbeitsverhältnis zur Arbeitsleistung angehalten war und in welchem potentiell beitragspflichtigen Umfang er dieser Obliegenheit auch tatsächlich nachgekommen ist. Sie vermögen in ihrer Pauschalität eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine über 5/6 liegende Beitragsleistung des Klägers damit nicht zu begründen.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass im vorliegenden Fall bereits die Lohn- und Gehaltslisten die vom Senat geforderten weitergehenden Angaben nicht enthalten, kann dies eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Die insofern bestehende Lückenhaftigkeit dieser Listen - deren Beiziehung im Hinblick auf die glaubhaften Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers nicht erforderlich war - führt nicht dazu, dass die vom Gesetz aufgestellten Beweisanforderungen (Nachweis i. S. d. Vollbeweises) reduziert werden könnten. Denn dann müssten für alle weiteren nach dem Fremdrentengesetz berechtigten Personenkreise, welche sich nicht auf die rumänische Besonderheit archivierter Lohn- und Gehaltslisten berufen können, aufgrund eines insoweit zu unterstellenden Beweisnotstandes ebenfalls geringere Anforderungen gelten. Das Gesetz sieht aber für Konstellationen, in welchen ein Nachweis nicht vollumfänglich geführt werden kann, gerade den erleichterten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung der Beitragszeiten mit der Folge vor, dass ein pauschalierter Abschlag um ein Sechstel hinzunehmen ist. Dieser gesetzlichen Systematik kann sich auch der Kläger nicht entziehen.

Diesem Ergebnis steht auch das vom Klägerbevollmächtigten herangezogene Urteil des Bayer. LSG vom 08.07.1997 (L 5 Ar 475/95) nicht entgegen. Zum einen ist nicht erkennbar, ob diese Entscheidung eine Adeverinta bzw. Lohn- und Gehaltslisten betrifft, welche in Form und Inhalt den vorliegend zu beurteilenden vergleichbar sind. Zum anderen wurde im dort entschiedenen Fall die maßgebliche Bescheinigung durch Zeugenaussagen untermauert. Letztlich darf diese Entscheidung als überholt angesehen werden, da im Zeitpunkt des dortigen Urteils neuere Erkenntnisse über die in Rumänien geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten noch nicht bekannt waren. Insbesondere lag das vom LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 9 RJ 2551/98 eingeholte Gutachten des Institutes für Ostrecht vom 15.12.1999 noch nicht vor. Auch die vom LSG Baden-Württemberg in der Folge getroffene Entscheidung ist nicht geeignet, einen Anspruch des Klägers zu begründen. Das entsprechende Urteil vom 11.12.2000 (L 9 RJ 2551/98) gab zwar der dortigen Berufung des Klägers statt, fordert jedoch ebenfalls, dass aus der Bescheinigung nicht nur Fehlzeiten sondern auch die tatsächlich geleisteten Arbeitstage vollständig hervorgehen und konkrete Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen müssen. Welche Form von Adeverinta dieser Entscheidung zugrunde lag, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Festzuhalten ist, dass die vorliegend zu beurteilende Bescheinigung auch nach den vom LSG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 11.12.2000 (a. a. O.) statuierten Anforderungen eine über 5/6 liegende Beitragsdichte lediglich glaubhaft macht, jedoch nicht nachweist.

Es kann letztlich auch offen bleiben, ob - wie vom SG und auch vom 19. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 14.05.2002, L 19 RJ 514/01) vertreten - allgemein keine zu hohen Anforderungen an Adeverintas gestellt werden dürfen. Nach Ansicht des 19. Senats genügt es insoweit, wenn die Bescheinigungen eine jahres- bzw. ggf. monatsbezogene Aufschlüsselung der Fehlzeiten ausweisen und den Lohnlisten aus den Archiven der Arbeitgeber entnommen wurden. Mehr oder weniger unvermeidbare Ungenauigkeiten, die sich bei der Auszählung von Arbeitstagen ergeben können, seien im Ergebnis bedeutungslos, da eine Vielzahl von Gründen denkbar sei, warum die tatsächlichen Arbeitstage geringer ausfallen könnten als die kalendarisch möglichen. Der dort zu entscheidende Fall unterscheidet sich vom hier zu beurteilenden insoweit, als der dortigen Entscheidung ausweislich des Tatbestandes gerade keine sog. „3-Spalten-Beschei- nigung“ sondern eine dezidierte, insbesondere nach gearbeiteten Tagen, Erholungs- und Krankenurlaub, unbezahltem Urlaub, Studienurlaub, freien Tagen und unentschuldigtem Fehlen aufgeschlüsselte Bescheinigung zugrunde lag.

Das Urteil des Sozialgerichts war dementsprechend aufzuheben und die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger in Rumänien zurückgelegte Beitragszeiten als nachgewiesene Beitragszeiten ungekürzt zu berücksichtigen sind.

Der 1946 in T., Rumänien, geborene Kläger war in der Zeit vom 02.08.1965 bis 05.10.1966 und vom 01.03.1968 bis 14.06.1975 als ausgebildeter Maschinenschlosser in Rumänien tätig. Seit 21.08.1975 hat er seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Er besitzt den Vertriebenenausweis A, ausgestellt am 13.11.1975.

Am 04.03.1980 beantragte der Kläger die Feststellung von Beitragszeiten für seine Beschäftigung in Rumänien. Er legte eine Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 vor, mit welcher bestätigt wurde, dass er von 02.08.1965 bis 05.10.1966 sowie von 01.03.1968 bis 14.06.1975 dort beschäftigt war und von 24.10.1966 bis 12.02.1968 Wehrdienst geleistet hat. Mit bestandskräftigem Vormerkungsbescheid vom 28.04.1982 stellte die Beklagte die rumänischen Beschäftigungszeiten als glaubhaft gemacht nach § 19 Abs. 2 FRG a. F. zu 5/6 fest.

Am 28.07.2011 stellte der Kläger Antrag auf Regelaltersrente, welche mit Bescheid der Beklagten vom 12.09.2011 ab 01.11.2011 in Höhe von Euro 1137,23 mtl. bewilligt wurde. Hierbei wurden die für die rumänischen Beitragszeiten festgestellten Entgeltpunkte gemäß § 22 Abs. 3 FRG wie festgestellt um 1/6 gekürzt. Gegen diesen Bescheid legte der Bevollmächtigte des Klägers am 07.10.2011 Widerspruch ein und übermittelte eine Bescheinigung (Adeverinta Nr. 444) der Handelsgesellschaft „P.“ AG, T., vom 24.10.2011, welche als Rechtsnachfolgerin der „Mechanischen Werke“ in T. erneut die Beschäftigungszeiten des Klägers bestätigte und im Weiteren als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ die Fehlzeiten aufgeschlüsselt nach Jahr (Zeile) sowie nach Monat und Art der Fehlzeiten darstellt (12 Spalten mit jew. drei Rubriken: 1. Krankschreibung, 2. unbezahlter Urlaub, 3. sonstige unbezahlte Abwesenheiten). Insgesamt wurden hierbei Fehlzeiten von 10 Tagen ausgewiesen. Weiter wurde angegeben, dass während der gesamten Beschäftigungszeiten Beiträge zur Sozialversicherungskasse entrichtet und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten bzw. Anwesenheitslisten entnommen worden seien.

Mit Schreiben vom 11.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass die Feststellung als lediglich glaubhaft gemachte Beitragszeit bereits in den früheren Vormerkungsbescheiden erfolgt sei; insoweit enthalte der Rentenbescheid vom 12.09.2011 keine neue Entscheidung. Da nunmehr erstmals im Widerspruchsverfahren eine andere Bewertung dieser Zeiten beantragt worden sei, habe zunächst die Fachabteilung hierüber zu entscheiden. Der Widerspruch müsste dementsprechend als unzulässig zurückgewiesen werden. Für den Fall einer Rücknahme des Widerspruchs werde dieser als Antrag auf Überprüfung gewertet. Mit Schreiben vom 16.11.2011 erklärte sich der Bevollmächtigte des Klägers mit dieser Vorgehensweise einverstanden.

Daraufhin erließ die Beklagte am 20.12.2011 den angefochtenen Bescheid, mit welchem die Berücksichtigung der rumänischen Beitragszeiten zu 6/6 abgelehnt wurde. Die vorgelegte Bescheinigung könne nicht als Nachweis zur Berücksichtigung ungekürzter Zeiten führen. Gegen diese Entscheidung legte der Klägerbevollmächtigte am 12.01.2012 Widerspruch ein. In der Adeverinta Nr. 444 seien nachweislich alle Fehlzeiten eingetragen. Solche Bescheinigungen würden von den Gerichten als Nachweis anerkannt werden. Die fehlende Eintragung der tatsächlichen Arbeitstage sei unerheblich. Die Beklagte zog eine Kopie des rumänischen Arbeitsbuches bei und wies den Widerspruch mit Bescheid vom 10.02.2012 als unbegründet zurück. Die vorgelegte sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ könne lediglich als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden, da sie keine Angaben über die geleisteten Arbeitstage enthalte.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 21.02.2012 durch seinen Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München (SG), mit welcher die volle Anerkennung der streitigen Beitragszeiten zu 6/6 begehrt wurde. Die Adeverinta Nr. 444 enthalte detaillierte Lohnlistenauszüge mit Angaben zu den Unterbrechungstatbeständen während der rumänischen Beschäftigung des Klägers und sei entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als Nachweis ausreichend. Eine Eintragung einzelner Arbeitstage sei allenfalls bei Tagelöhnern erforderlich.

Mit Urteil vom 21.08.2012 gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte, die Altersrente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten als nachgewiesen (zu 6/6) „zu berechnen und zu leisten“. Eine ungekürzte Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem FRG als nachgewiesene Zeiten sei geboten, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehe, dass sie in dem geltend gemachten Umfang ohne relevante Unterbrechungen tatsächlich zurückgelegt worden sind. Adeverintas seien zum Nachweis von Beitragszeiten grundsätzlich geeignet, wenn sie über die bloße Bestätigung von Beginn und Ende der Beschäftigung hinaus Angaben über den Umfang der Beitrags- und Beschäftigungszeiten und insbes. die Unterbrechung durch Fehlzeiten enthalten. Diesen Vorgaben entspreche die Adeverinta Nr. 444. Aus ihr lasse sich entnehmen, dass der Kläger über insgesamt bescheinigte 10 Abwesenheitstage hinaus keine weiteren Fehlzeiten gehabt habe. Die Adeverinta entspreche damit den Anforderungen, die das Bayer. LSG mit Urteil vom 12.07.2000 (L 19 RJ 163/99) aufgestellt habe. Innerhalb eines vollen Kalendermonates bleibe bei einem nach Monaten bezahlten Arbeitnehmer „denkgesetzlich“ neben abschließend dokumentierten Fehlzeiten kein Raum für Unklarheiten, mit denen Zweifel an einer kontinuierlichen Beitragszahlung begründet werden könnten.

Am 06.12.2012 legte die Beklagte Berufung ein und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung aus der erstinstanzlichen Entscheidung. Diesem Antrag wurde mit Beschluss vom 05.03.2013 stattgegeben. Die Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor, die streitigen Zeiten seien nach wie vor lediglich als glaubhaft gemacht anzuerkennen. Die Adeverinta Nr. 444 werde als sog. „3-Spalten-Bescheinigung“ den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen für den Nachweis von Beitragszeiten nicht gerecht. Sie weise lediglich Anfang und Ende der Beschäftigung sowie Ausfallzeiten, nicht jedoch die in den einzelnen Jahren und Monaten tatsächlich geleisteten Arbeitstage nach. Der erkennende Senat habe mit Urteil vom 21.12.2010 (AZ L 6 R 342/09) gefordert, dass den vorgelegten Bescheinigungen im einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein müssten. Auch habe eine andere Kammer des SG München bereits entschieden, dass mit einer 3-Spalten-Bescheinigung der Nachweis nicht geführt sei, dass die Lohnlisten ordnungsgemäß ausgewertet und dass während des gesamten Beschäftigungszeitraums lückenlos Beiträge entrichtet worden seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2014 bestätigte der Bevollmächtigte des Klägers, dass die archivierten Lohn- und Gehaltslisten des Klägers keine über die Adeverinta Nr. 444 hinausgehenden Angaben enthalten, insbesondere keine Angaben über die tatsächlichen Arbeitstage. Die Listen weisen jeweils nur die für jeden einzelnen Monat gezahlten Löhne sowie eventuelle Lohnabzüge unter Benennung des Unterbrechungssachverhaltes auf.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.08.2012 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012 abzuweisen.

der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, eine Aufstellung der einzelnen Arbeitstage sei entbehrlich. Der Versicherte müsse nicht einen Nachweis über geleistete Arbeitstage vorlegen, sondern den Nachweis führen, dass weniger Fehlzeiten vorhanden sind, als vom Gesetz mit der pauschalen Kürzung um 1/6 angenommen. Diesen Nachweis habe der Kläger als Monatslöhner mit der Vorlage einer 3-Spalten-Bescheinigung hinreichend erbracht.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Berufungsakte, die Akte des Sozialgerichts München sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Berücksichtigung der in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten in vollem Umfang verurteilt. Die streitgegenständlichen Bescheide, mit denen die Beklagte die Anrechnung in Höhe von lediglich 5/6 bestätigt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Allerdings ist zunächst festzustellen, dass die von der Beklagten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Rentenbewilligung vorgeschlagene Vorgehensweise im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 06.05.2010 (B 13 R 118/08 R) unzutreffend war. Nach dieser Entscheidung werden durch den Rentenbescheid alle früheren Vormerkungsbescheide ersetzt, so dass es regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis des Versicherten für ein besonderes Verfahren zur Korrektur von Vormerkungen rentenrechtlicher Zeiten fehlt. Dies steht jedoch vorliegend einer sachlichen Überprüfung der streitgegenständlichen Bescheide nicht entgegen. Im Hinblick auf die von der Beklagten angeregten Rücknahme des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 12.09.2011 kann vorliegend der Bescheid vom 20.12.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2012, mit welchem eine Anrechnung der streitigen Zeiten zu 6/6 nochmals ausdrücklich abgelehnt wurde, als Ergebnis einer Überprüfung des rechtskräftigen Altersrentenbescheides vom 12.09.2011 nach § 44 SGB X angesehen werden.

Zutreffend hat die Beklagte die Anerkennung der vom Kläger in Rumänien zurückgelegten Beschäftigungszeiten im Umfang von 6/6 abgelehnt. Nach § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Buchst. a Fremdrentengesetz (FRG) stehen bei einem anerkannten Vertriebenen - wie vorliegend dem Kläger - die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Allerdings findet nach § 22 Abs. 3 FRG in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1992 geltenden Fassung bei lediglich glaubhaft gemachten Beitrags- oder Beschäftigungszeiten eine wertmäßige Kürzung der zu ermittelnden Entgeltpunkte auf fünf Sechstel statt. Die Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet (nur) diesem Umfang entspricht (BSG SozR 5050 § 15 Nrn. 4 und 16 m. w. N.). Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber den in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss daher eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen werden. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber aus der Sicht eines vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen vollständig zu schweigen haben (vgl. BSGE 6, 144; 20, 255; Bayer. LSG, vom 26.07.2006, Az.: L 16 R 100/02 m. w. N.).

Es darf danach vorliegend kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr daran bestehen, dass die - eine höhere Beitragsdichte als 5/6 erreichenden - geltend gemachten Beitrags- und Beschäftigungszeiten ohne Unterbrechungstatbestände zeitlich lückenlos zurückgelegt worden sind. Nachgewiesen sind tatsächliche Beitragszeiten allerdings nicht bereits dann, wenn lediglich Anfang und Ende des jeweiligen Zeitraums einer beitragspflichtigen Beschäftigung genau bekannt sind. Vielmehr muss darüber hinausgehend auch feststehen, dass währenddessen keine Ausfalltatbestände (krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, unbezahlter Urlaub, unentschuldigte Fehlzeiten etc.) eingetreten sind, die zu einer - wenn auch nur vorübergehenden - Unterbrechung der Beitragsentrichtung geführt haben können. Das Gericht muss hierbei aufgrund konkreter und glaubhafter Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Ausfallzeiten davon überzeugt sein, dass im Einzelfall eine den Anteil von fünf Sechsteln übersteigende höhere Beitragsdichte erreicht worden ist. Es müssen den vorgelegten Unterlagen mithin im Einzelnen die jeweiligen Unterbrechungszeiträume genau zu entnehmen sein bzw. es muss eindeutig feststehen, dass eine bestimmte Beschäftigungszeit tatsächlich nicht unterbrochen gewesen ist (vgl. BSGE 38, 80; BSG vom 24.07.1980, Az.: 5 RJ 38/79; BSG vom 20.08.1974, Az.: 4 RJ 241/73; LSG Hessen vom 28.03.2008, Az.:L 5 R 32/07).

Ausgehend von diesen Grundsätzen können die vom Kläger behaupteten rumänischen Beitragszeiten nur als glaubhaft gemacht, nicht aber als nachgewiesen angesehen werden. Zunächst kann dem Arbeitsbuch des Klägers nur entnommen werden, dass dieser in Rumänien zu bestimmten Zeiten in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und dass er grundsätzlich der Beitragspflicht zur dortigen Rentenversicherung unterlag. Dies schließt hingegen nicht aus, dass in die bescheinigten Anstellungszeiten auch Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung gefallen sind, die im rumänischen Sozialversicherungsrecht unabhängig von einer Beitragsentrichtung durch den Arbeitgeber voll als Beschäftigungszeit anerkannt wurden. Der Nachweis einer lückenlosen tatsächlichen Beitragsentrichtung während der gesamten bestätigten Zeiten kann mit den Angaben aus dem Arbeitsbuch damit regelmäßig nicht geführt werden. Dieses kann grundsätzlich nur als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden (vgl. LSG Hessen a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

Gleiches gilt für die vom Kläger vorgelegten Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten. Das Landessozialgericht für das Saarland hat in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 14.10.2005 (L 7 RJ 98/03) die Auffassung vertreten, dass Arbeitsbescheinigungen aus Rumänien (Adeverintas) auch dann, wenn sie auf der Grundlage von Lohnlisten erstellt worden sind, grundsätzlich nicht geeignet sind, den vollen Beweis für die ununterbrochene Zurücklegung von Versicherungszeiten zu erbringen. Diese Entscheidung überzeugt insbesondere im Hinblick auf die Besonderheiten des rumänischen Arbeitsrechts, wonach beispielsweise bei Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich Beihilfeleistungen erbracht wurden und bei krankheitsbedingten Fehlzeit von 90 Tagen die Beschäftigung als nicht unterbrochen galt. Weiter galten als Beschäftigungszeiten auch solche Zeiten, in denen ein Arbeitnehmer beruflich oder politisch ausgebildet wurde. Die dem deutschen Rentenrecht eigene Unterscheidung zwischen Beitragszeiten und beitragslosen Versicherungszeiten kannte das rumänische Recht insoweit nicht (vgl. LSG Saarland, a. a. O.; Hessisches LSG, Urteil vom 27.1.2004, Az.: L 2 RJ 1062/02m. w. N.; Urteil vom 28.03.2008, Az.: L 5 R 32/07 m. w. N.)

Es kann offen bleiben, ob der Auffassung des LSG Saarland zu folgen ist, da die im hier zu entscheidenden Fall vom Kläger vorgelegten Adeverintas den Nachweis im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit für eine Beschäftigung mit einer den Anteil von 5/6 übersteigenden Beitragsleistung bereits aufgrund ihrer beschränkten Aussagekraft nicht zu erbringen vermögen. Die Bescheinigung der „Mechanischen Werke T.“ (Adeverinta Nr. 20948) vom 20.12.1980 enthält über die Bestätigung der reinen Beschäftigungszeiten hinaus keinerlei Angaben und ist somit per se zum Nachweis einer entsprechenden Beitragsdichte ungeeignet. Aber auch die Bescheinigung Nummer 444 vom 24.10.2011 vermag diesen Nachweis nicht zu führen. Zwar werden im Rahmen einer Zeilen- und Spaltenübersicht dezidiert nach Monaten sowie nach Grund der Abwesenheit nur insgesamt 10 Tage an Fehlzeiten ausgewiesen. Weiter wird pauschal bestätigt, dass die „Beiträge zur Sozialversicherungskasse während des gesamten Beschäftigungszeitraums gezahlt“ und die Angaben den im Archiv befindlichen Lohn- und Gehaltslisten/Anwesenheitslisten entnommen worden sind. Gleichwohl verbleiben für den Senat bei Würdigung dieser Bescheinigung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des rumänischen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie nach den Umständen des Einzelfalles begründete Zweifel an ihrer Beweiskraft.

Um die im Rahmen des zu erbringenden Vollbeweises erforderliche Plausibilitätsprüfung einer über 5/6 liegenden Beitragsdichte durchführen zu können, ist zu fordern, dass Lohn- und Gehaltslisten bzw. die Auszüge hieraus jedenfalls monats- bzw. jahresbezogene Angaben über die jeweilige Zahl der Arbeitstage (ggf. unter Berücksichtigung gesetzlicher Feiertage) sowie sämtlicher Absenzen enthalten. Diesbezüglich hält der Senat die in der vorliegenden Bescheinigung vorgenommene Aufteilung lediglich nach Krankheitszeiten, unbezahltem Urlaub und sonstigen unbezahltem Abwesenheiten nicht für ausreichend. Um eine Kongruenz zwischen der Anzahl der Arbeitstage insgesamt und den tatsächlichen Anwesenheitszeiten feststellen bzw. mögliche Widersprüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können, sind zudem valide Angaben über Beginn und Ende aller Unterbrechungszeiträume erforderlich. Für den Beweiswert von Lohn und Gehaltslisten und der auf ihrer Grundlage erstellten Adeverintas ist insoweit von Bedeutung, dass auch das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen sowie der Umfang bezahlter Abwesenheiten wie gesetzlicher Urlaub (unter Angabe des individuellen Urlaubsanspruchs), Fortbildungen, Dienstbefreiungen, Krankheitstage mit/ohne Lohnfortzahlung etc. ausgewiesen werden. Die Auszüge aus den Lohn- und Gehaltslisten können vorliegend aufgrund ihres lediglich rudimentären Gehaltes keine hinreichend sicheren Aussagen darüber machen, in welchem Umfang der Kläger nach dem Arbeitsverhältnis zur Arbeitsleistung angehalten war und in welchem potentiell beitragspflichtigen Umfang er dieser Obliegenheit auch tatsächlich nachgekommen ist. Sie vermögen in ihrer Pauschalität eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für eine über 5/6 liegende Beitragsleistung des Klägers damit nicht zu begründen.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass im vorliegenden Fall bereits die Lohn- und Gehaltslisten die vom Senat geforderten weitergehenden Angaben nicht enthalten, kann dies eine abweichende Beurteilung nicht rechtfertigen. Die insofern bestehende Lückenhaftigkeit dieser Listen - deren Beiziehung im Hinblick auf die glaubhaften Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers nicht erforderlich war - führt nicht dazu, dass die vom Gesetz aufgestellten Beweisanforderungen (Nachweis i. S. d. Vollbeweises) reduziert werden könnten. Denn dann müssten für alle weiteren nach dem Fremdrentengesetz berechtigten Personenkreise, welche sich nicht auf die rumänische Besonderheit archivierter Lohn- und Gehaltslisten berufen können, aufgrund eines insoweit zu unterstellenden Beweisnotstandes ebenfalls geringere Anforderungen gelten. Das Gesetz sieht aber für Konstellationen, in welchen ein Nachweis nicht vollumfänglich geführt werden kann, gerade den erleichterten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung der Beitragszeiten mit der Folge vor, dass ein pauschalierter Abschlag um ein Sechstel hinzunehmen ist. Dieser gesetzlichen Systematik kann sich auch der Kläger nicht entziehen.

Diesem Ergebnis steht auch das vom Klägerbevollmächtigten herangezogene Urteil des Bayer. LSG vom 08.07.1997 (L 5 Ar 475/95) nicht entgegen. Zum einen ist nicht erkennbar, ob diese Entscheidung eine Adeverinta bzw. Lohn- und Gehaltslisten betrifft, welche in Form und Inhalt den vorliegend zu beurteilenden vergleichbar sind. Zum anderen wurde im dort entschiedenen Fall die maßgebliche Bescheinigung durch Zeugenaussagen untermauert. Letztlich darf diese Entscheidung als überholt angesehen werden, da im Zeitpunkt des dortigen Urteils neuere Erkenntnisse über die in Rumänien geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Besonderheiten noch nicht bekannt waren. Insbesondere lag das vom LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 9 RJ 2551/98 eingeholte Gutachten des Institutes für Ostrecht vom 15.12.1999 noch nicht vor. Auch die vom LSG Baden-Württemberg in der Folge getroffene Entscheidung ist nicht geeignet, einen Anspruch des Klägers zu begründen. Das entsprechende Urteil vom 11.12.2000 (L 9 RJ 2551/98) gab zwar der dortigen Berufung des Klägers statt, fordert jedoch ebenfalls, dass aus der Bescheinigung nicht nur Fehlzeiten sondern auch die tatsächlich geleisteten Arbeitstage vollständig hervorgehen und konkrete Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und der dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen müssen. Welche Form von Adeverinta dieser Entscheidung zugrunde lag, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Festzuhalten ist, dass die vorliegend zu beurteilende Bescheinigung auch nach den vom LSG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 11.12.2000 (a. a. O.) statuierten Anforderungen eine über 5/6 liegende Beitragsdichte lediglich glaubhaft macht, jedoch nicht nachweist.

Es kann letztlich auch offen bleiben, ob - wie vom SG und auch vom 19. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 14.05.2002, L 19 RJ 514/01) vertreten - allgemein keine zu hohen Anforderungen an Adeverintas gestellt werden dürfen. Nach Ansicht des 19. Senats genügt es insoweit, wenn die Bescheinigungen eine jahres- bzw. ggf. monatsbezogene Aufschlüsselung der Fehlzeiten ausweisen und den Lohnlisten aus den Archiven der Arbeitgeber entnommen wurden. Mehr oder weniger unvermeidbare Ungenauigkeiten, die sich bei der Auszählung von Arbeitstagen ergeben können, seien im Ergebnis bedeutungslos, da eine Vielzahl von Gründen denkbar sei, warum die tatsächlichen Arbeitstage geringer ausfallen könnten als die kalendarisch möglichen. Der dort zu entscheidende Fall unterscheidet sich vom hier zu beurteilenden insoweit, als der dortigen Entscheidung ausweislich des Tatbestandes gerade keine sog. „3-Spalten-Beschei- nigung“ sondern eine dezidierte, insbesondere nach gearbeiteten Tagen, Erholungs- und Krankenurlaub, unbezahltem Urlaub, Studienurlaub, freien Tagen und unentschuldigtem Fehlen aufgeschlüsselte Bescheinigung zugrunde lag.

Das Urteil des Sozialgerichts war dementsprechend aufzuheben und die Klage mit der Kostenfolge des § 193 SGG abzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.