Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 30. Mai 2018 - L 5 U 77/14

bei uns veröffentlicht am30.05.2018

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 8. September 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung – BKV – (von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten) – im Folgenden: BK 3102 – besteht.

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Der 1959 geborene Kläger war ab Juli 1984 als Forstwirt tätig. Am 2. September 2003 unterzog er sich einer Operation an seiner Wirbelsäule im Segment L 5/S1.

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Im Dezember 2005 erfolgte durch das Forstamt P. (Arbeitgeber) eine BK-Anzeige bei der Beklagten. Beim Kläger sei es am 14. November 2005 zu Lähmungserscheinungen gekommen. Im Klinikum M. sei eine Borreliose festgestellt worden. Diese führe der Kläger auf seine Tätigkeit als Waldarbeiter infolge Zeckenbissen zurück.

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Die Beklagte holte die Auskunft des Forstamtes P. vom 17. Januar 2006 ein, in der u. a. angegeben wurde, der Kläger sei seit dem 14. November 2005 arbeitsunfähig und in den 90ger Jahren mit Zecken beruflich in Berührung gekommen. Der Arbeitgeber überreichte eine Kopie des Arbeitsschutzkontrollbuches vom 30. Mai 1999, wonach auch der Kläger im Juni 1999 mehrfach durch Zecken befallen gewesen sei.

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Die Beklagte zog ferner von der AOK Mecklenburg-Vorpommern ein Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitszeitenverzeichnis über den Kläger bei. Hierin war ab dem 14. November 2005 eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers u. a. wegen der Diagnose „Lyme-Krankheit“ sowie anhaltende somatoforme Schmerzstörung aufgeführt. Für die Zeit vom 21. August 2003 bis 31. Oktober 2004 war eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose „Lumboischialgie“ aufgeführt. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbalgie fanden sich bereits im Jahr 1992 und 1994 sowie vermehrt ab dem 2. März 2000.

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Die Beklagte zog des Weiteren die Epikrise des Klinikums M. vom 9. Januar 2006 bei, in der über die dortige stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 14. bis 25. November 2005 berichtet wurde (Diagnosen: Lyme-Arthritis mit Schmerzfaser-Polyneuropathie, reaktive Depression und chronisches Schmerzsyndrom bei Z. n. Bandscheiben-OP). Hierin hieß es zusammengefasst u. a., laborchemisch sei eine abgelaufene Borrelien-Infektion nachweisbar gewesen. Es werde davon ausgegangen, dass beim Kläger in der Vergangenheit eine Borrelien-Infektion mit einer lumbalen Plexusneuritis abgelaufen sei. Aus dieser Infektion habe sich im Verlauf eine Lyme-Arthritis sowie ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Aufgrund der chronischen Schmerzen habe sich eine reaktive Depression eingestellt. Die Lyme-Arthritis, die im Sinne einer Autoimmunreaktion bei abgelaufener Borrelien-Infektion zu werten sei, sei mit hochdosierten Kortison-Infusionen behandelt worden.

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Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin DM J. vom 24. Januar 2006 ein die angab, der Kläger habe am 2. September 2005 über unklare Gelenkbeschwerden in den Händen und Schmerzen im linken Arm und linken Bein geklagt. Die Laborwerte vom 2. September 2005 hätten einen fraglichen positiven Borrelia-burgdorferi IgG-AK ergeben. Sie fügte den Arztbrief der Internistin Dr. B. vom 7. Oktober 2005 bei, wonach sich beim Kläger zur Zeit kein Anhalt für eine rheumatische Erkrankung ergebe. Die Beklagte zog des Weiteren Unterlagen der Universitätsklinik Greifswald über die im September 2003 durchgeführte Operation an der Wirbelsäule des Klägers bei und holte den Befundbericht des Orthopäden Dr. T. vom 6. August 2004 ein, der über Behandlungen des Klägers in der Zeit vom 29. November 2001 bis 19. Januar 2004 wegen der gestellten Diagnosen chronische Lumbalgie und Zustand nach NPP-OP L5/S1 rechts (9/03) berichtete. Der Neurochirurg Dr. N. berichtete in seinem Befundbericht vom 23. Februar 2004 über Behandlungen des Klägers in der Zeit von Mai 2003 bis Februar 2004 wegen eines Zustandes nach Bandscheibenprolapsoperation (L5/S1, 09/03) sowie eines pseudoradikulären lumbalen Schmerzsyndroms links. Seinem Befundbericht fügt er u. a. die Berichte der Radiologen über das MRT der LWS des Klägers vom 14. Dezember 2001 und 3. Juni 2003 bei sowie die Epikrise des Universitätsklinikums x vom 10. September 2003. Schließlich zog die Beklagte das chirurgische Gutachten des Dr. E. vom 29. November 2004 bei.

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Die Beklagte zog weiterhin medizinische Unterlagen über den Kläger von der Arbeitsmedizinischen Beratungs- und Untersuchungsstelle Stralsund bei. Hierin fand sich erstmals für den März 1992 ein positiver Antikörper-Nachweis gegen Borrelien sowie ebenfalls positive Laborbefunde aus dem Jahr 1994.

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Die Beklagte führte sodann das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Prof. Dr. Dr. x vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein vom 24. August 2006 herbei. Gegenüber Prof. x gab der Kläger an, bei seiner Arbeit als Waldarbeiter täglich von fünf bis sechs Zecken gestochen worden zu sein, maximal habe er einmal 20 saugende Zecken an einem Tag entfernt.

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Prof. X führte in seinem Gutachten folgende Diagnosen auf:

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1. Z. n. Borrelien-Infektion ohne sicheren Anhalt für eine Borreliose im Sinne einer BK 3102

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2. Fibromyalgie

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3. Z. n. Bandscheiben-OP (09/2003).

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Zusammenfassend führte Prof. X aus, beim Kläger seien seit mindestens 1992 wiederholt positive Borrelien-Titer zu bestimmen gewesen, welche jedoch nicht mit klinischen Gesundheitsstörungen im Sinne einer BK 3102 einhergingen. Beim Kläger sei lediglich die haftungsbegründende Kausalität erfüllt (Zeckenstich und Borrelienkontakt), die haftungsausfüllende Kausalität (Krankheit durch diesen Zeckenstich) sei nicht gegeben. Der Zustand nach Borrelien-Infektion rechtfertige keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), da lediglich eine serologische Narbe bestehe, welche keine Beschwerden begründe.

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Für den Zustand nach Borrelien-Infektion sprächen die Aktenlage mit frühzeitiger Nennung einer Serokonversion, die Angaben des Klägers zur Häufigkeit von Zeckenstichen während seiner Arbeit als Waldarbeiter sowie die Ergebnisse der serologischen Untersuchungen anlässlich der durchgeführten Begutachtung (mit Nachweis erhöhter Borrelien-IgG-Antikörper, IgM-Antikörper negativ). Laut Akte werde erstmals für den März 1992 ein positiver Antikörper-Nachweis gegen Borrelien beschrieben, für spätere Zeitpunkte fänden sich ebenfalls positive Laborbefunde von 1994, 1998 sowie neueren Datums. Nach der allgemeinen anerkannten Lehrmeinung über Borreliosen hätten Wald- und Forstarbeiter ein um den Faktor fünf bis 10 erhöhtes Risiko, an einer Borrelien-Infektion zu erkranken. An einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der bei ihm festgestellten Antikörperbildung gegen Borrelien als Ausdruck einer Infektion bestehe kein vernünftiger Zweifel. Ein Zusammenhang zwischen der nachgewiesenen Infektion und den Beschwerden sei im Gegensatz dazu nicht wahrscheinlich. Bereits die anamnestisch beschriebenen Rötungen, die vom Kläger als Wanderröte eingeschätzt worden seien, seien untypisch verlaufen. Sie seien nicht „gewandert“ und wiesen eher auf allgemeine Infektion des Zeckenstichs z. B. durch Stich in verunreinigter Haut oder mangelnder Hygiene bei der Entfernung der Zecken hin. So seien die Rötungen immer relativ klein gewesen bis ca. fünf Zentimeter Durchmesser. Nur einmal habe der Kläger eine ca. 20 Zentimeter große Rötung mit Juckreiz am Arm gehabt. Die Hausärztin habe ihn „wegen Borreliose Tabletten abholen lassen“. Um diese Zeit hätten beim Kläger neben der beschriebenen Hautrötung keine Beschwerden bestanden und seien auch nicht im engeren zeitlichen Zusammenhang dazu aufgetreten. Damit bestünden keine Anhaltspunkte für eine abgelaufene akute Borreliose. Nach guter ärztlicher Praxis sei eine ausreichende Behandlung anzunehmen, wenn die vom Kläger beschriebene Therapie tatsächlich Antibiotika beinhaltet hätte, was den Akten jedoch nicht entnommen werden könne. Auch der relativ niedrige Antikörper-Titer gegen Borrelien spreche gegen eine abgelaufene chronische Infektion bei vorbestehender Borreliose, bei der ein hoher Titer zu erwarten wäre. Im Krankenhaus M. werde die Symptomatik auf eine möglicherweise abgelaufene Plexusneuritis bei Borreliose zurückgeführt. Ein solcher Verlauf sei nach einer Borrelien-Infektion zwar möglich, jedoch sehr selten. Das Ergebnis der im Klinikum M. durchgeführten Liquor-Punktion biete keinen Hinweis auf eine autochtone Immunglobulinsynthese oder die für eine Neuroborreliose kennzeichnende Pleozytose im Liquor. Dies spreche gegen eine aktive Neuroborreliose. Die These, dass die Beschwerden auf einer abgelaufenen, inaktiven Neuroborreliose beruhten, für die klinisch keine Hinweise mehr zu finden seien, könne definitionsgemäß nicht ausgeschlossen werden. In der Regel seien neurologische Störungen durch einen lokalisierten Schaden wie z. B. einer Plexusneuritis auch klinisch eindeutig zu lokalisieren, wohingegen der Kläger rasch springende Gelenk- und Bindegewebsbeschwerden beschreibe. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand gehe bei einer abgelaufenen Borreliose die neurologische Symptomatik im Laufe von vier Jahren zurück, der Kläger beschreibe jedoch eine unverändert progrediente Symptomatik. Die Serokonversion sei vor mehr als 10 Jahren eingetreten, eine „Borrelienexposition“ bestehe seit ca. zwei Jahren nicht mehr, für eine aktive oder persistierende Infektion fänden sich keine Anhaltspunkte. Hinzu komme, dass in der Regel Borrelien vorzugsweise entweder Arthritiden oder Neuritiden verursachten, ungewöhnlich seien die vom Kläger geäußerten Beschwerden springender Arthritiden und gleichzeitiger diffuser neuropathisch anmutender Schmerzen.

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Für eine Fibromyalgie sprächen das Bestehen diffuser Beschwerden im gesamten Körper seit ca. zwei Jahren. Borreliosen gehörten zu den Differenzialdiagnosen einer Fibromyalgie. Aufgrund der diffusen neurologischen Symptomatik und klinisch im Vordergrund stehender Schmerzbeschwerden sei eine zweifelsfreie Zuordnung der Beschwerden zu den Folgen eines eventuell vorgelegenen Bandscheibenvorfalls und der einer Fibromyalgie zugehörigen diffusen Symptomatik nicht medizinisch zu begründen. Der Verlauf und die klinisch-chemischen Laboruntersuchungen sprächen gegen eine borrelienbedingte Verursachung der Schmerzen des Klägers. Es sei nach Aktenlage nicht klar ersichtlich, ob beim Kläger überhaupt eine ausreichende Antibiotikatherapie wegen einer Borrelieninfektion durchgeführt worden sei. Eine solche Therapie würde heute bei dem dann anzunehmenden Stadium III einer Borreliose in der Behandlung mit beispielsweise Ceftriaxon bestehen.

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Aufgrund der Ausführungen im Gutachten des Prof. X wurde beim Kläger im Juli 2007 eine Infusionstherapie mit Ceftriaxon durchgeführt. Die Beklagte holte sodann den Befundbericht der DM J. vom 16. September 2008 ein, die mitteilte, eine Befundbesserung sei beim Kläger nicht eingetreten. Ihrem Bericht fügte diese Ärztin diverse Epikrisen bei, so u. a. der xx-Stiftung Greifswald vom 12. April 2007 und 11. Februar 2008 (Diagnosen dort u. a.: mittelgradig rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung), Epikrisen der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Greifswald vom 2. Oktober 2007 und 2. April 2008 sowie der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität Greifswald vom 17. April 2008.

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Sodann veranlasste die Beklagte eine weitere Untersuchung des Klägers durch den Facharzt für Innere Medizin und Labormedizin Prof. Dr. R.. In seinem auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 13. Juli 2009 beruhenden Gutachten vom 22. Juli 2009 führte dieser Gutachter zusammengefasst aus, die Hauptbeschwerden des Klägers seien Rückenschmerzen mit Ausstrahlung lediglich in das linke Bein sowie Sensibilitätsstörungen gewesen. Im Laufe der Jahre diagnostizierte Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) seien im Jahr 2003 operiert worden. Die aktuell geschilderten Symptome aus dem Jahr 2009 seien identisch (Schmerzen im LWS-Bereich mit Ausstrahlung in das linke Bein, zunehmende Beschwerden beim Laufen). Diese klinische Symptomatik sei nicht typisch für eine Borreliose, sondern sie sei sehr gut mit einem Bandscheibenvorfall und damit verbundenem chronischen Schmerzsyndrom vereinbar und in diesem Zusammenhang zu sehen. Im Jahr 2005 sowie jetzt 2009 seien die Antikörper gegen Borrelia burgdorferi im ELISA und Westernblot-IgG positiv, im IgM Westernblot jeweils negativ. Dies spreche für einen stattgehabten Kontakt mit dem Erreger Borrelia burgdorferi. In Zusammenschau mit der beschriebenen klinischen Symptomatik, der adäquat durchgeführten und nicht erfolgreichen Ceftriaxon-Therapie sei eine Borreliose unwahrscheinlich. Eine BK 3102 liege beim Kläger nicht vor. Bei der Borrelien-Infektion würden nach Zeckenstich drei Erkrankungsphasen unterschieden: Im Stadium I (drei bis 32 Tage nach Infektion) imponiere das Erythema migrans, die Wanderröte, mit Allgemein-Symptomen, Fieber und lokaler Lymphknoten-Schwellung. Im Stadium II (Wochen bis Monate nach Infektion) komme es zur Organ-Beteiligung mit Gelenk-Entzündungen, Herzmuskel-Entzündungen und Herz-Rhythmus-Störungen, Gehirnhaut-Entzündung, Meningoradikulitis, Fazialisparese und Augen-Beteiligungen. Im Stadium III der Erkrankung (Monate bis Jahre nach Infektion) stünden Haut-Beteiligungen (Acrodermatitis chronica atrophicans), Gelenk-Entzündungen und Nerven-Entzündungen im Vordergrund. Die vom Kläger geäußerten Beschwerden seien auf den Bandscheibenvorfall und damit dem chronischen Schmerzsyndrom zuzuordnen.

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Dieser Beurteilung des Prof. R. schloss sich die Gewerbeärztin Dr. G. in ihrer Stellungnahme vom 24. August 2009 an.

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Mit Bescheid vom 21. September 2009 lehnte es die Beklagte ab, beim Kläger eine BK 3102 anzuerkennen. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Der Kläger gehöre aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit zu der Personengruppe, für die ein erhöhtes Risiko bestehe, im Rahmen der Tätigkeit von einer Zecke mit Borrelien infiziert zu werden. In ihren Gutachten seien sowohl Prof. Dr. X als auch Prof. Dr. R. zu dem Schluss gekommen, dass neben dem serologischen Antikörpernachweis gegen Borrelia burgdorferi keine klinischen Symptome diesen zuzuordnen seien. Allein der Nachweis einer stattgehabten Infektion mit Borrelien ohne klinische Symptome stelle keine Erkrankung im Sinne der BK 3102 dar.

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Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 zurück. Ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. R. habe beim Kläger serologisch keine Borreliose nachgewiesen werden können. Im Übrigen seien in den medizinischen Befunden keine klinischen Zeichen einer Entzündung des zentralen Nervensystems beschrieben. Eine berufsbedingte Infektion bzw. Krankheitsursache für die geltend gemachte Erkrankung sei nach gutachterlicher Auswertung der Anamnese sowie im Ergebnis der klinischen Untersuchung und der Labordiagnostik nicht wahrscheinlich. Vielmehr ließen sich die klinischen Beschwerden auf die seit 2000 fortschreitenden ausstrahlenden Beschwerden im Bereich der LWS und anderen Gelenken sowie den im Laufe der Jahre diagnostizierten Bandscheibenvorfällen und damit dem chronischen Schmerzsyndrom zuordnen.

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Der Kläger hat am 18. März 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Stralsund erhoben. Er verweist darauf, dass das Klinikum M. bei ihm eine Borreliose-Erkrankung bescheinigt habe. Die bei ihm bestehende Borreliose könne nur mit einer speziellen Nervenwasseruntersuchung festgestellt werden, was im Klinikum M. geschehen sei. Seine Beschwerden seien keinesfalls auf den Bandscheibenvorfall zurückzuführen. Die beim ihm bestehenden Lähmungserscheinungen und der zunehmende Ausfall seines Kurzzeitgedächtnisses beruhe auf seiner Borreliose-Erkrankung. Er halte die Einholung eines Gutachtens für erforderlich. Der Kläger hat die Epikrise der xx-Stiftung vom 26. November 2010 zu den Akten gereicht, in der unter den Diagnosen u. a. ein Zustand nach Lyme-Arthritis bei Borreliose aufgeführt ist.

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Der Kläger hat beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einen Bescheid zu erlassen, mit dem die Berufskrankheit Borreliose anerkannt wird.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Beim Kläger lasse sich keine Borreliose nachweisen. Die im Krankenhaus M. vermutete abgelaufene Plexusneuritis bei Borreliose sei nicht bestätigt worden. Weder die Serodiagnostik noch der Liquor-Befund vom November 2005 bestätigten eine systematische Borrelien-Infektion. Die Diagnose der vom Kläger geltend gemachten (Neuro)Borreliose ergebe sich unter Hinweis auf die Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie aus der Kombination einer typischen klinischen Symptomatik, entzündlichen Liquor-Veränderungen und dem Nachweis einer intrathekalen borrelienspezifischen Antikörperproduktion. Beim Kläger kämen orthopädische Befunde als Ursache für die geklagten Symptome in Betracht. Aufgrund der Nichterweislichkeit einer Borreliose-Erkrankung könne keine Anerkennung einer BK 3102 erfolgen. Die Beklagte hat in Kopie die Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/071, 4. Auflage 2008) zu den Gerichtsakten gereicht.

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Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des neurologischen Gutachtens des Prof. Dr. Dr. Xy vom 11. April 2012 unter Einschluss eines Liquor-analytischen Zusatzgutachtens des Dr. D. vom 23. März 2012. In seinem Gutachten ist Prof. Xy zu der Einschätzung gelangt, dass beim Kläger keine BK 3102 bestehe. Bei ihm fänden sich Residuen eines S1-Syndroms links mit erloschenem Achillessehnenreflex und einer Sensibilitätsstörung im Bereich des Segmentes S1. Dies sei Folge eines Bandscheibenvorfalles, welcher im Jahr 2003 operiert worden sei. Darüber hinausgehende neurologische Ausfälle hätten nicht festgestellt werden können, zudem gebe der Kläger diffuse Gelenkschmerzen an. Bei den festgestellten Befunden handele es sich nach medizinischem Erkenntnisstand nicht um die Folge einer Borrelien-Erkrankung. Der Kläger sei nicht aufgrund von Zeckenbissen erkrankt.

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Zusammenfassend hat Prof. Xy ausgeführt, der Kläger habe während seiner Tätigkeit als Waldarbeiter (von 1984 bis 2004) multiple Zeckenstiche, zum Teil mit einem Erythem erlitten. Im Jahr 2003 sei eine Bandscheibenoperation in Höhe L5/S1 erfolgt. Im Jahr 2005 sei der Kläger im Universitätsklinikum untersucht worden, es habe sich damals eine Abschwächung des linksseitigen Achillessehnenreflexes sowie eine Sensibilitätsstörung im Dermatom S1 gefunden (Diagnose: Chronische Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links). Exakt der gleiche Befund habe bei der jetzigen Untersuchung festgestellt werden können. Es handele sich klinisch um ein monoradikuläres Syndrom mit Schädigung der S1-Wurzel links. Nunmehr beklagte der Kläger zusätzlich zu den belastungsabhängigen Schmerzen im linken Bein Gelenkbeschwerden mit Schwellungen im Bereich der Hände und Finger, des linken Ellenbogens und des linken Kniegelenkes. Im Jahr 2005 sei der Kläger im Klinikum M. untersucht worden. Damals sei die Diagnose einer Lyme-Arthritis mit Schmerzfaser-Polyneuropathie gestellt worden. Grundlage sei der Liquor-Befund mit Nachweis von Borrelien-IgG-Antikörpern im Serum gewesen. Allerdings sei schon damals keine Produktion des Immunglobulins IgG im Liquor nachgewiesen worden. Da ein Antikörper-Index im Befund erwähnt worden sei, habe er, der Sachverständige (Prof. Xy) mit Einverständnis des Klägers den Liquor-Befund aus M. angefordert, dieser sei jedoch nur unzureichend gewesen. Daraufhin sei eine stationäre Aufnahme des Klägers im Klinikum (vom 6. bis 7. März 2012) zur Wiederholung der Liquor-Diagnostik erfolgt. Aufgrund dessen sei das Zusatzgutachten über die Liquor-Analytik von Dr. D. erstellt worden. In diesem werde dargestellt, dass der entscheidende Borrelien spezifische IgG-Index negativ gewesen sei. Die zur Begutachtung eingesandte Liquor-Probe habe eine normale Zellzahl bei minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung aufgewiesen. Das Zytogramm sei bei geringer Zellausbeute im Präparat ohne pathologischen Befund, die Blut-Liquor Schrankenfunktion sei leicht gestört gewesen. Die quantitative Analyse der lokalen Immunglobulinsynthese im Reiberdiagramm sei wie auch die Untersuchung der oligoklonalen Banden ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulinen gewesen. Damit finde sich in der Liquor-Analyse kein Hinweis für eine akute oder chronische Entzündung des Zentralnervensystems. Aufgrund der expliziten Frage nach einer Neuroborreliose seien auch die Borrelienantikörper aus dem Liquor und der Serumprobe untersucht worden. Dabei habe serologisch eine frühere Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden können. Der qualitative Nachweis von erregerspezifischen Antikörpern im Liquor sei bei normalem Antikörperindex durch passiven Übertritt aus dem Serum zu erklären und nicht als Folge einer Infektion von Gehirn, Rückenmark oder Liquor zu werten. Eine intrathekale Produktion von anti-Borrelien Antikörpern sei nicht nachweisbar gewesen. Bis auf die minimale artifizielle Erythrozytenbeimengung und die Schrankenstörung handele es sich um einen Liquor ohne pathologischen Befund. Die Untersuchung des Liquor/Serumpaares habe keinen Hinweis für eine akute oder chronische intrathekale Entzündung ergeben. Insbesondere finde sich liquor-chemisch kein Anhalt für eine Neuroborreliose. Bei dem borrelienspezifischen IgG handele es sich, wie schon Prof. R. festgestellt habe, um eine immunologische Narbe, die zum Teil lebenslang ohne Krankheitswert erhalten bleibe. Während der akuten Phase komme es zu einem Anstieg des Immunglobulins IgM, welcher signalisiere, dass der Organismus sich aktuell mit dem Borrelienantigen auseinandersetze. Hinweise auf eine solche akute Entzündung bestünden beim Kläger nicht und seien auch bei sämtlichen Voruntersuchungen nicht nachgewiesen worden. Bei einer chronischen Borreliose des zentralen Nervensystems werde im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet, dies werde als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet. Da es sich bei dem IgG um ein kleines Molekül handele, welches die Blut-Hirn-Schranke passiere, müsse ein Index zwischen dem IgG des Liquors und dem IgG des Serums errechnet werden. Nur wenn dieser Index hoch sei, spreche das für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und könne mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Somit habe eine Borreliose ausgeschlossen werden können. Damit hätten die geklagten Beschwerden des Klägers eine andere Ursache. Klinisch handele es sich um ein Resdiuum nach einem S1-Syndrom links. Die geklagten Gelenkbeschwerden könnten u. a. rheumatologischen Ursprungs sein. Hierbei handele es sich allerdings nicht um eine BK 3102.

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Durch Urteil vom 8. September 2014 hat das SG Stralsund die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser habe keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Krankheit als BK 3102. Vorliegend habe zwar eine Infektion mit Borrelien, jedoch keine Borrelioseerkrankung nachgewiesen werden können. Eine gesicherte Neuroborreliose liege nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nur unter folgenden Voraussetzungen vor: Typisches klinisches Bild (Hirnausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, fokale neurologische Ausfälle), Borrelien spezifische IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum, entzündliches Liquorsyndrom mit lymphozytärer Pleozystose, Blut-Liquor-Schrankenstörung und intrathekaler Immunglobulinsynthese, intrathekale Synthese borrelienspezifische Antikörper im Liquor oder positiver kultureller- oder Nukleinsäurennachweis im Liquor und Ausschluss anderer Ursachen für die vorliegende Symptomatik. Aus den genannten Voraussetzungen werde deutlich, dass allein ein typisches klinisches Bild für die Bejahung einer Borreliose nicht ausreichend sei. Die Liquor-Probe vom 6. März 2012 habe nach dem Zusatzgutachten des Dr. D. keinen Nachweis entzündlicher Liquor-Veränderungen und keinen Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese ergeben. Prof. Xy habe in seinem Gutachten vom 11. April 2012 ausgeführt, dass bei einer chronischen Borreliose des zentralen Nervensystems im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet werde, was als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet werde. Da es sich bei dem IgG um ein kleines Molekül handele, welches die Blut-Hirn-Schranke passiere, müsse ein Index zwischen dem IgG des Liquors und dem IgG des Serums errechnet werden. Nur wenn der Index hoch sei, spreche das für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und könne mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Die Ausführungen des Sachverständigen überzeugten. Sie stützten sich auf die Liquor-Probe, deren Untersuchung durch eindeutige und sichere Methoden erfolgt sei. Die Erkenntnisse des medizinischen Gutachters entsprächen auch der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung.

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Gegen das am 11. September 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Oktober 2014 Berufung eingelegt. Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass bei ihm ein für eine Borrelioseerkrankung typisches Krankheitsbild vorliege. Ursächlich für seine Borrelioseerkrankung sei seine langjährige Tätigkeit als Forstarbeiter. Der fortschreitende Ausfall seines Kurzzeitgedächtnisses sei Ausdruck der (Neuro-)Borrelioseerkrankung. Unter keinem medizinischen Gesichtspunkt sei ein Ursachenzusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall herzustellen. Er weise auch auf den fachlichen Widerspruch zwischen den Ausführungen in der Epikrise des Krankenhauses M. und dem später erstellten Gutachten des Prof. Xy hin. Die Ärzte in M. hätten bei ihm eine Borrelioseerkrankung festgestellt, desgleichen der Amtsarzt Fock, der zu demselben Ergebnis aufgrund der jährlich stattgefundenen betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers gelangt sei.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 8. September 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und eine Lyme-Borreliose (Stadium III) sowie eine Lyme-Neuroborreliose (Stadium III) als Berufskrankheit nach der Ziffer 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Es fehle am Nachweis einer Borrelioseerkrankung. Zwar seien seit 1992 beim Kläger wiederholt Borrelien-Antikörper festgestellt worden, welche jedoch nicht mit klinischen Gesundheitsstörungen einhergingen. Befunde, anhand derer die vom Klinikum M. vermutete Lyme-Arthritis objektiviert werden könnte, lägen nicht vor. Auch bei der Liquor-Diagnostik des Klinikums M. sei ein negativer Borrelienbefund erhoben worden. Beim Kläger seien allenfalls Antikörper auf Borrelien nachgewiesen, jedoch keine klinische Gesundheitsstörung sowie kein sicherer Anhalt auf eine Erkrankung im Sinne einer Borreliose. Insoweit verweise sie erneut auf die eingeholten Gutachten.

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Der Senat hat gemäß § 109 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. B. vom 13. Januar 2016. Auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 27. November 2015 hat Dr. B. beim Kläger auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt:

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- Lyme-Borreliose Stadium III
- Lyme-Neuroborreliose Stadium III
- Adipositas (Übergewicht 50 kg)
- Hyperurikämie
- Hypercholesterinämie.

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Die Lyme-Borreliose (Stadium III) sowie die Lyme-Neuroborreliose (Stadium III) stellten beim Kläger Erkrankungen dar, die gesundheitliche Folge einer BK 3102 seien. Für einen ursächlichen Zusammenhang der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Forstwirt mit den genannten Erkrankungen spreche, dass der Kläger als Forstwirt sehr häufig Zeckenstiche erlitten habe und wiederholt eine Erythema migrans aufgetreten sei sowie die anlässlich der Untersuchung des Klägers erhobenen Befunde, die für eine Lyme-Borreliose sprächen. Die aus einer BK 3102 beim Kläger resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei seit 2003 mit 40 % einzuschätzen.

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Zusammengefasst hat Dr. B. ausgeführt, die anamnestischen Angaben des Klägers, die in den Akten dokumentiert seien und die von ihm anlässlich der Untersuchung des Klägers selbst erhobenen Befunde sprächen dafür, dass der Kläger an einer Lyme-Borreliose/-Neurborreliose erkrankt sei. Nach Angaben des Klägers sei dieser während seiner Tätigkeit als Forstwirt (von 1984 bis 2004) wiederholt von Zecken gestochen worden. Zwei bis drei Mal sei eine großflächige Rötung aufgetreten. 1990 habe sich eine Erythema migrans im Rückenbereich entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt sei keine ärztliche Untersuchung oder Behandlung erfolgt. Nach der Erythema migrans 1990 seien keine Beschwerden aufgetreten, vielmehr sei der Kläger von 1990 bis 2003 beschwerdefrei geblieben. Großflächige Rötungen nach Zeckenstich stellten grundsätzlich ein Erythema migrans dar, das für das Frühstadium einer Lyme-Borreliose beweisend sei. Am 22. November 1994 sei die Borrelien-Serologie positiv gewesen. Nachgewiesen worden sei eine starke Erhöhung von IgG Antikörpern als Beweis für die vorausgegangene oder damals bestehende Borrelien-Infektion. Auch der serologische Befund vom 23. Mai 2006 sei hoch pathologisch gewesen.

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Soweit beim Kläger ein Bandscheibenvorfall bei L5/S1 diagnostiziert und im Jahr 2003 auch operiert worden sei, habe es sich hierbei um eine Falschdiagnose gehandelt. Das damals vorliegende Krankheitsbild einer polysegmentalen Neuroradikulitis mit verschiedenen neurologischen Defiziten sei von den Behandlern nicht erkannt worden. Im MRT der LWS vom 3. Juni 2003 werde keine Kompression der Nervenwurzel beschrieben, auf dem Hintergrund dieses Befundes sei die Indikation der Operation fragwürdig.

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In der Epikrise des Klinikums M. vom 9. Januar 2006 sei beim Kläger u. a. die Diagnose Lyme-Arthritis sowie Polyneuropathie gestellt worden. Laborchemisch sei eine abgelaufene Borrelien-Infektion nachgewiesen worden. Es seien rezidivierende Gelenkschwellungen beim Kläger beschrieben worden, die Ausdruck einer Lyme-Borreliose seien. Es seien neurologische Defizite benannt worden, die nicht allein auf einen Bandscheibenvorfall bei L5/S1 zurückgeführt werden könnten, wie die voruntersuchenden Ärzte angenommen hätten. Die Ärzte im Klinikum M. hätten sinngemäß in der Lyme-Borreliose die Ursache für die Gelenkerkrankung und die Schmerzen gesehen.

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Im Jahr 2006 sei beim Kläger ein schiefer Mund festgestellt worden, es sei zu einer Rückbildung nach Behandlung gekommen. Bei dem Symptom „schiefer Mund“ handele es sich offensichtlich um eine periphere Fazialisparese, eine Erkrankung, die für eine Lyme-Borreliose typisch sei. Mit diesem Befund habe sich der Gerichtssachverständige Prof. Xy in seinem Gutachten nicht auseinandergesetzt.

44

Soweit Prof. Xy darauf hinweise, dass 2006 im Klinikum M. keine Produktion des Immunglobulins IgG im Liquor nachgewiesen worden sei und es im Zusatzgutachten des Dr. D. heiße, dass der entscheidende Borrelien-spezifische IgG-Index negativ gewesen sei, seien dies keine Argumente, die gegen das Vorliegen einer Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose sprächen. Bei einer Lyme-Arthritis und einer Polyneuropathie sei der Liquor unauffällig, es sei denn, dass gleichzeitig eine Erkrankung des zentralen Nervensystems vorliege. Insbesondere bei einer Neuroradikulitis (Morbus Bannwarth) liege keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen vor. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Xy sei jedoch eine Störung der Blut-Liquor-Schranke festgestellt worden, was ein Indiz für eine stattgehabte oder bestehende Entzündung im zentralen Nervensystem darstelle. Ein positiver IgG-Index träte bei Neuroradikulitis nur in einem Teil der Fälle auf. Ein negativer IgG-Index stehe also der Diagnose einer Lyme-Neuroborreliose nicht entgegen. Über Liquor-Befunde bei der Neuroradikulitis liege keine ausreichende wissenschaftliche Literatur vor. Die vorliegende Datenlage, insbesondere die polysegmentale Neuroradikulitis könne nach differenzialdiagnostischer Analyse nur auf eine Lyme-Borreliose bezogen werden. Soweit im Liquor eine leicht gestörte Blut-Liquor-Schrankenfunktion festgestellt worden sei, sei eine solche Störung stets Ausdruck einer stattgehabten oder vorliegenden Entzündung im zentralen Nervensystem, die Albuminkonzentration im Liquor stelle einen signifikant pathologischen Befund dar.

45

Soweit darauf hingewiesen worden sei, dass das Fehlen von IgM-Antikörpern gegen eine akute Entzündung spreche, sei diese Behauptung unzutreffend. IgM-AK träten sowohl in der Frühphase als auch im Spätstadium nur in einem geringen Teil der Fälle auf. Ein pathologischer serologischer Befund, in welcher Form auch immer, belege lediglich die stattgehabte Infektion, lasse jedoch keine Aussage über Existenz und Ausmaß der Erkrankung zu. Auch sei es nicht zutreffend, dass nur ein positiver Antikörper-Index im Liquor mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden könne. Auch diese Aussage sei falsch. Ein Antikörper-Index könne über viele Jahre persistieren und zwar nach Abheilung einer Lyme-Borreliose. Prof. Xy wolle offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass bei einem fehlenden Antikörper-Index im Liquor eine Lyme-Borreliose im Spätstadium ausgeschlossen sei. Diese Annahme sei falsch. Es existiere keine Literatur über die Häufigkeit eines erhöhten Antikörper-Index bei Neuroradikulitis. Ein positiver Antikörper-Index werde überdies entsprechend der Leitlinie „Neuroborreliose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nur im Zusammenhang mit einer akuten Neuroborreliose gefordert, nicht aber für eine Lyme-Borreliose im Spätstadium und schon gar nicht für die Diagnose einer Neuroradikulitis im Spätstadium.

46

Soweit Prof. R. in seinem Gutachten darauf hinweise, dass auch unter Berücksichtigung der adäquat durchgeführten und nicht erfolgreichen Ceftriaxon-Therapie das Vorliegen einer Borreliose unwahrscheinlich sei, werde darauf hingewiesen, dass eine stattgehabte Ceftriaxon-Therapie den Akten nicht zu entnehmen sei. Doch selbst wenn eine solche Ceftriaxon-Therapie erfolgt sein sollte, würde dies einen Zeitraum betreffen, in dem sich der Kläger bereits seit Jahren im Spätstadium der Lyme-Borreliose befunden hätte. In einer derartigen Situation sei die vom Vorgutachter angesprochene „adäquate antibiotische Behandlung“ in 50 % der Fälle nicht wirksam. Die angeblich „adäquate, nicht erfolgreiche Ceftriaxon-Therapie“ schließe daher eine Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose im Stadium III keinesfalls aus.

47

Die Beklagte hält das Gutachten des Dr. B. für eine Entscheidungsfindung nicht für geeignet. Die auf Annahme und Interpretation beruhende Argumentationskette werde den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweisanforderungen nicht gerecht. Der Sachverständige unterstelle klinische Befunde und gehe nicht nach serologischen Werten. Da aber die Symptomatik unspezifisch sei, komme den serologischen Untersuchungen doch eine erhebliche Bedeutung zu. Es würden andere in Betracht zu ziehende Ursachen für die bestehende Symptomatik negiert, obwohl entsprechende Befunde nachgewiesen seien. Ausweislich der Behandlungsunterlagen bestünden beim Kläger seit einer Bandscheibenoperation von September 2003 persistierende Beschwerden, welche aus neurochirurgischer Sicht als pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bzw. als chronische Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links beurteilt worden seien (Epikrise des Klinikums Plau am See vom 23. Juli 2004, Blatt 41 VA; Bericht des Dr. N. vom 23. Februar 2004, Blatt 60/61 VA). Bereits im Laborbefund vom 21. Januar 2004 seien reaktive Arthritiden ausgeschlossen worden, ein entzündliches Geschehen habe sich auch nicht aus dem Laborbefund vom 7. September 2005 (Blatt 67, 39 R VA) ergeben. Die geäußerte Verdachtsdiagnose aus dem Klinikum M. hinsichtlich des Vorliegens einer Lyme-Arthritis entspreche nicht dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand, zumal auch die dort durchgeführte Liquor-Untersuchung einen negativen Borrelienbefund ergeben habe.

48

Im Gutachten vom 11. April 2012 sei der Sachverständige Prof. Xy zu der Beurteilung gelangt, dass die beim Kläger geltend gemachten Beschwerden nicht durch eine chronische Borrelien-Erkrankung zu erklären seien. Letztlich habe anhand der ausführlichen Liquor-Diagnostik eine chronische intrathekale Entzündung, insbesondere eine Neuroborreliose, ausgeschlossen werden können. Die Beweisführung im Gutachten des Dr. B. zur Diagnose der Lyme-Borreliose beruhe auf Differenzial- bzw. Ausschlussdiagnostik. Diese Beweisführung entspreche nicht dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweismaßstab. Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität sei die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Der medizinische Sachverständige habe sich bei der ihm obliegenden objektiven Beurteilung am aktuellen wissenschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnisstand zu orientieren. Dies sei momentan die AWMF-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Registriernummer 030/071 – Neuroborreliose.

49

Zu den Ausführungen im Gutachten des Dr. B. hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Xy vom 21. Juli 2016 eingeholt. Prof. Xy hat ausgeführt, er habe in seinem Gutachten die Diagnosen eines Residuums eines S1-Syndroms mit erloschenem Achillessehnenreflex und entsprechenden Sensibilitätsstörungen (nach 2003 operierten Bandscheibenvorfall) und den Ausschluss einer Borrelienerkrankung gestellt. Es sei festgestellt worden, dass keine BK 3102 bestehe. Entscheidend sei das liquoranalytische Gutachten des Dr. D. gewesen, welches bei der Liquor-Analyse eine normale Zellzahl mit unauffällig konfigurierten Zellen nachgewiesen habe, ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulin. Es habe zwar serologisch eine länger zurückliegende Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden können, wobei der Antikörper-Index normal gewesen sei und dass ausgeschlossen habe werden können, dass sich im zentralen Nervensystem ein von Borrelien abhängiges Immungeschehen abgespielt habe. Es werde im Gutachten ausgeführt, dass nur wenn dieser Index hoch sei, eine Produktion des spezifischen Borrelien IgG nachgewiesen werden könne. Dies sei explizit beim Kläger nicht der Fall, in Zusammenschau mit der normalen Zellzahl könne mit dieser Methode eine Neuroborreliose sicher ausgeschlossen werden. Soweit Dr. B. schreibe, dass unzutreffend Prof. Xy davon ausgegangen sei, dass der fehlende Nachweis eines sog. Antikörper-Index im Liquor die Lyme-Neuroborreliose ausschließe, sei diese Behauptung wissenschaftlich falsch und entspreche nicht dem Stand des medizinischen Wissens. In den AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (AWMF Registriernummer 030/071, vom 10. September 2015, Gültigkeit nach Überprüfung verlängert bis 29. September 2017) heiße es: „Entzündliche Liquor-Veränderungen sind bei jeder Neuroborreliose zu erwarten (mögliche Ausnahme: ganz frühes Krankheitsstadium). Bei einer akuten Neuroborreliose finden sich borrelienspezifische IgM- und/oder IgG-Antikörper im Serum mit einer Häufigkeit von 70 % zu 90 %, bei einer Krankheitsdauer von zwei- bis drei Monaten und bei der chronischen Neuroborreliose mit nahezu 100 %“. Weiter heiße es in den Leitlinien „bei dem größten Teil der Patienten mit Neuroborreliose kann die klinische Verdachtsdiagnose durch den Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese bestätigt werden, intrathekale spezifische Antikörperproduktion wird durch die Bestimmung des Liquor-Serumindex nachgewiesen. Die Borrelia-burgdorferi-spezifische intrathekale Antikörperproduktion entwickele sich bei unbehandelten Patienten in der zweiten Krankheitswoche, ist nach drei Wochen bei etwa 75 % der Patienten nachweisbar und nach acht Wochen bei über 99 %“. Somit sei nach ärztlichem Wissen und durch leitliniengerechte Diagnostik beim Kläger eine Neuroborreliose ausgeschlossen worden. Hinzu komme, dass der objektive neurologische Befund lediglich die Residuen einer vor mehreren Jahren stattgehabten Bandscheibenoperation ergeben habe und keine darüber hinaus gehende Symptome. Das Gutachten des Dr. B. sei für die Entscheidung des Gerichts nicht hilfreich, da es nicht auf dem Boden gesicherten Wissens gegründet sei, es würden in nahezu absurder Art und Weise unbewiesene Behauptungen und Vermutungen aneinander gereiht und entbehre jeder sachlichen und wissenschaftlich fundierten Argumentation. Der Kläger sei im Klinikum x während der Begutachtung und während des dortigen stationären Aufenthalt sorgfältig untersucht worden, die Diagnostik sei leitliniengerecht erfolgt, an den gestellten Diagnosen und dem damit verbundenen Ausschluss einer Neuroborreliose als BK bestehe aus Sicht des Sachverständigen kein Zweifel. Das Gutachten des Dr. B. entspreche nicht dem Stand des ärztlichen Wissens. Er halte weiterhin an seiner Beurteilung in seinem Gutachten vom 11. April 2012 fest.

50

Auf Antrag des Klägers hat Dr. B. zu den Ausführungen des Prof. Xy im Schreiben vom 21. Juli 2016 unter dem 31. Januar 2017 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Soweit Prof. Xy ausführe, eine Borrelienerkrankung werde ausgeschlossen, da im Liquor eine normale Zellzahl vorgelegen habe und keine lokale Produktion von Immunglobulinen (gegen Borrelien) nachweisbar gewesen sei, werde darauf hingewiesen, dass keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen bei der Nervenwurzelentzündung im Rahmen einer Lyme-Borreliose vorliege. Die Ansicht von Prof. Xy, dass bei einer Neuroradikulitis grundsätzlich Liquor-Veränderungen zu erwarten seien oder vorlägen, sei wissenschaftlich nicht belegbar. Damit schließe der unauffällige Liquor-Befund in 2012 die Neuroradikulitis nicht aus. Die Behauptung von Prof. Xy, dass für eine Neuroradikulitis bei Lyme-Borreliose der Nachweis intrathekaler Antikörper obligat sei, sei unzutreffend und wissenschaftlich nicht belegbar. Soweit Prof. Xy ausführe, nach der Leitlinie Neuroborreliose seien bei jeder Neuroborreliose entzündliche Liquor-Veränderungen zu erwarten, finde sich diese Formulierung tatsächlich in der Leitlinie Neuroborreliose im Abschnitt „Diagnostik“. Diese Passage werde jedoch durch Literatur nicht belegt. Darüber hinaus sei zu beachten, dass ein entzündlicher Liquor nur bei einer Meningitis (Hirnhautentzündung) auftrete. Es gebe jedoch mehrere Krankheitsmanifestationen bei der Lyme-Neuroborreliose, die ohne eine Meningitis einhergingen.

51

Soweit Prof. Xy ausführe, dass Borrelien-spezifische Antikörper im Serum sich in 100 % der Fälle bei einer Krankheitsdauer von zwei bis drei Monaten fänden, sei auch diese Behauptung durch Literatur nicht belegbar. Zu beachten sei, dass beim Kläger seit 2006 wiederholt Antikörper nachgewiesen worden seien. Über dies liege umfangreiche Literatur vor, dass Antikörper bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium nur bei 50 % der Fälle vorkämen. Soweit von Prof. Xy weiter ausgeführt würde, dass intrathekale Antikörper nach achtwöchiger Krankheitsdauer in 99 % der Fälle vorhanden seien, lasse sich auch diese Behauptung nicht durch Literatur belegen. Vielmehr ergebe sich bei Zugrundelegung der Literatur eine approximative Häufigkeitskurve mit einem Maximum von etwa 80 %. Wenn Prof. Xy schreibe, dass der neurologische Befund lediglich Residuen einer vor mehreren Jahren stattgehabten Bandscheibenoperation ergebe übersehe er, dass beim Kläger in mehreren Etagen und auf beiden Seiten Nervenwurzelentzündungen aufgetreten seien. Ein Zusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall sei auszuschließen, da beim Bandscheibenvorfall die traumatische Neuroradikulitis einseitig auftrete und in der Regel nur in einem Segment.

52

Zur Stellungnahme der Beklagten sei auszuführen, dass in seinem Gutachten keine klinischen Befunde „unterstellt“ würden, sondern zahlreiche Krankheitsmanifestationen benannt würden, die typisch für die Lymeborreliose seien und die im Krankheitsverlauf aufgetreten seien. Beim Kläger sei mehrfach Erythema migrans (beweisend für Frühstadium der Lyme-Borreliose) aufgetreten, von 1994 bis 2007 sei die Borrelienserologie wiederholt mit hoch signifikanten pathologischen Werten erhoben worden. Hinsichtlich des dargestellten Bandscheibenvorfalls sei hervorzuheben, dass eine traumatische Schädigung einer Nervenwurzel nach Bandscheibenvorfall nie nachgewiesen worden sei. Soweit von einer chronischen Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links gesprochen werde, seien dies Symptome und keine Begriffe für definierte Krankheiten. Entscheidend sei, dass aufgrund der zahlreichen neurologischen Defizite die Problematik nicht auf ein S1-Syndrom links beschränkt werden könne. Soweit seitens der Beklagten der Hinweis erfolge, dass im Laborbefund vom 21. Januar 2004 reaktive Arthritiden ausgeschlossen worden seien, hätten die „reaktiven Arthritiden“ mit der vorliegenden Problematik nichts zu tun. Beim Kläger sei zu keinem Zeitpunkt eine reaktive Arthritis aufgetreten. Vielmehr sei es seit 2004 wiederholt zu einer Gonarthritis gekommen (sog. Lyme-Arthritis, typischer Befund für die Lyme-Borreliose im Spätstadium). Auch seien im Laborbefund vom 21. Januar 2004 keinesfalls negative Arthritiden ausgeschlossen worden. Es heiße „kein Hinweis auf erhöhtes Erkrankungsrisiko für bestimmte reaktive Arthritiden“. Im Befund werde der unspezifische entzündliche Parameter CRP erwähnt, der im Normbereich gelegen habe. Eine solche Konstellation spreche nicht gegen eine Lyme-Arthritis, während der Befund bei einer reaktiven Arthritis meistens erhöht sei. Der Befund könne allenfalls dahingehend interpretiert werden, dass er mit einer Lyme-Arthritis gut vereinbar sei, nicht dagegen mit einer reaktiven Arthritis.

53

Ein Zusammenhang zwischen Lyme-Arthritis und pathologischem Befund der Borrelienserologie im Liquor sei in der Literatur nicht beschrieben und pathophysiologisch nicht vorstellbar.

54

Beim Kläger seien im Krankheitsverlauf Erythemata migrantia aufgetreten, die für das Frühstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend seien. Zudem hätten sich zahlreiche weitere Symptome (u. a. eine Lyme-Arthritis (Kniegelenksentzündung, Gonarthritis)) entwickelt sowie im Klinikum M. 2006 zahlreiche neurologische Defizite. Auch bei der gutachterlichen Untersuchung durch ihn (Dr. B.) hätten sich bei der körperlichen Untersuchung zahlreiche pathologische Befunde ergeben. In der Medizin gelte bei vielen Krankheiten der Grundsatz, dass andere Krankheiten differenzialdiagnostisch auszuschließen seien. Die Differenzialdiagnose sei ein analytischer Vorgang unter mehreren. Die Gesamtheit der diagnostischen Säulen sei erforderlich, um die Diagnose einer Lyme-Borreliose mit ausreichender Sicherheit zu stellen. Dies gelte insbesondere für das Spätstadium, das beim Kläger vorliege. Nur wenn krankheitsbeweisende Manifestationen (Erythema migrans, Acrodermatitis chronica atrophicans oder eine akute Lyme-Neuroborreliose mit pathologischem Liquor im Frühstadium vorlägen) könne die Diagnose einer Lyme-Borreliose ohne Differentialdiagnose gestellt werden. Solche Situationen hätten jedoch beim Kläger nicht vorgelegen, abgesehen von dem Erythemata migrantia. Dass eine derartig umfassende Diagnose unter Einschluss der notwendigen Differentialdiagnose nicht dem geltenden Beweismaßstab der gesetzlichen Unfallversicherung entspreche, sei nicht denkbar. Auch sei die haftungsbegründende Kausalität vorliegend gegeben, da in der Tat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Lyme-Borreliose anzunehmen sei; andere Krankheiten, außer der Lyme-Borreliose, seien ausgeschlossen worden (siehe Abschnitt „Befunde, die für eine Lyme-Borreliose sprächen“).

55

Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine BK 3102 nicht vorlägen. Es fehle unter Zugrundelegung des aktuell medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes an der Sicherung einer manifesten Erkrankung des Klägers in Form einer Lyme-Borreliose, insbesondere einer Neuroborreliose im Vollbeweis. Die Diagnose einer Lyme-Borreliose müsse in erster Linie durch die klinische Symptomatik begründet sein. Laborbefunde dienten dann zur Untermauerung oder zum Ausschluss der klinischen Verdachtsdiagnose. In Auswertung der Liquor-Punktion im Klinikum M. habe sich kein Hinweis auf eine autotochtone Immunglobulinsynthese oder die für eine Neuroborreliose kennzeichnende Pleozytose im Liquor ergeben. Auf der Ebene der klinischen Befunde fehle es am Nachweis einer Neuroborreliose, weil kein erhöhter Borrelien-spezifischer Liquor/Serum-Index festgestellt worden sei und keine spezifischen Zeichen (Schrankenstörung, lymphozytäre Pleozytose, erhöhtes Gesamtprotein, olegoklonale Banden) vorgelegen hätten.

56

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten (S 14 U 20/10 – L 5 U 77/14) sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

57

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

58

Zu Recht hat das SG Stralsund durch Urteil vom 8. September 2014 die Klage abgewiesen, weil die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 SGG) unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Beim Kläger besteht keine BK 3102.

59

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. BK 3102. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet sind (sogenannte Listen-BK) und die der Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.

60

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o. ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. Urteil des BSG vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R –; Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 6/13 R –). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (vgl. Urteil des BSG vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R –) und ernste Zweifel ausscheiden. Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

61

Hinsichtlich der „Einwirkungen“ lässt es die Rechtsprechung teilweise ausreichen, dass der Versicherte (hier: in seiner beruflichen Tätigkeit als Forstwirt) generell „einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose“ ausgesetzt gewesen ist (vgl. Urteil des Bayerischen LSG vom 15. April 2015 – L 2 U 40/14 –; Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 8. Mai 2014 – L 3 U 228/12 –, wonach für die Anerkennung von Borreliose als BK 3102 der Nachweis eines konkreten Zeckenbisses nicht erforderlich ist; vgl. auch Urteil des Hessischen LSG vom 18. November 2011 – L 9 U 226/06 –). Diese Auffassung dürfte im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R – (zitiert nach juris, Rdnr. 14) nicht mehr zutreffend sein. Der Senat lässt dies – ebenso wie das BSG in dem soeben zitierten Urteil – dahinstehen, weil bei dem Kläger schon keine Krankheit im Sinne der BK 3102 vorliegt. Beim Kläger besteht weder eine Lyme-Borreliose noch eine Lyme-Neurborreliose.

62

Immunserologisch wurde beim Kläger eine Infektion mit Borrelien nachgewiesen. So war am 22. November 1994 die Borrelien-Serologie positiv. Es war eine Erhöhung von IgG-Antikörper als Beweis für eine vorausgegangene oder damals bestehende Borrelien-Infektion nachgewiesen worden. Auch die Borrelien-Serologie vom 23. Mai 2006 war positiv. Auch wenn der Nachweis von IgG-Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi als Hinweis auf eine durchgemachte Infektion gewertet werden kann, kann jedoch nicht jeder Antikörpernachweis als Beweis für eine klinisch-manifeste Lyme-Borreliose gewertet werden (vgl. Urteil des Hessischen LSG vom 18. November 2011 – L 9 U 226/06 –, juris Rdnr. 27); denn eine symptomlose Borrelien-Infektion kann nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der „Krankheit“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII und der BK 3102 subsumiert werden (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 21). Wie das BSG in seinem Urteil vom 27. Juni 2017 (a.a.O.) ausführt, ist im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung von einem funktionellen Krankheitsbegriff auszugehen, d.h., dass erforderlich ist, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird. Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen in den Körper allein im Regelfall nicht aus. Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend) einer Funktionsstörung führt (Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 22).

63

Zum Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose zählen nach der laufenden Nummer 15 des Anhangs zum Merkblatt der BK 3102 (Bekanntmachung des BMGS vom 1. September 2003, BArbBl 10/2003, 26) u.a. „Erythema migrans, wandernde Arthralgien, Arthritis, Akrodermatitis chronica atrophicans, Enzephalomyelitis, Bannwarth-Syndrom (Meningoradikulitis)“. Die Merkblätter sind nach der Rechtsprechung des BSG zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe heranzuziehen (Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 19 m.w.N.), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind.

64

Im Hinblick hierauf ist es zur Überzeugung des Senats zum einen nicht im Wege des Vollbeweises nachgewiesen, dass der Kläger überhaupt an den vorgenannten Krankheitsbildern leidet bzw. gelitten hat noch dass es wahrscheinlich ist, dass entsprechende Krankheitsbilder auf eine Lyme-Borreliose zurückzuführen sind.

65

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten unterstellt, dass der Kläger in der Vergangenheit an Erythema migrans erkrankt gewesen ist, sieht dies der Senat als nicht beweisen an. Hautveränderungen im Sinne einer Wanderröte (Erythema migrans) hat der Kläger nach eigenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. im Rückenbereich im Jahr 1990 bemerkt, sich aber nicht in ärztliche Behandlung begeben, sodass eine gegebenenfalls vorliegende Wanderröte auch nicht durch einen medizinischen Befund dokumentiert und damit nachgewiesen worden ist. Nach der Einschätzung im Gutachten des Prof. X verliefen die anamnestisch vom Kläger beschriebenen und als Wanderröte eingeschätzten Rötungen dagegen untypisch. Nach der Beurteilung des Prof. X sind sie nicht „gewandert“ und hätten eher auf eine allgemeine Infektion des Zeckenstiches hingewiesen, da die Rötungen immer relativ klein gewesen seien (bis ca. 5 cm Durchmesser). Gegenüber Prof. X hat der Kläger angegeben, lediglich einmal eine ca. 20 cm große Rötung mit Juckreiz am Arm gehabt zu haben. Ob es sich hierbei um eine Wanderröte gehandelt hat, ist ebenfalls nicht im Wege des Vollbeweises nachgewiesen, da ein entsprechender medizinischer Befund ebenfalls nicht dokumentiert ist. Auch sind die Angaben des Klägers über eine großflächige Rötung insoweit inkonsistent, weil sich nach den Angaben des Klägers gegenüber Prof. X die Rötung am Arm befunden haben soll, während sie sich nach den Angaben gegenüber Dr. B. im Rückenbereich befunden haben soll.

66

Auch den Nachweis von Schwellungszuständen und Gelenkergüssen als Zeichen einer manifesten Arthritis (Gelenkentzündung) sieht der Senat als nicht geführt an. Die behandelnde Allgemeinmedizinerin DM J. hat angegeben, den Kläger am 2. September 2005 behandelt zu haben, da er über unklare Gelenkbeschwerden berichtet habe. Die in ihrem Befundbericht vom 24. Januar 2006 aufgeführte Lyme-Arthritis hatte diese Ärztin als Diagnose der Epikrise des Klinikums M. entnommen. Die veranlasste Untersuchung des Klägers durch die Internistin Dr. B. (Arztbrief vom 7. Oktober 2005) ergab lediglich eine diskrete Schwellung der Gelenke in dem Bereich beider Hände des Klägers, sonst wurden unauffällige Gelenkbefunde erhoben, ein Anhalt für eine rheumatische Erkrankung beim Kläger fand sich nicht. In der Epikrise des Klinikums Plau am See vom 23. Juli 2004 wird über eine radikuläre Schmerzausstrahlung links nach Lumbago berichtet. Über eine Gelenkentzündung finden sich keine Hinweise, des gleichen nicht im Befundbericht des Orthopäden Dr. x vom 16. August 2004. Ebensowenig sind diesbezügliche Angaben im Befundbericht des Neurochirurgen Dr. N. vom 23. Februar 2004 enthalten. Im angefertigten Bericht über das MRT des linken Hüftgelenkes vom 22. Januar 2004 ergab sich kein Hinweis auf eine Hüftkopfnekrose, Gelenkentzündungen wurden nicht beschrieben. Auch anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Dr. B. (Gutachten vom 29. November 2004) wurden keine Befunde erhoben, die Hinweise auf das Bestehen von Gelenkentzündungen ergaben, ebensowenig anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Prof. X. Aus der Epikrise des Klinikums M. vom 9.Januar 2006 ergibt sich, dass der Kläger anamnestisch seit mehreren Jahren geschwollene Hände angegeben hatte sowie rezidivierende Gelenkschwellungen für zwei bis drei Tage im Bereich der Finger, Schulter, Ellenbogen und Knie. Der Untersuchungsbefund dieses Klinikums ergab, dass die Hände und Finger beidseits geschwollen waren. Aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis ergab sich, dass für die Zeit des stationären Aufenthalts des Klägers im Klinikums M. u.a. die Diagnose „Gelenkschmerz, mehrere Lokalisationen“ aufgeführt war. Für die Zeiten zuvor waren Arbeitsunfähigkeitszeiten vorwiegend wegen Rücken-/Kreuzschmerz sowie Lumboischialgie dokumentiert, hieraus resultierte eine langandauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers beispielsweise für die Zeit vom 21. August 2003 bis 31. Oktober 2004. Auch anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Prof. R. ergab die körperliche Untersuchung keine Hinweise auf eine manifeste Arthritis oder das Vorliegen von Arthralgien, als Beschwerden gab der Kläger vornehmlich Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Ausstrahlung in das linke Bein an. Im Gutachten des Prof. Xy wird als Diagnose ein Residuum eines S1-Syndroms links mit erloschenen Achillessehnenreflex und einer Sensibilitätsstörung im Bereich des Segmentes S1 (Folge der Bandscheibenoperation 2003) genannt. Neurologische Ausfälle fanden sich nicht, der Kläger gab allerdings „diffuse Gelenkschmerzen“ an. Die Schmerzausstrahlung in das linke Bein des Klägers ist nicht typisch für eine Lyme-Borreliose; sie lässt sich vielmehr mit der durchgeführten Bandscheiben-OP des Klägers aus dem Jahr 2003 erklären, worauf bereits Prof. R. in seinem Gutachten hingewiesen hat, eine Auffassung, die auch Prof. Xy in seinem Gutachten vertritt. Die diffusen Gelenkbeschwerden des Klägers bewertet Prof. Xy auch nicht als die Folgen einer Borrelioseerkrankung beim Kläger.

67

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, das die im November 2005 (stationärer Aufenthalt) dokumentierten rezidivierenden Gelenkschwellungen Ausdruck einer Lyme-Borreliose beim Kläger seien, folgt der Senat dieser Auffassung des Sachverständigen aus den vorgenannten Gründen nicht. Gelenkschwellungen des Klägers sind in den beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnissen nämlich nur ganz sporadisch aufgeführt. Soweit Dr. B. den beim Kläger diagnostizierten und im Jahr 2003 operierten Bandscheibenvorfall in Segment L5/S1 nicht als Bandscheibenvorfall wertet sondern als Neuroradikulitis, steht Dr. B. mit seiner Diagnosestellung allein dar. Sowohl der den Kläger behandelnde Orthopäde als auch der Neurochirurg sowie die Orthopäden im Klinikum und auch Prof. Xy gehen übereinstimmend von der Diagnose eines Bandscheibenvorfalles aus, der auch nach durchgeführter Operation für die Schmerzausstrahlung in das Bein des Klägers verantwortlich ist. Unabhängig davon, ob ein „schiefer Mund“ des Klägers im Jahr 2006 Ausdruck einer Fazialisparese gewesen ist, hält es der Senat nicht für wahrscheinlich, dass die vom Kläger beschriebenen Gelenkbeschwerden und Schmerzen ursächlich auf eine Borrelieninfektion zurückzuführen sind; in Übereinstimmung mit den Ausführungen im Gutachten des Prof. R. und des Prof. Xy ist es wahrscheinlicher, dass diese Beschwerden auf die Folgen der durchgeführten Bandscheibenoperation beim Kläger zurückzuführen sind.

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Auch eine Lyme-Neurborreliose kann beim Kläger nicht als gesundheitliche Folge einer BK 3102 festgestellt werden, da sie nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist.

69

Es fehlt vielmehr am Nachweis einer aktiven Borrelien-Infektion als Grundvoraussetzung der Diagnose Neuroborreliose. Insoweit schließt sich der Senat den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Prof. Xy vom 11. April 2012 und dem liquor-analytischen Zusatzgutachten des Dr. D. vom 23. März 2012 sowie der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Xy vom 21. Juli 2016 an. Das Gutachten des Dr. D. hat ergeben, dass der borrelienspezifische IgG-Index negativ gewesen ist. Bei dem borrelienspezifischen IgG handelt es sich um eine immunologische Narbe, die zum Teil lebenslang ohne Krankheitswert erhalten bleibt. Während der akuten Phase kommt es zu einem Anstieg des Immunoglobulins IgM, welcher signalisiert, dass der Organismus sich aktuell mit dem Borrelien-Antigen auseinandersetzt. Hinweise auf eine solche akute Entzündung bestanden beim Kläger nicht. Bei chronischer Borreliose des zentralen Nervensystems wird im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet, was als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet wird. Nur wenn dieser Index hoch ist, spricht dies für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und kann mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Die durchgeführte Liquor-Diagnostik ergab jedoch, dass eine chronische intrathekale Entzündung beim Kläger nicht vorlag. Damit konnte eine Neuroborreliose ausgeschlossen werden, die geklagten Beschwerden des Klägers haben nach Einschätzung des Prof. Xy eine andere Ursache. Die eingesandte Liquor-Probe zeigte eine normale Zellzahl bei minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung. Das Zytogramm war bei geringer Zellausbeute im Präparat ohne pathologischen Befund, die Blut-Liquor-Schrankenfunktion leicht gestört. Die quantitative Analyse der lokalen Immunglobulinsynthese im Reiberdiagramm war auch wie die Untersuchung der oligoklonalen Banden ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulinen. Damit fand sich in der Liquoranalytik kein Hinweis auf eine akute oder chronische Entzündung des Zentralnervensystems. Es wurden auch die Borrelien-Antikörper aus dem Liquor und der Serumprobe untersucht. Dabei konnte serologisch eine frühere Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden. Eine intrathekale Produktion von Anti-Borrelien-Antikörpern war jedoch nicht nachweisbar. Trotz minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung und einer (leichten) Schrankenstörung lautete die Beurteilung, dass es sich um einen Liquor ohne pathologischen Befund gehandelt habe.

70

Da Dr. B. in seinem Gutachten dieser Beurteilung des Prof. Xy widersprochen hat, hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des Prof. Xy vom 21. Juli 2016 herbeigeführt. Hierin hat Prof. Xy das von ihm gefundene Ergebnis unter Hinweis auf die AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (Gültigkeit bis 29. September 2017) bestätigt, wonach entzündliche Liquor-Veränderungen bei jeder Neuroborreliose zu erwarten seien, bei einer chronischen Borreliose mit nahezu 100%. Nach den Leitlinien kann bei dem größten Teil der Patienten mit Neuroborreliose die klinische Verdachtsdiagnose durch den Nachweis borrelienspezifischer intrathekaler Antikörpersynthese bestätig werden, intrathekale spezifische Antikörperproduktion wird durch die Bestimmung des Liquor-Serum-Index nachgewiesen (S1-Leitlinie Borreliose, Blatt 6). Prof. Xy hat nochmals darauf hingewiesen, dass nur wenn dieser Index hoch sei, eine Produktion des spezifischen Borrelien IgG nachgewiesen werden könne. Dies sei explizit beim Kläger nicht der Fall gewesen.

71

Diese Ausführungen des Prof. Xy sind für den Senat überzeugend. Sie stehen insbesondere mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft im Einklang. In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie „Neuroborreliose“ (AWMF-Registernummer 030/071, gültig bis 29. September 2017), auf die auch Dr. D. Bezug genommen hatte, ist bereits für eine nur „mögliche“ Neuroborreliose der Nachweis borrelienspezifischer IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum (neben einem typischen klinischen Bild im Form von Hirnnervenausfällen, Meningitis/Meningoradikulitis oder fokalen neurologischen Ausfällen) maßgebliches Diagnosekriterium. Denn bei einer akuten Neuroborreliose finden sich borrelienspezifische IgM- und /oder IgG-Antikörper im Falle des chronischen Verlaufs mit nahezu 100% (AWMF-Leitlinie Seite 6). Auch wenn mittlerweile bezüglich der Neuroborreliose die S3-Leitlinie (gültig bis 12. April 2021) veröffentlicht worden ist, sind die Ausführungen des Prof. Xy weiterhin zutreffend (vgl. die S3-Leitlinie Neuroborreliose, Seite 16, 17 mit nur geringfügigen Abweichungen hinsichtlich der Prozentzahlen nach unten). Die S3-Leitlinie Neuroborreliose stellt insoweit den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft dar und stützt auch weiterhin die Beurteilung des Prof. Xy.

72

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten zu der Beurteilung gelangt, dass der Kläger an einer Neuroborreliose leide, folgt der Senat den Ausführungen dieses Sachverständigen nicht. Wenn Dr. B. ausführt, dass, wenn es im Zusatzgutachten des Dr. D. heiße, dass der entscheidende Borrelien-spezifische IgG-Index negativ gewesen sei, dies kein Argument darstelle, das gegen das Vorliegen einer Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose spreche, hat Prof. Xy in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Juli 2016 darauf hingewiesen, dass diese Behauptung wissenschaftlich falsch sei und nicht dem Stand des medizinischen Wissens entspricht. Soweit Prof. Xy insoweit auf die AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (Gültigkeit bis 29. September 2017) verwiesen hat, wonach entzündliche Liquor-Veränderungen bei jeder Neuroborreliose zu erwarten sind, entspricht diese Aussage auch weiterhin dem medizinischen Wissenstand (vgl. S3-Leitlinie Neuroborreliose, gültig bis 12. April 2021, Seite 16). Soweit Dr. B. darauf hinweist, dass insbesondere bei einer Neuroradikulitis (Morbus Bannwarth) keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen vorliege, verweist der Senat darauf, dass von keinem anderem Arzt die Diagnose einer Neuroradikulitis beim Kläger gestellt worden ist, vgl. die obigen Ausführungen.

73

Soweit Dr. B. darauf hinweist, dass bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Xy eine Störung der Blut-Liquor-Schranke festgestellt worden sei, was ein Indiz für eine stattgehabte oder bestehende Entzündung im zentralen Nervensystem darstelle, trifft es zu, dass nach den Ausführungen im Zusatzgutachten des Dr. D. die Blut-Liquor-Schrankenfunktion leicht gestört gewesen ist. Trotz dieses Befundes sind sowohl Dr. D. als auch Prof. Xy zu der Beurteilung gelangt, dass sich liquor-chemisch kein Anhalt für eine Neuroborreliose gefunden habe. Der Einschätzung des Prof. Xy, bei dem es sich um einen gerichtsbekannt erfahrenden Sachverständigen handelt, schließt sich der Senat an. Insgesamt überzeugt die Argumentation im Gutachten des Dr. B. den Senat nicht, weil von ihm teilweise Befunde unterstellt werden, die nicht dokumentiert sind (beispielsweise hinsichtlich der Wanderröte) und von denen behauptet wird, dass sie für eine Lyme-Borreliose sprächen (vgl. die Aufstellung der „Befunde“ von Blatt 61 – 63 des Gutachtens). Hierbei handelt es sich um ein Sammelsurium von Beschwerden, die nicht typischerweise mit einer Lyme-Borreliose einhergehen, unabhängig davon, ob sie überhaupt nachgewiesen sind.

74

Da zur Überzeugung des Senats der Kläger weder an einer Lyme-Borreliose noch an einer Lyme-Neuroborreliose leidet, konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

75

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

76

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 30. Mai 2018 - L 5 U 77/14

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Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch
Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 30. Mai 2018 - L 5 U 77/14 zitiert 9 §§.

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 55


(1) Mit der Klage kann begehrt werden 1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,2. die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,3. die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörun

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Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

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(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. März 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung der Berufskrankheit "Druckschädigung der Nerven" nach der Nummer 2106 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BK 2106).

2

Der 1952 geborene Kläger war seit 1970 als mithelfendes Familienmitglied auf einem Obstbauernhof erwerbstätig. 1985 übernahm er dieses Unternehmen und führte es bis 2004. Im Jahre 2002 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seit 1997 an Beschwerden im Bereich des Halses und der linken Schulter mit Ausstrahlung in den linken Arm und Brustkorb leide, was er auf seine berufliche Tätigkeit zurückführe. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK 2106 ab (Bescheid vom 7.10.2003, Widerspruchsbescheid vom 1.2.2005).

3

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 5.5.2010 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, das Thoracic-Outlet-Syndrom (TOS) ab 10.11.2005 als BK 2106 anzuerkennen und den Kläger mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 25 vH zu entschädigen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG durch Urteil vom 27.3.2014 den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben sowie die Klage ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Beim Kläger lasse sich das Vorliegen einer BK 2106 nicht feststellen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der ersten Instanz sei zwar davon auszugehen, dass beim Kläger ein TOS vorliege. Zweifelhaft erscheine hingegen, ob der Kläger die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2106 erfülle. Letztlich könnten diese Zweifel jedoch dahinstehen, weil das beim Kläger festgestellte TOS nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch seine Tätigkeit als Obstbauer und insbesondere nicht durch das Tragen einer Pflückschürze bei der Apfelernte verursacht worden sei. Es spreche insbesondere gegen den ursächlichen Zusammenhang, dass das TOS nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. kein Störungsbild sei, bei dem die Nervenfasern durch direkte Einwirkung von außen geschädigt werden, sondern es sich vielmehr um ein Engpasssyndrom handele. Die Besonderheit des TOS liege darin, dass die Reibung nicht durch Druck von außen, sondern durch die körpereigenen Strukturen selbst verursacht werde, während die unter die BK 2106 fallenden Krankheitsbilder typischerweise durch eine Bedrückung des Nerven in Gelenknähe bedingt durch die unphysiologische Beanspruchung des Gelenks geprägt seien. Die anders lautende Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. überzeuge nicht, weil dieser selbst dargelegt habe, dass es in der medizinischen Wissenschaft kaum Literatur zur Beurteilung exogener Einflüsse auf die Verursachung eines TOS gebe. Dies erlaube zwar nicht den Umkehrschluss, dass die Entstehung eines TOS durch äußere Belastung nicht möglich sei. Für die Anerkennung einer BK 2106 genüge die bloße Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs jedoch nicht. Nach der Rechtsprechung des BSG sei bei der Beurteilung von Ursachenzusammenhängen der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrundezulegen. Wenn sich nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Amtsermittlung ein solcher von der Mehrheit der Fachwissenschaftler anerkannter neuester Erfahrungsstand nicht feststellen lasse, komme grundsätzlich eine Entscheidung nach Beweislast in Betracht. Der Kläger trage hier die Beweislast für die berufliche Verursachung seiner Erkrankung. Dass das Merkblatt zur BK 2106 auch das Krankheitsbild des TOS als durch arbeitsbedingte Belastungen verursachte Druckschädigung der Nerven nenne, führe nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Den Merkblättern komme nur die Bedeutung einer Informationsquelle für die Praxis zu, ohne dass sie rechtliche Verbindlichkeit hätten. Schließlich spreche gegen eine Verursachung des beim Kläger vorliegenden TOS durch seine frühere Tätigkeit als Obstbauer, dass nach den Angaben der Beklagten in den Jahren 2002 bis 2008 zwar sechs Verdachtsfälle eines TOS als BK 2106 der DGUV gemeldet worden seien, sich hierunter jedoch kein Angehöriger der Berufsgruppe des Klägers befunden habe. Bei gleichartigen Arbeitsmethoden sei hinsichtlich des Einsatzes von Pflückschürzen statistisch mit dem Auftreten weiterer TOS-Erkrankungen zu rechnen gewesen.

4

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2106. Das LSG habe sein Urteil im Wesentlichen auf das in erster Instanz eingeholte Gutachten des Dr. F. gestützt, nach dem das Vorliegen der BK 2106 einen Druck von außen voraussetze. Damit habe das LSG zu Unrecht die Formulierung "Druckschädigung der Nerven" ausschließlich einer Druckeinwirkung von außen gleichgestellt. Tatsächlich habe der Verordnungsgeber Nervenschädigungen sowohl durch Druck von außen als auch von innen berücksichtigen wollen, wie der wissenschaftlichen Begründung des Ärztlichen Sachverständigenrates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Sektion Berufskrankheiten vom 1.8.2001 zu entnehmen sei. Unter Ziffer 3 dieser wissenschaftlichen Begründung werde das TOS ausdrücklich als typisches Krankheitsbild der BK 2106 genannt. Soweit es sich auf die Stellungnahme des Dr. S. stütze, der das Vorliegen eines TOS verneint habe, habe das LSG nicht ohne Verstoß gegen die Denkgesetze einerseits das Vorliegen eines TOS annehmen, andererseits aber deren Ablehnung als BK mit der Auffassung des Dr. S. begründen können. Auch der Verweis auf die Statistiken der DGUV habe angesichts der Vielzahl an Berufsgruppen, bei denen das Vorliegen eines beruflich bedingten TOS in Betracht komme, keinerlei Aussagekraft.

5

Der Kläger beantragt,

1.    

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27. März 2014 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

2.    

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 5. Mai 2010 zu ändern und ihm Verletztenrente in Höhe von mehr als 25 vH zu bewilligen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Zutreffend sei das LSG davon ausgegangen, dass ein TOS in der Ausprägung des Syndroms der kosto-klavikulären Enge nicht zu den von der BK 2106 erfassten Krankheiten zähle, weil dieses nicht durch Druck von außen, sondern durch körpereigene Strukturen verursacht werde. Im Übrigen komme weder der wissenschaftlichen Begründung noch den Merkblättern rechtliche Verbindlichkeit zu.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht aus. Weder lässt sich danach beurteilen, welchen versicherten Einwirkungen iS der BK 2106 der Kläger im Einzelnen unterlegen ist noch ob diese nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft geeignet waren, das beim Kläger bestehende (aber noch näher zu spezifizierende) TOS zu verursachen, das ebenfalls in seiner konkreten Ausprägung nicht festgestellt ist.

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Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen in dem Bescheid vom 7.10.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2005, verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Klage und der auf Verurteilung zu der abgelehnten Rentenzahlung gerichteten unechten Leistungsklage zulässig (BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 14).

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Rechtsgrundlage für die Anerkennung der BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2106. BK 2106 (in der mit Wirkung vom 1.10.2002 geltenden Fassung vom 5.9.2002 ) lautet: "Druckschädigungen der Nerven". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität ) und diese Einwirkungen eine Krankheit (dazu unter B) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität ). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (zuletzt Urteile des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10, B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 10; s auch BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

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A. Nach den bindenden Feststellungen des LSG arbeitete der Kläger neben seiner Beschäftigung als Schriftsetzer und medizinisch-technischer Assistent seit 1970 als mithelfendes Familienmitglied auf einem Obstbauernhof, den er zum 1.10.1985 übernahm und bis 2004 führte. Er war daher bei dieser Tätigkeit "Versicherter" iS von zunächst § 2 Abs 1 Nr 5b SGB VII und sodann § 2 Abs 1 Nr 5a SGB VII.

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Den Feststellungen des LSG lässt sich noch hinreichend entnehmen, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit der durch das Tatbestandsmerkmal "Druckschädigung ..." in der BK 2106 vorausgesetzten Einwirkung "Druck" in Form des Tragens einer mit bis zu 20 kg Äpfel gefüllten Pflückschürze während 8 bis 10 Wochen im Jahr unterlag. Der Tatbestand der BK 2106 enthält darüber hinaus keine normativen Vorgaben in Form einer Dosis oder Mindestdauer der erforderlichen Einwirkung.

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B. Beim Kläger besteht auch nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) eine Schädigung der Nerven als vom Verordnungstext vorausgesetzte Erkrankung in Form eines TOS, wenngleich das LSG die konkrete Variante dieses Symptoms nicht festgestellt hat (hierzu noch unter C).

14

Bei der BK 2106 handelt es sich um eine sog offene BK-Bezeichnung (vgl Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 362; ders SozSich 2013, 431 f; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), bei der die erforderliche Erkrankung nicht präzise umschrieben, sondern nur eine Krankheitsgruppe, nämlich "Druckschädigungen der Nerven", genannt wird. Anerkennungsfähig sind mithin hier alle Krankheiten dieser Gruppe, die durch die betreffende Einwirkung potentiell verursacht werden können. Um ein bestimmtes Krankheitsbild aus dem Schutzbereich dieser BK ausschließen zu können, muss demgegenüber feststehen, dass entweder diese Krankheit nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst sein sollte oder durch die jeweilige Einwirkung nicht verursacht werden kann. Ein solcher Ausschluss kann sich nur aus den Verordnungsmaterialien oder der wissenschaftlich festgestellten und allgemein anerkannten Wirkungsweise bestimmter Belastungen oder Expositionen ergeben (vgl Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 9 RdNr 149 f).Dabei genügt es nicht, diejenigen Erkenntnisse zugrundezulegen, die den Verordnungsgeber zur Aufnahme der Krankheit in die BK-Liste bewogen haben, sondern es sind die fortschreitenden Erkenntnisse der Wissenschaft hinsichtlich der Wirkungsweise der genannten Einwirkung zur Bestimmung des Schutzbereichs zugrundezulegen (s BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 240 Nr 1, RdNr 15, zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen).

15

Beim TOS, das auch als neurovaskuläres oder Schultergürtel-Kompressionssyndrom bezeichnet wird, handelt es sich laut ICD-10, G54.1 um eine durch äußeren oder inneren Druck bewirkte Läsion des Plexus brachialis. Dass dieses Erkrankungsbild nach dem Willen des VO-Gebers nicht vom Schutzbereich der BK 2106 erfasst sein soll, lässt sich weder den Verordnungsmaterialien noch der wissenschaftlich festgestellten und allgemein anerkannten Wirkungsweise bestimmter Belastungen oder Expositionen entnehmen. So wird das TOS sowohl in der wissenschaftlichen Begründung (Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr 2106: Druckschädigung der Nerven, Bekanntmachung des BMA vom 1.8.2001 - IVa 4-45222-2106; BArbBl 9/2001, S 59-63; 1.3.2.1.) als auch im Merkblatt (Bekanntmachung des BMA vom 1.10.2002, BArbBl 11/2002, S 62) ausdrücklich unter der Rubrik "Nervenschaden an der oberen Extremität" als "Armplexusschaden im Wurzelbereich (C4) C5-Th1" in Form einer "Engpassproblematik im Bereich der Skalenuslücken, der kosto-klavikulären Passage und/oder des Korakoids" aufgelistet. Dies zeigt, dass bei Einführung der BK 2106 mit dem jetzigen Wortlaut der für die wissenschaftliche Begründung von BKen maßgebliche Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion "Berufskrankheiten" - beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung davon ausging, dass dieses Krankheitsbild vom Schutzbereich der BK 2106 umfasst sein sollte.

16

Zutreffend hat das LSG zwar darauf hingewiesen, dass diese Merkblätter weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-Info 1999, 1373). Sie sind jedoch als Interpretationshilfe und zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 15; BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN; BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85 = NZS 2001, 605, 606; s auch BSG vom 22.8.2000 - B 2 U 34/99 R - SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 2).

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Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, nach denen ein TOS nicht durch Druckbelastung verursacht werden kann und dementsprechend als anerkennungsfähiges Krankheitsbild aus dem Schutzbereich der BK 2106 ausscheidet, wurden dem Senat weder vorgetragen noch sind sie gerichtsbekannt. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats sind die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BKen-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20, B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 20, B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 33; dort auch mit Nachweisen zur älteren Senatsrechtsprechung und zur Rechtsprechung anderer Senate des BSG). Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (vgl zuletzt BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22; BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291, 295 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20).

18

Der Senat hat bereits in anderem Zusammenhang entschieden, dass einzelne Gegenstimmen nicht geeignet sind, einen einmal gebildeten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die Mehrheit der Fachwissenschaftler den Erkenntnisstand aufkündigt. Diese Ausführungen bezogen sich zwar auf einen durch schriftliche Konsensempfehlungen konkretisierten wissenschaftlichen Erkenntnisstand (s jeweils zur BK 2108 BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 sowie BSG vom 25.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22), sie gelten aber auch bei anderen BKen für die in der wissenschaftlichen Begründung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, in Merkblättern und in der einschlägigen Fachliteratur geäußerten wissenschaftlichen Meinungen. Aus diesen Quellen folgt, dass ein TOS zumindest in den dort genannten Varianten des Krankheitsbildes durch äußeren Druck verursacht werden kann. Die einzige Quelle dafür, dass der dort zum Ausdruck kommende wissenschaftliche Erkenntnisstand veraltet sein könnte und daher nicht zugrunde gelegt werden dürfte, scheint das Gutachten des Dr. F. zu sein. Dieser behauptet ohne kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt der oben aufgeführten anderslautenden wissenschaftlichen Begründung, ein TOS könne ausschließlich durch innere Reibung ohne äußeren Druck verursacht werden. Dieser Aussage ist dann aber letztlich auch das LSG nicht gefolgt, weil es selbst die Verursachung eines TOS durch äußere Belastungen zumindest für möglich hält. Eine Änderung des in der wissenschaftlichen Begründung sowie in dem Merkblatt manifestierten Erkenntnisstands konnte das LSG schließlich auch nicht aus der Aussage des Sachverständigen Dr. K. ableiten, dass kaum Literatur zur Verursachung des TOS durch äußere Druckeinwirkung existiere.

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C. Der Senat kann mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen aber nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen den gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2106 und dem festgestellten TOS verneint hat. Für die Anerkennung einer BK im konkreten Einzelfall ist neben der Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die streitige BK 2106 bedeutet dies, dass das beim Kläger festgestellte TOS durch die im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit erfolgte Einwirkung von Druck verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im BKen-Recht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (s zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils die Versicherung begründenden Norm zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - ; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

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Vorliegend kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht entscheiden, ob im Fall des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung vorliegen, die das LSG - aus seiner Sicht konsequent - hat dahinstehen lassen (dazu unter 1.), sowie ob das LSG zu Recht die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen verneint hat (dazu unter 2.).

21

1. Der Senat kann anhand der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob die (weiteren) arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine Anerkennung des TOS als BK 2106 gegeben sind. Bei den arbeitstechnischen Voraussetzungen handelt es sich um ein Element der Anspruchsprüfung einer BK, das zwei miteinander in Zusammenhang stehende Aspekte umfasst: das Vorhandensein der hier gegebenen (s oben A.) tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen und die Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 13; vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193). Eine wissenschaftlich begründete Ursachenbeurteilung erfordert, dass neben der Feststellung der vorliegenden Gesundheitsstörungen klar festgestellt wird, worin das oder die schädigenden Ereignisse lagen. Dem Urteil des LSG ist lediglich zu entnehmen, dass der Kläger im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit 8 bis 10 Wochen pro Jahr Kernobst mittels einer ca 20 kg Obst fassenden Pflückschürze geerntet hat.

22

Das Urteil des LSG enthält jedoch keine Feststellungen dazu, an welcher Stelle des Körpers die Druckeinwirkung erfolgte, insbesondere ob sich diese in Nähe des unteren Plexus brachialis befindet, den das LSG offenbar als geschädigt ansieht. Ohne diesbezügliche exakte Feststellung des oder der schädigenden Ereignisse und der naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhänge hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörung kann eine zuverlässige Ursachenbeurteilung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und in Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache nicht erfolgen, weil die Ereignisse und Ursachen nicht zueinander in Verhältnis gesetzt und nicht in die Krankheitsgeschichte des Verletzten eingeordnet werden können (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 30).

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Dies gilt umso mehr, als nach der einschlägigen arbeitsmedizinischen Literatur für das Vorliegen einer BK 2106 eine eindeutige Beziehung zwischen der Lokalisation des einwirkenden Drucks und dem anatomisch zuzuordnenden klinisch-neurologischen Befund kennzeichnend ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 232). Erst wenn diesbezügliche Feststellungen nachgeholt wurden, kann entschieden werden, ob eine Dauer dieser belastenden Tätigkeit von 8 bis 10 Wochen im Jahr bei ebenfalls noch festzustellender Tagesdauer geeignet war, das beim Kläger bestehende Krankheitsbild zu verursachen. Hierbei wird das LSG zu beachten haben, dass weder der Verordnungstext, noch die wissenschaftliche Begründung zur Abänderung des VO-Textes der BK 2106 (Druckschädigung der Nerven, Bekanntmachung des BMA vom 1.8.2001 - IVa 4-45222-2106; BArbBl 9/2001, S 59-63; 1.3.2.1.), das hierzu zuletzt veröffentlichte Merkblatt (Bekanntmachung des BMA vom 1.10.2002, BArbBl 11/2002, S 62) oder die aktuelle Fachliteratur zur BK 2106 Angaben in Hinblick auf Höhe und Intensität (Dosis) der Einwirkung enthalten.

24

Das LSG wird aber auch Feststellungen dazu nachzuholen haben, ob bei dem Kläger - abgesehen vom Tragen der Obstschürze - weitere beruflich veranlasste Bewegungsabläufe vorlagen, die geeignet waren, ein TOS zu verursachen.Sowohl in der wissenschaftlichen Begründung, als auch in dem hierzu zuletzt veröffentlichten Merkblatt sowie der einschlägigen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 235) werden neben "Lastendruck auf der Schulter" auch "repetitive Abduktions- und Adduktionsbewegungen im Schultergelenk" sowie "Überkopfarbeiten mit nach hinten gestrecktem Arm"als bekannte arbeitsbedingte Gelenkbelastungen aufgelistet, die bei Pflücktätigkeiten eines Obstbauern zumindest nicht gänzlich fernliegend erscheinen.

25

Auf das Vorhandensein einer in Höhe und Intensität geeigneten Druckeinwirkung lässt sich hingegen nicht alleine aufgrund des bindend festgestellten Krankheitsbildes des TOS schließen, weil dieses wiederum nicht zwingend durch eine äußere Druckeinwirkung verursacht wird. Vielmehr ergibt sich aus weiteren, dem jeweiligen Rechtsanwender zugänglichen Quellen, dass das TOS durchaus aufgrund innerer Ursachen wie anatomischer Varianten oder sonstiger Dispositionen entstehen kann (Sadeghi-Azandaryani, Das Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik, Therapie und Ergebnisse der Münchner Studie, Dissertation München, 2004, S 8 f; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 234).

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2. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des LSG ebenso wenig entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2106 und dem beim Kläger festgestellten TOS, dessen Vorliegen das Berufungsgericht als nicht hinreichend wahrscheinlich abgelehnt hat, gegeben sind (dazu unter a). Ferner wird das LSG ggf bei einer erneuten Beweiswürdigung die Anwendbarkeit des § 9 Abs 3 SGB VII zu erwägen haben(dazu unter b).

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a) Die sogenannten arbeitsmedizinischen Voraussetzungen betreffen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit (was hier gegeben ist, s oben B.), zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 18).

28

Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der revisionsrechtlichen Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, § 163 RdNr 9). Eine solche bindende Wirkung besteht jedoch dann nicht, wenn das LSG von einem offenkundig falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen ist oder bestehende Erfahrungssätze nicht angewandt hat (vgl BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 20, sowie BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - UV-Recht Aktuell 2010, 418) oder eine solche fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird (vgl hierzu BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20). Die heranzuziehenden Quellen-, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin - ggf durch Sachverständige - zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 69; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

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Das LSG hat hierbei die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Bei seiner Entscheidungsfindung, ob im Falle des Klägers die Verursachung des TOS durch die durch das Tragen der Obstschürze entstandene Druckbelastung hinreichend wahrscheinlich ist, durfte es nicht davon ausgehen, dass das Merkblatt zur BK 2106 nicht mehr den tatsächlichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wiedergebe und mangels vorhandener weiterer Literatur kein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand zur Verursachung des TOS durch exogene Einflüsse existiere. Soweit das LSG deshalb nach Beweislastgrundsätzen entschieden hat, verkürzt es in unzulässiger Weise die zu diesem Themenkomplex anzuwendenden medizinischen Erfahrungssätze. Wie oben ausgeführt, werden sowohl in der wissenschaftlichen Begründung zur Abänderung des VO-Textes der BK 2106 als auch in dem hierzu zuletzt veröffentlichten Merkblatt sowie der einschlägigen Fachliteratur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, S 235) jeweils "Lastendruck auf der Schulter" neben "repetitiven Abduktions- und Adduktionsbewegungen im Schultergelenk, Überkopfarbeiten mit nach hinten gestrecktem Arm, Spielen von Streichinstrumenten und damit Gelenkbelastungen" als bekannte arbeitsbedingte Belastungen im Zusammenhang mit typischen morphologischen Schädigungsmöglichkeiten genannt.

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Soweit das LSG nach den Grundsätzen der sog objektiven Beweislast entschieden hat, vermischt es zudem in unzulässiger Weise die Frage, ob ein konkretes Sachverständigengutachten als verwertbares Beweismittel die Kausalität im Einzelfall stützt mit der Frage, ob bei sich widersprechenden Gutachten mangels aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands letztlich nicht entschieden werden kann, welchem der Gutachten zu folgen ist. Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen erst ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet") (vgl zB BSG vom 26.11.1992 - 7 RAr 38/92 - BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7, RdNr 23). Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher erst, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen(stRspr, BSG vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - juris RdNr 20; Urteil vom 8.9.2010 - B 11 AL 4/09 R - juris RdNr 17; BSG vom 24.5.2006 - B 11a AL 7/05 R - BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4, RdNr 32). Dies gilt auch, wenn der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand im Streit steht, dessen fehlende Existenz mit der Folge einer Beweislastentscheidung erst nach entsprechenden Anstrengungen und der Sichtung staatlicher Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände, wissenschaftlicher Literatur etc festgestellt werden darf (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 61).

31

Das LSG führt zwar zutreffend aus, dass die Kausalitätsfeststellung nicht alleine auf das Vorliegen einer geeigneten Einwirkung und eines klinisch definierten Krankheitsbildes gestützt werden kann, weil angesichts der multifaktoriellen Entstehung vieler BKen es keinen Automatismus der Bejahung des Ursachenzusammenhangs allein aufgrund des Vorliegens entsprechender Einwirkungen und einer bestimmten Erkrankung gibt (s BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19 sowie BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2 RdNr 23). Es existiert keine zwingende Regel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen regelmäßig zu einer Anerkennung der BK führen würde (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22; s zur Unfallkausalität beim Arbeitsunfall BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Andererseits ist es grundsätzlich denkbar, dass bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung dieser alleine für die Bejahung der Kausalität genügt, wenn keine Anhaltspunkte für eine alternative (innere oder äußere) Ursache für die Erkrankung bestehen (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; vgl zu typischen Geschehensabläufen beim Arbeitsunfall BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 43 RdNr 30; s auch bereits BSG vom 21.11.1958 - 5 RKn 33/57 - BSGE 8, 245, 247; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 9 ff; s zum zulässigen Schluss von einer berufsbedingt erhöhten Ansteckungsgefahr auf eine berufliche Ursache der aufgetretenen Infektionskrankheit, wenn neben der Gefährdung durch die versicherte Tätigkeit keine anderen, dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Infektionsrisiken bestanden haben BSG vom 21.3.2006 - B 2 U 19/05 R - juris RdNr 16; vgl zur Verursachung von Meniskusschäden bei Bergleuten BSG vom 27.11.1986 - 5a RKnU 3/85 - SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 RdNr 12). Daher ist es weder dem Gutachter noch dem erkennenden Gericht verwehrt, im Einzelfall anhand der Gesamtumstände bei Vorliegen einer für die Schadensverursachung geeigneten Einwirkung sowie einem belastungskonformen Schadensbild bei fehlenden Anhaltspunkten für eine alternative äußere oder innere Verursachung die naturwissenschaftliche Kausalität zu bejahen.

32

Daher wird das LSG nicht nur Feststellungen dazu, an welcher Stelle des Körpers Druck auf den Kläger eingewirkt hat und ob dieser Druck in Höhe und Intensität zur Verursachung des TOS ausreichte, nachzuholen haben, sondern auch dazu, ob im Falle des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass das bei ihm diagnostizierte TOS auch ohne Druckbelastung von außen zB alleine durch innere schicksalhafte oder degenerative Ursachen entstanden ist (vgl BSG vom 27.11.1986 - 5a RKnU 3/85 - SozR 5670 Anl 1 Nr 2102 Nr 2 RdNr 12). Hierzu wird das LSG auch festzustellen haben, welche Variante des TOS beim Kläger besteht und insbesondere an welcher Stelle der Plexus brachialis geschädigt ist. Bereits aus der wissenschaftlichen Begründung und dem Merkblatt ergibt sich - wie bereits ausgeführt -, dass ein durch Druckeinwirkung verursachbares TOS in verschiedenen Varianten bekannt ist, nämlich in Form einer Engpassproblematik im Bereich der Skalenuslücken, der kosto-klavikulären Passage und/oder des Korakoids. Aus der einschlägigen Fachliteratur ergeben sich darüber hinaus weitere Differenzierungen wie das Scalenus-anterior-Syndrom, wenn der Musculus scalenus anterior betroffen ist, sowie das Hyperabduktionssyndrom oder Pectoralis-minor-Syndrom, wenn das Gefäßnervenbündel im Korakopektoralraum betroffen ist. Schließlich ist das Thoracic-inlet-Syndrom als Sonderform des TOS bekannt, das durch die Kompression der Vena subclavia und dadurch entstehende venöse Abflussstörungen verursacht wird (s zum Vorstehenden Sadeghi-Azandaryani, Das Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik, Therapie und Ergebnisse der Münchner Studie, Dissertation München, 2004, S 8 f).

33

Erst nach Feststellung der genauen Variante des beim Kläger bestehenden TOS und des Ortes der Druckeinwirkungen lassen sich Aussagen zum Pathomechanismus und damit dazu, ob die Druckeinwirkung überhaupt Wirkursache für das konkrete Erkrankungsbild war, treffen. In diesem Zusammenhang wird das LSG unter Umständen auch den zeitlichen Verlauf der Erkrankung im Verhältnis zum Einwirkungszeitraum zu würdigen haben. Da es selbst vom Vorliegen des Krankheitsbildes TOS ausgeht, wird es nicht den Beweiswert etwaiger positiver Gutachten mit dem Hinweis auf die Stellungnahme von Dr. S. negieren können, der offenkundig das Bestehen des TOS verneint. Auch wird das LSG dem Umstand, dass 2002 bis 2008 nur sechs Verdachtsfälle eines TOS als BK 2106 gemeldet worden sind, worunter sich kein Angehöriger der Berufsgruppe des Klägers befunden hat, keine den Kausalitätsnachweis ausschließende Wirkung beimessen können, weil entscheidend alleine die konkrete Belastung und das Erkrankungsbild sind (vgl aber zu erforderlichen, auf eine bestimmte Berufsgruppe bezogene Erkenntnisse zur Bejahung einer Wie BK nach § 9 Abs 2 SGB VII: BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 6/12 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 22 RdNr 17 ff).

34

b) Wäre die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer allein wesentlichen außerberuflichen wie zB einer inneren Verursachung zu verneinen, käme durchaus der Schluss in Betracht, dass eine vorhandene geeignete berufliche Einwirkung - die vom LSG offengelassen wurde - auch ein geeignetes Krankheitsbild verursacht hat. In diesem Zusammenhang wird das LSG auch zu erwägen haben, ob die in § 9 Abs 3 SGB VII vorgegebenen normativen Voraussetzungen in Form des Bestehens einer erhöhten Gefahr der Erkrankung aufgrund besonderer Bedingungen der versicherten Tätigkeit unter Umständen aufgrund der Kumulation verschiedener gefährdender Tätigkeiten iS der BK 2106 gegeben sind.

35

Im Anschluss daran wäre ggf über die Wesentlichkeit der beruflichen Ursache zu entscheiden. Erst wenn die bei versicherten Tätigkeiten erfahrene Einwirkung als eine der Wirkursachen feststeht, kommt es auf der zweiten Stufe darauf an, dass die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks des die Unfallversicherung jeweils begründenden normativen Tatbestands zu beurteilen. Die Wesentlichkeit einer Bedingung ist eine reine (im Übrigen nicht durch den Sachverständigen beantwortbare) Rechtsfrage (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

36

Ist jedoch nicht mehr aufklärbar, ob beim Kläger die Verursachung des TOS in seiner konkreten Ausprägung durch die beruflich erworbene Exposition gegenüber Druck hinreichend wahrscheinlich ist, käme eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen hingegen durchaus in Betracht.

37

Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr 2108 (BK 2108) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

2

Die 1947 geborene Klägerin war seit 1986 als Beschäftigte einer Garten- und Landschaftsbau GmbH tätig, wobei sie insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten im Autobahnbau Bäume und Solitärsträucher mit Ballen mit einem Gewicht von 20 bis 50 kg, manchmal 70 kg, bewegen musste. Im Jahre 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Anerkennung einer BK 2108 und gab an, dass sie ihre Tätigkeit wegen Rückenbeschwerden im Sommer 2002 habe aufgeben müssen. Durch Bescheid vom 7.9.2004 stellte die Beklagte fest, dass keine BK nach Nr 2108 der BK-Liste vorliege. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004). Durch Urteil vom 19.6.2006 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Das LSG hat nach Durchführung arbeitstechnischer und medizinischer Ermittlungen die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 31.1.2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zwar im Zeitraum zwischen 1986 und 2002 einer kumulativen Belastung von 18,5 Meganewtonstunden (MNh), also mehr als dem Lebensdosisrichtwert nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für Frauen von 17 MNh, ausgesetzt gewesen sei, weshalb die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien. Die Klägerin leide auch an einer monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS in Form eines Bandscheibenprolapses im Segment L5/S1. Es bestehe jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass diese Erkrankung der LWS durch die Berufstätigkeit zumindest als wesentliche Teilursache hervorgerufen worden sei. Die Spondylose übersteige im Nativröntgenbild entsprechend Ziffer 1.2 A der Konsensempfehlungen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3 S 211, 214 ff) nicht das alterstypische Maß. Daneben liege eine beginnende Chondrose der HWS geringer als an der LWS vor. Damit sei die Konstellation B3 der Konsensempfehlungen gegeben, weil ein monosegmentaler Befund ohne Begleitspondylose vorliege, keine konkurrierenden Ursachenfaktoren ersichtlich seien und keines der in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien erfüllt sei. Für ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen iS der B2-Konstellation ergäben sich aus den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte. Bei der Klägerin liege auch das weitere Zusatzkriterium der B2-Konstellation der besonders intensiven Belastung mit Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren nicht vor. Unter Zugrundelegung ihrer eigenen Angaben sei eine Belastung iHv maximal 8,42 MNh in einem Zeitraum von zehn Jahren, dh iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen, nachgewiesen. Die B2-Konstellation sei vom Wortlaut her eindeutig und lasse es nicht zu, einen halbierten Bezugswert statt den in den Konsensempfehlungen bezeichneten Bezugswert von 17 MNh für Frauen zugrunde zu legen. Dass sich ein Konsens dahingehend gebildet hätte, bei monosegmentalen Schadensbildern von Zusatzkriterien abzusehen, sei nicht ersichtlich. Nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft spreche bei der Konstellation B3 deutlich mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule.

4

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV. Die Auffassung des LSG, bei der Konstellation B3 des sog Konsensmodells spreche nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr gegen als für einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung der Wirbelsäule, sei rechtsfehlerhaft. Aus dem Konsensmodell ließen sich für die Konstellation B3 gerade keine Schlussfolgerungen ableiten. Es treffe nicht zu, dass bei einer Reduzierung der Anforderungen an eine besonders intensive Belastung auf die Hälfte des Dosiswertes das Konsensmodell seinen Sinn verliere. Das BSG habe die Dosiswerte halbiert, um den Erkenntnissen der Wirbelsäulenforschung Rechnung zu tragen. Diese habe zu dem Ergebnis geführt, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule auch bei Unterschreitung der im MDD vorgeschlagenen Orientierungswerte beruflich verursacht sein könnten. Die Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulen-Studie deuteten darauf hin, dass auch unterhalb des Orientierungswertes nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen könnte. Es biete sich an, die Reduzierung des Dosiswerts um die Hälfte im Sinne der Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 2007 auch hier zu übernehmen.

5

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 2013 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19. Juni 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2004 aufzuheben und festzustellen, dass bei der Klägerin seit dem 12. März 2003 eine Berufskrankheit nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV besteht.

6

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

7

Eine Übertragung der Rechtsprechung des BSG zur Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis auf das Kriterium der Konstellation B2 der Konsensvereinbarungen würde diese insgesamt infrage stellen. Selbst bei einer Halbierung des Richtwertes für die Gesamtbelastungsdosis und einer Übertragung auf das zweitbenannte Kriterium der Konstellation B2 werde dieser Wert durch die Klägerin mit 8,42 MNh nicht erreicht. Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des drittbenannten Kriteriums seien nicht festgestellt worden. Zwar bestehe bei Vorliegen der Konstellation B3 bezüglich der Zusammenhangsbeurteilung kein Konsens, jedoch stimme das Ergebnis des LSG mit der überwiegenden Meinung der Teilnehmer der Arbeitsgruppe sowie der Rechtsprechung überein.

Entscheidungsgründe

8

Die statthafte und zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht ausreichen. Weder lässt sich danach beurteilen, ob der isolierte Bandscheibenvorfall der Klägerin unter Zugrundelegung des neuesten Standes der medizinischen Wissenschaft ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben- und Tragen verursacht wurde, noch ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist.

9

Die erhobenen Klagen sind als Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Entscheidungen verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage zulässig (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 ff RdNr 10).

10

Der erhobene Anspruch beurteilt sich gemäß § 212 SGB VII nach den Vorschriften des SGB VII, weil nicht ersichtlich ist, dass der Versicherungsfall bereits vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom 7.8.1996, BGBl I 1254) eingetreten sein könnte. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 2108 der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGBl I 2623), die lautet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt (dazu unter A.). Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität ). Schließlich ist Anerkennungsvoraussetzung, dass der Versicherte deshalb seine Tätigkeit aufgeben musste sowie alle gefährdenden Tätigkeiten unterlässt. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 17). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN; zuletzt BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14).

11

A.1. Die Klägerin war vom 1.8.1986 bis Sommer 2002 in einer Firma für Garten- und Landschaftsbau als Arbeitnehmerin tätig. Sie war damit als "Beschäftigte" iS von § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

12

2. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unterlag die Klägerin in diesem Zeitraum bei der Ausübung der Beschäftigung einer kumulativen Einwirkungs-Belastung in Form von Hebe- und Tragevorgängen iHv 18,5 MNh (vgl zur Feststellung der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkung in Form von Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung BSG vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

13

3. Diese Belastungen erfolgten - wie der Tatbestand der BK 2108 voraussetzt - auch langjährig, nämlich von 1986 bis 2002 und damit 16 Jahre. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern sind (so wörtlich das aktuelle Merkblatt 2108, BArbBl 2006, Heft 10, S 30, Abschnitt IV; vgl zum Merkmal "langjährig" bei der BK 2109 BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15; s zur BK 2108 bereits BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 10; BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 22/03 R - juris RdNr 25; vgl auch: Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 7 mwN; Ricke in Kasseler Kommentar, Stand 5/2014, § 9 SGB VII RdNr 42; Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand 12/13, M 2108 Anm 2.2.2).

14

4. Nach den weiteren Feststellungen des LSG leidet die Klägerin an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Bei ihr liegt im Segment L5/S1 ein altersuntypischer Befund in Form eines Bandscheibenprolapses vor. Darüber hinaus sind keine altersuntypischen Veränderungen auch nicht in Form einer Spondylose vorhanden. An die Feststellung dieses monosegmentalen Befundes ist der Senat mangels zulässiger Rügen gebunden (§ 163 SGG).

15

B. Der Senat kann hingegen mangels hinreichender Tatsachengrundlage nicht entscheiden, ob das LSG zu Recht den Ursachenzusammenhang zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin verneint hat. Für die Anerkennung einer BK ist neben der Kausalität zwischen versicherter Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und der Erkrankung erforderlich. Für die umstrittene BK 2108 bedeutet dies, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit verursacht worden sein muss. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (siehe zum Arbeitsunfall die Entscheidungen des erkennenden Senats vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 34 ff sowie BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37; zu BKen s BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - juris RdNr 32; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 13 sowie - B 2 U 26/04 R - juris RdNr 17), die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Die Wesentlichkeit der Wirkursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung zu beurteilen (zur Theorie der wesentlichen Bedingung: zuletzt eingehend BSG, vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37 f sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 28 ff).

16

Vorliegend ist das LSG in durch das Revisionsgericht nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Klägerin einer in der Höhe zur Erzeugung des Bandscheibenschadens genügenden Einwirkungsbelastung unterlag (dazu unter 1). Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine positive Kausalitätsbeurteilung gegeben sind (dazu unter 2.). Ebenso wenig kann der Senat aufgrund der Feststellungen entscheiden, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit vorliegt (dazu unter 3).

17

1. Unter Zugrundelegung des bindend festgestellten Einwirkungs-Wertes iHv 18,5 MNh ist das LSG ausgehend vom MDD zutreffend davon ausgegangen, dass die versicherten Einwirkungen durch schweres Heben und Tragen, denen die Klägerin unterlag, in der Höhe ausreichten, um einen Bandscheibenschaden zu verursachen. Mit der Heranziehung des MDD zur Bestimmung der für eine Krankheitsverursachung erforderlichen Belastungsdosis folgt das LSG der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der seit 2003 (BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 1/02 R - USK 2003-219 RdNr 15; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 18 und zuletzt BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 25) dieses Modell als eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen angesehen hat. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (s zur Handhabung der hälftigen Orientierungswerte als Mindestbelastungswerte BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/07 R - juris RdNr 31; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25; sowie die Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R und B 2 U 10/14 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Für Frauen legt das MDD als Gesamtbelastungsdosis 17 MNh fest, die mit den bindend festgestellten 18,5 MNh sogar überschritten werden, sodass es im hier zu entscheidenden Fall nicht darauf ankommt, ob bereits ein geringerer, ggf hälftiger Wert dieses Orientierungswertes ausreichen würde, um von einem erhöhten Erkrankungsrisiko auszugehen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen nicht mehr verzichtet werden kann (vgl für Männer BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 25). Es kommt deshalb auch nicht drauf an, ob aufgrund der mittlerweile vorliegenden Ergebnisse der DWS-Richtwertestudie (DWS II; "Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie mit dem Ziel der Ableitung geeigneter Richtwerte", Kurztitel: "DWS-Richtwerteableitung", veröffentlicht unter http://www.dguv.de/ifa/Forschung/Projektverzeichnis/ FF-FB_0155A.jsp) eine weitere Absenkung der Orientierungswerte angezeigt ist. Der Senat weist aber in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gemäß § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII generelle Voraussetzung für die Einführung eines BK-Tatbestandes die gruppenspezifische Risikoerhöhung gegenüber der Gesamtbevölkerung ist, deren Annahme jedenfalls bei Werten iHv 3 MNh bedenklich erscheint(s nur Kranig, Was schadet den Bandscheiben?, DGUV Forum 2013, Nr 6 S 27, 31; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 25.9.2008 - L 10 U 5965/06 - Breith 2009, 307, RdNr 34 ff).

18

2. Der Senat kann allerdings nicht entscheiden, ob die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für die Bejahung des erforderlichen Ursachenzusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen iS der BK 2108 und der Bandscheibenerkrankung der Klägerin, die das Berufungsgericht verneint hat, vorliegen, weil hierfür die Feststellungen des LSG nicht ausreichen. Während die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK zum einen das Vorhandensein der tatbestandlich vorausgesetzten Einwirkungen, zum anderen die potentielle Kausalität zwischen diesen Einwirkungen und einer Erkrankung beinhalten, betreffen die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen ebenfalls zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen, nämlich zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen das Vorliegen eines Schadensbildes, welches mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest im Einklang steht (Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann , Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 179, 193, 199). Aus dem Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen kann angesichts der multifaktoriellen Entstehung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 26) nicht automatisch auf das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen der BK 2108 geschlossen werden; vielmehr müssen medizinische Kriterien hinzukommen (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 19; BSG vom 30.1.2007 - B 2 U 15/05 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4104 Nr 2, RdNr 23; vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 7/05 R - juris RdNr 16 zur BK nach Nr 4302 der Anlage zur BKV; BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R - juris RdNr 22).

19

Das Berufungsgericht hat in nicht zu beanstandender Weise bei der Bestimmung des maßgeblichen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands sowohl die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 zugrunde gelegt (dazu unter a) als auch das festgestellte Schadensbild diesen Erkenntnissen zugeordnet, mit dem Ergebnis, dass ein belastungskonformes Schadensbild iS der Konsensempfehlungen nicht vorliegt (dazu unter b). Hingegen ist die Aussage des Berufungsgerichts, in Fällen der B3-Konstellation spreche mehr gegen als für eine Verursachung durch die spezifischen beruflichen Einwirkungen iS der BK 2108 nicht haltbar (dazu unter c). Ob bei der festgestellten Befundkonstellation ein Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108 besteht, kann der Senat mangels hinreichender Feststellungen dazu, ob nach dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand Umstände vorliegen, die ausnahmsweise trotz Fehlens der B2-Zusatzkriterien der Konsensempfehlungen den Verursachungszusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und LWS-Schaden stützen, nicht entscheiden, weshalb der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist (dazu unter d).

20

a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LSG die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 216 ff, 228 ff) zugrunde gelegt hat. Diese bilden nach Überzeugung des Senats weiterhin den aktuellen Erkenntnisstand ab.Die naturwissenschaftliche Kausalitätsprüfung ist zwar eine der Bindung fähige tatsächliche Feststellung der Instanzgerichte (vgl Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 9), jedoch sind nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK unterfütternden allgemeinen (generellen) Tatsachen, die für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen von Bedeutung sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar (grundlegend: BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 5/05 R - BSGE 96, 297 = SozR 4-5671 § 6 Nr 2, RdNr 19 sowie BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 23; s auch BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23; s zur älteren Senatsrechtsprechung, wonach diesbezügliche Feststellungen dem Anwendungsbereich des § 163 SGG zugerechnet wurden: BSG vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 83 = SozR 3-2700 § 9 Nr 4 = SozR 3-5670 Anl 1 Nr 2108 Nr 4, juris RdNr 28; BSG vom 18.3.2003 - B 2 U 13/02 R - BSGE 91, 23 = SozR 4-2700 § 9 Nr 1, RdNr 15, jeweils mwN). Dies muss zunächst jedenfalls immer dann gelten, wenn diese - wie hier - zulässig gerügt werden (vgl BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15; s zur Problematik der Überprüfung von allgemeinen Tatsachen auf ihre offensichtliche Unrichtigkeit auch das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Inwieweit in der Rechtsprechung anderer Senate des BSG (zur Überprüfung sog "genereller Tatsachen" in der sonstigen Rechtsprechung des BSG vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 163 RdNr 7 sowie speziell im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung BSG vom 16.6.1999 - B 1 KR 4/98 R - BSGE 84, 90, 94 = SozR 3-1500 § 163 Nr 7, juris RdNr 17 sowie BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 27 und zuletzt BSG vom 12.9.2012 - B 3 KR 10/12 R - BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 55; s zu "Rechtstatsachen" BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 57/93 - SozR 3-1500 § 163 Nr 5, juris RdNr 27, zu "allgemeinkundigen Tatsachen historischer Natur" BSG vom 7.2.1985 - 9a RV 5/83 - BSGE 58, 38, 42 = SozR 3100 § 5 Nr 7, juris RdNr 17 sowie zu "gerichtskundigen Tatsachen" BSG vom 27.1.1977 - 7 RAr 16/75 - BSGE 43, 124, 127 = SozR 4100 § 41 Nr 28, juris RdNr 30) eine solche Überprüfung genereller Tatsachen erfolgt, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Bereich des Rechts der BKen hat das BSG aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen in der Anlage zur BKV regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen. Das über das Vorliegen von BKen befindende Gericht muss sich folglich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist. Die heranzuziehenden Quellen, Fachbücher, Standardwerke, Merkblätter des zuständigen Ministeriums, Begründungen des Sachverständigenbeirats, Konsensempfehlungen etc hat das jeweilige Gericht eigenständig kritisch zu würdigen und auf ihre Aktualität hin ggf durch Sachverständige zu überprüfen (vgl BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18; BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 68 f; BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 mwN).

21

Hierbei ist zunächst die Zugrundelegung der Konsensempfehlungen durch das LSG als Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob der Bandscheibenschaden der Klägerin nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch die festgestellten beruflichen Einwirkungen verursacht wurde, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Denn die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 sind nach wie vor eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands, wie der Senat zuletzt 2009 klargestellt hat (BSG vom 27.10.2009 - B 2 U 16/08 R - juris RdNr 15). Seitdem wurden zwar in Folge der Veröffentlichung der DWS II Fachaufsätze publiziert, die Zweifel an den Aussagen auch der Konsensempfehlungen äußern. Weder aus der DWS II noch den sonstigen Veröffentlichungen ist jedoch zu entnehmen, dass die Erkenntnisse der Konsensarbeitsgruppe aus dem Jahre 2005 gerade hinsichtlich der hier zugrunde gelegten Befundkonstellation inzwischen veraltet sein könnten. Sofern vertreten wird, dass inzwischen die Ergebnisse der DWS II die wesentlichen Grundannahmen aus den Konsenskriterien widerlegten, etwa weil die bisher angenommenen Einwirkungsgrößen zu hoch seien, die Lokalisation und Häufigkeit der Verteilung von Bandscheibenschäden zu 96 % mit denen der Normalbevölkerung identisch sei, die Auswertungen der DWS II keine deutliche Abhängigkeit der Begleitspondylose von der MDD-Gesamtbelastungsdosis gezeigt habe oder Schäden an der HWS keine Aussagekraft zur Verursachung von LWS-Schäden hätten (M. Kentner und K. Frank, Kommentar zur DWS-Richtwertestudie und Implikationen hinsichtlich BK 2108 - Biomechanik vs. Pathophysiologie, Manuskript, erscheint in ASUMed 8/2015); Linhardt/Grifka, Auswirkungen der Deutschen Wirbelsäulenstudie auf die Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule , MedSach 111 <2015>, 20, 21; Bergmann, Bolm-Audorff, Ditchen, Ellegast, Haerting, Kersten, Jäger, Skölziger, Kuß, Morfeld, Schäfer, Seidler, Luttmann, Lumbaler Bandscheibenvorfall mit Radikulärsyndrom und fortgeschrittene Osteochondrose, ZblArbeitsmed 2014, 233 - 238) handelt es sich erkennbar um wissenschaftliche Einzelmeinungen.

22

Die zitierten Publikationen setzen sich zum einen jeweils inhaltlich nicht mit der grundsätzlichen Kritik an der angewandten Methodik der Nachuntersuchung auseinander (s nur Grosser, Ergebnisse der Konsensusarbeitsgruppe zur Begutachtung der BK 2108 - Status quo und Konsequenzen aus der DWS, in: Grosser/Schiltenwolf/Thomann, Berufskrankheit "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule" , Frankfurt 2014, S 84 - 104; Zagrodnik, Fragliche Belastungsdosis, DGUV Forum 2014, Nr 7/8 S 10 - 13), zum anderen schöpfen sie ihre Kritik an den Aussagen der Konsensempfehlungen alleine aus den Ergebnissen der DWS II, und wenden sich im Wesentlichen gegen die Bestimmung und Höhe der Einwirkungsgrößen, nicht aber gegen die Grundaussage der Konsensempfehlungen, dass Bandscheibenschäden aufgrund beruflich erworbener Druckbelastungs-Dosen entstehen können. Der Senat verkennt nicht, dass ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand auch dadurch erschüttert werden kann, dass grundlegende und fundierte Zweifel seitens der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler diesem den Boden entziehen, ohne dass sich diese in ihrer Mehrheit auf einen neuen Konsens geeinigt hätten. Einzelne Gegenstimmen sind demgegenüber nicht geeignet, einen einmal gebildeten und sich in schriftlichen Beurteilungskriterien manifestierenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu erschüttern, solange nicht die daran beteiligten Autoren in ihrer Mehrheit diesen Konsens in wesentlichen Punkten aufkündigen oder eine (zumindest teilweise) personell anders zusammengesetzte große Mehrheit von mit dieser Materie befassten Fachwissenschaftlern diesem Konsens entgegentritt.

23

b) Sofern das LSG davon ausgeht, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen aus dem Jahre 2005 eine Anerkennungsempfehlung aussprechen, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden. So wie der erkennende Senat im Recht der BKen nicht gehindert ist, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Verursachungszusammenhängen festzustellen, ist er ebenso wenig gehindert, die korrekte Zuordnung des Sachverhalts seitens des Berufungsgerichts unter diesen einschlägigen Erkenntnisstand zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, wenn dieser in Konsensempfehlungen verdichtet ist. Bei diesen handelt es sich freilich nicht um einen normativen Text oder ein antizipiertes Sachverständigengutachten, weil die Konsensempfehlungen weder vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber erlassen noch von unabhängigen und der Neutralität verpflichteten Autoren verfasst wurden (P. Becker, ASUMed 2009, 592, 595). Daher sind sie für Verwaltung, Gerichte oder Gutachter auch nicht unmittelbar verbindlich (Siefert, ASR 2011, 45, 48) und es verbietet sich deren Auslegung unter strikter Anwendung der Regeln der juristischen Methodenlehre (vgl Bieresborn, Die Umsetzung der BK 2108 aus sozialrechtlicher Sicht aaO; S 199).Konsensempfehlungen dienen lediglich zur Erleichterung der Beurteilung im Einzelfall, um typische Befundkonstellationen im Hinblick auf die Kausalbeziehungen unter Zugrundelegung des aktuell wissenschaftlichen Erkenntnisstandes einordnen zu können (Duell, Kranig, Palfner, BK-Begutachtungsempfehlungen - Wissen von Experten für Experten, DGUV Forum 2012, Nr 4 S 14, 16). Andererseits muss bei diesem Erkenntnisvorgang überprüfbar bleiben, ob das LSG nach allgemeinem Verständnis den von ihm festgestellten Sachverhalt (noch) vertretbar den in den Konsensempfehlungen aufgeführten Kategorien zugeordnet hat.

24

Nicht zu beanstanden ist im Rahmen des soeben aufgezeigten Prüfumfangs jedenfalls die Aussage des LSG, dass bei der Klägerin keine Befundkonstellation besteht, für die die Konsensempfehlungen eine Anerkennungsempfehlung aussprechen. Für sämtliche B-Konstellationen wird dort vorausgesetzt, dass die (gesicherte) bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder als Vorfall hat. Sofern zusätzlich eine Begleitspondylose besteht (Befundkonstellation B1) gilt der Zusammenhang als wahrscheinlich. Liegt hingegen - wie hier nach den bindenden Feststellungen des LSG - keine Begleitspondylose vor, so wird der Zusammenhang nach den Konsensempfehlungen ua dann als wahrscheinlich betrachtet, wenn eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben besteht (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich 1. Alt). Alternativ müssen bei nur monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten "black discs" vorliegen (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 2. Alt). Als weitere Alternativen genügt für die Konstellation B2 entweder das Bestehen einer besonders intensiven Belastung, wobei hierfür als "Anhaltspunkt" das Erreichen des "Richtwertes für die Lebensdosis" in weniger als 10 Jahren (Befundkonstellation "B2" 2. Spiegelstrich), oder ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, wofür als "Anhaltspunkt" das Erreichen der Hälfte des "MDD-Tagesdosis-Richtwertes" durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4 1/2 kN) verlangt wird (Befundkonstellation "B2" 3. Spiegelstrich). Nach den bindenden, weil nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen keiner dieser Alternativen der Befundkonstellation B2 vor. Insbesondere hat das LSG bei fehlender Begleitspondylose lediglich einen - keinesfalls ausreichenden - monosegmentalen Befund sowie das Fehlen von black discs in zwei benachbarten Segmenten festgestellt. Es kommt daher für den vorliegenden Fall nicht darauf an, ob als "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben" (Befundkonstellation "B2" 1. Spiegelstrich, 1. Alt) auch ein bisegmentaler Befund ausreichen würde (so LSG Sachsen vom 21.6.2010 - L 2 U 170/08 LW - juris, das Gegenstand des Urteils des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - ist; anders Hessisches LSG vom 27.3.2012 - L 3 U 81/11 - juris). Auch kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob im Rahmen der Anwendung der Befundkonstellation B2 2. Spiegelstrich für die dort erwähnte "Lebensdosis" das Erreichen der hälftigen MDD-Dosis genügt (vgl ebenfalls das Urteil des erkennenden Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, in dem der Senat im Ergebnis die dahingehende Interpretation der Konsensempfehlungen durch das LSG als nicht offensichtlich falsch angesehen hat).

25

Das LSG hat freilich im vorliegenden Fall für den Senat bindend (§ 163 SGG) eine Belastung durch schweres Heben und Tragen innerhalb von 10 Jahren von maximal 8,42 MNh und damit nur iHv 49,53 % des nach dem MDD angenommenen Richtwertes für die Lebensdosis bei Frauen festgestellt, womit selbst der hälftige MDD-Wert nicht erreicht wurde. Anhaltspunkte dafür, dass auf Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands die rechtlich wesentliche Verursachung eines monosegmentalen Bandscheibenprolaps im Segment L5/S1 durch die in der BK 2108 genannten Einwirkungen bei Erreichen einer Gesamtbelastungsdosis iHv 8,42 MNh in einem Zeitraum von 10 Jahren ohne die sonstigen Zusatzerfordernisse der B2-Konstellation als hinreichend wahrscheinlich angenommen werden könnte, sind dem Senat nicht bekannt. Das LSG ist jedenfalls diesbezüglich bei Anwendung der Konsensempfehlungen weder von einem erkennbar falschen medizinischen Erfahrungssatz ausgegangen, noch hat es einen dem Senat bekannten oder vorgetragenen vorhandenen Erfahrungssatz nicht angewandt, als es unter Zugrundelegung der B3-Konstellation das Vorliegen einer mit einer Anerkennungsempfehlung konsentierten Befundkonstellation nach den Konsensempfehlungen verneint hat (vgl hierzu insbesondere das Urteil des Senats vom 23.4.2015 - B 2 U 10/14 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, sowie BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 27).

26

c) Soweit die Klägerin allerdings geltend macht, das LSG habe bei der Ablehnung des Ursachenzusammenhangs die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten, weil es davon ausgegangen ist, bei Vorliegen der Konstellation B3 spreche deutlich mehr gegen als für den Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter Erkrankung, hat sie zulässig und zutreffend die Anwendung eines nicht existierenden Erfahrungssatzes gerügt. Ein solcher Erfahrungssatz, wie ihn das LSG angenommen hat, ist nicht allgemeinkundig oder dem Senat gerichtsbekannt. Soweit weder eine Begleitspondylose noch eines der zuvor genannten Zusatzkriterien der Konstellation B2 vorliegen und keine konkurrierenden Faktoren erkennbar sind, war die Einschätzung des Zusammenhangs durch die Arbeitsgruppenteilnehmer der Konsensarbeitsgruppe offensichtlich unterschiedlich und es wurde folglich auch keine Anerkennungsempfehlung ausgesprochen (U. Bolm-Audorff et al, Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit 2005/3, S 211, 221 f).Dieser fehlende Konsens in der Arbeitsgruppe kann aber nicht so gedeutet werden, dass damit eine Anerkennung des Verursachungszusammenhangs im Einzelfall unmöglich wäre. Zwar wird die Schlussfolgerung des LSG häufig zutreffen, jedoch ist die vom LSG zugrunde gelegte generelle Aussage wissenschaftlich nicht belegt, so dass es im Einzelfall nicht ausgeschlossen und dementsprechend jeweils erst im Rahmen der Amtsermittlung festzustellen ist, ob individuelle, dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechende Umstände vorliegen, die im konkreten Einzelfall den Ursachenzusammenhang als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen(BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 52). Dies lässt sich anhand der tatsächlichen Feststellungen des LSG indes nicht beurteilen, das - von seiner Rechtsansicht her konsequent - die Ermittlungen bereits mit der Bejahung der Konstellation B3 beendet hat. Das LSG wird daher erst zu ermitteln haben, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle ohne die in der Konstellation B2 genannten Zusatzkriterien durch schweres Heben und Tragen verursacht werden können.

27

3. Für den Fall, dass ein solcher Erfahrungssatz feststellbar ist, wird das LSG auch weitere Feststellungen dazu treffen müssen, ob die erforderliche Regelmäßigkeit der Einwirkungen gegeben ist. Die von der Klägerin während ihrer Berufstätigkeit ausgeführten Hebe- und Tragevorgänge erfolgten in der Regel bei saisonbedingten Anpflanzungstätigkeiten, ohne dass sich der zeitliche Umfang bzw die Häufigkeit dieser Tätigkeiten den Urteilsgründen entnehmen lässt. Die Regelmäßigkeit der Einwirkung durch Heben und Tragen bzw Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ist kein geschriebenes Tatbestandsmerkmal der BK 2108, sondern lässt sich als Bestandteil der arbeitstechnischen Voraussetzungen dem Merkblatt 2006 (BArbBl 2006 Nr 10, S 30 ff, Abschnitt IV) entnehmen. Hintergrund ist, dass bei nicht regelmäßiger Belastung den Bandscheiben genügend Zeit zur Regeneration bleibt und deshalb keine Ursächlichkeit zwischen Druckbelastung und Schädigung besteht. Hierfür reicht es aber aus, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten erfolgten, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann. Vorausgesetzt wird, dass der Betroffene mindestens 60 Schichten im Jahr mit relevanter Wirbelsäulenbelastung ausgesetzt war. Wie bei der Belastungsdauer können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden (zum Verzicht auf eine Mindesttagesdosis bei BK 2108 auch BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 5, RdNr 24; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 08/2012, Anh zu K § 9 Anl zu BKV BK Nr 2108 - 2110 RdNr 11a, sowie zur BK 2109: BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 15). In tatsächlicher Hinsicht hat das LSG insoweit nur festgestellt, dass die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten im genannten Umfang insbesondere bei Anpflanzungsarbeiten an der Autobahn erfolgt sind. Insoweit wird das LSG ggf die Feststellung nachzuholen haben, ob diese Anpflanzungsarbeiten mindestens 60 Schichten umfassten, oder ob die Klägerin weitere diesen Kriterien entsprechende wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten ausführte.

28

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Borreliose als Berufskrankheit (BK) Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) hat.

Der 1959 geborene Kläger ist als land- bzw. forstwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten versichert. Er hat 5 ha Wiesen verpachtet und bewirtschaftet 4,28 ha eigenen Wald. Daneben ist er Angestellter der B.-GmbH in R-Stadt.

Am 14.07.2010 teilte der Kläger der Beklagten telefonisch mit, er habe im Mai 2007 nach Arbeiten im eigenen Wald einen Zeckenbiss gehabt. Es bestehe Verdacht auf Borreliose wegen seither bestehender Herzprobleme mit Vorhofflimmern. Im Fragebogen vom 17.08.2010 führte der Kläger aus, der Zeckenstich sei bei Aufarbeitung von Winterschäden und Brennholzgewinnung aufgetreten. Er habe die Zecke am Abend nach der Arbeit beim Duschen an einem Samstag im Mai 2007 entdeckt, in der Kniekehle bzw. am rechten Oberarm. Sie seien nicht mit Blut vollgesogen gewesen. Nach eigener Schätzung seien bis zur Entdeckung fünf bis sechs Stunden vergangen gewesen. Hautveränderungen seien in Umgebung der Stichstelle nicht aufgetreten. Beschwerden seien von Oktober bis Dezember 2007 aufgetreten. Er habe auch schon früher Zeckenbisse bei Waldarbeit gehabt.

Der Allgemeinarzt Dr. C. berichtete mit Schreiben vom 26.07.2010, dass mit ihm kein direkter Kontakt bei Zeckenbiss bestanden habe. Er habe den Kläger wegen Zeckenbisses erstmals im Juni 2008 behandelt. Der Kläger habe über wiederholte Zeckenbisse bei Waldarbeiten berichtet. Er leide unter unklarem paroxysmalen Vorhofflimmern ohne übliche Risikokonstellation, so dass eine Borreliose als Differenzialdiagnose einbezogen werden müsse. Aufgrund der Borrelienserologie sei eine fortgeschrittene Borreliose mit kardialer Beteiligung wahrscheinlich. Das Vorhofflimmern bestehe trotz zweimaliger Antibiotikatherapie - im Juni bzw. November 2008 - und zweimaliger pulmonaler Venenablation 2008 fort. Auf die beigefügten Unterlagen wird Bezug genommen. Im Attest vom 14.07.2010 führte Dr. C. aus, dass ein Zusammenhang des seit Dezember 2007 bestehenden paroxysmalen Vorhofflimmerns unklarer Genese mit Borreliose bei mehrmaligen Zeckenstichen durchaus denkbar sei.

Laut Laborbericht vom 10.06.2008 waren im Immunoblot wenige spezifische Antikörper gegen Borrelien Burgdorferi nachweisbar inklusive Spätmarker (Lyme-IgG Elisa 31 positiv, Lyme-IgM Elisa negativ, Lyme-IgG Immunoblot positiv); der serologische Befund passe sowohl zu einer aktiven Infektion der Stadien 2 oder 3 als auch zu einer Seronarbe nach ausgeheilter Infektion.

Auf das Vorerkrankungsverzeichnis der Betriebskrankenkasse mobil Oil vom 31.08.2010 wird Bezug genommen. Laut Arztbrief des Klinikums P. vom 21.12.2007 wurde der Kläger wegen neu aufgetretenen Vorhofflimmerns unklarer Dauer behandelt bei Verdacht auf arteriellen Hypertonus und Diabetes mellitus Typ II, bei seit Oktober 2007 deutlicher Leistungsminderung und unregelmäßigem, manchmal sehr schnellem Puls. Das EKG zeigte normofrequentes Vorhofflimmern. Wegen Rezidivs des Vorhofflimmerns erfolgte am 01.04.2009 erneute Behandlung im Klinikum P.. In Arztbriefen des Klinikums G. der L.M.U. (LMU) vom 13.12.2008 und des Internisten und Kardiologen Dr. L. vom 02.03.2009 wurde über Behandlungen mit pulmonaler Venenablation am 22.10. und 12.12.2008 berichtet bei Vorhofflimmern und kardiologischen Risikofaktoren wie arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipoproteinämie und Ex-Nikotinabusus.

Der Gewerbearzt Dr. D. sprach sich in seiner Stellungnahme vom 28.12.2010 gegen die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 3102 aus. Zwar könne es bei Borreliose in seltenen Fällen im Stadium 2 zur Beteiligung des Herzens kommen, wobei häufigste Form unterschiedliche AV-Blockierungen, Myokarditis (= Entzündung des Herzmuskels) und Perikarditis (= Entzündung des Herzbeutels) seien, die hier nicht vorlägen. Hier seien die EKG-Untersuchungen nach den Unterlagen in den Intervallen ohne Vorhofflimmern unauffällig gewesen. Der IgG-Titer sei niedrig und unterscheide sich nicht von einer Seronarbe. Die zweimalige Antibiotikagabe habe keinen Effekt auf das Vorhofflimmern gehabt. Ein ursächlicher Zusammenhang von Zeckenstich und paroxysmalem Vorhofflimmern sei bei sonst unauffälligen Herzbefunden nicht ausreichend wahrscheinlich.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.01.2011 die Anerkennung einer BK Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV und einen Anspruch des Klägers auf Leistungen ab, gestützt auf die Stellungnahme des Gewerbearztes. Eine aktive Borreliose oder Neuroborreliose habe nicht gesichert werden können. Ein Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Beschwerden und dem angegebenen Zeckenstich sei damit nicht wahrscheinlich zu machen.

Zur Begründung des am 21.02.2011 eingegangenen Widerspruchs wies der Kläger auf einen anstehenden Termin im Borreliosezentrum hin. Im Befundbericht des Borreliosezentrums F. vom 09.08.2011 wurde ausgeführt, dass nach Anamnese und Klinik eine chronisch aktive Borreliose mit allen Vegetationsformen bestehe, Zeichen einer chronisch systemischen Entzündung, eine mäßige Immunkompetenz und zirkulierende Immunkomplexe als Zeichen eines rheumatisch-entzündlichen Prozesses.

Der Beratungsarzt Dr. S. erklärte in seiner Stellungnahme vom 19.08.2011, dass die Befunde des sogenannten Borreliosezentrums allesamt schulmedizinisch wissenschaftlich nicht anerkannt seien. Die in der Arbeitsdiagnose aufgezählten Symptome und Erkrankungen seien beim Kläger nicht aktenkundig und entsprächen einer Auflistung aus einem Lehrbuch. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2011 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 24.10.2011 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG) erhoben.

Das SG hat Befundberichte und Unterlagen der behandelnden Ärzte sowie die Schwerbehindertenakte des Klägers beim Zentrum Bayern Familie und Soziales Regionalstelle Landshut (ZBFS) beigezogen.

Der Hausarzt Dr. C. hat im Befundbericht vom 22.8.2012 neben Herzrhythmusstörungen weitere Diagnosen genannt, u. a. Zustand nach Hashimoto-Thyreoditis, unter Schilddrüsenhormonsubstitution beschwerdefrei, Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipidämie und rezidivierende Beschwerden des Bewegungsapparates wegen degenerativer Veränderungen.

Im Rehabilitationsbericht des Rehazentrums Bad K. über den Aufenthalt des Klägers vom 20.04.2010 bis 11.03.2010 wurden wiederholte Episoden mit Vorhofflimmern geschildert. Mit CPAP-Therapie kam der Kläger bei Schlafapnoe-Syndrom gut zurecht.

Nach Berichten des Internisten und Kardiologen Dr. L. vom 16.01.2012 und 17.01.2012 über Behandlungen seit 23.05.2008 sind beim Kläger weiterhin monatlich Herzrhythmusstörungen mit eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit und Atemnot aufgetreten, etwa ein- bis zweimal im Monat, bzw. seit der letzten Pulmonalvenenisolation 2010 seltener - etwa einmal im Monat - und relativ kurz. Die Klink für innere Medizin II der Uniklinik R. hat im Arztbrief vom 29.03.2011 von einer Verbesserung mit zunehmender körperlicher Belastbarkeit seit erneuter Pulmonalvenenisolation am 14.12.2010 berichtet, bei noch vereinzelten Episoden mit Vorhofflimmern, ca. alle 10-14 Tage maximal 2-3 Stunden. Auf die Arztbriefe der Uniklinik vom 19.10.2010, vom 19.12.2010 und vom 29.03.2011 wird verwiesen.

Nach Bericht des Lungenfacharztes Dr. W. vom 25.06.2012 hatte der Kläger bereits im Oktober 2000 über ausgeprägte Tagesmüdigkeit, Monotonie-Intoleranz, Durchschlafstörungen, starkes Schnarchen und Restless-Legs-Syndrom geklagt. Damals sei eine Schlafapnoe nicht nachweisbar gewesen. Bei Kontrolle im Juli 2009 sei dagegen ein leichtes Schlafapnoesyndrom diagnostiziert worden.

Im Befundbericht des Borreliosezentrums F. der Dres. D., S. und B. vom 23.07.2012 ist CLB (= chronische Lyme-Borreliose) mit PLS (= Post-Lyme-Syndrom) nach DF-Befund genannt worden, mit deutlicher Verbesserung. Seit der letzten Behandlung am 11.10.2011 bestünden nur noch Belastungsatemnot und ein- bis dreimalige Nykturie (= nächtliches Wasserlassen). Auf die Berichte mit Dunkelfeld-Mikroskopie vom 13.09.2011 und vom 11.10.2011 sowie die beigefügten Laborbefunde wird Bezug genommen. Die Immunoblot-Untersuchung vom 28.07.2011 hat nach Laborbericht eine länger zurückliegende Borrelien-Infektion wahrscheinlich gemacht, ohne Hinweis auf frische Re-Infektion (IgG positiv, IgM negativ). Der Immunoblot-Befund vom 12.08.2011 hat insoweit keine wesentliche Änderung aufgewiesen (IgG positiv, IgM negativ).

Das SG hat anschließend von Amts wegen ein Gutachten des Internisten Dr. Z. vom 01.12.2012 nach Untersuchung des Klägers am 13.11.2012 eingeholt, eine ergänzende Stellungnahme von Dr. Z. vom 05.04.2013 und nach mündlicher Verhandlung am 21.06.2013 ein weiteres Gutachten des Internisten Dr. S. vom 03.07.2013, das dieser bei vom SG freigestellter Untersuchung nach Aktenlage erstellt hat.

Der Kläger hat Dr. Z. mitgeteilt, dass die Herzrhythmusstörungen früher zwei- bis dreimal pro Woche und seit homöopathischer Behandlung im Borreliosezentrum nur noch alle drei- bis vier Monate für 20-30 Minuten aufträten und sich von selbst zurückbilden.

Dr. Z. hat im Gutachten vom 01.12.2012 ausgeführt, dass nicht bewiesen werden könne, ob 2007 eine Borreliose durch eine infizierte Zecke hervorgerufen worden sei.

Es sei prinzipiell möglich, dass paroxysmales Vorhofflimmern durch Lyme-Borreliose infolge Borrelien-Infektion verursacht werde. Bei Borrelien-Karditis würden häufig AV-Blockierungen auftreten, aber auch Peri- und Myokarditiden. Der Ursachenzusammenhang sei beim Kläger aber nicht nachweisbar. Der Kläger habe kein Erythema migrans bemerkt, das für eine Borreliose Stadium I sprechen würde. Ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten solcher Hautrötungen und anschließendem Vorhofflimmern sei nicht sicher festzustellen. Außerdem seien Borrelien-Antikörper erstmals im Juni 2008 bestimmt worden; nach dem Befund sei eine Borreliose im Stadium 2 oder 3 möglich, aber auch eine Seronarbe nach ausgeheilter Infektion. Die Inzidenz für Vorhofflimmern nehme mit dem Alter zu und trete bei 1% der Bevölkerung im Alter von etwa 50 Jahren auch ohne kardiale Grunderkrankung in idiopathischer Form auf, also ohne dass eine Ursache benannt werden könne. Bei 15% der Patienten mit Vorhofflimmern sei es idiopathischer Genese. Als weitere mögliche Ursachen für Vorhofflimmern hat Dr. Z. akute Schilddrüsenüberfunktionsstörungen, akute Alkoholintoxikation sowie größere thorakochirurgische oder abdominelle Operationen genannt. Eine kardiale Manifestation bei Lyme-Borreliose sei nach ausreichender antibiotischer Behandlung sehr selten, während beim Kläger trotz zweimaliger Antibiotikatherapie im Juni und November 2008 das Vorhofflimmern weiter aufgetreten sei. Die Beweisfrage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Erkrankungen des Klägers und seiner forstwirtschaftlichen Tätigkeit wahrscheinlich sei, hat Dr. Z. unter Hinweis auf Nachweisprobleme nicht ausdrücklich beantwortet. Er hat aber das Vorliegen einer BK Nr. 3102 ohne weitere Begründung bejaht und erklärt, das intermittierende Vorhofflimmern sei wahrscheinlich auf die BK Nr. 3102 zurückzuführen, wofür er eine MdE in Höhe von 10 bis 20% angesetzt hat. Es sei möglich, dass das Reizleitungssystem bei dem Kläger durch einen Infekt „vulnerabel“ geworden sei.

Die Beklagte hat die Anerkennung einer BK Nr. 3102 weiterhin abgelehnt und sich auf eine Stellungnahme ihres internistischen Beratungsarztes Dr. S. vom 21.02.2013 gestützt. Dieser hat ausgeführt, dass hier ein Kausalzusammenhang zwischen Borreliose und Arrhythmien nicht bewiesen sei und die bloße Möglichkeit nicht genüge. Außerdem gelte ein Schlafapnoe-Syndrom als wichtiger Auslösefaktor für Arrhythmien und nächtliche Hypertonie, was auch zu Herzrhythmusstörungen führen könne. Angesichts der nur noch sehr seltenen, kurzen Beschwerden sei maximal eine MdE von

10 v. H. anzusetzen.

Dr. Z. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.04.2013 bestätigt, dass Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe ein vierfach erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern haben. Beim Kläger sei die Schlafapnoe aber erst durch Schlaflaboruntersuchung am 18.10.2009 und damit nach Auftreten des Vorhofflimmerns festgestellt worden. Trotz in letzter Zeit seltenerer Verwendung der CPAP-Maske habe sich das Vorhofflimmern reduziert. Letztlich könne weder ein Zusammenhang zwischen Borreliose und Vorhofflimmern bewiesen werden noch das Gegenteil. Nach der Versorgungsmedizinverordnung betrage der Grad der Behinderung (GdB) bei Rhythmusstörungen 10 bis 30.

Mit Stellungnahme vom 02.06.2013 hat Dr. S. eingeräumt, dass nach diesen Angaben eine Auslösung des Vorhofflimmerns durch Schlafapnoesyndrom weniger wahrscheinlich sei. Allerdings sei ein Ursachenzusammenhang zwischen Arrhythmien und Borrelienerkrankung nicht nachgewiesen. Möglich seien viele andere Ursachen oder ein idiopathisches Vorhofflimmern.

Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 21.06.2013 hat er die Zecke im Mai 2007 selbst entfernt und den Hausarzt nicht aufgesucht, weil nach dessen Auskunft eine Behandlung nur bei Rötung nötig sei. Er habe sich im Oktober 2007 körperlich schwach gefühlt und erneut mit Luftnot Anfang November 2007 und darum den Arzt aufgesucht.

Der Sachverständige Dr. S. hat im Gutachten vom 03.07.2013 ausgeführt, dass beim Kläger keine BK Nr. 3102 bestehe, dass keine Hinweise auf eine krankheitsaktive Borreliose vorgelegen hätten, dass eine durch Borrelien verursachte Erkrankung nicht nachweisbar sei und dass zwischen den Erkrankungen des Klägers, insbesondere seinen wiederkehrenden Arrhythmie bei Vorhofflimmern, und der forstwirtschaftlichen Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Entstehung oder Verschlimmerung nicht wahrscheinlich sei.

Die Dunkelfeld-Mikroskopie sei zum Nachweis einer krankheitsaktiven Borreliose nicht geeignet nach Empfehlungen deutscher und europäischer Fachgesellschaften. Erhöhte IgG-Antikörper seien kein Beleg für eine krankheitsaktive Borreliose, sondern nur für einen Kontakt des Immunsystems mit Borrelien zu einem unbekannten Zeitpunkt. Die Mehrzahl von Menschen mit solchem Antikörper-Nachweis sei zu keinem Zeitpunkt an Borreliose erkrankt (sogenannte Seronarbe). Der Mehrheit gelinge die erfolgreiche Abwehr der Infektion durch Bildung von Antikörpern; die IgG-Antikörper seien dann jahre- bis jahrzehntelang messbar. Dass es sich bei den erhöhten IgG-Antikörpern des Klägers um eine Seronarbe handele, zeige der konstante Nachweis bei mehrfachen Untersuchungen ohne wesentliche Änderungstendenz.

Die beim Kläger bestehende absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern sei eine für die Lyme-Karditis völlig untypische Variante. Dagegen spreche das völlige Fehlen von erhöhten IgM-Antikörpern gegen Borrelia burdorferi. Außerdem passe das Zeitmuster bzw. der Krankheitsverlauf nicht. Eine Lyme-Karditis könne Tage bis Monate nach dem Zeckenstich oder einem Erythema migrans auftreten, werde aber meist früher beobachtet, im Mittel nach 21 Tagen nach Feststellung eines Erythema migrans. Meist heile die Lyme-Karditis innerhalb kurzer Zeit vollständig spontan aus. In der Regel würden sich die Reizleitungsstörungen innerhalb von zwei bis vierzehn Tagen normalisieren, nur in circa 10% der Fälle blieben sie länger. Außerdem seien sie einer antibiotischen Behandlung gut zugänglich, die beim Kläger zweimal durchgeführt worden ist. Hinweise für eine Neuroborreliose oder eine Lyme-Arthritis im Sinne entsprechender Beschwerden, Schwellungen oder Gelenkergüsse sowie richtungsweisende begleitende deutliche Erhöhungen für IgM-Antikörper seien nicht dokumentiert.

In der mündlichen Verhandlung am 28.10.2013 hat der Kläger auf weiter bestehende Herzbeschwerden in unterschiedlicher Frequenz hingewiesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28.10.2013 abgewiesen. Der Kläger sei zwar wegen Tätigkeiten in Wald- oder Waldrandgebieten dem erhöhten Risiko einer Borrelieninfektion ausgesetzt gewesen. Der Antikörperbefund allein sei aber noch keine Krankheit im Sinne der BKV; vielmehr bestimme sich das Krankheitsbild der Lyme-Borreliose nach klinischen Befunden. Beim Kläger fehlten aber Hinweise für eine krankheitsaktive Borreliose. Das SG hat sich auf das Gutachten von Dr. S. gestützt. Soweit Dr. Z. eine BK

Nr. 3102 bejahe, könne ihm nicht gefolgt werden. Denn auch Dr. Z. habe keine klinisch manifeste Lyme-Borreliose-Erkrankung zweifelsfrei feststellen können. Soweit Dr. Z. seiner Beurteilung die Dunkelfeld-Mikroskopie zugrunde gelegt habe, sei dies kein nach Leitlinien deutscher und europäischer Fachgesellschaften anerkanntes Diagnosekriterium für das Krankheitsbild der Borreliose. Nicht zu folgen sei den Leitlinien der deutschen Borreliosegesellschaft e.V., die ein eigenständiges Krankheitsbild einer chronisch persistierenden Lyme-Borreliose (CLB) und sein sogenannte Post-Lyme-Syndrom (PLS) anerkenne, da dies den Leitlinien der etablierten wissenschaftlichen Fachgesellschaften - Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, schweizerische Gesellschaft für Infektiologie, European Society of Clinical Mikrobiology and Infectious Desease, European Consertes Action on Lyme-Borreliosis, American Academy of Neurology und den Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts - widersprächen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.

Zur Begründung der dagegen am 21.01.2014 erhobenen Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) hat der Klägerbevollmächtigte sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. Z. und die Aussage der behandelnden Ärzte gestützt, wonach die Beschwerden kardial nicht erklärbar seien. Der zeitliche Zusammenhang könne vernünftigerweise nur mit dem Zeckenbiss erklärt werden. Dr. Z. habe den Kläger persönlich untersucht und sich mit dem Krankheitsbild auseinandergesetzt.

Die Beklagte hält das SG-Urteil für zutreffend; Borreliose und schädigende Einwirkung müssten im Vollbeweis nachgewiesen sein. Ferner fehlten klinische Befunde einer Lyme-Borreliose laut Dr. S.

Das LSG hat die ärztlichen Unterlagen des Hausarztes Dr. C. und die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen. In den Unterlagen von Dr. C. finden sich Hinweise auf Schilddrüsenprobleme des Klägers seit 1998. Am 08.08.2003 hat Dr. C. die Verdachtsdiagnose von Herzrhythmusstörungen gestellt, bei unregelmäßig schnellem Puls am Vortag. Laut Patientenkartei hat der Kläger Dr. C. am 29.06.2007 von einem Zeckenstich im Mai 2007 im Hals berichtet und danach erstmals am 20.12.2007 über Vorhofflimmern geklagt, das seit mehr als zwei Monaten bestehe. Am 13.06.2008 hat Dr. C. wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung antibiotische Behandlung für mindestens drei Wochen begonnen. Ab 10.11.2008 erfolgte Infusionstherapie mit Antibiotika für zwei Wochen.

Im Arztbrief vom 27.02.2014 schildert der Internist und Kardiologe Prof. von H. als Beschwerden des Klägers ein intermittierendes, zwei- bis dreimal pro Woche, meist drei bis vier Stunden auftretendes Vorhofflimmern mit variablen Perioden und diagnostiziert eine hypertensive Herzerkrankung (chronische Linksherzbelastung mit LV-Hypertrophie und leichter biatraler Vergrößerung). Auf eine niedrig-normale Schilddrüsenstoffwechsellage bei bekanntem proarrhythmogenem Effekt von Thyroxin sei zu achten.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2015 hat der Vorsitzende auf unterschiedliche Rechtsprechung der Landessozialgerichte zu der Frage hingewiesen, inwieweit der Nachweis von Antikörpern gegen Borrelien bereits als Berufskrankheit Nr. 3102 anzusehen sein kann. Die gutachterlichen Bewertungen sind mit den Beteiligten erörtert worden. Auf die Niederschrift wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. Oktober 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2011 aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger eine Borreliose als Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts, die Schwerbehindertenakte des Zentrums Bayern Familie und Soziales Regionalstelle Landshut sowie die Akte des LSG Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden ist.

Gründe

A) Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt Berufung erweist sich als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage auf Feststellung einer Borrelioseerkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV abgewiesen. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 18.01.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2011 ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten (BKen) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2).

Nach ständiger BSG-Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK (vgl. hierzu BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 14). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris RdNr. 24 m. w. N.).

Die BK Nr. 3102 hat der Verordnungsgeber in der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: „von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“.

Bei dieser Infektionskrankheit muss ebenso wie bei der BK Nr. 3101 die Infektionsquelle nicht nachgewiesen werden; vielmehr genügt der Nachweis, dass der Versicherte hinsichtlich der im Berufskrankheitentatbestand genannten Infektionskrankheit beruflich einer besonderen, das normale Maß übersteigenden Infektionsgefahr ausgesetzt war (vgl. BayLSG vom 31.01.2013 - L 17 U 175/11 - Juris; BSG vom 04.05.1999 - B 2 U 14/98 - Juris RdNr. 18; BSG vom 25.10.1989 - 2 BU 82/89 - Juris RdNr. 6; Römer in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, Stand III/2012, Anlage zur BKV zu BK Nr. 3101-3104 RdNr. 10 und 12). Ferner ist zu prüfen, ob sich die generelle Gefahr aufgrund der im Gefahrenbereich individuell vorgenommenen Verrichtungen auch tatsächlich realisiert haben kann; durchbrochen wird der typische Geschehensablauf dagegen, wenn ausgeschlossen ist, dass die Infektion beruflich eingetreten ist (vgl. BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 7/08 R - Juris RdNr. 18; BSG vom 02.04.2009 - B 2 U 33/07 R - Juris RdNr. 14 und RdNr. 20). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Erkrankung auch durch Einwirkungen bedingt sein kann, die nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind, sind die für und gegen einen Kausalzusammenhang sprechenden Umstände im Sinne des Grundsatzes von der rechtlich wesentlichen Bedingung zu prüfen und abzuwägen (vgl. BSG vom 04.05.1999 - B 2 U 14/98 - Juris RdNr. 20).

Hintergrund der Einführung von Infektionskrankheiten als Berufskrankheiten war, dass das konkrete Infektionsereignis - als Arbeitsunfall - häufig nicht zweifelsfrei nachweisbar war (vgl. Römer in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, zur BKV zu BK Nr. 3101-3104 - RdNr. 5 m. w. N.). Zur Beweiserleichterung wurden daher bereits mit der 2. BKVO vom 11.02.1929 (BGBl. 1929 I S. 27) Infektionskrankheiten in bestimmten Einrichtungen (z. B. Krankenhäuser, Gesundheitsdienst, Laboratorien für naturwissenschaftliche und medizinische Untersuchungen) als Berufskrankheiten in die BKV aufgenommen. Die mit der 4. BKVO vom 29.01.1943 (RGBl. 1943 I S. 85) neu eingeführte BK Nr. 27 „Infektiöse Gelbsucht, Bang’sche Krankheit, Milzbrand, Rotz und andere von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“ bei „Unternehmen der Tierhaltung und Tierpflege sowie Tätigkeiten, die durch Umgang oder Berührung mit Tieren mit tierischen Teilen, Erzeugnissen und Abgängen zur Erkrankung Veranlassung geben“ wurde in der 5. BKVO vom 26.07.1952 (BGBl. 1952 I S. 395) als „von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“ neu gefasst. Seit der 6. BKVO vom 28.04.1961 (BGBl. 1961 I S. 505) galt die heutige Fassung unter Nr. 38 der Anlage zur BKVO ohne Beschränkung auf bestimmte Unternehmen. Nach der amtlichen Begründung zur 4. BKVO (vgl. dazu Becker in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Kommentar zum SGB VII, zu § 9 zu BK Nr. 3102, S. 315) sollten durch Einbeziehung einiger beim Menschen häufig beobachteter Tierkrankheiten die Angehörigen der in Frage stehenden Berufe den gleichen Versicherungsschutz erhalten, wie er für das Pflegepersonal in Krankenhäusern usw. nach Nr. 25 der Anlage zur 3. BKVO - also der heutigen BK Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV - bereits bestand.

1. Der Kläger bewirtschaftete hier als Forstwirt seit Jahren regelmäßig ca. 4,28 ha Wald und war somit während dieser versicherten Tätigkeit einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose ausgesetzt. Grundsätzlich finden sich mit Borrelien infizierte Zecken in ganz Deutschland bis zu 1.000 Meter Höhe, insbesondere in buschigen Wald- und Wegrändern, Laub- und Nadelwäldern, in Parkanlagen und Gärten mit Büschen und Sträuchern (vgl. hierzu u. a. LSG Baden-Württemberg vom 18.05.2011 - L 6 U 538/09 - Juris RdNr. 47). Die Gefahr einer Infektion durch versicherte Tätigkeiten ist bei in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Personen grundsätzlich deutlich erhöht (vgl. BayLSG vom 11.05.2005 - L 2 U 298/03 - Juris RdNr. 28; LSG Rheinland-Pfalz vom 16.09.1997 - L 7 U 199/95 - Juris RdNr. 37 mit weiteren Hinweisen; anders BayLSG vom 31.01.2013 - L 17 U 175/11 bei einem Waldbesitzer, der nur in zwei Jahren für wenige Monate Arbeiten in einem nur 0,211 großen Wald ausgeübt hatte). So liegt das Risiko eines Zeckenstichs mit anschließender Erkrankung für Forstarbeiter statistisch drei- bis fünfmal höher als für Menschen in anderen Berufen (vgl. Pressemitteilung des Kuratoriums für Waldarbeit und Forsttechnik von Mai 05/2010 zum KFW-Merkblatt „Gefahren durch Zecken, Viren und Bakterien bei der Waldarbeit“, S. 5). Landwirte und Forstarbeiter gehören wie Jäger und Gärtner zur Risikogruppe für Borrelieninfektionen, mit statistisch deutlich erhöhtem Durchseuchungsgrad (vgl. Widder, Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage S. 495, Durchseuchung von 30% gegenüber 3 bis 10% in der Allgemeinbevölkerung).

Der Senat schließt sich der Einschätzung des Sozialgerichts an, dass der Kläger in seiner versicherten forstwirtschaftlichen Tätigkeit angesichts der langjährigen Ausübung einem erhöhten Risiko von Zeckenbissen und dadurch einem erhöhten Risiko der Borrelien-Infektion und einer daraus resultierenden Borrelioserkrankung ausgesetzt war. Daher kann dahinstehen, dass der Zeckenbiss im Zusammenhang mit Waldarbeiten im Mai 2007 als konkrete Infektionsquelle nicht objektiv nachgewiesen ist mangels zeitnahem Arztbesuch und angesichts der unterschiedlichen Angaben zum Auffindeort der Zecke, wofür der Kläger mit Schreiben vom 17.08.2010 die rechte Kniekehle und den rechten Oberarm angegeben hatte, während er ausweislich der Kartei seines Hausarztes am 29.06.2007 von einem Zeckenstich im Mai 2007 am Hals gesprochen hatte.

2. Beim Kläger ist aber keine Lyme-Borreliose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen; insbesondere reicht die nachgewiesene Borrelieninfektion allein nicht aus für die Anerkennung einer BK Nr. 3102.

Eine Krankheit im Sinne vom § 9 SGB VII ist ein regelwidriger - d. h. von der Norm des gesunden Menschen abweichender - Zustand von Körper, Geist oder Seele (vgl. BSG vom 24.07.1985 - 9b RU 36/83 - Juris RdNr. 10). Im Gegensatz zum Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) setzt der Krankheitsbegriff des § 9 SGB VII weder Arbeitsunfähigkeit noch Behandlungsbedürftigkeit zwingend voraus (vgl. dazu BSG vom 27.07.1989 - 2 RU 54/88 veröffentlicht bei Juris zur Lärmschwerhörigkeit; Hauck/Noftz zu § 9 SGB VII RdNr. 27b).

Allerdings ist die bloße Aufnahme (Inkorporation) von Schadstoffen in den Körper bzw. die Anreicherung solcher Stoffe im Körper allein keine Krankheit im Sinne des BK-Rechts. Denn nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist die Bundesregierung nur zur Aufnahme von Krankheiten in die BKV ermächtigt, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch bestimmte Einwirkungen verursacht sind und diese Krankheitsbilder werden in den BK-Tatbeständen bzw. den hierzu erlassenen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen beschrieben. Erforderlich ist daher neben den Einwirkungen eine negative körperliche Reaktion mit Krankheitswert, die diesen Beschreibungen der erfassten Berufskrankheit entspricht (vgl. hierzu Hessisches LSG vom 18.11.2011 - L 9 U 226/06 - Juris RdNr. 27; Römer in Hauck/Noftz zu § 9 SGB VII RdNr. 27b; LSG Berlin-Brandenburg vom 08.05.2014 - L 3 U 228/12 - Juris RdNr. 41).

So hatte das BSG unter sinnorientierender Auslegung von Verordnungstext, Materialien und Gesamtzusammenhang der BK Nr. 2108 gefolgert, dass bloß röntgenologische Veränderungen der Lendenwirbelsäule nicht ausreichen für eine bandscheibenbedingte Erkrankung, sondern dass eine Funktionsbeeinträchtigung und ein klinisches Beschwerdebild zu fordern ist (vgl. BSG vom 31.05.2005 - B 2 U 12/04 R - Juris RdNr. 20-23). Ebenso hatte das BSG unter Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte und Gesetzessystematik silikotische Lungenveränderungen trotz Krankheitswert im Sinne der GKV nicht als silikosebedingte Berufskrankheit anerkannt mangels entsprechend schwerer silikosebedingter Insuffizienzerscheinungen (vgl. BSG vom 11.01.1989 - 8 RKnU 1/88 - veröffentlicht bei Juris).

Unter Berücksichtigung von Verordnungstext, Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang erfüllt die bloße Borrelieninfektion aber noch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen einer BK Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV.

Im Merkblatt zur BK Nr. 3102 (BArbBl. 10/2003, veröffentlicht in Mehrtens /Brandenburg, Kommentar zur BKV, M 3102) werden Krankheiten jeweils mit Angabe verschiedener Krankheitsbilder und Inkubationszeiten angegeben. Insbesondere wird als Krankheit im Anhang des Merkblattes unter Nr. 15 die Lyme-Borreliose genannt mit bestimmten Krankheitsbildern, nämlich Erythema migrans, wandernden Arthralgien, Herzbeschwerden, Magen-Darm-Symptomen, Lymphadenosis, Arthritis, Akrodermatitis chronica atrophicans, Enzephalomyelitis, Bannwarth-Syndrom (Meningoradikulitis) und transplazentare Infektion. Insgesamt setzt das Merkblatt klinische Erscheinungsbilder der Infektionskrankheit, insbesondere bei Lyme-Borreliose, voraus. Das belegt auch der Hinweis auf die Inkubationszeit bis zum Auftreten von Krankheitssymptomen.

Außerdem verweist das Merkblatt hinsichtlich Diagnose und Krankheitsbild auf die einschlägige Fachliteratur. Danach setzt die Diagnose einer Lyme-Borreliose bzw. Neuroborreliose aber neben entsprechenden Laborbefunden eine typische klinische Symptomatik voraus, da sich borrelienspezifische Antikörper in Deutschland und Österreich - je nach Endemiegebiet und Altersgruppe - auch bei 5-25% gesunder Personen finden lassen (vgl. dazu S 1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Neuroborreliose Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S. 2). Ferner wird ausgeführt (vgl. a. a. O. S. 6), dass der positive Nachweis borrelien-spezifischer IgM- und/oder IgG-Antikörper allein keine aktive Infektion mit Borrelia burgdorferi nachweist, da

1. Borrelieninfektionen mit asymptomatischer Serokonversion vorkommen und

2. über Jahre anhaltende erhöhte IgG- und IgM-Antikörpertiter (in Serum oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellen.

Damit übereinstimmend hat der Sachverständige Dr. S. dargelegt, dass erhöhte IgG-Antikörper im Blutserum gegen Borrellien allein keine krankheitsaktive Borreliose belegen können, sondern nur einen Kontakt des Immunsystems mit Borrelia burgdorferi zu einem unbekanntem Zeitpunkt. Denn laut Gutachter gelingt es der überwiegenden Mehrzahl solcher Personen, die Infektion durch eigene Immunabwehr durch Bildung der - dann jahre- bis jahrzehntelang messbaren - Antikörper erfolgreich abzuwehren; die überwiegende Anzahl von Menschen mit Nachweis solcher Antikörper ist zu keinem Zeitpunkt an Borreliose erkrankt, so dass man in diesen Fällen von einer sogenannten Seronarbe spricht.

Zutreffend führt das Hessische LSG im Urteil vom 18.11.2011 (L 9 U 226/06 - Juris RdNr. 27) aus, das die Lyme-Borreliose eine klinische Diagnose ist, d. h. dass klinische Kriterien für die Diagnosestellung entscheidend sind.

Im Übrigen weist die Entstehungsgeschichte des BK-Tatbestandes darauf hin, dass der Verordnungsgeber nicht die bloße Infektion im Blick hatte, sondern Krankheiten mit klinischer Symptomatik. Wie bereits dargelegt, war wesentlicher Hintergrund der Einführung von Infektionskrankheiten als BKen, dass das konkrete Infektionsereignis und damit ein Arbeitsunfall häufig nicht zweifelsfrei nachweisbar war (vgl. Römer in Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB VII, zu BK Nr. 3101-3104 - RdNr. 5 m. w. N.). Die zunächst in der 4. BKVO konkret genannten Krankheiten, nämlich infektiöse Gelbsucht, Bang´sche Krankheit, Milzbrand und Rotz, waren jeweils Krankheiten, die mit erheblichen klinischen Beschwerden einhergingen. Der Verzicht auf diese konkreten Krankheiten in der Neufassung der 5. BKVO bedeutete keine inhaltliche Änderung; nach der amtlichen Begründung war die neue Fassung kürzer, klarer und enthielt alle Voraussetzungen für die Entschädigung, ohne dass einzelne Krankheiten aufgeführt werden müssen (vgl. zur amtlichen Begründung Becker in Becker u. a., Kommentar zum SGB VII, zu § 9 zu BK Nr. 3102 S. 315).

Für die Annahme einer Berufskrankheit ist die Regelwidrigkeit des körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes vorauszusetzen, entsprechend der Definition eines Gesundheitserstschadens i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII (vgl. dazu BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 16/11 R - Juris RdNr. 19). Denn im Wesentlichen ist die Aufnahme als BK den Nachweisproblemen solcher konkreter Infektionsereignisse als Arbeitsunfall geschuldet, so dass die im BK-Tatbestand definierte Krankheit gleichsam an die Stelle des Gesundheitserstschadens des Arbeitsunfalls tritt.

Die Bildung von Antikörpern gegen einen Erreger ist allein nach Überzeugung des Senats aber kein regelwidriger Gesundheitszustand, sondern im Gegenteil ein regelhafter und angesichts der Abwehr von Erregern durchaus positiver und wünschenswerter Gesundheitszustand. Dementsprechend ist nicht schon bei Bildung von Antikörpern gegen Borrelien eine BK nach Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen (ebenso Hessisches LSG vom 18.11.2011 - L 9 U 226/06 - Juris RdNr. 27). Der Ansicht des LSG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 08.05.2014 (L 3 U 228/12, Juris RdNr. 41 f.), wonach bei Nachweis von Antikörpern gegen Borrelien bereits eine Berufskrankheit wegen „negativer Reaktion“ des Körpers vorliegt, ist mangels Regelwidrigkeit des körperlichen Zustandes bei Antikörperbildung nicht zu folgen. Der dortige Vergleich mit einer HIV-Infektion vermag nicht zu überzeugen. Denn zum einen wird im Merkblatt zu BK Nr. 3101 ausdrücklich auch die HIV-Infektion neben AIDS als Infektionskrankheit bezeichnet und damit als Krankheit im Sinne der BK Nr. 3101 definiert. Zum anderen wirkt sich bereits die Infizierung mit dem HI-Virus durch Zerstörung körpereigener Zellen auf die Immunabwehr aus und die gebildeten Antikörper sind für eine körpereigene Abwehr bzw. für ein Unschädlichmachen des Virus und Vermeidung klinischer Symptome nicht ausreichend. Demgegenüber gelingt es der überwiegenden Mehrzahl der mit Borrelien infizierten Personen, bei Infektion durch Immunabwehr mit Bildung körpereigene Antikörper den Krankheitsausbruch erfolgreich abzuwehren.

3. Daher setzt die Anerkennung einer Lyme-Borreliose nach Überzeugung des Senats neben dem Nachweis einer Borrelien-Infektion einen zum Krankheitsbild der Borreliose passenden klinischen Befund voraus (so BayLSG vom 11.05.2005 - L 2 U 298/03 - Juris RdNr. 30; ebenso Hessisches LSG vom 18.11.2011 - L 9 U 226/06 - veröffentlicht bei Juris). Ein entsprechendes Krankheitsbild liegt bzw. lag beim Kläger aber nicht vor. Der Senat schließt sich nach kritischer Beweiswürdigung in seiner Beurteilung den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. an.

Dr. S. hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass weder für eine Neuroborreliose noch für eine Lyme-Arthritis entsprechende Beschwerden bzw. klinische Befunde dokumentiert sind. Insbesondere sind Gelenkbeschwerden auch nach Ansicht der behandelnden Ärzte auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. So hat der Hausarzt Dr. C. im Befundbericht vom 22.08.2012 rezidivierende Beschwerden des Bewegungsapparates wegen degenerativer Veränderungen genannt, wie eine Lumbalgie bei Diskusprolaps L5/S1, eine Diskopathie C5/6, eine Cervicobrachialgie, eine Epicondylitis humeri radialis rechts und evtl. eine Kubitalarthrose des rechten Ellbogengelenks. Schwellungszustände und Gelenkergüsse im zeitlichen Zusammenhang mit dem vom Kläger als Ursache angeschuldigten Zeckenbiss im Mai 2007 sind weder vorgetragen noch aus den Unterlagen ersichtlich.

Das beim Kläger bestehende rezidivierende Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie ist nach Überzeugung des Senats ebenfalls keine Erscheinungsform einer Lyme-Borreliose.

Dass für diese Gesundheitsstörung eine vorangegangen Borrelieninfektion (mit-) ursächlich war, ist für den Senat angesichts der überzeugenden Ausführungen von Dr. S. nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht einmal hinreichend wahrscheinlich.

Der Sachverständige Dr. S. hat dargelegt, dass nur ein bis zwei Prozent der Personen, die von einer Zecke gestochen werden, eine aktive Borrelieninfektion entwickeln. Dabei macht das Fehlen eines Erythema migrans (sogenannte Wanderröte) eine frische Borreliose (Stadium I) weniger wahrscheinlich, schließt sie aber nicht aus. Bei krankheitsaktiver Lyme-Borreliose ist ein kardialer Befall nach verschiedenen Literaturstellen mit einer Häufigkeit von 0,4 bis maximal 4% zu erwarten. Dabei finden sich bei 90% der Patienten mit Lyme-Karditis atrioventrikuläre Überleitungsstörungen (AV-Überleitungsstörungen) der Stadien I, II und III. Die Karditis kann Tage bis Monate nach dem Zeckenstich oder einem Erythema migrans auftreten, wird aber meist früher im Verlauf der Lyme-Borreliose beobachtet, im Mittel nach 21 Tagen nach Feststellung eines Erythema migrans. Meist heilt die Lyme-Karditis innerhalb kurzer Zeit vollständig spontan aus; in der Regel normalisieren sich Reizleitungsstörungen innerhalb von zwei bis vierzehn Tagen und nur in circa 10% der Fälle bleiben sie länger. Ferner sind sie einer antibiotischen Behandlung sehr gut zugänglich.

Die Dunkelfeld-Mikroskopie ist laut Dr. S. zum Nachweis einer krankheitsaktiven Borreliose nach den Empfehlungen deutscher oder europäischer Fachgesellschaften nicht geeignet. Vor diesem Hintergrund überzeugt die Diagnose einer chronischen Lyme-Borreliose bzw. eines Post-Lyme-Syndrom, erstellt auf Grundlage des Dunkelfeldbefundes durch die Ärzte des Borreliosezentrums F., nicht.

Dr. S. hat unter Auswertung der vorliegenden ärztlichen Befunde ausgeführt, dass die Art der Herzrhythmusstörungen des Klägers - eine absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern - für eine Lyme-Karditis eine völlig untypische Variante ist.

Gegen eine Lyme-Karditis spricht im Fall des Klägers außerdem, dass in den vorliegenden Laborbefunden - vom 10.06.2008, vom 28.07.2011 und vom 12.08.2011 - niemals erhöhte IgM-Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachgewiesen waren, wie es bei frischer bzw. aktiver Infektion zu erwarten wäre. Die beim Kläger erhöhten IgG-Antikörper können hingegen auch nach abgelaufenen und ausgeheilten Infektionen über Jahrzehnte nachweisbar sein, ohne dass damit klinische Beschwerden einhergehen, wie Dr. S. übereinstimmend mit der bereits genannten Leitlinie der DGN ausgeführt hat. Der konstante Nachweis von IgG- und IgM-Antikörpern ohne wesentliche Änderungen bei mehrfachen Untersuchungen spricht zudem laut Dr. S. dafür, dass es sich um eine Seronarbe, also eine alte abgelaufene, nicht mehr aktive Infektion handelt.

Ferner hat Dr. S. schlüssig dargelegt, dass der zeitliche Ablauf zwischen Zeckenbiss und Auftreten des Vorhofflimmerns sowie der weitere Krankheitsverlauf gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen Borrelieninfektion und Vorhofflimmern spricht.

Denn eine Lyme-Karditis tritt im Mittel nach 21 Tagen nach Feststellung eines - hier nicht gesicherten - Erythema migrans auf. Demgegenüber hatte der Kläger seinem Hausarzt gegenüber erstmals im Dezember 2007 über Vorhofflimmern geklagt, das seit ca. Oktober bestünde, und einen Zeckenbiss im Mai genannt, also über vier Monate bzw. mehr als 120 Tage vor Auftreten der ersten Beschwerden. Zudem sind entsprechende kardiale Beschwerden im Sinne einer Lyme-Karditis nach den wissenschaftlichen Erfahrungssätzen oft schnell rückläufig und einer Behandlung durch Antibiotika gut zugänglich, wie Dr. S. mitgeteilt hatten. Im Fall des Klägers hatte der Hausarzt zweimal im Jahr 2008, nämlich im Juni und im November, mit Blick auf eine mögliche Borreliose entsprechende Antibiotikabehandlungen durchgeführt, ohne dass dadurch die kardialen Beschwerden beseitigt werden konnten. Dass homöopathische Behandlungen des Borreliosezentrums zu einer subjektiven Beschwerdebesserung geführt haben, ist nicht geeignet, einen Zusammenhang von Borrelieninfektion und Vorhofflimmern zu belegen; denn diese Therapiemaßnahmen sind nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung der medizinischen Fachgesellschaften keine anerkannte Therapie, wie die Leitlinie der DGN zeigt. Im Übrigen leidet der Kläger nach aktuellen Befunden trotz dieser Behandlung letztlich weiterhin unter Vorhofflimmern.

In Übereinstimmung damit hatte auch Dr. Z. dargelegt, dass ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Auftreten von Hautrötungen und anschließend neu aufgetretenem Vorhofflimmern nicht sicher festzustellen sei, zumal eine Borrelien-Bestimmung erstmals im Juni 2008 erfolgt war und eine kardiale Manifestation bei Lyme-Borreliose nach ausreichender antibiotischer Behandlung sehr selten ist. Dass beim Kläger das Vorhofflimmern trotz zweimaliger Antibiotikatherapie weiter aufgetreten ist, hat Dr. Z. als für eine Borreliose-Erkrankung untypisch bezeichnet. Die von Dr. Z. erwogene bloße Möglichkeit, dass das Reizleitungssystem des Klägers durch einen Infekt „vulnerabel“ - also verletzlich - geworden ist, genügt aber nicht, um einen Ursachenzusammenhang mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu belegen. Das gilt um so mehr, als nach den Ausführungen von Dr. Z. die Inzidenz für Vorhofflimmern mit dem Alter zunimmt, der Kläger im Oktober 2007 48 Jahre alt war und bei einem Prozent der Bevölkerung im Alter von etwa 50 Jahren auch ohne kardiale Grunderkrankung ein Vorhofflimmern in sogenannter idiopathischer Form auftritt, also ohne dass eine Ursache benannt werden kann. Ferner hatte Dr. Z. darauf hingewiesen, dass bei 15% der Patienten ein bestehendes Vorhofflimmern idiopathischer Genese ist. Aus dem Gutachten von Dr. Z. vermag der Senat nicht zu entnehmen, dass die Herzrhythmusstörungen des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die bei Waldarbeiten erfolgte Borrelieninfektion als wesentliche (Teil-) Ursache zurückzuführen ist bzw. dass beim Kläger eine Lyme-Borreliose vorliegt.

Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass nach Aussage von Dr. Z. als mögliche alternative Ursachen auch Schilddrüsenüberfunktionsstörungen diskutiert werden bzw. dass entsprechende Schilddrüsenmedikamente Arrhythmien auslösen können. Der Kläger hat nach den vorliegenden Unterlagen bereits Jahre vor Auftreten des Vorhofflimmerns Schilddrüsenprobleme mit der Notwendigkeit von Medikamenteneinnahme. Bereits am 15.07.1998 diagnostizierte der Internist Dr. P. eine latente Hypothyreose auf Grundlage einer hochaktiven Autoimmunthyreoiditis Hashimoto und empfahl Behandlung mit L-Thyroxin. Auch Dr. C. behandelte den Kläger wegen Hashimoto-Thyreoiditis und führte entsprechende Kontrolluntersuchungen ggf. mit medikamentöser Behandlung durch, z. B. am 16.10.2002, 11.04.2003, 02.07.2003, 30.06.2003 und 05.10.2005. Zuletzt hat der behandelnde Internist und Kardiologe Prof. von H. im Arztbrief vom 27.02.2014 ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Einnahme der Schilddrüsenmedikamente (Thyroxin) Arrhythmien verursachen kann (sogenannter proarrhythmogener Effekt) und dies bei der Medikation zu beachten ist. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Kläger Vorhofflimmern - also schnellen und unregelmäßigen Puls - bereits 2003 gegenüber seinem Hausarzt beklagt hatte und damit einige Zeit vor den hier als Ursache diskutierten Zeckenbissen im Mai 2007. Der Senat kann offenlassen, ob das mittlerweile beim Kläger festgestellte Schlafapnoesyndrom die derzeit bestehenden Herzrhythmusstörungen begünstigt.

Zusammenfassend ist aus Sicht des Senats Folgendes festzuhalten: Die Art der Herzrhythmusstörungen beim Kläger sowie der zeitliche Verlauf der Erkrankung - das erstmalige Auftreten der Beschwerden erst nach vier Monaten nach Zeckenstich und das Persistieren der Rhythmusstörungen trotz zweimaliger Antibiotikatherapie - sind untypisch für Herzbeschwerden im Sinne einer Lyme-Borreliose. Außerdem treten Herzrhythmusstörungen in der Bevölkerung häufig ohne benennbare Ursache auf, in idiopathischer Form, und beim Kläger sind andere Risikofaktoren für die Ausbildung von Herzrhythmusstörungen nachgewiesen, nämlich die Schilddrüsenprobleme bzw. die entsprechende Medikation.

Vor diesem Hintergrund spricht für den Senat auf Grundlage der insbesondere von

Dr. S. dargelegten herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr gegen einen Ursachenzusammenhang der Herzrhythmusstörungen des Klägers mit einer bei versicherter Waldarbeit erfolgten Borrelieninfektion als für einen solchen Ursachenzusammenhang. Eine Lyme-Borreliose des Klägers mit entsprechendem klinischem Krankheitsbild ist daher nicht wahrscheinlich, geschweige denn nachgewiesen. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 3102 der Anlage 1 zu BKV. Die Berufung ist erfolglos.

B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

C) Die Zulassung der Revision erfolgt im Interesse von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG angesichts der bereits zitierten unterschiedlichen Rechtsprechung der Landessozialgerichte zu der Frage, ob schon bei Nachweis entsprechender Borrelien-Antikörper ohne weitergehende klinische Symptome und Beschwerden bereits eine Lyme-Borreliose im Sinne der Berufskrankheit Nr. 3102 der Anlage 1 zur BKV festzustellen ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Lyme-Borreliose als Berufskrankheit (BK) nach Nr 3102 der Anl 1 zur BK-Verordnung (; "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", nachfolgend BK 3102) bei nachgewiesener Borrelieninfektion hat.

2

Der im Jahre 1959 geborene Kläger ist als forstwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten unfallversichert und bewirtschaftet seit Jahren regelmäßig seinen 4,28 ha großen Wald. Ihm ist seit 1998 ein Schilddrüsenmedikament verordnet, das als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann. Eine entsprechende Verdachtsdiagnose wurde Mitte 2003 erstmals gestellt. Im Dezember 2007 ließ er sich wegen eines seit mehr als zwei Monaten bestehenden Vorhofflimmerns stationär behandeln.

3

Im Juni 2008 stellte sich der Kläger wegen eines Zeckenbisses bei seinem Hausarzt vor, dem er bereits Mitte 2007 über einen Zeckenstich am Hals berichtet hatte. Laut Laborbericht waren im Immunoblot wenige spezifische Antikörper gegen Borrelia burgdorferi nachweisbar inklusive Spätmarker; der serologische Befund passe sowohl zu einer Serumnarbe nach ausgeheilter Infektion als auch zu einer aktiven Infektion der Stadien II oder III. Daraufhin wurde wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung eine Antibiotikabehandlung für drei Wochen eingeleitet und später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt, ohne dass sich eine Besserung einstellte.

4

2010 teilte der Kläger der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit, er habe im Mai 2007 nach Arbeiten im eigenen Wald einen Zeckenbiss bemerkt; Hautveränderungen seien in der Umgebung der Stichstelle nicht aufgetreten. Die Beklagte verneinte das Vorliegen einer BK 3102 sowie Ansprüche auf Leistungen (Bescheid vom 18.1.2011). Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren den Arztbrief eines sog Borreliosezentrums vorgelegt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil dessen Befunde schulmedizinisch und wissenschaftlich nicht anerkannt seien (Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011).

5

Das SG hat die Klage nach Einholung von Sachverständigengutachten abgewiesen, weil Hinweise auf eine krankheitsaktive Borreliose fehlten und der Antikörperbefund allein noch keine Krankheit iS der BKV sei (Urteil vom 28.10.2013). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 15.4.2015): Der Kläger sei bei seiner versicherten Tätigkeit als Forstwirt einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose ausgesetzt gewesen. Eine Lyme-Borreliose sei bei ihm aber nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhanden; insbesondere reiche die nachgewiesene Borrelieninfektion allein nicht aus, um eine BK 3102 anzuerkennen. Krankheit iS des § 9 SGB VII sei ein regelwidriger Zustand des Körpers, des Geistes oder der Seele. Dagegen führe weder die bloße Aufnahme von Erregern in den Körper noch die körpereigene Bildung von Antikörpern gegen diesen Erreger zu einem regelwidrigen Gesundheitszustand und damit zu einer Krankheit iS des BK-Rechts. Vielmehr sei neben den Einwirkungen und der durchaus positiven und wünschenswerten Abwehr der Erreger eine negative körperliche Reaktion mit Krankheitswert erforderlich, die den Beschreibungen der jeweiligen BK-Tatbestände bzw den hierzu erlassenen Merkblättern und wissenschaftlichen Begründungen entspreche. Unter Berücksichtigung des Verordnungstextes, der Entstehungsgeschichte und des Gesamtzusammenhangs setze die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 den labortechnischen Nachweis einer Borrelieninfektion und einen klinischen Befund voraus, der zum Krankheitsbild der Borreliose passe. Zwar sei hier eine Borrelieninfektion serologisch bewiesen. Allein der positive Nachweis borrelienspezifischer Antikörper belege aber keine aktive Infektion mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi, weil nach der entsprechenden Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Neuroborreliose, auf die das Merkblatt ua verweise, Borrelieninfektionen mit asymptomatischer Serokonversion vorkämen und über Jahre anhaltende erhöhte Antikörpertiter (in Serum oder Liquor) nach ausreichend behandelter Borreliose bei gesunden Personen keine Seltenheit darstellten. Der überwiegenden Mehrzahl infizierter Personen gelinge es, die Infektion mit der eigenen Immunabwehr durch Bildung der ggf jahrzehntelang messbaren Antikörper erfolgreich abzuwehren, sodass sie zu keinem Zeitpunkt an Borreliose erkrankten. Man spreche in diesen Fällen von einer sog Seronarbe. Soweit das Merkblatt als typische Krankheitsbilder einer Lyme-Borreliose ua "wandernde Arthralgien" und "Herzbeschwerden" benenne, hätten die beim Kläger vorhandenen Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen andere Ursachen. Die Gelenkbeschwerden seien auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Das Vorhofflimmern sei für eine Lyme-Karditis völlig untypisch, trete in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auf und habe sich erst vier Monate nach dem angeschuldigten Zeckenstich manifestiert, zudem sei eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben und es bestünden Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation, die als Nebenwirkung typischerweise Herzrhythmusstörungen hervorrufe.

6

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen (§ 9 SGB VII iVm Nr 3102 der Anl 1 zur BKV) und sinngemäß auch formellen Rechts (§ 128 Abs 1 S 1 SGG): Schon aufgrund der Borrelieninfektion liege eine feststellungsfähige BK vor. Denn unter Krankheit sei ein regelwidriger Körper- und Geisteszustand zu verstehen. Regelwidrig sei ein Körperzustand, der von der Norm abweiche, die dem Leitbild des gesunden Menschen entspreche. Hierfür sei es notwendig, dass die Aufnahme einer schädigenden Substanz in den Organismus zu negativen körperlichen Reaktionen mit Krankheitswert führe. Dies sei der Fall, wenn entsprechende Antikörper nachgewiesen seien, die das Immunsystem als Reaktion auf bestimmte Stoffe bilde. Dagegen sei die Rechtsansicht des LSG zu weitgehend, neben der Existenz von Antikörpern auch den Vollbeweis einer Infektionskrankheit zu fordern. Denn nach der Rechtsprechung des BSG sei zB auch die bloße HIV-Infektion bereits eine als BK anzuerkennende Erkrankung. Aber auch bei Zugrundelegung der Auffassung des LSG könne man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass mit den Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht und die Krankheit somit ausgebrochen sei, wie den einschlägigen Ausführungen des Robert Koch-Instituts entnommen werden könne.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. April 2015 und des Sozialgerichts Landshut vom 28. Oktober 2013 aufzuheben sowie den Bescheid vom 18. Januar 2011 und den Widerspruchsbescheid vom 22. September 2011 aufzuheben und eine Borreliose als Berufskrankheit nach Nr 3102 der Anl 1 zur BKV festzustellen.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Die Gelenkbeschwerden des Klägers beruhten nicht auf einem Borrelienkontakt, sondern auf degenerativen Veränderungen. Auch die Herzrhythmusstörungen seien kein Ausdruck dafür, dass bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht sei. Soweit sich die Revisionsbegründung auf den gegenteiligen Standpunkt stelle, habe sie eine Verletzung der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)nicht formgerecht gerügt. Die erhöhten Antikörperwerte belegten eine Inkorporation von Infektionserregern und damit den Tatbestand der Exposition, aber nicht den Versicherungsfall. Der Nachweis von Antikörpern habe für sich gesehen keinen Krankheitswert. Würde man der Argumentation des Klägers folgen, wäre jeder, der den Ausbruch einer Infektionskrankheit durch sein Immunsystem erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl krank. Jedenfalls sei das Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi ohne krankheitsaktive Borreliose für die Unfallversicherung irrelevant.

Entscheidungsgründe

10

A. Die Revision ist zulässig, soweit sie sich gegen die Anwendung materiellen Rechts wendet. Dagegen berücksichtigt das Rechtsmittel nicht ausreichend, dass Verfahrensverstöße grundsätzlich nur auf Rüge geprüft werden, die bis zum Ablauf der Begründungsfrist - vorliegend am 23.11.2015 - ordnungsgemäß erhoben sein muss (§ 202 S 1 SGG iVm § 557 Abs 3 S 2 ZPO).

11

Soweit die Revisionsbegründung ausführt, "man könnte sich allerdings auch auf den Standpunkt stellen, dass … mit den bei dem Kläger diagnostizierten Herzrhythmusstörungen bereits das Stadium II der Borreliose-Erkrankung erreicht" sei, macht sie sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) geltend, worauf die Beklagte zutreffend hinweist. Eine formgerechte Verfahrensrüge liegt indes nicht vor, weil die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung alternativ an die Stelle derjenigen des LSG setzt und ihren Standpunkt unausgesprochen als vorzugswürdig bezeichnet. Dies reicht für eine formgerechte Rüge der Verletzung des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung nicht aus (BSG Urteile vom 7.2.2006 - B 2 U 31/04 R - SozR 4-2700 § 63 Nr 3 RdNr 24 und vom 7.12.2004 - B 1 KR 10/03 R - Juris RdNr 18). Denn dem Revisionsgericht ist es nicht gestattet, unter mehreren möglichen Beweiswürdigungen eine Wahl zu treffen oder diese sonst zu bewerten (stRspr, vgl nur BSG Urteile vom 7.4.1987 - 11b RAr 56/86 - SozR 1500 § 164 Nr 31 S 50, vom 19.12.2001 - B 11 AL 50/01 R - Juris RdNr 16 und vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - Juris RdNr 10). Stattdessen hätte die Revisionsbegründung entweder aufzeigen müssen, dass das LSG das "Gesamtergebnis des Verfahrens" unzureichend berücksichtigt hat, oder schlüssig darlegen müssen, dass der festgestellte Sachverhalt nur eine Folgerung erlaubt, jede andere nicht denkbar ist und das Gericht gerade die einzig denkbare Schlussfolgerung nicht gezogen, mithin gegen Denkgesetze verstoßen hat. Da dies nicht geschehen ist, ist das BSG an die gegenteiligen Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 SGG), wonach die Herzrhythmusstörungen gerade keine Erscheinungsform einer Lyme-Borreliose sind.

12

B. Die im Übrigen zulässige Revision ist unbegründet, sodass sie zurückzuweisen ist (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, weil die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG) unbegründet ist. Die Entscheidung der Beklagten in dem Bescheid vom 18.1.2011, die Feststellung einer BK 3102 abzulehnen, und der Widerspruchsbescheid vom 22.9.2011 sind rechtmäßig.

13

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer BK ist § 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 3102. Nach § 9 Abs 1 S 1 SGB VII sind BKen nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog Listen-BK) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Senatsrechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (BSG Urteile vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR 4-2700 § 9 Nr 26, RdNr 10 mwN, vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 10 und - B 2 U 10/14 R - BSGE 118, 255 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 6 RdNr 11 sowie - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 10; s auch BSG Urteile vom 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R - BSGE 114, 90 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2109 Nr 1, RdNr 12, vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 16 mwN, vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE 103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 9 mwN, vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412, vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151 RdNr 14 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 14). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 31/11 R - Juris RdNr 34 mwN) und ernste Zweifel ausscheiden (BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3 RdNr 20). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

14

Der Verordnungsgeber hat die BK 3102 unter der Abschnittsüberschrift "Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten" wie folgt bezeichnet: "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten". Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes iVm § 9 Abs 1 SGB VII sind nicht erfüllt, weil der Kläger nicht an seiner solchen "Krankheit" leidet. Deshalb kann dahinstehen, ob dem LSG auch insoweit zu folgen gewesen wäre, als es für die "Einwirkung" keinen konkreten Nachweis von Zeckenstichen gerade bei der versicherten Tätigkeit gefordert, sondern es für ausreichend erachtet hat, dass der Kläger als Forstwirt generell "einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose" ausgesetzt gewesen ist. Anders als bei der BK 3101, die für den Nachweis der Einwirkung bei Infektionskrankheiten von Versicherten im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium eine "besondere Infektionsgefahr" schon tatbestandlich voraussetzt (hierzu BSG Urteile vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4 und - B 2 U 33/07 R - BSGE 103, 54 = SozR 4-5671 Anl 1 3101 Nr 5 sowie vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - NZS 2012, 151), ist die erforderliche Einwirkung in der hier zu beurteilenden BK 3102 vom Verordnungsgeber offengelassen und gerade nicht definiert worden. Der vom LSG offensichtlich beabsichtigte Verzicht auf die Feststellung jeder konkreten Einwirkung und das bloße Abstellen auf die abstrakte Gefahr des Arbeitens im Wald in einem Gebiet mit regional erhöhtem Zeckenbefall dürfte aber den Anforderungen einer im Vollbeweis festzustellenden Einwirkung kaum mehr genügen (vgl hierzu Bieresborn, NZS 2008, 354). Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil bei dem Kläger schon keine Krankheit iS der BK 3102 vorliegt.

15

Bei der BK 3102 handelt es sich um eine sog offene BK-Bezeichnung (vgl Spellbrink, BPUVZ 2012, 360, 362; ders SozSich 2013, 431 f; Bieresborn, NZS 2008, 354, 359), bei der die erforderliche Erkrankung nicht präzise umschrieben, sondern nur eine Krankheitsgruppe, nämlich "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten", genannt wird. Anerkennungsfähig sind mithin hier alle Krankheiten dieser Gruppe, die durch die betreffende Einwirkung potentiell verursacht werden können. Um ein bestimmtes Krankheitsbild aus dem Schutzbereich dieser BK ausschließen zu können, muss demgegenüber feststehen, dass entweder diese Krankheit nach dem Willen des Verordnungsgebers nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst sein sollte oder durch die jeweilige Einwirkung nicht verursacht werden kann (vgl iE BSG Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 11/14 R - BSGE 120, 230 = SozR, aaO, RdNr 14), was bei der Lyme-Borreliose nicht der Fall ist, die hier allein als eine anerkanntermaßen von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheit in Betracht kommt.

16

Werden - wie vorliegend - die Rechtsbegriffe "durch Infektionserreger … verursachte Krankheiten" und "von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" durch einen fachmedizinischen Diagnosebegriff ("Lyme-Borreliose") ausgefüllt, so bedeutet dies, dass diesem Diagnosebegriff der Bedeutungs- bzw Sinngehalt zukommt, den ihm der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand beimisst: Es müssen die Diagnosekriterien vorliegen, die krankheitsbeweisend sind, also nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft erfüllt sein müssen, um die Diagnose zu sichern. Das Recht knüpft damit an den medizinischen Diagnosebegriff und die dazu entwickelten Kriterien an, die die überwiegende Mehrheit der Fachmediziner, die auf dem jeweils in Betracht kommenden Gebiet über spezielle Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, wissenschaftlich fundiert vertreten ( s BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 15, zum Kehlkopfkarzinom nach ionisierenden Strahlen; vgl zuletzt BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 22 und vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Auf dieser Grundlage ist der Kläger nicht an einer Lyme-Borreliose erkrankt (nachfolgend 1.). Die Borrelieninfektion als solche stellt keine von Tieren auf Menschen übertragbare "Krankheit" im Rechtssinne dar (nachfolgend 2.). Sie liegt auch nicht deshalb vor, weil die behandelnden Ärzte aufgrund des Verdachts, es könnte eine Lyme-Borreliose bestehen, Laborbefunde erhoben und Therapiemaßnahmen in Form einer zweimaligen Antibiotikatherapie eingeleitet haben (nachfolgend 3.).

17

1. Der Kläger leidet nicht an einer Lyme-Borreliose, weil deren medizinisch-diagnostischen Kriterien nicht erfüllt sind. Auf der Grundlage der medizinischen Beweisaufnahme und unter Heranziehung der aktuellen S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) hat das LSG für das BSG bindend festgestellt (§ 163 Halbs 1 SGG), dass die Diagnose einer Lyme-Borreliose sowohl den (indirekten) Erregernachweis mittels Laboruntersuchung (Serodiagnostik, Antikörpernachweis) als auch den Nachweis einer typischen klinischen Symptomatik erfordert. Dass diese Diagnosekriterien nicht (mehr) dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechen, ist weder mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen gerügt worden (§ 163 Halbs 2 SGG)noch für den Senat offenkundig (zur insofern bestehenden Prüfungskompetenz vgl BSG Urteil vom 23.4.2015 - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20 mwN). Die Feststellung einer Lyme-Borreliose als BK 3102 setzt mithin voraus, dass ihre typischen klinischen Symptome und die Borrelieninfektion im Vollbeweis belegt sind und diese Leitsymptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf der Borrelieninfektion beruhen. Das LSG hat den (indirekten) Erregernachweis für erbracht erachtet (nachfolgend a) und das Vorliegen von klinischen Symptomen beschrieben, die für eine Borreliose-Erkrankung typisch sind (nachfolgend b). Es hat jedoch die hinreichende Wahrscheinlichkeit zwischen der nachgewiesenen Borrelieninfektion und den Gelenkbeschwerden bzw Herzrhythmusstörungen rechtsfehlerfrei verneint (nachfolgend c).

18

a) Das LSG hat unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wegen der nachweislich erhöhten IgG-Antikörper-Werte im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot einen Kontakt des Immunsystems mit Borrelia burgdorferi zu einem unbekannten Zeitpunkt und damit eine Borrelieninfektion bejaht.

19

b) Zum Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose zählen nach der Lfd Nr 15 des Anhangs zum Merkblatt der BK 3102 (Bekanntmachung des BMGS vom 1.9.2003, BArbBl 10/2003, 26) ua "Erythema migrans", "wandernde Arthralgien", "Arthritis" sowie "Herzbeschwerden". Die Merkblätter sind zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe heranzuziehen (BSG Urteile vom 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8 RdNr 15, vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 5 RdNr 8, vom 2.5.2001 - B 2 U 16/00 R - SozR 3-2200 § 551 Nr 16 S 85; BSG Urteil vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - BSGE 93, 149 = SozR 4-5670 Anl 1 Nr 2402 Nr 1, RdNr 17 mwN), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind (BSG Beschluss vom 11.8.1998 - B 2 U 261/97 B - HVBG-INFO 1999, 1373), was auch das LSG nicht verkannt hat. Hautveränderungen iS einer Wanderröte (Erythema migrans) hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG weder selbst bemerkt noch sind sie ärztlich dokumentiert. Auch fehlt der Nachweis von Schwellungszuständen und Gelenkergüssen als Zeichen einer manifesten Arthritis (Gelenkentzündung). Dagegen liegen wiederkehrende (rezidivierende) Gelenkbeschwerden ("Arthralgien") vor, die nicht auf eine bestimmte Körperstelle beschränkt sind, sondern nach Angaben des Hausarztes vor allem im Lendenwirbelsäulenbereich ("Lumbalgie"), in der Nacken-Schulter-Arm-Region ("Cervicobrachialgie") sowie dem rechten Ellenbogen (Epicondylitis humeri radialis, sog Tennisellenbogen) auftreten und damit als "wandernd" bezeichnet werden können. Darüber hinaus leidet der Kläger unter "Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie" und damit auch an "Herzbeschwerden".

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c) Unter Berufung auf den Hausarzt und das internistische Sachverständigengutachten ist das LSG indes ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass im Fall des Klägers gerade nicht mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und den beschriebenen Gelenkbeschwerden in mehreren Körperregionen spricht, sondern ein solcher wegen der gleichfalls nachgewiesenen degenerativen Veränderungen (Bandscheibenvorfall L5/S1, Bandscheibenschaden C5/6) ernsthaft bezweifelt werden muss. Ebenfalls ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das LSG den Zusammenhang zwischen der Borrelieninfektion und dem Vorhofflimmern mit absoluter Arrhythmie verneint hat, weil diese Erkrankung für eine Lyme-Karditis völlig untypisch ist, in der Altersgruppe des Klägers häufig ohne benennbare Ursache auftritt, sich erst vier Monate nach dem Zeckenstich manifestiert hat, eine zweimalige Antibiotikatherapie erfolglos geblieben ist und Schilddrüsenprobleme mit entsprechender Medikation bestehen, die als Nebenwirkung Herzrhythmusstörungen hervorrufen kann.

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2. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die symptomlose Borrelieninfektion als solche nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der "Krankheit" iS des § 9 Abs 1 S 1 SGB VII und der BK 3102 subsumieren. Gesetz- und Verordnungsgeber haben den im Recht der BKen vorausgesetzten Krankheitsbegriff nicht näher festgelegt, sondern von einer Definition abgesehen, weil der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt ständige Änderungen dessen bewirkt, was als "Krankheit" erkannt werden kann (BSG Urteil vom 30.9.2015 - B 3 KR 14/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29; Hauck, NJW 2016, 2695, 2700). In der Sozialversicherung umschreiben Rechtsprechung (BSG Urteile vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1, vom 26.11.1987 - 2 RU 20/87 - SozR 2200 § 551 Nr 31, vom 30.9.2015, aaO sowie zuletzt vom 8.3.2016 - B 1 KR 35/15 R - SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 mwN) und Literatur (Becker, SGb 2010, 131, 135; Brandenburg in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 9 RdNr 50; Knispel, SGb 2016, 632; Koch in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand November 2016, § 9 RdNr 54; Mehrtens/Brandenburg, BKV, § 9 SGB VII Anm 6; Ricke in Kasseler Kommentar, SGB VII, Stand 1.12.2016, § 9 RdNr 9; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Februar 2017, K § 9 RdNr 8a; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 9 RdNr 5; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 9. Aufl 2017, S 66; Spellbrink, SR 2014, 140, 143) Krankheit auch im BK-Recht als regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, wovon die Beteiligten und die Vorinstanzen ebenfalls ausgehen.

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"Regelwidrig" ist jeder Zustand, der von der Norm abweicht (normativer Krankheitsbegriff), die ihrerseits durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt ist (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 9 und SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 29). "Gesundheit" wiederum ist derjenige Zustand, der dem Einzelnen die Ausübung der (aller) körperlichen Funktionen ermöglicht (BSG aaO). Folglich kommt nicht jeder körperlichen Regelwidrigkeit (hier: Vorhandensein von Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi) Krankheitswert im Rechtssinne zu (BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10). Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird (funktioneller Krankheitsbegriff). Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen (zB Infektionserreger, Asbest, Quarzstaub) in den Körper allein im Regelfall nicht aus (anders offenbar LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.5.2014 - L 3 U 228/12 - Juris RdNr 41 f und Bayerisches LSG Urteil vom 13.12.1989 - L 10 U 144/88 - Juris, zur BK 1101). Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen (iS normabweichender physiologischer oder biologischer Prozesse) oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend)einer Funktionsstörung führt (zB leistungsmindernde Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf, vgl dazu BSG Urteil vom 11.1.1989 - 8 RKnU 1/88 - SozR 2200 § 551 Nr 34). Diese Auffassung wird durch die Gesetzessystematik des BK-Rechts bestätigt (dazu ausführlich Mehrtens/Brandenburg, aaO, § 9 Anm 6.3). Denn das Gesetz unterscheidet zwischen einer bereits eingetretenen BK, einer individuell drohenden - also noch nicht eingetretenen - BK sowie der generellen Gesundheitsgefahr am Arbeitsplatz. Dementsprechend differenziert das Unfallversicherungsrecht zwischen der Generalprävention (§§ 14 ff SGB VII) zur Vermeidung von schädigenden Einwirkungen auf die Versicherten am Arbeitsplatz, den individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV bei einer drohenden Gefahr der Entstehung, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens einer BK sowie Maßnahmen(Heilbehandlung, berufliche Rehabilitation, Entschädigung, §§ 26 ff SGB VII) bei einer anerkannten BK. Die individualpräventiven Maßnahmen nach § 3 BKV stehen somit an der Nahtstelle zwischen stattgehabter Einwirkung und dem Eintritt des Versicherungsfalls. Eine Schadstoffinkorporierung, zu der auch die Aufnahme von Krankheitserregern zählt, kann im Einzelfall die Voraussetzung einer drohenden Gefahr iS des § 3 BKV erfüllen, wenn die Gefahr des Eintritts eine mehr als entfernte Möglichkeit darstellt. Aus der normativen Differenzierung zwischen drohender BK iS des § 3 BKV und eingetretener BK iS des § 9 SGB VII folgt zugleich, dass die bloße Aufnahme eines schädlichen Stoffes grundsätzlich der erstgenannten Fallgruppe zuzuordnen ist(Mehrtens/Brandenburg, aaO).

23

Hier führte die Aufnahme von Borrelia burgdorferi in den Organismus des Klägers zu einer körperlichen Abwehrreaktion des Immunsystems, die laborchemisch belegbar ist. Damit waren jedoch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Störungen irgendwelcher Körperfunktionen verbunden; die Gelenkbeschwerden und Herzrhythmusstörungen hatten - wie unter 1. dargestellt - nach den bindenden Feststellungen des LSG andere Ursachen. Hat die körpereigene Immunabwehr des Klägers nach der Aufnahme von Borrelia burgdorferi das Auftreten von Funktionsstörungen gerade verhindert und ist die Infektion deshalb stumm (symptomlos, asymptomatisch) verlaufen, so liegt keine "Krankheit" im Rechtssinne und damit kein Versicherungsfall (§ 7 Abs 1 SGB VII)in der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Mit dem positiven Ergebnis im Antikörper-Suchtest IgG-ELISA und im Bestätigungstest IgG-Immunoblot ist somit allenfalls eine körperliche Einwirkung, nicht jedoch eine (Berufs-)"Krankheit" belegt. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass niemand, dessen Immunsystem den Ausbruch einer Infektionskrankheit erfolgreich abgewendet habe, gleichwohl als "krank" im Rechtssinne bezeichnet werden könne. Vielmehr tritt der Versicherungsfall der BK erst ein, wenn die Infektionskrankheit zu Funktionsstörungen führt, weil die körpereigene Immunabwehr überfordert ist.

24

Soweit die Revision geltend macht, das BSG (Urteil vom 18.11.1997 - 2 RU 15/97 - Juris RdNr 19: "HIV-Infektion ist eine Infektionskrankheit") sei bereits bei der nachgewiesenen Infektion mit dem HI-Virus vom Vorliegen einer BK 3101 ausgegangen, lässt sie unbeachtet, dass es nach einer HIV-Infektion meist zu ersten Krankheitszeichen (zB Fieber, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit, Hautausschläge, Gelenkschmerzen usw) kommt und die medizinische Wissenschaft daher konsequenterweise bereits von einer akuten "HIV-Krankheit" (nicht gleichbedeutend mit "AIDS") spricht (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, HIV und AIDS, Heft 31 Juni 2006, Robert Koch-Institut in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt, S 8), während die Infektion mit Borrelia burgdorferi typischerweise symptomlos verläuft. Zudem handelt es sich bei der Ansteckung mit dem HI-Virus um eine Infektion, die ohne ärztliche Behandlung zu einer lebensbedrohlichen AIDS-Erkrankung führen kann, weil das körpereigene Immunsystem allein regelmäßig nicht in der Lage ist, die Infektionserreger vollständig abzuwehren (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, aaO). Dagegen erkrankt die Mehrzahl der Menschen mit dem Nachweis borrelienspezifischer Antikörper nicht an Borreliose, weil es ihrer Immunabwehr - wie hier - gelingt, die Infektion erfolgreich zu bekämpfen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die sich auf das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme und auf die aktuelle S1-Leitlinie der DGN (zur Neuroborreliose, Stand September 2012, AWMF-Registernummer 030/071, S 2) stützen, kommen borrelienspezifische Antikörper auch bei gesunden Personen vor, sodass ihr serologischer Nachweis allein noch keine aktive Infektion mit aktiven Borrelia burgdorferi belegt.

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3. Soweit die Rechtsprechung in einem Einzelfall schon den bloßen Krankheitsverdacht als "Krankheit" iS des BK-Rechts angesehen hat, ohne dass schon akute Funktionsbeeinträchtigungen vorlagen (BSG Urteil vom 24.7.1985 - 9b RU 36/83 - SozR 5670 Anl 1 Nr 3102 Nr 1), vermag dies an dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern. In dem genannten Fall (BSG Urteil vom 24.7.1985, aaO) hatte der als Forstwart beschäftigte Kläger ohne Schutzhandschuhe ein an Tollwut erkranktes Reh zerwirkt. Auf die darauf erfolgte Tollwutimpfung erkrankte der Kläger an mit Wahrscheinlichkeit auf diese Impfung zurückzuführenden Herzbeschwerden. Das BSG hat insofern die Notwendigkeit der "Heilbehandlung" (Impfung) aufgrund des bloßen Krankheitsverdachts bejaht. In einer vergleichbaren Situation befand sich der Kläger hier im Juni 2008, nachdem Herzrhythmusstörungen aufgetreten, die serologischen Laborbefunde positiv gewesen waren und sein Hausarzt "wegen nicht ganz ausgeschlossener Borreliose mit kardialer Beteiligung" eine medikamentöse Antibiotikabehandlung für drei Wochen einleitete, die später mittels Infusionstherapie für zwei Wochen wiederholt wurde. Dies ändert aber nichts daran, dass die "Krankheit" iS des jeweiligen Tatbestands der in der Anl 1 zur BKV aufgelisteten Krankheiten für die isolierte Feststellung einer BK jeweils iS des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen muss. Ein bloßer Krankheitsverdacht, der sich rückblickend nicht bestätigt hat, kann daher nicht zu der hier erstrebten und mit der Revision verfolgten Feststellung einer BK führen, wenngleich für die aufgrund des "Verdachts" durchgeführten Diagnosemaßnahmen etc eine Zuständigkeit der Beklagten - etwa auch gemäß § 3 BKV- gegeben sein kann.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.