Oberlandesgericht Braunschweig Beschluss, 17. Jan. 2022 - 4 EK 12/21

ECLI:olgbs
erstmalig veröffentlicht: 29.04.2022, letzte Fassung: 05.05.2022

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Oberlandesgericht Braunschweig

Beteiligte Anwälte

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors

Die Klägerin begehrt im vorliegenden Rechtsstreit Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gem. § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauer eines vorgelagerten Verfahrens zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Unterhaltsprozess vor dem Amtsgericht. Aus dem effektiven Rechtsschutzgebot ergibt sich, dass ein gerichtetes Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz bereits dannach unheilbar verletzt ist, wenn eine nur vorläufige gerichtliche Entscheidung zu spät kommt. 

Das Oberlandgericht Braunschweig wies den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Entschädigungsklage unter der Berücksichtigung, dass die Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG für die beabsichtigte Entschädigungsklage nicht gewahrt wurde, zurück.  

Oberlandesgericht Braunschweig

Beschluss

OLG Braunschweig, Beschluss vom 17.01.2022 - 4 EK 12/21

vorgehend:

AG Goslar, 18.11.2021 - 13 F 68/20

1. Das einer Klageerhebung vorgeschaltete Verfahren zur Bewilligung von Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe ist entschädigungsrechtlich ein eigenständiges Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

2. Da das Prinzip der Rechtsschutzgleichheit es gebietet, die Situation von Bemittel-ten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (BVerfGE 81, 347, 356 f.), ist beim Verfahren zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe eine angemessen schnelle richterliche Entscheidung gebo-ten. Kommt diese zu spät, kann dies bereits den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzen.

3. Eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz kann nachträglich nicht mehr durch eine angemessen zügige Entscheidung im Hauptprozess geheilt werden.

Tenor

Der Antrag der Antragstellerin vom 18.11.2021 auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts für die beabsichtigte Entschädigungsklage wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gem. § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauer eines vorgelagerten Verfahrens zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Unterhaltsprozess vor dem Amtsgericht X. (Familiengericht).

Mit am 30.03.2020 beim Amtsgericht X. eingegangenem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 12.03.2020 beantragte die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine auf Zahlung von Trennungsunterhalt gerichtete Klage gegen ihren Ehemann.

Mit Hinweisbeschluss vom 01.05.2020, eingegangen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 25.05.2020, wies die zuständige Richterin unter Bezugnahme auf eine „zum 30.04.2020 zugesagt[e] Auskunft“ darauf hin, dass der Verfahrenskostenhilfeantrag „aktuell mutwillig“ sei und fragte an, ob der Antrag zurückgenommen werden solle.

Nach zwischenzeitlichem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 07.05.2020, mit dem dieser sich – unter Hinweis auf den mit beabsichtigter Klage begehrten Trennungsunterhalt – nach dem Sachstand erkundigt hatte, wies die zuständige Richterin mit Beschluss vom 19.05.2020, eingegangen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 03.06.2020, darauf hin, dass „covidbedingt“ aktuell vor allem Kindschaftssachen gefördert würden. Zugleich forderte sie die Antragstellerin mit Fristsetzung auf, die Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen im Formular (dort Ziffern E 3 und 4) zu vervollständigen, Unterlagen zu einem Bausparvertrag und einem Immobilienfinanzierungsvertrag vorzulegen sowie ergänzend zur Höhe der Zins- und Tilgungsbeträge vorzutragen.

Mit Schriftsatz vom 26.05.2020 teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin dem Gericht mit, dass der Verfahrenskostenhilfeantrag nicht zurückgenommen werde und wies zugleich darauf hin, dass mit beabsichtigter Klage kein Auskunftsanspruch gelten gemacht werde. Weiterhin führte er darin zur im Beschluss vom 01.05.2020 bezeichneten angekündigten „Auskunft“ der Gegenseite zu deren Einkommensverhältnissen aus. Diese sei nicht bis Ende April erfolgt.

Mit weiterem Schriftsatz vom 09.06.2020 reagierte die Antragstellerin sodann auf den Beschluss vom 19.05.2020 und teilte hierzu ergänzend über ihren Prozessbevollmächtigten mit, dass die Angaben im Formular unter Ziffer E 3 und 4 mangels Kenntnis der genauen Einkommensverhältnisse der Gegenseite nicht näher spezifiziert werden könnten. Die angeforderten Dokumente wurden vorgelegt und um weitere Angaben zum Bausparvertrag sowie zur Immobilienfinanzierung ergänzt mit dem Hinweis, dass es sich bei der Immobilienfinanzierung um ein Annuitätendarlehen handele, weshalb keine genauen Angaben zu den monatlichen Zins- und Tilgungsleistungen gemacht werden könnten.

Mit Beschluss vom 15.06.2020 erforderte die Richterin weitere Informationen im Zusammenhang mit dem Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin, so insbesondere zur Wohnsituation innerhalb der in ihrem Eigentum stehenden Immobilie, welche die Antragstellerin gemeinsam mit ihre Mutter bewohnt, welcher mit – im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – im Jahr 2001 vollzogener Eigentumsübertragung der Immobilie an die Antragstellerin ein lebenslanges Wohnungsrecht eingeräumt worden war.

Mit weiterem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 18.06.2020 wurden die Wohnsituation näher erläutert und Gegenfragen zu den vom Gericht angeforderten Angaben zu Zins- und Tilgungsleistungen formuliert.

Mit Beschluss vom 25.06.2020 wies die zuständige Richterin des Amtsgerichts den Verfahrenskostenhilfeantrag zurück. Zur Begründung führte sie im Beschluss aus, dass die Antragstellerin selbst in der Lage sei, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nicht selbst genutzte Hausgrundstücke/Eigentumswohnungen seien als Vermögen einzusetzen. Die Antragstellerin bewohne nur einen Teil der Immobilie, die andere Wohnung werde durch die Altenteilerin bewohnt. Im Übrigen habe die Antragstellerin keine detaillierten Angaben zu Zinssatz und Tilgungsraten gemacht. Da die Immobilie teilweise fremdgenutzt werde, dürfte ein Teil der Darlehensraten nicht abzugsfähig sein und ausschließlich der Vermögensbildung dienen. Auch im Rahmen der selbstgenutzten Wohnung sei zu differenzieren, welcher Anteil der Darlehensrate der Vermögensbildung und welcher Teil den Unterkunfts- und Heizungskosten zuzurechnen sei. Eine hierzu gesetzte Nachfrist habe die Antragstellerin verstreichen lassen.

Darüber hinaus erscheine der Verfahrenskostenhilfeantrag mutwillig und der Antrag dürfte keine Aussicht auf Erfolg haben. Die Anhängigmachung des Verfahrenskostenhilfeantrages am 30.03.2020 erscheine mutwillig, dies vor dem Hintergrund der zu diesem Zeitpunkt deutschlandweit bestehenden Einschränkungen durch die Coronapandemie, auf die sich die Gegenseite im Zuge einer erbetenen Fristverlängerung bzgl. der von der Antragstellerin vorgerichtlich beanspruchten Auskunftserteilung ausdrücklich berufen habe. Die Mutwilligkeit folge ferner aus dem Umstand, dass die Parteien bereits vorgerichtlich über die Gültigkeit jener Trennungsvereinbarung gestritten hätten, auf die sich die Antragstellerin aber gerade berufe und von deren Teilnichtigkeit diese selbst ausgehe, weshalb der Gegenseite ausreichende Zeit zur anwaltlichen Überprüfung der Trennungsvereinbarung zugebilligt werden müsse. Es spreche im Übrigen einiges dafür, dass die von der Antragstellerin vorgelegte Trennungsvereinbarung insgesamt nichtig sei.

Mit Schriftsatz vom 15.07.2020 legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde gegen den vorgenannten und ihrem Prozessbevollmächtigten am 13.07.2020 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts Goslar vom 25.06.2020 ein.

Nach Urlaubsrückkehr der zuständigen Richterin half diese der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 13.08.2020 nicht ab und legte das Verfahren dem Oberlandesgericht Braunschweig – Familiensenat – zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vor.

Mit Beschluss vom 09.10.2020 hob der zuständige Familiensenat des Oberlandesgerichts durch den Einzelrichter den Nichtabhilfebeschluss auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe. Hierzu führte der Senat aus, dass der Nichtabhilfebeschluss nicht erkennen lasse, mit welchen Erwägungen sich das Amtsgericht über die Einwendungen der Antragstellerin gegen den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts hinwegsetzen wolle.

Bei erneuter Befassung habe sich das Amtsgericht vertiefter mit den Einwendungen der Antragstellerin auseinanderzusetzen. Sollte das Amtsgericht vor diesem Hintergrund auch weiterhin von der Unbegründetheit der sofortigen Beschwerde überzeugt sein, sei eine vertiefte Auseinandersetzung zu der Frage erforderlich, warum die Immobilie angesichts der auf ihr ruhenden Belastungen und des bestehenden Wohnrechts zumutbar verwertbar sei. Auch sei zu erwägen, ob die Verfolgung eines Unterhalts von „nur“ 150,00 Euro erfolgversprechend sei und damit der Mutwilligkeit entgegenstehen könne. Die Angemessenheit der Dauer von Auskunftsfristen sei für die beabsichtigte Zahlungsklage nicht relevant. Daneben sei ob der ersichtlich nicht erfolgten Zahlung von laufendem Trennungsunterhalt zu klären, ob und inwieweit der Antragstellerin gegen den Antragsgegner ein dem Grunde nach der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gegenüber vorrangiger Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss zustehe.

Nach Zurückverweisung an das Amtsgericht X. bat die zuständige Richterin die Antragstellerin mit Verfügung vom 22.10.2020 um ergänzende Mitteilung zu der Frage, warum diese keinen Verfahrenskostenvorschuss gegen ihren Ehemann erlangen könne.

Mit Schriftsatz vom 04.11.2020 teilte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin insbesondere mit, dass nunmehr die Gegenseite zur Zahlung eines Vorschusses aufgefordert worden sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 16.11.2020 teilte die Antragstellerin über ihren Prozessbevollmächtigten ergänzend mit, dass die Gegenseite ausweislich eines Schriftsatzes vom 10.11.2020 zwischenzeitlich selbst einen Verfahrenskostenhilfeantrag gestellt habe. Die Verfügung des Gerichts vom 22.10.2020 sei insoweit nicht verständlich.

Mit weiterer Verfügung vom 21.11.2020 erforderte die zuständige Richterin schließlich Nachweise und Angaben zur Möglichkeit einer Beleihung der Immobilie bzw. einer (Teil-)Vermietung.

Mit Schriftsatz vom 07.12.2020 lehnte die Antragstellerin über ihren Prozessbevollmächtigten die zuständige Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab, erhob Verzögerungsrüge und Dienstaufsichtsbeschwerde.

Nach dienstlicher Stellungnahme der abgelehnten Richterin vom 14.12.2020 und weiterer Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12.01.2021 sowie zwischenzeitlich erfolgter Selbstablehnung der abgelehnten Richterin erklärte die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene zuständige Richterin des Amtsgerichts das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 02.02.2021 für begründet.

Mit Beschluss vom 20.03.2021 half der nunmehr zuständige Richter des Amtsgerichts der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin ab und bewilligte dieser Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten.

Nach mündlicher Verhandlung vom 06.05.2021 gab das Amtsgericht mit am 03.06.2021 verkündetem Beschluss dem Antragsgegner und Ehemann der Antragstellerin antragsgemäß die Zahlung rückständigen sowie künftigen Trennungsunterhalts an die Antragstellerin auf.

Die Antragstellerin ist der Meinung, dass das Verfahren unangemessen verzögert worden sei. Hätte sich das Amtsgericht an verfassungsrechtliche Vorgaben für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe gehalten und das Verfahren entsprechend gefördert, hätte innerhalb eines Monats über das Verfahrenskostenhilfegesuch entschieden werden können. Die zuständige Richterin habe anfangs offenbar den Antrag nicht richtig zur Kenntnis genommen. Den vorgenannten Beschlüssen und Verfügungen sei nicht zu entnehmen, dass das Verfahren hierdurch in irgendeiner Weise gefördert worden sei. Aufforderungen und Nachfragen seien teilweise unverständlich und schikanös bzw. hätten deutlich frühzeitiger gestellt werden können.

Infolge der langen Verfahrensdauer und durch die nicht nachvollziehbaren Beschlüsse und Verfügungen des Amtsgerichts sei die Antragstellerin heute psychisch erkrankt.

Es wird im Übrigen auf das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin im Schriftsatz vom 18.11. und den weiteren Schriftsatz vom 13.12.2021 nebst beigefügter Ablichtungen der vorbezeichneten Beschlüsse, Verfügungen und Schriftsätze des gegenständlichen Ausgangsverfahrens, einschließlich der dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richterin, Bezug genommen.

Mit am 22.11.2021 eingegangenem Prozesskostenhilfegesuch vom 18.11.2021 beantragt die Antragstellerin,

ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts für die beabsichtigte Entschädigungsklage mit nachfolgend angekündigten Anträgen:

1. festzustellen, dass die Verfahrensdauer in dem Verfahren 13 F 68/20 UE AG X unangemessen war;

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

zu bewilligen.

Das beklagte Land regt an,

den Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen.

Es vertritt die Auffassung, das Amtsgericht dürfte anfangs zwar übersehen haben, dass die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe nicht für einen Auskunftsantrag, sondern bereits für einen bezifferten Antrag begehrt habe. Dies sei jedoch inhaltlich nicht völlig unverständlich, wie dies letztlich die Reaktion der Antragstellerin selbst in ihrem Schriftsatz vom 26.05.2020 belege.

Der Entschädigungsantrag sei im Übrigen mehr als sechs Monate nach Rechtskraft des das Verfahrenskostenhilfeverfahren beendenden Beschlusses, mithin außerhalb der Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG erhoben worden, weshalb der Prozesskostenhilfeantrag jedenfalls unter formalen Gesichtspunkten wegen nicht hinreichender Erfolgsaussicht zurückzuweisen sei.

II.

Der Prozesskostenhilfeantrag war zurückzuweisen, da die beabsichtigte Prozessführung nach dem Vorbringen der Parteien keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Abs.1 Satz 1 ZPO.

Die beabsichtigte Erhebung der Entschädigungsklage erfolgte außerhalb der Ausschlussfrist gem. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG (1). Darüber hinaus ist der beabsichtigten Entschädigungsklage auch deshalb der Erfolg zu versagen, weil die Voraussetzungen des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht vorliegen (2).

1.

Die beabsichtigte Erhebung der Entschädigungsklage erfolgte nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG.

a)

Die Antragstellerin rügt im Prozesskostenhilfegesuch ausschließlich Verzögerungen beim Amtsgericht durch die Richterin, welche ausschließlich im Verfahrenskostenhilfeverfahren tätig geworden ist. Auch das Ablehnungsgesuch und die Dienstaufsichtsbeschwerde richteten sich insoweit ausschließlich gegen die seinerzeit zuständige Richterin. Die Antragstellerin rügt damit die mangelnde Förderung des Verfahrenskostenhilfeverfahrens, welches der anschließenden Klageerhebung insoweit vorgeschaltet war, als auch im gegenständlichen Ausgangsverfahren die Antragstellerin die Klage ausdrücklich nur unter der Bedingung der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe erhoben hatte.

Verzögerungen jenseits des Verfahrenskostenhilfeverfahrens wurden von der Antragstellerin nicht gerügt. Abseitige Verzögerungen scheiden im Übrigen ersichtlich aus. Der Antragstellerin wurde mit Beschluss vom 20.03.2021 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Die mündliche Verhandlung fand am 06.05.2021 statt. Der antragsgemäß stattgebende Beschluss in der Hauptsache wurde am 03.06.2021 verkündet.

b)

Bei der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Ausschlussfrist handelt es sich nach vorzugswürdiger Auffassung um eine Zulässigkeitsvoraussetzung und nicht um eine materielle Ausschlussfrist (vgl. ausführlich (auch zum Meinungsstand) OLG Braunschweig, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 – juris Rn. 152 ff.).

In jedem Fall wäre die Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG für die beabsichtigte Entschädigungsklage nicht gewahrt.

Zwar ist vor dem Hintergrund, dass die beabsichtigte Entschädigungsklage nur unter der Bedingung der Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe erhoben werden soll, zur Wahrung effektiver Rechtsschutzgewährung der Antragstellerin im vorliegenden Fall bereits auf den Zeitpunkt des Eingangs des Prozesskostenhilfeantrages abzustellen (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 – IV a ZR 108/85 – juris; BGH, Beschluss vom 30. November 2006 – III ZB 23/06 – juris; BFH, Urteil vom 20. März 2019 – X K 4/18 – juris Rn. 42 ff.; OLG Celle, Urteil vom 16. November 2016 – 23 Sch 7/17 – juris Rn. 6 f.).

Das Prozesskostenhilfegesuch für die beabsichtigte Klageerhebung wurde jedoch nicht innerhalb der Ausschlussfrist gem. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gestellt, mithin spätestens sechs Monate nach Eintritt der formellen Rechtskraft der das Verfahrenskostenhilfeverfahren abschließenden Entscheidung des Amtsgerichts.

Die formelle Rechtskraft der das Verfahrenskostenhilfeverfahren abschließenden Bewilligungsentscheidung trat mit Zustellung der Bewilligungsentscheidung des Amtsgerichts vom 20.03.2021 ein. Das Prozesskostenhilfeersuchen der Antragstellerin ging erst am 22.11.2021 beim Oberlandesgericht ein.

c)

Das der Klageerhebung im Ausgangsverfahren vorgeschaltete Verfahren auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist ein eigenständiges Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

Es ist umstritten, ob ein vorgelagertes Verfahren zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe ein vom Hauptsacheprozess getrennt zu betrachtendes eigenständiges Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 1 Nr. 1 GVG darstellt (dafür: BFH, Urteil vom 20.03.2019 – X K 4/18 – juris Rn. 34; Mayer in Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 198 Rn. 7; Lückemann in Zöller, 34. Aufl., § 198 GVG Rn.12; Ott in Steinbeiß-Winkelmann, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 42 und 59; wohl auch Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 155; Hofmarksrichter, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren im Lichte der Vorgaben des EGMR, 2017, S. 57; bzgl. des isolierten PKH-Verfahrens: Jakobs in Stein/Jonas, § 198 GVG Rn. 17 und Wittschier in Musielak/Voit, 18. Aufl. § 198 GVG Rn. 3; dagegen: OLG Celle, Urteil vom 16. November 2016 – 23 SchH 7/16 – juris Rn. 15 ff.; offen: OLG Dresden, Urteil vom 19. Februar 2019 – 18 EK 27/18 – juris Rn. 32 ff.; zum PKH- Verfahren neben der Hauptsache: BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 3/16 R – juris Rn. 27 ff. in Abgrenzung zum isolierten PKH-, oder VKH- Verfahren (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 – B 10 ÜG 8/13 R – juris Rn. 16 ff. und 20)).

Der Senat folgt der überwiegend vertretenen Auffassung, wonach jedenfalls ein isoliertes und dem Hauptsacheverfahren vorgelagertes Verfahren zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe ein eigenständiges Verfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellt.

Der Gesetzgeber hat mit der Legaldefinition den Verfahrensbegriff sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht definiert. Ausgehend von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 – juris Rn. 20 unter Berufung auf Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O., § 198 Rn. 33 f.) stellt nach einhelliger Auffassung nicht jeder einzelne Antrag oder jedes Gesuch im Zusammenhang mit dem verfolgten Rechtsschutzbegehren ein eigenständiges Gerichtsverfahren dar. Durch die explizite Benennung des Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe als gerichtliches Verfahren bringt der Gesetzgeber jedoch ersichtlich zum Ausdruck, dass selbiges in sachlicher Hinsicht entschädigungsrechtlich eigenständig zu behandeln ist.

Hierzu heißt es zu § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG im Wortlaut:

„Im Sinne dieser Vorschrift ist

1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe, ausgenommen ist … .“

Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Thematik bereits klargestellt, dass nicht nur das ebenfalls explizit genannte auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Verfahren (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 – juris Rn. 22), sondern darüber hinaus auch das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO (BGH, a.a.O, juris Rn. 24 ff.) und das Vollstreckungsverfahren (BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 – juris Rn. 8 f.) entschädigungsrechtlich jeweils eigenständig und isoliert vom Hauptverfahren bzw. Erkenntnisverfahren zu behandeln sind. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz in einem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren ist danach bereits unheilbar verletzt, wenn eine nur vorläufige gerichtliche Entscheidung zu spät kommt; sie kann nicht mehr durch eine zügige Entscheidung in der Hauptsache geheilt werden (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013, a.a.O., juris Rn. 22). Gleichsinnig gilt für das selbstständige Beweisverfahren, dass wenn sowohl im Beweissicherungsverfahren als auch im Hauptsacheprozess es zu einer unangemessenen Verfahrensdauer kommt, zwei eigenständig zu bemessende Entschädigungsansprüche entstehen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013, a.a.O, juris Rn. 30). Kommt es sowohl im Erkenntnisverfahren als auch im Vollstreckungsverfahren zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrensverzögerungen, entstehen ebenfalls zwei eigenständig zu bemessende Entschädigungsansprüche (BGH, Urteil vom 13. April 2017, a.a.O., juris Rn. 8).

Nach dem Sinn und Zweck der Norm des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG muss dies gleichermaßen für das dem Hauptprozess vorgelagerte Verfahren zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe gelten. Da das Prinzip der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) es gebietet, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (BVerfGE 81, 347, 356 f.), ist beim Verfahren zur Bewilligung der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe eine angemessen schnelle richterliche Entscheidung geboten (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013, a.a.O. juris Rn. 22). Kommt diese zu spät, kann dies bereits den Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzen (BT- Drs. 17/3802, 22 f.).

Mit der entschädigungsrechtlich eigenständigen Behandlung eines dem Hauptprozess vorgelagerten Prozesskostenhilfeverfahrens geht auch keine Benachteiligung Bedürftiger einher (so aber OLG Celle, Urteil vom 16. November 2016 – 23 Sch 7/16 – juris Rn. 17 f.). Ausgehend davon, dass der Gesetzgeber nach dem Telos der Norm des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG mit ausdrücklicher Nennung des Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe als Gerichtsverfahren den Rechtsschutz des Bürgers erweitern wollte (OLG Celle, a.a.O., juris Rn. 17), wird genau dies dadurch erwirkt, dass in der Folge eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz im Prozesskostenhilfeverfahren nachträglich nicht mehr durch eine angemessen zügige Entscheidung im Hauptprozess geheilt werden kann. Dem Gebot der beschleunigten Behandlung eines dem Hauptprozess vorgeschalteten Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- und Verfahrenskostenhilfe wird gerade hierdurch wirkungsvoll entsprochen.

2.

Daneben ist der beabsichtigten Entschädigungsklage auch deshalb der Erfolg zu versagen, weil die Voraussetzungen des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht vorliegen.

a)

Zwar ist die materiell-rechtliche Eingangsvoraussetzung für einen Entschädigungsanspruch (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – III ZR 228/13 –, Rn. 14, juris; BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 24, juris) vorliegend erfüllt, da die Antragstellerin über ihren Prozessbevollmächtigten die Verzögerungsrüge gem. § 198 Abs. 3 Satz 1 und 2 GVG wirksam erhoben hat.

Mit Einreichung des Schriftsatzes vom 07.12.2020 lagen objektive Gründe vor, die aus Sicht der Antragstellerin bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs Anlass zur Besorgnis gaben, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nehmen würde.

Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahrenskostenhilfeverfahren bereits seit gut 8 Monaten anhängig. Anlass zur Verzögerungsrüge der Antragstellerin gab die zuvor ergangene Verfügung des Amtsgerichts vom 21.11.2020, mit der die Antragstellerin aufgefordert wurde, weitere Belege zum Nachweis dafür vorzulegen, dass die von der Antragstellerin und ihrer Mutter gemeinsam bewohnte Immobilie nicht beliehen oder teilweise vermietet werden könne.

Mit Beschluss vom 09.10.2020 hatte das Oberlandesgericht den zuvor ergangenen Nichtabhilfebeschluss jedoch aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe zurückgegeben. Hierbei hat das Oberlandesgericht ausdrücklich zur Frage der Zumutbarkeit einer möglichen Verwertung der Immobilie ausgeführt, dass bei erneuter Entscheidung über die Abhilfe der sofortigen Beschwerde unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin geltend gemachten Einwendungen begründungsbedürftig sei, warum die unstreitig mit 155.000,00 Euro belastete Immobilie im Wert von ca. 180.000,00 Euro unter weiterer Berücksichtigung des Wohnrechts zumutbar verwertbar sein solle. Unter diesen Umständen erscheint es objektiv nachvollziehbar, dass die nach dem Zurückweisungsbeschluss ergangene Verfügung mit Anforderung von Nachweisen dazu, dass die Immobilie nicht noch weiter beliehen oder teilweise vermietet werden könne, für die Antragstellerin überraschend war und Anlass zur Sorge gab, dass das bis dahin seit gut 8 Monaten anhängige Verfahren nicht angemessen zügig Fortgang nehmen würde. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die zuständige Richterin unmittelbar nach Zurückweisung durch das Oberlandesgericht schon mit Verfügung vom 10.06.2020 weitere Nachfragen an die Antragstellerin gerichtet hatte und vor dem Zurückweisungsbeschluss durch das Oberlandesgericht weiterhin mit Beschlüssen vom 19.05. und 15.06.2020 bereits diverse Nachfragen zur Immobilie (Bausparvertrag, Immobilienfinanzierung, Zins- und Tilgungsbeträge, Wohnsituation, Wohnrecht) an die Antragstellerin gerichtet hatte.

Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Dies ist zu bejahen, wenn der Prozessbeteiligte Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 – III ZR 355/13 –, Rn. 16, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 3/16 R –, Rn. 19, juris). Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 21, juris).

Die Antragstellerin wäre danach grundsätzlich auch nicht gehindert, eine Entschädigung für den Zeitraum vor Erhebung ihrer Verzögerungsrüge zu beanspruchen, weil insoweit aus Sicht des Senats in dem Verhalten der Antragstellerin jedenfalls kein rechtsmissbräuchliches „Dulden und Liquidieren“ (vgl. (BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 14, 16, juris) zu sehen ist.

b)

Die Gesamtverfahrensdauer des Verfahrenskostenhilfeverfahrens beträgt rund 12 Monate und erstreckt sich von der Einleitung mit Eingang des Antrages am 30.03.2020 bis zur Abhilfeentscheidung über die sofortige Beschwerde und Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 20.03.2021.

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände im Einzelfall ist diese Verfahrensdauer jedoch nicht unangemessen lang.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 28, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 36, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris).

Letzteres ist der Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch. Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (BGH, Urteil vom 7. November 2019 – III ZR 17/19 –, BGHZ 224, 20-40, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 173 f., unter Hinweis auf Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, 2011, S. 329 ff.; Reiter, NJW 2015, 2554 <2555 f.>). Der unbestimmte Rechtsbegriff „unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens“ ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben. Denn der Gesetzgeber nahm diese gefestigte Rechtsprechung bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG zum Vorbild (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 29 m.w.N., juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 23, juris).

Die Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit impliziert, dass eine gewisse Schwere der Belastung festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –, BSGE 113, 75-86, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – BVerwGE 147, 146, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 28, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 28, juris).

In diesem Lichte genügt zur Begründung eines Entschädigungsanspruches nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung. Vielmehr muss die Verfahrensdauer insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12Vz 1/12 –, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12–, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 29, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris; BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 – 5 C 31/15 D –, Rn. 15, juris; BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 – 5 C 10/15 D –, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 135, juris; vgl. ferner BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 51, 53, juris).

Zu diesen gegenläufigen Rechtsgütern zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 26, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 27, juris).

Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht hinsichtlich der Verfahrensgestaltung ein Ermessen des verantwortlichen Richters. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 33, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 44, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13–, BGHZ 200, 20-38, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, BGHZ 204, 184-198, Rn. 26, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, Rn. 26, juris).

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf „optimale“ Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg [Oldenburg], Urteil vom 15. Dezember 2016 – 15 EK 14/16 –, Rn. 19, juris; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 –, Rn. 16, juris).

Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen aus dem Blickwinkel des Entschädigungsrechts des § 198 GVG ist deshalb entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte. Es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer ex-post-Betrachtung darstellt (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 47, juris; BFH, Urteil vom 7. Mai 2014 – X K 11/13 –, Rn. 53, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 47, juris).

Auch ist weder von festen Zeitvorgaben noch von abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten auszugehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit existieren nicht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 – 1 BvR 2662/06 –, Rn. 20, juris; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12Vz 1/12 –, Rn. 23, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 26 f., juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 38, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 28-30, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 144 ff.). So ist immer eine Einzelfallprüfung insbesondere im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für den Kläger und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht vorzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 25, juris).

Im Einzelnen:

aa)

Da die erhobene Verzögerungsrüge nur für die jeweilige Instanz gilt, scheidet von vornherein ein Zeitraum von gut 2 Monaten für die Zeit zwischen dem Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 13.08.2020 und dem Beschluss über dessen Aufhebung und Zurückverweisung durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 09.10.2020 gem. § 198Abs. 3 Satz 5 GVG aus.

bb)

Ob darüber hinaus die Zeiträume zwischen der Zurückweisung des Antrages zur Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 25.06.2020 bis zum Nichtabhilfebeschlusses des Amtsgerichts vom 13.08.2020 (1,5 Monate) und zwischen dem Ablehnungsgesuch vom 07.12.2020 bis zur Entscheidung über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs durch Beschluss des Amtsgerichts am 02.02.2021 (2 Monate) bereits unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung (vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 18) deshalb ausscheiden, weil selbst durch zulässiges Prozessverhalten herbeigeführte Verfahrensverzögerungen grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Betroffenen fallen und nicht dem Staat zugerechnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 42, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 37, juris), kann hier im Ergebnis dahinstehen.

Verfahrenszögerungen während dieser Zeiträume wurden von der Antragstellerin weder gerügt noch sind solche ersichtlich.

Darüber hinaus scheidet von vornherein eine entschädigungsrechtlich relevante Verzögerung in einem weiteren Umfang von rund 1,5 Monaten für den Zeitraum zwischen der Entscheidung über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs (Beschluss vom 02.02.2021) bis zur Entscheidung über die Abhilfe der sofortigen Beschwerde und Bewilligung der beantragten Verfahrenskostenhilfe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 20.03.2021 aus. Die Verfahrensführung des Amtsgerichts während dieses Zeitraums wurde auch hier von der Antragstellerin weder gerügt noch sind insoweit überhaupt Anhaltpunkte für eine nicht angemessene Verfahrensführung ersichtlich.

Selbiges gilt für den vorgelagerten Zeitraum zwischen der Zurückverweisung mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 09.10.2020 bis zur Beantwortung der Nachfrage des Amtsgerichts (Verfügung vom 22.10.2020) mit Schriftsätzen vom 04.11. und 16.11.2020 im Umfang von rund 1 Monat. Denn mit vorgenannter Verfügung vom 22.10.2020 erkundigte sich die zuständige Richterin wiederholt nach der Möglichkeit zur Erlangung eines Verfahrenskostenvorschusses. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner während des Ausgangsverfahrens ersichtlich keinen Trennungsunterhalt an die Antragstellerin gezahlt hatte, wurde dem Amtsgericht genau dies mit Beschluss des Oberlandesgerichts vom 09.10.2020 mit der Begründung nahegelegt, dass ein der Antragstellerin zustehender Verfahrenskostenvorschuss vorrangig gegenüber der Gewährung von Verfahrenskostenhilfe sei.

cc)

Hinsichtlich der verbleibenden Zeiträume zwischen Antragstellung am 30.03.2020 und Zurückweisung der beantragten Verfahrenskostenhilfe durch Beschluss vom 25.06.2020 sowie zwischen dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 16.11.2020 bis zum Ablehnungsgesuch am 07.12.2020 im Umfang von rund 4 Monaten ist im Ergebnis ebenfalls keine unangemessene erhebliche Verfahrensverzögerung ersichtlich, die einen Entschädigungsanspruch rechtfertigen könnte.

Der Senat übersieht hierbei nicht, dass das Verfahren selbst keine überdurchschnittliche Komplexität oder Schwierigkeit bei der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage aufwies. Wie bereits ausgeführt, wird auch nicht verkannt, dass ein dem Hauptprozess vorgelagertes Verfahren zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe auch in der konkreten Verfahrensführung angemessen beschleunigt zu behandeln ist.

Indem die Antragstellerin hinsichtlich dieser Zeitphasen die konkrete Verfahrensführung durch das Amtsgericht rügt und den Vorwurf erhebt, das Verfahren hätte insgesamt zügiger gefördert werden müssen, ist dem zunächst entgegenzuhalten, dass die konkrete Verfahrensführung nicht isoliert für sich betrachtet werden kann. Diese muss vielmehr zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 46, juris). Insoweit ist die Verfahrensführung durch das Amtsgericht zuvörderst unter dem Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen, ob es Zeiträume gegeben hat, in denen das Gericht das Verfahren ohne sachlich gerechtfertigten Grund nicht gefördert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 25, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, Rn. 17, juris). Dabei sind dem Entschädigungsgericht bei der Überprüfung richterlicher Maßnahmen mit Blick auf die verfassungsrechtlich verbürgte richterliche Unabhängigkeit Grenzen gesetzt. So dürfen im Entschädigungsprozess nach den §§ 198 ff. GVG diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Richter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 34, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, Rn. 16, juris). Es geht also nicht darum, ob ein Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden hat (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. August 2012 – 4 SchH 4/12 EntV –, Rn. 16, juris).

Im Entschädigungsprozess stellt sich insoweit allein die Frage, ob die Verfahrensführung vertretbar war. Dies kann nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist bzw. willkürlich erscheint (OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Juli 2013 – 4 EntV 3/13 –, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, Rn. 38, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 36, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 2015 – 11 EK 8/14 –, Rn. 8, juris; BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 – 5 B 26/17 D –, Rn. 6, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. September 2020 – 17 EK 2/20 –, Rn. 33, juris).

Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung auftreten (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, Rn. 14, juris; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, Rn. 13, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, Rn. 17, juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 – 4 SchH 1/12 –, Rn. 130, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, Rn. 16, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, Rn. 27, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 24, juris; BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, BGHZ 227, 377-391, Rn. 15, juris; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 – 16 EK 1/21 –, Rn. 128-130, juris; Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 119 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rspr. in Fn. 537).

Ausgehend hiervon sind in vorgenannten Zeiträumen weder sachlich nicht gerechtfertigte Lücken in der Verfahrensführung ersichtlich noch stellt sich die konkrete Verfahrensführung durch das Amtsgericht als nicht mehr verständlich oder gar willkürlich dar.

Mit Beschluss vom 01.05.2020 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass der Antrag „derzeit“ mutwillig sein dürfte und nahm hierbei ersichtlich auf die im Vorfeld des Antrages außergerichtlich vom Antragsgegner angekündigte Mitteilung zu dessen Einkommens- und Vermögensverhältnissen Bezug. Bereits mit Beschluss vom 19.05.2020 forderte das Gericht dann zur Prüfung der Bedürftigkeit der Antragstellerin ergänzende Angaben und Unterlagen zu ihren Einkommensverhältnissen, insbesondere zu einem Bausparvertrag sowie zur Finanzierung der Immobilie an. Mit Beschluss vom 15.06.2020 folgte die Anforderung weiterer Informationen zur Klärung der Bedürftigkeit, so insbesondere zur Wohnsituation innerhalb der in ihrem Eigentum stehenden Immobilie, welche die Antragstellerin gemeinsam mit ihrer Mutter bewohnt, welcher mit – im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – im Jahr 2001 vollzogener Eigentumsübertragung der Immobilie an die Antragstellerin ein lebenslanges Wohnungsrecht eingeräumt worden war. Die Zurückweisung der beantragten Verfahrenskostenhilfe erfolgte sodann mit Beschluss vom 25.06.2020.

Soweit die Antragstellerin die konkrete Verfahrensführung nach Zurückverweisung durch das Oberlandesgericht insbesondere mit Blick auf die Verfügung vom 21.11.2020 als „Schikane“ rügt, so kann in der Beurteilung letztlich dahinstehen, ob konkret diese Verfahrenshandlung vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrensgeschehens auch in der ex ante Sicht womöglich als nicht mehr verständlich zu qualifizieren wäre. Denn jedenfalls würde eine hierdurch bedingte Verfahrensverzögerung aufgrund des dargelegten weiteren Verfahrensgeschehens für die Antragstellerin sicher keine entschädigungspflichtig ausreichende Schwere aufweisen. Wie ausgeführt setzt die Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit aber genau dies voraus. Die Belastung einer Verzögerung im Ausgangsverfahren muss für den Kläger des Entschädigungsverfahrens spürbar schwerwiegend sein.

Aufgrund der dargelegten und nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls, die sämtlich an diesem Maßstab zu messen sind, scheidet auch bei abschließend vorzunehmender Gesamtbetrachtung des Verfahrens eine entschädigungspflichtige Verfahrensverzögerung aus.

Aus denselben Gründen kann auch keine immaterielle Wiedergutmachung durch bloße Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer erfolgen (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG).

Bei Lichte betrachtet bleibt zu konstatieren, dass die Antragstellerin mit beabsichtigter Entschädigungsklage schon selbst nicht die Untätigkeit des Gerichts rügt. Vielmehr erhebt die Antragstellerin die von ihr als schikanös empfundene sukzessive inhaltliche Vorgehens- und Arbeitsweise des Amtsgerichts im Rahmen der durchzuführenden Ermittlung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Inhalt ihrer beabsichtigten Klage. Diese ist jedoch – wie dargelegt – noch von der richterlichen Unabhängigkeit gedeckt und steht deshalb nicht zur Beurteilung durch den Senat an. Mit der Entscheidung des Amtsgerichts zur Begründetheit des Ablehnungsgesuchs hat es für die Antragstellerin deshalb sein Bewenden.

III.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

1.

Soweit der beabsichtigten Entschädigungsklage bereits deshalb der Erfolg zu versagen ist, weil der Prozesskostenhilfeantrag nicht rechtzeitig gestellt worden ist und deshalb die beabsichtigte Entschädigungsklage nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG erhoben werden kann, übersieht der Senat nicht, dass die zugrundeliegende Rechtsfrage zur selbstständigen Behandlung eines dem Hauptprozess vorgelagerten isolierten Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- und Verfahrenskostenhilfe in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird, weshalb im Übrigen eine Zurückweisung der beantragten Prozesskostenhilfe allein aus diesem Grund ausschiede. Hat eine Rechtssache nämlich grundsätzliche Bedeutung, erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, ist für das Hauptsacheverfahren grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das zur Entscheidung über die Prozesskostenhilfe berufene Gericht darf insoweit nicht Prozesskostenhilfe versagen und zugleich gegen diese Entscheidung die Rechtsbeschwerde zulassen (BGH, Beschluss vom 17. März 2004 – XII ZB 192/02 – juris Rn. 7). Dies verkennt das beklagte Land, indem es gleichwohl die Auffassung vertritt, dass der Antragstellerin unter formalen Gesichtspunkten die beantrage Prozesskostenhilfe zu versagen sei.

2.

Wie dargelegt ist der Antragstellerin jedoch auch ungeachtet der Zulässigkeit einer beabsichtigten Entschädigungsklage deshalb die beantragte Prozesskostenhilfe zu versagen, weil die Voraussetzungen des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht vorliegen, mithin die beabsichtigte Entschädigungsklage in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat. Auf dieser Grundlage fußt die Zurückweisung des Antrages auf einer Entscheidung im Einzelfall, Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen insoweit nicht vor.

Die umstrittene Rechtsfrage zur entschädigungsrechtlichen Eigenständigkeit eines

dem Hauptprozess vorgelagerten Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- und Verfahrenskostenhilfe ist deshalb nicht entscheidungserheblich, weshalb derentwegen auch im Übrigen kein Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht.

IV.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung findet ihre rechtliche Grundlage in der Regelung der §§ 1 GKG, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
 

 

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Oberlandesgericht Braunschweig Beschluss, 17. Jan. 2022 - 4 EK 12/21

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Die Klägerin begehrt im vorliegenden Rechtsstreit Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gem. § 198 GVG wegen überlanger Verfahrensdauer eines vorgelagerten Verfahrens zur Bewilligung von Verfahrenskost

Referenzen

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 23/06
vom
30. November 2006
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Stellt die Partei wegen einer beabsichtigten Klage auf Entschädigung für eine
Strafverfolgungsmaßnahme einen Prozesskostenhilfeantrag, ohne innerhalb
der Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG ihre persönlichen und wirtschaftlichen
Voraussetzungen unter Verwendung des vorgeschriebenen Vordrucks und
unter Beifügung der erforderlichen Belege darzulegen, kommt ihr die Rückwirkung
der späteren Zustellung der Klage auf den Eingang ihres Gesuchs nicht
zugute.
BGH, Beschluss vom 30. November 2006 - III ZB 23/06 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr
und Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 1. Zivilsenat, vom 8. Februar 2006 - 1 W 104/05 - wird zurückgewiesen.

Gründe:


I.


1
Antragsteller Der verlangt von der beklagten Freien und Hansestadt Hamburg eine Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 21. Mai 2002 stellte das Amtsgericht fest, dass der Antragsteller wegen des durch den Vollzug der Untersuchungshaft erlittenen Schadens zu entschädigen sei. Mit am 9. Mai 2005 zugestelltem Bescheid vom 2. Mai 2005 lehnte die Justizbehörde den Entschädigungsantrag des Antragstellers ab.
2
Der Antragsteller reichte am 8. August 2005 beim Landgericht eine durch seine Prozessbevollmächtigte unterzeichnete „Klage sowie Antrag auf Prozesskostenhilfe“ ein. Am Ende der Klageschrift wird zum Prozesskostenhilfeantrag ausgeführt, der Antragsteller sei nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen, da er von Arbeitslosengeld II lebe. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse werde umgehend nachgereicht. Dies geschah - nach gerichtlicher Aufforderung vom 6. Oktober 2005 - am 20. Oktober 2005. Mit Verfügung vom 9. August 2005 ist der Antragsgegnerin eine unbeglaubigte Abschrift der Klage mit dem Prozesskostenhilfeantrag mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zugeleitet worden. Die Klage ist noch nicht zugestellt worden.
3
Landgericht Das hat den Prozesskostenhilfeantrag am 21. November 2005 zurückgewiesen, weil die Prozessführung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Antragsteller habe die Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG versäumt. Ihm komme auch die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO nicht zugute. Zu einer Zustellung "demnächst" könne es nicht mehr kommen, weil der Antragsteller innerhalb der zu wahrenden Frist keine Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, sondern diese erst nach mehr als zwei Monaten nachgereicht habe. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II.


4
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Prozesskostenhilfe kann dem Antragsteller nicht gewährt werden, weil die Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen sind, dass eine etwa noch vorzunehmende Zustellung der Klage die Frist des § 13 StrEG nicht wahrt.
5
1. a) Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG ist die Klage, mit der die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch im Rechtsweg zu überprüfen ist, innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung zu erheben. Für die Erhebung der Klage kommt es nach § 253 Abs. 1 ZPO grundsätzlich auf deren Zustellung an. Soll durch die Zustellung - wie hier - eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung nach § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Diese Bestimmung ist auch auf die Klagefrist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG anwendbar (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1983 - III ZR 154/81 - MDR 1983, 1002 f zu § 270 Abs. 3 ZPO a.F.).
6
b) Ob eine Zustellung "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO erfolgt, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden. Denn derartige Verzögerungen liegen außerhalb ihres Einflussbereichs. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätte vermeiden können. Eine Zustellung "demnächst" nach der Einreichung oder Anbringung des zuzustellenden Antrags oder der zuzustellenden Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat. Die Zustellung ist dagegen nicht mehr "demnächst" erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat (vgl. Senatsurteil vom 7. April 1983 - III ZR 140/81 - VersR 1983, 661, 662; Senatsbeschluss vom 2. November 1989 - III ZR 181/88 - BGHR ZPO § 270 Abs. 3 demnächst 4; siehe auch BGHZ 145, 358, 362 m.w.N.).
7
Diese Grundsätze gelten auch bei Verzögerungen durch ein Prozesskostenhilfeverfahren. Deshalb wahrt die Einreichung der Klageschrift auch in diesem Fall rückwirkend die Frist, wenn die Klage nur unverzüglich nach der vom Kläger nicht verzögerten (positiven oder negativen) Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zugestellt wird (vgl. Senatsurteil vom 21. März 1991 - III ZR 94/89 - NJW 1991, 1745, 1746).
8
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist es hier aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, zu Verzögerungen gekommen, die es ausschließen , dass die Klage noch "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO zugestellt werden kann.
9
a) Zwar ist hier in der Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG nicht nur ein mit einem Prozesskostenhilfeantrag versehener Klageentwurf eingegangen, sondern bereits die von einem postulationsfähigen Anwalt unterzeichnete Klageschrift. Die Frage einer Einzahlung oder Anforderung eines Gerichtskostenvorschusses für die Zustellung der Klage stellte sich nicht, da der Antragsteller mit der Stellung seines Prozesskostenhilfeantrags deutlich machte, dass er im Hinblick auf seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse von entstehenden Gerichtskosten befreit werden wollte. Dies setzte notwendigerweise eine nähere Prüfung seines Prozesskostenhilfeantrags und - nach Maßgabe des § 118 Abs. 1 ZPO - eine Anhörung des Gegners voraus. Eine solche, im Bewilligungsverfahren angelegte Verzögerung steht der Möglichkeit einer (späteren) Zustellung "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO nicht entgegen.
10
b) Der Senat hat weiter durch Beschluss vom 30. November 2006 (III ZB 22/06 - für BGHZ vorgesehen) entschieden, eine unbemittelte Partei, die innerhalb der Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG lediglich einen Prozesskostenhilfeantrag stelle, könne die Rückwirkung des § 167 ZPO in Anspruch nehmen, wenn sie alles ihr Zumutbare für die alsbaldige Zustellung der Klage tue. Zwar genügt die Stellung eines Prozesskostenhilfeantrags und seine Übermittlung an die Gegenseite für sich gesehen nicht, die Ausschlussfrist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG zu wahren (vgl. Meyer, StrEG, 6. Aufl. 2005, § 13 Rn. 8; MeyerGoßner , StPO, 49. Aufl. 2006, Anhang 5 § 13 StrEG Rn. 1; BGHZ 98, 295, 298 zur Wahrung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG). Insoweit kommt es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - vielmehr auf die Zustellung der Klage an. Das Kammergericht (KG-Report Berlin 2005, 168) hat erwogen, die Wertung des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB entsprechend heranzuziehen, der für die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe - neben einer Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) - eine eigenständige Möglichkeit der Verjährungshemmung eingeführt hat. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Zwar ist die entsprechende Anwendung einzelner Verjährungsvorschriften, insbesondere soweit sie Hemmungstatbestände betreffen, je nach dem Sinn und Zweck der in Rede stehenden Ausschlussfrist in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurteil BGHZ 79, 1, 2 zu § 12 StrEG und § 206 BGB a.F.). Ein Bedürfnis hierfür besteht hier indes nicht, weil den Interessen der finanziell unbemittelten Partei dadurch Rechnung getragen werden kann, dass sie innerhalb der Ausschlussfrist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG Prozesskostenhilfe beantragt und die Klage unverzüglich nach der von ihr nicht verzögerten (positiven oder negativen) Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zugestellt wird (so wohl auch OLG Schleswig JurBüro 2000, 208; Schätzler/Kunz, StrEG, 3. Aufl. 2003, § 13 Rn. 3). Dies hat der Bundesgerichtshof bereits für die Frist des § 12 Abs. 3 Satz 1 VVG entschieden, wonach der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei wird, wenn der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wird (vgl. BGHZ 98, 295, 299 ff; Urteil vom 8. März 1989 - IVa ZR 17/88 - NJW-RR 1989, 675).
11
Grundlage hierfür ist die Überlegung, dass es im Bereich der Verwirklichung des Rechtsschutzes der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gebietet, die prozessuale Stellung von Bemittelten und Unbemittelten weitgehend anzugleichen (vgl. BVerfGE 81, 347, 356 m.w.N.). Es ist daher in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schon früher anerkannt worden, dass ein ordnungsgemäß begründetes und vollständiges Armenrechtsgesuch, das am letzten Tag vor Ablauf der Frist bei Gericht eingereicht wird, die Hemmungswirkung des § 203 Abs. 2 BGB a.F. auslöst (vgl. BGHZ 70, 235, 237 ff). Verlangt die in Rede stehende Vorschrift darüber hinaus die Erhebung der Klage oder - dem weitgehend gleichbedeutend - die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs (vgl. BGHZ 98, 295; Senatsurteil vom 21. März 1991 - III ZR 94/89 - NJW 1991, 1745), muss hinzukommen, dass die unbemittelte Partei, soweit noch nicht geschehen , alsbald die Klage einreicht, sobald über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 1989 aaO). Sie bleibt daher auch bei Stellung eines Prozesskostenhilfeantrags in der Pflicht, nach der Entscheidung über ihr Gesuch weiterhin alles ihr Zumutbare zu tun, damit die Klage "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO zugestellt werden kann.
12
c) Mit Recht haben die Vorinstanzen dem Antragsteller aber als Säumnis zugerechnet, dass er seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Frist des § 13 Abs. 1 Satz 2 StrEG unter Einreichung des hierfür vorgesehenen Vordrucks (§ 117 Abs. 4 ZPO) und unter Beifügung der erforderlichen Belege dargelegt hat. Auch wenn dies den zeitlichen Ablauf des konkreten Prozesskostenhilfeverfahrens , in dem die Parteien über die Erfolgsaussicht der Klage mehrere Schriftsätze gewechselt haben, nicht hinausgezögert haben mag, gehört es zu den Pflichten einer unbemittelten Partei, in Fällen, in denen eine fristgebundene Prozesshandlung vorzunehmen ist, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Frist ordnungsgemäß darzulegen. Das ist im Zusammenhang mit der Einlegung eines Rechtsmittels ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 148, 66, 69; Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2004 - III ZR 381/03 - FamRZ 2005, 196 f; Beschluss vom 6. Juli 2006 - IX ZA 10/06 - FamRZ 2006, 1522 f) und kann auch für die Ausschlussfrist des § 13 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht anders beantwortet werden. Dass einer unbemittelten Partei unter solchen, von ihr zu vertretenden Umständen nicht die Wirkung des § 167 ZPO zugute kommen kann, hat auch das Bundesverfassungsgericht in einer Kammerentscheidung gebilligt (NJW 1994, 1853).
Schlick Wurm Kapsa
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 21.11.2005 - 303 O 436/05 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 08.02.2006 - 1 W 104/05 -

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Während oder außerhalb eines Streitverfahrens kann auf Antrag einer Partei die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von Zeugen oder die Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren geht oder seine Benutzung erschwert wird.

(2) Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, kann eine Partei die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass

1.
der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache,
2.
die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels,
3.
der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels
festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

(3) Soweit eine Begutachtung bereits gerichtlich angeordnet worden ist, findet eine neue Begutachtung nur statt, wenn die Voraussetzungen des § 412 erfüllt sind.

8
1. Zutreffend hat das Oberlandesgericht gesehen, dass das Ordnungsmittelverfahren nach §§ 86, 89 FamFG als eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zu qualifizieren ist, das als Vollstreckungs- verfahren einer isolierten Betrachtung unterliegt. Kommt es sowohl im familiengerichtlichen Erkenntnisverfahren (z.B. bei einer Entscheidung zum Sorge- und Umgangsrecht) als auch im nachfolgenden Vollstreckungsverfahren (§§ 86 ff FamFG) zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrensverzögerungen, entstehen zwei eigenständig zu bemessende Entschädigungsansprüche (vgl. Ott in Steinbeiß -Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 43; s. auch Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rn. 30 zur Entstehung eigenständiger Entschädigungsansprüche bei Verzögerungen im selbständigen Beweisverfahren und nachfolgenden Hauptsacheprozess ).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

14
2. Anders als das Oberlandesgericht meint, hat das Fehlen einer Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) nicht die Unzulässigkeit der Ent- schädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung (BT-Drucks. 17/3802 S. 20). § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG normiert als zwingende Entschädigungsvoraussetzung , dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit (Senatsurteile vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 27 und vom 10. April 2014 - III ZR 335/14, NJW 2014, 1967 Rn. 21; siehe auch BFHE 243, 126 Rn. 24 und BSG, NJW 2014, 253 Rn. 27). Wird die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, hat dies zur Folge, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer bis zum Rügezeitpunkt materiell-rechtlich präkludiert sind (grundlegend Senatsurteil vom 10. April 2014 aaO Rn. 27 ff). Die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt (vgl. BFHE aaO; BSG aaO).

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 20. Februar 2004 (Klageeingang) bis zum 8. November 2012 (Kostenbeschluss nach Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen. Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

3

Bis einschließlich Januar 2001 hatte E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9. August 2002 zunächst mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erließ die Familienkasse am 27. September 2002 Teilabhilfebescheide. Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung der für die Zahlung des child benefit in Nordirland zuständigen Behörde (Child Benefit Office --CBO--) vor, aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29. Januar 2004 mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels Antragstellung nicht ausgezahlt würden.

4

Hiergegen erhob der Kläger am 20. Februar 2004 Klage. Diese stützte er auf seine --bereits während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene-- Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Der --für das Verfahren zugleich als Berichterstatter zuständige-- damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem Kläger am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es für die Frage, ob ausländische Familienleistungen anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum, sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung, weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe, sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der dortigen Behörde.

5

Der Kläger erklärte daraufhin, E habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine "formale Ablehnung" liege jedoch nicht vor. Er bat um eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem Kläger am 2. Februar 2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und fragte am 24. März 2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine Teilabhilfe möglich sei.

6

Damit endeten die gerichtlichen Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal. Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein; dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3. April 2006 teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12. Oktober 2006 übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des CBO vom 19. September 2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer Antwort melden.

7

Das FG wurde wieder tätig, indem es am 13. November 2007, 10. Januar 2008 und 20. Februar 2008 drei Sachstandsanfragen an die Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate verstrichen waren, beraumte das FG am 17. April 2009 einen Erörterungstermin für den 15. Mai 2009 an. In diesem Termin überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit. Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte, E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm hierfür eine Frist gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung über diesen Antrag ruhen solle.

8

Nachdem der Kläger die Antragstellung nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag der E und sandte die Kindergeldakte am 26. Juni 2009 an die Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6. April 2010 an, dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage, wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse stellte am 10. Mai 2010 eine entsprechende Anfrage.

9

Das CBO antwortete am 31. August 2010, sie habe den Antrag der E am 30. März 2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15. September 2010 bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14. Oktober 2011 bei der Familienkasse einging.

10

Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des CBO noch ausstand, richtete am 16. Februar 2011 das folgende Schreiben an die Familienkasse: "Wie soll verfahren werden? Erledigung innerhalb von 1 Monat". Am 11. Mai 2011 beschloss das FG die Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25. Mai 2011 an die Beteiligten: "Ich bitte um Vorschläge, wie weiter verfahren werden soll."

11

Der Kläger erklärte, er begehre eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos blieb. Am 8. August 2011 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am 10. August 2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden. Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16. Januar 2012 richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am 16. Februar 2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom 15. Februar 2012 ein, in dem es u.a. hieß: "Da sich das Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom 16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht, muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung finden."

12

Die Familienkasse erklärte mit Schreiben vom 19. März 2012 "abschließend", rechtlich bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz für das Fehlen eines solchen Anspruchs. "Etwaig" müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in Nordirland entscheiden.

13

Mit einem am 23. März 2012 beim FG eingegangenen Schreiben vom 21. März 2012 erhob der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012" ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26. April 2012 beim FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands, dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit Wirkung zum 1. Mai 2010 geändert worden waren, die Beteiligten um Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte daraufhin am 30. Juli 2012 die Rücknahme der Klage für die Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ein.

14

Am 15. August 2012 bemerkte die Berichterstatterin, dass in der --ihr seit dem 26. April 2012 wieder vorliegenden-- Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom 31. August 2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die Familienkasse, dem Begehren des Klägers für Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung (März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004 bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16. Oktober 2012 erklärten die Familienkasse und der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Kostenbeschluss vom 8. November 2012, der am 12. November 2012 mit einfachem Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.

15

Der Kläger hat am 21. November 2012 die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 €. Ferner begehrt er Ersatz für Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe von 14.985,16 € auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführt.

16

Er ist der Auffassung, eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich, weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige Handhabung dem "Gedanken der Europäischen Einheit" widersprechen würde.

17

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04 (später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung in Höhe von 22.185,16 € zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Er hält die Klage bereits für unzulässig, weil die --zwingend erforderliche-- Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (3. Dezember 2011) erhoben worden sei. Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen anzusehen. Die erst am 23. März 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet gewesen.

20

Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien, keiner abweichenden Würdigung durch das Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008 zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen, zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei, wäre es unbillig, diesen Umstand im Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich erst im Erörterungstermin --nach mehr als fünfjähriger Verfahrensdauer-- als unzutreffend herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31. August 2010 nicht unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der Kläger habe einreichen müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Der Senat entscheidet gemäß § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, während die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Entschädigung für materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.

22

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).

23

1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist das Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 als Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge ist noch als "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter d).

24

a) Anders als der Beklagte meint, hätte das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso Beschluss des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 27. Juni 2013 B 10 ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht --n.v.--, unter II.2.b). Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer --die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen gesonderten Antrag voraussetzt-- auch dann ausgesprochen werden kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

25

b) Das Schreiben des Klägers vom 8. August 2011 kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- aber noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Zwar gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber die zusätzliche Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" erhoben werden muss. Eine bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.

26

c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des Klägers vom 21. März 2012 --in dem er erstmals ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwendet hat--, sondern bereits das Schreiben vom 15. Februar 2012, das am 16. Februar 2012 beim FG eingegangen ist, als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG anzusehen.

27

aa) Die genannte Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich die --mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende-- Auffassung, eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden kann.

28

Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten für Verzögerungsrügen daher nicht.

29

bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens des Klägers vom 15. Februar 2012 führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der Kläger hat darin erklärt, "ohne eine klare Richtungsvorgabe" des FG gegenüber der Familienkasse müsse die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/Deutschland-- (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) "und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" Anwendung finden. Mit dem vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom Kläger bezeichnete "mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" ist das ÜberlVfRSchG.

30

Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber --was bisher weder vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist-- nicht anders verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte. Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.

31

d) Die Verzögerungsrüge vom 16. Februar 2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.

32

aa) Gemäß Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

33

bb) Der Begriff "unverzüglich" bedeutet ein Handeln "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Diese Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise vertretene Bejahung eines "schuldhaften Zögerns" bei Überschreitung einer Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich" verwendet.

34

Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der "Unverzüglichkeit” in Fällen der Irrtumsanfechtung herangezogen.

35

Diese Übertragung der in § 626 BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich” verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals --bzw. der gesetzlichen Erläuterung "ohne schuldhaftes Zögern"-- in Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit, der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend vorgenommen.

36

(1) So findet sich der Begriff "unverzüglich" auch im Zusammenhang mit der Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB--). Hier liegt auf der Hand, dass die schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt. § 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Januar 1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb). Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten --das in den Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre-- nicht mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den Regelfall --in Abhängigkeit von den Eigenschaften der betroffenen Ware-- nur die Wahrung einer Frist, die zwischen einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., § 377 Rz 53 ff., m.w.N.).

37

(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2 EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt "unverzüglich" nach Feststellung des Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 5. Februar 2007 S 2232-14-St-212, Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1, unter 1.).

38

(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs. 3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5. Juli 2006 VIII ZR 220/05, NJW 2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12. Dezember 2012 VIII ZR 264/12, NJW 2013, 456).

39

cc) Die gebotene normspezifische Auslegung führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist von drei Monaten für angemessen.

40

(1) Die zu § 121 BGB ergangene Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht --in Abgrenzung zu den Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB)-- gerade dann, wenn der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB --ebenso wie die vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB-- erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw. Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.

41

Beide genannten Gesichtspunkte, die in den Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim Erklärenden --im Fall des § 121 BGB dem Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem späteren Entschädigungskläger--, sondern beim Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch sein zögerliches Verhalten --unterstellt, die Verzögerungsrüge sei berechtigt-- die Ursache für die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium --das Inkrafttreten des Gesetzes--; eine positive Kenntnis des Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst, ist nicht erforderlich.

42

Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und gebieten es, den Begriff der "Unverzüglichkeit" hier deutlich weniger streng auszulegen als bei § 121 BGB.

43

(2) Gleichwohl lässt sich der in der Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs "unverzüglich" heranzuziehen, auch vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz --abweichend von der einmonatigen Regelfrist-- eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --EMRK--).

44

§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden sollten.

45

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen, mit dem eine kurze --den auch für bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher verhindernde als ermöglichende-- Zwei-Wochen-Frist nicht vereinbar wäre.

46

(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Frist --d.h. drei Monate-- für erforderlich, um den Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht tragenden Erwägung für eine am 13. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4. Juli 2013  1 SchH 10/12 (EntV), NJW 2013, 3109, für eine am 23. Januar 2013 eingegangene Verzögerungsrüge).

47

Diese Frist hat der Kläger im Streitfall mit seinem am 16. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben gewahrt.

48

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf 43 Monate.

49

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (näher dazu Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a).

50

Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über streitige Rechtsverhältnisse "in angemessener Zeit" (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

51

b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198 GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen ist. Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis bereits Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die Sozialgerichtsbarkeit --SGb-- 2013, 527, zur amtlichen Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Juli 2013  5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).

52

So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem --durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten-- Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.

53

Der erkennende Senat ist daher, um diesen gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist nicht schon dann "unangemessen", wenn die Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist als sie das Ausgangsgericht haben konnte.

54

Aus den genannten Gründen ist dem Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht --nicht nur ein Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat-- berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die --durch Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit gehörende-- besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

55

Der damit vom Entschädigungsgericht den Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu, dass Gerichte --ohne unangemessene Überbetonung allein des zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung-- in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

56

c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG --sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG-- damit im Vordergrund stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren Überschreitung eine "absolute überlange Verfahrensdauer" anzunehmen sein soll, die ohne weitere Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung führen soll (unter bb).

57

aa) In der Literatur wird mitunter vertreten, der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., Der Betrieb 2013, 1930, 1931).

58

Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, "one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases" (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen, der den Anspruch auf Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung "innerhalb kurzer Frist" vorsieht (zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl. Entscheidungen des EGMR vom 7. April 2005  54071/00 --Rokhlina--; vom 8. November 2005  6847/02 --Khudoyorov--; vom 24. Mai 2007  27193/02 --Ignatov--, Rz 111; vom 9. Oktober 2008  62936/00 --Moiseyev--, Rz 160, und vom 26. November 2009  13591/05 --Nazarov--, Rz 126; zur zwangsweisen Unterbringung eines als "Psychopathen" eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl. EGMR-Urteil vom 20. Februar 2003  50272/99 --Hutchison Reid--, Rz 79). Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese Formel --ebenfalls nicht tragend-- in einer Entscheidung, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16. Januar 2003  50034/99 --Obasa--, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B. § 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, § 61a ArbGG).

59

Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf die "grobe Faustregel" einer angemessenen Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.

60

Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198 GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine Jahresfrist als "Faustregel" anzunehmen, schon durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217, 25).

61

bb) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ab einer --im Streitfall gegebenen-- Verfahrenslaufzeit von acht Jahren sei von einer "absoluten überlangen Verfahrensdauer" auszugehen, die eine Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der "absoluten überlangen Verfahrensdauer" gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu ziehen (vgl. --unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR-- Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde "grundsätzlich als nicht angemessen" bewertet).

62

d) Gleichwohl können angesichts der besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren --nicht jedoch für ihre Gesamtdauer-- zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung.

63

aa) Nach den Ausführungen unter c kann ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört. Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich ist.

64

Auf der anderen Seite wird die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort --unter Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Vorrang hat-- zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

65

bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde --deren Ablauf aufgrund der im Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander aufweisen-- eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a cc ccc).

66

cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder --in Gestalt einer Steuervergütung-- seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

67

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet; die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht beschränkt sich --auch mangels Vorliegens der Akten der beklagten Behörde-- auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase an, in der das Verfahren --gerichtsorganisatorisch durch die Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen Verfahren bedingt-- wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter --insbesondere von deren Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und Ermittlungshandlungen-- und der Intensität der Bearbeitung durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage, welche Dauer für diese Phase --und damit auch für die Gesamtlaufzeit eines Verfahrens-- "angemessen" ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.

68

Demgegenüber eignet sich die dargestellte zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein --vermeintlich-- höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das Gericht Aktivitäten entfalten, für den Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und Entscheidung "seines" Verfahrens zu rechnen sei. Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine --unter Umständen längere-- Dauer dieser Verfahrensabschnitte geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

69

dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a b), und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

70

Der erkennende Senat hat diesen für die Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden "Karenzzeitraum" von gut zwei Jahren anhand einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen. Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum (siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet lässt.

71

Auf der anderen Seite hält es der Senat dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren --anders als etwa die typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen (vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262)-- typischerweise nicht durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und -gerichte unter Anwendung relativ großzügiger Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind oder sich befreien lassen könnten.

72

Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus, NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis 2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es --in Bezug auf sein eigenes Verfahren-- nicht als unangemessen angesehen, wenn bis zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom 3. April 2013  1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit verbundene Gewährung eines zusätzlichen Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine entschädigungspflichtige menschenrechts- und grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer führt.

73

ee) Allerdings steht es jedem Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks 17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.

74

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von 43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.

75

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

76

So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren sowohl ausländische als auch komplexe europäische Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung unterlegen.

77

Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger als überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld stellt --obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als "Steuervergütung" bezeichnet wird (§ 31 Satz 3 EStG)-- eine Leistung zur Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.

78

Das Verhalten Dritter hat in erheblichem Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E --die am Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem Kläger nicht zuzurechnen ist-- überhaupt einen Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die --letztlich streitentscheidende-- Antwort der CBO nicht an das FG weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen hat.

79

bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um 43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

80

(1) Das seit dem 20. Februar 2004 beim FG anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden gefördert worden. Dieser hat am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am 2. Februar 2005 und 24. März 2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.

81

(2) Geht man nach den unter d dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab dem Beginn des Jahres 2007 --das Verfahren war seinerzeit bereits fast drei Jahre anhängig-- genügte es aber nicht mehr, lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten. Vielmehr hätte das FG entweder selbst --notfalls, wie wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über den Kläger-- darauf hinwirken müssen, dass E in Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt, oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden Kindergeldrechts ermitteln müssen.

82

(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen. Denn in diesem Verfahrensstadium war --wie vorstehend unter (2) dargelegt-- das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr --vorläufig-- erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten zu verzeichnen.

83

(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.

84

Allerdings endet die Wirkung eines Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310). Für den konkreten Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors maßgebend. So endet ein "bis zum Ergehen" einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen bereits mit dem --objektiven-- Ergehen der Entscheidung im bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748). Ebenso kommt es zur Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen "bis zur Entscheidung" über den Antrag der E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30. März 2010, dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.

85

(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6. April 2010 gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war sachgerecht.

86

Nach Auffassung des Senats durfte das FG in diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt werden, erfahrungsgemäß deutlich längere Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich --wie bereits ausgeführt-- die Pflicht des Gerichts, auf eine ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken. Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen. Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es jedoch erst am 10. August 2011 --auf Drängen des Klägers-- tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.

87

(6) Der Kläger reichte die angeforderte Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein. Danach hätte das FG angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.

88

Tatsächlich hat das FG erst auf die wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am 26. März 2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht führte dann am 15. August 2012 zu rechtlichen Hinweisen an die Beteiligten und --ohne weitere Verzögerung-- zu einer Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.

89

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG sich in der Zeit ab dem 20. April 2012 bemüht hat, die Erledigung eines Verfahrens über "Kindergeld ab Mai 2010" zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem Zeitpunkt beim FG anhängig. Die --auch teilweise-- Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige Berichterstatterin habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr 2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für Zeiträume ab Februar 2004 --für die aufgrund entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte-- sind keine Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar 2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten führen können.

90

(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007 bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums von 43 Monaten.

91

cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer berücksichtigt.

92

Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit auf behördliche Entscheidungen keinerlei Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das "Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" ist vielmehr gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das Verhalten von --insbesondere ausländischen-- Behörden nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar zuzurechnen. Es hat lediglich die --sich mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtende-- Pflicht, das Verfahren zu fördern.

93

3. Die Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw. Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die Kostenentscheidung.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

16
a) Auch in diesem Fall gilt, dass die Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden kann, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass über die Gehörsrüge nicht in angemessener Zeit entschieden wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Anhörungsrügeverfahren als solches keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (Ott aaO § 198 GVG Rn. 190). Es genügt grundsätzlich, dass die Verzögerungsrüge nach diesem Zeitpunkt im laufenden Anhörungsrügeverfahren erhoben wird (Senatsurteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13, BeckRS 2014, 08780 Rn. 31). Im vorangegangenen Verfahren bereits eingetretene Verzögerungen können allerdings durch eine erstmals im Rügeverfahren erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr geltend gemacht werden. Dies folgt schon daraus, dass Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens allein die behauptete Gehörsverletzung ist und für das Gericht keine Möglichkeit mehr besteht, das bereits beendete Hauptsacheverfahren noch zu beschleunigen (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 173 f, 191; Schenke , NVwZ 2012, 257, 261).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

22
Der für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG maßgebende Haftungsgrund ist allein die Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Senat, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 25 m. zahlr. wN; BT-Drucks. 17/3802, S. 18). Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es - anders als bei der Amtshaftung - nicht an. Die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer impliziert dementsprechend für sich allein auch keinen Schuldvorwurf (BT-Drucks. 17/3802, S. 19).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, dessen Überlänge die Klägerin rügt, war ein von der Klägerin geltend gemachter Beihilfeanspruch. Die beihilfeberechtigte Klägerin ist Oberinspektorin im Dienst des Beklagten. Im Jahr 2008 ließ sie eine Zahnimplantation vornehmen. Dafür gewährte ihr der Beklagte eine Beihilfe in Höhe von 257,83 €.

3

Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin am 2. Januar 2009 Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Zahlung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 1 825,91 € nebst Zinsen, die sie Ende Januar 2009 auf 1 745,91 € korrigierte. Die Klage wurde dem Beklagten am 13. Januar 2009 mit einer Äußerungsfrist von sechs Wochen zugestellt. Nachdem das Verwaltungsgericht die Klageerwiderung vom 19. Februar 2009 der Klägerin am 27. Februar 2009 zur Kenntnis übersandt hatte, beantwortete das Verwaltungsgericht lediglich Sachstandsanfragen. Am 15. Juni 2011 fragte es an, ob auf mündliche Verhandlung des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens verzichtet werde, was die Klägerin ablehnte. Daraufhin wurde das Verfahren am 2. September 2011 auf den Einzelrichter übertragen, der am selben Tag den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 29. September 2011 bestimmte. Nach dem Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung, wies das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 29. September 2011 ab, das der Klägerin am 21. Oktober 2011 zugestellt wurde.

4

Am 21. November 2011 beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung. Nachdem das Oberverwaltungsgericht eine Verlängerung der Begründungsfrist abgelehnt hatte, begründete die Klägerin den Antrag einen Tag nach Ablauf der Frist und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in die Begründungfrist. Auf eine Sachstandsanfrage teilte das Oberverwaltungsgericht im Mai 2012 mit, dass eine Entscheidung über den Zulassungsantrag voraussichtlich im Herbst des Jahres ergehen werde, und erteilte außerdem am 5. Juni 2012 einen rechtlichen Hinweis zu dem Wiedereinsetzungsantrag. Nach dem Wechsel des Berichterstatters Anfang Januar 2013 teilte das Gericht der Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2013 mit, man bemühe sich um eine Entscheidung innerhalb der nächsten sechs Monate. Daraufhin erhob die Klägerin am 25. Februar 2013 Verzögerungsrüge. Mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2013 wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig zurückgewiesen.

5

Am 5. September 2013 erhob die Klägerin Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 3 300 €. Insgesamt habe das Verfahren vier Jahre und fünf Monate gedauert, was unangemessen lang im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG gewesen sei. Die Verfahrenslänge sei überwiegend darauf zurückzuführen, dass die Gerichte die Sache nicht zügig bearbeitet hätten. Das Verwaltungsgericht habe das Verfahren über rund zwei Jahre "liegen lassen", um ältere Verfahren zu bearbeiten, das Oberverwaltungsgericht mindestens ein Jahr. Im gesamten Verfahren sei eine nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und neun Monaten eingetreten. Das Verfahren habe die Klägerin als teilzeitbeschäftigte Mutter von drei Kindern sehr belastet, weil sie sich das Geld habe borgen müssen, so dass ihr mindestens die Regelentschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zustehe.

6

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sei zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife am 15. April 2009 und dem 15. Juni 2011 insgesamt 26 Monate nicht gefördert worden, von denen nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles 14 Monate nicht gerechtfertigt seien. Das Verfahren von mittlerer Schwierigkeit sei für die Klägerin als teilzeitbeschäftigte Mutter von drei Kindern von mehr als durchschnittlicher, allerdings nicht wesentlicher Bedeutung gewesen. Die Klägerin habe aber durch ihr Verhalten eine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt, weil sie die Umstände, die die mehr als durchschnittliche Bedeutung begründeten, trotz Aufforderung durch das Gericht nicht im Ausgangsverfahren vorgetragen habe, sondern erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Entschädigungsgericht. Dagegen habe die Klägerin wegen der Dauer des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Wiedergutmachungsanspruch. Bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge könne eine Wiedergutmachung nicht gewährt werden. In dem Zeitraum zwischen der Erhebung und dem Abschluss des Berufungszulassungsverfahrens sei eine Verzögerung nicht eingetreten. Aus § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG folge, dass in den ersten sechs Monaten ab Erhebung der Verzögerungsrüge eine unangemessene Verfahrensdauer nur in Ausnahmefällen eintreten könne. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung, weil eine Wiedergutmachung nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles durch Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer erreicht werden könne.

7

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren weiter.

8

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und macht insbesondere geltend, die Klägerin habe die Verzögerungsrüge gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich erheben müssen, weil das Verfahren bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert gewesen sei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht entscheidungstragend davon ausgegangen ist, dass gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2525), Ansprüche auf Entschädigung oder Wiedergutmachung in anderer Weise erst ab dem Zeitpunkt der Verzögerungsrüge gewährt werden und danach eine Verzögerung innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG sowie des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht eintreten kann. Es beruht auch insoweit auf einer fehlerhaften Anwendung des § 198 Abs. 1 GVG, als der Klägerin weniger als 2 300 € als Entschädigung zuerkannt wurden.

10

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Entschädigung ihrer immateriellen Nachteile in Höhe von 2 300 €.

11

Der Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG, der gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302 - ÜGRG) auch für Verfahren gilt, die - wie hier - bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 bereits anhängig waren. Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des von der Klägerin in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b bis d). Dadurch hat die Klägerin einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (e) und in Höhe von 2 300 € zu entschädigen ist (f).

12

a) Materieller Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist gemäß § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit von der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht am 2. Januar 2009 bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 19) des die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2013.

13

b) Die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, für das eine Verzögerungsrüge nicht erforderlich war (aa), war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (bb).

14

aa) Die Erhebung einer Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG, die eine materiellrechtliche Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs darstellt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 14 m.w.N; BFH, Urteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126 Rn. 24; BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - B 10 ÜG 9/13 B - NJW 2014, 253 Rn. 27), war, wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht annimmt, in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß Art. 23 Satz 4 ÜGRG nicht erforderlich. Danach bedarf es bei einem Verfahren, das bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bereits anhängig war, keiner Verzögerungsrüge, wenn die Verzögerung in einer bereits abgeschlossenen Instanz erfolgt ist. Bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 3. Dezember 2011 war das Ausgangsverfahren seit dem 2. Januar 2009 anhängig. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht war mit dessen Urteil vom 29. September 2011, das der Klägerin am 21. Oktober 2011 zugestellt wurde, abgeschlossen.

15

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 18 m.w.N.).

16

In Übereinstimmung mit dem dargelegten rechtlichen Maßstab hat sich das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht zu Recht nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 28 ff. und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 Rn. 30). Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht war insbesondere unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkte der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für die Klägerin ((2)) und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht ((4)) ein Jahr und fünf Monate ungerechtfertigt verzögert.

17

(1) Das Oberverwaltungsgericht nimmt zutreffend an, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren als mittelschwer zu bewerten ist. Das Verwaltungsgericht hatte sich insbesondere mit den §§ 5 und 6 der früheren Beihilfevorschriften des Bundes, dem Fürsorgegrundsatz und der Härtefallregelung auseinanderzusetzen. Gemessen daran erweist sich das Verfahren (allenfalls) von durchschnittlicher Schwierigkeit, wofür auch die Übertragung des Verfahrens auf den Einzelrichter spricht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 46 und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 21).

18

(2) Auch die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, dass das Verfahren für die Klägerin "von mehr als durchschnittlicher, allerdings nicht wesentlicher Bedeutung" gewesen ist, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, dass die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte und Mutter von drei Kindern nicht über die finanziellen Mittel verfügte, die für die Zahnimplantation erforderlich waren, sondern sich den Betrag leihen musste, rechtfertigen es, die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin als mehr als durchschnittlich anzusehen.

19

Das Oberverwaltungsgericht durfte diese Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht berücksichtigen. Die Klägerin war mit ihrem Vorbringen zu ihren persönlichen und finanziellen Verhältnissen, die sie erst vor dem Entschädigungsgericht vorgetragen hat, nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG präkludiert. Danach muss die Verzögerungsrüge auf Umstände hinweisen, auf die es für die Verfahrensführung ankommt und die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind. Andernfalls darf sie das Entschädigungsgericht bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigen. Die Präklusionswirkung des § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG greift nicht ein, wenn eine Verzögerungsrüge - wie hier - in der bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossenen Instanz gemäß Art. 23 Satz 4 ÜGRG nicht erforderlich war. Mit der Verpflichtung zur Erhebung einer Verzögerungsrüge entfällt auch die Hinweispflicht, die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG unmittelbar mit der Verzögerungsrüge verknüpft ist. Das entspricht dem Zweck der Verzögerungsrüge, der auch darin liegt, das Gericht zu einer etwa gebotenen Verfahrensbeschleunigung zu veranlassen. Diese präventive Warnfunktion wird durch die Hinweispflicht ergänzt, die dem Gericht Kenntnis von den für eine Verfahrensbeschleunigung relevanten Umständen verschaffen soll (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/3802 S. 21 f. und Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 210). Kann der Zweck der Verzögerungsrüge - wie bei einer bereits abgeschlossenen Instanz - nicht erfüllt werden, ist auch für die Hinweispflicht kein Raum.

20

(3) Dagegen ist dem Oberverwaltungsgericht nicht in der Annahme zu folgen, die Klägerin habe durch ihr Verhalten eine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt, weil sie es unterlassen hat, das Verwaltungsgericht trotz dessen Aufforderung zur Mitteilung von Gründen, die eine bevorzugte Behandlung des Falles rechtfertigen, auf ihre wirtschaftliche Lage hinzuweisen.

21

Bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu Lasten eines Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nur ein Verhalten zu berücksichtigen, durch das eine Verzögerung herbeigeführt wird. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Verfahrensbeteiligten, abgesehen insbesondere von der Obliegenheit zur Erhebung der Verzögerungsrüge, grundsätzlich nicht verpflichtet sind, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss bringt. Daher kann ihnen eine Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (BVerwG, Urteile vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 D - NVwZ-RR 2015, 641 Rn. 37 und vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 41). Ein Unterlassen der Förderung des Verfahrens führt nur dann zu einer einem Verfahrensbeteiligten anzulastenden Verzögerung, wenn eine entsprechende Rechtspflicht bestand. Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin war in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - wie aufgezeigt - nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG verpflichtet, auf Umstände hinzuweisen, die für die Verfahrensförderung relevant waren. Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2010, in dem die Klägerin unter anderem um Nachricht gebeten wird, wenn Gründe vorliegen sollten, die eine bevorzugte Behandlung des Falles rechtfertigen. Denn die Klägerin war aus den oben dargelegten Gründen über die gesetzlichen Vorgaben des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG hinaus zu einer Förderung des Prozesses nicht verpflichtet.

22

(4) Aus den in dem angefochtenen Urteil zur Verfahrensführung getroffenen Feststellungen ist unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit zu schließen, dass das Verwaltungsgericht das Verfahren zwischen Mitte April 2009 und Mitte Juni 2011 für ein Jahr und vier Monate sowie zwischen Mitte Juni 2011 und Anfang September 2011 für einen Monat ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat.

23

Zum Verfahrensgang hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass das Verwaltungsgericht zwischen dem 16. April 2009 und der Anfrage vom 15. Juni 2011, ob auf mündliche Verhandlung des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens verzichtet werde, insgesamt zwei Jahre und zwei Monate keine verfahrensfördernden Handlungen vorgenommen, sondern lediglich Sachstandsanfragen beantwortet hat. Daraus ist bei wertender Betrachtung zu folgern, dass die Klage etwa sechs Wochen nach Übersendung der am 23. Februar 2009 eingegangenen Klageerwiderung "zur Kenntnis" Mitte April 2009 entscheidungsreif war. Der Sachverhalt war zu diesem Zeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufbereitet und den Beteiligten war in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden.

24

Im vorliegenden Fall erscheint es angemessen, dem Verwaltungsgericht ab diesem Zeitpunkt einen (Gestaltungs-)Zeitraum von etwa 10 Monaten für seine Entscheidung zuzugestehen, wann und wie es das Verfahren im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses fördert. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Der (Gestaltungs-)Zeitraum berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände - wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 28 m.w.N.).

25

Die Gestaltungsfreiheit des Gerichts wird in zeitlicher Hinsicht begrenzt durch den Zeitpunkt, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem von einer "optimalen Verfahrensführung" des Gerichts auszugehen ist. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 31 m.w.N.).

26

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist hier bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren (allenfalls) einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies, seine Bedeutung für die Klägerin mehr als durchschnittlich, aber nicht wesentlich war und die Klägerin nicht durch ihr Verhalten zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hatte. Angesichts dessen war die fehlende Bearbeitung bzw. Förderung des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht für die Klägerin ab Mitte Februar 2010 nicht mehr hinnehmbar. Da die nächste verfahrensfördernde Handlung am 15. Juni 2011 mit der Anfrage nach einem Verzicht auf mündliche Verhandlung vorgenommen wurde, war das Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt 16 Monate ungerechtfertigt verzögert.

27

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensgang nahm das Verwaltungsgericht außerdem zwischen seiner Anfrage vom 15. Juni 2011 und der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 2. September 2011 nach dem Eingang der Rücknahme des Verzichts auf mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2011 neun Wochen, also etwa zwei Monate keine verfahrensfördernden Handlungen vor, weil das Verfahren vorzubereiten und seine Terminierung den übrigen Verhandlungsterminen der Kammer anzupassen war. Insoweit ist es angemessen, dem Verwaltungsgericht für diesen Verfahrensabschnitt einen weiteren (Gestaltungs-)Zeitraum von fünf Wochen für seine Entscheidung einzuräumen. In Anwendung der oben dargelegten rechtlichen Maßstäbe ist insoweit bei der Bemessung des Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Verfahren, das für die Klägerin mehr als durchschnittliche Bedeutung besaß, zu diesem Zeitpunkt ohne Zutun der Klägerin bereits erheblich verzögert war.

28

War dem Verwaltungsgericht in dem Zeitraum zwischen Mitte April 2009 und Mitte Juni 2011 ein Gestaltungsspielraum von zehn Monaten und für den Zeitraum von Mitte Juni 2011 bis Anfang September 2011 von fünf Wochen einzuräumen, ergibt sich eine ungerechtfertigte Verzögerung des Verfahrens von insgesamt einem Jahr und fünf Monaten.

29

c) Die Dauer des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht, in dem die Klägerin rechtzeitig Verzögerungsrüge (aa) erhoben hat, war unangemessen (bb).

30

aa) Die Klägerin hat in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht mit der am 25. Februar 2013 eingegangenen Verzögerungsrüge die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erfüllt. Der Vorinstanz ist nicht darin zu folgen, dass eine Wiedergutmachung für den Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge nicht gewährt werden kann.

31

(1) Der Anspruch auf Entschädigung oder Wiedergutmachung ist für die Zeit vor Erhebung der Verzögerungsrüge nicht gemäß Art. 23 Satz 3 ÜGRG ausgeschlossen (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 - NJW 2014, 1967 Rn. 27 ff.; BFH, Urteil vom 20. August 2014 - X K 9/13 - BFHE 247, 1 Rn. 24; BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4 (vorgesehen) = juris Rn. 23 ff.). Die Klägerin war nicht gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG verpflichtet, die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3. Dezember 2011 zu erheben. Danach gilt § 198 Abs. 3 GVG für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten jenes Gesetzes schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Die Obliegenheit des Art. 23 Satz 2 ÜGRG betrifft nur Verzögerungen in anhängigen Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bei dem mit der Sache befassten Gericht bereits eingetreten sind. Das ergibt sich neben der systematischen Unterscheidung zwischen Verzögerungen in einer bereits abgeschlossenen Instanz (Art. 23 Satz 4 ÜGRG) und schon verzögerten Verfahren (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) sowie dem mit der Verzögerungsrüge verfolgten Zweck einer präventiven Warnung an das befasste Gericht vor allem aus der Gesetzesbegründung. Danach ist die unverzügliche Erhebung einer Verzögerungsrüge an das Gericht nur dann geboten, wenn in dem von ihm betreuten Verfahren bereits eine rügepflichtige Situation eingetreten ist. Kommt es nach Abschluss einer Instanz bei der befassten Instanz zu einer weiteren Verzögerung, bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 198 Abs. 3 GVG (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/3802 S. 31; ebenso Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Art. 23 ÜGRG Rn. 5; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. August 2015 - L 37 SF 29/14 EK AS - juris Rn. 36). Da das Oberverwaltungsgericht bei Inkrafttreten des Gesetzes erst wenige Tage mit dem Verfahren befasst war, war dort eine Verzögerung, die gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich zu rügen gewesen wäre, noch nicht eingetreten.

32

(2) Die Verzögerungsrüge ist gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG wirksam erhoben worden. Danach kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Diese Besorgnis bestand spätestens, nachdem der mit Schreiben vom Mai 2012 für den Herbst in Aussicht gestellte Entscheidungstermin verstrichen war und das Oberverwaltungsgericht auf die zweite Sachstandsanfrage der Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2013 mitgeteilt hatte, man bemühe sich um eine Entscheidung innerhalb der nächsten sechs Monate.

33

(3) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts besteht der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG auch für den Zeitraum vor der Erhebung der Verzögerungsrüge. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ("wenn"), sondern ergibt sich zwingend auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Referentenentwurf vom 15. März 2010 (abgedruckt in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Anhang 5, Seite 413 und 433) und dessen Begründung sind zu § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG davon ausgegangen, dass ein Entschädigungsanspruch nur in Betracht komme, "soweit" die Verzögerungsrüge rechtzeitig zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten Zeitpunkt erhoben werde und dass im Fall einer nach diesem Zeitpunkt erhobenen Rüge die Entschädigung für den davorliegenden Zeitraum ausgeschlossen sei. Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. Er hat zum einen in § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG statt des Wortes "soweit" den Begriff "wenn" gewählt. Zum anderen hat er in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich unschädlich sei, wenn die Rüge erst nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird (BT-Drs. 17/3802 S. 21). Daraus ergibt sich zweifelsfrei auch, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einzustellen ist (vgl. auch Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 194).

34

bb) In Anwendung des oben darlegten rechtlichen Maßstabs ist im Hinblick auf die für die Einzelfallprüfung maßgeblichen Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), dessen Bedeutung für die Klägerin ((2)) und deren Verhalten ((3)) angesichts der Verfahrensführung durch das Oberverwaltungsgericht bei Berücksichtigung der insoweit einzustellenden gerichtlichen Gestaltungsfreiheit davon auszugehen, dass das Berufungszulassungsverfahren sechs Monate ungerechtfertigt verzögert war ((4)). Dem stehen weder die Karenzfrist des § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG noch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG entgegen ((5)).

35

(1) Die Schwierigkeit des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht kann noch als durchschnittlich angesehen werden. Zwar war die entscheidungserhebliche Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und damit die Frage der Zulässigkeit des Antrags nicht schwierig zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat sich in den Gründen seines Beschlusses vom 18. Juni 2013, mit dem es den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat, aber auch mit dem geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auseinandergesetzt. Es kann hier offenbleiben, ob diese Erwägungen wegen der Unzulässigkeit der Beschwerde prozessual als "nicht geschrieben" anzusehen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 6 m.w.N.). Für das Entschädigungsverfahren kommt es nur darauf an, dass das Gericht die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erörtert hat. Insoweit hängt die Schwierigkeit von der Beschaffenheit der in dem angefochtenen Urteil entschiedenen Fragen ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 21). Da der Zulassungsgrund keine Vollprüfung der Richtigkeit des vorinstanzlichen Urteils erfordert, liegt der Schwierigkeitsgrad hier noch an der unteren Grenze des Durchschnittlichen.

36

(2) Für das Berufungszulassungsverfahren ist davon auszugehen, dass das Verfahren für die Klägerin keine besondere Bedeutung hatte. Die persönlichen und finanziellen Umstände, die in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die besondere Bedeutung begründen, durfte das Entschädigungsgericht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG bei der Bewertung der Angemessenheit des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht nicht berücksichtigen, weil die Klägerin auf sie nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG in der dort gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG zu erhebenden Verzögerungsrüge hingewiesen hatte.

37

(3) Die Klägerin hat zu einer Verzögerung des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht nicht beigetragen. Soweit sie es in diesem Verfahren entgegen § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG versäumt hat, auf ihre damalige wirtschaftliche Lage hinzuweisen, war dies bereits im Zusammenhang mit der Bedeutung des Verfahrens für sie in Rechnung zu stellen.

38

(4) Mit Blick auf die Verfahrensführung des Oberverwaltungsgerichts und bei Berücksichtigung der Schwierigkeit des Verfahrens und seiner Bedeutung für die Klägerin sowie des Umstands, dass sie zur Verzögerung nichts beigetragen hat, ergibt sich eine unangemessene Verfahrensdauer von sechs Monaten.

39

Aus den Feststellungen der Vorinstanz zur Chronologie des Verfahrens ist wertend zu folgern, dass dieses vor dem Oberverwaltungsgericht mit der Übersendung der Stellungnahme der Klägerin zu dem rechtlichen Hinweis des Oberverwaltungsgerichts an den Beklagten "zur Kenntnis" am 5. Juni 2012 und dem telefonisch erbetenen Fristverlängerungsantrag vom November 2011 am 27. Juni 2012 an den Beklagten ebenfalls "zur Kenntnis" entscheidungsreif war.

40

In dem Zeitraum vom Eingang des Zulassungsantrags am 28. November 2011 bis zur Herstellung der Entscheidungsreife ist eine ungerechtfertigte Verzögerung nicht eingetreten. Die Grenzen des gerichtlichen Gestaltungszeitraums sind nicht deshalb überschritten, weil das Oberverwaltungsgericht nach der Übersendung der Antragserwiderung des Beklagten am 9. Februar 2012 bis zu dem rechtlichen Hinweis vom 5. Juni 2012 zu dem Wiedereinsetzungsantrag vier Monate lang keine verfahrensfördernden Handlungen vorgenommen hat. Das Gericht besitzt zwar auch in dem Zeitraum vor der Entscheidungsreife keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit. Bei der Bestimmung des Umfangs des Gestaltungsspielraums, der dem Gericht im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit und das rechtsstaatliche Gebot einer inhaltlich richtigen, an Recht und Gesetz orientierten Entscheidung im konkreten Einzelfall einzuräumen ist, ist aber zu berücksichtigen, dass ihm in der Zeit der Herstellung der Entscheidungsreife die Erkenntnisse, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sind, nicht vollständig vorliegen. Vielmehr dient dieser Zeitraum gerade dazu, das Verfahren rechtlich und tatsächlich soweit aufzubereiten, dass eine Entscheidung getroffen werden kann. Demgegenüber zeichnet sich der Zeitraum ab Entscheidungsreife dadurch aus, dass einer Entscheidung des Verfahrens "an sich" nichts mehr entgegensteht. Dieser Unterschied ist bei der Ausfüllung des Entscheidungsspielraums im konkreten Einzelfall in Rechnung zu stellen. Das Oberverwaltungsgericht ist in diesem Zeitraum auch nicht untätig gewesen, sondern hat sich dem Verfahren insoweit gewidmet, als es Unstimmigkeiten zwischen dem Antrag auf Widereinsetzung in die Begründungsfrist vom 22. Dezember 2011 und dem Antrag auf Fristverlängerung vom 21. Dezember 2011 herausgearbeitet und die Klägerin mit dem rechtlichen Hinweis vom 5. Juni 2012 dazu um Stellungnahme gebeten hat.

41

In dem Zeitraum ab Entscheidungsreife Ende Juni 2012 bis zum Abschluss des Verfahrens durch den Beschluss vom 18. Juni 2013 ist das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht sechs Monate ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert worden. Bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums ist zu berücksichtigen, dass die Schwierigkeit des Verfahrens und dessen Bedeutung für die Klägerin als durchschnittlich zu bewerten sind und das Verfahren in der Vorinstanz bereits 17 Monate verzögert war. Gemessen daran kommt dem Umstand, dass der Berichterstatter am 3. Januar 2013 gewechselt hatte, keine maßgebliche Bedeutung zu. Der dem Gericht einzuräumende Gestaltungsspielraum ist danach mit fünf Monaten zu bemessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 26 f.), was eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens von etwa sechs Monaten ergibt.

42

(5) Dem steht nicht entgegen, dass die Wiederholung der Verzögerungsrüge frühestens nach sechs Monaten zulässig ist (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG) und die Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG). Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass innerhalb dieser Fristen eine Verzögerung nicht eintreten kann, ist dies mit Bundesrecht nicht vereinbar. Weder Wortlaut und Gesetzessystematik noch der mit diesen Fristen verfolgte Zweck sprechen für diese Annahme. Die Karenzfrist des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG dient dem Schutz des Gerichts vor "Kettenrügen" in kurzen Abständen sowie der Entlastung der Betroffenen und ihrer Anwälte (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 21), was die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer während dieser Zeit nicht hindert. Mit der Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG soll dem Gericht hinreichend Zeit gegeben werden, auf die Verzögerungsrüge zu reagieren und das Verfahren in einer angemessenen Zeit abzuschließen oder in bereits verzögerten Verfahren eine Verlängerung der Verzögerung zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22). Auch diesen Zwecken ist nicht ansatzweise zu entnehmen, dass die Wartefrist ausschließt, in ihrem Umfang eine ungerechtfertigte Verzögerung anzunehmen.

43

d) Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung insgesamt im Umfang von einem Jahr und 11 Monaten unangemessen. Die unangemessenen Verzögerungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht sind zu addieren. Sie sind weder innerhalb eines Stadiums des Verfahrens noch in einzelnen Verfahrensabschnitten innerhalb einer anderen Phase des Verfahrens ausgeglichen worden (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 17 und 44 m.w.N. und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 30).

44

e) Dadurch hat die Klägerin einen immateriellen Nachteil erlitten, der durch Entschädigung wiedergutzumachen ist.

45

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Eine Entschädigung ist auch nicht nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ausgeschlossen. Danach kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 34 m.w.N.). Mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Falles, zu der die Klägerin nicht beigetragen hat, und wegen der mehr als durchschnittlichen Bedeutung für die Klägerin, die für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu berücksichtigen ist, ist die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, hier nicht ausreichend.

46

f) Die Klägerin ist in Höhe von 2 300 € zu entschädigen.

47

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige Berechnung zu. Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.

48

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 20. Februar 2004 (Klageeingang) bis zum 8. November 2012 (Kostenbeschluss nach Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen. Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

3

Bis einschließlich Januar 2001 hatte E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9. August 2002 zunächst mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erließ die Familienkasse am 27. September 2002 Teilabhilfebescheide. Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung der für die Zahlung des child benefit in Nordirland zuständigen Behörde (Child Benefit Office --CBO--) vor, aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29. Januar 2004 mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels Antragstellung nicht ausgezahlt würden.

4

Hiergegen erhob der Kläger am 20. Februar 2004 Klage. Diese stützte er auf seine --bereits während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene-- Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Der --für das Verfahren zugleich als Berichterstatter zuständige-- damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem Kläger am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es für die Frage, ob ausländische Familienleistungen anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum, sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung, weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe, sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der dortigen Behörde.

5

Der Kläger erklärte daraufhin, E habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine "formale Ablehnung" liege jedoch nicht vor. Er bat um eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem Kläger am 2. Februar 2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und fragte am 24. März 2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine Teilabhilfe möglich sei.

6

Damit endeten die gerichtlichen Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal. Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein; dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3. April 2006 teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12. Oktober 2006 übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des CBO vom 19. September 2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer Antwort melden.

7

Das FG wurde wieder tätig, indem es am 13. November 2007, 10. Januar 2008 und 20. Februar 2008 drei Sachstandsanfragen an die Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate verstrichen waren, beraumte das FG am 17. April 2009 einen Erörterungstermin für den 15. Mai 2009 an. In diesem Termin überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit. Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte, E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm hierfür eine Frist gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung über diesen Antrag ruhen solle.

8

Nachdem der Kläger die Antragstellung nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag der E und sandte die Kindergeldakte am 26. Juni 2009 an die Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6. April 2010 an, dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage, wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse stellte am 10. Mai 2010 eine entsprechende Anfrage.

9

Das CBO antwortete am 31. August 2010, sie habe den Antrag der E am 30. März 2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15. September 2010 bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14. Oktober 2011 bei der Familienkasse einging.

10

Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des CBO noch ausstand, richtete am 16. Februar 2011 das folgende Schreiben an die Familienkasse: "Wie soll verfahren werden? Erledigung innerhalb von 1 Monat". Am 11. Mai 2011 beschloss das FG die Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25. Mai 2011 an die Beteiligten: "Ich bitte um Vorschläge, wie weiter verfahren werden soll."

11

Der Kläger erklärte, er begehre eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos blieb. Am 8. August 2011 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am 10. August 2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden. Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16. Januar 2012 richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am 16. Februar 2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom 15. Februar 2012 ein, in dem es u.a. hieß: "Da sich das Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom 16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht, muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung finden."

12

Die Familienkasse erklärte mit Schreiben vom 19. März 2012 "abschließend", rechtlich bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz für das Fehlen eines solchen Anspruchs. "Etwaig" müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in Nordirland entscheiden.

13

Mit einem am 23. März 2012 beim FG eingegangenen Schreiben vom 21. März 2012 erhob der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012" ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26. April 2012 beim FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands, dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit Wirkung zum 1. Mai 2010 geändert worden waren, die Beteiligten um Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte daraufhin am 30. Juli 2012 die Rücknahme der Klage für die Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ein.

14

Am 15. August 2012 bemerkte die Berichterstatterin, dass in der --ihr seit dem 26. April 2012 wieder vorliegenden-- Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom 31. August 2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die Familienkasse, dem Begehren des Klägers für Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung (März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004 bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16. Oktober 2012 erklärten die Familienkasse und der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Kostenbeschluss vom 8. November 2012, der am 12. November 2012 mit einfachem Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.

15

Der Kläger hat am 21. November 2012 die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 €. Ferner begehrt er Ersatz für Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe von 14.985,16 € auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführt.

16

Er ist der Auffassung, eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich, weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige Handhabung dem "Gedanken der Europäischen Einheit" widersprechen würde.

17

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04 (später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung in Höhe von 22.185,16 € zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Er hält die Klage bereits für unzulässig, weil die --zwingend erforderliche-- Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (3. Dezember 2011) erhoben worden sei. Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen anzusehen. Die erst am 23. März 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet gewesen.

20

Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien, keiner abweichenden Würdigung durch das Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008 zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen, zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei, wäre es unbillig, diesen Umstand im Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich erst im Erörterungstermin --nach mehr als fünfjähriger Verfahrensdauer-- als unzutreffend herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31. August 2010 nicht unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der Kläger habe einreichen müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Der Senat entscheidet gemäß § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, während die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Entschädigung für materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.

22

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).

23

1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist das Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 als Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge ist noch als "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter d).

24

a) Anders als der Beklagte meint, hätte das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso Beschluss des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 27. Juni 2013 B 10 ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht --n.v.--, unter II.2.b). Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer --die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen gesonderten Antrag voraussetzt-- auch dann ausgesprochen werden kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

25

b) Das Schreiben des Klägers vom 8. August 2011 kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- aber noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Zwar gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber die zusätzliche Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" erhoben werden muss. Eine bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.

26

c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des Klägers vom 21. März 2012 --in dem er erstmals ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwendet hat--, sondern bereits das Schreiben vom 15. Februar 2012, das am 16. Februar 2012 beim FG eingegangen ist, als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG anzusehen.

27

aa) Die genannte Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich die --mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende-- Auffassung, eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden kann.

28

Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten für Verzögerungsrügen daher nicht.

29

bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens des Klägers vom 15. Februar 2012 führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der Kläger hat darin erklärt, "ohne eine klare Richtungsvorgabe" des FG gegenüber der Familienkasse müsse die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/Deutschland-- (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) "und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" Anwendung finden. Mit dem vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom Kläger bezeichnete "mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" ist das ÜberlVfRSchG.

30

Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber --was bisher weder vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist-- nicht anders verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte. Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.

31

d) Die Verzögerungsrüge vom 16. Februar 2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.

32

aa) Gemäß Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

33

bb) Der Begriff "unverzüglich" bedeutet ein Handeln "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Diese Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise vertretene Bejahung eines "schuldhaften Zögerns" bei Überschreitung einer Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich" verwendet.

34

Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der "Unverzüglichkeit” in Fällen der Irrtumsanfechtung herangezogen.

35

Diese Übertragung der in § 626 BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich” verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals --bzw. der gesetzlichen Erläuterung "ohne schuldhaftes Zögern"-- in Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit, der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend vorgenommen.

36

(1) So findet sich der Begriff "unverzüglich" auch im Zusammenhang mit der Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB--). Hier liegt auf der Hand, dass die schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt. § 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Januar 1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb). Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten --das in den Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre-- nicht mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den Regelfall --in Abhängigkeit von den Eigenschaften der betroffenen Ware-- nur die Wahrung einer Frist, die zwischen einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., § 377 Rz 53 ff., m.w.N.).

37

(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2 EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt "unverzüglich" nach Feststellung des Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 5. Februar 2007 S 2232-14-St-212, Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1, unter 1.).

38

(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs. 3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5. Juli 2006 VIII ZR 220/05, NJW 2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12. Dezember 2012 VIII ZR 264/12, NJW 2013, 456).

39

cc) Die gebotene normspezifische Auslegung führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist von drei Monaten für angemessen.

40

(1) Die zu § 121 BGB ergangene Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht --in Abgrenzung zu den Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB)-- gerade dann, wenn der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB --ebenso wie die vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB-- erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw. Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.

41

Beide genannten Gesichtspunkte, die in den Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim Erklärenden --im Fall des § 121 BGB dem Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem späteren Entschädigungskläger--, sondern beim Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch sein zögerliches Verhalten --unterstellt, die Verzögerungsrüge sei berechtigt-- die Ursache für die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium --das Inkrafttreten des Gesetzes--; eine positive Kenntnis des Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst, ist nicht erforderlich.

42

Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und gebieten es, den Begriff der "Unverzüglichkeit" hier deutlich weniger streng auszulegen als bei § 121 BGB.

43

(2) Gleichwohl lässt sich der in der Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs "unverzüglich" heranzuziehen, auch vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz --abweichend von der einmonatigen Regelfrist-- eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --EMRK--).

44

§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden sollten.

45

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen, mit dem eine kurze --den auch für bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher verhindernde als ermöglichende-- Zwei-Wochen-Frist nicht vereinbar wäre.

46

(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Frist --d.h. drei Monate-- für erforderlich, um den Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht tragenden Erwägung für eine am 13. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4. Juli 2013  1 SchH 10/12 (EntV), NJW 2013, 3109, für eine am 23. Januar 2013 eingegangene Verzögerungsrüge).

47

Diese Frist hat der Kläger im Streitfall mit seinem am 16. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben gewahrt.

48

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf 43 Monate.

49

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (näher dazu Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a).

50

Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über streitige Rechtsverhältnisse "in angemessener Zeit" (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

51

b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198 GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen ist. Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis bereits Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die Sozialgerichtsbarkeit --SGb-- 2013, 527, zur amtlichen Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Juli 2013  5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).

52

So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem --durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten-- Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.

53

Der erkennende Senat ist daher, um diesen gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist nicht schon dann "unangemessen", wenn die Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist als sie das Ausgangsgericht haben konnte.

54

Aus den genannten Gründen ist dem Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht --nicht nur ein Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat-- berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die --durch Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit gehörende-- besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

55

Der damit vom Entschädigungsgericht den Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu, dass Gerichte --ohne unangemessene Überbetonung allein des zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung-- in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

56

c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG --sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG-- damit im Vordergrund stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren Überschreitung eine "absolute überlange Verfahrensdauer" anzunehmen sein soll, die ohne weitere Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung führen soll (unter bb).

57

aa) In der Literatur wird mitunter vertreten, der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., Der Betrieb 2013, 1930, 1931).

58

Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, "one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases" (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen, der den Anspruch auf Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung "innerhalb kurzer Frist" vorsieht (zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl. Entscheidungen des EGMR vom 7. April 2005  54071/00 --Rokhlina--; vom 8. November 2005  6847/02 --Khudoyorov--; vom 24. Mai 2007  27193/02 --Ignatov--, Rz 111; vom 9. Oktober 2008  62936/00 --Moiseyev--, Rz 160, und vom 26. November 2009  13591/05 --Nazarov--, Rz 126; zur zwangsweisen Unterbringung eines als "Psychopathen" eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl. EGMR-Urteil vom 20. Februar 2003  50272/99 --Hutchison Reid--, Rz 79). Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese Formel --ebenfalls nicht tragend-- in einer Entscheidung, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16. Januar 2003  50034/99 --Obasa--, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B. § 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, § 61a ArbGG).

59

Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf die "grobe Faustregel" einer angemessenen Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.

60

Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198 GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine Jahresfrist als "Faustregel" anzunehmen, schon durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217, 25).

61

bb) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ab einer --im Streitfall gegebenen-- Verfahrenslaufzeit von acht Jahren sei von einer "absoluten überlangen Verfahrensdauer" auszugehen, die eine Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der "absoluten überlangen Verfahrensdauer" gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu ziehen (vgl. --unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR-- Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde "grundsätzlich als nicht angemessen" bewertet).

62

d) Gleichwohl können angesichts der besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren --nicht jedoch für ihre Gesamtdauer-- zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung.

63

aa) Nach den Ausführungen unter c kann ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört. Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich ist.

64

Auf der anderen Seite wird die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort --unter Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Vorrang hat-- zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

65

bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde --deren Ablauf aufgrund der im Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander aufweisen-- eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a cc ccc).

66

cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder --in Gestalt einer Steuervergütung-- seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

67

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet; die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht beschränkt sich --auch mangels Vorliegens der Akten der beklagten Behörde-- auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase an, in der das Verfahren --gerichtsorganisatorisch durch die Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen Verfahren bedingt-- wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter --insbesondere von deren Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und Ermittlungshandlungen-- und der Intensität der Bearbeitung durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage, welche Dauer für diese Phase --und damit auch für die Gesamtlaufzeit eines Verfahrens-- "angemessen" ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.

68

Demgegenüber eignet sich die dargestellte zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein --vermeintlich-- höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das Gericht Aktivitäten entfalten, für den Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und Entscheidung "seines" Verfahrens zu rechnen sei. Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine --unter Umständen längere-- Dauer dieser Verfahrensabschnitte geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

69

dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a b), und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

70

Der erkennende Senat hat diesen für die Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden "Karenzzeitraum" von gut zwei Jahren anhand einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen. Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum (siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet lässt.

71

Auf der anderen Seite hält es der Senat dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren --anders als etwa die typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen (vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262)-- typischerweise nicht durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und -gerichte unter Anwendung relativ großzügiger Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind oder sich befreien lassen könnten.

72

Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus, NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis 2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es --in Bezug auf sein eigenes Verfahren-- nicht als unangemessen angesehen, wenn bis zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom 3. April 2013  1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit verbundene Gewährung eines zusätzlichen Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine entschädigungspflichtige menschenrechts- und grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer führt.

73

ee) Allerdings steht es jedem Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks 17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.

74

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von 43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.

75

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

76

So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren sowohl ausländische als auch komplexe europäische Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung unterlegen.

77

Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger als überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld stellt --obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als "Steuervergütung" bezeichnet wird (§ 31 Satz 3 EStG)-- eine Leistung zur Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.

78

Das Verhalten Dritter hat in erheblichem Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E --die am Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem Kläger nicht zuzurechnen ist-- überhaupt einen Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die --letztlich streitentscheidende-- Antwort der CBO nicht an das FG weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen hat.

79

bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um 43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

80

(1) Das seit dem 20. Februar 2004 beim FG anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden gefördert worden. Dieser hat am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am 2. Februar 2005 und 24. März 2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.

81

(2) Geht man nach den unter d dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab dem Beginn des Jahres 2007 --das Verfahren war seinerzeit bereits fast drei Jahre anhängig-- genügte es aber nicht mehr, lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten. Vielmehr hätte das FG entweder selbst --notfalls, wie wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über den Kläger-- darauf hinwirken müssen, dass E in Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt, oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden Kindergeldrechts ermitteln müssen.

82

(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen. Denn in diesem Verfahrensstadium war --wie vorstehend unter (2) dargelegt-- das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr --vorläufig-- erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten zu verzeichnen.

83

(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.

84

Allerdings endet die Wirkung eines Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310). Für den konkreten Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors maßgebend. So endet ein "bis zum Ergehen" einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen bereits mit dem --objektiven-- Ergehen der Entscheidung im bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748). Ebenso kommt es zur Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen "bis zur Entscheidung" über den Antrag der E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30. März 2010, dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.

85

(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6. April 2010 gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war sachgerecht.

86

Nach Auffassung des Senats durfte das FG in diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt werden, erfahrungsgemäß deutlich längere Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich --wie bereits ausgeführt-- die Pflicht des Gerichts, auf eine ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken. Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen. Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es jedoch erst am 10. August 2011 --auf Drängen des Klägers-- tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.

87

(6) Der Kläger reichte die angeforderte Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein. Danach hätte das FG angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.

88

Tatsächlich hat das FG erst auf die wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am 26. März 2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht führte dann am 15. August 2012 zu rechtlichen Hinweisen an die Beteiligten und --ohne weitere Verzögerung-- zu einer Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.

89

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG sich in der Zeit ab dem 20. April 2012 bemüht hat, die Erledigung eines Verfahrens über "Kindergeld ab Mai 2010" zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem Zeitpunkt beim FG anhängig. Die --auch teilweise-- Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige Berichterstatterin habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr 2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für Zeiträume ab Februar 2004 --für die aufgrund entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte-- sind keine Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar 2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten führen können.

90

(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007 bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums von 43 Monaten.

91

cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer berücksichtigt.

92

Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit auf behördliche Entscheidungen keinerlei Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das "Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" ist vielmehr gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das Verhalten von --insbesondere ausländischen-- Behörden nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar zuzurechnen. Es hat lediglich die --sich mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtende-- Pflicht, das Verfahren zu fördern.

93

3. Die Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw. Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die Kostenentscheidung.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
26
Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen Rechnung trägt. Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht ein Ermessen des verantwortlichen Richters hinsichtlich der Verfahrensgestaltung. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Dementsprechend wird die Verfahrensführung des Richters im nachfolgenden Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Da der Rechtsuchende keinen Anspruch auf eine optimale Verfahrensförderung hat, begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 32 f; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rn. 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 39).

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tatbestand

1

I. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 15. Oktober 2009 (Klageeingang) bis zum 24. Januar 2013 (Zustellung des Urteils) vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens.

2

In dem Ausgangsverfahren beantragte die Klägerin die Feststellung, dass sie das Buchführungsprogramm X zur Erstellung ihrer Buchführung in der bisher eingesetzten Version nutzen dürfe, auch wenn dieses keine Daten auf CD-ROMs übertragen könne.

3

Zur Begründung führte sie aus, der Betriebsprüfer habe das Buchführungsprogramm X beanstandet, weil es keinen Datenzugriff bei der Datenträgerüberlassung in Form von gebrannten CD-ROMs ermögliche. Es könnten lediglich Disketten bespielt werden. § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) verpflichte den Steuerpflichtigen indes nicht, sich elektronische Buchführungsprogramme anzuschaffen. Demgegenüber vertrete das beklagte Finanzamt (FA) die Auffassung, ein Programm, das die Datenträgerüberlassung mittels CD-ROM nicht ermögliche, dürfe nicht genutzt werden.

4

Am 30. November 2009 beantragte das FA, die Klage als unzulässig zu verwerfen. Eine Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei nach dessen Abs. 2 ausgeschlossen, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könne. Im Streitfall sei es der Klägerin möglich, sich gegen die Aufforderung zur Datenüberlassung sowie gegen die Befugnisse der Finanzbehörde hinsichtlich des Datenzugriffs mit der Anfechtungsklage zur Wehr zu setzen. Die Klage sei auch unbegründet. Die Finanzbehörde könne verlangen, dass ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt würden (§ 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO). Unter dem Begriff "maschinelle Auswertbarkeit" werde der wahlfreie Zugriff auf alle gespeicherten Daten einschließlich der Stammdaten und die Verknüpfung mit Sortier- und Filterfunktion verstanden. Dateien, die vom Unternehmen ausgewählte, also vorgefilterte Datenfelder und -sätze aufführten, jedoch nicht mehr alle steuerlich relevanten Daten enthielten, könnten mangels wahlfreier Zugriffsmöglichkeit nicht akzeptiert werden. Bei dem von der Klägerin eingesetzten Buchführungsprogramm X habe keine Möglichkeit des Datenexports auf externe Datenträger bestanden. Die Prüfungssoftware IDEA habe nicht eingesetzt werden können.

5

Hierauf erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2009, eine Vielzahl ihr bekannter Betriebe arbeiteten mit dem gleichen handelsüblichen Buchführungsprogramm X, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei. Das Betriebsprüfungsprogramm X sei lediglich nicht in der Lage, CD-ROMs zu erstellen. So könne auch die Prüfungssoftware winIDEA eingesetzt werden. Damit sei sowohl der mittelbare als auch der unmittelbare Datenzugriff jederzeit möglich, ebenso wie die Datenträgerüberlassung in Form von Disketten. Mangels eines anfechtbaren Verwaltungsakts könne ihrem Begehren nur durch eine allgemeine Feststellungsklage entsprochen werden.

6

In einem weiteren Schriftsatz vom 19. Januar 2010 erklärte die Klägerin, es sei falsch, wenn das FA vortrage, sie habe es abgelehnt, der Betriebsprüfung externe Datenträger zu überlassen. Sie habe den Betriebsprüfern ausdrücklich Disketten angeboten. Auch hätte die Prüfungssoftware IDEA angewandt werden können; problematisch sei jedoch gewesen, dass die Betriebsprüfer keine Disketten hätten verarbeiten können, da ihnen die Laufwerke fehlten. Dies könne ihr aber nicht angelastet werden. Bei dem erst ab 2002 geltenden Datenzugriff habe der Gesetzgeber es bewusst unterlassen, das Medium vorzuschreiben, auf das die Daten zu extrahieren seien. Sofern das FA behaupte, die Buchführung der Klägerin sei formal nicht ordnungsgemäß gewesen, spiele das für die vorliegende Klage keine Rolle. Die Einwendungen des FA gegen ihr Feststellungsbegehren seien unklar. Diesbezüglich sei ihm eine Ausschlussfrist gemäß § 79b FGO zu setzen. Darüber hinaus erscheine ihr die Klage entscheidungsreif.

7

Hierauf antwortete das FA mit Schriftsatz vom 23. Februar 2010, in dem es erneut auf die fehlende Zulässigkeit der Feststellungsklage hinwies. Auch sei die Feststellung, die Klägerin dürfe das beschriebene System verwenden, sinnlos, da es ausschließlich darauf ankomme, ob dieses System die Entstehung und Entwicklung der Geschäftsvorfälle sachgerecht wiedergebe (§ 145 Abs. 1 AO) und entsprechend den Bestimmungen des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO genutzt worden sei. In Bezug auf die Begründetheit der Klage trug das FA vor, die Klägerin verkenne die Notwendigkeit, die Daten auf unveränderbaren Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Infolgedessen erfülle das Buchführungsprogramm X in Bezug auf den Datenzugriff in Form der Datenträgerüberlassung nicht die gesetzlichen Anforderungen. Es komme nicht darauf an, dass es der Finanzverwaltung an Diskettenlaufwerken fehle. Nach den einschlägigen Vorschriften der AO (§ 147 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 3 AO) habe der Steuerpflichtige die Kosten für die Lesbarmachung zu tragen.

8

Das FG übersandte diesen Schriftsatz der Klägerin und gab ihr die Möglichkeit, binnen sechs Wochen dazu Stellung zu nehmen. Der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin bat um Fristverlängerung bis zum 30. April 2010. Mit Schriftsatz von diesem Tag wies die Klägerin neben der Wiederholung von bereits dargelegten Argumenten insbesondere auf die vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Fragen und Antworten zum Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung, Stand vom 1. Februar 2005, hin. Danach könnten bei der Datenträgerüberlassung über die Datenträger CD-ROM und DVD hinaus auch Disketten verwendet werden, sofern diese das Dateisystem "MS-DOS" oder "FAT" enthielten. Bei den von der Klägerin angebotenen Disketten handele es sich um entsprechende Disketten, die --im Gegensatz zur Auffassung des FA-- keinerlei Kopierschutz enthielten und den IDEA-Zugriff erlaubten. Beweis könne durch Sachverständigengutachten sowie richterliche Inaugenscheinnahmen erhoben werden.

9

Ebenfalls am 30. April 2010 wies die Klägerin in einem weiteren Schriftsatz, der nicht nur das Ausgangsverfahren, sondern auch andere anhängige Verfahren von ihr wegen Umsatzsteuer, Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und Gewerbesteuermessbeträge vornehmlich der Streitjahre 2005 bis 2007 betraf, darauf hin, dass aus ihrer Sicht das Verfahren wegen des Buchführungsprogramms X für die anderen Verfahren vorgreiflich sei, und regte an, dieses Verfahren vorrangig und separat zu terminieren. Beide Schriftsätze wurden dem FA vom FG mit dem Zusatz zugeleitet, eine Stellungnahme binnen sechs Wochen werde anheimgestellt.

10

Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2010 bat die Klägerin erneut, dem FA eine Ausschlussfrist gemäß § 79b FGO zu setzen.

11

Am 22. Juni 2010 beantragte der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Akteneinsicht. Nach erfolgter Akteneinsicht wies die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. August 2010, der dem FA lediglich zur Kenntnis gegeben wurde, erneut auf die Ausschlussfrist nach § 79b FGO hin und warf dem FA die Verschleppung des Prozesses vor.

12

In einem weiteren Schriftsatz vom 31. Januar 2011 trug die Klägerin "ergänzend wie folgt weiter" vor, es gebe für sie handfeste und vor allem finanzielle Gründe, das in Streit stehende Buchführungsprogramm X weiter nutzen zu können. Das bisherige Buchführungsprogramm X gehöre ihr und sie müsse, wenn sie ein neues Programm erwerben würde, nicht nur in Umschulungsmaßnahmen für die in der Buchhaltung tätigen Mitarbeiter investieren, sondern auch jährliche Lizenzen erwerben. Zudem sei zu erwarten, dass das neue Buchhaltungssystem eine neue Hardware erfordere, die dann nicht mehr mit den anderen bestehenden Programmen kompatibel sei. Da das FA nichts Neues vortrage, werde um Entscheidung gebeten.

13

Daraufhin bat der damalige Berichterstatter am 10. Februar 2011 den damaligen Prozessbevollmächtigten um Übersendung des Handbuchs zum Buchführungsprogramm X. Die 747-seitige Kopie wurde dem FG am 15. März 2011 zusammen mit einem Schriftsatz übersandt, in dem die Klägerin u.a. unter Bezugnahme auf die Seite 3 des Handbuchs darauf hinwies, das Buchführungsprogramm X beruhe ausschließlich auf dem DOS-Betriebssystem und arbeite in der vorliegend genutzten Version mit Disketten. Seine Verwerfung lasse sich aus dem Gesetz nicht ableiten und führe für den daraus entstandenen Schaden zu Ersatzansprüchen. Das FG übersandte dem FA dieses Schreiben zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme innerhalb von vier Wochen.

14

Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2011 vertrat das FA nunmehr die Auffassung, nicht das Buchführungsprogramm als solches sei beanstandet worden, sondern die Weigerung der Klägerin, die mit dem Programm erstellten elektronischen Buchungsdaten auf einem maschinell auswertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen. Die Betriebsprüfung verfüge durchaus über externe Diskettenlaufwerke, die ein Einlesen der Daten, wenn sie auf Disketten vorgelegt worden wären, ermöglicht hätten. Zu Beginn der Prüfung im Jahr 2006 seien aber keine Disketten mit Buchführungsdaten vorgelegt worden. Entgegen der Behauptung der Klägerin habe die Betriebsprüfung keine Aussagen zur Zulässigkeit bzw. Ordnungsmäßigkeit des Buchführungssystems getroffen.

15

Die Klägerin, der das FG den Schriftsatz mit dem Hinweis auf eine mögliche Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen weiterleitete, wies mit Schreiben vom 18. Juli 2011 diesen Vortrag des FA insbesondere unter Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht zurück. Ihrer Meinung nach sei die Sache nun entscheidungsreif und könne --soweit das FA nicht anerkenne-- kurzfristig terminiert werden. Darüber hinaus bitte sie das FA auf diesem Wege um die Erteilung einer verbindlichen Auskunft, ob das Programm nun genutzt werden könne oder nicht. Da die Finanzverwaltung bislang die Auffassung vertreten habe, das Programm sei spätestens seit dem 1. Januar 2002 nicht mehr ordnungsgemäß, traue sie sich nicht, das Programm weiter zu nutzen.

16

Mit Schreiben vom 9. August 2011 wiederholte das FA seine nunmehrige Darstellung, bei der Datenträgerüberlassung dürften auch Disketten verwendet werden, sofern diese das Dateisystem "MS-DOS" oder "FAT" enthielten. Die Klägerin habe jedoch die von ihr als ausreichend angesehenen Disketten nicht innerhalb angemessener Frist vorgelegt. Die Nichtvorlage der Datenträger erlaube die Schlussfolgerung, dass die Aufbewahrungsfristen nicht eingehalten worden seien und die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei. Zudem werde weiterhin die Auffassung vertreten, die Zulässigkeit der Nutzung eines Buchführungsprogramms könne nicht durch einen gesonderten Verwaltungsakt festgestellt werden.

17

Auf dieses Schreiben antwortete die Klägerin mit einem achtseitigen Schriftsatz vom 26. September 2011, in dem sie größtenteils ihr bisheriges Vorbringen wiederholte. Zusätzlich wies sie darauf hin, dass gegen sie wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 147 Abs. 6 AO ein Verzögerungsgeld gemäß § 146 Abs. 2b AO verhängt werden könnte, für das eine Rückstellung zwingend zu bilden sei. Eine Feststellung, sie könne ihr bisheriges Programm weiter nutzen, obwohl es nach Auffassung des FA nicht dem § 147 Abs. 6 Satz 2 AO entspreche, sei unbedingt erforderlich. Dem FA wurde vom FG erneut die Möglichkeit gewährt, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen.

18

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 wandte sich der damalige Berichterstatter an das FA und bat unter Bezugnahme auf den Inhalt des finanzbehördlichen Schriftsatzes vom 27. Mai 2011, wonach die Eignung des Programms X als solche nicht beanstandet werde, um Mitteilung, ob die von der Klägerin erstrebte Feststellung überhaupt streitig sei.

19

Hierauf antwortete das FA am 10. Januar 2012, zwischen der Klägerin und ihm bestehe derzeit kein Streit darüber, ob die Klägerin das Buchführungsprogramm X nutzen dürfe und auf welche Weise sie ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung nachzukommen habe. Allerdings könne das FA keine Aussagen zu der Frage treffen, welche Unterlagen das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung A bei einer künftigen Außenprüfung von der Klägerin verlangen werde.

20

Hierauf reagierte die Klägerin mit einem sechsseitigen Schreiben vom 23. Februar 2012, in dem sie erneut erläuterte, dass aus ihrer Sicht die beantragte Feststellung notwendig sei. Dem FA wurde wiederum vom FG die Möglichkeit eingeräumt, sich innerhalb von sechs Wochen hierzu zu äußern.

21

Der am 18. März 2012 für den 26. Juni 2012 terminierte Erörterungstermin musste am 19. Juni 2012 wegen einer Erkrankung des damaligen Berichterstatters aufgehoben werden.

22

Mit dem 13-seitigen Schriftsatz vom 26. Juni 2012 trug die Klägerin "wie folgt weiter" vor. So führte sie u.a. als Beleg für ihre Auffassung, die Datenträgerüberlassung durch Disketten sei zulässig, im Internet veröffentlichte Erläuterungen der Handelskammer Hamburg an. Den wörtlich zitierten Aussagen stellte sie Auszüge aus dem Betriebsprüfungsbericht und aus verschiedenen Schreiben des FA gegenüber. In diesem Schreiben räumte sie ebenfalls ein, dass das Buchführungsprogramm X nicht winIDEA tauglich sei, da die seit Beginn 2002 geforderte Strukturdatenauslese im vorliegenden Fall nicht möglich sei.

23

Am 3. Juli 2012 erläuterte sie "weiter", Grund für die Einführung des § 147 Abs. 6 AO sei gewesen, dass der Prüfer hinsichtlich des Einblicks und der Arbeitsvereinfachung dieselben Programme nutzen dürfe wie das Unternehmen selbst. Dies sei dem FA mehrfach angeboten worden. Das FA habe jedoch weder das Programm der Klägerin noch die mit diesem Programm zu extrahierenden Disketten nutzen wollen. Es gebe keine Norm, die das FA dazu ermächtige, von der Klägerin die Anschaffung eines anderen und neueren PC-Buchführungsprogramms zu verlangen.

24

Am 21. August 2012 führte der damalige Berichterstatter einen Erörterungstermin durch, der nicht nur das Ausgangsverfahren, sondern auch die weiter anhängigen Verfahren der Klägerin wegen Umsatzsteuer, gesonderter Feststellung und Gewerbesteuermessbeträge der Streitjahre 2005 bis 2007 (wegen des Gewerbesteuermessbetrags auch 2008) umfasste. Im Erörterungstermin des Ausgangsverfahrens stellte der Vertreter des FA fest, die Buchführung der Klägerin könne nicht aus dem Grunde verworfen werden, dass das verwendete Buchführungsprogramm X keine CDs/ DVDs erzeugen könne. Nach Auffassung des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin reichte diese Feststellung jedoch nicht aus. Es sei eine weitere explizite Distanzierung von einzelnen Schreiben bzw. Meinungsäußerungen des FA notwendig sowie die Zusicherung der jetzigen und zukünftigen sanktionslosen Anwendbarkeit des Programms.

25

Das FA distanzierte sich im Anschluss an den Erörterungstermin mit Schriftsatz vom 10. September 2012 von einigen seiner Äußerungen in Bezug auf Datenträgerüberlassung, sah sich aber nicht in der Lage, dem Antrag, die jetzige und zukünftige sanktionslose Anwendbarkeit des Programms zuzusichern, zu entsprechen. Zudem vertrat es weiterhin die Auffassung, die Feststellungsklage sei unzulässig.

26

Am 25. September 2012 wurde zur mündlichen Verhandlung zunächst am 9. November 2012 und in Folge am 11. Dezember 2012 geladen. Beide Termine wurden auf Bitten des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen bestehender Terminkollisionen aufgehoben. In Abstimmung mit dem Prozessvertreter der Klägerin fand die mündliche Verhandlung am 15. Januar 2013 --nunmehr mit einem neuen Berichterstatter-- statt. Sie endete mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 638 veröffentlichten Urteil, in dem festgestellt wurde, die Buchführung der Klägerin könne nicht aus dem Grund als formal ordnungswidrig angesehen werden, dass das Buchführungsprogramm X verwendet werde.

27

Nachdem die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 26. Juni 2012 die Verzögerung des Ausgangsverfahrens gerügt hatte, hat sie am 26. August 2013 die streitgegenständliche Entschädigungsklage wegen der Dauer des von Oktober 2009 bis zum Januar 2013 geführten Verfahrens erhoben, die von ihr als unangemessen lang angesehen wird. Sie führt dazu aus, sie habe bereits im Januar 2011 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung in der Sache ergehen könne, da das FA in seinen Schriftsätzen lediglich gebetsmühlenartig seinen Vortrag wiederholt habe, ohne dass neues Vorbringen zu erkennen gewesen sei. Die Bitte des damaligen Berichterstatters im Februar 2011, das Handbuch für das Programm X zu übersenden, könne nicht von Belang sein, da in dem abschließenden Urteil erkennbar nicht auf dessen Inhalt abgestellt worden sei. Auch habe das FG nach Erhalt des Handbuchs weder eine Stellungnahme abgegeben noch eine weitere Anordnung erlassen. Die Anfrage des FG im Dezember 2011, ob die von ihr erstrebte Feststellung seitens des FA überhaupt streitig sei, sei zumindest geeignet, den Eindruck zu erwecken, es habe sich mit dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht auseinandergesetzt.

28

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, aufgrund der unangemessen langen Verfahrensdauer des Verfahrens 13 K 3764/09 an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 900 € zu zahlen und
festzustellen, dass das Verfahren 13 K 3764/09 eine unangemessene Verfahrensdauer aufweist.

29

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

30

Zur Begründung führt er aus, unter Zugrundelegung des in den Verfahrensakten dokumentierten Ablaufs des Ausgangsverfahrens liege eine unangemessene Dauer des Verfahrens nicht vor. Dabei könne dahinstehen, ob das vom Berichterstatter angeforderte Handbuch letztlich urteilsrelevant gewesen sei. Die Klägerin habe sich im Laufe des Verfahrens mehrfach auf die Ordnungsmäßigkeit des Buchführungsprogramms X berufen und die Zulässigkeit der Nutzung als vorrangig für andere Verfahren angesehen. Bei dieser Sachlage habe die Anforderung des Handbuchs für den Berichterstatter nahegelegen, und zwar unabhängig davon, ob die Entscheidung letztlich hierauf zu stützen gewesen sei.

31

Lege man die Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179) zugrunde, beginne die sog. dritte Phase mit der Anforderung des Handbuchs. Durch Einsicht in das Handbuch habe festgestellt werden sollen, welche Datenverarbeitung und welchen Datenzugriff das von der Klägerin verwendete Programm X zugelassen habe. Das habe den seinerzeitigen Vorträgen der Beteiligten nicht entnommen werden können.

32

Darüber hinaus könne das Verfahren 13 K 3764/09 nicht isoliert von den übrigen finanzgerichtlichen Verfahren der Klägerin und der Eheleute E betrachtet werden. Aus dieser Gesamtschau ergebe sich die besondere Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens i.S. des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG. Zum Ende des Jahres 2012 seien im 13. Senat des FG insgesamt 39 Klageverfahren der Klägerin, der Eheleute E bzw. von Herrn E anhängig gewesen. Ein Großteil der Verfahren habe auf der im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Rechtsauffassung des FA beruht, aus der Verwendung des Computerprogramms X sei auf die Ordnungswidrigkeit der Buchführung der Klägerin zu schließen. Der damalige Berichterstatter habe in den Jahren 2011 und 2012 vor der schwierigen Aufgabe gestanden, den Gesamtkomplex einer Lösung zuzuführen. Dabei habe er sich entschieden, die Verfahren mit sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtlich sehr komplexen Fragestellungen nicht nacheinander, sondern parallel zu bearbeiten. Es sei sachgerecht gewesen, die Sachbearbeitung dieser Verfahren zu verknüpfen, um zu versuchen, eine Gesamtlösung herbeizuführen. Diese Vorgehensweise unterliege der richterlichen Freiheit, in welche das Entschädigungsgericht nicht eingreifen dürfe.

Entscheidungsgründe

33

II. Die Klage ist unbegründet.

34

Der Klägerin steht weder eine Entschädigung in Höhe von 900 € zu noch kann festgestellt werden, dass das finanzgerichtliche Verfahren 13 K 3764/09 eine unangemessen lange Verfahrensdauer aufweist.

35

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 198 GVG zu, da die Dauer des Verfahrens 13 K 3764/09 nicht unangemessen i.S. des § 198 Abs. 1 GVG war.

36

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (--BVerfG--, vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 50 ff., auf das zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).

37

aa) Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen, die dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen --wie dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit der Richter und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter-- Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens --auch in zeitlicher Hinsicht-- einzuräumen.

38

bb) Zwar schließt es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte. Gleichwohl kann nach Auffassung des erkennenden Senats für ein finanzgerichtliches Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

39

Diese Vermutung gilt jedoch nicht, wenn Umstände erkennbar sind, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgen könnte. In diesen Fällen ist der gesamte Verfahrensablauf mit seinen entsprechenden Phasen daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit eine unangemessene Verzögerung eingetreten ist.

40

So ist es im Streitfall. Die Frage, ob das bisher von der Klägerin eingesetzte Buchführungsprogramm X ordnungsgemäß war und ist, hatte nicht nur für vergangene, sondern auch für künftige Zeiträume eine erhebliche Bedeutung. Es bestand die Gefahr, dass das FA die Buchführung für eine Vielzahl von Jahren bereits aus dem Grunde als formal ordnungswidrig ansehen würde, dass ein Datentransfer auf CD-ROMs nicht möglich war. Die Möglichkeit, diesem Risiko durch einen Wechsel des Buchführungssystems auszuweichen, wäre unstreitig mit nicht unerheblichen zusätzlichen Kosten verbunden gewesen. Hierauf hat die Klägerin sinngemäß in den Schreiben vom 31. Januar 2011 und 18. Juli 2011 aufmerksam gemacht.

41

cc) Bei der Prüfung der angemessenen Dauer des konkreten Rechtsstreits ist zu berücksichtigen, dass dem Richter zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist. Dementsprechend wird seine Verfahrensführung im Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (so Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 13. Februar 2014 III ZR 311/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1183, Rz 30, m.w.N.). Da der Rechtssuchende keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung hat (BVerfG-Beschluss vom 14. Dezember 2010  1 BvR 404/10, juris, Rz 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (ebenso BGH-Urteil vom 5. Dezember 2013 III ZR 73/13, NJW 2014, 789, Rz 46).

42

Zudem muss die durch die Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (BGH-Urteil in NJW 2014, 789, Rz 42).

43

Zu beachten ist aber auch, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.; Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 68).

44

b) Nach unter a dargestellten Grundsätzen war die Dauer des Ausgangsverfahrens nicht unangemessen.

45

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

46

So war der Schwierigkeitsgrad der Feststellungsklage wegen der Problematik ihrer Zulässigkeit und vor allem wegen der Unklarheiten über die tatsächlichen technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten des eingesetzten Buchführungsprogramms X jedenfalls mindestens als durchschnittlich anzusehen.

47

Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin ist zum einen zu berücksichtigen, dass ihr erkennbar eine schnelle Entscheidung wichtig war. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten hingegen ist durch eine gewisse Widersprüchlichkeit und damit eine verfahrensverlängernde Tendenz gekennzeichnet. Die Klägerin hat sich insofern widersprüchlich verhalten, als sie zum einen auch nach der in ihren Augen bestehenden Entscheidungsreife Akteneinsicht nahm und zum anderen im Anschluss daran dem FG mehrere --zum Teil umfangreiche-- Schriftsätze übersandte, die sie damit einleitete, sie trage "ergänzend" oder "weiter" vor. Infolgedessen musste sich dem damaligen Berichterstatter --trotz der teilweisen Wiederholungen des bisherigen Sachvortrags-- nicht unbedingt der Eindruck aufdrängen, die Argumente seien bereits abschließend ausgetauscht worden. Das FA hat seine Darstellung sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen während des Rechtsstreits erheblich modifiziert, so dass sich die Verfahrensdauer hierdurch ebenfalls verlängerte.

48

bb) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer noch angemessen war, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs. Dabei lässt sich das Ausgangsverfahren in drei Abschnitte einteilen.

49

(1) Der erste Abschnitt dauerte circa 16 Monate von der Erhebung der Klage (Mitte Oktober 2009) bis zur Anforderung des Handbuchs im Februar 2011. Diese Phase war --mit einer Unterbrechung von Ende August 2010 bis Ende Januar 2011-- durch einen im Großen und Ganzen kontinuierlichen Schriftsatzaustausch geprägt, in dem sich die Beteiligten zu den Streitpunkten, ob das Programm X ordnungsgemäß und winIDEA-tauglich ist, ob eine Überlassung von Disketten den gesetzlichen Anforderungen genügt und ob die Klägerin überhaupt zu Beginn der Betriebsprüfung die Überlassung von Disketten angeboten hat, nicht immer widerspruchsfrei äußerten.

50

Dass sich die Verfahrensförderung durch das FG mehr als ein Jahr lang darauf beschränkte, der jeweils anderen Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, stellt eine noch vertretbare Verfahrensgestaltung dar. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der oben unter II.1.a bb dargestellten Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin. Diese Relevanz wurde indes erst in den Schriftsätzen vom Januar 2011 und Juli 2011 hinreichend deutlich.

51

Eine unvertretbare Verfahrensgestaltung ist auch nicht deswegen zu bejahen, weil der Berichterstatter der Anregung der Klägerin vom 30. April 2010 nicht gefolgt ist, das Ausgangsverfahren zunächst allein (und zügig) zu terminieren, weil es als vorgreiflich für die anderen anhängigen Verfahren anzusehen sei. Seine Entscheidung, das Verfahren wegen der Ordnungsmäßigkeit des Buchführungsprogramms X nicht unabhängig von den anderen erst später anhängig gewordenen Steuerverfahren der Klägerin zu betreiben, bewegt sich in den Grenzen des richterlichen Gestaltungsspielraums.

52

(2) Der zweite Abschnitt beginnt mit der Anforderung des Handbuchs im Februar 2011. Diese Verfahrenshandlung, die die bestehenden tatsächlichen Unsicherheiten über die Eigenschaften des Buchführungsprogramms X beseitigen sollte, kann nicht als ungeeignet angesehen werden, den Prozess zu fördern. So hat auch die Klägerin den Inhalt des Handbuchs als verfahrensrelevant angesehen, da sie in dem begleitenden Schriftsatz ausdrücklich zum Nachweis der Richtigkeit ihrer Ausführungen auf einen Beleg im Handbuch verwiesen hat.

53

Dass das Urteil letztendlich nicht auf den durch das Handbuch vermittelten Kenntnissen beruht, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Im Zeitpunkt seiner Anforderung durch das FG gingen alle Beteiligten davon aus, es komme darauf an, welche Anforderungen die konkrete Datenträgerüberlassung zu erfüllen habe. Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen ist entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte, es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer Ex-post-Betrachtung darstellt (BGH-Urteil in NJW 2014, 1183, Rz 47, m.w.N.).

54

Im Anschluss an die Übersendung des Handbuchs wurde das Verfahren von den Beteiligten weiter betrieben. Das FG beschränkte sich zwar erneut darauf, den Beteiligten wechselseitig Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Auch hier kann aber --wie im ersten Abschnitt-- die Entscheidung des FG zum zeitbeanspruchenden Schriftsatzaustausch vor dem Hintergrund als vertretbar angesehen werden, dass sich das nunmehrige Vorbringen der Beteiligten, insbesondere des FA, in tatsächlicher Hinsicht von dem bisherigen Vorbringen doch erheblich unterschied und der Schriftsatzaustausch insofern Klarheit bringen konnte.

55

(3) Die letzte Phase beginnt mit der Anfrage des FG vom 27. Dezember 2011, ob die erstrebte Feststellung überhaupt streitig sei. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist diese Nachfrage kein Beleg dafür, dass sich der damalige Berichterstatter bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Verfahren inhaltlich nicht beschäftigt hat. Vielmehr gab der Schriftsatzaustausch mit dem im Mai 2011 geänderten Vortrag des FA in der Tat Anlass, entsprechend nachzufragen.

56

Der sich anschließende kurze Schriftsatzwechsel endete Mitte März 2012 mit der Anberaumung eines Erörterungstermins für Mitte Juni 2012. Eine Terminierung mit einem Vorlauf von drei Monaten ist auch unter dem Aspekt, dass sich mit steigender Verfahrensdauer die richterliche Prozessbeschleunigungspflicht verstärkt, als unbedenklich anzusehen.

57

Das Ausgangsverfahren wurde im Anschluss an den wegen Erkrankung des damaligen Berichterstatters auf den 21. August 2012 verschobenen Erörterungstermin relativ zügig einer Entscheidung zugeführt. Dass die das Verfahren mit einem Urteil abschließende mündliche Verhandlung nicht bereits am 9. November 2012, sondern erst am 15. Januar 2013 stattfinden konnte, beruhte auf Terminschwierigkeiten des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin und kann dem FG nicht angelastet werden.

58

2. Da eine Entschädigung bereits wegen der fehlenden unangemessenen Verfahrensdauer nicht gewährt werden kann, ist auch die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nicht möglich.

59

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
8
1. Zutreffend hat das Oberlandesgericht gesehen, dass das Ordnungsmittelverfahren nach §§ 86, 89 FamFG als eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zu qualifizieren ist, das als Vollstreckungs- verfahren einer isolierten Betrachtung unterliegt. Kommt es sowohl im familiengerichtlichen Erkenntnisverfahren (z.B. bei einer Entscheidung zum Sorge- und Umgangsrecht) als auch im nachfolgenden Vollstreckungsverfahren (§§ 86 ff FamFG) zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrensverzögerungen, entstehen zwei eigenständig zu bemessende Entschädigungsansprüche (vgl. Ott in Steinbeiß -Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 43; s. auch Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rn. 30 zur Entstehung eigenständiger Entschädigungsansprüche bei Verzögerungen im selbständigen Beweisverfahren und nachfolgenden Hauptsacheprozess ).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tenor

Der Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 23.10.2014 wird zurückgewiesen.


Gründe:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

3

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 und vom 17. Februar 2017 - 5 B 12.16 - juris Rn. 2 m.w.N.). Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. August 2006 - 1 B 105.06 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 20 Rn. 2 und vom 12. Januar 2017 - 5 B 75.16 - juris Rn. 4 m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit einer gestellten Rechtsfrage fehlt es unter anderem dann, wenn sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und/oder mithilfe der Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten lässt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 17. März 2017 - 5 B 78.16 - juris Rn. 2). Gemessen daran hat die Beschwerde keinen Erfolg.

4

Der Kläger möchte geklärt wissen,

"ob das Zuwarten des Gerichts auf den Ausgang eines anderen Rechtsstreits über mehrere Jahre und Monate und die dadurch verursachte überlange Verfahrensdauer dadurch gerechtfertigt sein kann, wenn dem Zuwarten durch die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich widersprochen worden war, bzw. wenn zumindest kein Einverständnis der Verfahrensbeteiligten bestand (...)".

5

Diese Frage bezieht sich erkennbar auf den Zeitraum, in dem der Verwaltungsgerichtshof das Ausgangsverfahren nach § 94 VwGO ausgesetzt hatte. Soweit sie einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist, lässt sie sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - mit der sich der Kläger entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht auseinandersetzt - beantworten. Schon deshalb rechtfertigt die Frage nicht die Zulassung der Revision.

6

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass bei der Frage, ob die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, vor allem auch zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 37 und vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 Rn. 135 m.w.N.). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 42 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 15, jeweils m.w.N.). Die Gestaltungsfreiheit umfasst auch die Befugnis, mit Blick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, dieses zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO auszusetzen. Erweist sich eine solche Verfahrensweise bei Zugrundelegung einer objektivierenden Betrachtung als vertretbar, kann etwa die mit der Bearbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende Zeit der faktischen Aussetzung bei der Bewertung der angemessenen Dauer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates gehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - juris Rn. 155; Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B 75.15 D - juris Rn. 8 und vom 20. Februar 2018 - 5 B 13.17 D - Rn. 5). Es drängt sich auf, dass dies für den Fall einer "förmlichen" Aussetzung nach § 94 VwGO entsprechend gilt. Mithin ist geklärt, dass die Zeit der Aussetzung dann nicht zu Lasten des Staates geht, wenn die Aussetzung vertretbar ist und die weiteren dargestellten Voraussetzungen vorliegen. Ob dies anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalles und deshalb einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Aussetzung des Verfahrens nicht schon deshalb unvertretbar ist, weil die Beteiligten dem nicht zugestimmt oder widersprochen haben.

7

2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.

8

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.

9

Der Kläger meint, die Vorinstanz sei von einem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012 aufgestellten Rechtssatz - 2 C 48.11 - (Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 21 Rn. 21) abgewichen. Die von ihm in Bezug genommenen Erwägungen betreffen das Beamtenversorgungsrecht. In ihnen wird aufgezeigt, dass die Grundsätze über die Teilnichtigkeit eines Gesetzes auf die zu entscheidende Fallgestaltung nicht in einer näher beschriebenen Weise übertragbar seien. Eine Divergenz ist schon deshalb nicht ausreichend bezeichnet, weil die Vorinstanz dem nicht widersprochen hat. Die angeblich abweichenden Erwägungen in dem angefochtenen Urteil (UA Rn. 33) enthalten eine Beschreibung der Frage, die das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 26. September 2012 entschieden hat, nicht hingegen einen divergierenden Rechtssatz.

10

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

11

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

8
1. Zutreffend hat das Oberlandesgericht gesehen, dass das Ordnungsmittelverfahren nach §§ 86, 89 FamFG als eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zu qualifizieren ist, das als Vollstreckungs- verfahren einer isolierten Betrachtung unterliegt. Kommt es sowohl im familiengerichtlichen Erkenntnisverfahren (z.B. bei einer Entscheidung zum Sorge- und Umgangsrecht) als auch im nachfolgenden Vollstreckungsverfahren (§§ 86 ff FamFG) zu sachlich nicht gerechtfertigten Verfahrensverzögerungen, entstehen zwei eigenständig zu bemessende Entschädigungsansprüche (vgl. Ott in Steinbeiß -Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 43; s. auch Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rn. 30 zur Entstehung eigenständiger Entschädigungsansprüche bei Verzögerungen im selbständigen Beweisverfahren und nachfolgenden Hauptsacheprozess ).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 192/02
vom
17. März 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ist das Beschwerdegericht in einem Prozeßkostenhilfeverfahren der Ansicht,
daß die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde vorliegen
, so muß es bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen Prozeßkostenhilfe
bewilligen.

b) Hat das Beschwerdegericht den Antrag auf Prozeßkostenhilfe abgelehnt und
dennoch die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluß zugelassen, so ist
das Revisionsgericht zwar an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 1 Nr. 2,
Abs. 3 Satz 2 ZPO). Der Beschluß ist jedoch aufzuheben, weil er gegen das
in Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Gebot der Rechtsschutzgleichheit
verstößt.
BGH, Beschluß vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02 - OLG Dresden
LG Zwickau
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt sowie die
Richterin Dr. Vézina

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 15. Oktober 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe:


I.

Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe für eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Gewerberaummietvertrages, hilfsweise Feststellung, daß das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung der Antragsgegnerin zum 30. September 2001 beendet wurde und weiter hilfsweise Zahlung der Miete für die Zeit vom 1. Oktober 2001 bis einschließlich Februar 2002. Mit schriftlichem Mietvertrag vom 21./28. Juni 1995 vermietete der Antragsteller an die Antragsgegnerin eine Gesamtfläche von 1450 qm bestehend aus Räumlichkeiten, Hofflächen und Überfahrtsflächen zum Betrieb eines Reifen -Service für die Dauer von fünfzehn Jahren. Wegen der Maße und Lage des Mietgegenstandes wurde auf einen als Anlage I bezeichneten Lageplan verwie-
sen, in dem die vermieteten Flächen schraffiert gekennzeichnet sein sollten. Dieser Lageplan lag unstreitig bei Vertragsabschluß nicht vor. Mit Schreiben vom 20. Februar 2001 kündigte die Antragsgegnerin den Mietvertrag gemäß § 566 BGB in Verbindung mit § 565 Abs. 1 a BGB a.F. zum 30. September 2001. Der Antragsteller ist der Ansicht, die Antragsgegnerin könne sich nach Treu und Glauben nicht auf einen etwaigen Formmangel des Mietvertrages berufen. Der Antrag des Antragstellers auf Prozeßkostenhilfe ist vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der - zugelassenen - Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Antrag weiter.

II.

Das Beschwerdegericht hat angenommen, daß zwischen den Parteien trotz Unterzeichnung des schriftlichen Mietvertrages zunächst kein Mietvertrag zustande gekommen sei, weil sich die Parteien nicht über den Mietgegenstand geeinigt hätten. Es sei offen geblieben, welche Teile des noch zu errichtenden Gebäudes und des Grundstücks der Antragsgegnerin zur Nutzung hätten überlassen werden sollen. Soweit sich aus der jahrelangen Nutzung des Gebäudes und des Grundstücks eine Einigung über das Mietobjekt und damit der Abschluß eines Mietvertrages ergebe, fehle es an der Einhaltung der Schriftform des § 566 BGB a.F. Die Antragsgegnerin dürfe sich auch auf den Formmangel berufen, ohne gegen Treu und Glauben zu verstoßen. Die Rechtsbeschwerde hat es unter Hinweis auf § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wegen der Frage
zugelassen, ob der Antragsgegnerin aus Treu und Glauben eine Geltendmachung der Formnichtigkeit verwehrt sei.

III.

Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO) Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Das Beschwerdegericht hätte, wenn es der Ansicht ist, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder, daß die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfordert, bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen, Prozeßkostenhilfe bewilligen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2002 - V ZB 40/02 - NJW 2003, 1126, 27. Februar 2003 - III ZB 29/02 - AGS 2003, 213). In diesem Fall gebietet nämlich die in Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit, die Erfolgsaussicht zu bejahen und dem Antragsteller Prozeßkostenhilfe zu gewähren, denn das Hauptverfahren eröffnet erheblich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes (BVerfGE 81, 347). Das nur einer
summarischen Prüfung unterliegende Prozeßkostenhilfeverfahren hat demgegenüber nicht den Zweck, über zweifelhafte Rechtsfragen vorweg zu entscheiden (BVerfG FamRZ 2002, 665).
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Für Verfahren vor den ordentlichen Gerichten

1.
nach der Zivilprozessordnung, einschließlich des Mahnverfahrens nach § 113 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Verfahren nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit das Vollstreckungs- oder Arrestgericht zuständig ist;
2.
nach der Insolvenzordnung und dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung;
3.
nach der Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung;
3a.
nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz;
4.
nach dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung;
5.
nach der Strafprozessordnung;
6.
nach dem Jugendgerichtsgesetz;
7.
nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten;
8.
nach dem Strafvollzugsgesetz, auch in Verbindung mit § 92 des Jugendgerichtsgesetzes;
9.
nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen;
9a.
nach dem Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz;
10.
nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, soweit dort nichts anderes bestimmt ist;
11.
nach dem Wertpapierhandelsgesetz;
12.
nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz;
13.
nach dem Auslandsunterhaltsgesetz, soweit das Vollstreckungsgericht zuständig ist;
14.
für Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesgerichtshof nach dem Patentgesetz, dem Gebrauchsmustergesetz, dem Markengesetz, dem Designgesetz, dem Halbleiterschutzgesetz und dem Sortenschutzgesetz (Rechtsmittelverfahren des gewerblichen Rechtsschutzes);
15.
nach dem Energiewirtschaftsgesetz;
16.
nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz;
17.
nach dem EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetz;
18.
nach Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Neunten Teils des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen;
19.
nach dem Kohlendioxid-Speicherungsgesetz;
20.
nach Abschnitt 3 des Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetzes vom 29. Juni 2015 (BGBl. I S. 1042);
21.
nach dem Zahlungskontengesetz und
22.
nach dem Wettbewerbsregistergesetz
werden Kosten (Gebühren und Auslagen) nur nach diesem Gesetz erhoben. Satz 1 Nummer 1, 6 und 12 gilt nicht in Verfahren, in denen Kosten nach dem Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen zu erheben sind.

(2) Dieses Gesetz ist ferner anzuwenden für Verfahren

1.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach der Verwaltungsgerichtsordnung;
2.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nach der Finanzgerichtsordnung;
3.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach dem Sozialgerichtsgesetz, soweit nach diesem Gesetz das Gerichtskostengesetz anzuwenden ist;
4.
vor den Gerichten für Arbeitssachen nach dem Arbeitsgerichtsgesetz und
5.
vor den Staatsanwaltschaften nach der Strafprozessordnung, dem Jugendgerichtsgesetz und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten.

(3) Dieses Gesetz gilt auch für Verfahren nach

1.
der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen,
2.
der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens,
3.
der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen,
4.
der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, wenn nicht das Familiengericht zuständig ist und
5.
der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren.

(4) Kosten nach diesem Gesetz werden auch erhoben für Verfahren über eine Beschwerde, die mit einem der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Verfahren im Zusammenhang steht.

(5) Die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde gehen den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor.