Oberlandesgericht Köln Urteil, 23. Dez. 2015 - 27 U 1/15
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.02.2014 verkündete Teilgrund- und Teilurteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bonn teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Die Klageanträge zu 1) und 4) sind dem Grunde nach zu 100% gerechtfertigt.
b) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2013 zu zahlen.
c) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Fahrradunfall vom 31.07.2010 in der Hstraße im schweizerischen L mit dem bei der Beklagten erworbenen Elektrofahrrad der Marke C, Modell F gem. Rechnung vom 08.06.2010 noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten dieses Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorbehalten.
4. Das Urteil ist hinsichtlich des Ausspruchs zu Ziff. 1 b) vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2Die Berufung des Klägers hat vollumfänglich Erfolg; die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen.
3I.
4Der Kläger, der in der Schweiz lebt und dort als selbständiger Kieferorthopäde tätig ist, nimmt die Beklagte nach einem Sturz mit einem bei der Beklagten erworbenen Elektrofahrrad aus eigenem wie abgetretenem Recht auf Ersatz seiner materiellen und immateriellen Unfallschäden in Anspruch.
5Der Kläger kaufte das Elektrofahrrad nach vorangegangener E-Mail-Korrespondenz am 08.06.2010 bei der Beklagten; es handelte sich um ein sog. „Speed-Pedelec“, das Geschwindigkeiten bis 40 km/h erreicht. Auf Wunsch des Klägers wurde das Fahrrad von der Beklagten „mit breiteren Rädern“ ausgestattet und in vormontiertem Zustand an die Grenze zur Schweiz geliefert. Die Beklagte hatte die Schläuche und Reifen bereits aufgezogen, die Luft aber für den Transport abgelassen. Das Aufpumpen der Reifen ließ der Kläger von einer Fahrradwerkstatt W vornehmen.
6Am 31.07.2010 erlitt der Kläger bei einem Sturz mit dem Fahrrad in L in der Schweiz schwerste Verletzungen, u.a. eine traumatische Hirnverletzung sowie eine Schädelkalottenfraktur frontal rechts und links sowie neun weitere Mittelgesichtsfrakturen; er lag fast zwei Wochen in einem künstlichen Koma und wurde am 27.08.2010 auf eigenen Wunsch entlassen. Es schlossen sich ein vollständiges Berufsverbot für 4 Wochen und eine Arbeitsunfähigkeit zu 70% für weitere zwei Monate an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil vollumfänglich Bezug genommen.
7Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe eine für das Fahrrad unzulässige Bereifung verwendet und den Reifen fehlerhaft montiert. Sie habe den Schlauch zwischen Reifen und Felge geklemmt, so dass der Schlauch bei seiner ersten Fahrt mit dem Fahrrad am 31.07.2010 nach außen geraten und geplatzt sei. Er habe aufgrund des Unfalls weitestgehend seinen Geruchssinn verloren und leide seitdem an Schmerzen im linken Fuß. Er hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € angemessen sei.
8Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
91) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 770.945,00 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem [jeweiligen] Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von weiteren 5.474,80 €,
102) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes bzw. ein in das Ermessen des Gerichts zu stellendes Schmerzensgeld zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem [jeweiligen] Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
113) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen Schaden und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Fahrradunfall vom 31.07.2010 in der Hstraße im schweizerischen L mit dem bei der Beklagten erworbenen Elektrofahrrad der Marke C F gem. Rechnung vom 08.06.2010 (ab 01.01.2012) noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist,
124) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 57.742,- € auf die Regressforderung der D Kranken-Versicherung AG zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem [jeweiligen] Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beklagte hat behauptet, dass sie vor Versand des Fahrrades eine 6-7km lange Probefahrt gemacht habe, bei der alles in Ordnung gewesen sei; ein eingeklemmter Reifen hätte hierbei auffallen müssen. Nach Auslieferung des Fahrrads seien das hintere Felgenband ausgetauscht und dabei Reifen und Schlauch demontiert worden; dies könne eine mögliche Ursache für das Verrutschen des Schlauches sein. Im Übrigen sei denkbar, dass der Kläger über eine zerbrochene Wodkaflasche gestürzt sei.
16Das Landgericht hat in einem Teilgrund- und Teilurteil den Klageantrag zu 1. dem Grunde nach – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens wegen Nichttragens eines Schutzhelms – zu 50% für gerechtfertigt erklärt, dem Kläger auf den Klageantrag zu 2. ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 € nebst Zinsen zugesprochen sowie hinsichtlich des Klageantrags zu 3. festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den weiteren Schaden aus dem Fahrradunfall vom 31.07.2010 zu ersetzen, und zwar 50% der materiellen Schäden und den immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50%. Über den Klageantrag zu 4. hat die Kammer nicht entschieden, weil dieser Klageantrag noch nicht entscheidungsreif sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
17Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt.
18Der Kläger greift mit seiner Berufung allein die Annahme eines Mitverschuldens wegen des Nichttragens eines Fahrradhelms durch das Landgericht an. Er vertritt die Auffassung, dass das landgerichtliche Urteil insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegenstehe. Er behauptet, dass er auf der Unfallfahrt nicht zum Zwecke der sportlichen Betätigung unterwegs gewesen sei, bei der in der Rechtsprechung vielfach eine Helmpflicht befürwortet werde, sondern auf dem Weg zur Arbeit. Bei dem von ihm gefahrenen Pedelec handele es sich um ein gewöhnliches Fahrrad, das nur mit einer elektromotorischen Unterstützung ausgestattet sei, und nicht um ein Rennrad im technischen Sinn. Er meint, dass auch nicht auf die im konkreten Zeitpunkt des Unfalls zufällig gefahrene Geschwindigkeit abgestellt werden könne; selbst wenn er im Unfallzeitpunkt eine Geschwindigkeit von über 30 km/h gehabt haben sollte, so wäre diese Geschwindigkeit nur zufällig und kurzzeitig aufgrund einer Bergabfahrt von ihm erreicht worden. Die Helmpflicht für Mofa-/Moped-Fahrer sei nicht auf Pedelecs übertragbar. Hilfsweise vertritt der Kläger die Auffassung, dass die Annahme einer Mitverschuldensquote von 50% jedenfalls überhöht sei.
19Er beantragt,
20dass das am 11.12.2014 verkündete Teil-Grund und Teil-Urteil des Landgerichts Bonn (18 O 388/12) wie folgt abgeändert wird:
211. Der Klageantrag zu 1. ist dem Grunde nach zu 100% gerechtfertigt.
222. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld (auf Basis der Haftung von 100%) in Höhe von 60.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.02.2013 zu zahlen.
233. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den weiteren Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Fahrradunfall vom 31.07.2010 in der Hstraße im schweizerischen Küssnacht mit dem bei der Beklagten erworbenen Elektrofahrrad der Marke C, Modell F gem. Rechnung vom 08.06.2010 noch entstehen wird, und zwar 100% der materiellen Schäden sowie den immateriellen Schaden (ohne Berücksichtigung eines Mitverschuldens), soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
24Die Beklagte beantragt,
25die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
26Mit ihrer Berufung beantragt sie ferner,
27das am 11.12.2014 verkündete Teil-Grund und Teil-Urteil des Landgerichts Bonn (18 O 388/12) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
28Der Kläger beantragt,
29die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der Kläger nicht bewiesen habe, dass das Sturzereignis am 31.07.2010 ursächlich auf einen „Schlauchplatzer“ zurückzuführen sei, es seien vielmehr andere Ursachen für den Sturz denkbar, z.B. ein Fahrfehler, ein Hindernis auf der Straße oder eine Unebenheit. Insoweit beruft sich die Beklagte auf Widersprüche im klägerischen Vortrag und bestreitet insbesondere weiterhin, dass es sich bei der Fahrt am 31.07.2010 um die Erstfahrt des Klägers gehandelt habe. Es sprächen gewichtige Umstände für die Annahme, dass – so behauptet sie – das Pedelec bereits vorher genutzt und es dabei zu einem „Schlauchplatzer“ gekommen sei; dieser geplatzte Schlauch sei dem Sachverständigen vorgelegt worden, während der Unfall am 31.07.2010 auf einer ganz anderen Ursache beruht habe.
31Die Beklagte meint, dass das Landgericht zutreffend von einem Mitverschulden des Klägers ausgegangen sei. Das vom Kläger gefahrene Pedelec sei nicht mit einem üblichen Fahrrad, sondern eher mit einem „Mofa“ vergleichbar. Wollte man dies anders sehen, müsste man angesichts der mit dem Pedelec erreichbaren Geschwindigkeit von 30-40 km/h dieses aber jedenfalls wie ein Rennrad behandeln, also von einem Fahren als sportliche Betätigung ausgehen.
32Auf Hinweis des Senats, dass für die Frage eines Mitverschuldens auf die Verkehrsanschauung in der Schweiz zum Unfallzeitpunkt abzustellen sei, behauptet die Beklagte, dass es bereits im Jahr 2010 der allgemein vorherrschenden Verkehrsauffassung entsprochen habe, bei Zweirädern – insbesondere Speed-Pedelecs – mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h einen Helm zu tragen, wenn auch eine entsprechende Helmpflicht – unstreitig – erst im Jahr 2012 eingeführt wurde.
33Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die beiderseitigen im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen.
34Die Akte Landgericht Bonn 18 OH 27/11 lag vor.
35II.
361.
37Das vom Landgericht erlassene Teilurteil (§ 301 ZPO) ist zwar unzulässig, der Senat konnte aber gleichwohl eine Entscheidung in der Sache treffen.
38Der Erlass eines Teilurteils setzt voraus, dass die Entscheidung über den Teil unabhängig davon sein muss, wie das Schlussurteil über den Rest des noch anhängigen Streitgegenstands entscheidet. Denn es darf nicht die Gefahr bestehen, dass es im Teil- und Schlussurteil zu widersprüchlichen Entscheidungen kommt (vgl. BGH, Urt. v. 26.04.1989 – IVb ZR 48/88 – zit. nach juris, Rn. 18 m.w.N.). Ein Teilurteil ist daher unzulässig, wenn in einem Haftpflichtprozess die verschiedenen Ansprüche aus dem gleichen tatsächlichen Vorgang abgeleitet werden (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., 2016, § 301 Rn. 7 m.w.N.). Ein Teil eines einheitlichen Anspruchs, dessen Grund streitig ist, darf nur dann durch Teilurteil zugesprochen werden, wenn zugleich ein Grundurteil ergeht (vgl. BGH NJW 2004, 949). Ein solches ist hier nicht ergangen. Zwar hat das Landgericht sein Urteil als Grundurteil bezeichnet. In diesem wird jedoch über den Grund der hier erhobenen Schadensersatzansprüche nicht abschließend befunden, weil das Landgericht über den Antrag zu 4) nicht entschieden hat. Insoweit bleibt die Gefahr widersprechender Entscheidungen über die aus diesem Sachverhalt herzuleitenden Schadensersatzansprüche bestehen. Der Senat konnte diesen Fehler auch nicht gemäß § 319 ZPO berichtigen (vgl. hierzu BGH NJW 2004, 949). Denn ausweislich der Ausführungen in Ziff. 1) der Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils, dass der Klageantrag zu 4. noch nicht entscheidungsreif sei, handelte es sich nicht um ein bloßes Versehen.
39Trotz dieses Verstoßes gegen § 301 ZPO bedurfte es nicht der Aufhebung des Teilurteils und der Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO. Denn das Berufungsgericht ist im Fall eines unzulässigen Teilurteils befugt, zur Beseitigung des Verfahrensfehlers den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits – auch ohne Antrag der Parteien und ohne deren Einverständnis – an sich zu ziehen und hierüber mitzuentscheiden. § 538 Abs. 2 Nr. 7 ZPO erlaubt in einem solchen Fall die Zurückverweisung, schreibt sie aber nicht vor (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 42/10 –, zit. nach juris, Rn. 29; Urt. v. 13.10.2008 - II ZR 112/07 – zit. nach juris, Rn. 7, jew. m.w.N.). Der Senat hat dementsprechend auch eine Grundentscheidung zu dem Klageantrag zu 4. getroffen.
402.
41Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
42Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 280 Abs. 1, 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 2 S. 1, 437 Nr. 3, 253 Abs. 2 BGB aus dem Unfallereignis vom 31.07.2010 zusteht.
43Die Beklagte macht mit der Berufung Zweifel an der vom Landgericht angenommenen Ursache des „Schlauchplatzers“ für den unstreitigen Unfall des Klägers geltend. Damit wendet sich die Beklagte gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszugs gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten. Bei einem Angriff auf die Beweiswürdigung müssen schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen begründen, die also solche Zweifel an den erhobenen Beweisen aufdrängen, dass sich ein Neueinstieg in die Beweisaufnahme förmlich gebietet (OLG Dresden NJW-RR 2003, 210; OLG Koblenz ZERB 2003, 381 f.).
44Die in der Berufungsbegründung der Beklagten aufgeführten Gesichtspunkte geben keine Veranlassung zu solchen Zweifeln. Vielmehr ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfall des Klägers auf dem wegen des eingeklemmten Schlauches eingetretenen „Schlauchplatzer“ beruht. Die Ausführungen des Sachverständigen F2 sind eindeutig. Er konnte in seinem Gutachten jegliche äußeren Einflüsse, die von der Beklagten als mögliche Unfallursachen in den Raum gestellten wurden – also Fahrfehler, Unebenheiten, Hindernisse – ausschließen, da es hierfür keinerlei Anzeichen gab (vgl. Gutachten aus dem OH-Verfahren, Bl. 26). In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat er erläutert, dass es im Falle des – von der Beklagten als Unfallursache in Erwägung gezogenen – Überfahrens einer Flasche zu einem völlig anderen Unfall gekommen wäre. Der Sachverständige hat nachvollziehbar erklärt, dass der Mantel einen leichten Schaden von innen, nicht aber von außen hatte, und eine Abriebspur am Mantel erkennen ließ, dass der Mantel infolge einer erheblichen Krafteinwirkung von innen nach außen über die Felgenkante bewegt worden ist (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2014, Bl. 401 f. d.A.).
45Für diesen unfallursächlichen „Schlauchplatzer“ ist die Beklagte verantwortlich. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass die Beklagte sowohl einen Beratungs- als auch einen Montagefehler begangen hat. Der Beratungsfehler der Beklagten ist darin zu sehen, dass sie dem Kläger eine nicht zulässige Reifen-Felgen-Kombination veräußert hat; der Reifen war für die vorhandene Felge zu breit. Das Landgericht ist im Rahmen seiner Beweiswürdigung weiterhin zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagten ein unfallursächlicher Montagefehler anzulasten ist. Insoweit greift nach Ansicht des Senats bereits die Beweislastumkehr des § 476 BGB zugunsten des Klägers. Denn bei dem von den Parteien geschlossenen Kaufvertrag handelte es sich um einen Verbrauchsgüterkauf i.S.v. § 474 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat das Pedelec als Verbraucher bei der als Fahrradhändlerin tätigen Beklagten erworben. Der Fehler, nämlich der Schlauchplatzer, hat sich schon wenige Wochen nach Gefahrübergang und damit innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 476 BGB gezeigt. Im Übrigen ist – ohne dass es hierauf noch ankommt – unstreitig, dass das Fahrrad bei Versendung von der Beklagten an den Kläger hinsichtlich des Rades (also Schlauch und Reifen) vormontiert war. Der Kläger sollte die Räder nur noch einsetzen und die Reifen aufpumpen, da die Luft zum Transport abgelassen worden war. Es fehlen jegliche greifbaren Anhaltspunkte für die Erwägung der Beklagten, dass nach der Erstmontage der Beklagten und vor dem Unfall des Klägers eine erneute Montage des Rades durch einen Dritten vorgenommen wurde, dem der durch das Sachverständigengutachten erwiesene Montagefehler unterlaufen ist. Schließlich war eine weitere Montage vor der Inbetriebnahme des Rades gerade nicht erforderlich. Der Senat vermag den von der Beklagten geltend gemachten „Zick-Zack“-Kurs des Klägers, der zur Unglaubhaftigkeit seines Vorbringens führen soll, nicht zu erkennen. Bei den im Prozessverlauf vorgenommenen geringfügigen Korrekturen im Vortrag des Klägers betreffend die Frage, wer das Fahrrad aufgepumpt hat, handelt es sich lediglich um Präzisierungen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Person des Klägers sowie an der Glaubhaftigkeit der Schilderung der Ereignisse – auch im Vorfeld des Unfalls – können hierdurch nicht aufkommen, zumal der Klägervortrag durch sämtliche weiteren Erkenntnisse – insbesondere durch den Sachverständigen, aber auch durch den Zeugen T – bestätigt wurde.
463.
47Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Dem Kläger kann von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten ein unfallursächliches Mitverschulden, weil er ohne Schutzhelm mit dem Fahrrad unterwegs war, nicht entgegengehalten werden.
48Ein Mitverschulden eines Verletzten ist anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vgl. BGHZ 9, 316, 318; BGH VersR 1961, 561, 562). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern auch durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (vgl. BGH, Urt. v. 30.01.1979 – VI ZR 144/77 –, Rn. 10, juris). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Nichttragen eines Helms zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB führt, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob zur Unfallzeit ein allgemeines Verkehrsbewusstsein dahingehend bestand, dass das Tragen eines Schutzhelms beim Fahren eines Fahrrads zum eigenen Schutz erforderlich war. Der Bundesgerichtshof führt hierzu aus, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber früher gesteigerte Bewusstsein für Gefährdungen für sich genommen ausreichen, um das Fahren ohne Helm als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung können Umfrageergebnisse, Statistiken, amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden. Ohne solche zureichend verlässlichen Unterlagen könne von einer allgemeinen Überzeugung nicht ausgegangen werden (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13 – zit. nach juris, Rn. 12 f.).
49Dabei sind für die Beurteilung der Schuldfrage an einem Verkehrsunfall die am Tatort geltenden verkehrsrechtlichen Vorschriften maßgebend (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.01.1996 – VI ZR 291/94 – zit. nach juris). Nichts anderes gilt nach Ansicht des Senats für die Beurteilung der allgemeinen Überzeugung hinsichtlich der Benutzung eines Helms. Hier kann es nur auf die Üblichkeiten vor Ort im Unfallzeitpunkt ankommen, vorliegend also auf das Verkehrsbewusstsein in der Schweiz im Jahr 2010.
50Die Beklagte hat nicht darzulegen vermocht, dass im Unfallzeitpunkt in der Schweiz ein allgemeines Verkehrsbewusstsein dahingehend bestand, dass das Tragen eines Schutzhelms bei der Benutzung eines Pedelecs zum eigenen Schutz erforderlich war. Eine Helmpflicht für Pedelecs bestand im Unfallzeitpunkt in der Schweiz noch nicht, sie ist erst am 01.07.2012 in Kraft getreten – und gilt auch nur für schnelle Pedelecs. Dem Parteivortrag kann nicht entnommen werden, dass der Diskussionsstand betreffend die Einführung einer Helmpflicht für Pedelecs im Jahr 2010 bereits so weit fortgeschritten war, dass von einem allgemeinen Verkehrsbewusstsein ausgegangen werden kann. Der Kläger hat ein Positionspapier des Nationalen Verbandes für die Interessen der Velofahrenden (Fahrradfahrer) aus dem Jahr 2009 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass der Verband das freiwillige Tragen des Fahrradhelms befürwortet, eine Helmpflicht aber ablehnt. Aus einem von der Beklagten vorgelegten Artikel im Schweizer Tages-Anzeiger vom 24.06.2010 mit der Überschrift „Eine Helmpflicht für E-Biker?“ lässt sich entnehmen, dass Unfallexperten der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) im Jahr 2010 wegen der mit dem E-Bike-Fahren aufgrund der hierbei erreichten Geschwindigkeiten verbundenen Risiken alarmiert waren und Handlungsbedarf sahen, hierzu aber keine gesamtschweizerische Unfallstatistik vorlag. Die bfu hat ferner im Jahr 2010 ein Faktenblatt betreffend Elektrofahrräder vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass eine Helmtragepflicht für langsame Elektrofahrräder (bis 25 km/h) zu prüfen sei (allerdings ohne genügende politische und gesellschaftliche Akzeptanz nicht zur Diskussion stehe) und für mittelschnelle Elektrofahrräder (bis 45 km/h) zu befürworten sei.
51Aufgrund dieser vorliegenden Unterlagen geht der Senat davon aus, dass die Frage, ob beim Fahren eines Pedelecs das Tragen eines Schutzhelms erforderlich ist, im Unfallzeitpunkt in der Schweiz in Fachkreisen bereits diskutiert wurde. Allerdings ergibt sich insbesondere aus dem Artikel des Tages-Anzeigers, der wenige Wochen vor dem Unfall des Klägers veröffentlicht wurde, dass es sich bei den verstärkt im Straßenverkehr auftretenden E-Bikes in der Schweiz um ein neues Phänomen handelte, zu dem es bislang keinerlei gesonderte Erhebungen gab. Die Annahme eines allgemeinen Verkehrsbewusstseins dahingehend, dass das Tragen eines Schutzhelms bei dem Fahren eines Pedelecs/E-Bikes erforderlich ist, ist nach alledem nicht gerechtfertigt.
52Dem von der Beklagten gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich eines entsprechenden Verkehrsbewusstseins in der Schweiz war nicht nachzugehen. Zwar gilt die tatrichterliche Pflicht zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung und des Gebotes zur Erhebung der angetretenen Beweise (vgl. BGH, Urt. v. 17.07.2002 – IV ZR 150/01 –, Rn. 11, zit. nach juris m.w.N.). Hiervon werden in seltenen Fällen jedoch Ausnahmen zugelassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Beweismittel ungeeignet ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02 – zit. nach juris). Um einen solchen Fall geht es hier. Die Notwendigkeit zur Einholung eines Sachverständigengutachtens besteht nur dann, wenn aus feststehenden Tatsachen kraft besonderer Fachkunde Schlussfolgerungen gezogen werden müssen, um dem Gericht die Überzeugung von der streitigen Behauptung zu verschaffen, wenn es also um die Vermittlung von Fachwissen geht (vgl. BGH, Urt. v. 18.03.1993 – IX ZR 198/92 – zit. nach juris, Rn. 9; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., 2016 § 402 Rn. 6b). Wie der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen zum Mitverschulden wegen Nichttragens eines Motorad- bzw. Fahrradhelms indes ausgeführt hat, können zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden (vgl. BGH, Urt. v. 30.01.1979 – VI ZR 144/77 –, Rn. 10, zit. nach juris; Urt. v. 17.06.2014 – VI ZR 281/13 – Rn. 12, zit. nach juris). Aufgrund derartiger Unterlagen ist sodann die rechtliche Schlussfolgerung zu ziehen, ob ein allgemeines Verkehrsbewusstsein im Unfallzeitpunkt bestand. Einer besonderen Fachkunde bedarf es daher nicht. Auch im vorliegenden Fall haben die Parteien Unterlagen darüber vorgelegt, die einen Einblick in die Diskussion betreffend das Tragen eines Schutzhelms bei der Benutzung eines Pedelecs im Unfallzeitpunkt ermöglichen. Danach fehlen, wie ausgeführt, jegliche Anhaltspunkte für ein entsprechendes Bewusstsein in der Bevölkerung, vielmehr wurde die Problematik erstmals in Fachkreisen diskutiert. Die anderweitige Behauptung der Beklagten, die durch den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt wurde, erfolgt vor diesem Hintergrund ins Blaue hinein. Es ist nicht ansatzweise vorgetragen, auf Grundlage welcher Tatsachen ein Sachverständiger welches Fachbereichs dem Senat Erkenntnisse für die Fragestellung des allgemeinen Verkehrsbewusstsein vermitteln soll. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es über die bereits vorliegenden Unterlagen hinaus weitere Erkenntnissmöglichkeiten, die nur von einem Sachverständigen erschlossen werden können, gilt. Die von der Beklagten beantragte Beweiserhebung zielt damit auf eine neue Ausforschung ab.
53Die Argumentation der Beklagten, dass als Referenz für die Verkehrsüblichkeit bei dem vom Kläger benutzten Pedelec auf die Benutzung eines Helms bei dem Verkehr mit einem Mofa abzustellen sei, verfängt nicht. Eine Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms für Führer und Mitfahrer von Motorrädern gibt es in der Schweiz bereits seit dem Jahr 1981. Diese Helmpflicht kann aber nicht auf das Fahren von Pedelecs übertragen werden. Dies folgt schon daraus – worauf die Klägerseite zutreffend hingewiesen hat – dass es sich bei den Motorradhelmen um gänzlich andere Helme handelt als sie für Fahrradfahrer/E-Biker diskutiert werden. Dem entspricht es, dass in der Schweiz für (schnelle) E-Bikes eine Helmpflicht im Jahr 2012 gesondert eingeführt wurde.
54Die Beklagte kann sich vorliegend auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichttragen eines Schutzhelms zur Begründung eines Mitverschuldens führte. Ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn jedenfalls lassen sich die Fälle nicht auf den vorliegenden übertragen. Es mag sein, dass mit dem Pedelec Geschwindigkeiten erreicht werden, die eher dem Bereich des sportlichen Radfahrens zuzuordnen sind und dadurch auch die Gefahrensituation eine ähnliche ist wie in Fällen sportlicher Betätigung (vgl. zu dem Gesichtspunkt der Gefährdung bei hohen Geschwindigkeiten OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.02.2007 – 1 U 182/06 –, Rn. 57, zit. nach juris). In der Tat hat der Radsportweltverband für den Profibereich seit 2004 eine allgemeine Helmpflicht eingeführt, die für den Bereich des sportlichen Radfahrens auch außerhalb von Radrennveranstaltungen eine Vorbildwirkung erzeugt hat. Die Akzeptanz des Tragens eines Schutzhelmes ist daher – wie das Oberlandesgericht Düsseldorf zu Recht bemerkt – im Bereich des Radsports eine andere als im Bereich des Freizeitradfahrens (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 58 f.). Es bleibt aber dabei, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein ankommt. Danach war die Benutzung eines Pedelecs im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer dem Freizeitradfahren zuzuordnen. Ein Bewusstsein dahingehend, dass mit dem E-Bike-Fahren aufgrund der hohen Geschwindigkeiten besondere Risiken verbunden waren, kann im Jahr 2010 gerade nicht angenommen werden, weshalb in diesem Zeitraum von Unfallexperten in der Schweiz gerade eine entsprechende Diskussion angestoßen wurde, die zwei Jahre später zur Einführung einer Helmpflicht führte.
55Der Senat hält angesichts der beim Kläger unfallbedingt eingetretenen schwerwiegenden Verletzungen und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes – insbesondere auch unter Berücksichtigung des künstlichen Komas – ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 € für angemessen (vgl. etwa Slizyk, Schmerzensgeldtabelle, Nr. 1069, 1774, 3193 zu Schädelfrakturen). Im Übrigen wird wegen der Bemessung des Schmerzensgeldes – mit Ausnahme des vom Senat verneinten Mitverschuldens – auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.
56Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
57Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
58Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Es geht vorliegend um einen gesondert gelagerten Einzelfall, für den es maßgeblich auf Gegebenheiten in der Schweiz im Jahr 2010 ankommt. Eine über diesen Einzelfall hinausgehende Wirkung entfaltet die vorliegende Entscheidung nicht; insbesondere trifft sie keinerlei Aussage zur Helmpflicht bei Pedelecs in Deutschland. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die vorliegend klärungsbedürftige Frage erneut auftritt, so dass das Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts nicht berührt wird. Der vorliegende Fall gibt angesichts dieser besonderen Fallgestaltung auch keinen Anlass, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzuzeigen oder Gesetzeslücken zu schließen.
59Streitwert für fas Berufungsverfahren: 1.937.652,72 €.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Köln Urteil, 23. Dez. 2015 - 27 U 1/15
Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Köln Urteil, 23. Dez. 2015 - 27 U 1/15
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Oberlandesgericht Köln Urteil, 23. Dez. 2015 - 27 U 1/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.
(2) Der Erlass eines Teilurteils kann unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.
(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.
(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.
(1) Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen. Über einen Teil eines einheitlichen Anspruchs, der nach Grund und Höhe streitig ist, kann durch Teilurteil nur entschieden werden, wenn zugleich ein Grundurteil über den restlichen Teil des Anspruchs ergeht.
(2) Der Erlass eines Teilurteils kann unterbleiben, wenn es das Gericht nach Lage der Sache nicht für angemessen erachtet.
(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.
(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,
- 1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist, - 2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist, - 3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist, - 4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist, - 5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist, - 6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder - 7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Auf eine vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer getroffene Vereinbarung, die zum Nachteil des Verbrauchers von den §§ 433 bis 435, 437, 439 bis 441 und 443 sowie von den Vorschriften dieses Untertitels abweicht, kann der Unternehmer sich nicht berufen. Von den Anforderungen nach § 434 Absatz 3 oder § 475b Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn
- 1.
der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und - 2.
die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(2) Die Verjährung der in § 437 bezeichneten Ansprüche kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren, bei gebrauchten Waren von weniger als einem Jahr führt. Die Vereinbarung ist nur wirksam, wenn
- 1.
der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist eigens in Kenntnis gesetzt wurde und - 2.
die Verkürzung der Verjährungsfrist im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unbeschadet der §§ 307 bis 309 nicht für den Ausschluss oder die Beschränkung des Anspruchs auf Schadensersatz.
(4) Die Regelungen der Absätze 1 und 2 sind auch anzuwenden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
(1) Verbrauchsgüterkäufe sind Verträge, durch die ein Verbraucher von einem Unternehmer eine Ware (§ 241a Absatz 1) kauft. Um einen Verbrauchsgüterkauf handelt es sich auch bei einem Vertrag, der neben dem Verkauf einer Ware die Erbringung einer Dienstleistung durch den Unternehmer zum Gegenstand hat.
(2) Für den Verbrauchsgüterkauf gelten ergänzend die folgenden Vorschriften dieses Untertitels. Für gebrauchte Waren, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung (§ 312g Absatz 2 Nummer 10) verkauft werden, gilt dies nicht, wenn dem Verbraucher klare und umfassende Informationen darüber, dass die Vorschriften dieses Untertitels nicht gelten, leicht verfügbar gemacht wurden.
(1) Auf eine vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer getroffene Vereinbarung, die zum Nachteil des Verbrauchers von den §§ 433 bis 435, 437, 439 bis 441 und 443 sowie von den Vorschriften dieses Untertitels abweicht, kann der Unternehmer sich nicht berufen. Von den Anforderungen nach § 434 Absatz 3 oder § 475b Absatz 4 kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer durch Vertrag abgewichen werden, wenn
- 1.
der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und - 2.
die Abweichung im Sinne der Nummer 1 im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(2) Die Verjährung der in § 437 bezeichneten Ansprüche kann vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren, bei gebrauchten Waren von weniger als einem Jahr führt. Die Vereinbarung ist nur wirksam, wenn
- 1.
der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist eigens in Kenntnis gesetzt wurde und - 2.
die Verkürzung der Verjährungsfrist im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unbeschadet der §§ 307 bis 309 nicht für den Ausschluss oder die Beschränkung des Anspruchs auf Schadensersatz.
(4) Die Regelungen der Absätze 1 und 2 sind auch anzuwenden, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.
(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 12. Januar 2012 wird insgesamt zurückgewiesen.
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Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
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Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 7. April 2011 ereignete. Sie befuhr gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in G. in Richtung Zentrum auf dem Weg zu ihrer dort gelegen Arbeitsstelle. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Die Beklagte zu 1 öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen, prallte gegen die Tür, stürzte zu Boden und fiel auf den Hinterkopf. Dabei zog sich die Klägerin, die keinen Fahrradhelm trug, schwere Schädel-Hirnverletzungen zu. Es steht außer Streit, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat. Die Beklagten lasten der Klägerin jedoch ein Mitverschulden von 50 % an, weil sie keinen Helm getragen hat. Die Beklagte zu 2 hat ihre hälftige Eintrittspflicht außergerichtlich anerkannt.
- 2
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Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dem Feststellungsbegehren mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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I.
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Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in r+s 2013, 353 veröffentlicht ist, lastet der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % an, weil sie als Radfahrerin keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Nichttragen eines Schutzhelms für das Ausmaß der erlittenen Kopfverletzungen ursächlich sei. Der Sachverständige Prof. Dr. G. habe dargelegt, dass die eingetretenen Verletzungsfolgen auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten. Das Verletzungsmuster spreche für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Damit würden die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erfahre (sogenannte Contre-coup-Verletzung), gebremst. Da ein Fahrradhelm naturgemäß seine größte Schutzwirkung bei einem leichten bis mittelgradigen Trauma entfalte und beim Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.
- 4
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Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründe das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn der Radfahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Auch ohne einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sei ein Mitverschulden anzunehmen, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege; er müsse sich insoweit verkehrsrichtig verhalten. Dies bestimme sich nicht nur nach den geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern auch nach den konkreten Umständen und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem heutigen Erkenntnisstand könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe.
-
II.
- 5
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Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gemäß §§ 7, 18 StVG - bezüglich der Beklagten zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG - seien wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert, weil die Klägerin keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f., und vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11, VersR 2012, 772, Rn. 6, jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219, und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Klägerin erlittenen Kopfverletzungen. Ein Helm hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. Ein Helm habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.
- 7
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2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Klägerin erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB.
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a) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 240 mwN). § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 f., und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1179 mwN). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 16 mwN; BGH, Urteile vom 14. Oktober 1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145; vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, aaO, und vom 29. April 1999 - I ZR 70/97, VersR 2000, 474). Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, BGHZ 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, aaO, und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, aaO; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - I ZR 95/96, VersR 1998, 1443, 1445). Eine Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechtspflicht verletzt hat (vgl. MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 254 Rn. 3 mwN). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369 f. mwN) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurteile vom 10. März 1970 - VI ZR 218/68, - VI ZR 86/69, VersR 1970, 469, 470; vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81, VersR 1983, 440 und vom 10. März 1987 - VI ZR 123/86, VersR 1987, 781).
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b) Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, aaO, S. 318; vom 27. Juni 1961 - VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 321; vom 18. April 1961 - VI ZR 166/60, VersR 1961, 561, 562; vom 22. Juni 1965 - VI ZR 53/64, VersR 1965, 816, 817 und vom 9. Mai 1978 - VI ZR 212/76, VersR 1978, 923, 924). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Senatsurteile vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369, 370 und vom 10. April 1979 - VI ZR 83/78, VersR 1979, 532). Danach würde es für eine Mithaftung der Klägerin ausreichen, wenn für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit im Jahr 2011 nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war.
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c) Das Berufungsgericht nimmt an, dass dies der Fall gewesen sei. Es meint, das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt, weshalb nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.
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aa) Das Berufungsgericht stützt seine Beurteilung im Wesentlichen auf Überlegungen hinsichtlich des besonderen Verletzungsrisikos, dem Radfahrer im Straßenverkehr heute ausgesetzt seien. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten jedoch nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt. Insoweit mag der Fortschritt der Sicherheitstechnik zwar in gewissem Maße Berücksichtigung finden (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 254 Rn. 51 mwN). Die technische Entwicklung hat aber nur bedingte Aussagekraft für die Beurteilung der Frage, welches Verhalten tatsächlich dem heutigen allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht.
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bb) Der erkennende Senat hat in einer Entscheidung, in der es um die Frage des Mitverschuldens eines Mopedfahrers ging, der bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1974 eine Kopfverletzung erlitt, weil er keinen Helm trug, zu den Voraussetzungen für die Annahme eines verkehrsgerechten Verhaltens näher Stellung genommen (Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, aaO). Er hat dazu ausgeführt, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber früher - nicht zuletzt wegen der zunehmenden Dichte des Verkehrs - bei Mopedfahrern möglicherweise gesteigerte Bewusstsein für solche Gefährdungen ausreichten, um das Fahren ohne Helm als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung könnten Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden, die jedoch nicht vorhanden seien. Ohne solche zureichend verlässlichen Unterlagen könne von einer allgemeinen Überzeugung, dass es für einen ordentlichen und gewissenhaften Mopedfahrer zum eigenen Schutz in jedem Falle erforderlich sei, auf seinen Fahrten einen Schutzhelm zu tragen, so lange nicht gesprochen werden, als selbst der Verordnungsgesetzgeber, von dem zu dieser Frage gewissenhafte Überlegungen und Nachforschungen erwartet werden könnten, noch Ende 1975 die einschlägigen Gefahren relativiert und die Anordnung entsprechender Anschaffungen der Mopedfahrer im Hinblick darauf noch als unzumutbar angesehen habe. Bei dieser Sachlage habe sich dem verunglückten Mopedfahrer zu damaliger Zeit nicht aufdrängen müssen, dass er zu seinem Schutz einen Helm aufsetzen müsse. Davon abgesehen sei nicht festgestellt, ob gerade in der Umgebung, in der er gewohnt habe, bei Mopedfahrern schon eine entsprechende Übung bestanden habe.
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cc) Diese Erwägungen können auch vorliegend zur Beurteilung verkehrsgerechten Verhaltens herangezogen werden. Anders als damals gibt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, amtliche Statistiken über die tatsächliche Akzeptanz von Fahrradhelmen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten Bundesgebiet durch, bei denen jährlich u.a. das Tragen von Schutzhelmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen im Jahr 2011 über alle Altersgruppen hinweg innerorts elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm (Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschung kompakt 06/12, veröffentlicht auf www.bast.de). Damit sei, so die seinerzeitige Beurteilung seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen, die Helmtragequote gegenüber dem Vorjahr (neun Prozent) leicht gestiegen, sie befinde sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Bei dieser Sachlage ist die Annahme, die Erforderlichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im Jahr 2011 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, nicht gerechtfertigt.
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Allerdings hat der Arbeitskreis IV des 47. Verkehrsgerichtstages 2009 eine Empfehlung beschlossen, in der es unter Nr. 6 heißt: "Teilnehmern am Radfahrverkehr wird das Tragen eines Helmes sowie dringend der Abschluss einer Haftpflichtversicherung empfohlen" (47. VGT 2009, 8). Der Verordnungsgesetzgeber hat aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang jedoch bewusst davon abgesehen, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen. Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verkehrssicherheit im Radverkehr erklärt, dass die Freiwilligkeit des Tragens eines Fahrradhelmes der Ansatz des gerade verabschiedeten Verkehrssicherheitsprogramms 2011 sei (BT-Drucks. 17/8560, S. 13). Die Einführung einer Helmpflicht wird auch von der derzeitigen Bundesregierung bislang nicht verfolgt. So heißt es im Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode (abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 45) zum Thema Fahrradverkehr vielmehr, man wolle darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen. Solche Aussagen und Empfehlungen mögen langfristig dazu beitragen, die Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen zu erhöhen. Einen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein im Jahr 2011 vermögen sie nicht zu liefern.
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d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung der Literatur daran festzuhalten, dass Schadensersatzansprüche eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert sind (vgl. OLG Stuttgart, VRS 97, 15, 18 f.; OLG Hamm, VersR 2001, 1257, 1259; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 38, 39 mit Anm. Kettler; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618 f.; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203 f. mit Anm. Jahnke, jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3; OLG Celle, VD 2014, 101, 102 ff. mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 5/2014 Anm. 3; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rn. 62; Jahnke in FS Gerda Müller, 2009, S. 396 mwN; Kettler, Recht für Radfahrer, 3. Aufl., S. 174 ff.; Hufnagel, DAR 2007, 289, 292; Kettler, NZV 2007, 603 f.; Prelinger, juris-PR-VerK 21/2013 Anm. 2 [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; Türpe, VRR 2013, 404, 405 f. [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; aA: Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. Kap. 2 Rn. 58; Staudinger/Schiemann, aaO; vgl. dazu auch Stöhr, zfS 2010, 62, 66 sowie Scholten, SVR 2012, 161 ff.). Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 619, 622; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 266, 267 f.; OLG München, Urteil vom 3. März 2011 - 24 U 384/10, juris Rn. 32; OLG Celle, aaO; MünchKommBGB/Oetker, aaO Rn. 42; Kettler, NZV 2007, 603 ff.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
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3. Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, keinen Bestand haben. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, kann der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen, denn das Feststellungsbegehren der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet.
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Galke Wellner Pauge
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Stöhr Offenloch
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Versicherungsgesellschaft auf Zahlung von Krankentagegeld in Anspruch.Der Kläger war als Organisationsleiter im Versicherungsaußendienst tätig. 1990 schloß er mit der Beklagten einen Vertrag über eine Krankheitskostenversicherung zu den Tarifen KNO und PVNA und eine Krankentagegeldversicherung zu dem Tarif TNB 42, der bei völliger Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld von 200 DM pro Tag vorsah.
Ab Februar 1994 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Er litt unter Bluthochdruck und einem reduzierten Allgemeinbefinden. Es bestand auch der Verdacht auf einen abgelaufenen Herzinfarkt und auf Bronchialasthma. Die Beklagte zahlte ihm Krankentagegeld, holte aber alsbald ein internistisches Gutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 22. September 1995 ein. Der Gutachter stellte verschiedene organische Gesundheitsstörungen sowie eine psychische Störung mit Verdacht auf neurotische Depressionen fest und schätzte die dauernde Berufsunfähigkeit des Klägers auf 30%, meinte jedoch, daß die psychische Problematik im Vordergrund stehe, und hielt daher eine ergänzende psychiatrische Begutachtung für erforderlich. Die Beklagte stellte daraufhin die Krankentagegeldzahlungen mit dem 14. November 1995 ein. Der Kläger zahlte unter Berufung auf seine dadurch entstandene Geldnot ab dem 1. Februar 1996 keine Versicherungsbeiträge mehr.
Der Kläger hat mit der Begründung, er sei wegen seiner organischen Leiden (Herzinfarkt, Koronarsklerose, Veränderung einer Herzklappe , Bluthochdruck, Asthma, chronische Bronchitis, Lendenwirbelerkrankung , Osteoporose, Gallensteine, Nierensteine und Nierenzyste) weiterhin arbeitsunfähig krank, zunächst Klage auf Weiterzahlung des Krankentagegeldes ab 15. November 1995 erhoben, wobei er die von ihm nicht mehr gezahlten Versicherungsbeiträge für die Krankheitsko-
stenversicherung zum Tarif KNO in Höhe von damals monatlich 755,55 DM abgezogen hat. Das Landgericht hat ein schriftliches psychosomatisches Gutachten des Sachverständigen Prof. R. vom 17. Juli 1997 eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, der Kläger sei bis zum 14. Januar 1996 wegen einer affektiven Störung mit schweren depressiven Episoden arbeitsunfähig gewesen. Die Beklagte zahlte daraufhin das Krankentagegeld bis zum 31. Januar 1996 nach. Für die Zeit danach hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, daû der Kläger den Versicherungsvertrag zum 1. Februar 1996 gekündigt habe. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und Weiterzahlung des Krankentagegeldes - nach wie vor abzüglich einer Prämie von 755,55 DM pro Monat - bis einschlieûlich Januar 2000 in Höhe von insgesamt 255.734 DM begehrt sowie die Feststellung beantragt, daû das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet worden ist. Das Berufungsgericht hat dem Feststellungsantrag stattgegeben. Auch der Zahlungsklage hat es in Höhe von 53.652,85 DM entsprochen, sie im übrigen aber abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daû der Kläger den Versicherungsvertrag zwar nicht gekündigt, seine vollständige Arbeitsunfähigkeit aber nur bis August 1997 einschlieûlich bewiesen habe. Von dem von Februar 1996 bis August 1997 geschuldeten Krankentagegeld hat das Berufungsgericht aufgrund einer Hilfsaufrechnung der Beklagten die Versicherungsprämien für alle drei Tarife einschlieûlich der von der Beklagten zwischenzeitlich vorgenommenen Beitragserhöhungen bis zum 28. Februar 2001 abgezogen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zahlung des Krankentagegeldes für die Zeit von September 1997 bis Januar 2000 weiter und wehrt er sich auûerdem gegen die Aufrechnung der Beklagten
mit den rückständigen Versicherungsbeiträgen. Der erkennende Senat hat die Revision nur angenommen, soweit der Anspruch des Klägers auf Krankentagegeld für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Januar 2000 abgewiesen worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat, soweit sie angenommen worden ist, Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, weil dieses in der streitigen Frage, ob der Kläger auch nach August 1997 noch vollständig arbeitsunfähig war, seiner verfahrensrechtlichen Pflicht zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts noch nicht ausreichend nachgekommen ist.
I. Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Entscheidung, dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis seiner vollständigen Arbeitsunfähigkeit über August 1997 hinaus nicht gelungen, auf das zweite psychosomatische Gutachten des Sachverständigen Prof. R. vom 27. Juni 2000 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 19. Februar 2001 gestützt: Der Sachverständige habe festgestellt, daû es in der Zeit von August 1997 bis Juli 2000 zu einer ganz entscheidenden Besserung der affektiven Störung gekommen sei und sich für den Zeitraum nach August 1997 lediglich Zeichen einer gestörten Krankheitsverarbeitung nach dem am 27. Februar 1997 erlittenen (zweiten) Herzinfarkt finden lieûen, aus denen aber keine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit folge.
II. Die Revision rügt zu Recht, daû die Feststellung des Berufungsgerichts , der Kläger habe eine über August 1997 hinaus andauernde vollständige Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen können, auf Verfahrensfehlern beruht. Zwar läût die vom Berufungsgericht vorgenommene tatrichterliche Würdigung des vorliegenden Sachverständigengutachtens mitsamt seiner Ergänzung keine Rechtsfehler erkennen. Verfahrensfehlerhaft ist indessen, daû das Berufungsgericht sich bei der Beweisaufnahme auf das vorliegende Gutachten beschränkt und nicht zusätzliche Beweise erhoben hat.
1. Das vorliegende Gutachten beantwortet die vom Berufungsgericht gestellte Beweisfrage, ob der Kläger "auch nach dem 1.2.1996 arbeitsunfähig krank gewesen" sei, nur unvollständig. Der Sachverständige sollte feststellen, ob und gegebenenfalls bis wann aus medizinischer Sicht über den 1. Februar 1996 hinaus vollständige Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorlag. Er hat sich indessen darauf beschränkt, den Zustand des Klägers im Zeitpunkt der ersten psychosomatischen Begutachtung im Juli 1997 (vom Sachverständigen irrtümlich mit August 1997 angegeben ) und im Zeitpunkt der zweiten Begutachtung im Juni 2000 zu beurteilen. Für den ersten Zeitpunkt hat er vollständige Arbeitsunfähigkeit angenommen, und im zweiten Zeitpunkt hat er keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr festgestellt. Für den dazwischen liegenden Zeitraum von drei Jahren hat der Sachverständige, wie aus seiner ergänzenden Stellungnahme hervorgeht, eine Aussage über die Arbeitsunfähigkeit bewuût vermieden, weil er in diesem Zeitraum keine Untersuchung durchgeführt hat; er hat deshalb gemeint, "daû aufgrund ärztlicher Befunde keine sichere Aussage über die Arbeitsfähigkeit zu treffen" sei. Diese zeitliche Beurteilungslücke wird auch nicht durch die Annahme des
Sachverständigen geschlossen, die Besserung des seelischen Zustandes sei progredient verlaufen. Denn dies ermöglicht nur die Schluûfolgerung , daû irgendwann im Laufe dieser drei Jahre die vollständige Arbeitsunfähigkeit des Klägers in teilweise Arbeitsfähigkeit umgeschlagen ist, nicht aber die Feststellung des genauen Zeitpunktes.
2. Eine derartige Beurteilungslücke in dem eingeholten Gutachten darf der Tatrichter nur hinnehmen und daran den von der beweisbelasteten Partei zu erbringenden Beweis scheitern lassen, wenn die Lücke durch eine Ausdehnung der Beweisaufnahme, d.h. durch die Erhebung weiterer angebotener Beweise, nicht behoben werden kann. Falls die Unvollständigkeit des Gutachtens, wie hier, darauf beruht, daû dem Sachverständigen Tatsachengrundlagen - die sogenannten Anknüpfungstatsachen - gefehlt haben, so ist es Aufgabe des Tatrichters, dem Sachverständigen die fehlenden Anknüpfungstatsachen nachträglich an die Hand zu geben und im Wege eines Ergänzungsgutachtens oder der Anhörung des Sachverständigen die Auswirkungen des geänderten Sachverhalts auf das Gutachten mit dem Sachverständigen zu klären (BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 - VI ZR 86/96 - NJW 1997, 1446 unter II 3 b; OLG Oldenburg NJW-RR 1997, 535).
3. Im vorliegenden Fall durfte das Berufungsgericht nicht von Unaufklärbarkeit des medizinischen Sachverhaltes ausgehen. Denn zu den "ärztlichen Befunden" in der Zeit von Juli 1997 bis Juni 2000, deren Fehlen den Sachverständigen Prof. R. an einer sicheren Aussage über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers in dieser Zeit gehindert hat, lagen Beweisangebote des Klägers vor. Der Kläger hat vorgetragen und durch Auskunft des Arbeitsamts Fu. unter Beweis gestellt, er habe von 1996
bis 1999 Arbeitslosengeld bezogen und sei in dieser Zeit mehrfach von der Amtsärztin des Arbeitsamtes untersucht worden, die jeweils zu dem Ergebnis gelangt sei, daû der Kläger zu 100% arbeitsunfähig sei. Des weiteren hat sich der Kläger zum Beweis seiner fortbestehenden vollständigen Arbeitsunfähigkeit auf das sachverständige Zeugnis seiner Hausärztin Dr. S. und des Internisten Dr. Sc. berufen. Damit hat er zugleich konkludent behauptet, daû die drei genannten Ärzte im fraglichen Zeitraum medizinische Befunde erhoben haben, die seine Arbeitsunfähigkeit ergaben. Aufgrund der tatrichterlichen Pflicht zur vollständigen Sachverhaltsaufklärung und hier insbesondere des Gebotes zur Erhebung der angetretenen Beweise (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90 - NJW 1992, 1768 unter II 2 a aa; Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. vor § 284 Rdn. 8 a) hätte das Berufungsgericht diesen Beweisangeboten nachgehen und in diesem Rahmen etwa festgestellte Anknüpfungstatsachen dem Sachverständigen auf geeignete Weise zugänglich machen müssen (vgl. OLG Oldenburg aaO; BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 - III ZR 69/96 - NJW 1997, 3096 unter I 2 c bb).
III. Wegen der noch unvollständigen Tatsachenfeststellungen kann das angefochtene Urteil im Umfang der Annahme der Revision keinen Bestand haben. Die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen , damit es die erforderlichen weiteren Beweiserhebungen zur Frage der vollständigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach August 1997 vornehmen kann.
Vorsorglich wird folgender Hinweis erteilt: Sollte sich im Zuge der weiteren Beweisaufnahme ergeben, daû auch organische Befunde die
Arbeitsunfähigkeit des Klägers herbeigeführt haben können, so werden auch diese im Rahmen einer etwaigen neuen sachverständigen Beurteilung zu berücksichtigen sein.
Terno Seiffert Ambrosius
Wendt Dr. Kessal-Wulf
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren Vater, wegen vorgeworfener sexueller Mißbrauchshandlungen auf Schmerzensgeld und Feststellung einer Ersatzpflicht für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus diesen Taten in Anspruch. Sie behauptet, von dem Beklagten in der Zeit zwischen 1985 und 1997, beginnend mit ihrem 5. Lebensjahr, in einer Vielzahl von Fällen sexuell mißbraucht worden zu sein. Nach ihrem Auszug aus dem von der Familie bewohnten Einfamilienhaus erstattete sie im August 1997 Strafanzeige. In dem daraufhin durchgeführten Strafverfahren wurde der Beklagte durch Urteil vom 1. September 1998 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.Der Beklagte hat die von der Klägerin behaupteten Taten bestritten und ein physiopsychologisches Gutachten vom 8. März 1999 vorgelegt, das unter Verwendung eines Polygraphen (Lügendetektor) erstellt wurde und aus dem sich seine Unschuld ergebe. Das Landgericht hat der Klägerin ein Schmerzensgeld von 40.000 DM zugesprochen sowie eine Einstandspflicht des Beklagten für sämtliche durch die Taten verursachten materiellen und immateriellen Schäden festgestellt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Anträgen des Beklagten auf Einholung eines Polygraphentests sowie auf Vernehmung der Dipl.-Psychologin K. zum Zweck der Erläuterung des mit seinem Einverständnis durchgeführten Polygraphentests hat es nicht entsprochen, weil aus polygraphischen Untersuchungsmethoden keine hinreichend zuverlässigen Schlüsse auf den Wahrheitsgehalt einer Antwort gezogen werden könnten.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Grund für die Zulassung der Revision aufzeigt (§ 544 Abs. 2 Satz 3, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). 1. Der Zulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr.1 ZPO liegt ebensowenig vor wie der des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt.1 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die für die Lösung des Streitfalls maßgeblichen Fragen hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden. Nach der Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichthofs ist die polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests und – jedenfalls imZeitpunkt der Hauptverhandlung - des Tatwissenstests als völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO zu bewerten (vgl. BGHSt 44, 308 und BGH, Urteil vom 10. Februar 1999 - 3 StR 460/98 - NStZ-RR 2000, 35). Der Bundesgerichtshof hat hierzu ausgeführt, das Kontrollfragenverfahren sei ungeeignet, weil es sich nicht um eine in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig eingestufte Methode handele. Ihm komme deshalb keinerlei Beweiswert zu. Das Funktionieren des Tatwissensverfahrens setze zwingend voraus, daß vor dessen Durchführung dem Beschuldigten als Antworten vorgeschlagene Tatdetails nicht bekannt geworden seien, weil andernfalls die ausschlaggebenden Orientierungsreaktionen auch bei einem Nichttäter zu erwarten seien. Daraus folge, daß diese Untersuchungsmethode im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 Alt. 4 StPO völlig ungeeignet sei, wenn der Beschuldigte bereits von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und den darauf bezogenen Ermittlungsergebnissen Kenntnis erlangt habe (vgl. BGHSt 44, 308, 319 ff., 327 f.). Aufgrund dieser Entscheidungen ist auch für das Zivilverfahren für die hier vorliegende Fallkonstellation höchstrichterlich geklärt, daß es sich bei dem von dem Beklagten vorgelegten freiwilligen Lügendetektortest um ein völlig ungeeignetes Beweismittel handelt, so daß der Tatrichter einem Antrag auf Einholung eines solchen Tests oder auf Vernehmung der Person, die mit Einverständnis des Beklagten bereits einen solchen Test durchgeführt hatte, nicht nachkommen mußte, weil der Beklagte zum Zeitpunkt des Tests nach Abschluß des Strafverfahrens bereits von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf und den darauf bezogenen Ermittlungsergebnissen Kenntnis erlangt hatte. Auch im Zivilverfahren kann der Tatrichter einen Beweisantritt aus beweisrechtlichen Gründen ablehnen. Er kann sich dabei an die das Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsprechung enthaltende Vorschrift des § 244 Abs. 3
StPO anlehnen. Danach darf er einen Beweisantrag u.a. dann ablehnen, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist, wobei bei der Zurückweisung eines Beweismittels als ungeeignet allerdings größte Zurückhaltung geboten ist (vgl. BGHZ 53, 245, 259 f.; Senatsurteil vom 16. September 1986 – VI ZR 128/85 – VersR 1987, 70, 71; BGH, Urteil vom 19. Juni 2000 - II ZR 319/98 - NJW 2000, 3718, 3720). Nachdem die Strafsenate des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage von drei wissenschaftlichen Gutachten zu der psychophysiologischen Aussagebeurteilung diese Untersuchungsmethode als völlig ungeeignet eingestuft haben, ist nicht ersichtlich, warum man im Zivilverfahren zu einem anderen Ergebnis kommen sollte. Im Zivilprozeß werden an die Eignung eines Beweismittels die gleichen Anforderungen gestellt wie im Strafprozeß. Wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozeß ungeeignet angesehen wird, gilt dies demgemäß in gleicher Weise für die Beweisführung im Zivilprozeß. Die Nichtzulassungsbeschwerde vermag auch keine neuen Erkenntnisse aufzuzeigen, die die 1998 und 1999 ergangenen Entscheidungen der Strafsenate des Bundesgerichtshofs in Frage stellen könnten. Insbesondere wurde das vom Beklagten vorgelegte wissenschaftliche Gutachten der Sachverständigen U. und K. bereits bei jenen Entscheidungen berücksichtigt, weil es für das Strafverfahren BGHSt 44, 308 erstellt worden ist, welches als grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage anzusehen ist (vgl. die im damaligen Verfahren vorgelegten Gutachten in Praxis der Rechtspsychologie, 9, Sonderheft, Juli 1999).
b) Auch soweit die Nichtzulassungsbeschwerde den Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß anspricht (vgl. dazu EGMR, NJW 1995, 1413, 1414; BVerfG, Beschlüsse vom 25. Juli 1979 - 2 BvR 878/74, BVerfGE 52, 131, 156 und vom 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00, NJW 2001, 2531, 2532), sind die im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt maßgeblichen Gesichtspunkte höchstrichterlich geklärt. Erfordert der Grundsatz der Waffengleichheit,
daß der Partei, die keinen Zeugen zur Verfügung hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung in den Prozeß persönlich einzubringen, so ist dem grundsätzlich Genüge getan, wenn diese Partei - wie hier geschehen - nach § 141 ZPO angehört wird. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist das Gericht nicht gehindert, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozeßgegners zu geben (vgl. BVerfG, Beschluß vom 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00, aaO; BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - I ZR 32/96 - VersR 1999, 994, 995).
c) Die von der Nichtzulassungsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob der Tatrichter, welcher den von einer Partei gestellten Antrag auf Einholung eines psychophysiologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens für ungeeignet hält, zumindest ein traditionelles psychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten einholen muß, läßt sich anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenfalls ohne weiteres beantworten. Danach ist Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d.h. einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl. BGHSt 45, 164, 167). Daraus folgt, daß ein solches Gutachten nicht eingeholt werden kann und muß, wenn – wie hier – die Behauptungen des Prozeßgegners nur bestritten werden. In diesem Fall liegen keine auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben des Beklagten vor, die auf ihre inhaltliche Konsistenz, ihre Folgerichtigkeit oder sonstige situationsbezogene Einzigartigkeit hin überprüft werden könnten (vgl. dazu BGHSt 45, 164, 167 ff.; vgl. auch Hanseatisches Oberlandesgericht Bre-
men - Senat für Familiensachen, Beschluß vom 28. Mai 2001 - 5 UF 70/00 - Streit 2001, 122 ff.). 2. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
a) Insoweit ist zunächst eine Zulassung nicht aus dem Gesichtspunkt einer Divergenz wegen unterschiedlicher Entscheidungen zur Beweistauglichkeit polygraphischer Untersuchungen gegeben. Wie dargelegt entspricht die Auffassung des Berufungsgerichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auch für eine Untersuchung mit Einverständnis bzw. auf Antrag des Beklagten gilt. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde auf gegenteilige Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte hinweist, scheidet eine Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Divergenz schon deswegen aus, weil diese Entscheidungen vor den grundlegenden Entscheidungen der Strafsenate des Bundesgerichtshofs ergangen sind.
b) Hinsichtlich der von der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten vermeintlichen Fehler des Berufungsgerichts weist der erkennende Senat noch auf folgendes hin: Die Würdigung des aussagepsychologischen Gutachtens und die Zurückweisung der methodischen Einwände des Beklagten gegen dieses Gutachten durch das Berufungsgericht sind nicht zu beanstanden. Dieses hat sich an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen orientiert und ausführlich begründet , warum das vorliegende Gutachten diesen Anforderungen genügt. Hinzuweisen ist darauf, daß aussagepsychologische Gutachten zwar die geforderten inhaltlichen Kriterien erfüllen, aber nicht einheitlich einer bestimmten Prüfstrategie folgen und einen einheitlichen Aufbau haben müssen (vgl. BGHSt
45, 164, 167 ff. und BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f.).
c) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde im übrigen das Berufungsurteil angreift, werden Rechtsfehler des Berufungsgerichts nicht aufgezeigt. Von einer Begründung sieht der Senat insoweit ab (§ 544 Abs. 4 Satz 2 ZPO).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 12. Januar 2012 wird insgesamt zurückgewiesen.
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Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.
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Von Rechts wegen
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 7. April 2011 ereignete. Sie befuhr gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in G. in Richtung Zentrum auf dem Weg zu ihrer dort gelegen Arbeitsstelle. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Die Beklagte zu 1 öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen, prallte gegen die Tür, stürzte zu Boden und fiel auf den Hinterkopf. Dabei zog sich die Klägerin, die keinen Fahrradhelm trug, schwere Schädel-Hirnverletzungen zu. Es steht außer Streit, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat. Die Beklagten lasten der Klägerin jedoch ein Mitverschulden von 50 % an, weil sie keinen Helm getragen hat. Die Beklagte zu 2 hat ihre hälftige Eintrittspflicht außergerichtlich anerkannt.
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Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dem Feststellungsbegehren mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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I.
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Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in r+s 2013, 353 veröffentlicht ist, lastet der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % an, weil sie als Radfahrerin keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Nichttragen eines Schutzhelms für das Ausmaß der erlittenen Kopfverletzungen ursächlich sei. Der Sachverständige Prof. Dr. G. habe dargelegt, dass die eingetretenen Verletzungsfolgen auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten. Das Verletzungsmuster spreche für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Damit würden die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erfahre (sogenannte Contre-coup-Verletzung), gebremst. Da ein Fahrradhelm naturgemäß seine größte Schutzwirkung bei einem leichten bis mittelgradigen Trauma entfalte und beim Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.
- 4
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Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründe das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn der Radfahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Auch ohne einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sei ein Mitverschulden anzunehmen, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege; er müsse sich insoweit verkehrsrichtig verhalten. Dies bestimme sich nicht nur nach den geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern auch nach den konkreten Umständen und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem heutigen Erkenntnisstand könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe.
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II.
- 5
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Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gemäß §§ 7, 18 StVG - bezüglich der Beklagten zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG - seien wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert, weil die Klägerin keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f., und vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11, VersR 2012, 772, Rn. 6, jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219, und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Klägerin erlittenen Kopfverletzungen. Ein Helm hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. Ein Helm habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.
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2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Klägerin erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB.
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a) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 240 mwN). § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 f., und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1179 mwN). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 16 mwN; BGH, Urteile vom 14. Oktober 1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145; vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, aaO, und vom 29. April 1999 - I ZR 70/97, VersR 2000, 474). Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, BGHZ 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, aaO, und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, aaO; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - I ZR 95/96, VersR 1998, 1443, 1445). Eine Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechtspflicht verletzt hat (vgl. MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 254 Rn. 3 mwN). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369 f. mwN) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurteile vom 10. März 1970 - VI ZR 218/68, - VI ZR 86/69, VersR 1970, 469, 470; vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81, VersR 1983, 440 und vom 10. März 1987 - VI ZR 123/86, VersR 1987, 781).
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b) Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, aaO, S. 318; vom 27. Juni 1961 - VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 321; vom 18. April 1961 - VI ZR 166/60, VersR 1961, 561, 562; vom 22. Juni 1965 - VI ZR 53/64, VersR 1965, 816, 817 und vom 9. Mai 1978 - VI ZR 212/76, VersR 1978, 923, 924). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Senatsurteile vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369, 370 und vom 10. April 1979 - VI ZR 83/78, VersR 1979, 532). Danach würde es für eine Mithaftung der Klägerin ausreichen, wenn für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit im Jahr 2011 nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war.
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c) Das Berufungsgericht nimmt an, dass dies der Fall gewesen sei. Es meint, das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt, weshalb nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.
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aa) Das Berufungsgericht stützt seine Beurteilung im Wesentlichen auf Überlegungen hinsichtlich des besonderen Verletzungsrisikos, dem Radfahrer im Straßenverkehr heute ausgesetzt seien. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten jedoch nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt. Insoweit mag der Fortschritt der Sicherheitstechnik zwar in gewissem Maße Berücksichtigung finden (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 254 Rn. 51 mwN). Die technische Entwicklung hat aber nur bedingte Aussagekraft für die Beurteilung der Frage, welches Verhalten tatsächlich dem heutigen allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht.
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bb) Der erkennende Senat hat in einer Entscheidung, in der es um die Frage des Mitverschuldens eines Mopedfahrers ging, der bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1974 eine Kopfverletzung erlitt, weil er keinen Helm trug, zu den Voraussetzungen für die Annahme eines verkehrsgerechten Verhaltens näher Stellung genommen (Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, aaO). Er hat dazu ausgeführt, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber früher - nicht zuletzt wegen der zunehmenden Dichte des Verkehrs - bei Mopedfahrern möglicherweise gesteigerte Bewusstsein für solche Gefährdungen ausreichten, um das Fahren ohne Helm als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung könnten Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden, die jedoch nicht vorhanden seien. Ohne solche zureichend verlässlichen Unterlagen könne von einer allgemeinen Überzeugung, dass es für einen ordentlichen und gewissenhaften Mopedfahrer zum eigenen Schutz in jedem Falle erforderlich sei, auf seinen Fahrten einen Schutzhelm zu tragen, so lange nicht gesprochen werden, als selbst der Verordnungsgesetzgeber, von dem zu dieser Frage gewissenhafte Überlegungen und Nachforschungen erwartet werden könnten, noch Ende 1975 die einschlägigen Gefahren relativiert und die Anordnung entsprechender Anschaffungen der Mopedfahrer im Hinblick darauf noch als unzumutbar angesehen habe. Bei dieser Sachlage habe sich dem verunglückten Mopedfahrer zu damaliger Zeit nicht aufdrängen müssen, dass er zu seinem Schutz einen Helm aufsetzen müsse. Davon abgesehen sei nicht festgestellt, ob gerade in der Umgebung, in der er gewohnt habe, bei Mopedfahrern schon eine entsprechende Übung bestanden habe.
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cc) Diese Erwägungen können auch vorliegend zur Beurteilung verkehrsgerechten Verhaltens herangezogen werden. Anders als damals gibt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, amtliche Statistiken über die tatsächliche Akzeptanz von Fahrradhelmen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten Bundesgebiet durch, bei denen jährlich u.a. das Tragen von Schutzhelmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen im Jahr 2011 über alle Altersgruppen hinweg innerorts elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm (Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschung kompakt 06/12, veröffentlicht auf www.bast.de). Damit sei, so die seinerzeitige Beurteilung seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen, die Helmtragequote gegenüber dem Vorjahr (neun Prozent) leicht gestiegen, sie befinde sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Bei dieser Sachlage ist die Annahme, die Erforderlichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im Jahr 2011 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, nicht gerechtfertigt.
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Allerdings hat der Arbeitskreis IV des 47. Verkehrsgerichtstages 2009 eine Empfehlung beschlossen, in der es unter Nr. 6 heißt: "Teilnehmern am Radfahrverkehr wird das Tragen eines Helmes sowie dringend der Abschluss einer Haftpflichtversicherung empfohlen" (47. VGT 2009, 8). Der Verordnungsgesetzgeber hat aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang jedoch bewusst davon abgesehen, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen. Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verkehrssicherheit im Radverkehr erklärt, dass die Freiwilligkeit des Tragens eines Fahrradhelmes der Ansatz des gerade verabschiedeten Verkehrssicherheitsprogramms 2011 sei (BT-Drucks. 17/8560, S. 13). Die Einführung einer Helmpflicht wird auch von der derzeitigen Bundesregierung bislang nicht verfolgt. So heißt es im Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode (abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 45) zum Thema Fahrradverkehr vielmehr, man wolle darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen. Solche Aussagen und Empfehlungen mögen langfristig dazu beitragen, die Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen zu erhöhen. Einen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein im Jahr 2011 vermögen sie nicht zu liefern.
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d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung der Literatur daran festzuhalten, dass Schadensersatzansprüche eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert sind (vgl. OLG Stuttgart, VRS 97, 15, 18 f.; OLG Hamm, VersR 2001, 1257, 1259; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 38, 39 mit Anm. Kettler; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618 f.; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203 f. mit Anm. Jahnke, jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3; OLG Celle, VD 2014, 101, 102 ff. mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 5/2014 Anm. 3; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rn. 62; Jahnke in FS Gerda Müller, 2009, S. 396 mwN; Kettler, Recht für Radfahrer, 3. Aufl., S. 174 ff.; Hufnagel, DAR 2007, 289, 292; Kettler, NZV 2007, 603 f.; Prelinger, juris-PR-VerK 21/2013 Anm. 2 [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; Türpe, VRR 2013, 404, 405 f. [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; aA: Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. Kap. 2 Rn. 58; Staudinger/Schiemann, aaO; vgl. dazu auch Stöhr, zfS 2010, 62, 66 sowie Scholten, SVR 2012, 161 ff.). Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 619, 622; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 266, 267 f.; OLG München, Urteil vom 3. März 2011 - 24 U 384/10, juris Rn. 32; OLG Celle, aaO; MünchKommBGB/Oetker, aaO Rn. 42; Kettler, NZV 2007, 603 ff.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
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3. Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, keinen Bestand haben. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, kann der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen, denn das Feststellungsbegehren der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet.
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Galke Wellner Pauge
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Stöhr Offenloch
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.