Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16

bei uns veröffentlicht am19.05.2017

Tenor

I. Auf die Berufung der Berufungskläger vom 27.10.2016 wird das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 22.09.2016 in Nr. 2., 3., 4., und 6. abgeändert und wie folgt neu gefasst:

2. Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Widerkläger 1.728,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.344,44 € seit dem 28.11.2013 und aus 384,50 € seit dem 08.10.2015 zu bezahlen.

3. Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden weiterhin verurteilt, samtverbindlich an den Widerkläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.11.2013 zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten verpflichtet sind, samtverbindlich dem Widerkläger 50% sämtlicher weiterer materieller Schäden zu ersetzen, die aus dem Verkehrsunfall vom 06.11.2012 gegen 18.10 Uhr auf der A.str. in A. künftig entstehen, sowie sämtliche weiteren immateriellen Schäden aus diesem Unfall unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 50%, mit Ausnahme derjenigen Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergegangen sind bzw. übergehen werden.

6. Von den Gerichtskosten tragen 7% die Widerbeklagte, 52% samtverbindlich die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten und 41% der Widerkläger.

Von den außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten trägt der Widerkläger 37%.

Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Widerkläger jeweils 45%.

Von den außergerichtlichen Kosten des Widerklägers tragen 4% die Widerbeklagte und 53% samtverbindlich die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten.

Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt die Klägerin 90%.

Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Berufungskläger samtverbindlich 47% und der Berufungsbeklagte 53%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten zu 1) und zu 2) Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 06.11.2012 gegen 18.10 Uhr auf der A.str. in A. geltend, während der Berufungsbeklagte aus diesem Unfall seinerseits Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Berufungskläger geltend macht. Beteiligt an dem Verkehrsunfall waren der Drittwiderbeklagte D., welcher mit dem Pkw BMW 325d aus der B.straße kommend in Fahrtrichtung nach rechts in die A.str. einbogen war, und der Beklagte zu 1), welcher mit dem Leichtkraftrad Kawasaki KMX125B von der H.straße in Fahrtrichtung nach rechts in die A.str. eingebogen war.

Hinsichtlich des Parteivortrags, der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz sowie der Anträge der Parteien in erster Instanz wird gem. § 540 I 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtene Urteils Bezug genommen (S. 3/7 des Ersturteils = Bl. 226/230 d.A.).

Das Landgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen und der (Dritt-)Widerklage überwiegend stattgegeben, und zwar mit der Begründung, dass die Haftung zwischen den Parteien im Verhältnis 90 zu 10 zu Lasten der Widerbeklagten und der Drittwiderbeklagten zu verteilen sei und dass der Berufungsbeklagte gegen die Berufungskläger einen Anspruch auf samtverbindliche Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 28.000,00 € zuzüglich einer Schmerzensgeldrente habe. Hinsichtlich der weiteren Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (S. 7/15 des Ersturteils = Bl. 230/238 d.A.).

Gegen dieses den Berufungsklägern am 28.09.2016 zugestellte Urteil haben diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 27.10.2016 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 244/245 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.12.2016 mit einem beim Oberlandesgericht München am 28.12.2016 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 255/258 d.A.) begründet.

Die Berufungskläger beantragen,

Das Endurteil des Landgerichts Landshut vom 22.09.2016, Az.: 81 O 2823/13, zugestellt am 28.09.2016, wird insofern aufgehoben, als dem Widerkläger

– ein höherer Betrag für die materiellen Schäden als 1.728,93 € nebst Zinsen zugesprochen worden ist,

– ein höherer Schmerzensgeldbetrag als 14.000,00 € zugesprochen worden ist,

– eine Schmerzensgeldrente zugebilligt worden ist,

– die zukünftigen immateriellen Schäden im Feststellungsbeschluss zugesprochen worden sind und

– hinsichtlich der materiellen Schäden mehr als 50% der zukünftigen materiellen Schäden zugesprochen worden sind.

Der Berufungsbeklagte beantragt,

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Senat entscheidet gemäß Beschluss vom 13.04.2017 mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 II ZPO schriftlich; als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 05.05.2017 bestimmt.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, den Schriftsatz der Berufungskläger vom 15.03.2017 (Bl. 274/276 d.A.) sowie die Berufungserwiderung vom 03.04.2017 (Bl. 291/292 d.A.) Bezug genommen.

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.

I.

Das Landgericht ist zu Unrecht von einer Haftungsverteilung im Verhältnis 90 zu 10 zu Lasten der Berufungskläger ausgegangen. Der Höhe nach steht dem Berufungsbeklagten lediglich ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € ohne Schmerzensgeldrente zu.

1. Die Haftung ist im Verhältnis 50 zu 50 zu verteilen.

a) Die allgemeine Betriebsgefahr gemäß § 7 StVG beträgt mindestens 20% (vgl. Senat, RuS 2017, 211).

b) Nach den vom Erstgericht insoweit nicht zu beanstandenden Feststellungen ist der Unfallhergang bzgl. entscheidender Parameter nicht aufklärbar. Keine Seite hat der jeweils anderen einen die allgemeine Betriebsgefahr erhöhenden Verursachungsbeitrag nachweisen können. Dies gilt insbesondere auch für den Berufungsbeklagten:

Dieser konnte nicht nachweisen, dass der Drittwiderbeklagte Deml bereits zum Zeitpunkt des Abbiegens hätte erkennen können, dass sich der Berufungsbeklagte schon bevorrechtigt auf der A.straße näherte und dass noch dazu eine Fortsetzung des Abbiegens angesichts der Enge der Straße und der ggf. eher mittigen Fahrlinie des Leichtkraftrades zu einer Gefährdung des Berufungsbeklagten geführt hätte. Vielmehr lässt sich, ausweislich S. 5 unten des Protokolls der erstinstanzlichen Verhandlung vom 01.09.2015 (= Bl. 138 d.A.), nach den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) H. die Angabe des Drittwiderbeklagten D., er habe erst nach Abschluss des Abbiegens, als er bereits ca. 10 bis 15 Meter weitergefahren sei, das Licht des Leichtkraftrades gesehen, mit S. 14 des unfallanalytischen Gutachtens vom 21.10.2014 in Einklang bringen.

Ebenso wenig konnte der Berufungsbeklagte nachweisen, dass der Drittwiderbeklagte Deml gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 II StVO) verstoßen hat. So kann sich der Unfall beispielsweise, wie auch vom Erstgericht festgestellt, so ereignet haben, wie es der Sachverständige H. auf S. 14 seines o.g. Gutachtens (= Bl. 85 d.A.) als „Unfallsituation Nr. 3“ dargestellt hat; ein Überfahren der Fahrbahnmitte durch den Pkw, und sei es auch nur ein solches um ca. 0,40 m, wie auf S. 7 des Ersturteils angenommen, ist weder der Grafik noch dem Text des Gutachtens zu entnehmen. Jene 0,40 m hat im Übrigen nicht der Sachverständige H. berechnet, sondern der von den Berufungsklägern beauftragte Sachverständige Dr.-Ing. Dr. med. Ho. in seiner als Anlage K 5 vorgelegten Stellungnahme vom 24.05.2015. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der vollständige Text der Stellungnahme in dem Zusammenhang wie folgt lautet: „Selbst wenn sich der linke Front-Seiten-Verbund des Pkws 3 m vom rechten Fahrbahnrand befunden haben sollte und damit ein Überschreiten der rechten, 2,6 m breiten Fahrbahnhälfte um 0,4 m erfolgt sein sollte, so wäre für den Krad-Fahrer noch immer ein Fahrkanal mit der Breite von 2,2 m zur Verfügung gestanden“ (red. Unterstreichungen). Es ist mithin nicht nachgewiesen, dass der Pkw in jedem Fall tatsächlich um mindestens 0,40 m über die Fahrbahnmitte hinaus gekommen ist. Auch aus der in der erstinstanzlichen Sitzung vom 01.09.2015 erfolgten Anhörung des Sachverständigen H. ergibt sich nichts anderes (vgl. insb. S. 5 des Protokolls = Bl. 138 d.A.). Soweit der Berufungsbeklagte in seiner o.g. Berufungserwiderung (Bl. 291/292 d.A.) die Meinung vertritt, die vom Sachverständigen H. auf S. 12/14 seines o.g. Gutachtens (= Bl. 83/85 d.A.) dargestellten Unfallsituationen Nr. 2 und Nr. 3 würden ausscheiden, es bleibe nur die Unfallsituation Nr. 1 (gem. S. 11/12 des Gutachtens = Bl. 82/83 d.A.), dem Drittwiderbeklagten Deml liege daher ein unfallursächlicher Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot zur Last, gilt Folgendes: Die o.g. Unfallsituation Nr. 3 scheidet nur dann aus, wenn man sich auf die Angaben des Zeugen M. D. stützt. Indes hat das Erstgericht - in nicht zu beanstandender Weise und für den Senat daher gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindend - auf S. 8 des angefochtenen Urteils (= Bl. 231 d.A.) die Aussage dieses Zeugen als nach den Ausführungen des Sachverständigen H. zum Teil widerlegt und für die Aufklärung des Unfallhergangs zur Überzeugung des Gerichts insgesamt untauglich eingestuft.

c) Die allgemeinen Betriebsgefahren der am Unfall beteiligten Kraftfahrzeuge sind hier als gleich hoch zu bewerten. Zwar wies der Pkw gegenüber dem Leichtkraftrad eine deutlich größere Breite aus. Es verhält sich aus den bereits genannten Gründen jedoch nicht so, dass sich diese nachweislich als Unfallursache ausgewirkt hat.

d) Der Einwand, der Berufungsbeklagte müsse sich gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er statt Motorradstiefeln unstreitig nur Turnschuhe trug, ist, wie auch bereits im Ersturteil zutreffend ausgeführt, unbegründet. Ob die streitgegenständlichen Verletzungen überhaupt durch das Tragen eines festeren Schuhwerks verhindert worden wären bzw. zumindest weniger schwerwiegend ausgefallen wären, kann daher dahin gestellt bleiben.

Es existiert gem. § 21 a II 1 StVO zwar eine gesetzliche Helmpflicht, aber keine darüber hinausgehende Pflicht, besondere Motorradschutzkleidung wie etwa Motorradstiefel zu tragen. Zwar ist allein deswegen eine Anspruchskürzung gem. § 9 StVG i.V.m. § 254 I BGB noch nicht ausgeschlossen. Ein Mitverschulden ist nämlich bereits dann anzunehmen, wenn der Verletzte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Dass festere Schuhe grundsätzlich einen besseren Schutz bieten, ist allgemein bekannt. Allerdings liegen dem Senat keine belastbaren Zahlen vor, wonach es hinsichtlich der hier maßgeblichen Zeit des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom 06.11.2012 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein (vgl. zur Bedeutung dieses Umstands BGH, Urteil vom 17.06.2014, Az.: VI ZR 281/13, juris) entsprochen hätte, dass es für Leichtkraftradfahrer innerhalb geschlossener Ortschaften erforderlich ist, Motorradstiefel zu tragen (vgl. - bzgl. Protektoren-Schutzkleidung - auch das umfassend begründete Urteil des LG Heidelberg vom 13.03.2014, Az.: 2 O 203/13, juris, mit zustimmender Anmerkung von Lang, juris). Inwieweit ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein grundsätzlich, bei jeder Art von Kraftrad und auch außerhalb geschlossener Ortschaften, derzeit fehlt, wie es das OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 09.04.2013, Az.: 3 U 1897/12, juris, ausführt, muss hier nicht entschieden werden. Das Urteil des Brandenburgischen OLG vom 23.07.2009, Az.: 12 U 29/09, juris, wiederum steht dem bereits deswegen nicht entgegen, weil es sich auf Schutzkleidung an den Beinen bezieht, nicht auf die Frage des Schuhwerks. Im Übrigen gilt diesbezüglich Folgendes: Nach der o.g. Rechtsprechung des BGH kommt es entscheidend auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein an, wovon streng zu unterscheiden sind Aspekte wie das Verletzungsrisiko, der Erkenntnisstand hinsichtlich Schutzmaßnahmen oder Empfehlungen von Verbänden etc. Entscheidend sind vielmehr zureichend verlässliche Unterlagen wie Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen. Dass das Brandenburgische Oberlandesgericht seine o.g. Entscheidung bzw. die Berufungsführer die Berufungsbegründung auf derartige Unterlagen gestützt hätten, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Bloße Behauptungen wie „die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren“ bzw. „jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein vielfach höheres Verletzungsrisiko in sich birgt“ (vgl. das o.g. Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, juris, Rdnr. 18) vermögen die Heranziehung hinreichend belastbarer Unterlagen nicht zu ersetzen. Wie auch der BGH seinem o.g. Urteil vom 17.06.2014 hat der Senat nun zur Beurteilung der Frage, ob das Tragen von Motorradschutzkleidung dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht, als Quelle die auf www.bast.de veröffentlichte amtliche Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen herangezogen. Demnach gibt es zwar tatsächlich eine Erhebung bzgl. des Tragens von Motorradschutzkleidung in Deutschland, und zwar auch bzgl. des hier relevanten Zeitraums, nämlich des Jahres 2012, wonach 53% aller motorisierten Zweiradfahrer ergänzend zum Helm Schutzbekleidung trugen. Die Zahl ist jedoch weitaus niedriger, soweit es um das Tragen einer kompletten Schutzkleidung geht: Eine solche trugen nämlich nur 21% aller motorisierten Zweiradfahrer. Hinzu kommt, dass diese Statistik sehr ungenau ist: Offen bleibt, was im Einzelnen unter einer „kompletten“ Schutzkleidung zu verstehen ist. Unklar ist weiter, welche Schutzkleidungsstücke im Einzelnen (nur Motorradschuhe oder nur Motorradhosen oder nur Motorradjacken oder auch nur Motorradhandschuhe oder etwa bestimmte Kombinationen?) von denjenigen getragen wurden, welche eine unvollständige Schutzkleidung trugen. Unklar ist, auf welche Jahreszeit(en) sich die Untersuchung bezog. Unklar ist schließlich, wie sich bei den Untersuchungen die doch sehr heterogenen Gruppen der „motorisierten Zweiradfahrer“ im Einzelnen jeweils zusammensetzten (Anteil der Mofa- bzw. Kleinkraftradfahrer? Anteil der Leichtkraftradfahrer? Anteil der größeren Maschinen?).

Auf eine solche Statistik aufbauend lässt sich nichts hinreichend Verlässliches hinsichtlich der hier entscheidenden Frage, ob es am Unfalltag, dem 06.11.2012, dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprach, mit dem streitgegenständlichen Leichtkraftrad auf der streitgegenständlichen Strecke nur mit Motorradschutzstiefeln zu fahren. Nachdem dem Senat auch keine weiteren Zahlen hinsichtlich des allgemeinen Verkehrsbewusstseins bzgl. der o.g. Fragestellung bekannt sind, kann hier der Vorwurf des Mitverschuldens nicht begründet werden.

e) Aufgrund dieser geänderten Haftungsverteilung war das Ersturteil in Nr. 2, soweit materielle Schäden umfasst sind (3.112,08 € nebst Zinsen), dahingehend abzuändern, dass ein Anspruch nur in Höhe von 50% von 3.457,87 €, d.h. in Höhe von 1.728,94 € besteht. Der Zinsanspruch war ebenfalls entsprechend abzuändern. Von den 1.728,94 € entfallen 1.344,44 € auf die (Dritt-) Widerklage (Zinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 28.11.2013) und 384,50 € auf die (Dritt-) Widerklageerweiterung (Zinsen ab Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 08.10.2015).

f) Ferner war das Ersturteil entsprechend in Nr. 4. abzuändern, wobei unter Berücksichtigung der o.g. Mitverursachungsquote von 50% der Feststellungsantrag nicht nur hinsichtlich der weiteren materiellen Schäden, sondern auch bzgl. der weiteren immateriellen Schäden (vgl. auch Doukoff in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2, Rdnr. 1106), begründet ist.

2. Der Berufungsbeklagte hat Anspruch auf samtverbindliche Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 25.000,00 € (nebst Zinsen) ohne Schmerzensgeldrente.

a) Es besteht kein Anspruch auf Zahlung einer Schmerzensgeldrente. Zwar enthält das Gesetz (vgl. § 11 S. 2 StVG sowie § 253 II BGB) keine Vorgaben darüber, wie die Entschädigung zu erfolgen hat. Allerdings wird in der Rechtsprechung Schmerzensgeld grundsätzlich als Einmalzahlung und nur ausnahmsweise (stattdessen oder auch daneben) als Rente zugesprochen. Zwar stehen hier nicht unerhebliche Dauerschäden inmitten. Diese erreichen aber noch nicht den für die Gewährung einer Schmerzensgeldrente erforderlichen Schweregrad (vgl. z.B. Doukoff, a.a.O., Rdnr. 1070 ff). So wurden Schmerzensgeldrenten zugesprochen bei schweren Hirnschäden, Querschnittslähmung, Erblindung, Taubheit, schwersten Kopfverletzungen, entstellenden Narben oder dem Verlust eines Gliedes oder Sinnesorgans (vgl. Rechtsprechungsnachweise von Müller in Jahnke/Burmann, Handbuch des Personenschadensrechts, 4. Kapitel, Rdnr. 1317 ff). Soweit etwa das OLG München mit Urteil vom 29.03.1988, Az.: 5 U 3777/87, juris, eine Schmerzensgeldrente zugesprochen hat, lagen der Entscheidung Dauerschäden zu Grunde, welche u.a. auch eine massive Geh- und Stehbehinderung und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50% umfassten. Hier hingegen ist die Geh- und Stehfähigkeit nur gering eingeschränkt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt nur 30%. Der Senat verkennt im Übrigen nicht, dass beim Berufungsbeklagten auch Narben verblieben sind; diese sind jedoch noch nicht als besonders entstellend zu bewerten, zumal sie nicht das Gesicht betreffen.

b) Der Senat ist im Übrigen aufgrund eigenständiger Überprüfung der Ansicht, dass ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € angemessen ist (vgl. dazu BGH NJW 2006, 1589 ff.; Senat, Urt. v. 30.7.2010 - 10 U 2930/10 [juris]). Hierbei kann zunächst Bezug genommen werden auf die grundsätzlich zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts.

Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10 [juris]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (grdl. RG, Urt. v. 17.11.1882 - RGZ 8, 117 [118] und BGH - GSZ - BGHZ 18, 149 ff.; ferner BGH NJW 2006, 1068 [1069]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10 [juris]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); OLG Brandenburg, Urt. v. 8.3.2007 - 12 U 154/06 [juris]; Senat in st. Rspr., u. a. Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 3249/10 [juris]). Bei Berücksichtigung der Verletzungen und Verletzungsfolgen wirkt sich jedoch die deutlich erhöhte Mithaftung des Berufungsbeklagten aus. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Schmerzensgeldrente entfällt, dass andererseits aber dem Berufungskläger zu 2) kein Verschulden am Unfall nachzuweisen war und deshalb die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes vollständig zurücktritt.

3. Nachdem der Berufungsbeklagte, wie dargestellt, in einem geringeren Umfang als noch gem. Ersturteil obsiegt hat, ist das angefochtene Urteil auch in Nr. 6 (Kostenverteilung) abzuändern, wobei die (geänderte) Kostenentscheidung unter Anwendung der Baumbach’schen Formel auf §§ 92 I 1, II Nr. 1, 100 IV 1 ZPO beruht.

Ferner war bei der Verteilung der Gerichtskosten zu beachten, dass das teilweise Unterliegen der Beklagten zu 2) (rechtskräftige Verurteilung gem. Ersturteil zu Nr. 1.), gemessen am Gesamtstreitwert, mit 0,7% verhältnismäßig geringfügig i.S.d. § 92 II Nr. 1 ZPO ist; hinsichtlich der Beklagten zu 2) enthält die neue Kostenentscheidung keine Abweichung von derjenigen des Ersturteils.

II.

Die Kostenentscheidung (hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens) ergibt sich aus §§ 92 I 1, 100 IV 1 ZPO.

Die Berufung erwies sich als - im Verhältnis zum Streitwert des Berufungsverfahrens (26.193,15 €) - zu ca. 53% erfolgreich, was sich aus folgenden Berechnungen ergibt:

Hinsichtlich der materiellen Schadenspositionen fiel die Verurteilung der Berufungskläger um 1.728,94 € niedriger aus als im Ersturteil, hinsichtlich des Schmerzensgeldes um 3.000,00 €. Die Verurteilung zur Zahlung einer Schmerzensgeldrente entfiel (gegenüber zugesprochen 180,00 € pro Monat, entspricht einem diesbezüglichen Streitwert von 180,00 € x 42 Monate = 7.560,00 €). An Stelle der Feststellung einer 90prozentigen Verpflichtung zur Schadensersatzzahlung erfolgte schließlich nur die Feststellung einer 50prozentigen Verpflichtung (entspricht bei einem diesbezüglichen Streitwert von insg. 5.000,00 € einem Obsiegen der Berufungsführer in Höhe von 2.000,00 €). Die Summe der o.g. Beträge beträgt 13.943,14 €, was wiederum ca. 53% des o.g. Berufungsstreitwertes entspricht.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Insbesondere bedarf es auch nicht etwa deswegen der Zulassung der Berufung, weil der Senat von der o.g. Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 23.07.2009 abweichen würde. Denn ein Abweichen liegt, wie ausgeführt, bereits deswegen nicht vor, weil sich jene Entscheidung nicht auf Motorradstiefel bezog. Im Übrigen erging die Entscheidung noch vor dem o.g. Urteil des BGH vom 17.06.2014. Dies gilt im Übrigen entsprechend auch für das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 28.11.2013, Az.: 7 U 158/12, juris: Zwar wurde auch dort die Möglichkeit eines Mitverschuldens unter dem Gesichtspunkt des Nichttragens einer Lederschutzbekleidung bejaht, allerdings zum einen nur unter nicht näher erläuterten „bestimmten“ Umständen und zum anderen ebenfalls noch vor dem o.g. BGH-Urteil.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 7 Haftung des Halters, Schwarzfahrt


(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) D
Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 7 Haftung des Halters, Schwarzfahrt


(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) D

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 9 Mitverschulden


Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 11 Umfang der Ersatzpflicht bei Körperverletzung


Im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist der Schadensersatz durch Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Er

Referenzen - Urteile

Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Oberlandesgericht München Endurteil, 19. Mai 2017 - 10 U 4256/16 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Landgericht Landshut Endurteil, 22. Sept. 2016 - 81 O 2823/13

bei uns veröffentlicht am 22.09.2016

Tenor 1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 585,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskos

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juni 2014 - VI ZR 281/13

bei uns veröffentlicht am 17.06.2014

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt wor

Landgericht Heidelberg Urteil, 13. März 2014 - 2 O 203/13

bei uns veröffentlicht am 13.03.2014

Tenor 1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 7.672,79 EUR zu zahlen. 2. Die Beklagte zu 2 wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 24.928

Referenzen

Tenor

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 585,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.10.2013 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin/Widerbeklagte sowie die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1/Widerkläger/Drittwiderkläger 31.112,08 € nebst Zinsen aus 30.343,08 € seit 28.11.2013 und aus 769,00 € seit 08.10.2015 zu bezahlen.

3. Die Klägerin/Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1)/Widerkläger/Drittwiderkläger ab 01.01.2017 eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 180,00 €, zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus (in Höhe von 540,00 €) zum 01. Januar, 01. März, 01. Juni und 01. September des jeweiligen Jahres zu bezahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Klägerin/Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Beklagten zu 1/Widerkläger/Drittwiderkläger 90% sämtlicher weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfallereignis vom 06.11.2012 in der A-Straße in A. künftig entstehen sowie verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren immateriellen Schäden aus diesem Unfall zu ersetzen unter Berücksichtigung einer Mitverursachungs von 10%, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergegangen sind bzw. übergehen.

5. Im Übrigen werden die Widerklage und die Drittwiderklage abgewiesen.

6. Die Klägerin trägt von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 83%. Die Drittwiderbeklagten haften samtverbindlich in Höhe von 74% mit.

Die Klägerin trägt von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 90%.

Die Klägerin trägt von den Gerichtskosten 83%, wobei die Drittwiderbeklagten samtverbindlich in Höhe von 74% mithaften.

Der Beklagte zu 1 trägt von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin 17%.

Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten trägt der Beklagte zu 1 18%. Von den Gerichtskosten trägt der Beklagte zu 1 17%.

Im Übrigen tragen alle Parteien ihre Auslagen selbst.

7. Das Urteil ist für die Klägerin und die beiden Drittwiderbeklagten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte zu 1 kann die Vollstreckung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. die Drittwiderbeklagten jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Das Urteil ist für den Beklagten zu 1 vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages.

Für die Beklagte zu 2 ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten zu 2 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird bis zur Erweiterung der Widerklage/Drittwiderklage auf 39.526,86 € (Klage 5.898,55 €, Widerklage/Drittwiderklage 33.628,31 €) und seither auf 58.695,86 € (Klage 5.898,55 €, Widerklage/Drittwiderklage 52.797,31 €) festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin und der Beklagte zu 1 machen Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend.

Am 06.11.2012 gegen 18.10 Uhr kam es auf der A-Straße in A. zum Zusammenstoß des vom Drittwiderbeklagten zu 2 gesteuerten Pkw, amtliches Kennzeichen -, mit dem vom Beklagten zu 1 gesteuerten Leichtkraftrad, amtliches Kennzeichen -. Halterin des bei der Drittwiderbeklagten zu 3 versicherten Pkw ist die Klägerin und Widerbeklagte.

Das Leichtkraftrad ist bei der Beklagten zu 2 versichert.

Zum Zusammenstoß kam es, als der Drittwiderbeklagte zu 2 mit dem Pkw aus einem Anwesen von der B-Straße kommend schiefwinklig in die bevorrechtigte A-Straße einfuhr. Der Beklagte zu 1 fuhr zur selben Zeit mit seinem Leichtkraftrad von der H-Straße kommend und kollidierte mit dem Pkw.

Bei dem Unfall wurde der Pkw beschädigt. Der Klägerin entstanden für die Begutachtung des Schadens Sachverständigenkosten in Höhe von 822,89 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 546,69 €. Mit Anwaltsschreiben vom 16.11.2012 wurden die Beklagten unter Fristsetzung bis zum 03.12.2012 zur Zahlung aufgefordert.

Der Beklagte zu 1 wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Er erlitt eine komplexe offene Vorfußverletzung und musste sich insgesamt zwölf operativen Eingriffen unterziehen. Er befand sich vom 06.11.2012 bis 11.01.2013 und vom 03.03.2013 bis 11.03.2013 in stationärer Behandlung. Der Beklagte zu 1 trug zum Unfallzeitpunkt Turnschuhe.

Dem Beklagten zu 1 entstanden materielle Schäden in Form von allgemeinen Sachschäden, Fahrtkosten und Heilungskosten in Höhe von insgesamt 3.457,87 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Seiten 4 und 5 des Schriftsatzes des Beklagtenvertreters zu 1 vom 07.11.2013 und auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters zu 1 vom 27.07.2016 sowie den Schriftsatz der Klägervertreterin vom 08.08.2016 verwiesen.

Die Klägerin und die Drittwiderbeklagten behaupten, dass der Drittwiderbeklagte zu 2 bei dem Abbiegevorgang äußerst rechts und langsam gefahren sei und bereits ca. 20 m auf der A-Straße zurückgelegt habe, als der Beklagte zu 1 mit seinem Leichtkraftrad von der H-Straße kommend in die A-Straße einbog und mit überhöhter Geschwindigkeit nicht die eigene Fahrbahnseite einhielt und mit dem Pkw der Klägerin kollidierte. Der Unfall sei für den Drittwiderbeklagten zu 2 unvermeidbar gewesen.

Die Klägerin behauptet, dass die Reparaturkosten für ihren beschädigten Pkw netto 4.899,66 € betragen und eine merkantile Wertminderung in Höhe von 150,00 € vorliege. Ferner verlangt sie die Erstattung einer Unkostenpauschale in Höhe von 26,00 €.

Die Klägerin beantragt,

Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an die Klägerin 5.898,55 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.12.2012 sowie außergerichtliche Gebühren in Höhe von 546,69 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1 erhob mit Schriftsatz vom 07.11.2013 - erweitert mit Schriftsatz vom 28.09.2015 - Widerklage und Drittwiderklage und beantragt,

  • 1.Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger 4.397,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.628,31 € ab Rechtshängigkeit und aus 769,00 € ab Rechtshängigkeit der Klageerweiterung zu bezahlen nebst Rechtsanwaltskosten in Höhe von 691,33 € zu bezahlen.

  • 2.Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 35.000,00 € für die Zeit vom 06.11.2012 bis 05.05.2014 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

  • 3.Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Widerkläger ab 01.06.2014 eine angemessene monatliche Schmerzensgeldrente von mindestens 200,00 €, zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus in Höhe von 600,00 € zum 01. Januar, 01. März, 01. Juni und 01. September des jeweiligen Jahres zu bezahlen.

  • 4.Es wird festgestellt, dass die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Widerkläger sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Unfall vom 06.11.2012 in der A-Straße in A. künftig entstehen, mit Ausnahme der Ansprüche, die auf Dritte, vor allem Versicherungen oder Sozialversicherungsträger, übergehen.

Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1 sei kurz hinter dem an der Unfallörtlichkeit gelegenen Gasthaus gefahren, als für ihn unvorhersehbar der Pkw ohne anzuhalten und ohne Beobachtung des Verkehrs in die verhältnismäßig enge A-Straße eingebogen sei. Der Pkw sei dabei derartig weit auf die Fahrbahn des Beklagten zu 1 ausgeschert, dass der Beklagte zu 1 nicht mehr ausweichen konnte und dadurch die Kollision verursacht wurde. Der Unfall sei für den Beklagten zu 1 unvermeidbar gewesen.

Der Beklagte zu 1 behauptet, dass sein linker Fuß durch den Unfall derart irreparabel beschädigt sei, dass ein normaler Stand und Lauf nicht mehr möglich sei und er deshalb dauerhaft an Beeinträchtigungen und Schmerzen leide. Er meint, dass er daher Anspruch auf das begehrte Schmerzensgeld nebst Rente habe. Außerdem seien ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten entstanden.

Die Widerbeklagte und die Drittwiderbeklagten beantragen,

die Widerklage und die Drittwiderklage abzuweisen.

Sie meinen, dass keine Haftung dem Grunde nach bestehe. Ferner meinen sie, dass sich der Beklagte zu 1 wegen des Tragens ungeeigneten Schuhwerks ein erhebliches Mitverschulden zurechnen lassen müsse, weil es beim Tragen von Motorradstiefeln nicht zu der schweren Fußverletzung gekommen wäre. Im Übrigen sei die Schmerzensgeldforderung übersetzt und keine Rente geschuldet.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M.D. und M.S.. Wegen des Inhalts ihrer Angaben wird auf das Protokoll vom 18.03.2014 Bezug genommen. Ferner wurden Gutachten des Sachverständigen H. zum Unfallhergang und zur Höhe der Kfz-Schäden erholt. Wegen des Inhalts seiner Ausführungen wird auf das Gutachten vom 21.10.2014 nebst Ergänzung vom 10.02.2015 sowie auf das Gutachten vom 29.04.2016 verwiesen.

Ferner wurde ein unfallchirurgisches Gutachten des Sachverständigen Dr. med. B. erholt. Wegen des Inhalts seiner Ausführungen wird auf das schriftliche Gutachten vom 15.03.2016 verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Klage und Widerklage/Drittwiderklage erweisen sich als zulässig und jeweils teilweise begründet.

I.

Klage

1. Die Klägerin hat gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 3 S. 1 PflVG Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 585,12 € nebst Verzugszinsen und Erstattung der entsprechenden außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hält das Gericht eine Regulierung der jeweiligen Schäden auf Basis einer Haftungsverteilung 90% auf Seiten der Klägerin und 10% auf Seiten des Beklagten zu 1 für sachgerecht.

Der Sachverständige H. führte aus, dass die Endstellung des Pkw, wie vom Zeugen M.D. angegeben, ausscheide im Hinblick auf die zweifelsfrei vorhandenen Kratzspuren des Motorrades und auch nach Kollisionsposition. Aus sachverständiger Sicht lässt sich der Unfallhergang nicht zweifelsfrei feststellen. Wenn man die Aussage des Zeugen D. ausblende, so stünden sich zwei Unfallversionen, die grundsätzlich aus unfallanalytischer Sicht gleich plausibel oder wahrscheinlich sind, gegenüber. Bei der Unfallversion zu Gunsten der Beklagtenpartei wäre der Pkw deutlich über die Mittellinie gekommen und ein Vorbeifahren rechts wäre für den Motorradfahrer eher nicht mehr möglich gewesen. Bei der Unfallversion zu Gunsten der Klagepartei wäre der Pkw nur leicht über die Mittellinie gekommen. Bei dieser Version wäre der klägerische Pkw nur ca. 0,4 m über die Mittellinie gefahren und es wäre ein Raum zwischen Pkw und rechten Straßenrand aus Sicht des Motorradfahrers von 2,2 m verblieben. Ein bewusstes eng rechts Vorbeifahren wäre bei dieser Variante möglich gewesen. Da dort ein Hauseck ist, führe dies natürlich dazu, dass man als Fahrer nicht zwingend äußerst rechts fahre.

Aus Sicht des Sachverständigen wäre der Unfall für den Motorradfahrer bei der für ihn günstigen Version unvermeidbar, zumindest jedoch nicht ohne große Gefährdung ein Vorbeifahren möglich gewesen. Zu den Geschwindigkeiten habe er keine Feststellungen treffen können, sodass er hierzu keine weiteren Angaben machen könne.

Das Gericht folgt den sehr gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, dessen Sachkunde dem Gericht seit Jahren bekannt ist.

Nachdem nach den Ausführungen des Sachverständigen die Angaben des Zeugen D. zum Teil wiederlegt sind, ist dessen Aussage für die Aufklärung des Unfallhergangs zur Überzeugung des Gerichts insgesamt untauglich. Letztlich kann die Haftungsverteilung nur auf Basis der Feststellungen des Sachverständigen getroffen werden, da weitere gesicherte Erkenntnisse zur Überzeugung des Gerichts nicht vorliegen.

Das Gericht geht daher von folgenden Erwägungen aus: Es gibt grundsätzlich zwei gleich wahrscheinliche Unfallvarianten. Eine für den Beklagten günstige und eine für die Klagepartei günstige Version, wie sie auch von dem Privatsachverständigen der Klägerin letztlich in Übereinstimmung mit dem Gerichtssachverständigen geschildert wurde. Bei der für den Beklagten günstigen Version ist von einer 100%igen Haftung der Klagepartei auszugehen. Da jedoch auch die Version in Betracht zu ziehen ist, wonach der vorfahrtsberechtigte Beklagte zu 1 noch ausweichen und knapp hätte vorbeifahren können und unklar ist, ob er ggf. mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, hält das Gericht eine Mithaftung der Beklagtenpartei in Höhe von 10% für angemessen.

2. Schadenshöhe

Die Klägerin konnte nachweisen, dass ihr Reparaturkosten in Höhe von netto 4.853,31 € sowie eine Wertminderung in Höhe von 150,00 € entstanden sind.

Der Sachverständige H. machte entsprechende Ausführungen in seinem schriftlichen Gutachten vom 29.04.2016, gegen das die Parteien keine Einwendungen erhoben. Das Gericht folgt auch hier den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen.

Eine Kostenpauschale kann gem. ständiger Rechtsprechung im hiesigen Bezirk in der Regel in Höhe von 25,00 € verlangt werden. Umstände, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Somit errechnet sich der materielle Schaden der Klägerin wie folgt:

„Reparaturkosten netto 4.853,31 €

Wertminderung 150,00 €

Sachverständigenkosten (unstreitig) 822,89 €

Unkostenpauschale 25,00 €

Gesamtsumme 5.851,20 €.“

Mithin errechnet sich unter Berücksichtigung einer Mithaftung von 90% ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 585,12 €.

Ferner entstanden der Klägerin unstreitig Auslagen für die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts. Die erstattungsfähigen Kosten errechnen sich wie folgt:

„Geschäftsgebühr 1,3 aus 585,12 € 104,00 €

Auslagenpauschale 20,00 €

Summe netto 124,00 €

Summe brutto inkl. 19% USt. 147,56 €

Gemäß §§ 286, 288, 291 BGB kann die Klägerin zusätzlich Verzugszinsen bzw. Prozesszinsen beanspruchen.“

Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

II.

Widerklage/Drittwiderklage

Der Beklagte zu 1 kann von der Klägerin und den Drittwiderbeklagten gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 3 S. 1 PflVG Schadensersatz verlangen unter Beachtung einer Mithaftung von 10%.

1. Materieller Schaden

Unstreitig entstanden dem Beklagten zu 1 bisher materielle Schäden in Höhe von insgesamt 3.457,87 €.

Gemäß obiger Ausführungen kann der Beklagte zu 1 hiervon 90% mithin 3.112,08 € erstattet verlangen.

2. Schmerzensgeld

Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440, OLG München in st. Rspr. u.a. Urteil vom 29.10.2010 Az.: 10 U 3249/10).

Unstreitig erlitt der Beklagte zu 1 bei dem Unfall eine schwere Verletzung am Fuß. Im Einzelnen handelt es sich um eine drittgradig offene komplexe Vorfußverletzung links mit Lisfranc-Luxation Quenú B Metatarsale III bis Metatarsale V Mehrfragment-Fraktur und großem Hautdefekt am Fußrücken. Der Beklagte zu 1 wurde zwölf Mal operiert und befand sich insgesamt ca. 2,5 Monate in stationärer Behandlung.

Der Sachverständige Dr. B. führt in seinem schriftlichen Gutachten folgendes aus:

Als Unfallfolgen ergeben sich zwanglos aus den beigelegten Foto- und Röntgendokumenten folgende Einschränkungen:

– Belastungsminderung des linken Beines

– Muskelminderung am linken Ober- und Unterschenkel

– geringgradige Einschränkung der Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenks

– mittelgradige Einschränkung der Gesamtbeweglichkeit der unteren Sprunggelenke links

– mittelgradige Einschränkung der Zehenbeweglichkeit links

– Fehlbelastung des linken Fußes bei unfallbedingtem Absinken des Fußquergewölbes mit schmerzhafter Spreizfußschwiele

– Hautgefühlsverlust am Fußrücken und an der Vorderseite des Sprunggelenks nach Lappenplastik

– Plausibler Brennschmerz der Fußsohle durch Verletzungen von Hautnerven

– Geringgradige Einschränkung der Geh- und Stehfähigkeit

– Das Narbenbild am linken Fuß, am linken Brustkorb und am linken Oberschenkel.

Insbesondere erstrecke sich von der linken Achselfalte nach abwärts über eine Länge von 30 cm und einer Breite bis 2 cm eine Operationsnarbe nach Hebung des Muskelhautlappens an der linken hinteren Brustkorbseite.

Die vom Beklagten zu 1 geschilderten Schmerzen seien auf Grund der unfallbedingt eingetretenen Deformierung der äußeren Fußsäule plausibel. Darüber hinaus bestehe bei Herrn F. ein Brennschmerz an der Fußsohle. Es handle sich hierbei um eine neuropathische Schmerzkomponente auf Grund einer Läsion von Hautnerven, die bei der ausgeprägten Weichteilverletzung eingetreten seien. Die schmerzhafte Abrollstörung und das Unvermögen vollständig in die Hocke zu gehen seien durch die unfallbedingt eingetretene ausgeprägte Spreizfußschwiele unterhalb des Köpfchens der zweiten Zehe erklärbar. Die Schmerzintensität sei geringgradig, wenn man die Schmerzintensität in drei Schweregrade (geringgradig, mittelgradig, stark) einteile. Eine Einschränkung der Fähigkeit einen Haushalt zu führen liege derzeit nicht vor.

Die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in dem Beruf eines Feinwerkmechaniker-Azubi und Feinwerkmechanikergesellen gibt der Sachverständige abgestuft wie folgt an:

100% von 06.11.2012 bis 11.01.2013 (stationärer Aufenthalt)

80% vom 12.01.2013 bis 02.03.2013 (Belastungsunfähigkeit des Fußes)

100% vom 03.03.2013 bis 11.03.2013 (stationärer Aufenthalt)

70% vom 12.03.2013 bis 30.04.2013

40% vom 01.05.2013 bis 31.07.2013

30% vom 01.08.2013 bis zur Gutachtenserstattung

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werde fast genauso eingeschätzt wie in dem Beruf eines Feinwerkmechanikergesellen. Berücksichtigung finde hierbei, dass der Verletzte einen ausschließlich gehenden und stehenden und Fuß-Bein-belastenden Beruf ausübe.

Die Einschränkungen im Privatleben, die der Verletzte geschildert habe (Eishockeyspielen eingestellt, traut sich wegen Entstellung nicht ins Schwimmbad), seien auf Grund der beschriebenen Unfallfolgen plausibel.

Der Sachverständige führt weiter aus, dass die medizinische Rehabilitation noch nicht beendet sei. Herr F. benötige orthopädische Arbeitssicherheitsschuhe und maßgefertigte Einlagen für das Konfektionsschuhwerk. Aufgrund der Schwellneigung benötige er einen maßgefertigen Unterschenkelkompressionsstrumpf. Durch Maßnahmen der Krankengymnastik und der physikalischen Therapie sei eine weitere wesentliche Verbesserung der Funktion nicht zu erreichen. Zur Prognose könne allenfalls die Feststellung getroffen werden, dass der jetzt bestehende Zustand auf Dauer verbleiben werde. Zu möglichen funktionellen Verschlechterungen könne keine verbindliche Aussage getroffen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten verwiesen.

Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen, die im Übrigen von keiner der Parteien beanstandet wurden.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist neben den verletzungsbedingten Unfallfolgen und dem jugendlichen Alter des Geschädigten auch ein Mitverursachungsbeitrag in Höhe von 10%, wie oben geschildert, zu berücksichtigen. Außerdem musste der Geschädigte sein 2. Lehrjahr ab September 2013 - also fast vollständig - wiederholen, was auch ein psychische Belastung darstellte.

Die durch das Nichttragen von Motorradstiefeln ggf. begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der vom Beklagten zu 1 erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung der Klagepartei jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB, so dass eine Beweisaufnahme hierzu nicht veranlasst war.

Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zu Grunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat. Da die Rechtsordnung jedoch eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderem oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit. Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss, weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert. Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Danach würde es für eine Mithaftung des Beklagten zu 1 ausreichen, wenn für Fahrer von Leichtkrafträdern innerorts das Tragen von Motorradstiefeln zur Unfallzeit nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war (vgl. BGH, Urteil vom 17.06.2014, Az.: VI ZR 281/13, dort zum Tragen von Fahrradhelmen).

Zur Überzeugung des Gerichts ist es bei Fahrern von Leichtkrafträdern insbesondere innerorts bis heute eher wenig verbreitet mit stabilen Motorradstiefeln zu fahren. Vielmehr wird überwiegend, mit leichtem Schuhwerk, wie z.B. Turnschuhen, zu fahren.

Eine Kürzung der Ansprüche des Beklagten zu 1 wegen des Tragens von Turnschuhen kommt daher nicht in Betracht.

Unter Berücksichtigung aller Umstände und der schweren Beeinträchtigungen des Beklagten zu 1 hält das Gericht ein Schmerzengeld in Höhe von insgesamt 28.000,00 € für angemessen.

3. Schmerzensgeldrente

Neben der Einmalzahlung kann der Kläger auch eine Schmerzensgeldrente für die Zukunft in Höhe von 180,00 € monatlich ab 01.01.2017 verlangen.

Der Zweck des Schmerzensgeldes, dem Geschädigten zu ermöglichen, sich Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen zum Ausgleich der Lebensfreude und Entfaltungsmöglichkeiten, die ihm durch die Verletzung genommen worden sind, gebietet es im vorliegenden Fall neben einem festen Betrag eine Rente festzusetzen.

Die Vorschrift des § 253 BGB trifft keine Bestimmung darüber, in welcher Form - Kapital oder Rente - die Geldentschädigung wegen nicht vermögensrechtlichen Schadens zu gewähren ist. Das Schmerzensgeld kann auch so festgesetzt werden, dass für einen Zeitabschnitt Kapital und für einen weiteren eine Rente zugesprochen wird. Dies hält das Gericht im vorliegenden Fall für geboten.

Der Beklagte zu 1 wurde zwölf Mal operiert und musste die mit jeder Operation verbundenen zusätzlichen Schmerzen ertragen. Sein linker Fuß ist schwer und dauerhaft entstellt. Ferner leidet der Beklagte zu 1 dauerhaft beim Gehen unter Schmerzen. Er muss ständig auf seine körperlichen Gebrechen Rücksicht nehmen, insbesondere auch besonderes Schuhwerk und einen Unterschenkelkompressionsstrumpf tragen, was besonders in der warmen Jahreszeit unangenehm ist. Der Beklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt erst 16 Jahre alt. Es ist nachvollziehbar und plausibel, dass ihm durch seine Entstellung und Beeinträchtigungen zahlreiche bei jungen Leuten seines Alters beliebte Freizeitbeschäftigungen verwehrt sind und es auch im sozialen Kontakt zu außergewöhnlichen Hemmungen und Schwierigkeiten kommen kann. Insbesondere die dauernden Schmerzen und die dauernde erhebliche Entstellung sind für alle Zukunft fortwirkende erhebliche Verminderungen seiner Leistungsfähigkeit und Lebensfreude. All dies rechtfertigt - unter Berücksichtigung einer 10%igen Mithaftung - die zusätzliche Festsetzung einer Schmerzensgeldrente in der ausgeurteilten Höhe (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21.02.1991, Az.: 12 U 42/90).

4. Feststellungsantrag

Der Beklagte zu 1 hat nachgewiesen, dass er unter dauernden Beeinträchtigungen leidet und der weitere Verlauf noch nicht endgültig abgesehen werden kann, sodass das notwendige Feststellungsinteresse zu bejahen ist, allerdings mit der durch die Mithaftung bedingten Einschränkung.

5. Nebenforderungen

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten kann der Beklagte zu 1 nicht erstattet verlangen.

Die Klagepartei hat bestritten, dass dem Beklagten zu 1 derartige Kosten tatsächlich entstanden sind und von diesem bezahlt wurden. Da der Beklagte zu 1 insofern keinen Beweis anbot, ist er beweisfällig geblieben. (Im Übrigen führte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 mit Schriftsatz vom 22.12.2015 aus, dass es zu Verzögerungen der Sachbearbeitung seitens der Rechtsschutzversicherung des Beklagten zu 1 kam, was den Schluss nahelegt, dass die Rechtsanwaltskosten von der Rechtsschutzversicherung und nicht vom Beklagten zu 1 bezahlt wurden.) Gemäß § 291 BGB hat der Beklagte zu 1 Anspruch auf die geltend gemachten Prozesszinsen.

Im Übrigen war die Widerklage/Drittwiderklage abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 100 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708, 709, 711 ZPO.

Der Streitwert war jeweils in Höhe der geltend gemachten Hauptforderung gemäß § 3 ZPO bzgl. der Zahlungsansprüche festzusetzen. Die geltend gemachte Rente war gemäß § 9 S. 1 ZPO in Höhe des 3,5-fachen Jahresbetrages zu berücksichtigen. Das Feststellungsinteresse wurde mit 5.000,- € bewertet.

(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.

(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 12. Januar 2012 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 7. April 2011 ereignete. Sie befuhr gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in G. in Richtung Zentrum auf dem Weg zu ihrer dort gelegen Arbeitsstelle. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Die Beklagte zu 1 öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen, prallte gegen die Tür, stürzte zu Boden und fiel auf den Hinterkopf. Dabei zog sich die Klägerin, die keinen Fahrradhelm trug, schwere Schädel-Hirnverletzungen zu. Es steht außer Streit, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat. Die Beklagten lasten der Klägerin jedoch ein Mitverschulden von 50 % an, weil sie keinen Helm getragen hat. Die Beklagte zu 2 hat ihre hälftige Eintrittspflicht außergerichtlich anerkannt.

2

Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dem Feststellungsbegehren mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in r+s 2013, 353 veröffentlicht ist, lastet der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % an, weil sie als Radfahrerin keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Nichttragen eines Schutzhelms für das Ausmaß der erlittenen Kopfverletzungen ursächlich sei. Der Sachverständige Prof. Dr. G. habe dargelegt, dass die eingetretenen Verletzungsfolgen auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten. Das Verletzungsmuster spreche für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Damit würden die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erfahre (sogenannte Contre-coup-Verletzung), gebremst. Da ein Fahrradhelm naturgemäß seine größte Schutzwirkung bei einem leichten bis mittelgradigen Trauma entfalte und beim Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

4

Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründe das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn der Radfahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Auch ohne einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sei ein Mitverschulden anzunehmen, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege; er müsse sich insoweit verkehrsrichtig verhalten. Dies bestimme sich nicht nur nach den geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern auch nach den konkreten Umständen und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem heutigen Erkenntnisstand könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe.

II.

5

Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gemäß §§ 7, 18 StVG - bezüglich der Beklagten zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG - seien wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert, weil die Klägerin keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

6

1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f., und vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11, VersR 2012, 772, Rn. 6, jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219, und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Klägerin erlittenen Kopfverletzungen. Ein Helm hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. Ein Helm habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

7

2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Klägerin erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB.

8

a) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 240 mwN). § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 f., und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1179 mwN). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 16 mwN; BGH, Urteile vom 14. Oktober 1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145; vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, aaO, und vom 29. April 1999 - I ZR 70/97, VersR 2000, 474). Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, BGHZ 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, aaO, und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, aaO; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - I ZR 95/96, VersR 1998, 1443, 1445). Eine Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechtspflicht verletzt hat (vgl. MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 254 Rn. 3 mwN). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369 f. mwN) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurteile vom 10. März 1970 - VI ZR 218/68, - VI ZR 86/69, VersR 1970, 469, 470; vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81, VersR 1983, 440 und vom 10. März 1987 - VI ZR 123/86, VersR 1987, 781).

9

b) Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, aaO, S. 318; vom 27. Juni 1961 - VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 321; vom 18. April 1961 - VI ZR 166/60, VersR 1961, 561, 562; vom 22. Juni 1965 - VI ZR 53/64, VersR 1965, 816, 817 und vom 9. Mai 1978 - VI ZR 212/76, VersR 1978, 923, 924). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Senatsurteile vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369, 370 und vom 10. April 1979 - VI ZR 83/78, VersR 1979, 532). Danach würde es für eine Mithaftung der Klägerin ausreichen, wenn für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit im Jahr 2011 nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war.

10

c) Das Berufungsgericht nimmt an, dass dies der Fall gewesen sei. Es meint, das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt, weshalb nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.

11

aa) Das Berufungsgericht stützt seine Beurteilung im Wesentlichen auf Überlegungen hinsichtlich des besonderen Verletzungsrisikos, dem Radfahrer im Straßenverkehr heute ausgesetzt seien. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten jedoch nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt. Insoweit mag der Fortschritt der Sicherheitstechnik zwar in gewissem Maße Berücksichtigung finden (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 254 Rn. 51 mwN). Die technische Entwicklung hat aber nur bedingte Aussagekraft für die Beurteilung der Frage, welches Verhalten tatsächlich dem heutigen allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht.

12

bb) Der erkennende Senat hat in einer Entscheidung, in der es um die Frage des Mitverschuldens eines Mopedfahrers ging, der bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1974 eine Kopfverletzung erlitt, weil er keinen Helm trug, zu den Voraussetzungen für die Annahme eines verkehrsgerechten Verhaltens näher Stellung genommen (Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, aaO). Er hat dazu ausgeführt, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber früher - nicht zuletzt wegen der zunehmenden Dichte des Verkehrs - bei Mopedfahrern möglicherweise gesteigerte Bewusstsein für solche Gefährdungen ausreichten, um das Fahren ohne Helm als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung könnten Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden, die jedoch nicht vorhanden seien. Ohne solche zureichend verlässlichen Unterlagen könne von einer allgemeinen Überzeugung, dass es für einen ordentlichen und gewissenhaften Mopedfahrer zum eigenen Schutz in jedem Falle erforderlich sei, auf seinen Fahrten einen Schutzhelm zu tragen, so lange nicht gesprochen werden, als selbst der Verordnungsgesetzgeber, von dem zu dieser Frage gewissenhafte Überlegungen und Nachforschungen erwartet werden könnten, noch Ende 1975 die einschlägigen Gefahren relativiert und die Anordnung entsprechender Anschaffungen der Mopedfahrer im Hinblick darauf noch als unzumutbar angesehen habe. Bei dieser Sachlage habe sich dem verunglückten Mopedfahrer zu damaliger Zeit nicht aufdrängen müssen, dass er zu seinem Schutz einen Helm aufsetzen müsse. Davon abgesehen sei nicht festgestellt, ob gerade in der Umgebung, in der er gewohnt habe, bei Mopedfahrern schon eine entsprechende Übung bestanden habe.

13

cc) Diese Erwägungen können auch vorliegend zur Beurteilung verkehrsgerechten Verhaltens herangezogen werden. Anders als damals gibt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, amtliche Statistiken über die tatsächliche Akzeptanz von Fahrradhelmen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten Bundesgebiet durch, bei denen jährlich u.a. das Tragen von Schutzhelmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen im Jahr 2011 über alle Altersgruppen hinweg innerorts elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm (Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschung kompakt 06/12, veröffentlicht auf www.bast.de). Damit sei, so die seinerzeitige Beurteilung seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen, die Helmtragequote gegenüber dem Vorjahr (neun Prozent) leicht gestiegen, sie befinde sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Bei dieser Sachlage ist die Annahme, die Erforderlichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im Jahr 2011 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, nicht gerechtfertigt.

14

Allerdings hat der Arbeitskreis IV des 47. Verkehrsgerichtstages 2009 eine Empfehlung beschlossen, in der es unter Nr. 6 heißt: "Teilnehmern am Radfahrverkehr wird das Tragen eines Helmes sowie dringend der Abschluss einer Haftpflichtversicherung empfohlen" (47. VGT 2009, 8). Der Verordnungsgesetzgeber hat aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang jedoch bewusst davon abgesehen, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen. Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verkehrssicherheit im Radverkehr erklärt, dass die Freiwilligkeit des Tragens eines Fahrradhelmes der Ansatz des gerade verabschiedeten Verkehrssicherheitsprogramms 2011 sei (BT-Drucks. 17/8560, S. 13). Die Einführung einer Helmpflicht wird auch von der derzeitigen Bundesregierung bislang nicht verfolgt. So heißt es im Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode (abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 45) zum Thema Fahrradverkehr vielmehr, man wolle darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen. Solche Aussagen und Empfehlungen mögen langfristig dazu beitragen, die Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen zu erhöhen. Einen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein im Jahr 2011 vermögen sie nicht zu liefern.

15

d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung der Literatur daran festzuhalten, dass Schadensersatzansprüche eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert sind (vgl. OLG Stuttgart, VRS 97, 15, 18 f.; OLG Hamm, VersR 2001, 1257, 1259; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 38, 39 mit Anm. Kettler; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618 f.; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203 f. mit Anm. Jahnke, jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3; OLG Celle, VD 2014, 101, 102 ff. mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 5/2014 Anm. 3; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rn. 62; Jahnke in FS Gerda Müller, 2009, S. 396 mwN; Kettler, Recht für Radfahrer, 3. Aufl., S. 174 ff.; Hufnagel, DAR 2007, 289, 292; Kettler, NZV 2007, 603 f.; Prelinger, juris-PR-VerK 21/2013 Anm. 2 [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; Türpe, VRR 2013, 404, 405 f. [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; aA: Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. Kap. 2 Rn. 58; Staudinger/Schiemann, aaO; vgl. dazu auch Stöhr, zfS 2010, 62, 66 sowie Scholten, SVR 2012, 161 ff.). Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 619, 622; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 266, 267 f.; OLG München, Urteil vom 3. März 2011 - 24 U 384/10, juris Rn. 32; OLG Celle, aaO; MünchKommBGB/Oetker, aaO Rn. 42; Kettler, NZV 2007, 603 ff.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

16

3. Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, keinen Bestand haben. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, kann der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen, denn das Feststellungsbegehren der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet.

Galke                    Wellner                          Pauge

             Stöhr                       Offenloch

Tenor

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 7.672,79 EUR zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 2 wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 24.928,15 EUR vom 29.06.2012 bis 19.11.2012, aus 6.232,04 EUR vom 20.11.2012 bis 26.02.2013, aus 1.909,80 EUR vom 27.02.2013 bis 18.03.2013 sowie aus 7.672,79 EUR seit dem 19.03.2013 zu zahlen.

3. Der Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.672,79 EUR seit dem 12.07.2013 zu zahlen.

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch gegenüber der Klägerin verpflichtet sind, sämtliche zukünftigen Schadensersatzansprüche, die infolge des Verkehrsunfalls vom 26.05.2011 gegen 06:43 Uhr auf der Kreuzung H-Straße/K.-Straße in ... M. zunächst in der Person des Geschädigten H. auf die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin nach Leistung in Form von Heilbehandlungskosten gemäß § 116 SBG X übergehen oder bereits übergegangen sind, über eine bereits eingestandene Haftungsquote in Höhe von 75 % hinaus in vollem Umfang zu tragen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

 
Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus übergegangenem Recht nach einem Rollerunfall.
Der geschädigte Zeuge H. ist bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert. Bei dem Motorroller handelt es sich um ein Leichtkraftrad. Sein Hubraum beträgt etwa 125 cm³. Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit beträgt 90 km/h.
Der Beklagte zu 1 ist Halter eines VW Polo. Das Fahrzeug ist bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert. Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich im November 2011 gegen 6:43 Uhr. Er fand innerorts statt. Wegen der Unfallörtlichkeit wird auf die Skizze der Polizei verwiesen (Seite 21 der Strafakte). Der Beklagte zu 1 hielt an einem Stoppschild an. Dann bog er nach links ab. Er übersah den Geschädigten, der gerade mit dem Motorroller die Vorfahrtsstraße befuhr. Der Geschädigte versuchte vergeblich, zu bremsen. Er hatte jedoch keine Möglichkeit, den Unfall zu vermeiden. Er kollidierte mit dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. Der Geschädigte erlitt eine Oberschenkelschaft- und Schienbeinfrakturen. Zudem erlitt er ein Polytrauma. Inwieweit der Geschädigte Motorradschutzkleidung trug, ist streitig. Es besteht zwar keine Verkehrssitte dahin, dass Motorrollerfahrer Schutzkleidung tragen. Der ADAC empfiehlt jedoch, auf motorisierten Zweirädern stets Motorradschutzkleidung zu tragen. Unstreitig trug der Geschädigte keine mit Protektoren ausgestattete Hose.
Die Klägerin hatte im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen Aufwendungen zu tragen. Wegen des Inhalts dieser Aufwendungen wird auf die Seite 6 der Klageschrift (Aktenseite 15) sowie auf die Anlage K2 verwiesen. Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten zu 2 ab. Sie setzte ihr Zahlungsfristen (Anlagen K3 und K4 = AS 39 und 43).
Die Klägerin behauptet, der Geschädigte habe einen Helm, eine Motorradjacke, knöchelhohe Schuhe und Handschuhe getragen. Selbst wenn der Geschädigte vollständige Schutzkleidung tragen hätte, hätte er die gleichen Verletzungen erlitten.
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 7.672,79 EUR zuzüglich Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 24.928,15 EUR vom 29.06.2012 bis 19.11.2012, aus 6.232,04 EUR vom 20.11.2012 bis 26.02.2013, aus 1.909,80 EUR vom 27.02.2013 bis 18.03.2013 sowie aus 7.672,79 EUR seit dem 19.03.2013 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch gegenüber der Klägerin verpflichtet sind, sämtliche zukünftigen Schadenersatzansprüche, die infolge des Verkehrsunfalls vom 26.05.2011 gegen 06:43 Uhr auf der Kreuzung H-Straße/K.-Straße in M. zunächst in der Person des Geschädigten H. auf die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin nach Leistung in Form von Heilbehandlungskosten gemäß § 116 SBG X übergehen oder bereits übergegangen sind, über eine bereits eingestandene Haftungsquote in Höhe von 75 % hinaus in vollem Umfang zu tragen.
Die Beklagten beantragen,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Sie meinen, dem Geschädigten sei ein Mitverschulden anzulasten. Denn er habe keine Motorradschutzkleidung getragen.
12 
Die Klage ist dem Beklagten zu 1 am 11.07.2013 zugestellt worden (AS 54).
13 
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H.. Es hat sich sachverständig beraten lassen durch mündliches Sachverständigengutachten der Rechtsmedizinerin Dr. G.. Wegen der Angaben des Zeugen und der Sachverständigen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.02.2014 verwiesen (AS 115).

Entscheidungsgründe

 
14 
A. Die Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.
15 
I. Die Klage ist insbesondere hinsichtlich des Feststellungsantrags zulässig. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Ein derartiges rechtliches Interesse liegt vor. Besteht nach einem Unfall die Möglichkeit, dass künftig noch weitere Verletzungsfolgen eintreten, kann ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden bestehen (BGH, Urteile vom 20. 3. 2001 - VI ZR 325/99 und vom 16. 1. 2001 - VI ZR 381/99). So ist es hier. Es ist möglich, dass in der Zukunft noch Spätfolgen der Unfallverletzungen auftreten. Nach der Aussage des Geschädigten ist er nicht vollständig geheilt. Es besteht die Möglichkeit von Dauerschäden.
16 
II. Die Klägerin verlangt zu Recht Schadensersatz aus übergegangenem Recht.
17 
1. Ihr Anspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG. Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz, wenn durch den Betrieb seines Fahrzeugs eine Person verletzt wird. So ist es hier.
18 
a) Die Aktivlegitimation ergibt sich aus § 116 Abs. 1 SGB X. Sie steht zwischen den Parteien außer Streit.
19 
b) Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2 ergibt sich aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Danach kann der Geschädigte im Falle einer Pflichtversicherung seinen Anspruch auch gegen den Versicherer geltend machen.
20 
c) Ein Mitverschulden liegt nicht vor. Nach § 9 StVG findet § 254 BGB auf den Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG entsprechende Anwendung. § 254 BGB regelt das Mitverschulden. Das Mitverschulden betrifft sogenannte Obliegenheitsverletzungen. Dabei handelt es sich um ein Verschulden gegen sich selbst. Der Geschädigte muss alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um sich selbst vor Schäden zu schützen. Natürlich steht es ihm frei, auf derartige Schutzvorkehrungen zu verzichten. Er muss sich seinen Anspruch dann aber gegebenenfalls kürzen lassen (Lorenz, in: Beck-OK-BGB, Stand: 01.03.2011, § 254 Rn. 9).
21 
Das Gericht neigt zu der Auffassung, dass einen Leichtkraftradfahrer generell keine Obliegenheit trifft, Protektorenschutzkleidung zu tragen.
22 
Es gibt keine gesetzliche Pflicht, Motorradschutzkleidung zu tragen. § 21a Abs. 2 StVO normiert lediglich eine Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen.
23 
Das schließt natürlich nicht aus, eine Obliegenheit anzuerkennen, Schutzkleidung zu tragen. Denn Mitverschulden erfordert im Gegensatz zu einem Verschulden nicht, dass der Geschädigte gegen eine Rechtspflicht verstößt. Der Kraftfahrer, der sich in den Verkehr begibt, muss vielmehr alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Gefahr für sich möglichst gering zu halten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2007 - 1 U 182/06).
24 
In diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1979 ein Mitverschulden angenommen, wenn ein Autofahrer sich nicht anschnallt (BGHZ 74, S. 25 (S. 28)). Der damals zu entscheidende Fall weist gewisse Parallelen zum hiesigen Fall auf. Für den zur Entscheidung stehenden Zeitpunkt existierte nämlich noch keine gesetzliche Anschnallpflicht. Allerdings unterschied sich der damalige Fall in einem wesentlichen Punkt vom hier zu entscheidenden. Als der BGH den Fall entschied, war nämlich kurz zuvor eine Gurtpflicht in der StVO verankert worden. Wegen einer Übergangsfrist war sie lediglich auf den zur Entscheidung stehenden Fall noch nicht anwendbar. Gegenwärtig besteht hingegen für keinen Zweiradfahrer eine Pflicht, Schutzkleidung zu tragen.
25 
In einem anderen, noch älteren Fall hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden, ob es ein Mitverschulden darstellt, wenn ein Motorradfahrer keinen Helm trägt. Damals gab es noch keine Helmpflicht. Der Bundesgerichtshof nahm gleichwohl ein Mitverschulden an. Dabei stellte er darauf ab, dass die Post und die Bundeswehr ihre Bediensteten verpflichtet hatten, einen Helm zu tragen. Zudem habe der Bundesminister für Verkehr Kraftradfahrern empfohlen, Helme zu benutzen. Hierbei habe der Minister für das Jahr 1958 festgestellt, dass bereits zahlreiche Fahrer einen Schutzhelm benutzen. Der BGH nahm ein allgemeines Bewusstsein an, dass es notwendig sei, einen Helm zu tragen, um schwere Verletzungen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 09.02. 1965 - VI ZR 253/63 = NJW 1965, S. 1075). Eben in diesem Punkten unterscheidet sich der damalige Fall vom hier zu entscheidenden. Ein solches Bewusstsein besteht in der heutigen Zeit für Schutzkleidung bei Motorrollerfahrern nicht.
26 
Sicherlich ist es im Hinblick auf den Verletzungsschutz vorteilhaft, auch auf einem Motorroller Schutzkleidung zu tragen. Das gilt auch für Innerortsfahrten.
27 
So hat die Sachverständige ausgeführt, Motorradschutzkleidung schütze in erster Linie vor Weichteilverletzungen. Grundsätzlich schützten die Protektoren nur bei geringeren Aufprallgeschwindigkeiten. Während eines Schlittervorgangs schützten sie auch vor scharfkantigen Gegenständen. Inwieweit die Protektoren vor knöchernen Verletzungen schützen, hänge von der Richtung des Anpralls ab. Vor seitlichen Stößen gegen die mit Protektoren geschützte Stelle schützten sie nicht, vor frontalen hingegen schon.
28 
Andererseits greift es zu kurz, das Mitverschulden allein daraus herzuleiten, dass die unterlassene Maßnahme geeignet gewesen wäre, den eingetretenen Schaden zu verringern oder gar zu vermeiden. Denn diese Betrachtungsweise liefe darauf hinaus, maximale Sicherheitsforderungen einzufordern. Maßstab ist aber die vernünftige Verkehrsanschauung (Lorenz a.a.O.). Mithin begründet es noch keine Obliegenheit, Schutzkleidung zu tragen, nur weil sie das Verletzungsrisiko verringert (ebenso für Fahrradhelme: OLG Saarbrücken, Urteil vom 09. Oktober 2007 - 4 U 80/07, juris Rn. 34).
29 
Eine Verkehrsauffassung dahin, dass es geboten ist, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad Schutzkleidung zu tragen, kann das Gericht nicht feststellen.
30 
Ein Indiz für eine Verkehrsauffassung sind jüngere gesetzliche Vorschriften. Sicherlich sieht die Anlage 2.1 zu § 4 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung im Rahmenplan der Ausbildung vor: "Anforderungen an Schutzhelme, geeignete Schutzkleidung, Schuhwerk, Handschuhe und sonstiges Sicherheitszubehör; auffällige, auf weite Entfernung erkennbare Bekleidung, Verletzungsschutz, Wetterschutz". § 17.3.3 der Ausbildungsordnung sieht vor: "Fahren mit Schutzkleidung".
31 
Die Ausbildungsordnung differenziert hinsichtlich der Schutzkleidung nicht zwischen Innerorts- und Überlandfahrten. Zu bedenken ist aber, dass die Ausbildung das Bewusstsein für die Gefahren im Straßenverkehr besonders schärfen soll (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Fahrschüler-Ausbildungsordnung). Dieser Lernzweck endet aber mit bestandener Fahrerlaubnisprüfung. Und selbst bei dieser Prüfung ist keine Ganzkörper-Protektorenschutzkleidung vorgeschrieben.
32 
Anlage 7 zur Fahrerlaubnisverordnung (FEV) sieht nämlich nur vor, dass bei Prüfungen der Klassen A, A1, A2 und AM der Bewerber geeignete Schutzkleidung (Schutzhelm, Handschuhe, anliegende Jacke, mindestens knöchelhohes festes Schuhwerk, z. B. Stiefel) tragen muss.
33 
Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber dazu entschlossen hat, den mit dem Straßenverkehr verbundenen Gefahren in einem detaillierten Regelungswerk zu begegnen. Mit der Helm- und Anschnallpflicht hat er sogar eine Pflicht vorgesehen, sich vor Eigenschäden zu schützen. Aufgrund dieser besonderen gesetzgeberischen Fürsorge kann sich der Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass er sich nicht nur „rechtsneutral", sondern in positivem Sinne verkehrsgerecht verhält, wenn er die Anforderungen der StVO einhält (OLG Saarbrücken a.a.O., juris Rn. 35). Der Gesetzgeber hat die schadensvermeidende Wirkung von Schutzhelmen gesehen. Er hat deren verbindliche Benutzung für Krafträder vorgeschrieben. Andererseits stellt er keine weitergehenden Schutzanforderungen an die Kleidung. Daraus darf ein Kraftfahrer zumindest für Innerortsfahrten schließen, dass er sich verkehrsgerecht verhält, selbst wenn er keine Motorradschutzkleidung trägt.
34 
Man kann auch nicht darauf abstellen, dass Schutzkleidung primär bei geringeren Geschwindigkeiten schützt. Konsequenterweise müsste man dann nämlich auch für Fahrer von Kleinkrafträdern die Obliegenheit annehmen, vollständige Protektorenschutzkleidung zu tragen. Kleinkrafträder haben eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h. Man müsste sogar noch weitergehen: Geschwindigkeiten von 45 km/h werden durchaus auch von sportlich ambitionierten Fahrradfahrern erreicht. Für Rennradfahrer ist jedoch - soweit ersichtlich - noch niemand auf die Idee gekommen, eine Obliegenheit anzunehmen, Protektorenschutzkleidung zu tragen. Selbst eine allgemeine Obliegenheit, einen Fahrradhelm zu tragen, lehnen die Obergerichte überwiegend ab (jüngst OLG Celle, Urteil vom 12.02.2014 - 14 U 113/13 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2007 - 1 U 182/06, juris Rn. 58); und dies, obgleich Helme unter Fahrradfahrern mittlerweile weit verbreitet sind.
35 
Eine Obliegenheit, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad vollständige Schutzkleidung zu tragen, könnte man nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen nur noch annehmen, wenn sich ein derartiges Verkehrsbewusstsein durchgesetzt hätte. Es ist durchaus möglich, dass sich künftig ein derartiges Bewusstsein bilden wird. Gegenwärtig hat sich ein derartiges Bewusstsein aber noch nicht durchgesetzt. Insbesondere besteht unstreitig keine dahingehende Verkehrssitte.
36 
Insofern unterscheiden sich Leichtkrafträder von hochvolumigeren Motorrädern. Für hochvolumige Motorräder mag es eine Obliegenheit geben, Schutzkleidung zu tragen (OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2009 - 12 U 29/09, juris Rn. 18, allerdings auch für Kleinkrafträder; LG Köln, Urteil vom 15.05.2013 - 18 O 148/08, juris Rn. 18 mit zustimmender Anmerkung von Wenker, jurisPR-VerkR 18/2013 Anm. 1; a.A. OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.04.2013 - 3 U 1897/12 -, juris Rn. 20).
37 
Das Gericht hält es aber für unzumutbar, einem Leichtkraftradfahrer gegenwärtig die Obliegenheit aufzuerlegen, bei Innerortsfahrten einen Schutzkombi zu tragen. Er würde Gefahr laufen, spöttische Bemerkungen wegen seines ungewöhnlichen Kleidungsstils zu erhalten. Insofern unterscheiden sich Leichtkraftradfahrer von Motorradfahrern. Unter Motorradfahrern ist es durchaus üblich, vollständige Schutzkleidung zu tragen. Es besteht nicht die Gefahr, sich höhnische Bemerkungen anzuhören. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass hochvolumige Motorräder höhere Geschwindigkeiten erlauben als Leichtkrafträder.
38 
Ob dieses Argument in den Hintergrund tritt, wenn ein Leichtkraftradfahrer bei Außerortsfahrten keine Schutzkleidung trägt, kann dahinstehen. Denn der Unfall ereignete sich innerorts bei maximal 50 km/h. Aus den genannten Gründen trifft den Fahrer eines Leichtkraftrades, jedenfalls wenn er innerorts fährt, keine Obliegenheit, Protektorenschutzkleidung zu tragen.
39 
2. Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Aus obigen Gesichtspunkten sind die Beklagten aus § 7 StVG dem Grunde nach verpflichtet, sämtliche aus dem Unfallereignis resultierenden Schäden vollumfänglich zu ersetzen.
40 
III. Die Zinsentscheidung folgt hinsichtlich der Beklagten zu 2 aus §§ 286; 288 BGB, hinsichtlich des Beklagten zu 1 aus § 291 BGB. Bezüglich des weitergehenden Zinsantrags gegen den Beklagten zu 1 war die Klage abzuweisen. Es besteht nur ein Anspruch auf Prozesszinsen. Der Beklagte zu 1 war nicht in Verzug. Nach § 425 BGB wirkt der Verzug nur gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person er eintritt. Die Klägerin hat nur die Beklagte zu 2 - den Versicherer - vorgerichtlich aufgefordert, zu zahlen. Vom Beklagten zu 1 als Versicherungsnehmer hat sie vorgerichtlich keine Zahlung verlangt. Sie hat ihn weder gemahnt noch ihm gegenüber abgerechnet.
41 
Dass die Beklagte zu 2 aufgrund ihrer Versicherungsbedingungen Empfangsvollmacht für den Beklagten zu 1 hatte, ist nicht vorgetragen (vgl. OLG Nürnberg, NJW 1974, S. 1950 (S. 1951)).
42 
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Das Teilunterliegen wirkt sich kostenmäßig nicht aus. Es betraf eine Nebenforderung. Diese erhöhte den Streitwert gemäß § 43 Abs. GKG nicht.
43 
C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.

Gründe

 
14 
A. Die Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.
15 
I. Die Klage ist insbesondere hinsichtlich des Feststellungsantrags zulässig. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Ein derartiges rechtliches Interesse liegt vor. Besteht nach einem Unfall die Möglichkeit, dass künftig noch weitere Verletzungsfolgen eintreten, kann ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden bestehen (BGH, Urteile vom 20. 3. 2001 - VI ZR 325/99 und vom 16. 1. 2001 - VI ZR 381/99). So ist es hier. Es ist möglich, dass in der Zukunft noch Spätfolgen der Unfallverletzungen auftreten. Nach der Aussage des Geschädigten ist er nicht vollständig geheilt. Es besteht die Möglichkeit von Dauerschäden.
16 
II. Die Klägerin verlangt zu Recht Schadensersatz aus übergegangenem Recht.
17 
1. Ihr Anspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG. Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz, wenn durch den Betrieb seines Fahrzeugs eine Person verletzt wird. So ist es hier.
18 
a) Die Aktivlegitimation ergibt sich aus § 116 Abs. 1 SGB X. Sie steht zwischen den Parteien außer Streit.
19 
b) Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2 ergibt sich aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Danach kann der Geschädigte im Falle einer Pflichtversicherung seinen Anspruch auch gegen den Versicherer geltend machen.
20 
c) Ein Mitverschulden liegt nicht vor. Nach § 9 StVG findet § 254 BGB auf den Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG entsprechende Anwendung. § 254 BGB regelt das Mitverschulden. Das Mitverschulden betrifft sogenannte Obliegenheitsverletzungen. Dabei handelt es sich um ein Verschulden gegen sich selbst. Der Geschädigte muss alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um sich selbst vor Schäden zu schützen. Natürlich steht es ihm frei, auf derartige Schutzvorkehrungen zu verzichten. Er muss sich seinen Anspruch dann aber gegebenenfalls kürzen lassen (Lorenz, in: Beck-OK-BGB, Stand: 01.03.2011, § 254 Rn. 9).
21 
Das Gericht neigt zu der Auffassung, dass einen Leichtkraftradfahrer generell keine Obliegenheit trifft, Protektorenschutzkleidung zu tragen.
22 
Es gibt keine gesetzliche Pflicht, Motorradschutzkleidung zu tragen. § 21a Abs. 2 StVO normiert lediglich eine Pflicht, einen Schutzhelm zu tragen.
23 
Das schließt natürlich nicht aus, eine Obliegenheit anzuerkennen, Schutzkleidung zu tragen. Denn Mitverschulden erfordert im Gegensatz zu einem Verschulden nicht, dass der Geschädigte gegen eine Rechtspflicht verstößt. Der Kraftfahrer, der sich in den Verkehr begibt, muss vielmehr alle zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Gefahr für sich möglichst gering zu halten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2007 - 1 U 182/06).
24 
In diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1979 ein Mitverschulden angenommen, wenn ein Autofahrer sich nicht anschnallt (BGHZ 74, S. 25 (S. 28)). Der damals zu entscheidende Fall weist gewisse Parallelen zum hiesigen Fall auf. Für den zur Entscheidung stehenden Zeitpunkt existierte nämlich noch keine gesetzliche Anschnallpflicht. Allerdings unterschied sich der damalige Fall in einem wesentlichen Punkt vom hier zu entscheidenden. Als der BGH den Fall entschied, war nämlich kurz zuvor eine Gurtpflicht in der StVO verankert worden. Wegen einer Übergangsfrist war sie lediglich auf den zur Entscheidung stehenden Fall noch nicht anwendbar. Gegenwärtig besteht hingegen für keinen Zweiradfahrer eine Pflicht, Schutzkleidung zu tragen.
25 
In einem anderen, noch älteren Fall hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden, ob es ein Mitverschulden darstellt, wenn ein Motorradfahrer keinen Helm trägt. Damals gab es noch keine Helmpflicht. Der Bundesgerichtshof nahm gleichwohl ein Mitverschulden an. Dabei stellte er darauf ab, dass die Post und die Bundeswehr ihre Bediensteten verpflichtet hatten, einen Helm zu tragen. Zudem habe der Bundesminister für Verkehr Kraftradfahrern empfohlen, Helme zu benutzen. Hierbei habe der Minister für das Jahr 1958 festgestellt, dass bereits zahlreiche Fahrer einen Schutzhelm benutzen. Der BGH nahm ein allgemeines Bewusstsein an, dass es notwendig sei, einen Helm zu tragen, um schwere Verletzungen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 09.02. 1965 - VI ZR 253/63 = NJW 1965, S. 1075). Eben in diesem Punkten unterscheidet sich der damalige Fall vom hier zu entscheidenden. Ein solches Bewusstsein besteht in der heutigen Zeit für Schutzkleidung bei Motorrollerfahrern nicht.
26 
Sicherlich ist es im Hinblick auf den Verletzungsschutz vorteilhaft, auch auf einem Motorroller Schutzkleidung zu tragen. Das gilt auch für Innerortsfahrten.
27 
So hat die Sachverständige ausgeführt, Motorradschutzkleidung schütze in erster Linie vor Weichteilverletzungen. Grundsätzlich schützten die Protektoren nur bei geringeren Aufprallgeschwindigkeiten. Während eines Schlittervorgangs schützten sie auch vor scharfkantigen Gegenständen. Inwieweit die Protektoren vor knöchernen Verletzungen schützen, hänge von der Richtung des Anpralls ab. Vor seitlichen Stößen gegen die mit Protektoren geschützte Stelle schützten sie nicht, vor frontalen hingegen schon.
28 
Andererseits greift es zu kurz, das Mitverschulden allein daraus herzuleiten, dass die unterlassene Maßnahme geeignet gewesen wäre, den eingetretenen Schaden zu verringern oder gar zu vermeiden. Denn diese Betrachtungsweise liefe darauf hinaus, maximale Sicherheitsforderungen einzufordern. Maßstab ist aber die vernünftige Verkehrsanschauung (Lorenz a.a.O.). Mithin begründet es noch keine Obliegenheit, Schutzkleidung zu tragen, nur weil sie das Verletzungsrisiko verringert (ebenso für Fahrradhelme: OLG Saarbrücken, Urteil vom 09. Oktober 2007 - 4 U 80/07, juris Rn. 34).
29 
Eine Verkehrsauffassung dahin, dass es geboten ist, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad Schutzkleidung zu tragen, kann das Gericht nicht feststellen.
30 
Ein Indiz für eine Verkehrsauffassung sind jüngere gesetzliche Vorschriften. Sicherlich sieht die Anlage 2.1 zu § 4 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung im Rahmenplan der Ausbildung vor: "Anforderungen an Schutzhelme, geeignete Schutzkleidung, Schuhwerk, Handschuhe und sonstiges Sicherheitszubehör; auffällige, auf weite Entfernung erkennbare Bekleidung, Verletzungsschutz, Wetterschutz". § 17.3.3 der Ausbildungsordnung sieht vor: "Fahren mit Schutzkleidung".
31 
Die Ausbildungsordnung differenziert hinsichtlich der Schutzkleidung nicht zwischen Innerorts- und Überlandfahrten. Zu bedenken ist aber, dass die Ausbildung das Bewusstsein für die Gefahren im Straßenverkehr besonders schärfen soll (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 Fahrschüler-Ausbildungsordnung). Dieser Lernzweck endet aber mit bestandener Fahrerlaubnisprüfung. Und selbst bei dieser Prüfung ist keine Ganzkörper-Protektorenschutzkleidung vorgeschrieben.
32 
Anlage 7 zur Fahrerlaubnisverordnung (FEV) sieht nämlich nur vor, dass bei Prüfungen der Klassen A, A1, A2 und AM der Bewerber geeignete Schutzkleidung (Schutzhelm, Handschuhe, anliegende Jacke, mindestens knöchelhohes festes Schuhwerk, z. B. Stiefel) tragen muss.
33 
Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich der Gesetzgeber dazu entschlossen hat, den mit dem Straßenverkehr verbundenen Gefahren in einem detaillierten Regelungswerk zu begegnen. Mit der Helm- und Anschnallpflicht hat er sogar eine Pflicht vorgesehen, sich vor Eigenschäden zu schützen. Aufgrund dieser besonderen gesetzgeberischen Fürsorge kann sich der Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, dass er sich nicht nur „rechtsneutral", sondern in positivem Sinne verkehrsgerecht verhält, wenn er die Anforderungen der StVO einhält (OLG Saarbrücken a.a.O., juris Rn. 35). Der Gesetzgeber hat die schadensvermeidende Wirkung von Schutzhelmen gesehen. Er hat deren verbindliche Benutzung für Krafträder vorgeschrieben. Andererseits stellt er keine weitergehenden Schutzanforderungen an die Kleidung. Daraus darf ein Kraftfahrer zumindest für Innerortsfahrten schließen, dass er sich verkehrsgerecht verhält, selbst wenn er keine Motorradschutzkleidung trägt.
34 
Man kann auch nicht darauf abstellen, dass Schutzkleidung primär bei geringeren Geschwindigkeiten schützt. Konsequenterweise müsste man dann nämlich auch für Fahrer von Kleinkrafträdern die Obliegenheit annehmen, vollständige Protektorenschutzkleidung zu tragen. Kleinkrafträder haben eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h. Man müsste sogar noch weitergehen: Geschwindigkeiten von 45 km/h werden durchaus auch von sportlich ambitionierten Fahrradfahrern erreicht. Für Rennradfahrer ist jedoch - soweit ersichtlich - noch niemand auf die Idee gekommen, eine Obliegenheit anzunehmen, Protektorenschutzkleidung zu tragen. Selbst eine allgemeine Obliegenheit, einen Fahrradhelm zu tragen, lehnen die Obergerichte überwiegend ab (jüngst OLG Celle, Urteil vom 12.02.2014 - 14 U 113/13 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.02.2007 - 1 U 182/06, juris Rn. 58); und dies, obgleich Helme unter Fahrradfahrern mittlerweile weit verbreitet sind.
35 
Eine Obliegenheit, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad vollständige Schutzkleidung zu tragen, könnte man nach den vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen nur noch annehmen, wenn sich ein derartiges Verkehrsbewusstsein durchgesetzt hätte. Es ist durchaus möglich, dass sich künftig ein derartiges Bewusstsein bilden wird. Gegenwärtig hat sich ein derartiges Bewusstsein aber noch nicht durchgesetzt. Insbesondere besteht unstreitig keine dahingehende Verkehrssitte.
36 
Insofern unterscheiden sich Leichtkrafträder von hochvolumigeren Motorrädern. Für hochvolumige Motorräder mag es eine Obliegenheit geben, Schutzkleidung zu tragen (OLG Brandenburg, Urteil vom 23.07.2009 - 12 U 29/09, juris Rn. 18, allerdings auch für Kleinkrafträder; LG Köln, Urteil vom 15.05.2013 - 18 O 148/08, juris Rn. 18 mit zustimmender Anmerkung von Wenker, jurisPR-VerkR 18/2013 Anm. 1; a.A. OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.04.2013 - 3 U 1897/12 -, juris Rn. 20).
37 
Das Gericht hält es aber für unzumutbar, einem Leichtkraftradfahrer gegenwärtig die Obliegenheit aufzuerlegen, bei Innerortsfahrten einen Schutzkombi zu tragen. Er würde Gefahr laufen, spöttische Bemerkungen wegen seines ungewöhnlichen Kleidungsstils zu erhalten. Insofern unterscheiden sich Leichtkraftradfahrer von Motorradfahrern. Unter Motorradfahrern ist es durchaus üblich, vollständige Schutzkleidung zu tragen. Es besteht nicht die Gefahr, sich höhnische Bemerkungen anzuhören. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass hochvolumige Motorräder höhere Geschwindigkeiten erlauben als Leichtkrafträder.
38 
Ob dieses Argument in den Hintergrund tritt, wenn ein Leichtkraftradfahrer bei Außerortsfahrten keine Schutzkleidung trägt, kann dahinstehen. Denn der Unfall ereignete sich innerorts bei maximal 50 km/h. Aus den genannten Gründen trifft den Fahrer eines Leichtkraftrades, jedenfalls wenn er innerorts fährt, keine Obliegenheit, Protektorenschutzkleidung zu tragen.
39 
2. Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Aus obigen Gesichtspunkten sind die Beklagten aus § 7 StVG dem Grunde nach verpflichtet, sämtliche aus dem Unfallereignis resultierenden Schäden vollumfänglich zu ersetzen.
40 
III. Die Zinsentscheidung folgt hinsichtlich der Beklagten zu 2 aus §§ 286; 288 BGB, hinsichtlich des Beklagten zu 1 aus § 291 BGB. Bezüglich des weitergehenden Zinsantrags gegen den Beklagten zu 1 war die Klage abzuweisen. Es besteht nur ein Anspruch auf Prozesszinsen. Der Beklagte zu 1 war nicht in Verzug. Nach § 425 BGB wirkt der Verzug nur gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person er eintritt. Die Klägerin hat nur die Beklagte zu 2 - den Versicherer - vorgerichtlich aufgefordert, zu zahlen. Vom Beklagten zu 1 als Versicherungsnehmer hat sie vorgerichtlich keine Zahlung verlangt. Sie hat ihn weder gemahnt noch ihm gegenüber abgerechnet.
41 
Dass die Beklagte zu 2 aufgrund ihrer Versicherungsbedingungen Empfangsvollmacht für den Beklagten zu 1 hatte, ist nicht vorgetragen (vgl. OLG Nürnberg, NJW 1974, S. 1950 (S. 1951)).
42 
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Das Teilunterliegen wirkt sich kostenmäßig nicht aus. Es betraf eine Nebenforderung. Diese erhöhte den Streitwert gemäß § 43 Abs. GKG nicht.
43 
C. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.

Im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit ist der Schadensersatz durch Ersatz der Kosten der Heilung sowie des Vermögensnachteils zu leisten, den der Verletzte dadurch erleidet, dass infolge der Verletzung zeitweise oder dauernd seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert oder eine Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten ist. Wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann auch eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.