Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14

bei uns veröffentlicht am19.08.2014

Gericht

Oberlandesgericht Nürnberg

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.1.2014 aufgehoben.

II.

Die Klage wird abgewiesen.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits - beider Instanzen - trägt die Klägerin.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V.

Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 28.791,77 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Höhe der von der beklagten Netzbetreiberin zu gewährenden Vergütung für das Solarkraftwerk der Klägerin.

1. Zur Darstellung des Sachverhalts wird auf den Tatbestand im Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.1.2014 Bezug genommen (Bl. 86/91 d. A.).

2. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 28.791,77 Euro zzgl. Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Klägerin stehe die begehrte Einspeisevergütung zu, weil die von ihr am 23.12.2011 vorgenommenen Handlungen für eine Inbetriebnahme im Sinne des EEG 2009 ausreichten.

Bei Photovoltaikanlagen werde allgemein jedes einzelne Modul als Anlage i. S. d. § 3 Nr. 1 EEG angesehen. Aus der Entscheidung des BGH vom 23.10.2013 zum Anlagenbegriff bei Biogasanlagen ergebe sich nichts anderes, weil im Gegensatz zu Biogasanlagen jedes einzelne Modul Sonnenlicht in elektrische Energie umwandle und es damit zur Erzeugung von Energie keiner weiteren technischen Einrichtung bedürfe.

Für die Herstellung der technischen Betriebsbereitschaft sei maßgeblich, ob die Anlage Strom produziere. Indem am 23.12.2011 die Module mit Glühlampen verbunden wurden und diese zum Leuchten kamen, sei der Nachweis der technischen Betriebsbereitschaft erbracht. Auch der subjektive Betriebswille der Anlagenbetreiberin habe vorgelegen. Die Inbetriebnahme sei auf Geheiß der Klägerin erfolgt, die die entsprechende Verfügungsbefugnis innehatte.

Eine ortsfeste Installation erfordere § 3 Nr. 5 EEG 2009 nicht; ein solches Erfordernis habe auch die Clearingstelle abgelehnt. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Einfügung des Merkmals in § 3 Nr. 5 durch das EEG 2012; in der Begründung gehe der Gesetzgeber davon aus, dass es keine Rückwirkung der Änderung gebe. Die Anordnung einer Rückwirkung bedürfe aber einer gesetzgeberischen Entscheidung.

§ 32 Abs. 2 EEG 2009 stehe der Inbetriebnahme nicht entgegen, weil er nur die letztendliche Platzierung der Module betreffe.

Der Vortrag im Schriftsatz der Beklagten vom 23.12.2013 mache keine Wiedereröffnung der Verhandlung notwendig. Die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 ZPO seien nicht gegeben, und die Beklagte trage keine Tatsachen vor, weshalb sie diese Erkenntnisse erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung mitteile.

Die Höhe der Vergütungsdifferenz sei unstreitig.

3. Gegen das am 16.1.2014 zugestellte (nach Bl. 97 d. A.) Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.2.2014, bei Gericht eingegangen am 13.2.2014, Berufung eingelegt (Bl. 107/108 d. A.) und diese mit Schriftsatz vom 11.4.2014, bei Gericht eingegangen am 15.4.2014, begründet (Bl. 118/128 d. A.), nachdem die Begründungsfrist bis 17.4.2014 verlängert worden war (Bl. 114 d. A.).

Die Beklagte erstrebt Klageabweisung.

Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass am 23.12.2011 der Produktions- und Vertriebsprozess noch gar nicht abgeschlossen gewesen sei, da der zu diesem Zweck bestimmte Liefervertrag frühestens am 6.3.2012 abgeschlossen worden sei. In der Präambel des vorgelegten Vertrages werde nämlich auf eine Anschlusszusage vom 6.3.2012 - offensichtlich Anl. K 4 - Bezug genommen. Aus § 2 des Vertrages gehe hervor, dass zum Leistungsumfang auch Lieferung und Inbetriebnahme der Module gehörten; diese Verpflichtung sei damit erst lange nach dem 23.12.2011 begründet worden.

Der Gesetzesbegründung sei der Wille des Gesetzgebers zu entnehmen, die Inbetriebnahme nicht an Verzögerungen des Netzausbaus scheitern zu lassen; dagegen habe nicht die Inbetriebnahme einer nicht fertig gestellten und zur Einspeisung von Strom ins Netz nicht geeigneten Anlage ermöglicht werden sollen. Die vom Landgericht vertretene Auffassung könne auch nicht aus den Urteilen des LG Erfurt vom 22.3.2007 und des OLG Naumburg vom 11.7.2013 hergeleitet werden. Das Landgericht verkenne, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 3 Nr. 5 EEG keine Rückwirkung anordnen, sondern eine bestehende Unklarheit beseitigen wollte.

Es verstoße gegen § 156 Abs. 1 ZPO, dass das Landgericht die mündliche Verhandlung nicht wieder eröffnet habe. Aus der eigenen Mitteilung der Klägerin an die Bundesnetzagentur gehe der fehlende Wille zu einer Inbetriebnahme am 23.12.2011 hervor.

Am 23.12.2011 sei nicht die Anlage als Einheit in Betrieb genommen, sondern nur an jedem Modul ein Funktionstest durchgeführt worden. Im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 23.10.2013 sei es unrichtig, jedes Modul als „Anlage“ anzusehen. Jedenfalls sei ein einzelnes Modul, das fern des eigentlichen Bestimmungsortes auf einem provisorischen Gestell für kurze Zeit benutzt werde, um eine Glühlampe zu betreiben, keine inbetriebnahmefähige Anlage.

Das Landgericht habe übersehen, dass die Inbetriebnahme am 23.12.2011 in einer Halle stattgefunden habe, so dass die Anlage zu diesem Zeitpunkt nach dem EEG 2009 nicht vergütungsfähig gewesen wäre. Erstmals Mitte 2012 an ihrem neuen Standort habe die Anlage die Voraussetzungen für eine Vergütung erfüllt, so dass auch nur die zu diesem Zeitpunkt geltende Vergütung verlangt werden könne.

4. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Berufung.

Bei Photovoltaikanlagen sei jedes Modul als Anlage im Sinne von § 3 Nr. 1 EEG zu betrachten, weil in jedem Modul - anders als bei Biogasanlagen, wie sie Gegenstand der Entscheidung des BGH vom 23.10.2013 seien - alle zur Stromerzeugung erforderlichen Teile enthalten seien.

Das Vorbringen der Beklagten, dass der Produktions- und Vertriebsprozess am 23.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen sei, sei neu und in der Berufungsinstanz nicht mehr zuzulassen. Jedenfalls erfordere das EEG 2009 keinen abgeschlossenen Produktions- und Vertriebsprozess als Voraussetzung der Inbetriebnahme. Die Clearingstelle stelle darauf ab, dass die maßgebliche Investition getätigt sei und meine nur das Bestehen einer Verfügungsgewalt zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme, nicht den Abschluss eines Generalunternehmervertrages. Außerdem habe der Generalunternehmer am 16.12.2011 eine Rechnung über das Solarkraftwerk gestellt, die am 20./22.12.2011 bezahlt worden sei (Anl. BB 1, BB 2); die Anlagen seien dann an sie geliefert worden, so dass sie am 23.12.2011 Eigentümerin der Module gewesen sei (Anl. BB 3). Der schriftliche Generalunternehmervertrag habe erst nach Mitteilung des Netzverknüpfungspunktes durch die Beklagte geschlossen werden können. Auf ein tatsächliches Angebot der Einspeisung von Strom komme es für die Inbetriebnahme nicht an, sondern erst für den Beginn der Vergütungspflicht. Der Unterschied zu einem bloßen Funktionstest liege in der willentlichen Entscheidung des Betreibers, die Inbetriebsetzung vorzunehmen. Ihre Anmeldung zum Anlagenregister sei am 31.12.2011 erfolgt; die von der Beklagten vorgelegte Anmeldung sei eine nicht von ihr stammende Doppelmeldung (Anl. BB 5).

Die Klägerin habe neben dem Gesetzeswortlaut auch auf die Entscheidungen der Clearing-Stelle - insbesondere den Hinweis 2010/1 - vertrauen dürfen; dies sei mittlerweile in § 50 EEG 2012 normiert.

Mit Schriftsatz vom 31.7.2014 hat die Klägerin vorgetragen, die Fläche der I GmbH, auf der die Anlagen am 23.12.2011 im Auftrag der Klägerin in Betrieb genommen worden seien, befinde sich im Netzgebiet der L (Anl. BB 6). Es handle sich um eine bei Aufstellung des Bebauungsplanes bereits versiegelte Fläche innerhalb eines Konversionsgebietes (Anl. BB 7, BB 8), auf der der erzeugte Strom nach § 32 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 und 2 EEG 2009 vergütungsfähig gewesen sei. Die Inbetriebnahme sei auch der L mitgeteilt und von dieser bestätigt worden (Anl. BB 9). Installation und Netzverknüpfung der Anlagen seien aber bereits zu diesem Zeitpunkt für das Netzgebiet der Beklagten geplant gewesen. Die Verzögerung beim Anschluss der Anlage liege im Verantwortungsbereich der Beklagten, die zunächst nicht in der Lage gewesen sei, einen Netzverknüpfungspunkt zuzuweisen. Es gliche einem Lottospiel, wenn die Klägerin zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme hätte vorhersehen müssen, auf welcher Fläche die Anlage final stehen würde. Eine Versetzung von Anlagen - wie hier von der Fläche der I GmbH nach H - sei aber ausdrücklich zulässig; das schließe ein, dass sie an einem anderen Ort als dem finalen Standort in Betrieb genommen worden seien. Auf die örtliche Lage könne es deshalb für die Inbetriebnahme nicht ankommen. Der Generalunternehmervertrag sei erst nach erfolgter Netzanschlusszusage im Jahr 2012 geschlossen worden, als die Realisierbarkeit in H feststand. Die Klägerin habe das ihrerseits Erforderliche für eine Inbetriebnahme getan, indem sie die Anlage vollständig bezahlte und den Zeitpunkt der Inbetriebnahme bestimmte. Der Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 5 EEG 2009 könne nicht mehr entnommen werden, als dass ein lediglich wörtliches oder schriftliches Anbieten von Strom ohne tatsächliche Stromerzeugung nicht ausreichen solle. Die Inbetriebnahme als Auslöser für den Beginn des gesetzlichen Vergütungszeitraumes sei vom Bestehen des Vergütungsanspruchs zu unterscheiden. Ob „abnahmefähiger“ Strom erzeugt werde, sei nur im Rahmen des Vergütungsanspruchs zu prüfen.

5. Eine Beweisaufnahme vor dem Senat hat nicht stattgefunden.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage, weil der Klägerin der geltend gemachte höhere Vergütungsanspruch nicht zusteht.

Die Klägerin kann ihren Vergütungsanspruch nicht auf § 16 Abs. 1, § 32 EEG in der bis 31.12.2011 geltenden Fassung (EEG 2009), § 66 Abs. 1 EEG in der ab 1.4.2012 geltenden Fassung (EEG 2012) stützen. Denn die Anlagen wurden nach der bis 31.12.2011 geltenden Definition des Begriffs „Inbetriebnahme“ nicht vor dem 31.12.2011 in Betrieb genommen.

1. Nach § 3 Nr. 5 EEG 2009 war „Inbetriebnahme“ umschrieben als die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft, unabhängig davon, ob der Generator der Anlage mit Erneuerbaren Energien, Grubengas oder sonstigen Energieträgern in Betrieb gesetzt wurde.

2. Anlage ist bei der Erzeugung von Strom aus Sonnenenergie das einzelne Modul. Das ergibt sich aus Wortlaut, Begründung und Systematik des EEG 2009.

a) Gemäß § 3 Nr. 1 EEG 2009 ist Anlage jede Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder aus Grubengas.

Nach der Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 1 EEG 2009 ist der Anlagenbegriff weit auszulegen; nach dem Willen des Gesetzgebers zählen neben der stromerzeugenden Einrichtung (Generator) auch sämtliche technisch und baulich erforderlichen Einrichtungen wie beispielsweise deren Antrieb (also Motor, Rotor oder Turbine), Fermenter, Gärrestbehälter, unterirdische geothermische Betriebseinrichtungen, Staumauern oder Türme von Windenergieanlagen zur Anlage; Infrastruktureinrichtungen wie Wechselrichter, Netzanschluss, Anschlussleitungen, eine Stromabführung in gemeinsamer Leitung, Transformatoren, Verbindungswege und Verwaltungseinrichtungen sind dagegen vom Anlagenbegriff nicht erfasst, da diese Einrichtungen nicht der Stromerzeugung dienen (BT-Drs. 16/8148 S. 38).

Der Gesetzgeber hat sich bei der Prägung des Anlagenbegriffs in § 3 Nr. 1 EEG 2009 von einem aus dem allgemeinen Sprachgebrauch abgeleiteten technisch-baulichen Verständnis leiten lassen, dem die Gesamtheit aller nach einem technischen Plan erforderlichen Bestandteile zugrunde liegt. Aus Wortlaut („Einrichtung zur Erzeugung von Strom“) und Begründung ergibt sich außerdem, dass nur die zur Stromerzeugung benötigten Bauteile und Einrichtungen erfasst werden sollen. Eine Anlage wird deshalb aus der Gesamtheit der Gegenstände gebildet, die nach einem bestimmten technischen Plan für die Erzeugung von Strom eingesetzt werden; alle danach zum Betrieb einer Anlage erforderlichen technischen und baulichen Gegenstände bilden gemeinsam die Anlage, wobei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (OLG Düsseldorf v. 5.12.2012 VI-2 U (Kart) 7/12 = ZNER 2013, 55 Tz. 12, 13; ähnlich OLG Oldenburg v. 30.3.2006 14 U 123/05 = ZNER 2006, 158 Tz. 14 - jeweils zitiert nach juris). Aus diesem weiten Anlagenbegriff (BT-Drs. 16/8148 S. 38) - im Gegensatz zu dem des § 3 Abs. 2 S. 1 EEG 2004 - erklärt sich auch die Einführung der engeren Definition des „Generators“ in § 3 Nr. 4 EEG 2012 (BT-Drs. 16/8148 S. 38; OLG Düsseldorf ZNER 2012, 55 Tz. 14).

b) Diese Auslegung wird bestätigt durch die Verwendung eines vergütungsrechtlichen Anlagenbegriffs in § 19 EEG 2009, mit dem mehrere Anlagen im Sinne von § 3 Nr. 1 EEG 2009 zu einer Anlage „ausschließlich zum Zweck der Ermittlung der Vergütung“ zusammengefasst werden, um einem Missbrauch der durch das EEG 2009 gewährten Subventionierung durch ein lediglich dem Zweck der Abschöpfung der höheren Vergütung dienendes Anlagensplitting vorzubeugen (BT-Drs. 16/8148 S. 38, 50; OLG Düsseldorf ZNER 2013, 55 Tz. 16, 13; OLG Schleswig v. 22.3.2012 16 U 107/11 = ZNER 2012, 281).

Bereits in der Vorgängervorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 EEG 2004 war klargestellt, dass mehrere Anlagen zur Erzeugung von Strom aus gleichartigen Erneuerbaren Energien, die mit gemeinsamen für den Betrieb technisch erforderlichen Einrichtungen oder baulichen Anlagen unmittelbar verbunden sind, grundsätzlich als eine Anlage gelten.

Inhaltlich entsprechende Regelungen enthalten auch § 6 Abs. 3 und § 32 Abs. 3 EEG 2012 in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung. Zur Begründung des § 6 Abs. 3 EEG 2012 heißt es dabei, es habe eine Unklarheit bestanden, da nicht die Gesamtanlage, sondern das einzelne Modul als Anlage im Sinne von § 3 gelte. Die Grundsätze zur Auslegung des bisherigen § 19 könnten herangezogen werden; Photovoltaikdachanlagen, die auf verschiedenen Gebäuden und Grundstücken errichtet würden, seien in der Regel nach § 6 Absatz 3 nicht zu einer Anlage zusammenzufassen (BT-Drs. 17/6071 S. 63).

c) Danach ist im vorliegenden Fall jedes Modul des Solarkraftwerks als „Anlage“ im Sinne von § 3 Nr. 1 EEG 2012 zu behandeln (so ausdrücklich BT-Drs. 15/2864 S. 14 zum EEG 2004; OLG Naumburg v. 11.7.2013 2 U 3/13 = ZNER 2013, 527 Tz. 26; OLG Schleswig ZNER 2012, 281 Tz. 16).

Es enthält nicht nur die stromerzeugende Einheit (den Generator), sondern auch die technischen und baulichen Bestandteile (die Halbleiterschichten und die Anschlüsse), die zur Erzeugung von Strom erforderlich sind. Die weiteren zur Einspeisung in das Netz notwendigen Bauteile wie Wechselrichter, Netzanschluss und Anschlussleitungen sind nicht Teil der Anlage, weil sie nicht der Stromerzeugung dienen (BT-Drs. 16/8148 S. 38); das stimmt mit der früheren gesetzlichen Definition in § 3 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. EEG 2004 überein. Für diese Sichtweise spricht auch, dass in § 3 Nr. 1 EEG 2012 bewusst eine Regelung wie in § 3 Abs. 2 S. 2 EEG 2004 entfallen ist und die Zusammenfassung mehrerer Anlagen zu einer Anlage bei der Bestimmung der Vergütungshöhe durch die Bestimmung des § 19 EEG 2012 erfolgen soll (ebenso Thomas/Vollprecht, ZNER 2012, 334/336 f.). Der weite Anlagenbegriff bezieht sich auf die Einbeziehung weiterer technischer Bauteile über den Generator hinaus, nicht auf die Zusammenfassung mehrerer Einzelanlagen zu einer Gesamtanlage (Thomas/Vollprecht, ZNER 2012, 334/337).

3. Die Klägerin hat die Solarmodule nicht vor dem 31.12.2011 in Betrieb genommen.

a) Eine Inbetriebnahme des Generators hat bei den Modulen am 23.12.2011 stattgefunden. Die Klägerin hat unstreitig am 23.12.2011 an jedem der zur Verwendung in dem Solarkraftwerk H vorgesehenen Module eine Glühbirne angeschlossen und durch einfallendes Sonnenlicht zum Leuchten gebracht.

Wird in einem Solarmodul aus Sonnenlicht Strom erzeugt, ist dabei „eine technische Einrichtung, die mechanische, chemische, thermische oder elektromagnetische Energie direkt in elektrische Energie umwandelt“ (§ 3 Nr. 4 EEG 2009), in Betrieb, unabhängig, ob das Modul dafür an dem vorgesehenen Platz angebracht wurde und Strom in das Netz einspeisen könnte. Der Gesetzgeber geht in der Begründung zu § 3 Nr. 4 EEG 2009 davon aus, dass bei der Stromerzeugung aus solarer Strahlungsenergie die Solarzelle selbst die stromerzeugende Einheit, also der Generator, ist, weil durch die Solarzelle die Strahlungsenergie (elektromagnetische Energie) direkt in elektrische Energie umgewandelt wird (BT-Drs. 16/8148 S. 39). Der Generator ist deshalb in Betrieb gesetzt, wenn ein Stromfluss nachgewiesen ist; dazu genügt es, wenn eine Glühbirne zum Leuchten gebracht wird (so auch die Clearingstelle, vgl. Votum v. 29.4.2013 2013/22 S. 6/7, Anl. K 13; v. O, ZNER 2012, 347/350).

b) Bis zum 31.12.2011 bestand aber keine technische Betriebsbereitschaft der Anlagen. Denn dafür reicht es nicht aus, dass mit den Modulen überhaupt Strom erzeugt werden kann. Der Betreiber muss vielmehr das seinerseits Erforderliche getan haben, um damit erzeugten Strom dauerhaft ins Netz einspeisen zu können. Dafür war es nicht ausreichend, die noch in einer Halle auf einer Fläche, die nicht dem zukünftigen Aufstellungs- und Netzanschlussort entsprach, eingelagerten Module provisorisch Strom erzeugen zu lassen.

aa) Der Wortlaut von § 3 Nr. 5 EEG 2009 ist nicht eindeutig. Er lässt sowohl die Auslegung zu, dass die technische Betriebsbereitschaft vorliegt, wenn die Anlage überhaupt Strom erzeugen kann, der in ein Netz eingespeist werden könnte, als auch das Verständnis, dass die Anlage - im Sinne der stromerzeugenden Einheit - zur Stromerzeugung in der geplanten Weise in der Lage ist.

Voraussetzung einer Inbetriebnahme ist allerdings ein Betreiber, d. h. eine Person, die die Anlage für die Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder aus Grubengas nutzt (§ 3 Nr. 2 EEG 2009). Die Clearingstelle spricht davon, dass in der Anlage aufgrund einer durch den Anlagenbetreiber oder in seinem Auftrag vorgenommenen aktiven Handlung erstmals Strom erzeugt und dieser außerhalb der Anlage umgewandelt („verbraucht“) wird (Hinweis vom 25.6.2010 - 2010/1), das OLG Naumburg von dem subjektiven Entschluss einer Person, regelmäßig des Anlagenbetreibers, die Anlage in einen aktiven Betriebszustand zu versetzen (OLG Naumburg ZNER 2013, 527 Tz. 47 - zitiert nach juris; ähnlich Oschmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, § 3 EEG Rn. 82). Damit scheidet eine Inbetriebnahme aus, solange sich die Anlage noch beim Hersteller oder Lieferanten befindet und der künftige Betreiber noch nicht für seine Pläne darüber verfügen kann. Das entspricht auch der von der Clearingstelle EEG verwendeten Formulierung, dass der Produktions- und Vertriebsprozess abgeschlossen sein müsse (Votum v. 29.4.2013 2013/22 S. 6, 8 Anl. K 13). Im vorliegenden Fall hat allerdings die Generalunternehmerin der Klägerin am 16.12.2011 die Anlagen in Rechnung gestellt und die Klägerin hat sie am 20./22.12.2011 bezahlt. Damit ist an eine Übereignung der Solarmodule, die sich noch in einer von der B GmbH gepachteten Halle befanden, im Wege des Besitzkonstituts (§ 930 BGB) zu denken und damit an die Begründung einer Verfügungsbefugnis der Klägerin.

Da es auf die Betriebsbereitschaft der Anlage ankommt, ist auch nicht entscheidend, ob der Netzbetreiber die notwendigen Mitwirkungshandlungen - wie Zuweisung eines Netzanschlusspunktes, Ermöglichen des Netzanschlusses - vorgenommen hat; anderenfalls könnte der Netzbetreiber über den Zeitpunkt der Inbetriebnahme bestimmen und willkürliche Verzögerungen verursachen (BT-Drs. 15/2327 S. 22; BT-Drs. 16/8148 S. 39 LG Erfurt Urt. v. 22.3.2007 3 O 1705/06 Tz. 20 - zitiert nach juris). Dass eine Vergütungspflicht nur besteht, wenn Strom tatsächlich ins Netz eingespeist wird (§§ 16, 21 Abs. 1, § 33 Abs. 2 EEG 2009), spricht - entgegen der Auffassung des OLG Naumburg (Urt. v. 11.7.2013 2 U 3/13 = ZNER 2013, 527) - nicht dagegen, dass die Fähigkeit zur Stromeinspeisung auch schon obligatorischer Bestandteil der Inbetriebnahme sein soll. Dass nur eine tatsächliche Stromlieferung vergütet wird und nicht die Bereitschaft dazu, ist eine zusätzliche Voraussetzung, die keinen Rückschluss darauf zulässt, dass Betriebsbereitschaft auch ohne die Fähigkeit zur abnahmefähigen Produktion von Strom gegeben ist.

bb) Aus der Begründung zu § 3 Nr. 5 EEG 2009 und zu der Vorgängervorschrift im EEG 2004 ergeben sich allerdings Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber von einer Betriebsbereitschaft zur dauerhaften Einspeisung ausging.

In der Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 5 EEG 2009 wird für die Inbetriebnahme auf den Zeitpunkt abgestellt, an dem erstmalig Strom zur Einspeisung in das Netz aufgrund der technischen Bereitschaft des Generators tatsächlich zur Abnahme angeboten wird (BT-Drs. 16/8148 S. 39). Auch der Hinweis, eine Mitwirkung des Netzbetreibers sei nicht erforderlich, um willkürliche Verzögerungen ausschließen zu können (BT-Drs. 16/8148 S. 39), weist in diese Richtung. Nach der Begründung zu § 3 Abs. 4 EEG 2004 (Definition der Inbetriebnahme) sollte es darauf ankommen, dass der Anlagenbetreiber das seinerseits Erforderliche getan habe. Hierzu gehöre insbesondere, dass die Anlage die technischen Voraussetzungen für die erstmalige Einspeisung in das Netz nach den anerkannten Regeln der Technik erfülle; außerdem müsse die Anlage alle allgemein anerkannten technischen sowie die gesetzlichen Anforderungen für einen Dauerbetrieb einhalten. Auf einen Probebetrieb oder eine Mitwirkung des Netzbetreibers komme es zur Bestimmung des Zeitpunkts nicht an, um willkürliche Verzögerungen ausschließen zu können (BT-Drs. 15/2327 S. 22; Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit BT-Drs. 15/2864 S. 30).

Richtig ist allerdings, dass nach dem EEG 2004 der Beginn der Vergütungspflicht allein vom Zeitpunkt der Inbetriebnahme - und nicht wie nach dem EEG 2009 und dem EEG 2012 vom Beginn der Einspeisung - abhing, so dass das Verständnis der Inbetriebnahme nach dem EEG 2004 von den Anforderungen an eine nachfolgende Netzeinspeisung bestimmt war (so die Clearingstelle Hinweis vom 25.6.2012 2010/1 Tz. 76 ff.); daraus folgt aber nicht, dass sich der Begriff der Inbetriebnahme im EEG 2009 trotz fast identischen Wortlautes verändert hätte. Gerade wegen der Abhängigkeit der Vergütungspflicht von der Inbetriebnahme liegt zu § 3 Abs. 4 EEG 2004 die Auslegung nahe, dass ein Zustand erreicht sein muss, in dem die Anlage tatsächlich vergütungspflichtig arbeiten könnte. Aus der Gesetzesbegründung zu § 3 Nr. 5 EEG 2009 ergeben sich - obwohl der Gesetzgeber sich bewusst war, dass die Vorschrift durch die neu eingefügten allgemeinen Vergütungsvorschriften deutlich an Bedeutung verlor (BT-Drs. 16/8148 S. 39) - keine Anhaltspunkte, dass der bisherige Begriffsinhalt eingeschränkt werden sollte.

Vielmehr hat die Änderung des § 3 Nr. 5 EEG zum 1.1.2012 nach der Gesetzesbegründung klarstellende Funktion; „wie nach der bisherigen Rechtslage“ solle auf den Inbetriebsetzungszeitpunkt zur Stromerzeugung nach Herstellung der technischen Betriebsbereitschaft der Anlage selbst abgestellt werden (BT-Drs. 17/6071 S. 61).

cc) Dass es unerheblich für die Bestimmung des Zeitpunkts der Inbetriebnahme sein soll, ob die Anlage zu einem späteren Zeitpunkt an einen anderen Ort versetzt wird (BT-Drs. 16/8148 S. 39; ebenso BT-Drs. 15/2327 S. 22 BT-Drs. 15/2864 S. 30), schränkt dieses Verständnis nur scheinbar ein. Denn dabei geht es - wie der folgende Satz („Für die Dauer und Höhe des Vergütungsanspruchs ist auch nach einer Versetzung das Datum der erstmaligen Inbetriebnahme maßgeblich.“) und die Beispiele zeigen - nicht darum, den Zeitpunkt der Inbetriebnahme vorzuverlegen, sondern darum, die Annahme einer erneuten Inbetriebnahme (mit der Folge eines erneut beginnenden Vergütungszeitraums) nach einer Versetzung oder einem Wechsel der Energiequelle zu verhindern. Ebenso wird der Betreiber davor geschützt, dass nach einer Verlegung der Anlage für ihn ungünstigere Vergütungssätze angewendet werden und damit die Grundlage seiner Investitionsentscheidung entwertet wird.

dd) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage nach einer Zulässigkeit rückwirkender Klarstellungen durch den Gesetzgeber nicht.

Das BVerfG wendet die Grundsätze über die verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung auch an, wenn der Gesetzgeber den Inhalt geltenden Rechts mit Wirkung für die Vergangenheit feststellt oder klarstellend präzisiert. Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes der Boden entzogen, eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden wird oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden soll. Weil das Rückwirkungsverbot jedoch im Vertrauensschutzgrundsatz seine Grenze findet, gilt der Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkung ausnahmsweise nicht, wenn die Betroffenen mit einer Änderung einer unklaren und verworrenen Rechtslage rechnen mussten, oder wenn das bisherige Recht derart systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (BVerfG v. 17.12.2013 1 BvL 5/08 = NVwZ 2014, 577).

Darum geht es bei den Änderungen des EEG aber nicht: weder wird für die Änderungen formell rückwirkende Geltung angeordnet noch auf andere Weise eine abweichende Auslegung verbindlich ausgeschlossen. Die in der Gesetzesbegründung zu der Änderung von § 3 Nr. 5 EEG zum 1.1.2012 enthaltene Aussage, wie nach der bisherigen Rechtslage solle auf den Inbetriebsetzungszeitpunkt zur Stromerzeugung nach Herstellung der technischen Betriebsbereitschaft der Anlage selbst abgestellt werden (BT-Drs. 17/6071 S. 61), ist eine für die Rechtsanwendung nicht verbindliche Rechtsauffassung des Gesetzgebers. Sie betrifft außerdem ein anderes Problem als der vorliegende Fall; im Hinblick auf bestimmte Biogas-Anlagen sollte klargestellt werden, dass eine Inbetriebnahme erst bei Inbetriebnahme der Stromerzeugungseinheit gegeben ist (BT-Drs. 17/6071 S. 61). Die Änderung von § 3 Nr. 5 EEG 2012 zum 1.4.2012 diente zwar erklärtermaßen dazu, bestimmte Praktiken als Inbetriebnahmen auszuschließen, die der Gesetzgeber wegen der dadurch möglichen Beeinflussung des Inbetriebnahmezeitpunkts als unerwünscht ansah (BT-Drs. 17/8877 S. 17). Sie enthält aber keine eindeutige Aussage, ob der Gesetzgeber diese Praktiken schon nach geltendem Recht als nicht ausreichend ansah, wenn es heißt, „künftig“ müssten Photovoltaik-Freiflächenanlagen aufgeständert worden sein und so ausgestattet sein, dass sie dauerhaft Strom erzeugen könnten, insbesondere dauerhaft mit einem Wechselrichter verbunden sein (BT-Drs. 17/8877 S. 17 f.) und in den Übergangsvorschriften festgelegt wurde, dass der am 31.12.2011 geltende Inbetriebnahmebegriff für die Frage einer Inbetriebnahme bis 31.12.2011 weiter angewendet werden solle (§ 66 Abs. 1 EEG idF ab 1.4.2012; BT-Drs. 17/8877 S. 27).

ee) Die Forderung nach einem zur bestimmungsgemäßen Einspeisung bereiten Zustand entspricht auch dem Sinn des EEG.

Das EEG will Investitionen in Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien durch die Gewährung von Mindestvergütungen ermöglichen. Die Herstellung der Betriebsbereitschaft und die Inbetriebnahme sind kein Selbstzweck. Sie sind die Grundlage für die Einspeisung von Strom in das Netz, mit der die Vergütungspflicht beginnt, und damit mehr als ein Funktionstest. Das EEG soll zwar Planungs- und Investitionssicherheit ermöglichen; sein Hauptziel ist aber der Klimaschutz durch Erhöhung des Anteils Erneuerbarer Energien an der Energieversorgung (§ 1 EEG 2009; BT-Drs. 16/8148 S. 35/37). Der bei der Gesetzesänderung zum 1.1.2012 gewährte Vertrauens- und Bestandsschutz sollte nur für Anlagen gewährt werden, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Betrieb gegangen waren (BT-Drs. 17/6071 S. 93 f.). Die Forderung, eine Anlage an das Netz anzuschließen und den Strom zu vergüten, setzt voraus, dass die Anlage dazu auch in der Lage ist. Es besteht keine Notwendigkeit, den Anlagenbetreiber weitergehend zu schützen oder ihm einen weitergehenden Einfluss auf die Vergütungshöhe zu ermöglichen. Solange die Anlage nicht in der Lage ist, Strom zu erzeugen und ins Netz einzuspeisen, ist der Betreiber im Hinblick auf eine bestimmte Vergütungshöhe nicht schutzwürdig; denn er wäre nicht in der Lage, sich diese Vergütung zu verdienen. Technisch betriebsbereit ist eine Anlage daher dann, wenn sie fertig gestellt ist, also grundsätzlich und tatsächlich dauerhaft Strom erzeugen kann (ebenso Oschmann, in: Danner/Theobald, Energierecht, § 3 EEG Rn. 79, 82). Auch der BGH geht in zwei Entscheidungen, die eine Biogas- und eine Pflanzenölanlage betreffen, davon aus, dass die technische Betriebsbereitschaft der Anlage erst hergestellt ist, wenn diese so angeschlossen ist, dass sie - wenn auch nach einer Phase des Hochfahrens der Anlage mittels Einsatzes von fossilen Brennstoffen - durch den Einsatz von Erneuerbaren Energien dauerhaft Strom erzeugen kann (BGH v. 21.5.2008 VIII ZR 308/07 = ZNER 2008, 231; v. 16.3.2011 VIII ZR 48/10 = ZNER 2011, 322 Tz. 16; ebenso LG Erfurt Urt. v. 22.3.2007 3 O 1705/06 Tz. 18 - jeweils zitiert nach juris). Nach der zum EEG 2004 ergangenen Entscheidung des OLG Oldenburg reichen die bauliche Fertigstellung und ein Probebetrieb für eine Inbetriebnahme nicht aus (OLG Oldenburg ZNER 2006, 158). Die Clearingstelle EEG stellt (allerdings mit der Einschränkung „insbesondere“) darauf ab, ob der Produktions- und Vertriebsprozess abgeschlossen ist und hat das für einen Fall bejaht, in dem sich die Module auf dem Grundstück befanden, wo sie angeschlossen werden sollten (Votum v. 29.4.2013 2013/22 S. 6, 8 Anl. K 13); ebenso lag es in den Sachverhalten, die dem Votum 2013/29 vom 13.5.2013 und dem Votum 2013/26 vom 23.4.2013 zugrunde lagen (Anl. K 14, K 15).

In diesem Zusammenhang kann auch nicht argumentiert werden, bereits vorher liege eine schützenswerte Investition des (künftigen) Anlagebetreibers vor, die dieser im Vertrauen auf bestimmte Vergütungssätze getätigt habe. Die Clearingstelle EEG stützt in den oben genannten Voten ihre Entscheidung darauf, dass der Betreiber die maßgebliche Investition getätigt habe (Clearingstelle Hinweis vom 25.6.2010 - 2010/1 Tz. 96); nicht überzeugend ist es aber, dass dies auch gelte, wenn der Betreiber eine entsprechende Verpflichtung eingegangen sei (Clearingstelle a. a. O.). Zum Zeitpunkt der vertraglichen Bindung, d. h. der Bestellung der Anlage, kann nach dem Wortlaut des § 3 Nr. 5 EEG 2009 und auch nach der Auslegung der Bestimmung durch die Clearingstelle selbst noch keine Inbetriebnahme angenommen werden. Dazu bedarf es jedenfalls der Herstellung einer Verfügungsmöglichkeit des künftigen Betreibers über die Anlage(n) und deren technischer Bereitschaft, aufgrund einer Handlung des Betreibers überhaupt Strom zu erzeugen. Die Regelung der Inbetriebnahme hat auch nicht die Funktion, Vertrauensschutz zu gewähren; das erfolgt durch die Übergangsvorschriften (§ 66 EEG 2012), in denen für die Abgrenzung zwischen der Anwendung neuen und der Anwendung alten Rechts auf die Inbetriebnahme abgestellt wird.

Vielmehr könnten bei einem Abstellen auf die Funktionsfähigkeit nur des Moduls ohne Bestehen der Voraussetzungen für seinen geplanten Einsatz Module mit „eingefrorenen“ Vergütungssätzen erzeugt werden, die zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt erst eingesetzt werden.

Für das Einsetzen der Vergütungsminderungen wäre es zwar möglich, auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor oder nach dem Stichtag abzustellen; der Gesetzgeber hat sich aber für den Zeitpunkt der Inbetriebnahme entschieden. Dieser Entscheidung läuft es aber zuwider, wenn es ausreicht, einen Vertrag über die Lieferung von Solarmodulen abgeschlossen zu haben, damit sich der Besteller durch einen Funktionstest oder eine provisorische Stromerzeugung einen bestimmten Vergütungssatz für die Zukunft sichern kann, unabhängig davon, wann die Anlage tatsächlich in der Lage ist, Strom in das Netz einzuspeisen.

ff) Nach diesen Grundsätzen lag keine wirkliche Betriebsbereitschaft der Solarmodule vor; der Klägerin fehlte ein auf dauerhafte Inbetriebnahme gerichteter Wille. Die einzelnen Module befanden sich verpackt in einer Lagerhalle, die die B GmbH gepachtet hatte und der Klägerin (nur) zum Zweck der Inbetriebnahme zur Verfügung stellte; zur „Inbetriebnahme“ wurden sie auf ein provisorisches Gestell gesetzt und dann wieder verpackt (Bl. 4 d. A., Anl. K 5 bis K 7). Um bestimmungsgemäß und dauerhaft Strom in das Netz liefern zu können, mussten die Module noch - anders als in den Sachverhalten, die dem Hinweis der Clearingstelle EEG vom 25.6.2010, ihren Voten vom 23.4 und vom 13.5.2013 und dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall zugrunde lagen - auf die gemietete Fläche verbracht und dort aufgestellt werden. Die Klägerin vergleicht den vorliegenden Fall mit der Montage der Anlagen auf einem Ziegel am Dach; dieser

Vergleich wäre nur zutreffend, wenn die Anlagen nach der ersten Stromerzeugung wieder abgenommen und verpackt würden. Er zeigt dann aber, dass gerade noch keine Bereitschaft zu einer auf Dauer angelegten Stromerzeugung bestand. Dabei bleibt noch unberücksichtigt, dass es sich um ein anderes Dach als dasjenige handeln würde, auf dem die Module später montiert werden sollen. Auch der Vertriebsprozess war noch nicht abgeschlossen, weil die Generalunternehmerin B H GmbH ihre Leistung in wesentlichen Teilen noch gar nicht erbracht hatte. Sie hatte es nicht nur übernommen, die Module zu beschaffen. Zu ihren vertraglichen Leistungen gehörten die Verbringung der Module auf das von der Klägerin gepachtete Grundstück, ihre Aufstellung und ihr Anschluss an das Stromnetz (§ 1 des Generalunternehmervertrages Anl. K 1).

Es kommt daher nicht darauf an, ob der Generalunternehmervertrag tatsächlich schon im Jahr 2011 geschlossen worden war und ob die Klägerin nach Zahlung der Rechnung vom 16.12.2011 (Anl. BB 1, BB 2) Eigentümerin der Module oder auf sonstige Weise verfügungsberechtigt geworden war.

Dass der Wille der Klägerin nicht auf eine auf Dauer angelegte Stromerzeugung mit den Modulen gerichtet war, wird auch deutlich, wenn man - wie es die Klägerin mit Schriftsatz vom 31.7.2014 vorgetragen hat - berücksichtigt, dass am 23.12.2011 eine Aufstellung und Netzverknüpfung der Module nicht im Netzgebiet der L - wo sich die Halle der I GmbH befand -, sondern in dem der Beklagten geplant war und noch gar nicht absehbar war, auf welcher Fläche die Module final stehen würden.

gg) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie habe den Entscheidungen der Clearingstelle vertrauen dürfen.

Sie verweist dazu auf § 50 S. 2 EEG 2012, wonach bei der Prüfung von Abrechnungen nach §§ 47 bis 49 EEG 2012 die höchstrichterliche Rechtsprechung sowie Entscheidungen der Clearingstelle nach § 57 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EEG, die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben, und Entscheidungen nach § 57 Abs. 4 EEG zu berücksichtigen sind. Die Bestimmung des § 50 S. 2 EEG 2012 bezieht sich aber auf das Verhältnis Netzbetreiber - vorgelagerter Übertragungsnetzbetreiber (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 EEG 2012) oder der Übertragungsnetzbetreiber untereinander oder gegenüber Elektrizitätsversorgungsunternehmen (§§ 48, 49 EEG 2012), nicht auf das Verhältnis Betreiber - Netzbetreiber. Im Übrigen kann ein Hinweis oder eine Entscheidung der Clearingstelle EEG ohne entsprechende gesetzliche Anordnung keine weitergehende Vertrauensgrundlage schaffen als eine vorhandene Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass am 31.12.2011 lediglich der Hinweis vom 25.6.2010 vorlag und noch keine obergerichtliche Entscheidung zum Begriff der Inbetriebnahme ergangen war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

IV.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Auslegung des Begriffs „Inbetriebnahme“ in § 3 Nr. 5 EEG 2009 trotz der inzwischen erfolgten Gesetzesänderungen zum 1.1. und zum 1.4.2012 über den vorliegenden Einzelfall hinaus auch für andere Anlagen von Bedeutung ist und weil sich dazu - wie die abweichenden Entscheidungen des OLG Naumburg und der Clearingstelle EEG zeigen - keine einheitliche Auffassung herausgebildet hat.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e
Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14 zitiert 7 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Zivilprozessordnung - ZPO | § 711 Abwendungsbefugnis


In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt e

Zivilprozessordnung - ZPO | § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung


(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen. (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn 1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295),

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 930 Besitzkonstitut


Ist der Eigentümer im Besitz der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, dass zwischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis vereinbart wird, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt.

Referenzen - Urteile

Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Oberlandesgericht Nürnberg Urteil, 19. Aug. 2014 - 1 U 440/14 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 16. März 2011 - VIII ZR 48/10

bei uns veröffentlicht am 16.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 48/10 Verkündet am: 16. März 2011 Ermel, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Mai 2008 - VIII ZR 308/07

bei uns veröffentlicht am 21.05.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VIII ZR 308/07 Verkündet am: 21. Mai 2008 Vorusso, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 17. Dez. 2013 - 1 BvL 5/08

bei uns veröffentlicht am 17.12.2013

Tenor § 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nich

Referenzen

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

Ist der Eigentümer im Besitz der Sache, so kann die Übergabe dadurch ersetzt werden, dass zwischen ihm und dem Erwerber ein Rechtsverhältnis vereinbart wird, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt.

Tenor

§ 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit danach § 40a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, rückwirkend bereits in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anzuwenden ist.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 43 Abs. 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) insofern gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, als darin die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle von dieser Vorschrift erfassten, noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen angeordnet worden ist. Dies hat zur Folge, dass Teilwertabschreibungen einer Körperschaft auf Anteile an Aktienfonds den steuerlichen Gewinn auch der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 nicht mehr mindern.

A.

I.

2

1. Das Recht der inländischen Investmentgesellschaften war bis zum 31. Dezember 2003 im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften geregelt. Die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes datiert vom 16. April 1957 (BGBl I S. 378). Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften enthielt die aufsichts- und steuerrechtlichen Vorschriften für inländische Kapitalanlagegesellschaften. Die entsprechenden Vorschriften für ausländische Kapitalanlagegesellschaften waren in dem ebenfalls zum Jahresende 2003 ausgelaufenen Auslandinvestment-Gesetz (AuslInvG) - ursprünglich in der Fassung vom 28. Juli 1969 (BGBl I S. 986) - enthalten.

3

Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und das Auslandinvestment-Gesetz wurden im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2676) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 durch das Investmentgesetz (InvG) für das Aufsichtsrecht und das Investmentsteuergesetz (InvStG) für das Steuerrecht abgelöst. Das Investmentgesetz wurde inzwischen durch das am 22. Juli 2013 in Kraft getretene Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ersetzt (BGBl I S. 1981), das Investmentsteuergesetz besteht fort.

4

Die Vorlage betrifft die Endphase der zeitlichen Anwendung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften. In dem Gesetzgebungsverfahren zum Investmentmodernisierungsgesetz setzte sich der Gesetzgeber unter anderem mit einem Auslegungsproblem zur ertragsteuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auseinander (vgl. § 8 InvStG). Es ging um die Frage, ob der in § 8b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung vorgesehene Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 79; BGBl I 2000, S. 1433 <1453>, S. 1850 <1854> und BGBl I 2001, S. 3858 <3863>) auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung findet, obwohl § 40a KAGG auf diese Vorschrift nicht verwies. Der Gesetzgeber erstreckte die seiner Auffassung nach im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nur klarstellende Lösung, wonach § 8b Abs. 3 KStG auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung finde, durch eine Änderung des auslaufenden Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften zugleich auf die Vergangenheit. Die dies anordnenden Regelungen des § 40a Abs. 1 Satz 2 und des § 43 Abs. 18 KAGG wurden in das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I S. 2840), das auch Korb II-Gesetz genannt wird, aufgenommen. Die Gesetzgebungsverfahren zum Korb II-Gesetz und zum Investmentmodernisierungsgesetz wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 durchgeführt (vgl. zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung BRDrucks 560/03 vom 15. August 2003 und BRDrucks 609/03 vom 28. August 2003; vgl. BTDrucks 15/1518, 15/1553). Das Investmentmodernisierungsgesetz wurde am 19. Dezember 2003, das Korb II-Gesetz am 27. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt verkündet.

5

2. Hintergrund der Einführung des § 40a Abs. 1 KAGG war der Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (später Teileinkünfteverfahren). Dieser Systemwechsel (vgl. dazu BVerfGE 125, 1; 127, 224) hatte zu Änderungen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Auslandinvestment-Gesetzes geführt (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132). An den durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) eingeführten, zunächst nur aus einem Satz bestehenden § 40a Abs. 1 KAGG a.F. wurde durch das Korb II-Gesetz vom 22. Dezember 2003 ein zweiter Satz (im nachfolgenden Text in Fettdruck wiedergegeben) angefügt, für den es in der vorherigen Fassung noch keine Entsprechung gegeben hatte.

6

§ 40a KAGG in der hier maßgeblichen Fassung des Korb II-Gesetzes lautet:

7

§ 40a KAGG

(1) 1Auf die Einnahmen aus der Rückgabe oder Veräußerung von Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen, die zu einem Betriebsvermögen gehören, sind § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit sie dort genannte, dem Anteilscheininhaber noch nicht zugeflossene oder als zugeflossen geltende Einnahmen enthalten oder auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören. 2Auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilsscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, sind § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit die Gewinnminderungen auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören.

(2) …

8

Die zeitliche Anwendung des § 40a Abs. 1 KAGG wurde durch das Korb II-Gesetz in § 43 Abs. 18 KAGG wie folgt festgelegt:

9

§ 43 KAGG

(1) bis (17) …

(18) § 40a Abs. 1 in der Fassung des Artikels 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2840) ist für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Festsetzungen noch nicht bestandskräftig sind.

10

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17) handelt es sich bei § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG um eine "redaktionelle Klarstellung, dass § 8b Abs. 3 KStG auch bei Investmentanteilen gilt, wenn Verluste aus der Veräußerung der Anteilscheine oder Teilwertminderungen auf Wertminderungen der in dem Wertpapier-Sondervermögen befindlichen Beteiligungen beruhen".

11

Auf der Ebene der Finanzgerichte ist umstritten, ob die Vorschrift des § 40a Abs. 1 KAGG mit dem neuen Satz 2 im Vergleich zur vorherigen Gesetzesfassung ohne den Satz 2 - wie im Vorlagebeschluss vertreten - als konstitutive, die bisherige Rechtslage ändernde Regelung oder als deklaratorische, die bisherige Rechtslage lediglich klarstellende Regelung anzusehen ist (vgl. Finanzgericht München, Urteile vom 28. Februar 2008 - 7 K 917/07 -, EFG 2008, S. 991, - dazu BFHE 227, 73 - und vom 17. März 2009 - 6 K 3474/06 -, EFG 2009, S. 1053, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 33/09, sowie Gerichtsbescheid vom 18. September 2012 - 7 K 2684/10 -, EFG 2013, S. 72, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 74/12).

12

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des einfachen Rechts in dieser Frage liegt noch nicht vor. Beim Bundesfinanzhof sind zwei Revisionsverfahren hierzu anhängig (I R 33/09 und I R 74/12). Beide beziehen sich auf das Jahr 2002, welches auch das Streitjahr in dem Ausgangsverfahren der hier zu behandelnden Vorlage ist. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu dem § 40a Abs. 1 KAGG a.F. betreffenden Auslegungsproblem ist noch nicht ergangen (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2013 zur Aussetzung des Revisionsverfahrens I R 74/12, BFH/NV 2013, S. 1452).

13

3. Nach dem um den Satz 2 ergänzten § 40a Abs. 1 KAGG bleiben Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen einer Kapitalgesellschaft an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, bei der steuerlichen Gewinnermittlung unberücksichtigt. Im Gegensatz zur vorherigen Fassung enthält § 40a Abs. 1 KAGG neben der ausdrücklichen Verweisung auf § 8b Abs. 2 KStG durch den neuen Satz 2 nunmehr auch eine ausdrückliche Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG.

14

§ 8b KStG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 15. Oktober 2002 (BGBl I S. 4144, nachfolgend als KStG a.F. bezeichnet) lautet auszugsweise:

15

§ 8b KStG

Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen

(1) …

(2) 1Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes gehören, oder an einer Organgesellschaft im Sinne der §§ 14, 17 oder 18, aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Nennkapitals oder aus dem Ansatz des in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes bezeichneten Werts sowie Gewinne im Sinne des § 21 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes außer Ansatz. 2Das gilt nicht, soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist. 3Veräußerung im vorstehenden Sinne ist auch die verdeckte Einlage.

(3) Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen.

(4) bis (7) …

16

§ 8 Abs. 3 KStG a.F. ("bei der Gewinnermittlung") ist mit § 8b Abs. 3 Satz 3 der aktuellen Fassung des KStG ("bei der Ermittlung des Einkommens") nahezu wortgleich. Bei dem steuerlichen Begriff des Teilwerts handelt es sich nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) um den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, wobei davon auszugehen ist, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (vgl. die Legaldefinition in § 10 Bewertungsgesetz). Sinkt der Teilwert im Vergleich zu den Anschaffungskosten, den Herstellungskosten oder zu dem Restbuchwert eines Wirtschaftsguts, kann eine Verpflichtung zur Teilwertabschreibung bestehen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG; vgl. zum Handelsrecht § 253 HGB). Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert mindern grundsätzlich das zu versteuernde Einkommen. In den Fällen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG8b Abs. 3 KStG a.F.) gilt das jedoch ausnahmsweise nicht; hierunter fallende Gewinnminderungen bleiben steuerlich unberücksichtigt. Nach der Begründung zum Absatz 3 im Entwurf des Steuersenkungsgesetzes bleiben Veräußerungsverluste und Teilwertabschreibungen steuerlich unberücksichtigt, ebenso Wertaufholungen ("Konsequenz aus der Befreiung der Veräußerungsgewinne", vgl. BTDrucks 14/2683, S. 124; vgl. zu "Regelungssymmetrie" und steuersystematischer Korrektheit auch Gosch, in: Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 260 f.). Eine Ausnahme von der Steuerbefreiung sei vorgesehen, soweit sich Teilwertabschreibungen in früheren Jahren gewinnmindernd ausgewirkt hätten (vgl. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F., inzwischen Satz 4), insoweit sei eine Wertaufholung oder ein Veräußerungsgewinn zu versteuern.

17

Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen (vgl. § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG), können - wie im Ausgangsverfahren des Finanzgerichts - bei im Wert gefallenen Anteilen an Aktienfonds vorliegen. Die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. hat zur Folge, dass diesbezügliche Teilwertabschreibungen - zum Beispiel infolge von Kursstürzen an der Börse - bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Körperschaft nicht berücksichtigt werden.

II.

18

Das Ausgangsverfahren betrifft die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums 2002 der dortigen Klägerin. Sie ist ein Kreditinstitut, das am 31. Dezember 2002 (Stichtag des Jahresabschlusses) in seinem Umlaufvermögen Anteile an zwei Investmentfonds hielt. Zum 31. Dezember 2002 waren die Börsenkurse der Anteilscheine an diesen Fonds unter die jeweiligen im Jahresabschluss des Vorjahres ausgewiesenen Buchwerte gesunken.

19

Die klagende Bank nahm in ihrer am 14. Januar 2003 erstellten Handelsbilanz für das Jahr 2002 Abschreibungen auf die Fonds in Höhe von insgesamt 392.643,53 € vor. In seinem Lagebericht beschrieb der Vorstand den "stärksten Kurseinbruch in der Geschichte des DAX". Für den deutschen Aktienindex (DAX) sei das Jahr 2002 das dritte Verlustjahr in Folge gewesen. Nachdem der Index bereits in den Jahren 2000 und 2001 um 8% beziehungsweise 20% an Wert verloren habe, habe er im Jahr 2002 mit dem Verlust von 44% (DAX-Stand zum Jahresende 2002: 2.892,63 Punkte) die höchste Einbuße in seiner Geschichte verzeichnet.

20

In der am 10. Juli 2003 erstellten Steuerbilanz für das Jahr 2002 führten die Abschreibungen auf die Fondsanteile, nachdem deren Kurswerte bis zur Erstellung der Steuerbilanz wieder gestiegen waren, zu einer Gewinnminderung in Höhe von 357.493,73 €. Die Klägerin wurde gemäß ihrer im August 2003 beim Finanzamt eingereichten Körperschaftsteuererklärung veranlagt. Die Körperschaftsteuer laut dem ursprünglichen Bescheid vom 22. Oktober 2003 betrug 95.509 €.

21

Nach der Verabschiedung des Korb II-Gesetzes reichte die Klägerin Ende Februar 2004 beim Finanzamt eine geänderte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2002 ein. Unter anderem erhöhte sie den bislang erklärten Gewinn um die für das Jahr 2002 vorgenommenen, als steuerwirksam behandelten Teilwertabschreibungen. Gleichzeitig kündigte die Klägerin einen Einspruch an, den sie sodann nach Erlass des Änderungsbescheids vom 27. April 2004 einlegte.

22

Im Rahmen einer während des Einspruchsverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung teilte der Prüfer unter Hinweis auf das Korb II-Gesetz die Auffassung der Finanzverwaltung, dass eine steuerliche Berücksichtigung der Teilwertabschreibung gemäß § 8b Abs. 3 KStG a.F. ausgeschlossen und der Gewinn daher entsprechend zu erhöhen sei. Unter Berücksichtigung der sich erhöhenden Gewerbesteuer-Rückstellung ergab sich im Hinblick auf die im Streit stehende Teilwertabschreibung für 2002 eine Gewinnerhöhung um einen Betrag von 282.019,50 €, die in dieser Höhe dem Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 13. April 2005 zugrunde gelegt wurde. Das Finanzamt setzte die Körperschaftsteuer nunmehr auf 140.570 € fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.

23

Mit der gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage macht die Klägerin im Ausgangsverfahren geltend, § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG wirke in Verbindung mit der Anwendungsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in konstitutiver und verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in abgeschlossene Veranlagungszeiträume zurück. Sie beantragt eine Herabsetzung des zu versteuernden Einkommens um den Betrag von 282.019,50 €.

III.

24

Das Finanzgericht hat das Ausgangsverfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (veröffentlicht in EFG 2008, S. 983).

25

Das vorlegende Gericht hält § 43 Abs. 18 KAGG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG für verfassungswidrig, weil die neue Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht lediglich klarstellend sei, sondern eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. § 8b Abs. 3 KStG sei weder unmittelbar auf Anteilscheine anwendbar gewesen, noch habe § 40a Abs. 1 KAGG a.F. die sinngemäße Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG angeordnet, noch folge der Ausschluss der Teilwertabschreibungen vom steuerrechtlichen Abzug bei der Gewinnermittlung aus § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 3c Abs. 1 EStG. Insbesondere der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. mit der dort fehlenden Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG a.F. und eine systematische Auslegung der Vorschrift, wonach die steuerliche Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Anteilscheine nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führe, sprächen dafür, dass bis zur Neuregelung des § 40a Abs. 1 KAGG Teilwertabschreibungen bei Anteilscheinen gewinnmindernd berücksichtigungsfähig gewesen seien. Diese Möglichkeit werde rückwirkend versagt. Keine der Ausnahmefallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung zulässig sein könne, sei einschlägig.

IV.

26

Zu dem Vorlagebeschluss haben Stellung genommen das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bundessteuerberaterkammer, ein Zusammenschluss der Bundesverbände aus dem Bereich des Bankwesens, das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. sowie - im Auftrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens - Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön.

27

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig und überdies für unbegründet. Das vorlegende Gericht setze sich nicht näher mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung auseinander. § 43 Abs. 18 KAGG erfülle nicht den Tatbestand einer echten Rückwirkung. Der Verweis in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf § 8b Abs. 3 KStG sei nur deklaratorisch. Bereits § 40a Abs. 1 KAGG a.F. habe die Anwendung des Abzugsverbots nach § 8b Abs. 3 KStG mit eingeschlossen. Das Bundesministerium der Finanzen verweist ferner auf die Urteile des Finanzgerichts München vom 28. Februar 2008 (EFG 2008, S. 991) und vom 17. März 2009 (EFG 2009, S. 1053).

28

In den übrigen Stellungnahmen wird, soweit sie sich inhaltlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen äußern, die Auffassung des vorlegenden Finanzgerichts Münster geteilt, dass § 43 Abs. 18 KAGG die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise anordne.

29

Der Bundesfinanzhof hat inhaltlich nicht Stellung bezogen. Das Offenlassen der verfassungsrechtlichen Frage in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 - I R 27/08 - (BFHE 227, 73) hat er mit der in diesem Fall gemeinschaftsrechtlich bedingten Unanwendbarkeit der Vorschrift begründet.

B.

I.

30

Die Vorlage ist zulässig.

31

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; 133, 1 <11>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts vom einfachen Recht maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <11>).

32

2. Die Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. durch das vorlegende Gericht ist vertretbar. Sie lässt sich insbesondere auf den Wortlaut der Vorschrift stützen. Dass die gegenteilige Auslegung der Vorschrift ebenfalls vertretbar erscheint (vgl. die unter A I 2 zitierten Urteile des Finanzgerichts München aus den Jahren 2008 und 2009) und die maßgebliche Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Hierfür genügt es, dass die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist. Es gehört nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf konkrete Normenkontrolle, die vorherige höchstrichterliche Klärung einer für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblichen Vorfrage des einfachen Rechts abzuwarten. Dagegen spricht schon die Befugnis von erst- oder zweitinstanzlichen Gerichten zum Antrag auf konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG.

33

3. Das Finanzgericht hat sich im Vorlagebeschluss hinreichend mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen einfachrechtlichen Vorschriften befasst und diese verneint. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in der Fassung des Korb II-Gesetzes bewusst und eindeutig die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen festgelegt. Das vorlegende Gericht sieht insofern zu Recht keinen Spielraum bei der Auslegung des § 43 Abs. 18 KAGG.

34

4. Das vorlegende Gericht war nicht verpflichtet, den Vorlagebeschluss vom 22. Februar 2008 im Hinblick auf mehrere zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 369; 127, 1; 131, 20; 132, 302) zu ergänzen, die auch für die Vorlage relevante Aussagen zu Fragen der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze enthalten.

35

Es besteht keine generelle verfassungsprozessuale Verpflichtung eines vorlegenden Gerichts, den Vorlagebeschluss im Hinblick auf erhebliche tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die sich erst nach der Vorlage ergeben, fortlaufend zu überwachen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem auch für die Vorlagefrage maßgeblichen Verfassungsrecht, die erst nach dem Vorlagebeschluss veröffentlicht werden. Das vorlegende Gericht ist allerdings berechtigt, das Bundesverfassungsgericht über neue, aus seiner Sicht für das Vorlageverfahren bedeutsame Erkenntnisse zu unterrichten. Es kann auch einen Ergänzungsbeschluss fassen, wenn es Mängel im ursprünglichen Vorlagebeschluss beseitigen will (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302 <310>).

36

5. Die auf Anteile an Aktienfonds zielende Vorlagefrage ist dem Wortlaut des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG entsprechend auf Anteile an Wertpapier-Sondervermögen und diesbezügliche Gewinnminderungen zu erstrecken. Die Befriedungsfunktion des Normenkontrollverfahrens (vgl. dazu BVerfGE 132, 302 <316> m.w.N.) spricht für diese Erweiterung der Vorlagefrage. Weitergehende verfassungsrechtliche Fragen werden dadurch nicht aufgeworfen.

37

Entsprechendes gilt für den Veranlagungszeitraum 2001, auf den die Vorlagefrage zu erstrecken ist. Die nach der Vorlage für den im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Veranlagungszeitraum 2002 erheblichen Verfassungsrechtsfragen stellen sich in gleicher Weise für das Jahr 2001. Eine Erstreckung der Vorlage auf den Veranlagungszeitraum 2003 kommt hingegen nicht in Betracht, weil die verfassungsrechtliche Beurteilung bezüglich dieses Veranlagungszeitraums (vgl. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 21. Juli 2009 - 1 K 733/2007 -, EFG 2010, S. 163) schon im Hinblick auf die Einordnung der gesetzlichen Rückwirkung eigene Probleme und teilweise andere Fragen aufwirft.

II.

38

§ 43 Abs. 18 KAGG ist verfassungswidrig, soweit er für Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anordnet. Insoweit entfaltet § 43 Abs. 18 KAGG schon in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (1). Die rückwirkende Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG in § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Änderung der bisherigen Rechtslage zu behandeln und damit auch materiell an den Grundsätzen einer echten Rückwirkung zu messen (2). Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung liegen hier nicht vor (3).

39

1. § 43 Abs. 18 KAGG hat § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 jedenfalls formal mit echter Rückwirkung in Kraft gesetzt.

40

a) Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; jeweils m.w.N.), und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfGE 132, 302 <318> m.w.N.).

41

Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. BVerfGE 11, 139 <145 f.>; 30, 367 <386>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>; 132, 302 <318>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. BVerfGE 127, 1 <16 f.>).

42

Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1 <18 f.>; 127, 31 <48 f.>; 127, 61 <77 f.>; 132, 302 <319>). Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum jedenfalls in formaler Hinsicht der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 Abgabenordnung in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; 132, 302 <319>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f., 272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>). Dasselbe gilt für Veranlagungen zur Körperschaftsteuer (vgl. § 30 Nr. 3 KStG).

43

b) § 43 Abs. 18 KAGG, der durch das am 27. Dezember 2003 verkündete Korb II-Gesetz eingeführt wurde, entfaltet für die beiden Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (vgl. BVerfGE 126, 369 <391 f.>), soweit er noch nicht bestandskräftige Festsetzungen für diese Veranlagungszeiträume erfasst. Diese waren am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres und damit vor Verkündung des Korb II-Gesetzes abgelaufen, so dass die Neuregelung insoweit nachträglich einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

44

2. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots echt rückwirkender Gesetze beanspruchen hier auch in materiellrechtlicher Hinsicht Geltung, weil § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG, anders als in der Begründung des Regierungsentwurfs angenommen (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), aus verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber der alten Rechtslage als konstitutive Änderung zu behandeln ist.

45

a) Würde § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG rückwirkend lediglich das klarstellen, was ohnehin bereits Gesetz war, stellte sich die Frage nicht, ob die Vorschrift trotz formal echter Rückwirkung ausnahmsweise mit dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze vereinbar ist. Das Vertrauen in das geltende Recht könnte dann von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende Recht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hätte.

46

Ob eine rückwirkende Gesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der - abgesehen von eindeutigen Gesetzesformulierungen - zumeist erst durch Auslegung ermittelt werden muss.

47

Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG vertretene Auffassung, die Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), ist für die Gerichte nicht verbindlich. Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

48

Zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich in aller Regel die rechtsprechende Gewalt berufen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Dies gilt auch bei der Frage, ob eine Norm konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat. Allerdings ist der Gesetzgeber ebenfalls befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern oder klarstellend zu präzisieren und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Dabei hat er sich jedoch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu halten, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören. Der Gesetzgeber kann diese Bindung und die Prüfungskompetenz der Gerichte nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>). Es besteht keine Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation gesetzlicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37>).

49

b) Die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte (aa); die Inhaltsbestimmung einer im Normenkontrollverfahren vorgelegten Norm obliegt allerdings regelmäßig dem Bundesverfassungsgericht (bb). Für die Klärung, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat, gelten jedoch Besonderheiten; eine solche Vorschrift ist aus verfassungsrechtlicher Sicht stets schon dann als konstitutiv anzusehen, wenn sie sich für oder gegen eine vertretbare Auslegung einer Norm entscheidet und damit ernstliche Auslegungszweifel im geltenden Recht beseitigt (cc).

50

aa) Die Auslegung des einfachen Rechts, die Wahl der hierbei anzuwendenden Methoden sowie die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall sind primär Aufgabe der dafür zuständigen Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen (vgl. BVerfGE 128, 193 <209>), solange nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Im Übrigen ist die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie sich innerhalb der Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen. Setzt sich ihre Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu den zur Anwendung gebrachten Normen, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen sind (vgl. BVerfGE 49, 304 <320>; 69, 315 <372>; 71, 354 <362 f.>; 113, 88 <103>; 128, 193 <209>).

51

bb) Soweit es für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle auf die Auslegung und das Verständnis des einfachen Rechts ankommt, erfolgt eine Vollprüfung des einfachen Rechts durch das Bundesverfassungsgericht selbst (vgl. BVerfGE 2, 181 <193>; 7, 45 <50>; 18, 70 <80>; 31, 113 <117>; 51, 304 <313>; 80, 244 <250>; 98, 145 <154>; 110, 412 <438>; stRspr). In diesem Fall ist es an die Auslegung des einfachen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht gebunden. Es kann entscheidungserhebliche Vorfragen des einfachen Rechts selbst in vollem Umfang prüfen und darüber als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung entscheiden. Nur so kann verhindert werden, dass das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm auf der Grundlage einer womöglich einseitigen, aber noch vertretbaren Deutung veranlasst ist, die ansonsten nicht, auch in der übrigen Fachgerichtsbarkeit nicht, geteilt wird. Das Bundesverfassungsgericht ist freilich nicht gehindert, die im Vorlagebeschluss vertretene Auslegung des einfachen Rechts durch das Fachgericht zu übernehmen und wird dies regelmäßig tun, wenn keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

52

cc) (1) Unbeschadet der grundsätzlichen Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Vollprüfung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln ist, die Feststellung, dass die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 131, 20 <37 f.>).

53

(a) Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Rechtslage rückwirkend klarzustellen, verdient grundsätzlich nur in den durch das Rückwirkungsverbot vorgegebenen Grenzen verfassungsrechtliche Anerkennung. Andernfalls könnte der Gesetzgeber auch jenseits dieser verfassungsrechtlichen Bindung einer Rechtslage unter Berufung auf ihre Klärungsbedürftigkeit ohne Weiteres die von ihm für richtig gehaltene Deutung geben, ohne dass von den dafür letztlich zuständigen Gerichten geklärt wäre, ob dies der tatsächlichen Rechtslage entsprochen hat. Damit würde der rechtsstaatlich gebotene Schutz des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt. Angesichts der allgemeinen Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Rechts könnte es dem Gesetzgeber regelmäßig gelingen, einen Klärungsbedarf zu begründen. Eine von Vertrauensschutzerfordernissen weitgehend freigestellte Befugnis zur rückwirkenden Klarstellung des geltenden Rechts eröffnete dem Gesetzgeber den weit reichenden Zugriff auf zeitlich abgeschlossene Rechtslagen, ließe im Nachhinein politischen Opportunitätserwägungen Raum, die das einfache Recht zum Zeitpunkt der später als korrekturbedürftig empfundenen Auslegung nicht prägten, und beeinträchtigte so das Vertrauen in die Stabilität des Rechts erheblich.

54

Ein legislatives Zugriffsrecht auf die Vergangenheit folgt auch nicht ohne Weiteres aus dem Demokratieprinzip, sondern steht zu diesem in einem Spannungsverhältnis. Zwar begrenzt das Rückwirkungsverbot die legislativen Handlungsspielräume des Parlaments für die Vergangenheit. Die demokratische Verantwortung des Parlaments ist jedoch auf die Gegenwart und auf die Zukunft bezogen. Früher getroffene legislative Entscheidungen verfügen über eine eigenständige demokratische Legitimation. Der historische Legitimationskontext kann - jedenfalls soweit die Gesetzeswirkungen in der Vergangenheit liegen - nicht ohne Weiteres durch den rückwirkenden Zugriff des heutigen Gesetzgebers ausgeschaltet werden. Besonders augenfällig würde dies bei Gesetzen, welche Entscheidungen aus einer früheren Legislaturperiode, die unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen getroffen wurden, rückwirkend revidierten. Für die Vergangenheit beziehen diese Entscheidungen ihre demokratische Legitimation allein aus dem damaligen, nicht aus dem heutigen Entscheidungszusammenhang. Der demokratische Verfassungsstaat vermittelt eine Legitimation des Gesetzgebers in der Zeit. Auch vom Demokratieprinzip ausgehend muss der Zugriff des Gesetzgebers auf die Vergangenheit die Ausnahme bleiben.

55

(b) Eine rückwirkende Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist in jedem Fall als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht. Der Gesetzgeber hat es für die Vergangenheit grundsätzlich hinzunehmen, dass die Gerichte das damals geltende Gesetzesrecht in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung verbindlich auslegen. Entspricht diese Auslegung nicht oder nicht mehr dem politischen Willen des Gesetzgebers, kann er das Gesetz für die Zukunft ändern.

56

Eine nachträgliche Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist aber grundsätzlich auch dann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die rückwirkende Regelung eine in der Fachgerichtsbarkeit kontroverse Auslegungsfrage entscheidet, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die klärende Regelung ist bereits dann konstitutiv, wenn sie eine - sei es auch unterinstanzliche - fachgerichtliche Auslegung durch nachträglichen Zugriff auf einen abgeschlossenen Sachverhalt ausschließen soll. Indem der Gesetzgeber mit einem in der maßgeblichen Aussage nunmehr regelmäßig eindeutigen Gesetz rückwirkend die insofern offenbar nicht eindeutige, in ihrer Anwendung jedenfalls uneinheitliche Rechtslage klären will, verleiht er dem rückwirkenden Gesetz konstitutive Wirkung.

57

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die in diesen Fällen noch nicht höchstrichterlich entschiedene, aber umstrittene Auslegung des einfachen Rechts selbst vorzunehmen. Für die Feststellung einer konstitutiven rückwirkenden Gesetzesänderung genügt es, wenn das vorlegende Gericht vertretbar einen Standpunkt zur Auslegung des alten Rechts einnimmt, den der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Neuregelung ausschließen will. Eine gefestigte oder gar höchstrichterlich bestätigte Rechtsprechungslinie verlangt dieser Rechtsstandpunkt nicht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber ihn korrigieren und ausschließen will.

58

Ob Bürger oder Behörde im Ausgangsrechtsstreit ihren Rechtsstandpunkt zur alten Rechtslage zu Recht eingenommen haben, ist in einem solchen Fall durch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine konstitutiv rückwirkende Neuregelung vorliegt, nicht entschieden. Hält das Bundesverfassungsgericht - wie hier - die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dies entspricht der Funktionsteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten. Die weitere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte kann dabei ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte. Dies bleibt jedoch eine Frage der Auslegung geltenden Rechts, die nicht dem Gesetzgeber, sondern der Gerichtsbarkeit und dabei in erster Linie der Fachgerichtsbarkeit obliegt.

59

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende "Klarstellung" der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG als konstitutiv. Der Gesetzgeber hat bei der Anfügung des Satzes 2 an § 40a Abs. 1 Satz 1 KAGG seine Absicht der Klarstellung zur Beseitigung des entstandenen Auslegungsproblems zum Ausdruck gebracht (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17). § 40a Abs. 1 KAGG konnte vor der Klärung durch den Gesetzgeber in jeweils vertretbarer Weise im Sinne der Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. wie auch im Sinne seiner Nichtanwendung ausgelegt werden. Dass bis zu der Verkündung des Korb II-Gesetzes im Bundesgesetzblatt noch keine gerichtliche Entscheidung zu dieser Frage ergangen war, rechtfertigt mit Blick auf den verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab keine andere Betrachtung. Denn auch hier hat der Gesetzgeber die nachträglich klarstellend gemeinte Norm vor dem Hintergrund der als unklar erkannten Rechtslage und damit in einer Situation der Ungewissheit rückwirkend in das Gesetz aufgenommen. Diese Ungewissheit wurde durch die später ergangenen divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigt (vgl. oben A I 2).

60

Auch in diesen Konstellationen, in denen es auf die Frage ankommt, ob eine Neuregelung aus verfassungsrechtlicher Sicht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, bleibt es dem Bundesverfassungsgericht allerdings unbenommen, in eigener Zuständigkeit das einfache Recht als Grundlage seiner Entscheidung auszulegen, etwa weil der vom vorlegenden Gericht zum einfachen Recht vertretene Rechtsstandpunkt verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Verpflichtet dazu ist es in diesen Fällen freilich nicht. Die Vorlage gibt dem Bundesverfassungsgericht hier keine Veranlassung, eine eigenständige Auslegung des einfachen Rechts vorzunehmen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die im Vorlagebeschluss zur Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. vertretene Rechtsauffassung verfassungswidrig sein könnte.

61

3. Die mit der konstitutiven Wirkung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG verbundene Belastung ist verfassungswidrig, soweit sie nach § 43 Abs. 18 KAGG hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 mit echter Rückwirkung versehen ist.

62

Die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich entgegen (a). Keine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von diesem Verbot liegt hier vor (b). Auch ansonsten ist hier kein Grund für die Rechtfertigung der echten Rückwirkung erkennbar (c).

63

a) Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger belastendes Gesetz handelt (vgl. BVerfGE 24, 220 <229>; 32, 111 <123>; 50, 177 <193>; 101, 239 <262>; 131, 20 <36 f.>). Das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 132, 302 <317>). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>; 132, 302 <317>). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>; 132, 302 <317>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde die Betroffenen in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>; 132, 302 <317>). Ausgehend hiervon sind Gesetze mit echter Rückwirkung grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; stRspr).

64

b) aa) Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen (vgl. BVerfGE 13, 261 <272 f.>; 18, 429 <439>; 30, 367 <387 f.>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>; 126, 369 <393 f.>; 131, 20 <39>; stRspr). Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze (vgl. BVerfGE 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393>). Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>) oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 50, 177 <193>). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <80>). Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfGE 32, 111 <123>).

65

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 30, 367 <387>; 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 30, 367 <388>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393 f.>), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>). Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 88, 384 <404>; 95, 64 <87>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>), wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 50, 177 <193 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>) oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sogenannter Bagatellvorbehalt, vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 72, 200 <258>).

66

bb) Von den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zulässigerweise echt rückwirkender Gesetze kommen hier nur diejenigen der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage oder ihrer Systemwidrigkeit und Unbilligkeit in Betracht. Keine von beiden vermag die Rückwirkung des § 43 Abs. 18 KAGG auf die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zu rechtfertigen.

67

(1) (a) Allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm rechtfertigt nicht deren rückwirkende Änderung; erst wenn die Auslegungsoffenheit ein Maß erreicht, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt, darf der Gesetzgeber eine klärende Neuregelung auf die Vergangenheit erstrecken.

68

Den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fall-gruppen zu den Ausnahmen vom Verbot echt rückwirkender Gesetze ist sämtlich gemeinsam, dass besondere Umstände ein grundsätzlich berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage erst gar nicht entstehen lassen oder entstandenes Vertrauen wieder zerstören. Die schlichte Auslegungsoffenheit und Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die damit bestehende Unsicherheit über deren Inhalt ist keine solche Besonderheit, die dieses grundsätzlich berechtigte Vertrauen zerstören könnte. Andernfalls könnte sich insbesondere in den Anfangsjahren einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nie ein schutzwürdiges Vertrauen gegen rückwirkende Änderungen entwickeln, solange sich keine gefestigte Rechtsprechung hierzu herausgebildet hat.

69

Sähe man jede erkennbare Auslegungsproblematik als Entstehungshindernis für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen an, stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheint, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in einer Weise auslegt, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. In diesem Fall kann der Gesetzgeber zwar stets die Initiative ergreifen und das geltende Recht für die Zukunft in seinem Sinne ändern, sofern er sich dabei an die Vorgaben des Grundgesetzes hält. Einen "Freibrief" für rückwirkende Gesetzesänderungen verschafft ihm eine schlicht auslegungsbedürftige und insofern unklare Rechtslage hingegen nicht. Eine so weitreichende Befugnis des Gesetzgebers zur Normsetzung mit echter Rückwirkung würde das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in die geltende Rechtslage weitgehend entwerten.

70

Außerdem würde eine über besondere Ausnahmefälle hinausgreifende Befugnis des Gesetzgebers zur rückwirkenden Präzisierung von Normen, die sich als auslegungsbedürftig erweisen, die vom Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen unterlaufen (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

71

Da sich Auslegungsfragen gerade bei neuen Normen häufig stellen, bestünde die Gefahr, dass auf diese Weise schließlich das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der echten Rückwirkung in dem Sinne in sein Gegenteil verkehrt würde, dass auch sie nicht mehr grundsätzlich unzulässig bliebe, sondern - ebenso wie die unechte Rückwirkung - grundsätzlich zulässig wäre. Ein solches Ergebnis wäre mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

72

(b) Die eine echt rückwirkende gesetzliche Klärung rechtfertigende Unklarheit einer Rechtslage erfordert vielmehr zusätzliche qualifizierende Umstände, die das geltende Recht so verworren erscheinen lassen, dass es keine Grundlage für einen verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutz mehr bilden kann. Eine solche Verworrenheit liegt insbesondere dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich ist, welche Bedeutung die fragliche Norm haben soll.

73

(c) § 40a Abs. 1 KAGG ließ vor der hier zu prüfenden Einfügung des Satzes 2 verschiedene Auslegungen zu. Das belegen die divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen zur Auslegung dieser Vorschrift. Die höchstrichterlich nicht geklärte Auslegung im Hinblick auf die Anwendung des im ursprünglichen Wortlaut nicht erwähnten § 8b Abs. 3 KStG a.F. und die insoweit uneinheitliche Rechtsprechung auf der Ebene der Finanzgerichte begründen indes noch keine verworrene Rechtslage. Die Norm war hinsichtlich ihres Verständnisses nach Wortlaut und Regelungsgehalt nicht fragwürdig oder gar unverständlich, sondern klar formuliert. Ihre Auslegungsbedürftigkeit, insbesondere im Hinblick auf die systematische Verknüpfung mit § 8b KStG, hat zu divergierenden, für sich genommen aber jeweils vertretbaren Standpunkten geführt. Eine "Klarstellung" durch ein echt rückwirkendes Gesetz rechtfertigt dies nicht.

74

(2) Das ursprüngliche einfache Recht war auch nicht in einer Weise systemwidrig und unbillig, dass dies die durch § 43 Abs. 18 KAGG angeordnete echte Rückwirkung rechtfertigen könnte.

75

Weder die Auslegung des vorlegenden Finanzgerichts (keine Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) noch die gegenteilige Auslegung des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG (Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) sind von Verfassungs wegen zwingend geboten. Zwar mögen im vorliegenden Zusammenhang systematische und teleologische Aspekte bei der Interpretation des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG gute Gründe für ein von der reinen Wortlautauslegung abweichendes Auslegungsergebnis im Sinne der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. liefern (vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, 1. Aufl. 2005, § 8b Rn. 52 und 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 49). Ungeachtet dessen führt auch die Sichtweise des vorlegenden Finanzgerichts nicht zu einem Ergebnis, das in einem Maße systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>).

76

Den Gesetzesmaterialien zum Korb II-Gesetz lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber Kapitalanlagegesellschaften gegenüber Körperschaften, für die das Körperschaftsteuergesetz unmittelbar gilt, im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG privilegieren wollte. Andererseits war das Transparenzprinzip im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften nicht uneingeschränkt verwirklicht; es galt vielmehr nur gemäß der jeweiligen Anordnung des Gesetzgebers (sogenanntes eingeschränktes Transparenzprinzip, vgl. BFHE 130, 287 <289>; 168, 111 <113>; 193, 330 <333 f.>; 229, 351 <357 f.>; vgl. BTDrucks 15/1553, S. 120 zum Transparenzprinzip als Leitidee der Investmentbesteuerung; Engl, Erträge aus Investmentvermögen, 2009, S. 73 ff.; Lübbehüsen, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, 2003, Vor §§ 37n ff. KAGG Rn. 11 ff.; Teichert, Die Besteuerung in- und ausländischer Investmentfonds nach dem Investmentsteuergesetz, 2009, S. 78 ff.).

77

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Investmentsteuerrechts und des dieses prägenden eingeschränkten Transparenzprinzips führt die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht nicht zu einer so systemwidrigen und unbilligen Begünstigung der Kapitalanlagegesellschaften, dass bereits ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Auslegung bestünden. Zwar erscheint systematisch fragwürdig, weshalb - abweichend vom "normalen" neuen Körperschaftsteuersystem - positive Wertentwicklungen nicht der Besteuerung unterliegen, negative Wertentwicklungen hingegen steuerliche Berücksichtigung finden sollten. Immerhin aber wurde durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. (inzwischen Satz 4) eine systemwidrige Begünstigung durch eine Steuerwirksamkeit von Gewinnminderungen und eine Steuerfreistellung der auf die nämlichen Beträge entfallenden Gewinne vermieden. Nach dieser Vorschrift gilt die Veräußerungsgewinnbefreiung nicht, "soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist". § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. war unzweifelhaft schon nach dem Wortlaut von der auf § 8b Abs. 2 KStG zielenden Verweisung in § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfasst. Die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht führt daher nicht dazu, dass Kapitalanlagegesellschaften Gewinnminderungen von Anteilen an Wertpapier-Sondervermögen steuerwirksam berücksichtigen durften, auf die jeweiligen Anteile entfallende Gewinne aber nicht zu versteuern brauchten.

78

Daher kann von einer systemwidrigen Abwälzung der Verluste der Kapitalanlagegesellschaften auf die Allgemeinheit nicht die Rede sein. Eine Ausgestaltung der Besteuerung von Kapitalanlagegesellschaften im Sinne der Auffassung des vorlegenden Gerichts bewegt sich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und ist keinesfalls so unbillig oder systemwidrig, dass ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestünden.

79

c) Sonstige Gründe, die jenseits der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fallgruppen hier ausnahmsweise eine gesetzliche Regelung mit echter Rückwirkung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Anderes ergibt sich auch nicht aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zum Fremdrentenrecht (BVerfGE 126, 369) und vom 2. Mai 2012 zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz (BVerfGE 131, 20), in denen das Gericht jeweils rückwirkende Gesetzesänderungen als verfassungsgemäß beurteilt hat.

80

In dem Beschluss zum Fremdrentenrecht sah das Gericht, unabhängig von der Frage, ob die in Streit stehende rückwirkende Gesetzesänderung konstitutiv wirkte, das Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungsänderung des Bundessozialgerichts in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigeführt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt an (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>). Mit dieser Sondersituation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

81

Entsprechendes gilt für die Entscheidung zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz. Ihr lag ein Fall zugrunde, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine gefestigte Rechtspraxis zur Berechnung des Mindestruhegehalts bei Zusammentreffen von beamtenrechtlicher Versorgung und gesetzlicher Rente änderte. Die Korrektur dieser Rechtsprechung durch den Gesetzgeber bewertete das Bundesverfassungsgericht zwar als konstitutive Gesetzesänderung mit zum Teil echter und zum Teil unechter Rückwirkung (vgl. BVerfGE 131, 20 <36 ff.>), stellte aber zugleich fest, dass sich ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen in ein Verständnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts unter den gegebenen Umständen nicht habe entwickeln können (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>). Auch hier bezieht sich die Entscheidung mithin auf eine besondere Situation, der sich der Gesetzgeber angesichts einer kurzfristigen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis dahin gefestigten Rechtspraxis gegenüber sah. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

82

d) Es besteht kein Anlass, für die Fälle, in denen der Gesetzgeber die geltende Rechtslage für die Vergangenheit klarstellen will, von dem im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutz und dem darin wurzelnden Ausnahmecharakter zulässiger echter Rückwirkung abzuweichen. Eine solche Abweichung wäre es jedoch, wenn dem Wunsch des Gesetzgebers, den "wahren" Inhalt früher gesetzten Rechts nachträglich festzulegen und eine seinen Vorstellungen widersprechende Auslegung auch für die Vergangenheit zu korrigieren, Grenzen nur im Hinblick auf bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren oder bei Rechtslagen gesetzt wären, die keinen ernsthaften Auslegungsspielraum lassen. Damit würde der in der ständigen Rechtsprechung entwickelte besondere Schutz gegen Gesetze mit echter Rückwirkung ebenso preisgegeben wie die Differenzierung zwischen grundsätzlich unzulässiger echter und grundsätzlich zulässiger unechter Rückwirkung.

III.

83

Soweit § 43 Abs. 18 KAGG zur Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den körperschaftsteuerlichen Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 führt, verstößt diese Anwendungsvorschrift gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG).

IV.

84

Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 5:3 Stimmen, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundsätze mit 6:2 Stimmen ergangen.

Abw. Meinung

85

Ich kann der Entscheidung nicht zustimmen. Entgegen ihrem ersten Anschein betrifft die Entscheidung nicht fachrechtliche Spezialprobleme, sondern grundsätzliche Fragen zur Reichweite der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers für unklare, offengebliebene Rechtsfragen der Vergangenheit - hier für steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten von Verlusten, die Finanzinstitute insbesondere in Folge der Anschläge des 11. September 2001 erlitten haben. Unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot untersagt der Senat dem Gesetzgeber eine Klarstellung, dass diese Verluste nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden dürfen.

86

Damit verändert er der Sache nach das Fundament der Rückwirkungsrechtsprechung. Der Senat entzieht ihr - nicht dem Selbstverständnis nach, doch in Ergebnis und Begründung - die im Vertrauensschutz liegenden Wurzeln und ersetzt sie durch abstrakte, in der Sache fehlgeleitete Vorstellungen der Gewaltenteilung. An die Stelle des Schutzes subjektiver Freiheit tritt die Absicherung eines objektiv-rechtlichen Reservats der Fachgerichtsbarkeit. Der Verlierer ist das Parlament: In Umwertung der bisherigen Rechtsprechung wird ihm die rückwirkende Klarstellung ungeklärter Rechtsfragen nun nicht erst bei einem entgegenstehenden Vertrauen der Bürger, sondern grundsätzlich abgeschnitten. Die Übernahme von politischer Verantwortung wird ihm so für Altfälle schon prinzipiell aus der Hand geschlagen. Hierin liegt eine gravierende Störung der Balance zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

I.

87

Der Senat hebt die angegriffene Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot auf, obwohl er selbst der Auffassung ist, dass die ursprüngliche Rechtslage dem Beschwerdeführer keinerlei Vertrauen vermittelt hat, das durch die Gesetzesänderung enttäuscht würde. Damit entzieht er dem Rückwirkungsverbot sein auf subjektive Freiheitssicherung ausgerichtetes Fundament.

88

1. Gegenstand der in Frage stehenden Normen ist die Frage, ob Kapitalgesellschaften - in der Praxis insbesondere Banken - berechtigt sind, Wertverluste ihrer Anteile an Investmentfonds für die Jahre 2001 und 2002 steuerlich gewinnmindernd geltend zu machen, während das Gesetz Gewinne grundsätzlich steuerfrei stellt. Der Senat selbst ist der Auffassung, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu keiner Zeit ein berechtigtes Vertrauen dahin hatte, Teilwertabschreibungen für diese Zeit gewinnmindernd geltend machen zu können. Er hält die ursprüngliche Rechtslage diesbezüglich zu Recht für ungeklärt und erkennt an, dass sie sich sowohl subjektiv als auch bei verobjektivierter Betrachtung für die betroffenen Banken als offen darstellte. Dennoch ist er der Ansicht, dass der Gesetzgeber dies für die noch offenen Altfälle nicht rückwirkend klären durfte. Es sei Aufgabe der Fachgerichte, über diese Fälle zu entscheiden.

89

Mit dieser Argumentation wird die Fundierung des Rückwirkungsverbots im Vertrauensschutz der Sache nach aufgegeben: Der Senat geht ausdrücklich davon aus, dass die Fachgerichte für die hier in Rede stehenden Fälle in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis kommen können, dass der alte § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auch unabhängig von der gesetzlichen Klarstellung in § 43 Abs. 18 KAGG sachgerecht so auszulegen ist, dass die von der Klägerin geltend gemachten Teilwertabschreibungen nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können. Diese Frage dürfe rückwirkend aber nicht der Gesetzgeber klären; die Klärung sei allein den Fachgerichten vorbehalten. Dem Gesetzgeber wird so eine Regelung verboten, die die Gerichte durch Auslegung ohne weiteres herbeiführen dürfen. Obwohl die alte Rechtslage kein Vertrauen der Bürger begründete, in Blick auf insoweit vorhersehbare Rechtsfolgen Dispositionen zu treffen, soll der Gesetzgeber an einer Klärung dennoch durch das - aus dem Vertrauensschutz hergeleitete - Rückwirkungsverbot gehindert sein. Die Instrumente des Vertrauensschutzes werden ihm so für die Anordnung von Rechtsfolgen entgegengehalten, mit denen die Betroffenen auch nach dem alten Recht schon rechnen mussten und weiterhin rechnen müssen.

90

2. Wenn hier überhaupt noch eine Brücke zu irgendeiner Form von Vertrauen auszumachen ist, so kann diese allenfalls in dem abstrakten Vertrauen auf die Gültigkeit einer inhaltsoffenen Norm gesucht werden - und damit auf eine Streit-entscheidung der politisch offen gebliebenen Frage durch die Fachgerichte. Geschützt wird durch die Entscheidung des Senats das Vertrauen in die Chance einer für die Betreffenden günstigen Rechtsprechung. Gerade dies aber zeigt, wie weit sich der Senat von dem ursprünglichen Anliegen der Rückwirkungsrechtsprechung entfernt. Das Rückwirkungsverbot sichert nicht mehr das Vertrauen in eine berechenbare Rechtsordnung, damit der Einzelne sein Verhalten im Blick auf vorhersehbare Rechtsfolgen selbstbestimmt ausrichten kann, sondern lediglich die Chance, dass die Rechtsprechung möglicherweise zu einer vorteilhafteren Klarstellung der ungeklärten Position führt als eine demokratisch-politische Entscheidung des Parlaments. Galt die Rückwirkungsrechtsprechung zunächst dem Schutz des Vertrauens zur Sicherung individueller Freiheitswahrnehmung, so gilt sie nun der Absicherung eines kompetentiellen Vorbehaltsbereichs der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber. Aus dem Schutz subjektiver Freiheit wird die Durchsetzung objektiver Gewaltenteilungsvorstellungen und hierbei eines Reservats der Rechtsprechung.

II.

91

Das damit vom Senat zur Geltung gebrachte Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung lässt sich aus der Ordnung des Grundgesetzes nicht herleiten. Es drängt den Gesetzgeber unberechtigt aus seiner Verantwortung.

92

1. Durch die Ablösung des Rückwirkungsverbots von dem Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage wird es für die Fälle der echten Rückwirkung im Ergebnis zu einem apriorischen Prinzip der Gewaltenteilung verselbständigt, das seinen Sinn darin hat, die rückwirkende Einmischung des Gesetzgebers in offene, noch ungeklärte Rechtsfragen schon prinzipiell auszuschalten. Statt einer politischen Entscheidung durch das Parlament soll grundsätzlich nur noch eine entpolitisierte Entscheidung durch die Justiz möglich sein.

93

a) Dies überzeugt schon vom Grundverständnis nicht. Ausgehend von dem aus dem Demokratieprinzip folgenden legislativen Zugriffsrecht des Parlaments kann sich der Gesetzgeber aller drängenden Fragen des Gemeinwesens annehmen. Zu entscheiden, was Recht sein soll, ist im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür gewählt wird und sich in einem politischen Prozess vor der Öffentlichkeit verantworten muss. Dies betrifft grundsätzlich auch die Entscheidung über Probleme, die in der Vergangenheit wurzeln, oder die Klärung von Streitfragen, die offengeblieben und lösungsbedürftig sind. Dass diese demokratische Verantwortung von vornherein auf die Zukunft beschränkt wäre, ist durch nichts begründet und lässt sich insbesondere auch der bisherigen Rechtsprechung nicht entnehmen. Insbesondere lassen sich hierfür nicht die Vorstellung eines je begrenzten historischen Legitimationskontextes und die eigene Dignität des je auf Zeit gewählten Gesetzgebers anführen. Denn auch mit solchen rückwirkenden Regelungen geht es um die Bewältigung von Problemen, die in der Vergangenheit gerade nicht inhaltlich sachhaltig bewältigt wurden und nun - offen und lösungsbedürftig - in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken.

94

In der Tat freilich ist der Gesetzgeber in seiner Gestaltungsbefugnis rechtsstaatlich begrenzt und diese rechtsstaatlichen Grenzen können bei Gesetzen, die in die Vergangenheit hineinwirken, schneller berührt sein als bei anderen. So kann der Gesetzgeber selbstverständlich nicht ohne weiteres nachträglich in bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren eingreifen oder für abgeschlossene Zeiträume ein Verhalten neu bewerten und mit Sanktionen belegen, mit denen die Betreffenden nicht rechnen mussten. Insbesondere die Grundrechte und die aus ihnen folgende Freiheitsvermutung setzen hier vielfach Grenzen. Dies ist der zutreffende Kern der Rückwirkungsrechtsprechung. Solche Einschrän-kungen des Gesetzgebers müssen sich aber jeweils mit einem spezifischen Schutzbedürfnis der Betroffenen begründen lassen. Sie ergeben sich nicht schon generell aus einer abstrakten Grenze der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Es gibt keinen Grund, warum der Gesetzgeber umstrittene und unklare Rechtsfragen nicht auch für offene Altfälle regeln können soll, solange dadurch berechtigtes Vertrauen nicht enttäuscht wird. Dass der Gesetzgeber bei Gesetzen, die in die Vergangenheit wirken, die zutage getretenen Interessenkonflikte möglicherweise konkreter vor Augen hat als bei zukunftsgerichteten Gesetzen, macht eine Klärung durch den Gesetzgeber nicht unzulässig. Gesetzgebung beschränkt sich im modernen Staat grundsätzlich nicht auf die Vorgabe situationsblinder Regelungen für die Zukunft, sondern hat fast immer einen konkreten Interessenausgleich zu ihrem Gegenstand.

95

b) Aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten spricht vielmehr umgekehrt alles dafür, in ungeklärten Rechtslagen die rückwirkende Klarstellung offener und umstrittener Fragen auch durch den Gesetzgeber grundsätzlich für zulässig zu halten. Wenn sich in der Anwendungspraxis eines Gesetzes herausstellt, dass wichtige Fragen von allgemeiner Bedeutung offengeblieben oder Regelungen unklar oder missverständlich formuliert sind, gehört es zur Aufgabe der Volksvertretung, dass sie in politisch-demokratischer Verantwortung gesetzlich klarstellen kann, wie diese Fragen in den noch offenen Verfahren zu beantworten sind. Die Vorstellung, der Gesetzgeber habe nur einen Versuch frei, dürfe dann aber auf die im Laufe der Zeit aufkommenden Probleme bis zu einer Neuregelung pro futuro keinen klärenden Zugriff mehr nehmen, hat in den Legitimationsgrundlagen unserer Verfassungsordnung kein Fundament. Insbesondere lässt sich dies nicht mit Vorstellungen zeitlich segmentierter Legitimationszusammenhänge begründen. Denn der alte Gesetzgeber hatte hier die entsprechenden Fragen gerade nicht geklärt. Dies wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber, wie vorliegend, nur das festschreiben will, was seiner Ansicht nach - mehr als nachvollziehbar (siehe unten IV.) - ohnehin auch mit der alten Regelung intendiert war.

96

2. Die vom Senat geschaffene Abgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist auch funktional nicht einleuchtend.

97

a) Angesichts der immer komplexer werdenden Anforderungen an die Gesetzgebung in einer hochdifferenzierten und sektoral wie international vielfältig vernetzten Welt kann nicht ernsthaft erwartet werden, dass alle Auswirkungen eines Gesetzgebungsvorhabens stets verlässlich von vornherein überschaut werden können. Normen können im Interessengeflecht der zahlreichen Anwender und Betroffenen Missverständnisse, Zweifelsfragen oder sinnwidrige Praktiken hervorrufen, die nicht vorhersehbar sind. Auch muss damit gerechnet werden, dass dabei dem Gesetzgeber Ungenauigkeiten oder Fehler unterlaufen. Gerade eine Gesetzesreform, wie sie den hier streitigen Normen zugrunde liegt, macht das besonders deutlich. Der Gesetzgeber hatte damals die Herkulesaufgabe auf sich genommen, das gesamte Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren umzustellen und damit die Besteuerung fast aller bedeutsamen Unternehmen - mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Konzernstrukturen ebenso wie auf internationale Zusammenhänge - auf grundlegend neue Füße zu stellen. Die hier in Frage stehenden Normen bildeten dabei nur einen ganz kleinen, untergeordneten Aspekt. Dass im Rahmen eines solchen Vorhabens nicht sofort alle Fragen eine klare, durchdachte und unmissverständliche Lösung erfahren, liegt auf der Hand - und davon mussten alle Betroffenen ausgehen.

98

b) Nach Ansicht des Senats sind alle insoweit aufkommenden Probleme bis auf Widerruf für die Zukunft grundsätzlich allein durch die Gerichte zu klären. Zwar dürfe der Gesetzgeber aufkommende Unklarheiten pro futuro neu regeln, jedoch seien gesetzliche Unzuträglichkeiten und Streitfragen, die unter einer gegebenen Rechtslage entstehen, - bis auf extreme Ausnahmen (siehe unten IV. 3) - ausschließlich von den Gerichten zu bewältigen.

99

Dies ist schon im Blick auf die den Gerichten im gewaltenteiligen Verfassungsstaat zugewiesene Aufgabe nicht überzeugend: Während diese angesichts unklarer Rechtslagen nach dem vom Gesetzgeber gemeinten Sinn zu suchen haben und sich, wenn es hieran fehlt, letztlich unter Umständen zu demokratisch nicht angeleiteten Setzungen eigener Gerechtigkeitsvorstellungen genötigt sehen, wird dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, eine solche Klarstellung zur Entlastung der Gerichte vorzunehmen.

100

Ein solcher Ansatz leuchtet auch hinsichtlich der praktischen Konsequenzen nicht ein. Während eine rückwirkende Klarstellung durch den Gesetzgeber mit einem Schlag unmittelbar alle offenen Streitfälle einheitlich für Zukunft und Vergangenheit lösen und Rechtssicherheit schaffen kann, müssen als Folge der Entscheidung des Senats stattdessen alle vor der Gesetzesänderung angefallenen Fälle vor Gericht durch die Instanzen prozessiert werden. Das kann Jahre dauern, die Gerichte mit vielen Verfahren belasten, für die Betroffenen hohe Kosten mit sich bringen und für lange Zeit Rechtszersplitterung und Verunsicherung zur Folge haben. Die vom Senat aus der Taufe gehobene Chance des Bürgers auf eine für ihn vorteilhafte Entscheidung durch die Rechtsprechung, ist damit nicht nur Chance, sondern auch erhebliche Bürde - nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für die Betroffenen selbst.

III.

101

In der Entscheidung liegt damit zugleich eine tiefgreifende Wende der Rückwirkungsrechtsprechung und ein Bruch mit den diesbezüglichen bisherigen Wertungen.

102

Allerdings knüpft der Senat an Obersätze an, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen sind: Die grundsätzliche Unzulässigkeit der echten Rückwirkung entspricht ständiger - und in ihrem bisherigen Kontext auch zutreffender - Rechtsprechung. Wie die zahlreichen Zitatketten aus der Rechtsprechung zeigen, ist der Senat dabei von dem Anliegen getragen, diese lediglich stimmig weiterzuentwickeln. Dies gelingt jedoch überzeugend nicht. Denn er löst dabei die Obersätze von ihrer bisherigen Einbindung an die Grundsätze des Vertrauensschutzes ab und verselbständigt sie zu für sich stehenden abstrakten Regeln. Dies gibt ihnen eine neue Bedeutung, die wesentlich strenger ist und mit den Wertungen der bisherigen Entscheidungen des Gerichts bricht.

103

1. a) Mit der Nichtigkeitserklärung von Gesetzen wegen Verstoßes gegen das Verbot echter Rückwirkung war das Bundesverfassungsgericht bisher zurückhaltend. In der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts finden sich hierfür nur zwei Fälle und diese liegen lange zurück (vgl. BVerfGE 18, 429; 30, 272). Die Dogmatik hat sich seither naturgemäß weiterentwickelt und die Begründungen würden heute vielleicht differenzierter ausfallen. Im entscheidenden Punkt besteht jedoch Klarheit: In beiden Fällen stellte das Gericht ausdrücklich auf eine konkret vertrauensbegründende Rechtslage ab.

104

So begründete das Gericht in der ersten Entscheidung vom 31. März 1965 die Verfassungswidrigkeit der dort streitbefangenen Norm maßgeblich damit, dass die vom Gesetzgeber rückwirkend geänderte Rechtslage zwar zunächst von einigen Untergerichten verkannt, dann aber zugunsten der betroffenen Bürger vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt war und diese Klärung sich zutreffend auf Grundsätze stützte, die "allgemeiner, in Rechtsprechung und Literatur einmütig vertretener Auffassung" entsprächen (vgl. BVerfGE 18, 429 <437>). Die Rechtslage sei nicht unklar, sondern "völlig klar" gewesen. Demgegenüber habe der Gesetzgeber versucht, die Rechtsprechung "gleichsam für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen" (a.a.O. S. 439). Auch vom Sachverhalt her ging es um eine Konstellation, die der Frage des Vertrauensschutzes wesentlich näher stand, nämlich um Regressforderungen des Staates für in der Vergangenheit über acht Jahre gezahlte Unterhaltsleistungen an ein Kind, von denen der unerwartet in Anspruch genommene Bürger bis dahin nichts wusste.

105

In der zweiten Entscheidung vom 10. März 1971 ging es um einen nachträglich für vorangehende steuerliche Veranlagungszeiträume vom Gesetzgeber eingeführten Progressionsvorbehalt, für den bis dahin unstreitig keinerlei Rechtsgrundlage bestand und der dazu führte, dass rückwirkend die Steuern höher ausfielen als nach der ursprünglichen Rechtslage. Das Gericht stellte hier darauf ab, dass das Vertrauen der Betroffenen enttäuscht werde, weil der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen anknüpfe als "diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte" (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>). Die Rechtslage sei nicht unklar gewesen und die Betroffenen hätten mit einer solchen Regelung nicht rechnen müssen (BVerfGE 30, 272 <285 f.>).

106

b) Erst recht stellte das Bundesverfassungsgericht auf die Enttäuschung eines durch die ursprüngliche Rechtslage spezifisch begründeten Vertrauens in den Fällen ab, in denen es Gesetze mit unechter Rückwirkung für verfassungswidrig befand. Da eine unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig ist und nur bei Vorliegen besonderer Vertrauenstatbestände zur Verfassungswidrigkeit führt, bedurfte es hier schon vom Ausgangspunkt her des Nachweises eines spezifischen Vertrauens (so zum Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises BVerfGE 59, 128 <164 ff.>; in die bisher erlaubte Widerrufbarkeit freiwillig gewährter Vorsorgeleistungen BVerfGE 74, 129 <155 ff.>; in die Fortdauer der Besteuerungsregelungen von Abfindungsvereinbarungen BVerfGE 127, 31 <49 ff.>). Nichts anderes gilt dabei für die insoweit besonders gelagerten, der echten Rückwirkung angenäherten Fälle, in denen für einen noch nicht abgelaufenen steuerlichen Veranlagungszeitraum rückwirkende Änderungen in Frage standen und für verfassungswidrig erklärt wurden (vgl. BVerfGE 72, 200; 127, 1; 127, 61; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, NJW 2013, S. 145 ff.). Dort mag man bei formaler Betrachtung zwar eine gewisse Relativierung des Vertrauenskriteriums sehen, da der Einzelne für den Veranlagungszeitraum einfachrechtlich mit einer rückwirkenden Änderung der Vorschriften stets rechnen müssen soll; tatsächlich verbindet die Rechtsprechung, indem sie dies teilweise für nicht hinnehmbar hält, die Rückwirkungslehre für diese Konstellation in spezifischer Weise mit dem eigenständigen Schutzaspekt der Rechtssicherheit. Auch dort aber bestand - ohne dass diese Entscheidungen hier in allen Aspekten zu würdigen wären - zunächst jedenfalls immer eine klare Rechtslage, die als solche geeignet war, Vertrauen für Dispositionen zu begründen und die durch den Gesetzgeber dann rückwirkend geändert wurde. Der Schutz konkreten Vertrauens ist auch hier der Kern der Rechtsprechung.

107

Weitere Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht Gesetze wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot aufgehoben hat, finden sich nicht. Insbesondere gibt es keinen Fall, in dem die Klarstellung einer unsicheren Rechtslage, die kein Vertrauen begründen konnte, für verfassungswidrig erklärt wurde.

108

2. Der Bruch mit den Wertungen der bisherigen Rechtsprechung wird um so deutlicher, wenn man umgekehrt die Fälle betrachtet, in denen das Bundesverfassungsgericht rückwirkende Gesetze zur Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat. Es reicht dabei auf die Fälle einzugehen, in denen der Gesetzgeber in Reaktion auf unvorhergesehene Entwicklungen bei der Anwendung die bisherige Rechtslage lediglich bekräftigen wollte und die Klarstellung deshalb als "authentische Interpretation" verstand. Es zeigt sich dabei, dass der Senat mit der vorliegenden Entscheidung auch in der materiellen Bewertung wesentlich strengere Maßstäbe anlegt als die Rechtsprechung bisher.

109

a) In der Tat allerdings hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden, dass eine eigene Befugnis des Gesetzgebers zur "authentischen Interpretation" nicht anzuerkennen ist. Die Auslegung unklarer Rechtsnormen sei grundsätzlich Sache der Gerichte (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37 ff.>; ähnlich bereits BVerfGE 111, 54 <107>). Auch diese Aussage blieb aber bisher stets in den Kontext des Vertrauensschutzes eingebunden. Sie wendet sich lediglich dagegen, die Berufung auf eine "authentische Interpretation" als eigenständigen Titel zur Rechtfertigung rückwirkender Gesetze anzuerkennen. Mit ihr sollte auf die allgemeinen - und damit vertrauensschutzbezogenen - Rückwirkungsgrundsätze verwiesen werden. Ausdrücklich hielt der Senat deshalb fest: "Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung" (BVerfGE 126, 369 <392>).

110

b) Dementsprechend wurde nach bisheriger Rechtsprechung in allen Fällen, in denen eine vertrauensbegründende Rechtslage nicht gegeben war, die rückwirkende Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.

111

Dies gilt naturgemäß zunächst für den ersten hier zu nennenden Fall vom 23. Februar 1960, da das Gericht damals von einer lediglich "deklaratorischen Bedeutung" der gesetzlichen Klarstellung ausging (vgl. BVerfGE 10, 332 <340>). Man mag in jenem Fall nur eine geringe Parallele sehen, da der Senat hier anders als dort gerade nicht von einem lediglich deklaratorischen Gesetz ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auch damals die Rechtslage objektiv keinesfalls so klar war, wie die verfassungsgerichtliche Beurteilung des Gesetzes als "deklaratorisch" vermuten lässt: Die Frage, die der Gesetzgeber rückwirkend änderte, war damals vielmehr durchaus umstritten und noch das vorlegende Gericht war der Auffassung, dass das Gesetz die Rechtslage verändert habe. Nach den heute vom Senat zugrunde gelegten, differenzierteren Kriterien, wäre deshalb wohl äußerst zweifelhaft, ob damals tatsächlich von einer bloß deklaratorischen Rechtsänderung die Rede sein konnte. Dennoch erkannte man damals nicht auf eine verfassungsrechtlich verbürgte Chance, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, sondern sah es als Befugnis des Gesetzgebers an, diese Frage selbst rückwirkend klarzustellen.

112

Ebenso wurde eine rückwirkende Klärung in der Entscheidung zur Angestelltenversicherung vom 17. Januar 1979 als unbedenklich angesehen. Der Senat ließ dort ausdrücklich offen, ob die Gesetzesänderung deklaratorischen oder konstitutiven Charakter hatte. Es reichte ihm hier die Feststellung, dass "die ursprüngliche Norm … von vornherein Anlass zu zahlreichen Auslegungsproblemen gegeben" habe, "deren Lösung nicht allein aus dem Wortlaut, sondern nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung möglich war" (BVerfGE 50, 177 <194>). Der Bürger habe sich auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein deshalb nicht verlassen dürfen. Von den gesteigerten Anforderungen des Senats an eine besonders verworrene Rechtslage, die nur ausnahmsweise eine rückwirkende Klarstellung erlaube, ist hier nichts ersichtlich.

113

Besonders deutlich wird die Bewertungsverschiebung der Senatsmehrheit schließlich in Kontrast zu den beiden jüngeren Entscheidungen zur authentischen Auslegung. Im Fremdrentenbeschluss vom 21. Juli 2010 nahm der Senat sogar eine rückwirkende gesetzliche Klarstellung hin, die sich zu Lasten der Betroffenen über eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung hinwegsetzte. Das Vertrauen der betroffenen Rentner, unter leichteren Bedingungen eine Rente zu erhalten, war dort jedenfalls wesentlich gehaltvoller unterlegt als vorliegend das Vertrauen der Banken, ihre Verluste steuerlich geltend machen zu können: Das dort streitige Gesetz nahm den Betroffenen ganz erhebliche Aussichten, ihre Ansprüche im Prozesswege durchzusetzen. Als es in Kraft trat, hatte das Bundessozialgericht gerade in ihrem Sinne entschieden. Dennoch reichte dies dem Senat nicht, um dem Gesetzgeber eine rückwirkende Klarstellung zu untersagen. Von einem Reservat der Rechtsprechung, unklare Rechtslagen selbst aufzulösen, war hier nicht die Rede. Vielmehr stellte der Senat konsequent auf die Frage des Vertrauensschutzes ab: Selbst eine höchstrichterliche Klärung reiche nicht in jedem Fall, ein Vertrauen in die entsprechende Rechtslage zu begründen (vgl. BVerfGE 126, 369 <394 ff.>).

114

Nicht anders lag es bei der Entscheidung des Senats vom 2. Mai 2012 zur Beamtenversorgung. Auch dort setzte sich der Gesetzgeber über eine letztinstanzliche Auslegung eines Bundesgerichts - in concreto des Bundesverwaltungsgerichts - hinweg und führte damit für die Betroffenen rückwirkend eine ungünstigere Versorgungsregelung herbei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dies. Wiederum wurde als maßgebliches Kriterium das Vertrauen in die geltende Rechtslage zugrunde gelegt. Nur wenn die Rechtslage generell geeignet sei, ein Vertrauen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, sei ein solches Vertrauen berechtigt (vgl. BVerfGE 131, 20 <41>). Selbst höchstrichterliche Entscheidungen würden ein solches Vertrauen nicht automatisch begründen. Es bedürfe insoweit vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände wie etwa einer langjährigen gefestigten Rechtsprechung. Die erhebliche Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Literatur und Praxis habe dazu geführt, dass Vertrauen in die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht habe erwachsen können und der Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Klarstellung befugt sei (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>).

115

c) Vergleicht man all diese Fälle mit der vorliegenden Konstellation, in der die Rechtslage sogar noch höchstrichterlich ungeklärt, zwischen Literatur und Fachgerichtsbarkeit vielfältig umstritten und damit insgesamt in jeder Hinsicht als offen bezeichnet werden kann, wird offensichtlich, dass ein Vertrauensschutz im vorliegenden Verfahren nach den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung nicht ansatzweise begründet ist. Auch vom Gegenstand her gibt es keinen Grund, warum das Vertrauen von Banken in die teilweise Abwälzbarkeit ihrer Verluste auf die Allgemeinheit weitergehend geschützt sein soll als das Vertrauen von Rentnern oder Beamten in eine für sie günstige Berechnung ihrer Bezüge. Der Senat vollzieht mit dieser Entscheidung vielmehr eine grundlegende Umwertung der bisherigen Maßstäbe.

116

3. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein konsequentes Abstellen auf das Vertrauenskriterium den Grundsatz des Verbots echt rückwirkender Gesetze letztlich schon als solchen hinfällig werden ließe und damit seinerseits die Schutzstandards der Rechtsprechung preisgebe.

117

Dass diese Schutzstandards jedenfalls bisher nicht in der nun vom Senat zugrunde gelegten Strenge praktiziert wurden und das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender Gesetze, auch mittels der von der Rechtsprechung zugleich entwickelten Ausnahmemöglichkeiten, letztlich zu einer maßgeblichen Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten führte, hat die Durchsicht der Rechtsprechung deutlich gemacht. Die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung wurde in ihr weniger als kategoriale denn als heuristische Unterscheidung verstanden - was sich mit dieser Entscheidung ändert.

118

Durch ein konsequentes Abstellen auf den Vertrauensschutz wird dem Gesetzgeber aber auch für die Zukunft kein Weg eröffnet, der es ihm erlaubte, angesichts der generellen Auslegungsbedürftigkeit des Rechts praktisch beliebig Klärungsbedarf geltend zu machen und damit gesetzliche Entscheidungen ohne weiteres nachträglich umzudrehen. Zwar ist Recht im Einzelfall meistens auslegungsbedürftig. Jedoch lässt sich aus solch abstrakter Aussage nicht herleiten, dass gesetzliche Grundentscheidungen und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Be-stimmungen in aller Regel unbegrenzt auslegungsoffen sind. Man wird kaum davon ausgehen müssen, dass unsere Rechtsordnung schon grundsätzlich nicht in der Lage ist, konkretes Vertrauen in bestimmte Rechtsfolgen zu begründen oder Grundlagen zu schaffen, auf die sich Dispositionen stützen lassen. In allen Fällen jedoch, in denen die Rechtsordnung ein solches Vertrauen begründet - und hierüber zu entscheiden ist gegebenenfalls Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts - gilt der Grundsatz des Verbots echter Rückwirkung zu Recht. Schon die grundrechtlichen Freiheitsvermutungen führen insoweit dazu, dass das Rückwirkungsverbot nicht wirkungslos ist. Im Übrigen lässt sich auch aus dem Fallmaterial des Bundesverfassungsgerichts ersehen, dass der Erlass rückwirkender Gesetze keinesfalls in aller Regel oder auch nur einer Großzahl von Fällen als Klarstellung ungeklärter Auslegungsfragen gerechtfertigt werden könnte. Das Vertrauenskriterium erodiert nicht die bisherige Rechtsprechung, sondern ist vielmehr ihre maßgebliche Grundlage.

IV.

119

Die streitbefangenen Normen geben auch sachlich keinen Anlass, hier von einem Vertrauen der klagenden Banken in die steuerrechtliche Berücksichtigung ihrer Verluste auszugehen. Dass eine solche Berücksichtigung mit der alten Regelung des § 40a Abs. 1 KAGG nie intendiert war, ist bei sachgerechter Auslegung jedenfalls naheliegend. Ganz unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die Kläger mit einer solchen Auslegung rechnen mussten und auf ein entgegenstehendes Verständnis keine Dispositionen stützen konnten.

120

1. Ein Vertrauen lässt sich insoweit jedenfalls nicht einfach hin auf den Wortlaut stützen. Die Auslegung einer solchen Bestimmung bedarf einer verständigen Würdigung in ihrem Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung auch von Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck.

121

Zwar verweist der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. ausdrücklich nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., der die steuerliche Nichtberücksichtigung der Gewinne anordnet, nicht aber auch auf dessen Abs. 3, der die Nichtberücksichtigung der Verluste regelt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass dieser Verweis möglicherweise doch weiter zu verstehen ist. Gerade in komplexen Materien wie dem Steuerrecht, in denen nicht jeder Fall vom Gesetzgeber vorgedacht werden kann, ist es Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit, die Normen nicht in einer punktuell beziehungslosen Wortlautauslegung zu exekutieren, sondern sie aus ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Systematik und den gesetzgeberischen Leitideen heraus zu interpretieren, mit Sinn zu füllen und rechtsfortbildend weiter zu entwickeln. Die strengen Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG, die für den besonderen Bereich des Strafrechts im Zweifel alle Unklarheiten zugunsten des Bürgers durchschlagen lassen, gelten hier nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr den im Gesetz angelegten Ausgleich von privaten und öffentlichen Interessen in einer beiden Seiten gerecht werdenden Weise fort zudenken und ihm Gestalt zu geben. Insofern steht der Wortlaut einer Auslegung, die bei verständiger Würdigung aller Gesichtspunkte schon in der ursprünglichen Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG einen impliziten Verweis nicht nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., sondern auch auf Abs. 3 KStG a.F. sieht, nicht entgegen. Eine solche Auslegung kommt auch nicht erst dann in Betracht, wenn sich anders unerträgliche Wertungswidersprüche auftun. Maßgeblich ist vielmehr, welches Verständnis sich nach Maßgabe der allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden als das in der Sache überzeugendste und dem mutmaßlichen Willen des damaligen Gesetzgebers am nächsten kommende erweist.

122

2. Hiervon ausgehend musste auch für die alte Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG damit gerechnet werden, dass diese in der Rechtspraxis so verstanden wird, wie der Gesetzgeber dies später klarstellend angeordnet hat. Eine solche Auslegung war auch damals zumindest naheliegend.

123

a) Die Einfügung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfolgte im Gesamtzusammenhang mit der Umstellung des Körperschaftsteuerrechts vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Man wollte dabei auch die Investmentfonds möglichst systemgerecht in die neue Ordnung einbeziehen. Ausgehend von der Grundidee des § 8b KStG a.F. und in Verbindung mit dem für die Investmentfonds leitenden Transparenzprinzip liegt es insoweit nahe, dass hier Veräußerungsgewinne und -verluste ebenso wie Teilwertab- und -zuschreibungen möglichst systemgerecht, und das heißt gleichförmig und symmetrisch, in das Körperschaftsteuerrecht integriert werden sollten.

124

Der Gesetzgeber hat in den Materialien keinerlei Erklärung erkennen lassen, warum hier unter Abweichung von der Grundkonzeption des § 8b KStG a.F. nur dessen Abs. 2 anwendbar sein soll. Die Erläuterungen weisen die Einführung der §§ 38 ff. KAGG lediglich als Konsequenz der Gesetzesreform aus (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132) und erläutern die spätere Einfügung des § 40a KAGG a.F. nur in einzelnen technischen Aspekten (vgl. BTDrucks 14/3366, S. 126). Hiervon ausgehend spricht wenig dafür, dass mit der Regelung systemwidrig eine Abweichung vom Transparenzprinzip statuiert werden sollte. Zwar darf der Rückgriff auf das Transparenzprinzip in der Tat nicht genutzt werden, um mit systematischen Erwägungen anderweitige Entscheidungen des Gesetzgebers zu überspielen. Das Transparenzprinzip gilt nur insoweit, als der Gesetzgeber hierauf rekurriert (vgl. BFHE 130, 287 <289>; 229, 351 <357>; Schnitger/Schachinger, BB 2007, S. 801). Wenn aber der Gesetzgeber durch nichts zu erkennen gibt, dass ihn irgendwelche Sachgründe angeleitet haben, hier zu anderen Regeln zu greifen, spricht schon dies dafür, hierin eher ein Redaktionsversehen zu sehen als eine bewusste anderweitige Entscheidung.

125

Ein Indiz für ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen lässt sich bei genetischer Auslegung im Übrigen auch daraus herleiten, dass § 8b Abs. 2 KStG a.F. nach dem ursprünglichen Stand des Gesetzentwurfs zunächst ausschließlich auf Gewinne im engeren Sinne Anwendung finden sollte, während § 8b Abs. 3 KStG a.F. sowohl Teilwertabschreibungen als auch Veräußerungsverluste erfasste. Ebenso spricht für die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten die Spezialregelung des § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG a.F., wonach die Absätze 1 bis 6 nicht auf Anteile anzuwenden sind, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1 Abs. 12 des Kreditwesengesetzes a.F. dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Damit steht zugleich fest, dass bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten keine Differenzierung dahingehend erfolgt, dass Gewinnminderungen steuerwirksam bleiben, während Veräußerungsgewinne steuerfrei gestellt sind.

126

b) Auch in der Sache ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber Gewinne aus Anteilen an Investmentfonds von Steuern freistellen wollte, hiermit verbundene Verluste aber steuermindernd anerkennen wollte. Ein Hinweis darauf, dass eine solche steuerliche Form der Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste gewollt war, ist nicht ersichtlich, und Sachgründe hierfür sind nicht erkennbar. Allerdings weist das vorlegende Gericht zu Recht darauf, dass für die im konkreten Fall in Frage stehenden Teilwertabschreibungen der Wertungswiderspruch durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. ein Stück weit abgemildert wird. Diese Vorschrift führt dazu, dass Gewinne und Verluste so miteinander verrechnet werden, dass jedenfalls eine doppelte Begünstigung verhindert wird, die dadurch entstehen könnte, dass in einem Jahr erzielte Gewinne steuerfrei bleiben, entsprechende Verluste im nächsten Jahr aber steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Dennoch ändert dies nichts an der bei wörtlicher Anwendung der Norm verbleibenden Asymmetrie, dass im Gesamtergebnis die bei Veräußerung erzielten Gewinne steuerfrei sind, während Verluste zu Lasten der Allgemeinheit steuerlich in Ansatz gebracht werden können. Der Verweis auf § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. führt zu einer Verrechnung nur bezogen auf den jeweiligen Anteil und hilft bei den nur einmalig anfallenden Veräußerungsgewinnen und -verlusten generell nicht. Die Diskrepanz zwischen der steuerlichen Relevanz von Verlusten und Gewinnen kommt hier voll zur Geltung, ohne dass hierfür irgendeine Rechtfertigung ersichtlich wäre. Als fernliegend erscheint es dabei, die Bedeutung des Verweises auf § 8b Abs. 2 KStG a.F. für Teilwertab- und -zuschreibungen anders zu interpretieren als für die Veräußerungsgewinne und -verluste.

127

All diese Verkomplizierungen lösen sich auf, wenn man systematisch folgerichtig § 40a Abs. 1 KAGG a.F. von vornherein so versteht, dass er schon immer nicht nur auf Abs. 2, sondern auch auf Abs. 3 verwiesen hat - wie ja im Übrigen auch unstreitig ist, dass der gleichfalls nicht vom Wortlaut umfasste Abs. 4 anwendbar ist.

128

c) Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Frage abschließend zu klären. Dies wird - in Folge der Mehrheitsmeinung im Senat - nun Aufgabe der Fachgerichte sein. Angesichts der triftigen Argumente, die schon ursprünglich für die Auslegung sprachen, die der Gesetzgeber dann auch ausdrücklich bekräftigt hat, kann die rückwirkende Erstreckung dieser Regelung auf die offen gebliebenen Altfälle dann aber nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes beurteilt werden. Die klagenden Banken mussten von Anfang an damit rechnen, dass sie ihre Teilwertabschreibungen nicht steuermindernd geltend machen können. Das gilt umso mehr, als die hier in Frage stehenden Auslegungsfragen schon früh bekannt waren und in der Regel Unternehmen, insbesondere Banken mit kompetenten Rechtsabteilungen, betreffen, die solche Unklarheiten im Zweifel schneller erkennen als die Finanzbehörden selbst.

129

3. Dass der Gesetzgeber in dieser Lage nicht selbst auch für die Altfälle eine Regelung treffen darf, leuchtet nicht ein. Die Annahme eines prinzipiellen Reservats der Fachgerichtsbarkeit für die Lösung dieser Fälle überzeugt - wie dargelegt - schon grundsätzlich nicht. Wenig einleuchtend sind aber auch die vom Senat ergänzend herangezogenen Abgrenzungskriterien für die Anerkennung von Ausnahmen.

130

a) Eine rückwirkende Regelung soll nach Ansicht des Senats deshalb ausscheiden, weil die alte Rechtslage zwar ungeklärt und offen, aber in einem normalen Sinne auslegungsfähig war. Verfassungsrechtlich zulässig sei eine rückwirkende Regelung nur, wenn die alte Regelung zu einer durchgreifend unverständlichen oder verworrenen Rechtslage geführt hätte. Dies sei erst dann der Fall, wenn völlig unverständlich sei, welche Bedeutung die fragliche Norm haben solle, oder die Norm völlig wirr sei. Der Gesetzgeber darf also das, was er als Redaktionsfehler ansieht, hier deshalb nicht selbst klären, weil dieser Fehler zu geringfügig war. Er hätte also gravierendere und größere Verwirrung stiftende Fehler begehen müssen - dann wäre er auch nach Ansicht des Senats zu einer rückwirkenden Regelung befugt. Überzeugend sind solche Grenzlinien nicht.

131

b) Die für den Senat maßgebliche Abgrenzung zwischen einer ungeklärten Rechtslage, die ein rückwirkendes Gesetz noch nicht rechtfertigt, und unklarer und verworrener Rechtslage, die ein solches Gesetz rechtfertigen kann, ist eine Wertungsfrage, die für künftige Fälle Spielräume belässt. Es ist zu hoffen, dass hierüber der mit vorliegender Entscheidung vom Senat eingeschlagene Irrweg doch wieder eingefangen werden kann und sich diese Entscheidung dann im Rückblick nur als Einzelfall darstellt.

132

Gerade aber wenn sie nur ein Einzelfall bleibt, muss die Entscheidung auf Widerspruch stoßen. Denn der vorliegende Fall gibt zu einem Abweichen von der Rechtsprechung besonders wenig Anlass: Es geht hier um das Vertrauen insbesondere von Banken in die steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten in einem Geschäftsbereich, der insgesamt durch einen spekulativen Charakter geprägt ist. Praktisch dürfte es in den betroffenen Jahren vor allem auch um die Verluste in Folge der durch die Anschläge des 11. September 2001 ausgelösten Kursstürze gehen. Warum nun ausgerechnet in dieser Konstellation strengere Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden als in den Fällen, in denen es um den Zugang zur Angestelltenversicherung, die Erlangung von Renten oder die Höhe der Beamtenversorgung ging, leuchtet nicht ein.

V.

133

Richtigerweise hätte § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungsgemäß erklärt werden müssen. Dabei ist es wenig wichtig, ob man angesichts der ungeklärten Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. schon das Vorliegen einer änderungsfähigen Rechtslage und damit überhaupt einer Rückwirkung verneint, ob man von einer nur formellen Rückwirkung ausgeht, die durch die ungeklärte Rechtslage gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>), oder ob man hier eine Rückwirkung sieht, die jenseits der Alternativen von echter und unechter Rückwirkung oder deklaratorischer oder konstitutiver Rechtsänderung unmittelbar durch Verweis auf die offene Rechtsfrage zu lösen ist (vgl. BVerfGE 50, 177 <193 f.>; 131, 20 <40 ff.>). Maßgeblich ist allein, dass im Ergebnis auf die Frage abgestellt werden muss, in welchem Umfang die bisherige Rechtslage ein berechtigtes Vertrauen begründet hat. Und ein solches Vertrauen besteht im vorliegenden Fall schlicht nicht.

134

Nur durch ein konsequentes Abstellen auf ein berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage behält die Rückwirkungsrechtsprechung ihren Charakter als Schutz individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Mit der vorliegenden Entscheidung verformt der Senat die Rückwirkungsrechtsprechung zu einem Instrument der Absicherung eines Reservats der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber wird aus seiner Verantwortung gedrängt und der Bereich politisch-parlamentarischer Entscheidung ungerechtfertigt eingeengt. Dies entspricht dem Bild der Demokratie des Grundgesetzes nicht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 308/07 Verkündet am:
21. Mai 2008
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EEG 2004 § 3 Abs. 2 und 4, § 21 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 4
Die Inbetriebnahme einer Biomasseanlage setzt voraus, dass die Anlage zur Erzeugung
von Strom aus Erneuerbaren Energien oder Grubengas technisch betriebsbereit
ist.
Erforderlich dafür ist, dass die Anlage über eine Einrichtung zur Gewinnung und Aufbereitung
des jeweiligen Energieträgers verfügt, was bei einer Biogasanlage einen
angeschlossenen Fermenter voraussetzt.
BGH, Urteil vom 21. Mai 2008 - VIII ZR 308/07 - OLG Koblenz
LG Trier
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Wiechers
sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Hessel und den Richter Dr. Achilles

für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. November 2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung, die dem Beklagten aufgrund der Einspeisung des von ihm erzeugten Stroms in das Netz der Klägerin zusteht.
2
Der Beklagte erzeugt Strom in einer Biogasanlage und speist diesen in das Netz der Klägerin ein. Die Anlage wurde am 1. Dezember 2003 als KraftWärme -Kopplungs-Anlage in Betrieb genommen und nach Angaben des Beklagten zunächst mit fossilen Brennstoffen betrieben. Mit Schreiben vom 25. November 2003 zeigte der Beklagte der Klägerin den Betrieb der Anlage an; zugleich teilte er mit, dass die Anlage ab 1. Januar 2004 mit nachwachsenden Rohstoffen beschickt werde.
3
Für den eingespeisten Strom erhielt der Beklagte von der R. GmbH in W. und der R. AG in D. Einspeisevergütungen, die ab August 2004 nach den Sätzen des § 8 EEG 2004 berechnet wurden. Diese Vergütungssätze gelten nach der Überleitungsbestimmung des § 21 Abs. 1 Nr. 3 EEG 2004 für Strom aus Biomasseanlagen , die nach dem 31. Dezember 2003 in Betrieb genommen worden sind. Für Strom aus Biomasseanlagen, die bereits vor dem 1. Januar 2004 in Betrieb gegangen sind, sind dagegen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 EEG 2004 weiterhin die Vergütungssätze des EEG 2000 anzuwenden, die sich lediglich um einen Zuschlag nach Maßgabe des § 8 Abs. 2 EEG 2004 erhöhen.
4
Die Klägerin ist der Auffassung, die Anlage des Beklagten sei, da sie bereits im Dezember 2003 Strom erzeugt habe, vor dem 1. Januar 2004 in Betrieb genommen worden, so dass die dem Beklagten zustehende Einspeisevergütung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 EEG 2004 nach den Vergütungssätzen des EEG 2000 zu berechnen sei. Sie begehrt daher aus abgetretenem Recht der R. GmbH in W. und der R. AG in D. Rückzahlung des Unterschiedsbetrags zu der dem Beklagten ab 2004 gezahlten Einspeisevergütung nach den Sätzen des § 8 EEG 2004, den sie mit 91.721,53 € beziffert.
5
Demgegenüber vertritt der Beklagte die Auffassung, die ursprünglich als Blockheizkraftwerk betriebene Anlage sei erst mit dem Anschluss des Fermenters , der, was die Klägerin mit Nichtwissen bestreitet, am 16./17. Januar 2004 erfolgt sei, als Anlage im Sinne des § 3 EEG 2004 in Betrieb genommen worden.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

7
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

8
Das Berufungsgericht (OLG Koblenz, OLGR Koblenz 2008, 239 f.) hat im Wesentlichen ausgeführt:
9
Die Klägerin könne von dem Beklagten aus abgetretenem Recht nicht die (teilweise) Rückzahlung der ab August 2004 gezahlten Einspeisevergütung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BGB i.V.m. § 398 BGB verlangen. Die Zahlung sei nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt, da dem Beklagten gemäß der Übergangsbestimmung des § 21 Abs. 1 Nr. 3 EEG 2004 ein Anspruch auf Vergütung aus § 8 Abs. 1 bis 3 EEG 2004 zugestanden habe. Die Inbetriebnahme der Anlage des Beklagten als Biogasanlage sei erst nach dem 1. Januar 2004 erfolgt.
10
Die gemäß § 21 Abs. 1 EEG 2004 maßgebliche Inbetriebnahme sei in § 3 Abs. 4 EEG 2004 definiert als die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft. Anlage im Sinne dieser Vorschrift sei nach § 3 Abs. 2 EEG 2004 jede selbständige technische Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder aus Grubengas. Da die als Blockheizkraftwerk betriebene Anlage des Beklagten bis zum 31. Dezember 2003 nicht der Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien gedient habe, entspreche sie nicht dem Anlagenbegriff des § 3 Abs. 2 EEG 2004. Dies ergebe die Auslegung der Vorschriften des § 21 Abs. 1 Nr. 3 und des § 8 EEG 2004 nach dem Regelungszweck unter Berücksichtigung des Ausschließlichkeitsprinzips aus § 5 EEG 2004 und nach dem in § 1 Abs. 1 und 2 EEG 2004 formulierten Gesetzeszweck, den Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung im Interesse des Klima-, Natur- und Umweltschutzes zu erhöhen.
11
Nach dem Gesetzeszweck des EEG 2004 bestehe die gesetzliche Mindestvergütungspflicht nur für Strom, der in Anlagen gewonnen werde, die ausschließlich Erneuerbare Energien einsetzten. Dies setze wiederum voraus, dass die Anlage betriebstechnisch in der Lage sei, Strom aus Erneuerbaren Energien zu erzeugen. Erforderlich dafür sei, dass die Anlage über die Einrichtungen zur Gewinnung und Aufbereitung des jeweiligen Energieträgers verfüge. Dazu gehöre bei einer Biogasanlage der Fermenter.
12
Im vorliegenden Fall habe die Anlage des Beklagten bis zum Anschluss des Fermenters nicht der Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien gedient. Dass die Anlage schon vor dem 31. Dezember 2003 über einen Fermenter verfügt habe und technisch zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbarer Energie bereit gewesen sei, habe die insoweit beweisbelastete Klägerin nicht darzulegen vermocht. Demgegenüber habe der Beklagte substantiiert dargelegt , dass der Fermenter erst am 16. und 17. Januar 2004 an das Blockheizkraftwerk angeschlossen worden sei.

II.

13
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin steht kein Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Verbindung mit § 398 BGB zu. Die von den Rechtsvorgängerinnen der Klägerin geleistete Vergütung nach § 8 Abs. 1 bis 3 EEG 2004 erfolgte nicht ohne Rechtsgrund. Die Biogasanlage, in der der Beklagte den in das Netz der Klägerin eingespeisten Strom erzeugt, ist erst nach dem 31. Dezember 2003 in Betrieb genommen worden (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 EEG 2004).
14
1. Die für diese Beurteilung maßgeblichen Begriffe "Anlage" und "Inbetriebnahme" sind, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, in § 3 Abs. 2 und 4 EEG 2004 definiert. "Anlage" ist jede selbständige technische Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder aus Grubengas. Unter "Inbetriebnahme" ist die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft oder nach ihrer Erneuerung, sofern die Kosten der Erneuerung mindestens 50 Prozent der Kosten einer Neuherstellung der gesamten Anlage einschließlich sämtlicher technisch für den Betrieb erforderlicher Einrichtungen und baulicher Anlagen betragen.
15
Die Inbetriebnahme einer Biomasseanlage wie der Biogasanlage des Beklagten setzt voraus, dass die Anlage zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder Grubengas technisch betriebsbereit ist. Erforderlich dafür ist, dass die Anlage über eine Einrichtung zur Gewinnung und Aufbereitung des jeweiligen Energieträgers verfügt. Das ist bei einer Biogasanlage der Fermenter. Erst wenn dieser so angeschlossen ist, dass - wenn auch nach einer Phase des Hochfahrens der Anlage mittels Einsatzes von fossilen Brennstoffen - die Anlage durch den Einsatz von Biomasse dauerhaft Strom erzeugen kann, ist die technische Betriebsbereitschaft der Anlage hergestellt.
16
Da gemäß § 3 Abs. 4 EEG 2004 unter "Inbetriebnahme" die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft zu verstehen ist, kann entgegen der Auffassung der Revision nicht auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem mit der Anlage des Beklagten vor Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien erstmalig Strom (aus fossilen Brennstoffen) erzeugt wurde.
17
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich auch aus dem (nach Urteilsverkündung verabschiedeten) Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften (BT-Drs. 16/8148; BT-Drs. 16/8393; BTDrs. 16/9477), das am 1. Januar 2009 in Kraft treten wird, nichts anderes. Ob entsprechend der Auffassung der Revision nach den Bestimmungen dieses Gesetzes für den Begriff der Inbetriebnahme auf einen früheren Zeitpunkt als den der technischen Betriebsbereitschaft zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien abzustellen ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn es fehlt jedenfalls an Anhaltspunkten für die weitere Annahme der Revision, dabei handele es sich um eine Präzisierung des bereits im EEG 2004 verwendeten, hier allein maßgeblichen Begriffs der Inbetriebnahme und nicht um eine neue Definition.
18
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe darlegen und beweisen müssen, dass die Anlage des Beklagten schon vor dem 1. Januar 2004 über einen Fermenter verfügt habe und technisch zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien imstande gewesen sei. Zwar zählt der Anschluss eines Fermenters zu den Voraussetzungen des vom Beklagten als Rechtsgrund in Anspruch genommenen Vergütungsanspruchs nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 8 Abs. 1 und 2 EEG 2004 (vgl. OLG Oldenburg, ZNER 2006, 158, 159). Darlegungs- und beweisbelastet für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des erhöhten Vergütungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 und 2 EEG 2004 ist jedoch im Rahmen des bereicherungsrechtlichen Anspruchs die Klägerin.
19
Wer einen Bereicherungsanspruch aus Leistungskondiktion geltend macht, trägt die Beweislast für die Tatsachen, aus denen er die von ihm begehrte Rechtsfolge herleitet, somit auch für das Nichtbestehen eines Rechtsgrundes der erbrachten Leistung (BGH, Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 215/91, NJW-RR 1992, 1214, 1215 m.w.N.). Die Klägerin hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen, den Vortrag des Beklagten zum Zeitpunkt des Anschlusses des Fermenters (mit Nichtwissen) zu bestreiten, sondern Beweis dafür antreten müssen, dass der Fermenter schon vor dem 1. Januar 2004 angeschlossen worden ist. Ball Wiechers Hermanns Dr. Hessel Dr. Achilles
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 27.02.2007 - 11 O 291/06 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 06.11.2007 - 11 U 439/07 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 48/10 Verkündet am:
16. März 2011
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EEG 2004 §§ 3, 8
Für den Zeitpunkt der Inbetriebnahme einer Anlage zur Erzeugung von Strom aus
Erneuerbarer Energie ist auch dann auf die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage
nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft abzustellen, wenn der Stromerzeugung
aus Erneuerbarer Energie zunächst ein technisch notwendiger konventioneller
Anfahrbetrieb mit fossilen Brennstoffen vorausgeht (Fortführung von BGH,
Urteil vom 21. Mai 2008 - VIII ZR 308/07, WM 2008, 1799).
BGH, Urteil vom 16. März 2011 - VIII ZR 48/10 - OLG München
LG Deggendorf
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. März 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin
Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Januar 2010 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 32. Zivilkammer des Landgerichts Deggendorf vom 5. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin ist ein regionaler Energieversorger. Der Beklagte errichtete in H. /Niederbayern im Jahr 2006 ein Blockheizkraftwerk zum Zwecke der Strom- und Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren Energien (Pflanzenöl). Zur Herstellung seines Kraftwerks erwarb der Beklagte von der R. GmbH Anlagenteile (Container mit Motor, Schaltschrank, Generator, Abgaswärmetauscher mit Schalldämpfer), die ehemals zu einem in Schwaben auf der Basis von Biogas betriebenen Heizkraftwerk gehörten. Der Beklagte verband die erwor- benen Anlagenteile mit Pflanzenöltanks und schloss die notwendigen Stromkabel an den Transformator und die Wärmeleitungen zur Abwärmenutzung an. Am 28. Dezember 2006 wurde die Anlage mit Heizöl hochgefahren und an das Netz der Klägerin angeschlossen. Seit 12. Januar 2007 wird das Kraftwerk des Beklagten mit Pflanzenöl betrieben.
2
Die Klägerin vergütete den vom Beklagten eingespeisten Strom gemäß §§ 5, 8 des Gesetzes für den Vorrang Erneuerbarer Energien vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1918, Erneuerbare-Energien-Gesetz; im Folgenden EEG 2004) im Zeitraum Dezember 2006 bis Dezember 2007 mit einem Betrag von 19,33 Cent/KWh. Insgesamt zahlte die Klägerin an den Beklagten für den genannten Zeitraum 274.792,33 €. Für die Monate Januar, Februar und März 2008 erteilte sie dem Beklagten Gutschriften in Höhe von insgesamt 52.754,16 €; Zahlungen hierauf erfolgten nicht.
3
Die Klägerin ist der Auffassung, dass der in der Anlage des Beklagten erzeugte Strom nicht nach dem EEG 2004 zu vergüten sei, weil die Anlage vor dem 1. Januar 2007 nicht technisch betriebsbereit gewesen sei, da das Pflanzenöl erst am 12. Januar 2007 die erforderliche Betriebstemperatur erreicht habe , um als Brennstoff dienen zu können; jedenfalls sei die Anlage vor dem 1. Januar 2007 nicht mit einem Erneuerbaren Energieträger in Betrieb genommen worden. Eine Vergütungspflicht bestehe daher für den Zeitraum Dezember 2006 bis Dezember 2007 nur nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz in Höhe von 69.230,50 €.
4
Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Rückzahlung der ihrer Auffassung nach für die Zeit Dezember 2006 bis Dezember 2007 nicht geschuldeten Vergütung in Höhe von 205.661,83 € nebst Zinsen, Befreiung von den für Januar bis März 2008 erteilten Gutschriften in Höhe von 52.754,16 € und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 2.534,20 € in Anspruch genommen. Der Beklagte verlangt widerklagend von der Klägerin die Auszahlung der erteilten Gutschriften in Höhe von 52.754,16 € nebst Zinsen.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von 205.661,63 € nebst Zinsen verurteilt; die Widerklage hat es abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision hat Erfolg.

I.

7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
8
Der Klägerin stehe aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB in Verbindung mit § 8 Abs. 6 EEG 2004 der eingeklagte Rückzahlungsanspruch zu, denn das Kraftwerk des Beklagten sei erst nach dem für die Vergütungspflicht maßgebenden Stichtag 31. Dezember 2006 in Betrieb genommen worden.
9
Bei dem Kraftwerk des Beklagten handele es sich um eine neu errichtete Anlage im Sinne des § 3 Abs. 2 EEG 2004 und nicht lediglich um eine erneuerte Anlage gemäß § 3 Abs. 4 EEG 2004. Für diese Beurteilung sei zum einen maßgebend, dass der Beklagte nur Teile des ursprünglich an einem anderen Ort (Schwaben) betriebenen Blockheizkraftwerks erworben habe, und zum an- deren, dass er die Anlage nicht mit dem ursprünglich verwendeten Erneuerbaren Energieträger Biogas, sondern mit Pflanzenöl betreibe.
10
Die neue Anlage sei von dem Beklagten erst nach dem 31. Dezember 2006 in Betrieb genommen worden. Zwar sei das Kraftwerk vor diesem Stichtag technisch betriebsbereit gewesen, weil sämtliche für den Betrieb mit Pflanzenöl notwendigen Teile vorhanden und funktionsfähig gewesen seien. Das Gesetz verlange in § 3 Abs. 4 EEG 2004 jedoch neben der technischen Betriebsbereitschaft auch, dass die Anlage mit dem dafür vorgesehenen Erneuerbaren Energieträger (hier Pflanzenöl) vor dem Stichtag tatsächlich in Betrieb gegangen sei. Daran fehle es, da die Anlage bis 12. Januar 2007 mit Heizöl befeuert worden sei. Dieser vom Beklagten selbst so bezeichnete Probebetrieb mit dem fossilen Energieträger Heizöl stelle noch keine Inbetriebnahme einer Anlage dar, die mit Erneuerbarer Energie betrieben werden solle. Denn die optimale und technisch sichere Einstellung des Motors der Anlage könne nur dann erfolgen, wenn der Motor mit dem Energieträger betrieben werde, mit dem er dann anschließend dauerhaft laufen solle.
11
Für diese Betrachtung spreche vor allem das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, weil sie die Abgrenzung entbehrlich mache, ab wie vielen Tagen eine Übergangsphase/ein Probebetrieb für den Vergütungsanspruch nach dem EEG 2004 schädlich sei. Dagegen könne der Zeitpunkt, in dem von dem fossilen Energieträger auf Erneuerbare Energie umgestellt werde, eindeutig bestimmt werden. Der Anlagenbetreiber werde hierdurch nicht schutzlos gestellt, denn er habe es in der Hand, den Anfahrbetrieb rechtzeitig vor dem Stichtag zu beenden und die Anlage mit dem Erneuerbaren Energieträger in Betrieb zu setzen. Es liege im Übrigen nicht im Sinne des § 1 EEG 2004, wenn der Verbrauch von fossilen Brennstoffen - wie hier - über einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen gefördert werde.

II.

12
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.
13
Der Klägerin steht kein Rückzahlungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, da die von ihr im Zeitraum Dezember 2006 bis Dezember 2007 geleisteten Zahlungen nicht ohne Rechtsgrund erfolgten. Denn die von dem Beklagten betriebene Anlage zur Erzeugung von Strom aus dem Erneuerbaren Energieträger Pflanzenöl ist vor dem 1. Januar 2007 in Betrieb genommen worden (§ 3 Abs. 4, § 8 Abs. 6 EEG 2004). Demgemäß ist auch die Widerklage begründet, denn die Klägerin ist nach §§ 5, 8 EEG 2004 verpflichtet, den von dem Beklagten mit seiner Anlage eingespeisten Strom auch für die Monate Januar bis März 2008 entsprechend den für diesen Zeitraum erteilten Gutschriften, die in ihrer Höhe unstreitig sind, zu vergüten.
14
1. Netzbetreiber sind nach § 5 EEG 2004 verpflichtet, den gemäß § 4 EEG 2004 abgenommenen, aus Biomasse gewonnenen Strom gemäß § 8 EEG 2004 zu vergüten. Gemäß § 8 Abs. 6 Satz 1 EEG 2004 entfällt diese Vergütungspflicht für Strom aus Anlagen, die nach dem 31. Dezember 2006 in Betrieb genommen worden sind, wenn für Zwecke der Zünd- und Stützfeuerung nicht ausschließlich Biomasse im Sinne der Rechtsverordnung nach Absatz 7 oder Pflanzenmethylester verwendet wird.
15
Keiner Entscheidung bedarf, ob - wie die Revision geltend macht - für den Zeitpunkt der Inbetriebnahme im Sinne des § 8 Abs. 6 EEG 2004 darauf abzustellen ist, wann mit der ursprünglich an einem anderen Standort mit einem anderen Erneuerbaren Energieträger (Biogas) betriebenen Anlage, die der Beklagte ganz oder teilweise erworben hat, erstmals Strom aus Erneuerbarer Energie erzeugt worden ist. Denn auch das vom Beklagten auf den Betrieb mit Pflanzenöl umgerüstete Blockheizkraftwerk ist vor dem 1. Januar 2007 in Betrieb genommen worden.
16
2. Unter Inbetriebnahme einer Anlage, die Strom aus Erneuerbaren Energien erzeugt, ist die erstmalige Inbetriebsetzung der Anlage nach Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft oder nach ihrer Erneuerung zu verstehen , sofern die Kosten der Erneuerung mindestens 50 % der Kosten einer Neuherstellung der gesamten Anlage einschließlich sämtlicher technisch für den Betrieb erforderlicher Einrichtungen und baulicher Anlagen betragen (§ 3 Abs. 4 EEG 2004). Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Inbetriebnahme einer Biomasseanlage voraus, dass die Anlage zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien oder Grubengas technisch betriebsbereit ist. Erforderlich dafür ist, dass die Anlage über sämtliche Einrichtungen zur Stromerzeugung unter Einsatz des jeweiligen Energieträgers verfügt. Wenn diese Einrichtungen so angeschlossen sind, dass - wenn auch nach einer Phase des Hochfahrens der Anlage mittels Einsatzes fossiler Brennstoffe - die Anlage durch den Einsatz von Biomasse dauerhaft Strom erzeugen kann, ist die technische Betriebsbereitschaft der Anlage hergestellt (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 2008 - VIII ZR 308/07, WM 2008, 1799 Rn. 15).
17
Diese für eine Inbetriebnahme erforderlichen Voraussetzungen erfüllte die vom Beklagten betriebene Anlage entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bereits vor dem nach § 8 Abs. 6 EEG 2004 für die Vergütungspflicht der Klägerin maßgebenden Stichtag 1. Januar 2007.
18
a) Die Anlage des Beklagten war vor dem 1. Januar 2007 technisch betriebsbereit , denn sie verfügte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts über sämtliche zur Stromerzeugung aus Pflanzenöl notwendige Einrichtungen.
Die Tatsache, dass das Pflanzenöl vor dem 1. Januar 2007 noch nicht die erforderliche Betriebstemperatur erreicht hatte, um dauerhaft Strom aus Erneuerbarer Energie zu erzeugen, ändert daher entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nichts an der bereits vor dem 1. Januar 2007 bestehenden technischen Betriebsbereitschaft der Anlage.
19
b) Die Anlage des Beklagten ist auch vor dem 1. Januar 2007 in Betrieb genommen worden. Denn nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde die Anlage am 28. Dezember 2006 mit Heizöl hochgefahren und der erzeugte Strom ab diesem Zeitpunkt in das Netz der Klägerin eingespeist.
20
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung steht dieser Betrachtung das Senatsurteil vom 21. Mai 2008 (VIII ZR 308/07, aaO Rn.16) nicht entgegen. Der Senat hat an der angeführten Textstelle ausgeführt, dass für eine Inbetriebnahme einer Anlage nach § 3 Abs. 4 EEG 2004 nicht auf den Zeitpunkt abgestellt werden kann, zu dem mit der Anlage vor Herstellung ihrer technischen Betriebsbereitschaft zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien erstmalig Strom (aus fossilen Brennstoffen) erzeugt wurde. Daran ist festzuhalten. Im Streitfall war die Anlage des Beklagten indes - im Gegensatz zu der in dem zitierten Senatsurteil zu beurteilenden Biogasanlage, für deren technische Betriebsbereitschaft ein Fermenter fehlte - im Zeitpunkt der erstmaligen Stromerzeugung mittels des fossilen Brennstoffs Heizöl (28. Dezember 2006) technisch betriebsbereit; denn sie verfügte über sämtliche Einrichtungen, die zum Betrieb mit dem Erneuerbaren Energieträger Pflanzenöl notwenig sind.
21
c) Eine von der Inbetriebnahme einer technisch betriebsbereiten Anlage zu trennende Frage ist es, ob ein für die beabsichtigte spätere Stromerzeugung aus Erneuerbarer Energie zunächst - wie hier - notwendiger konventioneller Anfahrbetrieb unter Einsatz fossiler Brennstoffe über den für den Vergütungs- anspruch maßgebenden Stichtag (31. Dezember 2006) hinaus die Vergütungspflicht des Netzbetreibers entfallen lässt. Das ist zu verneinen. Insbesondere steht ein für das Hochfahren der Anlage oder die Zünd- und Stützfeuerung vorübergehender , technisch jedoch unerlässlicher anfänglicher Betrieb der Anlage mit fossilen Brennstoffen dem Zweck des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes nicht entgegen (so auch Salje, Erneuerbare-Energien-Gesetz, 4. Aufl., § 3 Rn. 143 ff.). Aus den Gesetzesmaterialien zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz wird deutlich, dass ein technisch notwendiger Anfahrbetrieb ebenso wie eine notwendige Zünd- und Stützfeuerung mit fossilen Brennstoffen den in § 5 EEG 2004 normierten Grundsatz, dass nur die Stromerzeugung privilegiert wird, die vollständig auf den Einsatz Erneuerbarer Energieträger zurückzuführen ist, nicht in Frage stellt. Denn dieses Ausschließlichkeitskriterium bezieht sich lediglich auf den Prozess der Stromerzeugung, nicht jedoch auf die vorbereitenden Schritte (BT-Drucks. 15/2327, S. 26).
22
Ob ein bloßer Probebetrieb mit fossilen Brennstoffen, wie das Berufungsgericht meint, nicht als Inbetriebnahme anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn der Betrieb der Anlage des Beklagten in der Zeit vom 28. Dezember 2006 bis 12. Januar 2007 war auch nach dem vom Berufungsgericht angeführten, im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wiedergegebenen Beklagtenvortrag kein bloßer Probetrieb, sondern ein "notwendiger Anfahr- und Probebetrieb", um das in den Lagertanks vorhandene Palmöl auf die für den Betrieb mit Palmöl benötigte Betriebstemperatur zu bringen.

III.

23
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da keine tatsächlichen Feststellungen mehr zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Rückzahlungsanspruch der Klägerin unbegründet ist, der Beklagte hingegen Anspruch auf Auszahlung der erteilten Gutschriften hat, ist die Berufung gegen das zutreffend erkennende Urteil des Landgerichts zurückzuweisen. Ball Dr. Hessel Dr. Achilles Dr. Schneider Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Deggendorf, Entscheidung vom 05.02.2009 - 32 O 347/08 -
OLG München, Entscheidung vom 21.01.2010 - 8 U 2128/09 -

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.