Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 25. Feb. 2013 - 5 U 224/11 - 34

bei uns veröffentlicht am25.02.2013

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 5.5.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 12 O 157/07 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 192.985 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistung einer Invaliditätsentschädigung und einer Rente aus einer Unfallversicherung in Anspruch. Er ist versicherte Person des Unfallversicherungsvertrages Nr. U .../... ... 269 zwischen Frau A. M. und der Beklagten, welchem deren Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (NBA-AUB 2000, Bl. 20 ff. d.A.) nebst Zusatzbedingungen (Bl. 26 ff. d.A.) zugrunde liegen. Für den Fall der Vollinvalidität ist eine Invaliditätsleistung von 420.000 EUR vereinbart; ab einer 40%-igen Invalidität ferner eine Unfallrente von 530 EUR (Bl. 17 d.A.).

Der Kläger stützt seine Ansprüche auf ein schweres Verkehrsunfallgeschehen vom 12.12.2003, bei welchem er auf die Leitplanke der Autobahn geprallt war, sodass sich alle acht Airbags des von ihm geführten Fahrzeugs ausgelöst hatten. Dabei zog der Kläger sich unstreitig jedenfalls eine HWS-Beschleunigungsverletzung I. Grades sowie eine Thoraxprellung rechts zu, die am darauffolgenden Tag im P. Krankenhaus diagnostiziert wurden; eine dort durchgeführte Röntgenuntersuchung vom 13.12.2003 blieb ohne Befund (Bl. 120 d.A.).

In der Zeit nach dem Unfallereignis stellten sich weitere Beschwerden in Form neurologischer Ausfälle – Fußheberschwäche, Magen-Darm-Probleme und Blasenschwäche – ein, wobei die zeitliche Nähe zu dem Unfallereignis zwischen den Parteien streitig ist. Eine kernspintomographische Untersuchung vom 17.11.2004 ergab einen Bandscheibenvorfall bei C5/C6 und C6/C7 mit Myelomalazie, rechtsbetonten foraminalen Engen, Spondylarthrosen und einer inkompletten spastischen Tetraplegie.

Die Parteien streiten darüber, ob und gegebenenfalls mit welchem Verursachungsanteil der Bandscheibenvorfall (traumatische) Folge des Unfallereignisses vom 12.12.2003 oder Ergebnis bereits vorhandener degenerativer Veränderungen gewesen ist.

Im Oktober 2006 veranlasste die Beklagte eine Begutachtung des Klägers. Ausgehend davon, dass vor dem Unfallereignis keine Vorbehandlungen und Beschwerden an der Halswirbelsäule vorgelegen hätten, hielt der orthopädische Sachverständige Dr. L. das Unfallereignis vom 12.12.2003 in seinem Gutachten vom 20.12.2006 für geeignet, Schädigungen an der Halswirbelsäule mit nachfolgenden Lähmungserscheinungen auszulösen (Bl. 65 d.A.) und nahm auf orthopädischem Gebiet eine Invalidität von 10 % an. Der Sachverständige Dr. R. bewertete die Invalidität in seinem Gutachten vom 11.12.2006 (Bl. 67 ff. d.A.) aus neurologischer Sicht mit 60 %, überließ die Einschätzung, ob diese unfallbedingt oder Folge einer anlagebedingten degenerativen Wirbelsäulenerkrankung sei, jedoch dem orthopädischen Hauptgutachter (Bl. 88 d.A.).

Auf dieser Grundlage teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 20.4.2007 (Bl. 224 d.A.) unter Beifügung der beiden vorgenannten Gutachten mit, dass der Unfall eine Invalidität zurücklassen werde, für die eine Invaliditätsleistung von 232.000 EUR erbracht werde. Die beigefügte Abrechnung (Bl. 225 d.A.) ging – ohne nähere Konkretisierung - von einem Gesamtinvaliditätsgrad von 70 % aus. Mit Schreiben vom 24.5.2007 (Bl. 90 d.A.) beanstandete der Kläger die Gutachten und forderte Versicherungsleistungen auf der Grundlage einer Vollinvalidität. Nach Einholung ergänzender Stellungnahmen der Gutachter – unter anderem zur Bewertung der Invalidität auf der Grundlage der Gliedertaxe - (Bl. 98 ff. d.A.) nahm die Beklagte mit Schreiben vom 25.7.2007 (Bl. 95 d.A.) ausweislich der beigefügten Abrechnung (Bl. 96 d.A.) eine Gesamtinvalidität von 70,5 % an, woraus sich eine weitere Invaliditätsleistung von 2.800 EUR ergab. Daneben wurde rückwirkend ab Dezember 2003 eine Rentenleistung von monatlich 352,50 EUR erbracht (Bl. 226 d.A.).

Da der Kläger auch diese Abrechnung beanstandete, veranlasste die Beklagte eine medizinische Überprüfung des Sachverhalts durch Herrn Dr. med. D., der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 26.9.2007 (Bl. 33 f. d.A.) eine schwere orthopädische Erkrankung mit neurologischen Ausfällen feststellte, die sich jedoch nicht „mit der geforderten Wahrscheinlichkeit“ mit dem Unfallereignis in Zusammenhang bringen“ lasse; das Unfallereignis habe nach den zur Verfügung stehenden Unterlagen eine Zerrung der paravertebralen Weichteilstrukturen verursacht, jedoch keine darüber hinausgehende Verletzung; damit lasse sich eine Invalidität nicht begründen (Bl. 39 d.A.). Auf dieser Grundlage bestritt die Beklagte mit Schreiben vom 2.10.2007 die Unfallbedingtheit der Beeinträchtigungen, verweigerte weitere Invaliditätsleistungen, stellte die Rentenleistungen ein und wies auf mögliche Rückforderungsansprüche hin (Bl. 32 d.A.).

Der Kläger verfolgt seine Ansprüche im Klageweg weiter. Es sei schon am Ende der Drei-Jahres-Frist der Ziff. 9.4. der Bedingungen erkennbar gewesen, dass er in absehbarer Zeit im Rollstuhl sitzen werde und mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem künstlichen Blasen- und Darmausgang leben müsse. Dies rechtfertige die Annahme von Vollinvalidität. Nachdem die Beklagte ihre Einstandspflicht mit Schreiben vom 20.4.2007 dem Grunde nach vorbehaltlos anerkannt habe, sei sie für das Fehlen der Unfallbedingtheit der Beeinträchtigungen ebenso wie in einem Rückforderungsprozess beweispflichtig. Das Anerkenntnis habe außerdem zur Folge, dass der Rentenanspruch für die Zukunft nicht aberkannt werden könne. Dessen ungeachtet sei der Versicherer nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist nicht mehr berechtigt, seine Regulierungsentscheidung allein deshalb abzuändern, weil er die ihr zugrunde liegenden ärztlichen Stellungnahmen nunmehr anders bewerte; eine Abänderung sei lediglich im Falle einer Besserung des Zustandes zulässig. Die Bedingungen der Beklagten seien insoweit ähnlich organisiert wie das Nachprüfungsverfahren in der Berufsunfähigkeitsversicherung.

Die Beklagte habe mit der Neuberechnung durch ihr Schreiben vom 25.7.2007 von ihrem Recht nach Ziff. 9.4 der Bedingungen Gebrauch gemacht. An diese Invaliditätsabrechnung sei sie jedenfalls hinsichtlich der Kausalität des Unfallereignisses gebunden.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 165.200 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2007 sowie weitere Zinsen aus einem Betrag von 2.800 EUR für den Zeitraum vom 20.4.2007 bis zum 25.7.2007 in Höhe von 5 %-Punkten zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.785 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 25.7.2007 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger regelmäßige Leistungen beginnend mit dem Oktober 2007 in Höhe von 500 EUR monatlich, an den Kläger bis zu seinem Lebensende nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.833,15 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Unfallbedingtheit der Beeinträchtigungen bestritten.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Einholung orthopädischer, fachneurologischer, klinisch-neurophysiologischer und neuroradiologischer Sachverständigengutachten mit am 5.5.2011 verkündetem Urteil abgewiesen (Bl. 563 ff. d.A.). Dem Kläger sei der ihm obliegende Nachweis, dass er aufgrund des Unfallereignisses vom 12.12.2003 – zu mehr als 70,5 % - invalide geworden ist, nicht gelungen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertritt unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Ansicht, das Landgericht habe die Wirkungen der beiden vorprozessualen Anerkenntnisse verkannt, die für die Beklagte sowohl hinsichtlich der (überwiegenden) Unfallbedingtheit als auch hinsichtlich des anerkannten Invaliditätsgrades von 70,5 % Bindungswirkung entfalteten. Dies folge schon daraus, dass mit Blick auf den Ablauf der Drei-Jahres-Frist der Ziff. 9.4. der Bedingungen ohnehin keine Neufestsetzung möglich gewesen wäre. Ausgehend von einer feststehenden unfallbedingten Invalidität sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einem Invaliditätsgrad von 100 % auszugehen. Selbst wenn man eine solche Bindungswirkung nicht annehmen wollte, sei zumindest von einer Beweislastumkehr auszugehen. Der Beweis der fehlenden Unfallbedingtheit sei der Beklagten jedoch nicht gelungen. Da unklar sei, ob die gerichtlich bestellten Sachverständigen den Unfallhergang, insbesondere die dabei auf den Kläger einwirkenden Kräfte, hinreichend berücksichtigt hätten, habe das Landgericht ferner zu Unrecht von der vom Kläger beantragten Einholung eines biomechanischen Gutachtens abgesehen (Bl. 549/550 d.A.).

In der Berufungsinstanz behauptet der Kläger nunmehr ferner, bereits unmittelbar nach dem Unfallereignis Beschwerden – im Sinne neurologischer Ausfälle - gehabt zu haben, welche er selbst allerdings nicht mit dem Unfallereignis in Zusammenhang gebracht habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 165.200 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2007 sowie weitere Zinsen aus einem Betrag von 2.800 EUR für den Zeitraum vom 20.4.2007 bis zum 25.7.2007 in Höhe von 5 %-Punkten zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.785 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 25.7.2007 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger regelmäßige Leistungen beginnend mit dem Oktober 2007 in Höhe von 500 EUR monatlich, an den Kläger bis zu seinem Lebensende nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszins seit dem 20.11.2007 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.833,15 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet weiterhin sowohl die Unfallbedingtheit der Erkrankung des Klägers als auch die Bindungswirkung ihrer beiden Abrechnungsschreiben; jedenfalls sei ihr Schreiben vom 2.10.2007 als rechtzeitige Anfechtung eventueller Anerkenntnisse zu werten. Im Übrigen sei das Schreiben vom 25.7.2007 schon deshalb nicht als bedingungsgemäße Neufestsetzung zu werten, weil dieses lediglich die Umstellung der Bewertung der Gutachter auf die Gliedertaxe enthalten habe (Bl. 613 d.A.).

Das Vorbringen des Klägers, es seien bereits unmittelbar nach dem Unfallereignis vom 12.12.2003 Ausfallerscheinungen aufgetreten, sei nicht nur verspätet, sondern stehe auch in eklatantem Widerspruch zu dessen erstinstanzlichem Vorbringen.

Der Senat hat ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten des Prof. Dr. S. R. vom 24.2.2012 (Bl. 673 ff. d.A.) eingeholt.

Wegen des Sachverhalts und des Parteivortrages sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts und des Senats sowie auf das orthopädisch-unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. S. R. vom 24.2.2012 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Für die rechtliche Beurteilung ist gemäß Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 EGVVG das Versicherungsvertragsgesetz in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung einschlägig, weil der Versicherungsfall sich auf einen bis zum 31.12.2007 geschlossenen Vertrag bezieht und nicht nach dem 31.12.2008 eingetreten ist.

Das Landgericht hat einen Anspruch des Klägers auf eine den bisher geleisteten Betrag übersteigende Invaliditätsleistung - unabhängig von dem anzunehmenden Grad der Invalidität – zu Recht schon an dem fehlenden Nachweis scheitern lassen, dass die schwere orthopädische Erkrankung des Klägers in Form von Bandscheibenvorfällen mit neurologischen Ausfällen zumindest überwiegend auf das Unfallgeschehen vom 12.12.2003 zurückzuführen ist. Aus demselben Grund scheitert sein Anspruch auf – rückständige und künftige – Rentenzahlungen.

1.

Das Unfallgeschehen vom 12.12.2003 und die hieraus unmittelbar resultierenden Verletzungen – eine HWS-Beschleunigungsverletzung I. Grades sowie eine Thoraxprellung rechts, welche offenbar folgenlos ausgeheilt sind - sind zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie die fristgerechte ärztliche Feststellung der Invalidität und deren fristgerechte Meldung bei der Beklagten. Allerdings lässt sich dem Vorbringen der Parteien nicht entnehmen, worin sie die fristgemäße ärztliche Feststellung sehen, welche Anspruchsvoraussetzung der geltend gemachten Invaliditätsleistungen ist (vgl. BGH, Urt. v. 7.3.2007 – IV ZR 137/06 – VersR 2007, 1114). Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob diese sämtliche Beeinträchtigungen umfasst, auf die der Kläger sich nunmehr zu Begründung seiner Invalidität stützt. Darauf kommt es aber dann nicht an, wenn die Berufung der Beklagten auf eine eventuell verspätete ärztliche Feststellung hier ohnehin treuwidrig (vgl. OLG Düsseldorf, RuS 1999, 524: abgelehnt für eine Geltendmachung in der Berufungserwiderung) oder die Klage aus anderen Gründen unbegründet wäre.

Letzteres ist der Fall.

2.

Der Kläger leitet seine - behauptete – bedingungsgemäße Invalidität aus einem am 17.11.2004 diagnostizierten Bandscheibenvorfall mit schweren neurologischen Ausfällen ab.

a)

Allerdings sind Bandscheibenschäden gemäß Ziff. 5.2.1 der Bedingungen unter den dort genannten Voraussetzungen vom Versicherungsschutz grundsätzlich ausgeschlossen. Ausgehend davon, dass bei solchen Erkrankungen in der Regel die Folgen degenerativer Veränderungen überwiegen (vgl. OLG Oldenburg, VersR 1997, 821; Knappmann in Prölss/Martin, aaO., Nr. 5 AUB 2008 Rdn. 52), nimmt die Klausel diese vom Leistungsversprechen des Versicherers aus, wenn ihnen kein Unfallereignis vorangegangen ist oder dieses sich nicht als überwiegend ursächlich für die gesundheitliche Beeinträchtigung darstellt; eine bloße Mitursächlichkeit genügt nicht (vgl. BGH, Urt. v. 28.1.2009 – IV ZR 6/08 – NJW-RR 2009, 679).

Beweisrechtlich gilt dabei Folgendes: Während für den Leistungsausschluss der Versicherer die Beweislast trägt, ist es Sache des Versicherungsnehmers, den Wiedereinschluss – insbesondere die überwiegende Ursächlichkeit des Unfallereignisses – darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, aaO.; Beschl. v. 24.9.2008 – IV ZR 219/07 – VersR 2008, 1683).

b)

Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beklagte dabei aufgrund ihrer Schreiben vom 20.4.2007 (Bl. 224 d.A.) und vom 25.7.2007 (Bl. 95 d.A.) weder mit dem Einwand ausgeschlossen, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers seien nicht auf das Unfallgeschehen zurückzuführen, noch ist sie für die fehlende Unfallbedingtheit beweispflichtig oder an den dort festgestellten Grad der Invalidität gebunden.

aa)

Das Landgericht ist durch Auslegung der beiden vorgenannten Schreiben der Beklagten zu dem Ergebnis gelangt, dass diese nach dem Willen der Parteien unter Berücksichtigung des Anlasses und der Interessenlage nicht als Angebot zum Abschluss eines bestätigenden (deklaratorischen) Schuldanerkenntnisvertrages – über einen bestimmten Invaliditätsgrad - angesehen werden können. Dem schließt der Senat sich an.

Ein solcher Vertrag zielt darauf ab, das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest unter bestimmten Gesichtspunkten dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen und es (insoweit) endgültig festzulegen, mit der Folge, dass dem anerkennenden Schuldner (insoweit) Einwendungen gegen die Schuld abgeschnitten sind. Die jeweilige Tragweite einer solchen „bestätigenden“ Wirkung ist durch Auslegung des zum Ausdruck gebrachten Parteiwillens zu ermitteln, wobei vor allem auf den mit dem Anerkenntnis verfolgten Zweck, die beiderseitige Interessenlage der Parteien und die allgemeine Verkehrsanschauung über die Bedeutung eines solchen Anerkenntnisses abzustellen ist. Von entscheidender Bedeutung ist, ob ein besonderer Anlass zum Abschluss eines Schuldbestätigungsvertrages bestand. Mit Blick auf seine oben erwähnte Zielsetzung – das Schuldverhältnis (ganz oder teilweise) dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien zu entziehen – ist die Annahme eines Schuldbestätigungsvertrages nur berechtigt, wenn zwischen den Parteien zuvor tatsächlich Streit oder Ungewissheit über das Bestehen des Schuldverhältnisses oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte herrschte (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1976 – IV ZR 222/74 – VersR 1977, 471; Senat, Urt. v. 26.1.2011 – 5 U 25/09 -).

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis in rechtsfehlerfreier Weise verneint. Ungeachtet des Umstands, dass dies eine Annahmeerklärung des Klägers vorausgesetzt hätte, welche hier aber fehlt, weil dieser sich mit keinem der beiden Abrechnungsschreiben einverstanden erklärt hat, gilt Folgendes:

(1) Anlass der Schreiben vom 20.4.2007 und vom 25.7.2007 war die in Ziff. 9.1 der Bedingungen vorgesehene – nunmehr in § 187 VVG n.F. auch gesetzlich bestimmte - (Erstbemessungs-) Pflicht der Beklagten, innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Nachweises des Unfallhergangs, der Unfallfolgen und – soweit für die Bemessung der Invalidität notwendig - des Nachweises über den Abschluss des Heilverfahrens zu erklären, ob und in welcher Höhe sie einen Anspruch anerkennt. Ein solches Anerkenntnis beinhaltet regelmäßig aber lediglich eine Mitteilung an den Versicherungsnehmer, in welchem Umfang Ansprüche als berechtigt angesehen und entsprechend reguliert werden sollen (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1976 – IV ZR 222/74 – VersR 1977, 471: einseitige Meinungsäußerung und Information; KG, Berlin, RuS 2011, 350; OLG Oldenburg, VersR 2009, 247; OLG Hamm, VersR 2005, 346; Jacob, Rückforderung von Versicherungsleistungen in der privaten Unfallversicherung, VersR 2010, 39; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 187 Rdn. 6: einseitige Absichtserklärung; Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 3. Aufl., § 187 Rdn. 1; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Ziff. 9 AUB 2010 Rdn. 2). Anhaltspunkte dafür, dass zuvor Streit über die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten, insbesondere über die Unfallbedingtheit der körperlichen Beeinträchtigungen oder über den Grad der Invalidität bestanden hätte, sind nicht erkennbar. Der Kläger konnte das erste Abrechnungsschreiben vom 20.4.2007 deshalb nicht dahin verstehen, die Beklagte sei über eine reine Mitteilung ihrer Erfüllungsbereitschaft hinaus bereit, sich insoweit endgültig und verbindlich festzulegen. Nichts anderes gilt für das weitere Abrechnungsschreiben vom 25.7.2007, mit welchem die Beklagte auf den Einwand des Klägers, es sei von Vollinvalidität auszugehen, unter Anwendung der Gliedertaxe schlicht an ihrer Abrechnung festgehalten hat. Dessen ungeachtet könnte ein etwaiges deklaratorisches Schuldanerkenntnis ohnehin nur in Bezug auf seinen konkreten Inhalt Bindungswirkung entfalten, nicht aber die Unfallbedingtheit weiterer, von seinem Inhalt nicht umfasster „Folgen“ des Unfallereignisses außer Frage stellen.

(2) Entgegen der Ansicht des Klägers gilt auch nicht deshalb etwas anderes, weil die beiden Abrechnungsschreiben auf ärztlichen Feststellungen – dem fachorthopädischen Gutachten des Dr. L. vom 20.12.2006 und dem neurologischen Gutachten des Dr. R. vom 11.12.2006 – beruhen, die am Ende der Drei-Jahres-Frist der Ziff. 9.4 der Bedingungen erstellt worden sind. Er folgert eine Bindungswirkung daraus, dass eine Neufestsetzung mit Fristablauf ohnehin nicht mehr möglich gewesen sei; ähnlich wie im Nachprüfungsverfahren der Berufsunfähigkeitsversicherung sei die Beklagte nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist nicht mehr berechtigt, ihre Regulierungsentscheidung allein deshalb abzuändern, weil sie die ihr zugrunde liegenden ärztlichen Stellungnahmen nunmehr anders bewerte.

Ein solcher Grundsatz lässt sich der Systematik des Erst- und des Neubemessungsverfahrens in Ziff. 9 der Bedingungen indes nicht entnehmen. Ziff. 9.4 der Bedingungen sieht – wie nunmehr auch § 188 VVG n.F. - vor, dass beide Versicherungsvertragsparteien berechtigt sind, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen; dieses Recht muss der Versicherer zusammen mit seiner (Erstbemessungs-) Erklärung über die Leistungspflicht gemäß Ziff. 9.1 der Bedingungen ausüben, der Versicherungsnehmer spätestens drei Monate vor Ablauf der Frist. Damit regelt diese Bestimmung die Voraussetzungen, unter denen – bis zur äußersten Grenze von drei Jahren – eine Anpassung der Invaliditätsleistung an seit der Erstbemessung eingetretene (günstige oder ungünstige) Veränderungen des Gesundheitszustands der versicherten Person möglich ist. Hiervon zu unterscheiden ist aber das Recht der Vertragsparteien, eine fehlerhafte (Erst-) Bemessung anzugreifen, das ihnen unbeschadet der Möglichkeit einer Neubemessung zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2009 – IV ZR 181/07 – VersR 2010, 243; Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 3. Aufl., § 188 Rdn. 2) und deshalb auch nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist der Ziff. 9.4. der Bedingungen fortbesteht. Gerade hierum dreht sich aber der Streit der Parteien, denn der Kläger macht geltend, bereits zum Zeitpunkt der Erstbemessung an (weiteren) gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten zu haben, die bei der Festsetzung der Beklagten unberücksichtigt geblieben seien. Das bloße Verstreichenlassen der Drei-Jahres-Frist und der hiermit verbundene Verlust des Neubemessungsrechts führt deshalb nicht dazu, dass die Beklagte an ihre Abrechnungsschreiben vom 20.4.2007 und 25.7.2007 gebunden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.1994 – VI ZR 192/93 – VersR 1994, 971). Ihr Einwand, die geltend gemachten körperlichen Beeinträchtigungen seien nicht unfallbedingt, ist mithin beachtlich.

bb)

Entgegen der Ansicht des Klägers sind die beiden Abrechnungsschreiben auch nicht geeignet, zu seinen Gunsten die Annahme einer Beweislastumkehr zu rechtfertigen.

Zwar kann anerkanntermaßen auch ein ohne besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen abgegebenes Anerkenntnis „als Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ im Prozess eine Umkehr der Beweislast bewirken oder ein Indiz darstellen, das im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1976 – IV ZR 222/74 – VersR 1977, 471). Mit dem Zweck der Erklärung, zu deren Abgabe der Versicherer nach den Bedingungen – durch § 187 VVG n.F. nunmehr auch gesetzlich – verpflichtet ist, und der beiderseitigen Interessenlage der Parteien lässt sich dies jedoch grundsätzlich nicht vereinbaren. Das Anerkenntnis dient allein der Information des Versicherten über die Leistungsbereitschaft des Versicherers; verbunden mit den hierfür vorgesehenen Fristen soll es den Versicherten davon schützen, dass die Bearbeitung seines Versicherungsfalls ungebührlich hinausgezögert wird und löst zugleich die Fälligkeit der anerkannten Versicherungsleistung aus (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1976 – IV ZR 222/74 – VersR 1977, 471; Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 3. Aufl., § 187 Rdn. 1 m.w.N.; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Ziff. 9 AUB 2010 Rdn. 1). Auch wenn das Anerkenntnis den Versicherten möglicherweise zunächst davon abhält, sich selbst um einen Nachweis der Leistungsvoraussetzungen zu bemühen, so besteht bei dieser Zielsetzung kein Grund, an seine Abgabe die Umkehr der Beweislast zu knüpfen. Der Versicherte bedarf eines solchen Schutzes auch nicht. Seine Interessen sind hinreichend dadurch geschützt, dass den Versicherer nach allgemeinen Grundsätzen dann die Beweislast trifft, wenn er die Rückforderung der – gemäß Ziff. 9.2. der Bedingungen innerhalb von zwei Wochen nach Abgabe der Erklärung fällig werdenden – Versicherungsleistungen verlangt (vgl. zur Beweislast bei Rückforderung: OLG Oldenburg, VersR 2009, 247; OLG Hamm, VersR 2006, 1674; Jacob, Rückforderung von Versicherungsleistungen in der privaten Unfallversicherung, VersR 2010, 39; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Ziff. 9 AUB 2010 Rdn. 2; Knappmann in Prölss/Martin, aaO., § 187, Rdn. 6). Abgesehen davon bleibt es bei dem Grundsatz, dass das Anerkenntnis frei widerruflich ist (OLG Hamm, VersR 2005, 346; Jacob, aaO.). Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall aus besonderen Gründen eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, sind nicht ersichtlich.

3.

Dem Kläger ist der ihm obliegende Nachweis, dass die festgestellte Erkrankung überwiegend durch das Unfallereignis vom 12.12.2003 verursacht worden ist, nicht gelungen. Feststellungen zur Dauer und zum Grad der Invalidität, für welche der Kläger ebenfalls beweispflichtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 28.1.2009 – IV ZR 6/08 – NJW-RR 2009, 679), waren deshalb entbehrlich.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass für die Beurteilung der Invalidität auf das – im Übrigen auch von dem Kläger selbst für maßgeblich erachtete - Ende des dritten Jahres nach dem Unfall abzustellen ist. Auf den zu diesem Zeitpunkt erkennbaren, d.h. hinreichend prognostizierbaren Dauerzustand kommt es an, wenn eine Erstfeststellung stattgefunden hat und die Neubemessung bedingungsgemäß möglich ist (Ziff. 9.4 der Bedingungen; BGH, Urt. v. 13.5.2009 – IV ZR 211/05 – VersR 2009, 1213), woran es im Streitfall allerdings fehlt, weil die Erstfeststellung erst mit Ablauf der Drei-Jahres-Frist gemäß Ziff. 9.1 der Bedingungen stattgefunden hatte. Haben die Parteien von der Möglichkeit einer Neufestsetzung nicht (fristgemäß) Gebrauch gemacht, so bleiben für die Beurteilung der Invalidität grundsätzlich die Grundlagen der ersten Invaliditätsfeststellung maßgeblich (vgl. BGH, Urt. v. 2.12.2009 – IV ZR 181/07 – VersR 2010, 243; Urt. v. 4.5.1994 – IV ZR 192/93 – VersR 1994, 971), die im Streitfall allerdings mit dem Ende der Drei-Jahres-Frist zusammenfällt. Dem Ablauf der Drei-Jahres-Frist kommt nämlich auch dann Bedeutung zu, wenn eine frühere Invaliditätsfeststellung nicht möglich ist, was insbesondere darauf zurückzuführen sein kann, dass ein Heilverfahren noch nicht abgeschlossen werden konnte (vgl. Ziff. 9.1. der Bedingungen; Jacobs, Rückforderung von Versicherungsleistungen in der privaten Unfallversicherung, VersR 2010, 39). Den Parteien steht dann für die erstmalige Bemessung der Invalidität die volle Drei-Jahres-Frist zur Verfügung (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., Ziff. 9 AUB 2010 Rdn. 20).

bb)

Allerdings sind Fragen des Anknüpfungszeitpunkts im Streitfall nicht relevant. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger bei dem Unfall vom 12.12.2003 eine HWS-Beschleunigungsverletzung I. Grades sowie eine Thoraxprellung rechts erlitten hat, die folgenlos ausgeheilt sind. Zu keinem Zeitpunkt ließen sich Anhaltspunkte dafür feststellen, dass auch die am 17.11.2004 diagnostizierten Bandscheibenvorfälle – zumindest überwiegend - auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass diese ausschließlich auf unfallfremden Ursachen, nämlich degenerativen Veränderungen bzw. Vorschäden der Halswirbelsäule, beruhen.

(1) Der zweitinstanzlich bestellte Sachverständige Prof. R. hat seiner Beurteilung die Darstellungen des Klägers einschließlich der Schadensfotos sowie die Rekonstruktion des Unfallmechanismus im verkehrstechnischen Gutachten des Dipl. Ing. G. vom 13.2.2007 zugrunde gelegt, dabei aber betont, dass sich aus der Biomechanik eines Unfallgeschehens letztlich keinerlei Aussage dazu ableiten lasse, welcher Verletzungsschweregrad eingetreten sein müsse. Im Streitfall sei im Ergebnis auf ein Unfallereignis zu schließen, welches mit Wahrscheinlichkeit, aber nicht zwingend zu einer HWS-Distorsion führe (Bl. 712 d.A.). Entsprechendes ist beim Kläger unmittelbar nach dem Unfallgeschehen auch diagnostiziert worden.

(2) Auf der vorbeschriebenen Grundlage hat der Sachverständige durch die Auswertung der unmittelbar nach dem Unfallgeschehen gefertigten Röntgenaufnahme vom 13.12.2003 und der Magnetresonanztomographie vom 17.11.2004 in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Prof. C. Bandscheibenvorfälle in den Segmenten C4/5, C5/6 und C6/7 mit einer hieraus resultierenden Einengung des Spinalkanales festgestellt, die nicht - überwiegend - durch das Unfallereignis vom 12.12.2003 verursacht, sondern degenerativer Natur seien. Diese Annahme hat der Sachverständige in überzeugender Weise mit folgenden Argumenten begründet:

Der kernspintomographische Befund vom 17.11.2004 zeige eine „knöcherne Abstützung“ der Bandscheibenvorfälle, welche nicht in wenigen Monaten entstehe, sondern in der Regel Jahre für ihre Entwicklung benötige und deshalb zum Unfallzeitpunkt wahrscheinlich schon bestanden habe. Entsprechende Veränderungen seien auch bereits auf der Unfallaufnahme nachweisbar. Dieses Bild einer längerfristigen erheblichen degenerativen Entwicklung werde durch weitere sekundär umformende Veränderungen im Bereich der mittleren und unteren Halswirbelsäule – nämlich Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthrosen), aber auch knöcherne Einengungen der Nervenwurzelaustrittslöcher jeweils in mehreren Segmenten – gestützt.

Hinzu komme das Verteilungsmuster der Bandscheibenschädigung im Bereich der Halswirbelsäule. Insoweit macht der Sachverständige darauf aufmerksam, dass insgesamt drei übereinander liegende Bandscheiben betroffen seien, nicht jedoch der dazwischen liegende Knochen. Traumatische Bandscheibenschäden ohne Beteiligung der benachbarten knöchernen Strukturen seien indessen biomechanisch kaum vorstellbar, mit den Worten des erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Prof. C.: eine „extreme Rarität“. Dass eine solche Knochenverletzung unfallnah zwar bestanden habe, auf den Röntgenaufnahmen aber nicht erkennbar sei, sei zwar nicht gänzlich auszuschließen. Der Sachverständige Prof. R. hat es jedoch für unwahrscheinlich gehalten, dass eine solche dann in der Folgezeit keine – feststellbaren – Formstörungen am Wirbelkörper hinterlassen haben solle. Auch dies deckt sich mit der Einschätzung des Prof. C., der es mit der klinischen Vorstellung und der klinischen Erfahrung nicht für vereinbar gehalten hat, dass ein Bruch von mehreren Halswirbeln aufgrund anderer Überlagerungen übersehen werden könnte. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen auch dessen weiterer Hinweis plausibel, dass knöcherne Verletzungen mit einer sofortigen klinischen Symptomatik im Sinne einer „heftigsten Schmerzhaftigkeit“ verbunden seien, die mit der lediglich ambulanten Behandlung des Klägers nicht vereinbar seien.

Die von dem Kläger in der Berufungsinstanz vorgelegten Aufnahmen vom September 2003 – eine Kernspintomographie des Schädels und eine Computertomographie des Brustkorbs – sind nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen nicht geeignet, zur Bewertung der Unfallbedingtheit beizutragen, weil sie keine aussagefähige Darstellung der mittleren und unteren Halswirbelsäule (Segmente C4/5, C5/6 und C6/7) abbilden, auf deren Grundlage eine Bewertung des Zustandes der betreffenden Segmente vor dem Unfallereignis erfolgen könnte.

Als weiteren Beleg für eine degenerative Natur der festgestellten Veränderungen hat der Sachverständige Prof. R. schließlich den Umstand angesehen, dass auch in anderen Abschnitten der Wirbelsäule – in der Brust- und der Lendenwirbelsäule – über das altersentsprechende Maß hinausgehende degenerative Veränderungen nachzuvollziehen seien.

All dies überzeugt den Senat von der Richtigkeit der Schlussfolgerung der erst- und zweitinstanzlichen Sachverständigen Prof. R. und Prof. C., dass eine strukturelle Schädigung der Bandscheiben aufgrund der Biomechanik des Unfalls zwar denkbar, aber nicht wahrscheinlich – erst recht nicht überwiegend wahrscheinlich – ist.

Entgegen der Ansicht des Klägers kann Gegenteiliges auch nicht allein aus dem Umstand geschlossen werden, dass dieser vor dem Unfallereignis frei von Beschwerden an der Halswirbelsäule gewesen sein will. Ungeachtet der sonstigen gegen die Unfallbedingtheit sprechenden Gesichtspunkte ist dieser Rückschluss nach der plausiblen Erklärung des Sachverständigen schon deshalb nicht zwingend, weil degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule generell lange Zeit beschwerdefrei verlaufen können, bis unabhängig von äußeren Einflüssen plötzlich Beschwerden zutage treten. Allein aus dem Fehlen von Beschwerden kann deshalb nicht geschlossen werden, die nach dem Unfallereignis aufgetretenen Beeinträchtigungen müssten auf dem Unfall beruhen.

(3) In Bezug auf die ebenfalls festgestellte Myelomalazie und spastische Tetraparese fällt die Kausalitätsbetrachtung nach der plausiblen Darstellung des Sachverständigen allerdings schon deshalb komplexer aus, weil diese zwar typische Komplikationen einer degenerativen Spinalkanaleinengung im Bereich der Halswirbelsäule sind, andererseits aber denkbar ist, dass das Unfallereignis begünstigt durch unfallunabhängige Vorschäden – nämlich den Bandscheibenvorfällen C4/5, C5/6 und C6/7 mit sekundärer Einengung des Spinalkanals - zu einer Druckschädigung des Rückenmarks geführt hat, die ohne das Unfallereignis so nicht eingetreten wäre. Eine weitere bildgebende Differenzierung hat der Sachverständige nur anhand – hier nicht vorliegender – Kernspintomographien zeitlich unmittelbar vor und nach dem Unfallereignis für möglich gehalten. In dieser Situation hat der Sachverständige die Annahme eines - wenn auch durch Vorschäden begünstigten - Unfallzusammenhangs in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich bestellten fachneurologischen Sachverständigen Prof. M. indessen nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn zeitnah zum Unfallereignis (am Unfalltag oder ein bis zwei Tage danach) eine neurologische Symptomatik eingetreten wäre.

Hieran fehlt es.

Ausweislich der (fach-) ärztlichen Dokumentationen haben sich die neurologischen Ausfälle erst Monate nach dem Unfallereignis eingestellt. Nach dem „Sonderblatt zum ärztlichen Bericht“ des Dr. Ma. vom 3.3.2005 (Bl. 134 d.A.) fanden sich am Tag nach dem Unfallereignis keine neurologischen Auffälligkeiten. Auch das Ergebnis der im Mai 2004 – aus Anlass plötzlich aufgetretener Sprachstörungen – durchgeführten neurologischen Untersuchung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Gr. war „weitgehend unauffällig“ (Bl. 174 d.A.). Mit seiner schriftlichen Zeugenaussage vom 3.2.2010 hat dieser ferner bestätigt, dass seine Feststellungen auf einer ausführlichen neurologischen Untersuchung beruhten und der Kläger bei seiner Erstvorstellung am 27.5.2004 neben Sprachstörungen keine weiteren Beschwerden als gelegentlich auftretende Missempfindungen im Bereich der linken Oberlippe vorgebracht habe (Bl. 460, 469 f. d.A.). Dies deckt sich schließlich auch mit den Befunden des Facharztes für Innere Medizin Mac., der in seinem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 17.8.2005 angegeben hat, der Kläger habe ab dem Jahr 2004 wieder über ständige HWS-Beschwerden, ausstrahlend in den oberen Thoraxraum sowie über eine langsam zunehmende Blasen-Mastdarmlähmung geklagt. Diese Beschwerden seien zunächst leicht ausgeprägt gewesen, hätten sich aber langsam zunehmend gesteigert (Bl. 159 d.A.). Konkret ergibt sich aus dessen ärztlicher Dokumentation, dass der Kläger erstmals ab dem 26.10.2004 über neurologische Beschwerden geklagt habe (Bl. 365 d.A.). Dass der Kläger schon zeitnah zum Unfall – im Sinne von am Unfalltag oder ein bis zwei Tage danach – an einer Sensibilitätsstörung in der rechten Hand, an einem Hängenbleiben mit dem Fuß, einer Unsicherheit mit Fallneigung und einer Blasenentleerungsstörung gelitten haben soll, ohne dass dies bei mehreren, auch umfassenden neurologischen Untersuchungen mit besonderem Augenmerk auf entsprechende Ausfälle aufgefallen oder von ihm auch nur erwähnt worden wäre, hält der Senat für fernliegend.

Da nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen für eine Unfallursächlichkeit nur – im oben beschriebenen Sinne – zeitnahe neurologische Ausfälle relevant wären, ist das unter Zeugenbeweis gestellte zweitinstanzliche Vorbringen des Klägers, er habe nach dem Unfallereignis „im Laufe des Jahres“ unter verschiedenen Symptomen gelitten, nicht erheblich. Mangels Unfallursächlichkeit kann ferner dahin stehen, wie das Vorliegen von Vorschäden im konkreten Fall zu bewerten wäre. Da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Unfallursächlichkeit selbst bei Annahme einer generellen Eignung des Unfallereignisses, schwere Verletzungen der vorliegenden Art hervorzurufen, fern liegt, hat der Senat auch von der Einholung eines weiteren, nach der Einschätzung des Sachverständigen ohnehin nur eingeschränkt aussagekräftigen biomechanischen Gutachtens zum Unfallhergang abgesehen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Den Streitwert setzt der Senat mit dem Landgericht auf 192.985 EUR (Bl. 581 d.A.) fest.

Urteilsbesprechung zu Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 25. Feb. 2013 - 5 U 224/11 - 34

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Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

Gesetz über den Versicherungsvertrag


Versicherungsvertragsgesetz - VVG

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 187 Anerkenntnis


(1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt. Wird eine Invaliditätsle
Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil, 25. Feb. 2013 - 5 U 224/11 - 34 zitiert 6 §§.

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

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(1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt. Wird eine Invaliditätsle

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 188 Neubemessung der Invalidität


(1) Sind Leistungen für den Fall der Invalidität vereinbart, ist jede Vertragspartei berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahre nach Eintritt des Unfalles, neu bemessen zu lassen. In der Kinderunfallversicherung kann d

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2009 - IV ZR 211/05

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Sept. 2008 - IV ZR 219/07

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZR 219/07 vom 24. September 2008 in dem Verfahren Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richte

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 137/06 Verkündetam:
7.März2007
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
AUB 95 § 7 I (1)
Zu den Anforderungen an eine ärztliche Feststellung als Voraussetzung für den
Anspruch auf Invaliditätsleistung nach § 7 I (1) AUB 95.
BGH, Urteil vom 7. März 2007 - IV ZR 137/06 - OLG Karlsruhe
LG Baden-Baden
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2007

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Mai 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Beklagten ergangen ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 2. April 2004 wird insgesamt zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Kläger Der unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 95) zugrunde liegen.
2
Am 7. April 1997 war er Fahrgast in einem Taxi, dessen Fahrerin einen Verkehrsunfall verschuldete. Der Kläger zog sich neben verschiedenen Prellungen und Schürfungen eine Hüftpfannenfraktur links zu, die den stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus bis zum 16. April 1997 erforderte. Nach seiner Darstellung leidet der Kläger seit dem Unfall unter Schmerzattacken, Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen ; zudem habe sich eine Depression entwickelt, die Folge der organischen Verletzung sei. Wegen des Hüftschadens und einer darauf beruhenden Invalidität von 10% zahlte die Beklagte an den Kläger 33.000 DM (16.872,63 €). Weitere Versicherungsleistungen lehnte sie unter Hinweis auf § 2 Abs. 4 AUB 95 ab, der "krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen" vom Versicherungsschutz ausnehme, gleichgültig wodurch diese verursacht seien.
3
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Höhe weiterer 1.467.000 DM (750.065,19 €), einer Invaliditätsrente von 1.500 DM (766,94 €) monatlich für die Zeit von April 1997 bis Februar 2000 und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Rente in gleicher Höhe ab März 2000 - jeweils nebst Zinsen - abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger die Invaliditätsrente im begehrten Umfang und eine Invaliditätsentschädigung in Höhe weiterer 236.216,84 € zzgl. Zinsen zuerkannt, wobei es von einem Invaliditätsgrad in Höhe von 50 % ausgegangen ist. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Der Kläger hat sich dem Rechtsmittel angeschlossen und erstrebt eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in voller Höhe.

Entscheidungsgründe:


4
Die Revision der Beklagten hat Erfolg, während die Anschlussrevision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen war.
5
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die beim Kläger aufgetretene Depression und seine damit zusammenhängenden Beschwerden seien von § 2 IV AUB 95 nicht erfasst. Die Ausschlussklausel beziehe sich nicht auf psychische Störungen, welche sich durch eine unfallbedingte organische Beeinträchtigung erklären ließen, auch wenn im Einzelfall das Ausmaß, in dem sich die organische Ursache auswirke, von der psychischen Verarbeitung durch den Versicherten abhänge. Stehe - wie hier - eine unfallbedingte Invalidität fest, müsse der Versicherer für die geltend gemachte Leistungsfreiheit beweisen, dass und in welchem Umfang äußere Einwirkungen auf die Psyche oder eine psychische Fehlverarbeitung den krankhaften Zustand hervorgerufen hätten. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass die - als solche unstreitige - Depression auf der körperlichen Primärverletzung und deren Folgen, insbesondere der damit verbundenen zeitweiligen Immobilität, beruhe, ohne dass sich insoweit eine psychische Fehlverarbeitung feststellen lasse.
6
AuchdieVoraussetzu ngen des § 7 I (1) AUB 95 für die begehrten Invaliditätsleistungen seien gegeben. Die Invalidität, die sich aus der Depression entwickelt habe, sei binnen Jahresfrist eingetreten. Das Vorliegen einer Dauerfolge sei vom Versicherungsnehmer dann nachgewiesen , wenn der sich nach einem Jahr ergebende unfallbedingte Zustand nach Ablauf von drei Jahren - unbeschadet gradueller Unterschiede - noch immer vorhanden sei und sich sein Ende nicht absehen lasse. Die dazu vernommenen Zeugen hätten übereinstimmend geschildert, dass sie zeitnah zum Unfallereignis vom 7. April 1997 eine Wesensveränderung und eine deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit beim Kläger beobachtet hätten. Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie, der Zeuge D. , habe bereits am 26. Juni 1998 die Diagnose einer depressiven Störung gestellt. Der Arzt Dr. I. sei davon ausgegangen, dass dieser Zustand auf nicht absehbare Zeit (mindestens über drei Jahre) andauern werde. Diese ärztliche Prognose habe sich als zutreffend herausgestellt; aufgrund der eingetretenen Chronifizierung habe sich der Zustand des Klägers während der maßgeblichen Dreijahresfrist sogar noch verschlechtert.
7
Invalidität Die sei binnen 15 Monaten nach dem Unfall ärztlich festgestellt und - unstreitig - innerhalb dieser Frist beim Versicherer geltend gemacht worden. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen Dr. I. vom 26. Juni 1998 nenne als die Invalidität verursachende Funktionsstörungen ständige Cephalgie, Gedächtnisreduzierung sowie Schmerzen in der linken Hüfte und der Lendenwirbelsäule. Zwar werde eine Depression in der Invaliditätsbescheinigung nicht ausdrücklich aufgeführt. Die Feststellungswirkungen der ärztlichen Bescheinigung seien indes nicht eng auszulegen, da sie lediglich den vom Arzt benannten Verletzungsbereich beschränkten. Bei den in der ärztlichen Bescheinigung beschriebenen Funktionsstörungen und der später diagnostizierten Depression handele es sich zweifelsfrei um denselben Defekt, zumal Cephalgie und Gedächtnisreduzierung oftmals im Zusammenhang mit einer Depression aufträten.
8
Allerdings sei aufgrund des Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen eine Gesamtinvalidität von lediglich 50% anzunehmen. Das ergebe unter Berücksichtigung der vereinbarten progressiven Invaliditätsstaffel , eines Treuebonus und unter Abzug der bereits erhaltenen Versicherungsleistung eine neben der Unfallrente zu zahlende Invaliditätsentschädigung von 236.216,84 €.
9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legen durfte, dass binnen Jahresfrist eine über den Hüftgelenkschaden hinausgehende unfallbedingte Invalidität eingetreten ist. Es fehlt jedenfalls an der Anspruchsvoraussetzung (BGHZ 137, 174, 176) einer innerhalb weiterer drei Monate ärztlich festgestellten Invalidität.
10
1. Nach § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 genügt das Vorliegen einer durch den Unfall verursachten dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, wie hier vom Kläger für die Depression als unfallbedingter Dauerschaden geltend gemacht, für sich allein nicht. Es bedarf für den Anspruch auf Invaliditätsleistung zusätzlich der Beachtung bestimmter Fristen. So muss die Invalidität binnen eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt worden sein. Das dient dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führt selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden trifft. Auch eine Leistungsablehnung des Versicherers ändert nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht, wenn die Invalidität nicht fristgerecht ärztlich festgestellt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 27. Februar 2002 - IV ZR 238/00 - VersR 2002, 472 unter 1 c a.E.; Beschluss vom 23. Oktober 2002 - IV ZR 154/02 - VersR 2002, 1578 unter 3). Allerdings sind an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. So muss sie sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellung der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens braucht noch nicht einmal richtig zu sein und dem Versicherer auch nicht innerhalb der Frist zuzugehen, sofern sie nur fristgerecht getroffen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 - IVa ZR 195/86 - VersR 1988, 286 unter 2 b; BGHZ aaO S. 177). In dieser Auslegung hält die Fristenregelung einer sachlichen Inhaltskontrolle stand (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB; BGHZ aaO S. 175 ff.). Sie wird überdies dem Maßstab des Transparenzgebotes gerecht (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB; BGHZ 162, 210, 214 ff.).
11
2. Aus der Invaliditätsfeststellung müssen sich aber die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben. Denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will (Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 aaO). Deshalb können nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.
12
Daraus folgt: Erforderlich ist die Angabe eines konkreten, die Arbeitsfähigkeit des Versicherten beeinflussenden Dauerschadens (BGHZ 130, 171, 178). Allein das wird den berechtigten Interessen des Versi- cherers gerecht, die dieser an der zeitnahen Klärung seiner Leistungspflicht hat. Nur einem Dauerschaden, zu dessen Ursache und Auswirkungen sich die Bescheinigung bereits verhält, kann der Versicherer nachgehen. Führt die ärztliche Bescheinigung hingegen einen Dauerschaden , auf den sich der Versicherungsnehmer später für seinen Anspruch auf Invaliditätsleistung beruft, noch gar nicht auf, kann der mit der Regelung in § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 verfolgte Zweck nicht erreicht werden. Der Versicherer hat für diesen Fall keinen Anlass, den Sachverhalt weiter abzuklären, weil ihm der Dauerschaden, den der Versicherungsnehmer später geltend macht, durch die ärztliche Feststellung nicht bekannt wird. Umgekehrt kann der Versicherungsnehmer nicht davon ausgehen , dass eine ärztliche Bescheinigung, die (nur) einen bestimmten Dauerschaden benennt, ihn davon enthebt, einen weiteren, dort nicht aufgeführten Dauerschaden, der nach seiner Auffassung zusätzlich vorliegt , ärztlich feststellen zu lassen.
13
Dem Senatsurteil vom 16. Dezember 1987 (aaO) ist Entgegenstehendes nicht zu entnehmen. Die Entscheidung befasst sich lediglich mit der Frage, ob die auf einen konkreten Dauerschaden bezogene ärztliche Feststellung der Unfallbedingtheit richtig sein muss, um den Anforderungen des § 7 I (1) Abs. 2 AUB 95 zu genügen. Aus ihr folgt nicht, dass die betreffende Anspruchsvoraussetzung auch gewahrt ist, wenn die ärztliche Feststellung unvollständig ist, weil sie einen (weiteren) Dauerschaden nicht benennt, oder ihr deshalb die inhaltliche "Richtigkeit" fehlt, weil an die Stelle des dort angeführten Dauerschadens später ein anderer Dauerschaden tritt, der von dem feststellenden Arzt als solcher nicht erkannt worden ist.
14
3. Diesen Anforderungen genügen die beiden ärztlichen Stellungnahmen vom 26. Juni 1998 nicht. Sie enthalten keine auf eine Depression als Dauerschaden bezogene und auf objektiven Befunden beruhende ärztliche Prognose, dass als Unfallfolge eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit gegeben ist. Die Stellungnahme des Zeugen D. beschränkt sich auf die Darstellung der von ihm erhobenen psychischen Befunde und die Diagnose einer depressiven Störung. Sie beschreibt aber keinen Dauerschaden und zieht nicht den wertenden und für die ärztliche Feststellung zwingend erforderlichen Schluss auf Invalidität. Die Invaliditätsbescheinigung des Zeugen Dr. I. besagt nichts über eine Depression als unfallbedingten Dauerschaden. Dem Kläger werden lediglich eine Cephalgie (Kopfschmerz ) und Gedächtnisreduzierung bescheinigt, was entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts mit einer Depression nicht gleichzusetzen ist und auch keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines solchen Dauerschadens zulässt.
15
Die Depression als Invalidität begründender Dauerschaden ist somit nicht ärztlich festgestellt. Die Bescheinigungen haben der Beklagten als Versicherer keinen Anlass gegeben, über die körperlichen Unfallfolgen hinaus eine Beeinträchtigung auch der geistigen Leistungsfähigkeit abzuklären. Sie sind daher zur Ausgrenzung von - dem Versicherungsschutz nicht unterfallenden - Spätschäden nicht geeignet.
16
Schon daran scheitert der Anspruch des Klägers auf die begehrten Versicherungsleistungen; auf weiteres kommt es nicht an.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Baden-Baden, Entscheidung vom 02.04.2004 - 2 O 95/00 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 02.05.2006 - 12 U 192/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 219/07
vom
24. September 2008
in dem Verfahren
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 24. September 2008
einstimmig beschlossen:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 25. Juli 2007 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Wert: 265.694 €

Gründe:


1
Die Revision war zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 552a Satz 1 ZPO). Soweit die Sache entscheidungserhebliche Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung aufwirft, sind diese bereits durch die Rechtsprechung des Senats beantwortet. Hiernach ist die Revision in der Sache unbegründet. Der Senat nimmt Bezug auf den Hinweis des Vorsitzenden vom 26. Juni 2008:
2
Zwischen I. den Parteien gelten die Allgemeinen Unfallversicherungs -Bedingungen (AUB 88). Nach § 2 I (1) Satz 1 und 2 AUB 88 fallen Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen nicht unter den Versicherungsschutz. Dieser besteht nur dann, wenn die Störung durch ein "unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis" - das heißt durch ein Unfallereignis im Sinne von § 1 III AUB 88 - verursacht war.
3
Der 1. Senat hat zuletzt im Urteil vom 17. Mai 2000 (IV ZR 113/99 - VersR 2000, 1090 unter 3 a) ausgeführt, dass eine Bewusstseinsstörung i.S. des § 3 (4) Satz 1 AUB 61, der inhaltlich dem § 2 I (1) Satz 1 AUB 88 entspricht, nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraussetzt , es genügen vielmehr solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit des Versicherten, die die gebotene und erforderliche Reaktion auf die vorhandene Gefahrenlage nicht mehr zulassen (Senatsurteil aaO m.w.N.).
4
Klägerin Die selbst hat vorgetragen, sie habe eine sonnen- und hitzebedingte Kreislaufreaktion erlitten, in deren Folge sie zusammengesackt und mit dem Hinterkopf auf die Betonkante eines Blumenbeetes geschlagen sei. Sie hat damit eine gesundheitliche Beeinträchtigung dargestellt , die ihr eine Reaktion auf die drohende Gefahr - das Aufschlagen des Kopfes auf den Boden - nicht mehr gestattete. Das stellt - unbeschadet der Dauer der Beeinträchtigung - eine Bewusstseinsstörung im Sinne der Klausel dar. Das Berufungsgericht durfte davon ausgehen, dass sich die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte diesen Vortrag der Klägerin zu Eigen gemacht hat; es hat daher zu Recht einen Ausschluss nach § 2 I (1) Satz 1 AUB 88 angenommen.
5
2. Die Voraussetzungen für einen Wiedereinschluss nach § 2 I (1) Satz 2 AUB 88 sind hingegen nicht dargetan.
6
Die Klägerin macht geltend, sich am 21. Oktober 2003 an den Hotelstrand begeben zu haben und dort im Schatten unter einem Sonnenschirm eingeschlafen zu sein. Während des Schlafes habe sich der Sonnenstand verändert, so dass sie schließlich in der prallen Sonne liegend aufgewacht sei.
7
Mit Fällen allmählicher Einwirkungen von Witterungsbedingungen hat sich der Senat bereits in den Beschlüssen vom 21. Februar 1996 (IV ZR 327/94 - nicht veröffentlicht) und vom 26. Juni 1996 (IV ZR 274/95 - nicht veröffentlicht) befasst. Durch diese Beschlüsse wurden Revisionen gegen Urteile des OLG Stuttgart (veröffentlicht in VersR 1997, 176) und des OLG Karlsruhe (nicht veröffentlicht) nicht angenommen. In der Sache hat der Senat damit entschieden, dass in solchen Fällen ein Unfallereignis i.S. des § 1 III AUB 88 nur dann angenommen werden kann, wenn der Versicherte durch ein hinzutretendes äußeres Ereignis in seiner Bewegungsfreiheit so beeinträchtigt wird, dass er den Einwirkungen von z.B. Kälte oder Hitze hilflos ausgesetzt ist (grundlegend hierzu bereits BGH, Urteil vom 15. Februar 1962 - II ZR 95/60 - VersR 1962, 341).
8
Auf dieser Grundlage ist die Ablehnung des Wiedereinschlusses nach § 2 I (1) Satz 2 AUB 88 durch das Berufungsgericht nicht zu beanstanden. Es fehlt an einem der Sonneneinstrahlung vorausgehenden, von außen auf den Körper der Klägerin einwirkenden und sie in ihrer Bewegungsfähigkeit derart einschränkenden Ereignis, dass sie der Sonneneinstrahlung hilflos ausgeliefert gewesen wäre. Das behauptete Einschlafen kann bereits deshalb kein solches Ereignis sein, weil es kein von außen wirkender, sondern ein innerer Vorgang ist.
9
II. Somit kommt es auf die weiteren aufgeworfenen Fragen nicht mehr entscheidungserheblich an. Die Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 6. August 2008 hat der Senat zur Kenntnis genommen ; sie geben zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung keine Veranlassung.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 20.12.2006 - 26 O 720/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 25.07.2007 - 5 U 19/07 -

(1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt. Wird eine Invaliditätsleistung beantragt, beträgt die Frist drei Monate.

(2) Erkennt der Versicherer den Anspruch an oder haben sich Versicherungsnehmer und Versicherer über Grund und Höhe des Anspruchs geeinigt, wird die Leistung innerhalb von zwei Wochen fällig. Steht die Leistungspflicht nur dem Grunde nach fest, hat der Versicherer auf Verlangen des Versicherungsnehmers einen angemessenen Vorschuss zu leisten.

(1) Sind Leistungen für den Fall der Invalidität vereinbart, ist jede Vertragspartei berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahre nach Eintritt des Unfalles, neu bemessen zu lassen. In der Kinderunfallversicherung kann die Frist, innerhalb derer eine Neubemessung verlangt werden kann, verlängert werden.

(2) Mit der Erklärung des Versicherers über die Leistungspflicht ist der Versicherungsnehmer über sein Recht zu unterrichten, den Grad der Invalidität neu bemessen zu lassen. Unterbleibt diese Unterrichtung, kann sich der Versicherer auf eine Verspätung des Verlangens des Versicherungsnehmers, den Grad der Invalidität neu zu bemessen, nicht berufen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 181/07 Verkündetam:
2.Dezember2009
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB Unfallversicherung (hier AUB 88, § 11 IV)
Aus dem allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung nach § 11 IV
AUB 88 fristgemäß vorbehaltenem Recht, die Neubemessung der Invalidität zu verlangen
, erwächst für den Versicherungsnehmer nicht die Pflicht, eine solche Neubemessung
tatsächlich herbeizuführen. Die Weigerung des Versicherungsnehmers,
zum Zweck der Neubemessung einen vom Versicherer benannten Arzt aufzusuchen,
steht insoweit einem - zulässigen - Verzicht auf die Neubemessung gleich und verletzt
nicht die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07 - OLG München
LG Augsburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember
2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird - unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Beklagten - das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 21. Juni 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Zahlung von 65.445,38 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 23. August 2002 in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der am 1. Februar 2000 aus 3,5 Metern Höhe von einer Leiter gestürzte Kläger fordert weitere Invaliditätsleistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der die AUB 88 zugrunde liegen.
Die Parteien streiten unter anderem um den Grad der Invalidität, den der Kläger durch die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen davongetragen hat. Vorgerichtlich hat die Beklagte auf der Grundlage eines von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. in ihrem Auftrag am 12. Juli 2001 erstatteten Gutachtens, welches zur Feststellung eines Invaliditätsgrades von 30% gelangt war, eine Versicherungsleistung von 24.051,18 € erbracht.
2
Der Kläger meint, er sei bis zu 80% invalide und fordert daher eine zusätzliche Versicherungsleistung in Höhe von 65.445,38 €. Er hat mit Schreiben an die Beklagte vom 11. August 2001 Widerspruch gegen die von der Beklagten in deren Schreiben vom 7. August 2001 vorgenommene Erstfestsetzung seines Invaliditätsgrades erhoben und zugleich dessen Neufestsetzung nach 15 Monaten gefordert. Mit Schreiben vom 15. August 2001 erklärte sich die Beklagte lediglich dazu bereit, das Neufestsetzungsverfahren gemäß § 11 IV AUB 88 ein Jahr nach der Erstbegutachtung mittels einer weiteren Begutachtung des Klägers durchzuführen. Dementsprechend wurde der Kläger Ende Mai/Anfang Juni 2002 von der Beklagten und der von ihr erneut beauftragten Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. aufgefordert, sich am 8. Juli 2002 nochmals zur Untersuchung und Begutachtung einzufinden. Der Kläger erhob daraufhin in einem Schreiben an die Beklagte vom 2. Juli 2002 den Vorwurf, die Ärzte der Unfallklinik hätten ihn schon 2001 unzureichend , insbesondere unter Außerachtlassung zahlreicher Befunde und unter Manipulation von Röntgenbildern "inkompetent" untersucht. Er halte deshalb eine erneute Untersuchung in derselben Klinik für sinnlos. Mit Schreiben an die Unfallklinik vom selben Tage sagte der Kläger den anberaumten Untersuchungstermin ab.
3
Die Beklagte wies den Kläger unter dem 11. Juli 2002 schriftlich auf § 9 IV AUB 88 und die darin geregelte Obliegenheit hin, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, die der Versicherer beauftrage. Für den Fall erneuter Weigerung wurde der Kläger zugleich auf drohende Leistungsfreiheit des Versicherers hingewiesen (§ 10 AUB 88). Dennoch beharrte der Kläger sowohl telefonisch als auch schriftlich auf seiner Weigerung , sich der Untersuchung durch Ärzte der Unfallklinik M. zu stellen.
4
23. August Am 2002 teilte ihm die Beklagte unter Berufung auf §§ 9 IV und 10 AUB 88 schriftlich mit, sie sei nunmehr leistungsfrei und sehe die Bearbeitung seiner Unfallangelegenheit damit als "endgültig beendet" an.
5
Hiergegen wendet sich die Klage, mit der der Kläger unter Berufung auf den nach seiner Behauptung höheren Invaliditätsgrad weitere 65.445,38 € fordert.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger nach erneuter Begutachtung seines Gesundheitszustandes auf der Grundlage eines dabei festgestellten Invaliditätsgrades von 40% weitere 8.017,05 € nebst Zinsen zugesprochen und seine Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Insoweit verfolgt der Kläger mit der Revision sein ursprüngliches Begehren weiter.
7
ihrer Mit Anschlussrevision wendet sich die Beklagte gegen das Berufungsurteil, soweit sie darin zur Zahlung verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe:


8
Das Rechtsmittel des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils , soweit der Antrag auf Zahlung von weiteren 65.445,38 € nebst Zinsen in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9
Die Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg.
10
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht deshalb von der Leistungspflicht frei geworden, weil sich der Kläger geweigert habe, sich nochmals von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. begutachten zu lassen. Die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 sei nicht verletzt. Sie betreffe lediglich den Fall, dass der Versicherer eine ärztliche Untersuchung für erforderlich halte und der Versicherungsnehmer eine solche im Interesse des Versicherers vorgesehene Untersuchung verweigere. Hier sei Anlass der erneuten Untersuchung aber das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 11. August 2001 gewesen , mit welchem er sich vorwiegend gegen die Erstfestsetzung seiner Invalidität gewandt habe. Zwar habe er in dem genannten Schreiben auch verlangt, von der Möglichkeit einer ärztlichen Neubemessung seiner Invalidität binnen 15 Monaten Gebrauch zu machen, seine Einwendungen hätten sich aber in erster Linie gegen die Erstbemessung der Invalidität gerichtet. Die Beklagte habe sich mit der weiteren Begutachtung des Klägers einverstanden erklärt. Damit sei die erneute Begutachtung nicht im Interesse der Beklagten, sondern allein im Interesse des Klägers vorgesehen worden. Das könne nicht dazu führen, dass aus dem Wunsch des Klägers eine Obliegenheit gegenüber der Beklagten werde. Dass er die von ihm selbst geforderte Begutachtung letztlich nicht ermöglicht habe, habe keine Interessen der Beklagten verletzt.
11
Die Höhe der Versicherungsleistung hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung eines dem Kläger von der Beklagten zugesagten Treuebonus auf der Grundlage des seiner Auffassung nach überzeugenden Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. M. bestimmt, der den Invaliditätsgrad des Klägers bezogen auf den 1. Februar 2003 auf 40% bemessen hat. Infolge der Ausführungen dieses Sachverständigen sei die Einholung weiterer Gutachten nicht mehr geboten gewesen.
12
Das II. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Berufungsgericht bei der Feststellung des Invaliditätsgrades des Klägers dessen Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es von ihm vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu seinem Gesundheitszustand übergangen hat.
13
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesondere auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den Äußerungen mehrerer Sachverständiger ergeben (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 - IV ZR 27/08 - VersR 2009, 817 Tz. 9; BGH, Urteil vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95 - NJW 1997, 1638 unter II 1 b, jeweils m.w.N.). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger wissen- schaftlicher Fragen (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 aaO; vgl. dazu schon BGH, Urteil vom 12. Januar 1962 - V ZR 179/60 - NJW 1962, 676 unter 1). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter zudem besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 25. Februar 2009 aaO; vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06 - VersR 2008, 1676 unter Tz. 11 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b, jeweils m.w.N.).
14
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
15
a) Unstreitig hat sich der Kläger bei dem Sturz von der Leiter eine Deckplattenimpressionsfraktur des achten Brustwirbels und der vorderen Oberkante des dritten Lendenwirbels, ferner Kompressionsfrakturen des zwölften Brust- und des zweiten Lendenwirbels zugezogen. Daraus resultiert eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung und Funktionsbehinderung jedenfalls der Lendenwirbelsäule. Die so verursachten dauerhaften Gesundheitsschäden hat der gerichtlich bestellte Sachverständige vorwiegend auf orthopädischem Gebiet gesehen und mit einem Invaliditätsgrad von 40% bewertet.
16
b) Demgegenüber hat der Kläger weitergehende Beschwerden behauptet : Es habe sich infolge des Sturzes ein Rippenbuckel gebildet, außerdem seien beidseitige Schultergürtelstörungen mit Bewegungsein- schränkungen beider Schultergelenke und ein Schulterhochstand rechts eingetreten. Infolge der Brustkorbverletzungen komme es bei ihm nicht nur zu Lungenfunktionsstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung, sondern es habe auch eine mit den Verletzungen einhergehende Lockerung der Brustkorbaufhängung mit nachfolgender Brustkorbverschiebung zu Herzfunktionsstörungen geführt. Die Lendenwirbelverletzungen hätten zudem eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur Folge. Schließlich habe der Sturz auch Morbus Bechterew und Rheumatismus ausgelöst.
17
c) Diesen Vortrag, der sich unter anderem auch auf vom Kläger vorgelegte ärztliche Äußerungen stützt, hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet.
18
aa) Seine Überzeugung, beim Kläger habe sich kein Rippenbuckel gebildet, stützt es auf den in der Berufungsverhandlung genommenen Augenschein und die begleitende Erklärung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, die beobachtete leichte Verformung beruhe nicht auf einer knöchernen Deformierung, sondern auf einer lokalen Muskelverhärtung. Das übersieht, dass der Sachverständige selbst in seinem schriftlichen Gutachten eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule in horizontaler und sagittaler Richtung mit einer diskreten Rippenbuckelbildung links festgestellt hat. Das Berufungsurteil löst den darin liegenden Widerspruch zu den mündlichen Angaben des Sachverständigen nicht auf. Es nimmt weiter nicht dazu Stellung, dass auch die Orthopäden Dr. T. (Fachärztlicher Bericht vom 28. August 2001) und Dr. L. (Arztbrief vom 20. August 2001) ausweislich der vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen die Ausbildung eines leichten Rippenbuckels bescheinigt haben. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde in der Lage war, zu entscheiden, ob die von ihm bei gebückter Körperhaltung des Klägers beobachtete diskrete Verformung des Rückens auf einer knöchernen oder einer lediglich muskulären Ursache beruht.
19
Auch bb) sonstige, auf einer unfallbedingten Deformation des Brustkorbes beruhende Beschwerden, wie Atem- oder Herzstörungen, hat das Berufungsgericht im Anschluss an die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ausgeschlossen. Dieser hat es zwar für möglich erachtet, dass der Kläger beim Sturz eine Herzprellung erlitten habe, eine solche heile indes folgenlos aus. Das Berufungsgericht hat dabei nicht erörtert, dass das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Kardiologen Dr. N. zu dem Ergebnis gelangt war, der Kläger leide an einer globalen Herzinsuffizienz, die als Unfallfolge interpretiert werden könne. Warum das Berufungsgericht demgegenüber der gutachtlichen Einschätzung des von ihm beauftragten Neurochirurgen den Vorzug gibt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen.
20
Auch dazu, dass die Internistin W. dem Kläger in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 30. Juli 2003 eine geringgradige restriktive Ventilationsstörung mit einer Einschränkung der Totalkapazität auf 80% und der Vitalkapazität auf 73% des Normwertes attestiert und einen Zusammenhang mit dem Sturz von der Leiter insoweit für möglich erachtet hat, verhält sich das Berufungsurteil nicht. Ebenso wenig befassen sich das Berufungsgericht und der von ihm bestellte Sachverständige mit der ärztlichen Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. Sch. vom 21. Juni 2004, in welcher neben der Feststellung einer leicht eingeschränkten Lungenfunktion der Verdacht einer Asthmaerkrankung und eines Schlafapnoesyndroms ausgesprochen werden. Es ist insoweit nicht ersichtlich, ob und mit welchen Erwägungen das Berufungsgericht ange- nommen hat, ein Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Sturz des Klägers sei nicht erwiesen.
21
cc) Mit Blick auf die vom Kläger geltend gemachte Blasenentleerungsstörung hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine Unfallbedingtheit sei praktisch im Rahmen einer spinalen Kontusion kaum vorstellbar, solange nicht gleichzeitig eine relevante Einengung des Spinalkanals im Frakturbereich und neurologisch bedingte Ausfälle der unteren Extremitäten vorlägen. In seiner mündlichen Anhörung hat er ergänzt, neurogene Blasenentleerungsstörungen träten nur in Fällen auf, in denen eine höhergradige Verlegung des Spinalkanals und des Rückenmarkkanals, etwa durch Bruchstücke des Wirbelkörpers, vorliege. In einem solchen Fall seien begleitende neurologische Auswirkungen, etwa ein Cauda-Syndrom (sog. Reithosenanästhesie), zu erwarten. Das Berufungsgericht folgert daraus, der Sachverständige habe eine unfallbedingte neurogene Blasenentleerungsstörung überzeugend ausgeschlossen. Das Berufungsurteil verhält sich aber nicht dazu, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten eine neurologische Ausfallerscheinung, nämlich eine "sensibel inkonstant streifige" Verminderung der Empfindlichkeit für Berührungsreize (Hypästhesie) im Bereich der ventralen Oberschenkel sowie beider lateralen Unterschenkel festgestellt hatte. Ebenso wenig nimmt das Berufungsgericht dazu Stellung, dass anlässlich der Kernspintomographie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. am 9. Februar 2001 eine leichte Einengung des Spinalkanals im Bereich der Lendenwirbelkörper zwei und drei diagnostiziert worden war, wie sich aus einem vom Kläger vorgelegten Bericht der Unfallklinik ergibt. Der Urologe Dr. S. hat in mehreren vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen angenommen, es liege beim Kläger eine ausgeprägte neuroge- ne Blasenentleerungsstörung vor. Im urodynamischen Gutachten vom 24. Juli 2003 hat er ausgeführt, Ursache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kompressionsfraktur der beiden Lendenwirbelkörper. Das Berufungsurteil befasst sich damit nicht. Weshalb das Berufungsgericht stattdessen die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters für überzeugender hält und aufgrund welcher besonderen Sachkunde das Berufungsgericht dies beurteilen konnte, kann dem Berufungsurteil nicht entnommen werden.
22
III. Die Anschlussrevision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach §§ 9 IV, 10 AUB 88, § 6 Abs. 3 VVG a.F. leistungsfrei geworden, nachdem dieser sich geweigert hat, sich auf Verlangen der Beklagten im Jahre 2002 erneut von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. untersuchen zu lassen.
23
Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
24
1. Nach der Systematik des § 11 AUB 88 ist, was die Bemessung der unfallbedingten Invalidität anlangt, zu unterscheiden: Zunächst hat sich der Versicherer gemäß § 11 I AUB 88 nach Erhalt der in der Klausel näher bezeichneten Unterlagen binnen bestimmter Frist - beim Invaliditätsanspruch binnen drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe er den Anspruch anerkennt. Bei dieser Erstbemessung bleibt es - unbeschadet der Möglichkeit des Versicherungsnehmers, in einem Rechtsstreit eine ihm günstigere Erstbemessung zu erstreiten - grundsätzlich, soweit keine der Vertragsparteien von ihrem Recht Gebrauch macht, den Grad der Invalidität - längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall - ärzt- lich neu bemessen zu lassen (§ 11 IV AUB 88). In diese zweite Stufe der Invaliditätsbemessung gelangen die Vertragsparteien indessen nur dann, wenn entweder der Versicherungsnehmer, der Versicherer oder beide das Recht auf Neubemessung - fristgebunden - ausüben, d.h. gegenüber dem jeweils anderen eine entsprechende Erklärung abgeben. Unterbleibt eine solche Erklärung oder erfolgt sie nicht fristgemäß, hat die jeweilige Vertragspartei das Recht auf Neubemessung verloren.
25
Beide Stufen der Invaliditätsbemessung sind zwar dadurch verknüpft , dass die Erstbemessung unter dem Vorbehalt einer Änderung steht, soweit sich eine oder beide Vertragsparteien die Neubemessung der Invalidität vorbehalten haben und es tatsächlich zu einer Neubemessung gemäß § 11 IV AUB 88 kommt. Unbeschadet dessen sind die Stufen der Invaliditätsbemessung jeweils rechtlich eigenständig zu betrachten.
26
2. Im vorliegenden Falle hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 zum einen eine Abänderung der Erstbemessung bezogen auf den für diese maßgeblichen Zeitpunkt begehrt, denn er hat geltend gemacht, bereits zu dieser Zeit an weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten zu haben, die bei der Bemessung durch die Beklagte unberücksichtigt geblieben seien. Er hat schließlich, darauf gestützt , nach Ablauf der Frist des § 11 IV AUB 88 Klage erhoben und auch mit dieser eine ihm günstigere Erstbemessung begehrt.
27
Daneben hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 sein Recht auf Neubemessung des Invaliditätsgrades (§ 11 IV AUB 88) ausgeübt, während die Beklagte davon abgesehen hat. Daraus ergibt sich zunächst: Der Streit der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit be- trifft allein die Erstbemessung der Invalidität gemäß § 11 I AUB 88. Das Recht des Klägers, im Klagewege eine seiner Ansicht nach zutreffende höhere Erstbemessung der Invalidität durchzusetzen, lässt sein - ausgeübtes - Recht, eine Neubemessung der Invalidität zu verlangen, unberührt und besteht unabhängig davon fort. Die Beklagte dagegen hat ihr Recht auf Neubemessung der Invalidität verloren, weil sie es nicht i.S. von § 11 IV AUB 88 ausgeübt hat.
28
3. Mit Blick auf die Erstbemessung der Invalidität besteht danach eine Obliegenheit des Klägers, sich auf Verlangen der Beklagten ärztlich untersuchen zu lassen (§ 9 IV AUB 88), nicht mehr. Die Beklagte hat ihre Entscheidung über die Erstbemessung mit ihrem Schreiben vom 7. August 2001 getroffen (§ 11 I AUB 88). Daraus folgt zugleich, dass ein weiterer Aufklärungsbedarf insoweit nicht bestand. Es fehlt damit an einem berechtigten Interesse der Beklagten, den Versicherungsnehmer - zumal mit der Sanktion der Leistungsfreiheit - weiterhin an die Obliegenheit zu binden. Aus Sicht des Versicherers bestand keine Veranlassung mehr zu weiteren Untersuchungen durch von ihm beauftragte Ärzte (vgl. Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - VersR 2003, 1165 unter B I 1 a).
29
Auf den Streit um die Erstbemessung konnte die Beklagte ihr Untersuchungsverlangen mithin nicht stützen. Der Kläger hat insoweit keine Obliegenheit verletzt.
30
Zu diesem Ergebnis führt es auch, wenn man die bloße Verweisung des Klägers auf die begehrte Neubemessung im Schreiben der Beklagten vom 15. August 2001 als Ablehnung weiterer Überprüfungen der Erstbemessung versteht. Denn auch unter diesem Blickwinkel träfen den Kläger Aufklärungs- oder Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erstbemessung nicht mehr (vgl. dazu BGHZ 107, 368, 371 f.).
31
4. Aber auch mit Blick auf eine Neubemessung der Invalidität (§ 11 IV AUB 88) hat der Kläger die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 nicht verletzt. Aus dem vom Kläger vorbehaltenen Recht, die Invalidität längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall ärztlich neu bemessen zu lassen, folgt keine Pflicht des Klägers, eine Neubemessung tatsächlich herbeizuführen. Die Regelung in § 9 IV AUB 88 gibt dafür keinen Anhalt. Erst recht kann die Beklagte eine Untersuchung zum Zwecke der Neubemessung nicht verlangen, denn sie hat ihr Recht darauf - weil sie es mit der Erstbemessung nicht ausgeübt hat - verloren. Der Kläger kann mithin auf eine ärztliche Neubemessung verzichten, ohne dass ihn die Beklagte - noch dazu mit der Androhung von Leistungsfreiheit - dazu zwingen könnte. Die Weigerung des Klägers, sich von den von der Beklagten benannten Ärzten untersuchen zu lassen, bleibt damit sanktionslos. Sie steht einem Verzicht auf die Neubemessung gleich.
32
Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2003 (aaO) angedeutet hat, dass auch im Rahmen der Neubemessung von Invalidität eine Bindung des Versicherungsnehmers an die Obliegenheit in § 9 IV AUB 88 eintreten könnte, stand das unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer das Recht auf ärztliche Neubemessung ausübt, insbesondere eine solche auch herbeiführt und darauf gestützt eine höhere Entschädigung verlangt. Der Senat kann weiterhin offen lassen, ob der Versicherungsnehmer unter dieser Voraussetzung der Untersuchungsobliegenheit zu genügen hat. Dafür spricht allerdings, dass nach einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Neubemessung auch für den Versicherer neuerlicher Prüfungsbedarf entsteht, eine Untersu- chung durch von ihm beauftragte Ärzte mithin seinem berechtigten Interesse an weiterer Aufklärung entsprechen könnte. Offen bleiben kann insoweit auch, ob - eine Obliegenheitsbindung unterstellt - deren Verletzung zu vollständiger Leistungsfreiheit des Versicherers führen könnte oder ob sich diese auf das Verlangen des Versicherungsnehmers nach gegenüber der Erstbemessung höherer Invaliditätsleistung zu beschränken hätte.
33
Das Berufungsgericht wird deshalb die gebotene Aufklärung hinsichtlich des Grades der unfallbedingten Invalidität vorzunehmen und dabei zu prüfen haben, inwieweit es angesichts der unterschiedlichen, vom Kläger geltend gemachten Beschwerden geboten ist, dazu Gutachten von Medizinern verschiedener Fachrichtungen einzuholen. Da der Streit die Erstbemessung betrifft, ist insoweit maßgeblich der Gesundheitszustand , wie er sich zu diesem Zeitpunkt - und nicht nach Ablauf der Dreijahresfrist - dargestellt hat.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Entscheidung vom 12.08.2003 - 2 O 1153/03 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 21.06.2006 - 14 U 691/03 -

(1) Der Versicherer hat nach einem Leistungsantrag innerhalb eines Monats nach Vorlage der zu dessen Beurteilung erforderlichen Unterlagen in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang er seine Leistungspflicht anerkennt. Wird eine Invaliditätsleistung beantragt, beträgt die Frist drei Monate.

(2) Erkennt der Versicherer den Anspruch an oder haben sich Versicherungsnehmer und Versicherer über Grund und Höhe des Anspruchs geeinigt, wird die Leistung innerhalb von zwei Wochen fällig. Steht die Leistungspflicht nur dem Grunde nach fest, hat der Versicherer auf Verlangen des Versicherungsnehmers einen angemessenen Vorschuss zu leisten.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 211/05 Verkündetam:
13.Mai2009
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom
13. Mai 2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 12. August 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 14. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Invaliditätsleistungen aus zwei Unfallversicherungsverträgen sowie Genesungsgeld aus dem einen Vertrag. Die Beklagte fordert mit der Widerklage die Rückzahlung von Vorschüssen auf die Invaliditätsleistung.
2
Die Klägerin erlitt am 3. April 1998 bei einem Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion. Beim Halt an einer Ampel war ein LKW auf ihr Fahrzeug aufgefahren. Wegen Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich suchte sie einen Arzt auf, erhielt eine Schanz'sche Krawatte verordnet und wurde in der Zeit vom 7. bis 10. April 1998 stationär behandelt.
3
Im Unfallzeitpunkt bestand zwischen den Parteien ein Vertrag über eine Unfallversicherung nach Maßgabe der Allgemeinen Unfallversicherungs -Bedingungen 1988 (AUB 88), der bei Vollinvalidität eine Leistung von 300.000 DM vorsah. Außerdem war sie Versicherte in einer Gruppenunfallversicherung , die die Beklagte als ihr Arbeitgeber abgeschlossen hatte und der die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 1961 (AUB 61) zugrunde lagen. Danach bestand bei Vollinvalidität ein Anspruch in Höhe von 110.000 DM.
4
Beklagte Die holte zunächst ein Gutachten des Privatdozenten Dr. N. über den Gesundheitszustand der Klägerin ein, das dieser nach Untersuchung vom 18. August 1999 am 8. Dezember 1999 erstattete. In seinem ressortübergreifenden Zusammenhangsgutachten kam er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Invalidität von insgesamt 70% vorliege, wobei ein Anteil von 3/7 auf unfallunabhängigen Ursachen beruhe und die Klägerin demgemäß aufgrund reiner Unfallfolgen zu 40% in ihrer normalen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sei. Er empfahl eine abschließende Nachuntersuchung in etwa einem Jahr. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1999 teilte die Beklagte dem Rechtsanwalt der Klägerin unter Übersendung des Gutachtens mit, aufgrund reiner Unfallfolgen bestehe derzeit eine Invalidität von 40%. Da ein Endzustand noch nicht erreicht sei, werde sie im Dezember 2000 nochmals eine Nachuntersuchung veranlassen. Sie rechnete dann bei beiden Verträgen das Unfallkrankenhaustagegeld ab und zahlte vorbehaltlich einer abschließenden Festsetzung unter Vorbehalt der Rückforderung auf die zu erwartende Invalidität aus dem Einzelvertrag einen Vorschuss in Höhe von 40.000 DM und aus der Gruppenunfallversicherung von 30.000 DM.
5
Am 20. November 2000 beauftragte die Beklagte Dr. N. mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens, das dieser nach Untersuchung der Klägerin am 10. Januar 2001 wiederum als ressortübergreifendes Zusammenhangsgutachten am 27. Juni 2001 vorlegte. Darin gelangt er zu einer unfallbedingten Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit und der Arbeitsfähigkeit unter ausschließlicher Berücksichtigung medizinischer Gesichtspunkte von 100%, wobei die Beeinträchtigung zu 30% durch psychische Reaktionen bedingt sei. Er nimmt eine dauernde Beeinträchtigung der Augen durch Doppelbilder und Verschwommensehen mit einem Invaliditätsgrad von 20% an, ferner eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Bereich der HWS mit 20%, Gleichgewichtsstörungen und beidseitigem Tinnitus mit 40%, stärker behindernde psychoreaktive Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit 30% und Sensibilitätsstörungen im Bereich des Gesichts und der rechten Körperhälfte mit 10%. Eine weitere Verbesserung oder Verschlechterung dieses Krankheitszustandes sei nicht zu erwarten.
6
Mit Schreiben vom 8. August 2001 lehnte die Beklagte unter Berufung auf ein Gutachten von Dr. S. vom Institut für ärztliche Begutachtung jegliche Invaliditätsentschädigung ab, weil das Gutachten von Dr. N. fehlerhaft und nicht nachvollziehbar sei. Für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung behielt sie sich die Rückforderung der Vorschussleistungen vor.
7
Mit der im Oktober 2001 eingereichten Klage macht die Klägerin weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 330.000 DM (168.726,32 €) sowie Genesungsgeld in Höhe von 1.100 DM (562,42 €) geltend. Sie geht von einem Invaliditätsgrad von 100% aus und beruft sich dafür auf die Neubemessung in dem Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001, insbesondere auf dessen Feststellungen zu den dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Beklagte bestreitet den Eintritt unfallbedingter Invalidität. Mit der Widerklage verlangt sie Vorschüsse auf die Invaliditätsleistungen in Höhe von 34.030,04 € zurück.
8
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin (ohne Beweisaufnahme ) zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche und die Abweisung der Widerklage weiter.

Entscheidungsgründe:


9
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
10
I. Das Berufungsgericht hat gesehen, dass der Beweisbeschluss des Landgerichts vom 18. Dezember 2001 fehlerhaft war, weil dem Sachverständigen unrichtige Vorgaben gemacht worden waren. Es habe dem Sachverständigen nicht vorgegeben, seine Beurteilung der Invalidität auf den Schluss des dritten Jahres nach dem Unfall auszurichten. Das vom Sachverständigen gefundene Ergebnis werde dadurch aber nicht verfälscht. Er habe sich mit einer Vielzahl von innerhalb des Dreijahreszeitraums erhobenen Befunden und insbesondere auch mit dem Privatgutachten Dr. N. auseinandergesetzt. Dabei habe er bei der Klägerin aufgrund des Unfallereignisses auf nervenärztlichem Gebiet keine Unfallfolgen feststellen können. Es sei zu keiner Schädigung nervaler Strukturen gekommen. Die Veränderungen an der Halswirbelsäule der Klägerin seien degenerativ bedingt. Der Senat gebe dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Nu. den Vorzug vor dem Gutachten des Privatsachverständigen Dr. N. , weil Letztgenannter von Beschwerden und Symptomkomplexen ausgegangen sei und sodann versucht habe , unfallbedingte Ursachen ausfindig zu machen, während Dr. Nu. geprüft habe, ob Primärschädigungen vorlägen und was an Folgen der Primärverletzungen überhaupt ernsthaft in Betracht komme.
11
Zwar habe das Landgericht dem Sachverständigen auch nicht das Beweismaß des § 287 ZPO für die Beurteilung des Umfangs des eingetretenen Schadens vorgegeben. Gleichwohl habe sich auch dieser Fehler nicht ausgewirkt, nachdem der Sachverständige das Vorliegen von Unfallfolgen definitiv ausgeschlossen habe. Deshalb habe sich die Frage, ob im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen würde, nicht gestellt. Angesichts der eindeutigen Feststellungen schließe der Senat aus, dass der Sachverständige zu einem anderem Ergebnis gelangt wäre, wenn ihm, wie dargestellt, das Beweismaß des § 287 ZPO vorgegeben worden wäre.
12
Dagegen habe das Landgericht zu Recht die Beweisaufnahme nicht auf die von der Klägerin behaupteten Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet erstreckt. Schon nach dem Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001 liege insoweit eine psychoreaktive Störung vor, wel- che gemäß § 2 Abs. 4 AUB 88 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen werde.
13
Ein Anspruch auf Genesungsgeld sei im gewählten Tarif nicht vereinbart.
14
II. Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Berufungsurteil auf verfahrensfehlerhaften Feststellungen und einer teilweise unzutreffenden Beurteilung der materiellen Rechtslage beruht.
15
Das 1. Berufungsgericht ist insbesondere seiner tatrichterlichen Pflicht zur Überprüfung des Urteils der Vorinstanz nicht nachgekommen. Es hätte unter Verwertung des gesamten Prozessstoffs auch der ersten Instanz neue Feststellungen treffen und den Vortrag und die Beweisanträge der Parteien zur Kenntnis nehmen und prozessordnungsgemäß bescheiden müssen. Dies war deshalb geboten, weil nicht nur konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen der Vorinstanz begründet waren, sondern weil das Urteil des Landgerichts wegen schwerwiegender Fehler keine hinreichende Entscheidungsgrundlage darstellt. In einem solchen Fall sind erneute Feststellungen des Berufungsgerichts i.S. von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erst recht zwingend geboten (vgl. BGHZ 158, 269, 277 f.; BVerfG NJW 2003, 2524).
16
2. Nach dem Beschluss des Landgerichts vom 18. Dezember 2001 war durch Einholung eines medizinischen Gutachtens Beweis zu erheben über die bestrittene Behauptung der Klagepartei, sie sei aufgrund der medizinischen Folgen aus dem Unfall vom 3. April 1998 ohne Berück- sichtigung der psychischen bzw. psychiatrischen Folgen zu 100% arbeits - bzw. berufs- bzw. erwerbsunfähig, die Beklagte werde zum Gegenbeweis zugelassen.
17
a) Das Landgericht hat schon nicht beachtet, dass nach dem unstreitigen Parteivortrag den Verträgen unterschiedliche Bedingungen zugrunde liegen. Es hat damit die Feststellung des Vertragsinhalts als grundlegender Voraussetzung für eine sachgerechte Behandlung und Entscheidung des Rechtsstreits versäumt. § 8 II (1) Satz 1 AUB 61 definiert Invalidität als dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, § 7 I (1) Satz 1 AUB 88 als dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit. Auf diese unterschiedliche Definition mag es im Ergebnis häufig nicht ankommen. Erhebliche Unterschiede bestehen jedoch, soweit es um Risikoausschlüsse für Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung und für Folgen psychischer und nervöser Störungen im Anschluss an einen Unfall (§ 2 (3) b und § 10 (5) AUB 61) und krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind (§ 2 IV AUB 88), geht. Der Ausschluss des § 2 IV AUB 88 geht erheblich über den der AUB 61 hinaus (Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 2 AUB 94 Rdn. 41; vgl. zu den jeweiligen Risikoausschlüssen Senatsurteile vom 29. September 2004 - IV ZR 233/03 - VersR 2004, 1449 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 159, 360, 363 ff.; vom 27. September 1995 - IV ZR 283/94 - VersR 1995, 1433 unter 3 und 4 und vom 19. April 1972 - IV ZR 50/71 - VersR 1972, 582 unter II). Das Berufungsgericht hat ebenfalls nicht zur Kenntnis genommen, dass der Gruppenversicherung die AUB 61 zugrunde liegen. Das Landgericht hat im Übrigen ebenso wie das Berufungsgericht nicht gesehen, dass psychische Leiden, die auf einer organischen Schädigung oder Reaktion beruhen , nach der Rechtsprechung des Senats weder nach den AUB 88 noch nach den AUB 61 unter den Ausschlusstatbestand fallen. Es war deshalb verfehlt, "psychische bzw. psychiatrische" Unfallfolgen von der Beweiserhebung auszunehmen, zumal die Beweislast für den Risikoausschluss nach der zitierten Rechtsprechung des Senats und allgemeiner Auffassung der Versicherer trägt. Es erscheint im Übrigen widersprüchlich , dass sich das Berufungsgericht für das Vorliegen einer "psychoreaktiven Störung" auf das Gutachten Dr. N. beruft, dem es zuvor die Überzeugungskraft unter Hinweis auf das gerichtliche Gutachten Dr. Nu. abgesprochen hat, und sich zudem nicht damit auseinandersetzt , dass Dr. Nu. den Ausführungen von Dr. N. zu psychischen , neuropsychologischen und psychoreaktiven Störungen nicht beizupflichten vermochte (Gutachten S. 173, GA I 216).
18
b) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass für die Beurteilung der Invalidität das Ende des dritten Jahres nach dem Unfall maßgeblich ist. Nach beiden hier einschlägigen Bedingungswerken kommt es auf den zu diesem Zeitpunkt erkennbaren, d.h. hinreichend prognostizierbaren Dauerzustand an, wenn eine Erstfeststellung stattgefunden hat und die Neubemessung bedingungsgemäß möglich ist (Senatsbeschluss vom 16. Januar 2008 - IV ZR 271/06 - VersR 2008, 527 f.; Senatsurteile vom 20. April 2005 - IV ZR 237/03 - VersR 2005, 927 unter II 1 und vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - VersR 2003, 1165 unter B I 1 b). Das Schreiben der Beklagten vom 20. Dezember 1999 ist als eine Erstfeststellung der Invalidität dem Grunde nach mit der Folge einer Vorschusszahlung nach §§ 11 Satz 1, 13 (2) Satz 1 AUB 61, § 11 III AUB 88 anzusehen mit der Erklärung des Vorbehalts der Neubemessung nach einem Jahr.
19
Das c) Berufungsgericht hat auch richtig gesehen, dass für den Beweis der Kausalität zwischen dem (nach § 286 ZPO zu beweisenden) unfallbedingten ersten Gesundheitsschaden und der (ebenfalls nach § 286 ZPO zu beweisenden) Invalidität der Maßstab des § 287 ZPO gilt (BGHZ 159, 360, 368 f.; Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - VersR 2001, 1547 unter II 1 und 2 a). Darauf hätte das Landgericht den Sachverständigen hinweisen müssen. Das Verkennen des Beweismaßes führt zur Unvollständigkeit des Gutachtens und damit zu Zweifeln an der Richtigkeit der Feststellungen der Vorinstanz (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 - VI ZR 230/03 - VersR 2004, 1477 unter II 2 a und b). Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen ist nach der gesetzlichen Neuregelung eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (BVerfG NJW 2003, 2524). Es war rechtsfehlerhaft, die gebotene Beweisaufnahme mit der eigene Sachkunde nicht ausweisenden Leerformel zu unterlassen, der Senat schließe aus, dass der Sachverständige zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn ihm, wie dargestellt, das Beweismaß des § 287 ZPO vorgegeben worden wäre.
20
d) Erneute Feststellungen des Berufungsgerichts waren auch deshalb geboten, weil das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG die mehrfachen Anträge der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen ignoriert hat. Einem solchen Antrag ist auch dann stattzugeben, wenn das Gericht selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht und nicht erwartet, dass der Gutachter seine Auffassung ändert (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und Senatsbeschluss vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05 - VersR 2006, 950 Tz. 6; BVerfG NJW 1998, 2273 f.). Da das Berufungsgericht , wie erwähnt, bei seinen erneuten Feststellungen auch den ge- samten Prozessstoff der ersten Instanz zu berücksichtigen hat, muss es den Sachverständigen auch ohne dahingehende Rüge laden, wenn es seine Entscheidung auf das Gutachten dieses Sachverständigen stützen will und die Partei nach einem Hinweis darauf nicht ausdrücklich auf die Ladung verzichtet (vgl. Senatsurteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07 - VersR 2008, 479 Tz. 15; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 aaO; BGHZ 158, 269, 278 ff.).
21
e) Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des Landgerichts ergeben sich auch aus der widersprüchlichen Beweiswürdigung. Es meint einerseits, unfallbedingte Verletzungen seien nicht feststellbar und nicht nachgewiesen. Damit wird verkannt, wie das Landgericht an anderer Stelle selbst sieht, dass das Unfallereignis und eine dadurch eingetretene Gesundheitsschädigung, die HWS-Distorsion jedenfalls nach dem Grad ACIR I, unstreitig sind. Es bleibt auch offen, ob das Landgericht die von der Klägerin behaupteten dauernden Gesundheitsbeeinträchtigungen , wie sie im Gutachten Dr. N. vom 27. Juni 2001 festgestellt sind, für unstreitig, bewiesen oder nicht bewiesen hält. Das Berufungsgericht hält dies ebenso wie die von Dr. N. geprüfte Frage der Unfallbedingtheit der festgestellten Dauerfolgen für unerheblich , weil es den von den Primärschädigungen ausgehenden Ansatz des Gerichtssachverständigen für vorzugswürdig hält und mangels entsprechender Primärverletzungen unfallbedingte Dauerschäden ausschließt. Es ist nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht über die erforderliche Sachkunde verfügt zu beurteilen, ob der methodische Ansatz des Gerichtssachverständigen oder des von der Beklagten zunächst zugezogenen Sachverständigen Dr. N. richtig ist. Das Berufungsurteil enthält auch im Übrigen keine den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügende Auseinandersetzung mit dem Gutachten Dr. N. (vgl. zu diesen Anforderungen Senatsurteile vom 23. Januar 2008 - IV ZR 10/07 - VersR 2008, 479 Tz. 17, 18 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b; BGH, Urteil vom 14. April 1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576 unter II 1 b). Weiter wird darauf hingewiesen, dass das von der Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Januar 2003 vorgelegte, für das Sozialgericht erstattete Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. bisher nicht zur Kenntnis genommen und auch vom Gerichtssachverständigen nicht berücksichtigt worden ist. Dr. S. geht von wesentlich schwereren (primären) Unfallverletzungen und unfallbedingten Dauerschäden aus. Zu den vom Gerichtssachverständigen angesprochenen fehlenden technischen Erkenntnissen zum Unfallhergang ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin ein Schadensgutachten über ihr Fahrzeug zu den Akten gegeben hat. Zur so genannten Harmlosigkeitsgrenze bei HWS-Verletzungen wird auf das Urteil des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2003 hingewiesen (VI ZR 139/02 - NJW 2003, 1116 ff.).
22
Soweit 3. das Berufungsgericht einen Anspruch auf Genesungsgeld ablehnt, hat es nicht zur Kenntnis genommen, dass sich ein solcher Anspruch aus Ziff. 2 der Besonderen Bedingungen für Mehrleistung bei einem Invaliditätsgrad ab 90% in der Gruppenunfallversicherung ergeben kann.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 26.10.2004 - 28 O 18942/01 -
OLG München, Entscheidung vom 12.08.2005 - 25 U 5545/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 181/07 Verkündetam:
2.Dezember2009
Fritz
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtin
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
AVB Unfallversicherung (hier AUB 88, § 11 IV)
Aus dem allein vom Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung nach § 11 IV
AUB 88 fristgemäß vorbehaltenem Recht, die Neubemessung der Invalidität zu verlangen
, erwächst für den Versicherungsnehmer nicht die Pflicht, eine solche Neubemessung
tatsächlich herbeizuführen. Die Weigerung des Versicherungsnehmers,
zum Zweck der Neubemessung einen vom Versicherer benannten Arzt aufzusuchen,
steht insoweit einem - zulässigen - Verzicht auf die Neubemessung gleich und verletzt
nicht die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88.
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2009 - IV ZR 181/07 - OLG München
LG Augsburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember
2009

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird - unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Beklagten - das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 21. Juni 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Zahlung von 65.445,38 € nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 23. August 2002 in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der am 1. Februar 2000 aus 3,5 Metern Höhe von einer Leiter gestürzte Kläger fordert weitere Invaliditätsleistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung, der die AUB 88 zugrunde liegen.
Die Parteien streiten unter anderem um den Grad der Invalidität, den der Kläger durch die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen davongetragen hat. Vorgerichtlich hat die Beklagte auf der Grundlage eines von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. in ihrem Auftrag am 12. Juli 2001 erstatteten Gutachtens, welches zur Feststellung eines Invaliditätsgrades von 30% gelangt war, eine Versicherungsleistung von 24.051,18 € erbracht.
2
Der Kläger meint, er sei bis zu 80% invalide und fordert daher eine zusätzliche Versicherungsleistung in Höhe von 65.445,38 €. Er hat mit Schreiben an die Beklagte vom 11. August 2001 Widerspruch gegen die von der Beklagten in deren Schreiben vom 7. August 2001 vorgenommene Erstfestsetzung seines Invaliditätsgrades erhoben und zugleich dessen Neufestsetzung nach 15 Monaten gefordert. Mit Schreiben vom 15. August 2001 erklärte sich die Beklagte lediglich dazu bereit, das Neufestsetzungsverfahren gemäß § 11 IV AUB 88 ein Jahr nach der Erstbegutachtung mittels einer weiteren Begutachtung des Klägers durchzuführen. Dementsprechend wurde der Kläger Ende Mai/Anfang Juni 2002 von der Beklagten und der von ihr erneut beauftragten Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. aufgefordert, sich am 8. Juli 2002 nochmals zur Untersuchung und Begutachtung einzufinden. Der Kläger erhob daraufhin in einem Schreiben an die Beklagte vom 2. Juli 2002 den Vorwurf, die Ärzte der Unfallklinik hätten ihn schon 2001 unzureichend , insbesondere unter Außerachtlassung zahlreicher Befunde und unter Manipulation von Röntgenbildern "inkompetent" untersucht. Er halte deshalb eine erneute Untersuchung in derselben Klinik für sinnlos. Mit Schreiben an die Unfallklinik vom selben Tage sagte der Kläger den anberaumten Untersuchungstermin ab.
3
Die Beklagte wies den Kläger unter dem 11. Juli 2002 schriftlich auf § 9 IV AUB 88 und die darin geregelte Obliegenheit hin, sich von Ärzten untersuchen zu lassen, die der Versicherer beauftrage. Für den Fall erneuter Weigerung wurde der Kläger zugleich auf drohende Leistungsfreiheit des Versicherers hingewiesen (§ 10 AUB 88). Dennoch beharrte der Kläger sowohl telefonisch als auch schriftlich auf seiner Weigerung , sich der Untersuchung durch Ärzte der Unfallklinik M. zu stellen.
4
23. August Am 2002 teilte ihm die Beklagte unter Berufung auf §§ 9 IV und 10 AUB 88 schriftlich mit, sie sei nunmehr leistungsfrei und sehe die Bearbeitung seiner Unfallangelegenheit damit als "endgültig beendet" an.
5
Hiergegen wendet sich die Klage, mit der der Kläger unter Berufung auf den nach seiner Behauptung höheren Invaliditätsgrad weitere 65.445,38 € fordert.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger nach erneuter Begutachtung seines Gesundheitszustandes auf der Grundlage eines dabei festgestellten Invaliditätsgrades von 40% weitere 8.017,05 € nebst Zinsen zugesprochen und seine Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Insoweit verfolgt der Kläger mit der Revision sein ursprüngliches Begehren weiter.
7
ihrer Mit Anschlussrevision wendet sich die Beklagte gegen das Berufungsurteil, soweit sie darin zur Zahlung verurteilt worden ist.

Entscheidungsgründe:


8
Das Rechtsmittel des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils , soweit der Antrag auf Zahlung von weiteren 65.445,38 € nebst Zinsen in Höhe von 57.428,33 € nebst darauf entfallende Zinsen zurückgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9
Die Anschlussrevision der Beklagten hat keinen Erfolg.
10
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte sei nicht deshalb von der Leistungspflicht frei geworden, weil sich der Kläger geweigert habe, sich nochmals von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. begutachten zu lassen. Die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 sei nicht verletzt. Sie betreffe lediglich den Fall, dass der Versicherer eine ärztliche Untersuchung für erforderlich halte und der Versicherungsnehmer eine solche im Interesse des Versicherers vorgesehene Untersuchung verweigere. Hier sei Anlass der erneuten Untersuchung aber das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 11. August 2001 gewesen , mit welchem er sich vorwiegend gegen die Erstfestsetzung seiner Invalidität gewandt habe. Zwar habe er in dem genannten Schreiben auch verlangt, von der Möglichkeit einer ärztlichen Neubemessung seiner Invalidität binnen 15 Monaten Gebrauch zu machen, seine Einwendungen hätten sich aber in erster Linie gegen die Erstbemessung der Invalidität gerichtet. Die Beklagte habe sich mit der weiteren Begutachtung des Klägers einverstanden erklärt. Damit sei die erneute Begutachtung nicht im Interesse der Beklagten, sondern allein im Interesse des Klägers vorgesehen worden. Das könne nicht dazu führen, dass aus dem Wunsch des Klägers eine Obliegenheit gegenüber der Beklagten werde. Dass er die von ihm selbst geforderte Begutachtung letztlich nicht ermöglicht habe, habe keine Interessen der Beklagten verletzt.
11
Die Höhe der Versicherungsleistung hat das Berufungsgericht unter Berücksichtigung eines dem Kläger von der Beklagten zugesagten Treuebonus auf der Grundlage des seiner Auffassung nach überzeugenden Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. M. bestimmt, der den Invaliditätsgrad des Klägers bezogen auf den 1. Februar 2003 auf 40% bemessen hat. Infolge der Ausführungen dieses Sachverständigen sei die Einholung weiterer Gutachten nicht mehr geboten gewesen.
12
Das II. hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Berufungsgericht bei der Feststellung des Invaliditätsgrades des Klägers dessen Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, indem es von ihm vorgelegte ärztliche Stellungnahmen zu seinem Gesundheitszustand übergangen hat.
13
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit prüfen und insbesondere auf die Aufklärung von Widersprüchen hinwirken, die sich innerhalb der Begutachtung eines Sachverständigen wie auch zwischen den Äußerungen mehrerer Sachverständiger ergeben (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 - IV ZR 27/08 - VersR 2009, 817 Tz. 9; BGH, Urteil vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95 - NJW 1997, 1638 unter II 1 b, jeweils m.w.N.). Dies gilt insbesondere bei der Beurteilung besonders schwieriger wissen- schaftlicher Fragen (Senatsurteil vom 25. Februar 2009 aaO; vgl. dazu schon BGH, Urteil vom 12. Januar 1962 - V ZR 179/60 - NJW 1962, 676 unter 1). Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter zudem besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall - wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger - den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt (Senatsurteile vom 25. Februar 2009 aaO; vom 24. September 2008 - IV ZR 250/06 - VersR 2008, 1676 unter Tz. 11 und vom 22. September 2004 - IV ZR 200/03 - VersR 2005, 676 unter II 2 b, jeweils m.w.N.).
14
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
15
a) Unstreitig hat sich der Kläger bei dem Sturz von der Leiter eine Deckplattenimpressionsfraktur des achten Brustwirbels und der vorderen Oberkante des dritten Lendenwirbels, ferner Kompressionsfrakturen des zwölften Brust- und des zweiten Lendenwirbels zugezogen. Daraus resultiert eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung und Funktionsbehinderung jedenfalls der Lendenwirbelsäule. Die so verursachten dauerhaften Gesundheitsschäden hat der gerichtlich bestellte Sachverständige vorwiegend auf orthopädischem Gebiet gesehen und mit einem Invaliditätsgrad von 40% bewertet.
16
b) Demgegenüber hat der Kläger weitergehende Beschwerden behauptet : Es habe sich infolge des Sturzes ein Rippenbuckel gebildet, außerdem seien beidseitige Schultergürtelstörungen mit Bewegungsein- schränkungen beider Schultergelenke und ein Schulterhochstand rechts eingetreten. Infolge der Brustkorbverletzungen komme es bei ihm nicht nur zu Lungenfunktionsstörungen und Beeinträchtigungen der Atmung, sondern es habe auch eine mit den Verletzungen einhergehende Lockerung der Brustkorbaufhängung mit nachfolgender Brustkorbverschiebung zu Herzfunktionsstörungen geführt. Die Lendenwirbelverletzungen hätten zudem eine neurogene Blasenentleerungsstörung zur Folge. Schließlich habe der Sturz auch Morbus Bechterew und Rheumatismus ausgelöst.
17
c) Diesen Vortrag, der sich unter anderem auch auf vom Kläger vorgelegte ärztliche Äußerungen stützt, hat das Berufungsgericht nicht ausreichend beachtet.
18
aa) Seine Überzeugung, beim Kläger habe sich kein Rippenbuckel gebildet, stützt es auf den in der Berufungsverhandlung genommenen Augenschein und die begleitende Erklärung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, die beobachtete leichte Verformung beruhe nicht auf einer knöchernen Deformierung, sondern auf einer lokalen Muskelverhärtung. Das übersieht, dass der Sachverständige selbst in seinem schriftlichen Gutachten eine posttraumatische Fehlstatik der Wirbelsäule in horizontaler und sagittaler Richtung mit einer diskreten Rippenbuckelbildung links festgestellt hat. Das Berufungsurteil löst den darin liegenden Widerspruch zu den mündlichen Angaben des Sachverständigen nicht auf. Es nimmt weiter nicht dazu Stellung, dass auch die Orthopäden Dr. T. (Fachärztlicher Bericht vom 28. August 2001) und Dr. L. (Arztbrief vom 20. August 2001) ausweislich der vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen die Ausbildung eines leichten Rippenbuckels bescheinigt haben. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde in der Lage war, zu entscheiden, ob die von ihm bei gebückter Körperhaltung des Klägers beobachtete diskrete Verformung des Rückens auf einer knöchernen oder einer lediglich muskulären Ursache beruht.
19
Auch bb) sonstige, auf einer unfallbedingten Deformation des Brustkorbes beruhende Beschwerden, wie Atem- oder Herzstörungen, hat das Berufungsgericht im Anschluss an die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen ausgeschlossen. Dieser hat es zwar für möglich erachtet, dass der Kläger beim Sturz eine Herzprellung erlitten habe, eine solche heile indes folgenlos aus. Das Berufungsgericht hat dabei nicht erörtert, dass das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Kardiologen Dr. N. zu dem Ergebnis gelangt war, der Kläger leide an einer globalen Herzinsuffizienz, die als Unfallfolge interpretiert werden könne. Warum das Berufungsgericht demgegenüber der gutachtlichen Einschätzung des von ihm beauftragten Neurochirurgen den Vorzug gibt, lässt das Berufungsurteil nicht erkennen.
20
Auch dazu, dass die Internistin W. dem Kläger in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 30. Juli 2003 eine geringgradige restriktive Ventilationsstörung mit einer Einschränkung der Totalkapazität auf 80% und der Vitalkapazität auf 73% des Normwertes attestiert und einen Zusammenhang mit dem Sturz von der Leiter insoweit für möglich erachtet hat, verhält sich das Berufungsurteil nicht. Ebenso wenig befassen sich das Berufungsgericht und der von ihm bestellte Sachverständige mit der ärztlichen Stellungnahme des Lungenfacharztes Dr. Sch. vom 21. Juni 2004, in welcher neben der Feststellung einer leicht eingeschränkten Lungenfunktion der Verdacht einer Asthmaerkrankung und eines Schlafapnoesyndroms ausgesprochen werden. Es ist insoweit nicht ersichtlich, ob und mit welchen Erwägungen das Berufungsgericht ange- nommen hat, ein Zusammenhang dieser Beschwerden mit dem Sturz des Klägers sei nicht erwiesen.
21
cc) Mit Blick auf die vom Kläger geltend gemachte Blasenentleerungsstörung hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, eine Unfallbedingtheit sei praktisch im Rahmen einer spinalen Kontusion kaum vorstellbar, solange nicht gleichzeitig eine relevante Einengung des Spinalkanals im Frakturbereich und neurologisch bedingte Ausfälle der unteren Extremitäten vorlägen. In seiner mündlichen Anhörung hat er ergänzt, neurogene Blasenentleerungsstörungen träten nur in Fällen auf, in denen eine höhergradige Verlegung des Spinalkanals und des Rückenmarkkanals, etwa durch Bruchstücke des Wirbelkörpers, vorliege. In einem solchen Fall seien begleitende neurologische Auswirkungen, etwa ein Cauda-Syndrom (sog. Reithosenanästhesie), zu erwarten. Das Berufungsgericht folgert daraus, der Sachverständige habe eine unfallbedingte neurogene Blasenentleerungsstörung überzeugend ausgeschlossen. Das Berufungsurteil verhält sich aber nicht dazu, dass der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten eine neurologische Ausfallerscheinung, nämlich eine "sensibel inkonstant streifige" Verminderung der Empfindlichkeit für Berührungsreize (Hypästhesie) im Bereich der ventralen Oberschenkel sowie beider lateralen Unterschenkel festgestellt hatte. Ebenso wenig nimmt das Berufungsgericht dazu Stellung, dass anlässlich der Kernspintomographie in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. am 9. Februar 2001 eine leichte Einengung des Spinalkanals im Bereich der Lendenwirbelkörper zwei und drei diagnostiziert worden war, wie sich aus einem vom Kläger vorgelegten Bericht der Unfallklinik ergibt. Der Urologe Dr. S. hat in mehreren vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen angenommen, es liege beim Kläger eine ausgeprägte neuroge- ne Blasenentleerungsstörung vor. Im urodynamischen Gutachten vom 24. Juli 2003 hat er ausgeführt, Ursache sei mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kompressionsfraktur der beiden Lendenwirbelkörper. Das Berufungsurteil befasst sich damit nicht. Weshalb das Berufungsgericht stattdessen die Ausführungen des gerichtlich bestellten Gutachters für überzeugender hält und aufgrund welcher besonderen Sachkunde das Berufungsgericht dies beurteilen konnte, kann dem Berufungsurteil nicht entnommen werden.
22
III. Die Anschlussrevision der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach §§ 9 IV, 10 AUB 88, § 6 Abs. 3 VVG a.F. leistungsfrei geworden, nachdem dieser sich geweigert hat, sich auf Verlangen der Beklagten im Jahre 2002 erneut von Ärzten der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik M. untersuchen zu lassen.
23
Dafür sind folgende Erwägungen maßgeblich:
24
1. Nach der Systematik des § 11 AUB 88 ist, was die Bemessung der unfallbedingten Invalidität anlangt, zu unterscheiden: Zunächst hat sich der Versicherer gemäß § 11 I AUB 88 nach Erhalt der in der Klausel näher bezeichneten Unterlagen binnen bestimmter Frist - beim Invaliditätsanspruch binnen drei Monaten - zu erklären, ob und in welcher Höhe er den Anspruch anerkennt. Bei dieser Erstbemessung bleibt es - unbeschadet der Möglichkeit des Versicherungsnehmers, in einem Rechtsstreit eine ihm günstigere Erstbemessung zu erstreiten - grundsätzlich, soweit keine der Vertragsparteien von ihrem Recht Gebrauch macht, den Grad der Invalidität - längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall - ärzt- lich neu bemessen zu lassen (§ 11 IV AUB 88). In diese zweite Stufe der Invaliditätsbemessung gelangen die Vertragsparteien indessen nur dann, wenn entweder der Versicherungsnehmer, der Versicherer oder beide das Recht auf Neubemessung - fristgebunden - ausüben, d.h. gegenüber dem jeweils anderen eine entsprechende Erklärung abgeben. Unterbleibt eine solche Erklärung oder erfolgt sie nicht fristgemäß, hat die jeweilige Vertragspartei das Recht auf Neubemessung verloren.
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Beide Stufen der Invaliditätsbemessung sind zwar dadurch verknüpft , dass die Erstbemessung unter dem Vorbehalt einer Änderung steht, soweit sich eine oder beide Vertragsparteien die Neubemessung der Invalidität vorbehalten haben und es tatsächlich zu einer Neubemessung gemäß § 11 IV AUB 88 kommt. Unbeschadet dessen sind die Stufen der Invaliditätsbemessung jeweils rechtlich eigenständig zu betrachten.
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2. Im vorliegenden Falle hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 zum einen eine Abänderung der Erstbemessung bezogen auf den für diese maßgeblichen Zeitpunkt begehrt, denn er hat geltend gemacht, bereits zu dieser Zeit an weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen gelitten zu haben, die bei der Bemessung durch die Beklagte unberücksichtigt geblieben seien. Er hat schließlich, darauf gestützt , nach Ablauf der Frist des § 11 IV AUB 88 Klage erhoben und auch mit dieser eine ihm günstigere Erstbemessung begehrt.
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Daneben hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 11. August 2001 sein Recht auf Neubemessung des Invaliditätsgrades (§ 11 IV AUB 88) ausgeübt, während die Beklagte davon abgesehen hat. Daraus ergibt sich zunächst: Der Streit der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit be- trifft allein die Erstbemessung der Invalidität gemäß § 11 I AUB 88. Das Recht des Klägers, im Klagewege eine seiner Ansicht nach zutreffende höhere Erstbemessung der Invalidität durchzusetzen, lässt sein - ausgeübtes - Recht, eine Neubemessung der Invalidität zu verlangen, unberührt und besteht unabhängig davon fort. Die Beklagte dagegen hat ihr Recht auf Neubemessung der Invalidität verloren, weil sie es nicht i.S. von § 11 IV AUB 88 ausgeübt hat.
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3. Mit Blick auf die Erstbemessung der Invalidität besteht danach eine Obliegenheit des Klägers, sich auf Verlangen der Beklagten ärztlich untersuchen zu lassen (§ 9 IV AUB 88), nicht mehr. Die Beklagte hat ihre Entscheidung über die Erstbemessung mit ihrem Schreiben vom 7. August 2001 getroffen (§ 11 I AUB 88). Daraus folgt zugleich, dass ein weiterer Aufklärungsbedarf insoweit nicht bestand. Es fehlt damit an einem berechtigten Interesse der Beklagten, den Versicherungsnehmer - zumal mit der Sanktion der Leistungsfreiheit - weiterhin an die Obliegenheit zu binden. Aus Sicht des Versicherers bestand keine Veranlassung mehr zu weiteren Untersuchungen durch von ihm beauftragte Ärzte (vgl. Senatsurteil vom 16. Juli 2003 - IV ZR 310/02 - VersR 2003, 1165 unter B I 1 a).
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Auf den Streit um die Erstbemessung konnte die Beklagte ihr Untersuchungsverlangen mithin nicht stützen. Der Kläger hat insoweit keine Obliegenheit verletzt.
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Zu diesem Ergebnis führt es auch, wenn man die bloße Verweisung des Klägers auf die begehrte Neubemessung im Schreiben der Beklagten vom 15. August 2001 als Ablehnung weiterer Überprüfungen der Erstbemessung versteht. Denn auch unter diesem Blickwinkel träfen den Kläger Aufklärungs- oder Mitwirkungsobliegenheiten hinsichtlich der Erstbemessung nicht mehr (vgl. dazu BGHZ 107, 368, 371 f.).
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4. Aber auch mit Blick auf eine Neubemessung der Invalidität (§ 11 IV AUB 88) hat der Kläger die Obliegenheit aus § 9 IV AUB 88 nicht verletzt. Aus dem vom Kläger vorbehaltenen Recht, die Invalidität längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall ärztlich neu bemessen zu lassen, folgt keine Pflicht des Klägers, eine Neubemessung tatsächlich herbeizuführen. Die Regelung in § 9 IV AUB 88 gibt dafür keinen Anhalt. Erst recht kann die Beklagte eine Untersuchung zum Zwecke der Neubemessung nicht verlangen, denn sie hat ihr Recht darauf - weil sie es mit der Erstbemessung nicht ausgeübt hat - verloren. Der Kläger kann mithin auf eine ärztliche Neubemessung verzichten, ohne dass ihn die Beklagte - noch dazu mit der Androhung von Leistungsfreiheit - dazu zwingen könnte. Die Weigerung des Klägers, sich von den von der Beklagten benannten Ärzten untersuchen zu lassen, bleibt damit sanktionslos. Sie steht einem Verzicht auf die Neubemessung gleich.
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Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 16. Juli 2003 (aaO) angedeutet hat, dass auch im Rahmen der Neubemessung von Invalidität eine Bindung des Versicherungsnehmers an die Obliegenheit in § 9 IV AUB 88 eintreten könnte, stand das unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer das Recht auf ärztliche Neubemessung ausübt, insbesondere eine solche auch herbeiführt und darauf gestützt eine höhere Entschädigung verlangt. Der Senat kann weiterhin offen lassen, ob der Versicherungsnehmer unter dieser Voraussetzung der Untersuchungsobliegenheit zu genügen hat. Dafür spricht allerdings, dass nach einer vom Versicherungsnehmer herbeigeführten Neubemessung auch für den Versicherer neuerlicher Prüfungsbedarf entsteht, eine Untersu- chung durch von ihm beauftragte Ärzte mithin seinem berechtigten Interesse an weiterer Aufklärung entsprechen könnte. Offen bleiben kann insoweit auch, ob - eine Obliegenheitsbindung unterstellt - deren Verletzung zu vollständiger Leistungsfreiheit des Versicherers führen könnte oder ob sich diese auf das Verlangen des Versicherungsnehmers nach gegenüber der Erstbemessung höherer Invaliditätsleistung zu beschränken hätte.
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Das Berufungsgericht wird deshalb die gebotene Aufklärung hinsichtlich des Grades der unfallbedingten Invalidität vorzunehmen und dabei zu prüfen haben, inwieweit es angesichts der unterschiedlichen, vom Kläger geltend gemachten Beschwerden geboten ist, dazu Gutachten von Medizinern verschiedener Fachrichtungen einzuholen. Da der Streit die Erstbemessung betrifft, ist insoweit maßgeblich der Gesundheitszustand , wie er sich zu diesem Zeitpunkt - und nicht nach Ablauf der Dreijahresfrist - dargestellt hat.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Entscheidung vom 12.08.2003 - 2 O 1153/03 -
OLG München in Augsburg, Entscheidung vom 21.06.2006 - 14 U 691/03 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
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6.
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7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.