Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der 1992 in der afghanischen Provinz Ghazni geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, tadschikischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Mai/Juni 2009 lebte er ledig in dem Dorf L. R. im Bezirk R. in der Provinz Ghazni. Dort betätigte er sich eigenen Angaben zufolge - nachdem er die Schule nach der sechsten Klasse verlassen hatte - damit, seinem Vater bei Polsterarbeiten zu helfen.
3Der Kläger ist als damals 16-jähriger am 20. Juni 2009 nach ungefähr einmonatiger Landwegreise über den Iran, die Türkei und Griechenland und von dort kommend auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist. Hier beantragte er am 17. August 2009 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
4Am 2. September 2009 und am 30. September 2010 wurde der Kläger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angehört, wo er u.a. folgende Angaben machte: Er habe in Afghanistan Bodybuilding betrieben und dabei einen Unfall verursacht. Während er mit einer Langhantel mit aufgesteckten ungesicherten Gewichtscheiben trainiert habe, seien zwei Scheiben mit einem Gewicht von jeweils 15 kg abgerutscht und auf das Gesicht und die Brust eines Mannes gefallen, der auf dem Rücken liegend in seiner Nähe trainiert habe. Als er dessen blutüberströmtes Gesicht gesehen und der Mann keine Reaktion gezeigt habe, sei er aus Angst davon gelaufen. Er habe einer anderen Person - die er bei der zweiten Anhörung als seinen Cousin bezeichnet hat - von dem Vorfall erzählt. Auf den Rat und mit der finanziellen Hilfe dieser Person sei er wenig später nach Kabul gereist. Dort habe er sich einige Zeit bei der ersten Frau seines Onkels aufgehalten. Anlass dafür sei gewesen, dass es sich bei dem Vater des Verletzten um I. A. , der so etwas Ähnliches wie ein einflussreicher Politiker sei, handele. Kurz darauf sei sein eigener Vater auf dessen Anzeige hin inhaftiert und ungefähr eine Woche später auf Initiative des Ältestenrates wieder freigelassen worden. Er gehe davon aus, in Afghanistan von dem Vater des Verletzten, dem I. A. , Tag und Nacht verfolgt zu werden.
5Mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers mit der Begründung ab, dass dieser nicht geltend gemacht habe, aufgrund asylrelevanter Persönlichkeitsmerkmale verfolgt zu werden. Gleichzeitig stellte es fest, dass angesichts dessen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Ferner enthält der Bescheid die Feststellung, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a. F.) nicht gegeben sind. Ob dem Kläger aufgrund der von ihm geschilderten Ereignisse eine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 2 AufenthG (a. F.) drohe, könne dahin stehen, da er die Möglichkeit habe, in Afghanistan, namentlich in Herat oder Kabul, internen Schutz zu erlangen. Entsprechendes gelte bezogen auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (a. F.). Dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan einer extremen allgemeinen Gefahr ausgesetzt sei, sei nicht feststellbar. Da kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig sei, müsse er auch nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3 AufenthG) befürchten. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls er nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat abgeschoben werde.
6Der Kläger hat am 28. Dezember 2010 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein Vorbringen vor dem Bundesamt wiederholt und vertieft und ergänzend u.a. Folgendes vorgetragen hat: Seine Familie habe vergebens versucht, sich von der zu erwartenden Rache frei zu kaufen. Obwohl der Vater des Verletzten, dessen Machtbasis in der Provinz Nangarhar angesiedelt gewesen sei, im Februar 2010 bei einem Bombenattentat zu Tode gekommen sei, bestehe für ihn weiterhin ein Verfolgungsrisiko. Denn es wäre überraschend, wenn das Verlangen nach Rache nicht auf Seiten der gesamten Familie des Opfers bestünde. Deswegen könne unterstellt werden, dass diese nach wie vor ein Interesse daran habe, ihn zu bestrafen, wobei damit zu rechnen sei, dass dies mit Misshandlungen einhergehe und rechtsstaatliche Prinzipien dabei außer Acht blieben. Für ihn bestehe keine inländische Fluchtalternative. Denn der Zuzug in eine Stadt würde sich in einer auf informellen Strukturen fußenden Gesellschaft wie der afghanischen schnell herumsprechen. Dass vorliegend ein nicht nur lokales Verfolgungsinteresse bestehe, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass die Familie des Opfers provinzübergreifend tätig geworden sei. Seine eigene Familie hingegen verfüge nicht über ausreichend Macht und Einfluss, um ihm Schutz zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 1. März 2012 hat der Kläger ergänzend mitgeteilt, dass das Opfer sich zwar schwere, teilweise wohl bleibende Verletzungen zugezogen, den Unfall aber überlebt habe. Dies ändere aber nichts an der fortbestehenden Verfolgungsgefahr durch dessen Familie und daran, dass er selbst - wie sich aus den dem Schriftsatz beigefügten Attesten ergebe - traumatisiert und im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan gefährdet sei, retraumatisiert zu werden.
7Der Kläger hat beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2010‑ zugestellt am 14. Dezember 2010 - Aktenzeichen 5386602 - 423 - zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
9hilfsweise
10die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG vorliegen,
11weiter hilfsweise
12die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 4, 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. März 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Ferner stehe ihm kein Anspruch darauf zu, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3, 4, 5 und 7 Satz 2 AufenthG festgestellt werden. Insoweit werde zur Vermeidung von Wiederholungen auf den angefochtenen Bescheid Bezug genommen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Seine Schilderung des fluchtauslösenden Vorfalls im Sportstudio, dessentwegen er der Blutrache ausgesetzt sein wolle, sei nicht glaubhaft. Die attestierte posttraumatische Belastungsstörung stelle keine den § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (gemeint gewesen sein dürfte § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) auslösende Anomalie dar. Der Kläger habe trotz gerichtlicher Nachfrage keine Auswirkungen der Traumatisierung auf alltägliche Verrichtungen aufgezeigt. Angstzustände oder Schlafstörungen stellten keine Besonderheiten dar, die eine
16extreme Gefahr begründen könnten. Im Ergebnis könne der Kläger ohne Gefährdung nach Afghanistan zurückkehren.
17Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 22. März 2013 (nur) hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach
18§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (a.F.) zugelassenen Berufung, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend weist er darauf hin, das Verwaltungsgericht habe die Schilderungen zu seinem Verfolgungsschicksal zu Unrecht als unglaubhaft bewertet. Zu folgen sei insoweit der Beurteilung der Beklagten, die die Abläufe nicht in Frage gestellt habe. Wegen der in Afghanistan herrschenden Strukturen sei es ihm auch nicht möglich, dort „unterzutauchen“. Aufgrund drohender Rache bestehe für ihn eine Gefahr, die gleichermaßen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und die des § 60 Abs. 5 AufenthG erfülle. Seine Gefährdung ergebe sich zum einen aus dem Umstand, dass er nach wie vor wegen der von ihm verursachten Körperverletzung Vergeltungsabsichten ausgesetzt sei, und zum anderen daraus, dass er unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom leide. Eine Weiterbehandlung dieser Erkrankung sei schon aufgrund der Gefahr der Retraumatisierung in Afghanistan nicht möglich.
19Die Kläger beantragt,
20das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 6. Dezember 2010 zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Der Senat hat mit Beschluss vom 18. September 2014 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie Dr. med. K. T. dazu erhoben, ob der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, diese ggf. behandlungsbedürftig ist und ob im Falle einer Abschiebung mit einer wesentlichen Gesundheitsverschlechterung zu rechnen wäre. In der Sitzung am 27. Januar 2014 hat der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 7. Dezember 2014 und das Sitzungsprotokoll vom 27. Januar 2014 verwiesen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamts Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die nur hinsichtlich der Feststellung des Vorliegens nationaler Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG eingelegte Berufung hat keinen Erfolg.
27Sie ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der ablehnende Bescheid des Bundesamts ist in diesem Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung in seiner Person begründeter Abschiebungsverbote gemäß
28§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (1) und § 60 Abs. 5 AufenthG (2).
29Für die Entscheidung über die Berufung ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Sach- und Rechtslage maßgebend. Das ist hier die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9; im Folgenden: QRL II) vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) am 1. Dezember 2013 geltende Fassung des Aufenthalts- und des Asylverfahrensgesetzes. Eine Änderung des Streitgegenstandes ist durch diese Neufassung nicht eingetreten.
30Vgl. OVG NRW, Urteile vom 22. Januar 2014 - 9 A 2561/10.A - und vom 26. August 2014 - 13 A 2998/11 -, jeweils juris; Sächsisches OVG, Urteil vom 29. April 2014 A - 4 A 104/14 -, juris.
31(1) Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG steht dem Kläger nicht zu. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit wie im Asylrecht der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit" anzuwenden, und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Zudem ergibt sich aus dem Element der „Konkretheit" der Gefahr für „diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefährdungssituation. Schließlich muss es sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 - sowie Beschlüsse vom 18. Juli 2001 - 1 B 71.01 - und vom 4. Februar 2004 - 1 B 291.03 -, jeweils juris.
33Allerdings erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden bei Entscheidungen über eine vorübergehende Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individuali-sierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kann ein Ausländer Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren.
34Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung damit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 ‑ 10 C 24.10 -, juris.
36Bezogen auf krankheitsbedingte Verschlechterungen des Gesundheitszustands eines Ausländers bei Rückkehr in sein Heimatland muss daher ernsthaft zu befürchten stehen, dass sich sein Gesundheitszustand in seinem Heimatland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, etwa weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte. Erforderlich ist, dass die drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität ist und die zu erwartende Gesundheitsverschlechterung alsbald nach Rückkehr in den Zielstaat einzutreten droht.
37Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 - und vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, jeweils juris.
38Dementsprechend kann von einer abschiebungsschutzrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht schon dann gesprochen werden, wenn „lediglich" eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist. Eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise des Betroffenen in den Zielstaat drohen.
39Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Oktober 2006 - 13 A 2820/04.A - und vom 30. Dezember 2004 - 13 A 1250/04.A -, jeweils juris.
40Diese Befürchtung kann auch dann begründet sein, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Herkunftsland des Ausländers zwar allgemein zur Verfügung steht, sie dem betroffenen Ausländer im Einzelfall jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Die mögliche Unterstützung durch Angehörige ist dabei in die gerichtliche Prognose, ob eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, einzubeziehen.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 -, juris.
42Ausgehend hiervon ist nicht feststellbar, dass für den Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG besteht. Eine den Anforderungen dieser Vorschrift genügende individuelle, also gerade in den persönlichen Eigenschaften und Verhältnissen des Klägers angelegte Gefahr ist in Anknüpfung an das von ihm geschilderte Vorfluchtschicksal nicht gegeben (a). Ferner sind keine schwerwiegenden gesundheitlichen Nachteile im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan feststellbar (b). Ebenso wenig besteht eine hohe oder auch nur beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger in diesem Fall mit einer extremen Gefahrenlage, die ihrer Dimension nach geeignet wäre, die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AsylVfG zu durchbrechen, konfrontiert wäre (c).
43(a) Die Schilderungen des Klägers zu seinem Vorfluchtschicksal rechtfertigen die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht. Das gilt unabhängig davon, ob sie - wenngleich hieran erhebliche Bedenken bestehen - der Wahrheit entsprechen oder nicht. Denn seine Darlegungen erlauben bereits für sich genommen nicht die Prognose einer erheblichen konkreten Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Einschätzung des Klägers, dass sein Leben in Afghanistan aufgrund des geschilderten Vorfalls im Fitnessstudio in Gefahr sei, ist spekulativ. Sein Vorbringen vor dem Bundesamt und im Klageverfahren beinhaltet keine tragfähigen Anknüpfungstatsachen dafür, sondern erschöpft sich in Vermutungen. Danach haben weder tätliche Übergriffe auf den Kläger stattgefunden noch ist er in irgendeiner Form persönlich bedroht worden. Der Umstand, dass sein eigener Vater auf die Anzeige des Vaters des Verletzten hin eine Woche von der Polizei festgehalten und anschließend nach Aufklärung durch den Ältestenrat wieder freigelassen worden sein soll, begründet kein Indiz dafür, dass der Kläger in Afghanistan von der Familie des Verletzten verfolgt wird. Im Gegenteil wird daran allenfalls deutlich, dass dessen Familie jedenfalls keine Vergeltung außerhalb des staatlichen Strafverfolgungssystems sucht. Hinzu kommt, dass nach dem Vorfall einerseits zwischenzeitlich beinahe sechs Jahre verstrichen sind und andererseits mittlerweile bekannt geworden ist, dass der Trainingskollege des Klägers bei dem Unfall nicht verstorben ist, womit zugleich das vom Kläger angenommene Motiv für etwaige Verfolgungsmaßnahmen entfallen ist. Angesichts dessen, dass überdies diejenige Person, die der Kläger als mutmaßlichen Verfolger benannt und mit deren Einfluss er die vermutete Gefahr begründet hat, zwischenzeitlich verstorben ist, kann nicht von einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Gefahr ausgegangen werden. Der pauschale Hinweis des Klägers, die „Familie des Verletzten“ habe gegenüber seinen zwischenzeitlich wieder in Ghazni lebenden Eltern geäußert, sie werde seine Rückkehr abwarten, um Rache zu üben, ist nicht hinreichend substantiiert und führt deswegen zu keiner anderen Bewertung. Mangels feststellbarer Gefahrensituation kann dahinstehen, ob die Familie des Verletzten tatsächlich die vom Kläger ohne nähere Erläuterung behaupteten Einflussmöglichkeiten hat.
44(b) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats ebenfalls fest, dass dem Kläger keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen wesentlichen Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, namentlich der Verschlechterung einer bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung droht. Diese Überzeugung beruht auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. K. T. vom 7. Dezember 2014 und seinen ergänzenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2015. Hierin ist der Sachverständige in Beantwortung der vom Senat mit Beweisbeschluss vom 18. September 2014 gestellten Fragen zu folgenden Aussagen gelangt: Er habe seiner Begutachtung die Befunde von Frau Dr. med. N. aus Oktober 2010 und Januar 2012 zugrunde gelegt. Es sei davon auszugehen, dass die anfänglich bestehende posttraumatische Belastungsstörung durch die stattgefundene therapeutische Behandlung deutlich rückläufig sei, so dass nunmehr diagnostisch festgestellt werden könne, dass es sich um eine posttraumatische Belastungsstörung in weitgehender Teilremission handele. Dieser Befund sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine Vollremission grundsätzlich nicht erreichbar sei, da das Trauma - erkrankungsspezifisch - bestehen bleibe. Die einzig verbliebenen Symptome seien die Alpträume und die Kopfschmerzen. Kognitive Beeinträchtigungen seien während der beiden durchgeführten Untersuchungen nicht feststellbar gewesen. Für die therapeutische Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung seien in der Regel zwischen fünf und fünfzehn Sitzungen ausreichend. Im Anschluss daran komme es maßgebend auf die Vermittlung lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten an. Der Kläger habe - seiner Einschätzung zufolge - an mehr als fünfzehn therapeutischen Sitzungen teilgenommen. Die bisherige Behandlung sei intensiv, adäquat und vorbildlich gewesen und habe zu einem weitgehenden Rückgang der Symptomatik geführt. Die Symptome seien nur noch in verdünnter Form vorhanden und beeinträchtigten den Kläger nicht mehr so wie früher.
45Erste Maßnahme bei einer posttraumatischen Belastungsstörung sei das Herstellen einer sicheren Umgebung. In der zweiten Phase erfolge dann die Stabilisierung, in der der Proband lerne, im Alltag besser mit den bestehenden Symptomen umzugehen. Beides sei bei dem Kläger intensiv erfolgt und gelungen. In der dritten Phase werde versucht, das Trauma zu überwinden, hierzu müsse aber zunächst eine gewisse emotionale Stabilität vorliegen. Unter der Anleitung von Frau L1. und in dem geschützten Bereich des Internats habe sich der Kläger mit seinen inneren Traumata auseinandergesetzt. Er habe diese analysiert und auch ansatzweise verarbeitet. Eine zwingende Notwendigkeit zur Weiterführung dieser Therapie sei aus psychiatrisch-forensischer Sicht nicht zu erkennen. Eine medikamentöse Behandlung sei zu keiner Zeit durchgeführt worden und sei auch nicht indiziert gewesen. Eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung sei mit der Abschiebung nicht zwangsläufig verbunden. Es liege auf der Hand, dass sich die psychopathologischen Symptome Angst, Gereiztheit, Schreckhaftigkeit und auch vegetative Übererregbarkeit nach einer Rückkehr mit unsicherer Perspektive zwangsläufig wieder verstärken würden. Dies seien aber vorübergehende Änderungen, die in einer sicheren Umgebung mit familiärer und sozialer Unterstützung im Zeitverlauf rückläufig seien dürften. Demgegenüber könne es bei einer direkten Konfrontation mit dem traumaauslösenden Ereignis zu einer Retraumatisierung kommen.
46Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen enthält abschließend den Hinweis, dass bei einer Abschiebung möglicherweise eine suizidale Krise auftreten könne. Diese Anmerkung geht auf die Äußerung des Klägers zurück, er werde sich, wenn er wieder nach Afghanistan zurück müsse, vorher das Leben nehmen. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige diesen Aspekt näher erläutert: Suizid sei ein allgemeines Phänomen. Die Äußerung des Klägers sei nicht als traumaspezifische Reaktion zu werten, sondern nicht ungewöhnlich für jemanden, der aus einer sicheren Lebenslage gerissen werde und einer unsicheren Zukunft entgegengehe. Diese Suizidankündigung lasse aber derzeit nur den Rückschluss auf eine gedankliche Befassung mit der Selbsttötung im Sinne einer passiven Suizidalität zu.
47Nach diesen eindeutigen fachlichen Aussagen lässt die maßgebende gegenwärtige Gesundheitssituation des Klägers nicht den Rückschluss auf eine alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan drohende Gesundheitsgefahr von besonderer Intensität zu. Die Befunderhebung ist unter umfassender Berücksichtigung des Akteninhalts und nach ausführlicher und differenzierter Anamnese des Klägers erfolgt. Sie ist erkennbar von besonderer Fachkunde getragen und durchgehend nachvollziehbar und plausibel begründet. Das gilt insbesondere mit Bezug auf die beschriebene rückläufige Symptomatik. Diese ist angesichts dessen, dass der Kläger nach Einschätzung des Sachverständigen einerseits ideale Rahmenbedingungen vorgefunden hat, indem er ein gut betreutes Internat besucht hat, schulisch gefördert wurde und andererseits - seit nunmehr fast drei Jahren - sehr gut therapeutisch betreut wurde, nicht nur nachvollziehbar, sondern auch naheliegend, zumal die Therapie mit eben diesem Ziel begonnen wurde. Dabei ist ein weitergehender Therapieerfolg als die festgestellte weitgehende Teilremission nicht zu erwarten, denn eine Vollremission ist bei einer posttraumatischen Belastungsstörung den Erläuterungen des Sachverständigen zufolge nicht erreichbar. Darüber hinaus steht der Befund in Einklang mit den in dem Gutachten beschriebenen schulischen und beruflichen Entwicklungen des Klägers und seiner Freizeitgestaltung, hinsichtlich derer keinerlei Anhalt für krankheitsbedingte Einschränkungen besteht.
48Zudem hat der Sachverständige die Vermutung der - insoweit fachfremden - Pädagogin C. T1. in ihrer Stellungnahme von Februar 2012, der Kläger leide an einer Borderline-Störung, überzeugend widerlegt. Insofern hat er darauf hingewiesen, dass eine solche Erkrankung mit schwerwiegenden Störungen der Affektregulation einhergehe, die bei dem Kläger nicht vorlägen. Die körperliche Überbeanspruchung, der er sich beim Bodybuilding aussetze, finde sich bei sehr vielen Hochleistungssportlern und sei kein spezifisches Symptom einer psychischen Störung.
49Zudem ist keine beachtliche Gefahr für eine Retraumatisierung feststellbar.
50Hierzu hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass diese Gefahr im Fall einer direkten Konfrontation mit dem traumaauslösenden Ereignis bestehe. Es fehlen aber tatsächlichen Anknüpfungspunkte dafür, dass es dazu bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan kommen wird, zumal als primär trauma-auslösend der Unfall beim Krafttraining beschrieben wird, so dass eine Retraumatisierung daher in erster Linie durch die Fortführung dieses Sports und nicht durch Rückkehr des Klägers in sein Heimatland in Betracht zu ziehen wäre. Da das Vorbringen des Klägers - wie dargelegt - nichts für eine stattgefundene Verfolgung durch die Familie des Verletzten hergibt und seine Befürchtung einer solchen bei Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt zu sein, angesichts des Tatsachenvorbringens rein spekulativ ist, besteht auch für die Prognose einer Retraumatisierung aus Furcht vor Rache keine tatsächliche Grundlage. Das gilt insbesondere deswegen, weil der Hauptakteur potentieller Vergeltungsmaßnahmen zwischenzeitlich verstorben und das vom Kläger zunächst vermutete Motiv ‑ der Tod des Trainingskollegen - entfallen ist.
51Soweit der Sachverständige auf die Möglichkeit einer suizidalen Krise bei der Abschiebung hingewiesen hat, begründet dies keine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Begriff Suizidalität umschreibt einen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Phantasien, Impulse und Handlungen anhaltend, wiederholt oder in bestimmten krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. Es besteht eine graduelle Differenzierung zwischen Suizidgedanken ohne den Wunsch nach Selbsttötung ‑ die ebenfalls zur Suizidalität zählen - und drängenden Suizidgedanken mit konkreten Absichten, Plänen bis hin zu Vorbereitungen eines Suizids.
52http://de.wikipedia.org/wiki/Suizidalit%C3%A4t
53Daran wird deutlich, dass schon nicht jede Form der Suizidalität geeignet ist, eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu begründen. Jedenfalls die zeitlich begrenzte bloße innere Hinwendung zu Selbsttötungsgedanken rechtfertigt ohne das Hinzutreten äußerer damit im Zusammenhang stehender Anzeichen einer Gesundheitsverschlechterung wie Verletzungshandlungen, körperlichem Verfall oder vegetativen Auffälligkeiten die Annahme einer besonders intensiven Gesundheitsverschlechterung nicht. Der Senat hat auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen schon nicht die Überzeugungsgewissheit gewonnen, dass der Kläger im Falle einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine suizidale Krise erleiden wird, die eine abschiebungsschutzrelevante Qualität erreicht. Der Hinweis des Sachverständigen auf eine „möglicherweise“ bei der Abschiebung auftretende suizidale Krise geht auf die Äußerung des Klägers zurück, er werde sich, wenn er wieder nach Afghanistan zurück müsse, vorher das Leben nehmen. Charakteristisch für derartige Ankündigungen ist, dass damit die Möglichkeit ihrer Umsetzung erst ins Blickfeld des Adressaten rückt und dies in der Regel auch bewusst veranlasst wird. Mangels zuverlässiger Überprüfbarkeit der dahinterstehenden Motivation und Ernsthaftigkeit muss schon die Äußerung als solche regelmäßig zu der Bewertung führen, dass suizidale Handlungen nicht ausgeschlossen werden können, was gleichbedeutend damit ist, dass die Möglichkeit einer Selbsttötung besteht. In gleichem Maße besteht diese Möglichkeit aber bei demjenigen, der entsprechende Gedanken hat, diese aber nicht äußert. Die Äußerung hat deswegen isoliert betrachtet wenig Aussagekraft. Die daraus allenfalls ableitbare Möglichkeit suizidaler Handlungen kann sich nur bei Hinzutreten weiterer Indizien zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit verdichten. Wie an der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten gewählten Formulierung deutlich wird, fehlt es daran hier. Der Kläger hat seine Absicht, sich bei einer erzwungenen Rückkehr nach Afghanistan das Leben zu nehmen, im Rahmen der Anamnese eher beiläufig erwähnt. Seine Äußerungen dazu sind nicht hinreichend substantiell, um anhaltende und konkretisierte Selbsttötungsgedanken und -absichten als naheliegend erscheinen zu lassen. Das gilt zumal deswegen, weil in den vorgelegten Berichten seiner behandelnden Ärztin und Psychotherapeutin keine entsprechenden Gedankeninhalte dokumentiert sind. Hinzu kommt, dass das bisherige Leben des Klägers - folgt man seinem Vorbringen - durch eine Reihe krisenhafter Situationen gekennzeichnet war, die jedoch keine suizidalen Krisen bei ihm hervorgerufen haben. Es besteht kein Vortrag und Anhalt für in der Vergangenheit aufgetretene Suizidabsichten geschweige denn für auf eine Selbsttötung gerichtete selbstverletzende Handlungen. Die mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen bestätigen diese Einschätzung. Angesichts dessen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Gefahr einer Selbsttötung feststellbar.
54Abgesehen davon liegt ein Abschiebungshindernis nach dieser Vorschrift aber auch deswegen nicht vor, weil die Äußerung des Klägers, sich das Leben nehmen zu wollen, im Zusammenhang mit der Abschiebung steht. Hierauf zielt auch der Hinweis des Sachverständigen ab, dass es „bei einer Abschiebung" möglicherweise zu einer suizidalen Krise kommen könne. In diese Richtung geht auch die Äußerung des Klägers, der erklärt hat, dass er sich vor einer Rückführung nach Afghanistan das Leben nehmen werde. Die als möglich erachtete suizidale Krise steht daher in Zusammenhang mit der Abschiebung als solcher, nicht hingegen mit den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung. Bei dieser Sachlage sind aber nicht die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben, sondern allenfalls diejenigen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG, das allein gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist.
55(c) Eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lässt sich auch nicht mit der Sicherheits- und Versorgungslage begründen, der der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan ausgesetzt ist. Das gilt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift angesichts der derzeitigen Situation in der Herkunftsregion des Klägers, der Provinz Ghazni, erfüllt sind, weil Kabul als inländische Fluchtalternative den Anspruch auf die Feststellungen eines Abschiebungshindernisses ausschließt. In seinem Urteil vom 26. August 2014 - 13 A 2298/11 - hat der Senat die Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul zusammenfassend dargestellt. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen. Dass sich seitdem grundlegende Veränderungen ergeben haben, ist ‑ abgesehen davon, dass der Kläger hierzu nichts vorgetragen hat - auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse nicht anzunehmen.
56Vgl. Die Bundesregierung, Fortschrittsbericht Afghanistan 2014 (Stand: November 2014), S. 20; ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, letzte Aktualisierung 13. Januar 2015
57https://www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101.general-security-situation-in-afghanistan-and-events-in-kabul.htm.
58Angesichts dessen muss sich der Kläger wegen seines sich als günstig erweisenden Risikoprofils auf Kabul als inländische Fluchtalternative verweisen lassen. Zwar ist die humanitäre Lage dort im Allgemeinen weiterhin äußerst schwierig. Das Verelendungsrisiko einzelner Bevölkerungsgruppen weicht indes stark voneinander ab. Jedenfalls für den Kläger als jungen, gesunden, arbeitsfähigen und alleinstehenden Mann besteht es allenfalls in einem geringfügigen Maße, denn es ist davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt nach einer Wiedereingliederungsphase zumindest auf einem nach westlichen Maßstäben niedrigen Niveau wird sicherstellen können. Der Kläger trägt keine Unterhaltslasten, muss nur für sich selbst sorgen und ist im Ausgangspunkt schon deswegen einem geringeren Armutsrisiko ausgesetzt. Die Beziehung zwischen Haushaltsgröße und Armutsrisiko ist für Afghanistan statistisch belegt. Danach steigt das Armutsrisiko bei einer Haushaltsgröße von drei Personen (11 %) bis zu einer Haushaltsgröße von neun Personen (über 40 %) kontinuierlich und liegt bei einer Haushaltsgröße von 15 Personen sogar bei über 45 %. Für eine alleinstehende Person bewegt es sich demgegenüber nur im Bereich zwischen 10 und 15 %.
59Vgl. Summary of the national risk and vulnerability assessment, 2007/8, A profile of Afghanistan, Main Report, S. 59.
60Hinzu kommt, dass der Kläger über Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt, die in Afghanistan nicht selbstverständlich sind und es ihm dort erleichtern dürften, eine Erwerbsgrundlage zu finden. Er hat in Afghanistan sechs Schuljahre beendet und kann von daher - anders als 70 % aller Afghanen - lesen und schreiben. Außerdem hat er dort handwerkliche Berufserfahrung gesammelt. Der Kläger spricht persisch, ein wenig paschtu und deutsch. Insbesondere der in Deutschland erfolgte Abschluss seiner Schulausbildung mit dem Fachabitur und die im Bereich des Einzelhandels erworbenen Berufserfahrungen dürften seine Erwerbsperspektiven in Afghanistan erheblich begünstigen. Zudem ist zu erwarten, dass anfängliche Wiedereingliederungsschwierigkeiten darüber abgefedert werden, dass eine Tante des Klägers in Kabul lebt und seine Eltern in der nahegelegenen Provinz Ghazni und er von daher über eine gewisse familiäre Anbindung verfügt.
61Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
63Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A
Urteilsbesprechungen zu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A zitiert oder wird zitiert von 73 Urteil(en).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 10. September 2000 in Al Chithan, Provinz Ninive (Ninewa), geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und gehört der Glaubensgemeinschaft der Yeziden an. Nach eigenen Angaben reiste er im September 2009 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Vertreten durch seinen Vormund, einen Onkel väterlicherseits, stellte er am 1. Oktober 2009 einen Asylantrag.
3Am 18. März 2010 hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Vormund des Klägers zu den Gründen des Asylbegehrens an. Er gab an, dass der Kläger mit seiner Familie im Irak zuletzt im Dorf Borik bei Shingal (Sindjar; auch: Sindschar) in der Provinz Ninive (auch: Niniveh, Ninawa) gelebt habe. Seine Eltern hätten aufgrund der Gefahren durch Anschläge und Überfälle auf Yeziden um seine Sicherheit gebangt. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf Blatt 35 bis 38 des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes (Beiakte Heft 1) verwiesen.
4Durch Bescheid vom 12. Mai 2010 lehnte das Bundesamt (1.) den Asylantrag des Klägers als unbegründet ab und stellte fest, dass (2.) die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und (3.) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Ferner forderte es (4.) den Kläger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. - für den Fall der Klageerhebung - nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens auf und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an.
5Der Kläger hat am 19. Mai 2010 Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, Yeziden seien in seinem Herkunftsgebiet, dem Sindjar, der Gefahr einer Gruppenverfolgung ausgesetzt.
6Der Kläger hat beantragt,
7den Bescheid des Bundesamtes vom 12. Mai 2010 bezüglich der Ziffern 2 bis 4 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,
8hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind,
9hilfsweise für den Fall, dass er nicht als Flüchtling anerkannt wird, zum Beweis der Tatsache, dass Yeziden der Gefahr von Übergriffen seitens der muslimischen Bevölkerung ausgesetzt sind, ein Sachverständigengutachten einzuholen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2010 abgewiesen: Dem Kläger drohe bei einer Rückkehr in den Irak aufgrund seiner Zugehörigkeit zur yezidischen Glaubensgemeinschaft keine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG durch nichtstaatliche Akteure. Die Annahme einer derartigen Gruppenverfolgung setze eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, die hier nicht vorliege. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG.
13Durch Beschluss vom 18. Mai 2011 hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Irak geltend macht. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag abgelehnt worden.
14Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor: Unter Berücksichtigung der hohen Dunkelziffer von gewaltsamen Übergriffen auf Yeziden durch Muslime und der alltäglichen Diskriminierungen liege eine Verfolgungsdichte vor, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertige. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich Yeziden durch Abschottung schützten, indem sie insbesondere ihre besonders gesicherten Dörfer kaum noch verließen; dadurch sei aber eine ausreichende Lebensgrundlage nicht mehr gewährleistet. Auch das religiöse Existenzminimum sei für Yeziden im Irak nicht gewährleistet. Er - der Kläger - könne sich im Irak unmöglich öffentlich zu seinem Glauben als Yezide bekennen, ohne mit Übergriffen auf sein Leben rechnen zu müssen. Selbst in Sheikhan, der für Yeziden vergleichsweise sichersten Region, würden diese seit Jahren ihr größtes religiöses Fest nicht feiern. Da es zwischen den einzelnen Siedlungsgebieten der Yeziden in jeglicher Hinsicht so gut wie gar keinen Verkehr bzw. Kommunikation gebe, müsse die Situation der Yeziden aus den unterschiedlichen Siedlungsgebieten unabhängig voneinander geprüft werden. Das Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (EZKS) vom 17. Februar 2010 stufe die Situation in Sindjar als immer noch extrem gefährlich ein. Für die Berichterstatter sei die Situation in Sindjar so gefährlich gewesen, dass sie sich selbst nicht in diese Siedlungsgebiete gewagt hätten und somit auch keine Erkenntnisse über die Lage der Yeziden hätten einholen können. Viele Berichte gingen davon aus, dass ca. 70 % aller Yeziden im Irak in dem Gebiet Sindjar angesiedelt seien. Verlässliche Quellen stünden hierzu aber nicht zur Verfügung. Die meisten der genannten Todesopfer stammten aus dem Sindjar. Der Grund hierfür liege wahrscheinlich darin, dass im Sindjar auch sehr viele Moslems angesiedelt seien und in jeglicher Hinsicht versuchten, die Yeziden aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet zu vertreiben. Den Yeziden sei es in diesem Gebiet ebenso wie in den anderen Distrikten nicht möglich, sich in Dörfer, die ausschließlich von Yeziden bewohnt seien, zurückzuziehen. Danach sähen sich die Yeziden aus den Distrikten einer ungewollten Konfrontation mit den Moslems ausgesetzt, die vor allem in diesem Gebiet öffentlich zur Vertreibung der Yeziden aufriefen.
15Der Kläger beantragt,
16das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 12. Mai 2010 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie erwidert: Für die Annahme einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu Lasten der yezidischen Bevölkerung in der Provinz Ninive im Distrikt Sindjar fehle es an der notwendigen Verfolgungsdichte. Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten hohen Anforderungen seien nicht ansatzweise erfüllt. Die unbelegten und eher spekulativen Ausführungen des Klägers rechtfertigten keine andere Bewertung. Nach den Auszügen einer von ihr - der Beklagten - erstellten Ausarbeitung zur Entwicklung der Statistik der Gewalttaten im Irak, u.a. auch zur Provinz Ninive mit Stand vom 16. Juni 2011 sei auszuführen, dass in den Jahren 2009 bis Ende 2010 ein erheblicher Rückgang der (Todes-)Opferzahlen zu verzeichnen gewesen sei. Auch bei der Hochrechnung der gegenwärtig bis einschließlich April 2011 vorliegenden Werte bis Ende 2011 könne ein weiterer leichter Rückgang prognostiziert werden. Sie ‑ die Beklagte - verfüge über keine Erkenntnisse, wie hoch der Anteil der yezidischen Bevölkerung an den Opfern der Anschläge gewesen sei. Gleiches gelte für die Frage, wie sich die einzelnen Vorfälle auf die jeweiligen Distrikte verteilten. Es sei jedoch festzuhalten, dass selbst bei rein theoretischer Annahme, dass sämtliche Opfer yezidischen Glaubens gewesen seien und aus dem Distrikt Sindjar stammten, die Voraussetzung für die Annahme einer durch die entsprechende Verfolgungsdichte begründeten Gruppenverfolgung nicht gegeben sei. Dies gelte auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die Dunkelziffer der bei den Vorfällen Verletzten nicht in der Statistik berücksichtigt sei.
20Der Senat hat Beweis erhoben über die Situation der Yeziden im Sindjar. Auf die Auskunft des EZKS vom 16. September 2013 wird Bezug genommen. Zudem ist die Gutachterin des EZKS, Frau T. , in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2014 ergänzend befragt worden; insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe
23Die nur hinsichtlich des auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes) zugelassene und insoweit auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
24Maßgeblich ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Sach- und Rechtslage. Das ist hier die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, S. 3474) am 1. Dezember 2013 maßgebliche Fassung des Aufenthalts- und des Asylverfahrensgesetzes.
25Die während des Berufungsverfahrens in Kraft getretenen Rechtsänderungen, die im Zusammenhang mit der am 21. Dezember 2013 abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie 2011/95/EU,
26vgl. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), ABl. L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9,
27stehen, haben nicht zur Folge, dass sich der infolge der nur auf die Flüchtlingsanerkennung beschränkten Zulassung der Berufung hier maßgebliche Streitgegenstand geändert oder erweitert hätte.
28Das Prüfprogramm ist sowohl hinsichtlich des im vorliegenden Berufungsverfahren allein streitbefangenen Flüchtlingsstatus, dessen Voraussetzungen nunmehr in den §§ 3 bis 3e AsylVfG geregelt sind, als auch - ungeachtet der geänderten Terminologie - hinsichtlich des jetzt in § 4 AsylVfG geregelten subsidiären Schutzes in der Sache im Wesentlichen unverändert geblieben.
29Vgl. im Einzelnen Münch, Zur Änderung der Qualifikationsrichtlinie, Beilage zum ASYLMAGAZIN 7-8/2013, 7 ff.
30Das gilt hinsichtlich der am 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Gesetzesänderung auch insoweit, als das bisherige Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG durch den nunmehr in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG geregelten Anspruch auf subsidiären Schutz wegen ernsthafter individueller Gefahren für die Zivilbevölkerung im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ersetzt worden ist. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entsprachen - in der vom Bundesverwaltungsgericht in Anlehnung an die maßgeblichen unionsrechtlichen Grundlagen (vgl. Art. 15 Buchst. c) der Richtlinie 2004/83/EG und gleichlautend in der neugefassten Richtlinie 2011/95/EU) geklärten Auslegung -,
31vgl. dazu: BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, juris Rn. 17 und 36, BVerwGE 131, 198, wonach insbesondere das Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" sinngemäß auch bisher schon in der nationalen Umsetzungsvorschrift enthalten war,
32ohne materielle Änderungen der jetzigen Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG. Davon ausgehend stellt sich die Frage, ob ein neuer Streitgegenstand infolge einer Gesetzesänderung während des gerichtlichen Verfahrens angewachsen sein könnte,
33zur grundsätzlichen Möglichkeit eines solchen Anwachsens eines neuen Streitgegenstands vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360,
34hier nicht. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass Flüchtlingsstatus und subsidiärer Schutz Teilelemente des internationalen Schutzes sind und im Verwaltungsverfahren nicht unabhängig voneinander beantragt werden können (§ 13 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Einer Einstufung als prozessual unabhängige Streitgegenstände steht das nicht entgegen.
35Dies vorausgeschickt hat das Verwaltungsgericht den hier noch streitbefangenen Teil der Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Nr. 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 12. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
36I. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GK) -, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - zur Definition diese Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylVfG - außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
37Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG gelten zunächst Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG). § 3a Abs. 2 AsylVfG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden.
38Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylVfG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylVfG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
39Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936, juris Rn. 19.
41Wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde, kommt ihm - auch wenn dies anders als nach bisheriger Gesetzeslage (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG a.F. i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG) nicht mehr ausdrücklich geregelt ist - die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach dieser Vorschrift zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht.
42Zur gleichlautenden Regelung in Art. 4 Abs. 4, Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2012 - 10 B 17.12 -, Buchholz 451.902 EurAuslR Nr. 62, juris Rn. 5, im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - Slg. 2010, I-1493 Rn. 93.
43Die Gefahr einer den Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus begründenden Verfolgung kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (Einzelfallverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsschutzrelevanten Merkmals verfolgt werden, das der Betreffende mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung). Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt grundsätzlich eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit feststellen. Es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe vorgenommen werden, wobei gegebenenfalls auch eine Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe einzubeziehen ist.
44Vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200, 204, und vom 21. April 2009 - 10 C 11.08 -, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 39.
45An diesen Anforderungen ist unter Geltung der unionsrechtlichen Vorgaben festzuhalten.
46Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2010 - 10 B 18.09 -, juris Rn. 2 f.
47Sie gelten auch für den Fall, dass die Verfolgung nicht von dem Staat, sondern von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht. Nach § 3c AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, oder (3.) von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
48II. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.
491. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass staatliche irakische Behörden den Kläger vor seiner Ausreise verfolgt haben könnten oder nunmehr im Falle seiner Rückkehr verfolgen werden.
502. Auch für eine an individuelle, in der Person des Klägers liegende Umstände anknüpfende Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ist nichts ersichtlich.
51Individuell ihn betreffende Verfolgungshandlungen, die sich in der Zeit vor seiner Ausreise zugetragen haben und Anlass für die Flucht waren, hat der Kläger nicht geschildert. Derartige Umstände sind derzeit auch für den Fall einer Rückkehr in den Irak nicht ersichtlich.
523. Der Kläger ist ferner nicht in Anknüpfung an seine yezidische Religionszugehörigkeit von einer Gruppenverfolgung bedroht.
53a) Die irakische Verfassung bestimmt zwar in ihrem Art. 2 den Islam zur Staatsreligion, garantiert aber zugleich die Religionsfreiheit insbesondere für Yeziden. Eine Diskriminierung oder Verfolgung religiöser Minderheiten durch staatliche Stellen findet generell nicht statt. Von einem staatlichen Verfolgungsprogramm kann keine Rede sein.
54Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2013, S. 11 f.
55Allerdings ist der Staat nicht in der Lage, den Schutz von Minderheiten vor Übergriffen und Anschlägen nichtstaatlicher Akteure zu gewährleisten.
56Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2013, S. 12.
57Daher ist die allgemeine Sicherheitslage im Irak - mit Ausnahme der Region Kurdistan-Irak und mit Einschränkungen des Südirak - ausweislich der dem Gericht vorliegenden Berichte immer noch schlecht. Sie hatte sich seit 2007 von Jahr zu Jahr verbessert; das Auswärtige Amt geht auf der Grundlage des von der Organisation "Iraq Body Count" erfassten Datenmaterials von einer Abnahme der sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen 2007 und 2012 um ca. 80 % aus. Im Zuge der sunnitisch-schiitischen Konflikte hat sich die Sicherheitslage aber seit 2013 wieder deutlich verschlechtert. Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten, die sich seit dem Truppenabzug der USA Ende 2011 nicht mehr gegen Mitglieder der Koalition richten und von Aufständischen ausgehen, sondern überwiegend der sunnitischen Al-Qaida und der Organisation "Islamischer Staat Irak" zugerechnet werden, sind Bagdad, der Zentralirak sowie die Städte Kirkuk und Mosul, die Provinzhauptstadt von Ninive, der Herkunftsprovinz des Klägers. In den sog. umstrittenen Gebieten der Provinzen Diyala, Ta'mim, Salahaddin und Ninive, die infolge der Arabisierungspolitik des Baath-Regimes de jure nicht (mehr) zur Region Kurdistan-Irak gehören, von der Kurdischen Regionalregierung (KRG) aber als zu ihr gehörig beansprucht und von den kurdischen Sicherheitsorganisationen geschützt werden, ist die Lage von starken Spannungen der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, insbesondere Araber, Turkmenen und Kurden, zu denen regelmäßig auch die Yeziden gezählt werden, geprägt.
58Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2013, S. 5 f.
59Insbesondere Angehörige der yezidischen Minderheit gehören zu den Personengruppen, deren religionsbezogene Schutzgesuche nach den Empfehlungen des UNHCR,
60UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak von Mai 2012,
61in Bezug auf den Anspruch auf internationalen Flüchtlingsschutz einzelfallbezogen sehr genau zu prüfen sind.
62Terroristische Anschläge der im Zusammenhang mit der allgemeinen Sicherheitslage erfassten Art können aber nicht ohne weiteres als gezielte Verfolgungsmaßnahmen auf Grund der Religionszugehörigkeit der betroffenen Opfer angesehen werden. Allgemeine Gefahren dieser Art sind vielmehr lediglich bei der Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG (vormals: § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) bzw. im Rahmen des im nationalen Recht geregelten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG (bislang § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) zu berücksichtigen. Beides ist hier aber nicht Streitgegenstand.
63b) Die über die Gefährdungs- und Verfolgungssituation speziell der yezidischen Religionszugehörigen vorliegenden und in diesem Verfahren ergänzend ermittelten Erkenntnisse rechtfertigen nicht die Annahme, dass der Kläger vor seiner Ausreise oder nunmehr im Falle einer Rückkehr in den Irak allein wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure bedroht war bzw. ist. Die nach den oben genannten Maßstäben für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte ist weder landesweit noch in Bezug auf die yezidischen Stammsiedlungsgebiete, darunter die Herkunftsregion des Klägers, Sindjar, gegeben. Das hat der Senat hinsichtlich des ebenfalls in der Provinz Ninive gelegenen Distrikts Scheichan,
64Beschlüsse vom 22. November 2010 - 9 A 3287/07.A -, juris Rn. 37, und vom 28. März 2011- 9 A 2563/10.A -, juris Rn. 7,
65und der zur Provinz Ninive gehörenden Subdistrikte Alqosh und Al Fayda des Disktrikts Til Kef,
66Beschluss vom 30. März 2011 - 9 A 567/11.A -, juris Rn. 8,
67bereits entschieden. Trotz der im Vergleich zu den genannten yezidischen Siedlungsgebieten schwierigeren Situation gilt für die Region Sindjar im Ergebnis ebenfalls, dass eine die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigende Verfolgungsdichte nicht vorliegt.
68So auch. OVG Saarl., Urteil vom 16. September 2011 - 3 A 446/09 -, juris Rn. 165; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 -, juris Rn. 41, m.w.N.; Bay.VGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 13a ZB 10.30444 -, juris, und vom 12. September 2011 - 13a ZB 11.30280 -, juris.
69Die Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylVfG ist im Verhältnis zur Gesamtgröße der betroffenen Bevölkerungsgruppe nicht so hoch, dass daraus eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für jeden Gruppenzugehörigen folgt.
70aa) Yeziden siedeln im Irak vor allem im nördlichen Irak in der zwischen der KRG und der irakischen Zentralregierung umstrittenen Provinz Ninive um die Städte Sindjar und Scheichan sowie in der Provinz Dohuk (auch: Dahuk, kurdisch: Duhok). Die Zahl der Yeziden im Irak soll nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes von der Gruppe selbst mit 450.000 bis 500.000 angegeben werden,
71Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2013, vgl. auch die im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz der Klägervertreter vom 8. November 2013 eingereichte, im Internet abrufbare Stellungnahme des Herrn Ali Sido Rasho "Yezidis Face Danger in Iraq" (http:://rashoali.blogspot.de /2012/03/yezidis-face-danger-in-iraq.html),
72und wird - allerdings, ohne dass die dem zugrunde liegenden Erkenntnisse näher mitgeteilt werden - teils mit etwa 200.000 geschätzt.
73Vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. November 2010 unter II. 2.4. (5).
74Das Europäische Zentrum für kurdische Studien (EZKS) ging im Jahr 2011 von etwa 300.000 bis 400.000 Personen aus.
75Vgl. Auskunft des EZKS vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf.
76Diese Zahl erscheint aus derzeitiger Sicht plausibel, weil sie – zumindest teilweise – auf konkreten Bevölkerungsdaten beruht und sich im Zuge der Beantwortung der im vorliegenden Verfahren eingeholten weiteren Auskunft bestätigt hat. Danach geht das EZKS in seiner Auskunft vom 16. September 2013 an den Senat davon aus, dass sich die damals geschätzte Zahl unter Berücksichtigung einer Bevölkerungswachstumsrate von 2,5 % erhöht hat, und ermittelt nunmehr bei einer Auswertung der nach den Angaben der kurdischen Verwaltung ausgegebenen Lebensmittelkarten eine Zahl von etwas über 290.000 Yeziden allein im Sindjar. Diese Zahl lässt sich - wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich betont hat - mit der Anzahl der 13 Zentraldörfer, in denen die yezidische Bevölkerung des Sindjar fast ausschließlich lebt, und deren durchschnittlicher Einwohnerzahl von ca. 20.000 ohne weiteres in Einklang bringen. Auch das Auswärtige Amt geht in seiner Kurzstellungnahme vom 24. April 2013 an den Senat nunmehr von ca. 300.000 Yeziden im Sindjar aus.
77bb) Dieser Bevölkerungszahl sind die in Anknüpfung an ihre religiöse bzw. ethnische Zugehörigkeit zu dieser Bevölkerungsgruppe gegen Yeziden gerichteten Verfolgungsmaßnahmen gegenüberzustellen. Zu den relevanten Verfolgungsmaßnahmen können neben anschlagsbedingten Tötungen und Verletzungen sowie Entführungen, sofern sich eine Anknüpfung an die Religion feststellen lässt, auch sonstige, in ihrer Kumulation gleichgewichtige Maßnahmen i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG zählen. In Betracht kommen dabei grundsätzlich insbesondere auch Eingriffe in die Religionsfreiheit. Dies vorausgeschickt stellt sich die Lage der Yeziden im Sindjar wie folgt dar:
78(1) Yeziden sind wie alle Bewohner des Irak von der allgemein problematischen Sicherheitslage mit Entführungen, Plünderungen, Zerstörungen, Sprengstoff- und Bombenangriffen betroffen. Darüber hinaus sind sie - wie auch andere religiöse Minderheiten - seit dem Sturz des Saddam-Regimes gezielten Übergriffen von radikalen Islamisten ausgesetzt. Dabei wirkt sich zu Ungunsten der Sicherheitslage wie auch der ökonomischen Lage aus, dass der Distrikt - anders als etwa Scheichan und Alqosh - nicht direkt an die de jure kurdisch verwalteten - durchweg sichereren und ökonomisch besser aufgestellten - Gebiete angrenzt. Die 13 sog. Zentraldörfer wie auch das Heimatdorf des Klägers, Borik (arabisch: al-Irmuk), liegen vielmehr inmitten und in unmittelbarer Nähe arabischer Dörfer, in denen unter Saddam Hussein loyale arabische Stämme angesiedelt wurden. Zudem hat Al-Qaida in dem Bereich einen erheblichen Einfluss.
79Vgl. EZKS, Auskünfte vom 17. Februar 2010 an das VG München, S. 13, und vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf, S. 6.
80Im Jahr 2005 wurde über mehrere Dutzend Mordfälle an Yeziden vor allem in den Städten Tal Afar und Sindjar berichtet. Täter sollen Muslime gewesen sein, die Yeziden für ihr nicht den Regeln des Korans entsprechendes Verhalten hätten „bestrafen“ wollen. Am 15. Februar 2007 kam es in der Stadt Scheichan (Ain Sifni) zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen muslimischen Kurden und Yeziden, bei denen religiöse Zentren der Yeziden, Privathäuser und Geschäfte niedergebrannt wurden. In Mosul wurde am 24. April 2007 ein mit yezidischen Arbeitern besetzter Bus von islamistischen Terroristen überfallen und alle 24 Insassen wurden ermordet.
81Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. August 2009, S. 22.
82Zu dem bislang schlimmsten Angriff gegenüber Zivilisten kam es am 14. August 2007, als vier mit Sprengstoff beladene Lkw in den am Rande des Sindjar gelegenen Zentraldörfern Gir Azair (arabisch: al-Khataniya) und Siba Sheik Khidri (arabisch: al-Jazirah) im Subdistrikt al-Khataniya, der bis 1977 zum Sindjar gehörte, explodierten; über 320 yezidische Dorfbewohner starben, zwischen 530 und 700 weitere wurden verletzt, 400 Häuser wurden zerstört.
83Vgl. EZKS, Auskünfte vom 26. Mai 2008 an das Verwaltungsgericht Köln und vom 17. Februar 2010 an das VG München; mit leicht abweichenden Angaben (15. August statt 14. August 2007): Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Januar 2013, Seite 19.
84Bei einem Anschlag auf ein Café/Teehaus in Sindjar kamen am 13. August 2009 mindestens 21 Personen - vor allem yezidische Jugendliche und junge Männer - ums Leben; 32 weitere wurden verletzt.
85Vgl. Auskunft des EZKS vom 17. Februar 2010 an das VG München und Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. November 2010, S. 27 (wonach sich der Vorfall am 18. August 2009 ereignet haben soll).
86Eine Fluchtwelle - sei es innerhalb des Irak in die de jure kurdischen Gebiete, sei es ins Ausland - haben diese und weitere Anschläge auf Yeziden nicht ausgelöst. Neben dem naheliegenden wirtschaftlichen Grund, dass sich viele Yeziden eine Flucht kaum leisten können, ist dies auch darauf zurückzuführen, dass die Regierung der kurdisch verwalteten Gebiete nach den Anschlägen vom 14. August 2007 zusätzliche Polizeikräfte eingesetzt hat, um die yezidische Bevölkerung zu schützen und logistische Hilfe zu leisten. Als Reaktion auf den Angriff vom 13. August 2009 veranlassten kurdische Peschmerga bzw. die jeweiligen Dorfbewohner die Sicherung einiger Zentraldörfer durch Sandbarrieren.
87EZKS, Auskunft vom 17. Februar 2010 an das VG München.
88Inzwischen sind alle yezidischen Zentraldörfer im Sindjar mit Mauern umgeben. Es gibt jeweils einen Eingang, der besonders kontrolliert wird. Seit 2009, als bei dem Anschlag auf ein Café in der Stadt Sindjar 21 Personen getötet und zahlreiche weitere verletzt wurden, ist es im Sindjar zu keinem großen Anschlag mehr gekommen. Die Straßen zwischen den Zentraldörfern und zu den größeren Städten werden auf Initiative der KRG von Peschmerga (kurdisch kontrollierte Armeeeinheiten), Asaisch (kurdischer Geheimdienst), Polizei und irakischer Armee durch ein engmaschiges Kontroll- und Sicherheitssystem, das beispielsweise auf der ca. 200 km langen Straßenverbindung zwischen den Städten Sindjar und Dohuk 127 Checkpoints umfasst, gesichert.
89Vgl. EZKS, Auskunft vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf.
90Auch wenn sich die Sicherheitslage insgesamt langsam, aber stetig verbessert, ist es auch in den vergangenen Jahren zu Gewalt gegen Yeziden gekommen. So berichtete das EZKS,
91Auskunft vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf,
92in Bezug auf den Zeitraum von Sommer 2009 bis August 2011 - ausdrücklich ohne Anspruch auf Vollständigkeit - von 11 getöteten Yeziden und diversen Entführungen, die sich vor allem an der Straße nach Mosul ereignet haben. Nach der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft des EZKS, die auf Befragungen örtlicher, kraft Amtes bzw. beruflicher oder gesellschaftlicher Stellung gut informierter Ansprechpartner (Behörden und Funktionäre der kurdischen Verwaltung sowie ein im Sindjar lebender Journalist) beruht, ist es auch in den vergangenen Jahren noch zu einigen Tötungen von im Sindjar ansässigen Yeziden gekommen. Von 2011 bis zum Abschluss des Berichts im Jahr 2013 kamen 28 Personen durch Erschießen oder Autobomben zu Tode, ganz überwiegend, nämlich 22, in Mosul, das von den Gutachtern als "No-Go-Area" für Yeziden eingeschätzt wird. Unter den Getöteten waren 22 yezidische Soldaten und 6 Zivilpersonen. Nur 3 (Zivil-)Personen kamen im Sindjar selbst bzw. in Orten zu Tode, die traditionell zum Sindjar gerechnet werden, auch wenn sie verwaltungsmäßig derzeit nicht dazu gehören.
93EZKS, Auskunft an das OVG NRW vom 16. September 2013.
94Die Befragung der Gutachterin des EZKS in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat ergeben, dass wenig für eine gravierende, das vorstehend beschriebene Gesamtbild der Gefährdungslage durchgreifend in Frage stellende Dunkelziffer spricht, wenngleich weder das vom EZKS auf der Grundlage von Angaben der kurdischen Verwaltung erstellte Zahlenmaterial noch die vom Kläger vorgelegte Auflistung des Herrn Ali Sido Rasho Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Bereinigt um unterschiedliche Erfassungskriterien - yezidische Religionszugehörigkeit bei Herrn Rasho bzw. Herkunft aus dem Sindjar in der Auskunft des EZKS - liegen die aufgelisteten Vorfälle hinsichtlich der absoluten Zahlen und erst recht in der Tendenz nicht auseinander, obwohl die Quellen - persönliche Kontakte zu yezidischen Großfamilien einerseits und Verwaltungsauskünfte andererseits - sehr unterschiedlich sind. Es bleibt die übereinstimmende Erkenntnis, dass aus dem Sindjar stammende Yeziden am häufigsten bei Fahrten nach Mosul Gefahren für Leib, Leben und Freiheit ausgesetzt sind.
95Anhaltspunkte für relevante Einschränkungen der Religionsfreiheit liegen hingegen nicht vor. Innerhalb der - wie beschrieben - geschützten Zentraldörfer, in denen die yezidische Bevölkerung unter sich lebt, ist die Religionsausübung im privaten und öffentlichen Bereich,
96zum nach Unionsrecht maßgeblichen Schutzbereich der Religionsfreiheit vgl. EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 -, NVwZ 2012, 1612; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936,
97ungestört möglich. Yezidische religiöse Stätten werden geschützt; während religiöser Zeremonien sind Sicherheitskräfte anwesend.
98Vgl. EZKS, Auskünfte vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf und vom 16. September 2013 an das OVG NRW.
99Die für viele Yeziden aus religiösen Gründen wichtige Pilgerfahrt nach Lalisch (auch: Lalesh) ist grundsätzlich möglich. Der Ort befindet sich im de facto kurdisch verwalteten Bereich des Nord-Irak und die dorthin führenden Straßen sind ‑ wie beschrieben - effektiv gesichert. Dass Yeziden sich dort in der letzten Zeit vorsichtshalber bei öffentlichkeitswirksamen Zeremonien zurückhalten, lässt keinen hinreichend gewichtigen Eingriff in die Religionsfreiheit erkennen. Der Pilgerort ist jedenfalls bislang nicht Ziel von Angriffen geworden; es fehlt angesichts der im kurdischen Verwaltungsbereich insgesamt deutlich besseren Sicherheitslage auch an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass Angriffe auf Pilger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Das macht auch der Kläger nicht geltend.
100Auch Kontakte zwischen der Bevölkerung der einzelnen Zentraldörfer sind - nicht nur, aber auch, soweit sie aus religiösen Gründen gesucht werden - möglich, da die Straßen durch massiven Einsatz von Sicherheitskräften gesichert werden. Die Sicherheitsmaßnahmen in Form zahlreicher Check-points bewaffneter Kräfte sind zwar effektiv, machen die Fahrten durch arabisches Gebiet aber zugleich zeitaufwändig und belastend.
101Vgl. EZKS, Auskünfte vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf und vom 16. September 2013 an das OVG NRW.
102Als problematisch stellt sich insbesondere die Erledigung behördlicher Angelegenheiten dar: Behördengänge in der de jure zuständigen Provinzhauptstadt Mosul sind - wie auch die vorstehend genannten Opferzahlen belegen - mit erheblichen Risiken verbunden. Im Zuge ihrer zahlreichen auf Schutz und Unterstützung der von ihr als kurdisch angesehenen yezidischen Bevölkerung gerichteten Maßnahmen hat die KRG es auch ermöglicht, dass etliche behördliche Angelegenheiten in der in Kurdistan-Irak gelegenen und deshalb vergleichsweise sicheren Provinzhauptstadt Dohuk erledigt werden konnten. Es war und ist auch weiterhin möglich, in bestimmten Verwaltungsangelegenheiten Unterlagen in der Stadt Sindjar abzugeben und die Angelegenheiten von Mittelsmännern erledigen zu lassen. Hiervon sind aufgrund einer inzwischen auch im Sindjar umgesetzten Rechtsänderung seit Mitte 2013 allerdings bestimmte Angelegenheiten ausgenommen: die Ausstellung von Pässen, die Registrierung von Kraftfahrzeugen und die Ausstellung von Führerscheinen. Hierfür ist nunmehr die persönliche Anwesenheit in Mosul erforderlich. Die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsurkunden, die die Bewohner des Sindjar insbesondere für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen benötigen, lässt sich hingegen weiterhin von Sindjar aus regeln.
103Vgl. EZKS, Auskunft vom 16. September 2013 an das OVG NRW.
104Unbefriedigend ist darüber hinaus vor allem auch die wirtschaftliche Lage in den yezidischen Zentraldörfern des Sindjar. Arbeitsplätze sind rar, wenngleich die Arbeitslosenquote in den zurückliegenden Jahren aufgrund hoher Investitionen der KRG in die Verwaltung und insbesondere in Schulen (von etwa 70 % auf 50 %) gesunken ist. Da die Landwirtschaft - sei es aufgrund in den letzten Jahren auftretender Trockenheit,
105so das Auswärtige Amt in seiner Kurzstellungnahme vom 24. April 2013 an das OVG NRW,
106sei es aufgrund der Sicherheitslage oder wegen der ohnehin durch die KRG sichergestellten Lebensmittelversorgung - als Erwerbsgrundlage keine nennenswerte Rolle spielt, arbeiten viele Yeziden in einfachen Beschäftigungsverhältnissen in der nahe gelegenen Provinz Dohuk, und zwar - wie die Gutachterin T. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat - vor allem in dem bei Muslimen wenig angesehenen Dienstleistungssektor und in der in den kurdischen Provinzen boomenden Baubranche. Tätigkeiten als Händler sind für Yeziden angesichts der Sicherheitslage nicht angezeigt. Immerhin erhalten behinderte Yeziden - aktuell rund 8.500 sind davon betroffen - eine von der KRG finanzierte monatliche Rente von 400 US-Dollar.
107Die KRG investiert auch erheblich in die bislang dürftige Infrastruktur: Wasser wird bislang noch mit Tankwagen in die Dörfer gebracht; bis 2016 plant die KRG allerdings, alle Zentraldörfer an die Wasserversorgung anzuschließen. Inzwischen gibt es in allen Zentraldörfern Schulen (bis zum Abitur) und Gesundheitsstationen. Sindjar-Stadt und Sinun verfügen über Krankenhäuser; spezialisierte Behandlungen sind aber nur in Dohuk und - für Yeziden wohl eher theoretisch - in Mosul möglich.
108Vgl. EZKS, Auskunft vom 16. September 2013 an das OVG NRW.
109Die trotz aller Verbesserungen nach wie vor insgesamt bedrückenden Lebensbedingungen dürften dazu beitragen, dass die Gutachter auch von einer im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland um den Faktor 2,5 erhöhten Selbstmordrate berichten.
110Vgl. EZKS, Auskunft vom 16. September 2013 an das OVG NRW.
111(2) Die vorstehend beschriebenen tatsächlichen Erkenntnisse über die Lage der Yeziden im Sindjar begründen nicht die Annahme einer die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung erfüllenden Verfolgungsdichte.
112Das gilt zunächst für die Anzahl der im Zusammenhang mit der yezidischen Gruppenzugehörigkeit stehenden gewaltsamen Übergriffe auf Yeziden. Anders als bei Bomben- oder vergleichbaren Anschlägen an Orten, an denen sich für gewöhnlich viele Yeziden aufhalten und bei denen sich deshalb aufdrängt, dass die Anschläge auf die Angehörigen der yezidischen Bevölkerungsgruppe als solche zielen, lassen sich die Motive für einzelne Anschläge, wie sie sich in den zurückliegenden Jahren ereignet haben, nicht sicher feststellen, zumal die Täter regelmäßig nicht ermittelt werden. Andererseits muss trotz der religionsbedingt relativ engen persönlichen Bindungen innerhalb der yezidischen Gemeinschaft und der deshalb mutmaßlich guten Informationslage der von den Mitarbeitern des EZKS für die Erstellung der vorliegenden Auskünfte befragten Persönlichkeiten (Journalist, Mitarbeiter des Lalisch-Zentrums und der yezidische Bürgermeister von Sindjar),
113vgl. EZKS, Auskünfte vom 20. November 2011 an das VG Düsseldorf und vom 16. September 2013 an das OVG NRW,
114eine gewisse Dunkelziffer von nicht bekannt gewordenen gewaltsamen Übergriffen gegen Yeziden in Rechnung gestellt werden.
115Selbst ausgehend von der vom Senat als plausibel erachteten - deutlich unter den Angaben des Auswärtigen Amtes liegenden - Bevölkerungszahl von etwa 290.000 Yeziden im Sindjar besteht für diese Gruppe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“, allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit Opfer eines gewaltsamen Übergriffs zu werden. Auch wenn man bei großzügigster Betrachtung alle in den vorliegenden Auskünften aufgeführten Tötungen von Yeziden (etwa 15 pro Jahr) als religionsbezogen wertet, obwohl das bei den in Mosul getöteten Soldaten, die in aller Regel nicht ohne weiteres aufgrund äußerlicher Merkmale als Yeziden zu erkennen gewesen sein dürften, eher fernliegt, und darüber hinaus - trotz fehlender Anhaltspunkte für die Annahme einer solch hohen Zahl - eine Dunkelziffer von 1:3 annimmt, lag die statistische Wahrscheinlichkeit, als Yezide im Sindjar aufgrund der Religionszugehörigkeit Opfer einer gewaltsamen Tötung oder Verletzung zu werden, in den zurückliegenden Jahren bei 1:5.000 oder 0,02 %.
116Vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (a.F.): BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 11.10 -, juris Rn. 20, wo sogar eine statistische Wahrscheinlichkeit von ca. 0,1 % oder 1:1.000 nicht als beachtliche Wahrscheinlichkeit angesehen wurde.
117Danach würde selbst eine Erhöhung der Opferzahlen, etwa im Hinblick auf unterstellte religiöse Anknüpfungspunkte für Entführungen, um den Faktor 5 bei statistischer Betrachtung - selbst bei einer etwaigen, sich nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht abzeichnenden Korrektur der Bevölkerungszahl - keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit für jeden einzelnen Gruppenzugehörigen begründen.
118Ausgehend davon kann auch für die Zeit vor der Ausreise des Klägers eine hinreichende Verfolgungsdichte nicht angenommen werden.
119Individuell gefahrerhöhende, die Person des Klägers betreffende Merkmale, wie sie nach der Erkenntnislage wohl für yezidische Soldaten und möglicherweise (aber statistisch nicht belegt) auch für Geistliche, die kraft ihrer Stellung häufiger reisen müssen, anzunehmen sein könnten, sind hier nicht ersichtlich.
120Im Rahmen der hier neben der Analyse des statistischen Zahlenmaterials gebotenen zusammenfassenden Bewertung ist zu berücksichtigen, dass die im Sindjar inzwischen bei statistischer Betrachtung erreichte Sicherheit mit einem erheblichen Verzicht der yezidischen Bevölkerung auf Mobilität und damit einhergehend einem teilweisen Verzicht auf Möglichkeiten zur Verbesserung des Lebensstandards einhergeht. Die vorliegenden Erkenntnisse lassen allerdings nicht die Würdigung zu, dass die Sicherheit in einem solchen Maße durch eine unter dem Druck der angespannten Sicherheitslage erfolgte Selbstbeschränkung „erkauft“ ist, dass die unerfreulichen Lebensbedingungen als eine einer Verfolgungshandlung i.S.d. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG gleichkommende Rechtsgutverletzung anzusehen und als kumulierende Maßnahmen nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG als Verfolgungshandlung zu werten sind.
121In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass Yeziden aufgrund ihrer religiösen Vorschriften, die nähere private Beziehungen (Ehe/Familie) zu Andersgläubigen und auch zu Angehörigen anderer yezidischer Kasten grundsätzlich nicht zulassen, vorzugsweise unter sich oder jedenfalls in nahem Kontakt zu ihren jeweiligen Stämmen bzw. (Groß-)Familien leben. Die eingeschlossene Lebenssituation in den gut bewachten Zentraldörfern wird sicherlich als belastend empfunden. Aufgrund der Größe der sog. Zentraldörfer von um die 20.000 Einwohner kann aber von einem Ausschluss von gesellschaftlichen Kontakten oder einer völligen Isolation keine Rede sein, zumal auch eine Kommunikation nach außen per (Mobil-)Telefon, wie der Vormund des Klägers selbst vorgetragen hat, gewährleistet ist. Schulbesuch bis zum Abitur ist möglich. Sogar Stipendien für ein Studium in Irakisch-Kurdistan, das mit konkreten Aussichten auf eine anschließende berufliche Anstellung verbunden ist, werden finanziert. Die Belastungen durch ein - trotz des nachhaltigen Engagements der wirtschaftlich besser als die Zentralregierung dastehenden KRG - noch dürftiges infrastrukturelles Angebot in vielen Bereichen (wie Trinkwasser- und Krankenversorgung) und hohe Arbeitslosigkeit teilen die Bewohner yezidischer Zentraldörfer mit weiten Teilen der irakischen Bevölkerung. Sie treffen sie nicht allein oder auch nur maßgeblich aufgrund ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit. Das gilt auch in Bezug auf die Krankenversorgung. Mit Ärzten angemessen ausgestattete Krankenhäuser sind für die irakische (Land-)Bevölkerung auch sonst nicht stets erreichbar. Dass die Finanzierung der Behandlung bei schweren Erkrankungen nicht durchweg sichergestellt ist, betrifft grundsätzlich auch Nicht-Yeziden. Deren Situation wird zwar dadurch erschwert, dass sie, anders als Yeziden im de jure kurdischen Bereich, nur eingeschränkt bzw. unter größeren Belastungen zu einem in Betracht kommenden Krankenhaus reisen können. Die Zahl der hiervon konkret Betroffenen ist aber wiederum nicht so groß, dass daraus, sofern es sich überhaupt um als kumulierende Verfolgungshandlungen zu wertende Maßnahmen handeln sollte, auf eine hinreichende Verfolgungsdichte zu schließen sein könnte.
122Im Falle der von der KRG als Kurden angesehenen Yeziden werden die Auswirkungen der schlechten ökonomischen Lage, anders als im Zentral- oder im Südirak, zudem teilweise durch Maßnahmen der KRG gemildert, die in den umstrittenen Gebieten ein Interesse daran hat, die Lebensbedingungen der kurdischen Bevölkerung so weit zu verbessern, dass diese dort wohnen bleibt und gerade nicht in die de jure kurdischen Gebiete zieht. Anhaltspunkte dafür, dass die KRG den Yeziden im Sindjar künftig den Schutz entziehen und die weitere Unterstützung versagen könnte, sind nicht ersichtlich.
123Die Selbstmordrate ist im internationalen Vergleich zwar hoch, erreicht aber noch keinen absoluten Spitzenwert. Zudem kann nicht angenommen werden, dass die schlechte ökonomische Lage und die Sicherheitslage die allein maßgebliche Ursache für die Selbstmorde darstellen. Vorbehaltlich dessen, dass die Gründe für einen Selbstmord naturgemäß nur selten sicher aufzuklären sind, spricht der Umstand, dass unter den so zu Tode gekommenen Yeziden zahlreiche junge Frauen zwischen 18 und 23 Jahren sind, nach Einschätzung örtlicher Stellen dafür, dass häufig persönliche, vor allem kulturell bedingte Konflikte in Zusammenhang mit Liebesbeziehungen bzw. Eheschließungen eine Rolle spielen.
124IOM-IRAQ Special Report "Increased Incidents of Suicide Among Yazidis in Sinjar, Ninewa" von Juli 2011.
125Auch in Ansehung der bezogen auf den Gesamtirak im Jahr 2013 wiederum verschlechterten Sicherheitslage liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass sich die Lage in absehbarer Zeit in relevantem Ausmaß verschlechtern könnte. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch sonst aus Medienberichten ersichtlich; auch die in der mündlichen Verhandlung ergänzend befragte Gutachterin des EZKS hatte keine darauf weisenden Informationen. Insbesondere spricht derzeit nichts dafür, dass der Konflikt im benachbarten Syrien zu einer vermehrten Aktivität islamistischer Gruppen im Sindjar führt.
126Die Gefährdung bei der Erledigung von behördlichen Angelegenheiten in Mosul - statt wie bislang in Sindjar oder in Dohuk - ist allerdings grundsätzlich ernst zu nehmen. Das vorliegende Zahlenmaterial belegt aber schon nicht, dass Zivilisten, die zu diesem Zweck nach Mosul fahren, tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Schaden kommen. Unabhängig davon sind die Verwaltungsangelegenheiten, die eine persönliche Vorsprache in Mosul erfordern, auch begrenzt und betreffen keineswegs jeden yezidischen Dorfbewohner. Denn gerade in Anbetracht der Lebensumstände, die die Anschaffung eines eigenen Pkw häufig weder nötig noch finanzierbar erscheinen lassen, ist keineswegs ersichtlich, dass eine Vielzahl von Yeziden Führerscheine und Kfz-Zulassungen beantragen werden, zumal es Sammeltaxis und Minibusse gibt. Das für die Beantragung von Sozialleistungen, auf die weite Teile der yezidischen Bevölkerung angewiesen sind, erforderliche Dokument ist unstreitig nicht der Pass, sondern der Staatsangehörigkeitsausweis, zu dessen Beantragung und Verlängerung es aber keiner persönlichen Anwesenheit in Mosul bedarf.
127Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
128Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.