Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 13. Apr. 2018 - 1 OLG 2 Ss 5/18

ECLI:ECLI:DE:POLGZWE:2018:0413.1OLG2SS5.18.00
bei uns veröffentlicht am13.04.2018

Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 13. Oktober 2017 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird die Urteilsformel dahingehend geändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt ist.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Landeskasse zur Last, die dem Angeklagten auch seine hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen zu erstatten hat.

Gründe

1

Das Amtsgericht - Schöffengericht Landau in der Pfalz hat den Angeklagten am 3. Mai 2017 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 10.000,-- EUR angeordnet. Auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat das Landgericht am 13. Oktober 2017 dieses Urteil aufgehoben und den Angeklagten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen schuldig gesprochen und ihn zu einer „Freiheitsstrafe“ von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es die Einziehung des Werts des Erlangten in Höhe von 9.635,-- EUR angeordnet. Die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht als unbegründet verworfen.

2

Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten, zum Nachteil des Angeklagten erhobenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Höhe der Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtstrafe.

I.

1.

3

Nach den Feststellungen des Landgerichts stand dem Angeklagten, der an der TU Kaiserslautern ein Studium im Bereich Facility Management betrieb, im Sommer 2016 ein Geldbetrag von ca. 60.000,-- EUR zur Verfügung, der aus Ersparnissen sowie aus einer Schenkung seiner Großmutter stammte. Der Angeklagte, der in der Vergangenheit bereits kleinere Geschäfte mit Drogen getätigt hatte, entschloss sich, von dem Geld eine größere Menge Marihuana zu erwerben, um dieses gewinnbringend weiter zu veräußern; einen Teil der Betäubungsmittel wollte der Angeklagte zum Eigenkonsum behalten. Er wandte sich deshalb an einen Bekannten, den gesondert verfolgten W, der einen Kontakt zu dem gesondert verfolgten A herstellte. Bei diesem bestellte der Angeklagten 10 kg Marihuana zum Preis von 60.000,--. In der Folgezeit übergab der Angeklagte 15.000,-- EUR in bar an A als Anzahlung. Am 13. Oktober 2016 zahlte der Angeklagte die restlichen 45.000,-- EUR an A aus, der anschließend 10 Packen Marihuana mit einem Nettogesamtgewicht von 9.900,4 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1.222,2 Gramm THC an den Angeklagten übergab. Im Anschluss an die Übergabe wurde der Angeklagte festgenommen, da A während der Abwicklung der Übergabe unter polizeilicher Observation gestanden hatte. Bei dem Angeklagten wurden im Rahmen der Festnahme 415,-- EUR Scheingeld sichergestellt, die zur Abwicklung des Betäubungsmittelgeschäfts bestimmt gewesen waren.

4

Im Rahmen der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung wurden bei dem Angeklagten weiteres Marihuana sowie Cannabis sichergestellt deren Gesamtwirkstoffgehalt den Grenzwert zur nicht geringen Menge um das ca. 21-fache überstieg und die teils zum Weiterverkauf, teils zum Eigenkonsum bestimmt gewesen waren. Ferner wurde Bargeld in Höhe von 9.220,-- EUR sichergestellt, welches teilweise aus früheren Betäubungsmittelgeschäften des Angeklagten stammte und das zur Bezahlung der Provision des gesondert verfolgten W bestimmt gewesen war.

2.

5

Das Landgericht hat eine Bewertungseinheit zwischen den von A entgegen genommenen Betäubungsmitteln und den in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Drogen ausgeschlossen und die festgestellten Handlungen rechtlich als zwei tatmehrheitlich begangene Verbrechen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) gewertet. Jeweils ausgehend von dem gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG hat es hinsichtlich der von A bezogenen Menge (Fall 1) eine Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten und hinsichtlich der in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel (Fall 2) eine solche von acht Monaten verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet. Ferner hat es „gem. §§ 73c, 74 Abs. 1 StGB“ die Einziehung des sichergestellten Bargelds angeordnet.

II.

6

Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt lediglich zu einer Berichtigung des Tenors der angefochtenen Entscheidung; im Übrigen bleibt ihr ein Erfolg versagt.

A.

7

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Die Beschwerdeführerin hat zwar in ihrer Revisionsbegründung eine Beschränkung ihres Rechtsmittels nicht erklärt und die Sachbeschwerde ausdrücklich uneingeschränkt erhoben. Auch ist ihr Antrag in der Revisionsbegründungsschrift vom 19. Dezember 2017 auf eine (uneingeschränkte) Aufhebung des Berufungsurteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung an das Landgericht gerichtet. Mit diesem, den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 29a Abs. 2 BtMG zugrunde gelegt und die (Einzel-)Freiheitsstrafen sowie die Gesamtstrafe unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteile vom 12.04.1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3 und vom 25.11.2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; s.a.: Franke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).

1.

8

Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch sowie die Einziehungsentscheidung vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge in der Revisionsrechtfertigungsschrift einleitend ausgeführt hat, in ihren weiteren Ausführungen liege keine Beschränkung der Sachbeschwerde, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch sowie die Entscheidung über die Einziehung nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285).

2.

9

Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 318 Rn. 6 m.w.N.). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21.10.1980 - 1 StR 262/80, juris = BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15.05.2001 - 4 StR 306/00, juris = BGHSt 47, 32, 35 und 38).

3.

10

Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen rechtswirksam. Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch, dass das Landgericht versäumt habe, den Strafzumessungsgesichtspunkt der Gewerbsmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls miteinzubeziehen. Das Merkmal des gewerbsmäßigen Handelns (§ 29 Abs. 3 BtMG) betrifft jedoch allein den Rechtsfolgeausspruch. Denn die Gewerbsmäßigkeit eines Handelns wird durch ein subjektives Moment, nämlich die Absicht des Täters, sich durch wiederholte Tatbegehung eine Einnahmequelle zu verschaffen, begründet (OLG Köln, Beschluss vom 12.01.2016 - III-1 RVs 243/15, juris Rn. 7; KG Berlin, Beschluss vom 12.01.2017 - (5) 121 Ss 197/16 (56/16), juris Rn. 11). Entsprechende Feststellungen und Wertungen könnten im Falle der Aufhebung des Rechtsfolgeausspruches nach Zurückverweisung durch das Landgericht ergänzend nachgeholt werden, ohne dass Widersprüche zum bestandskräftig gewordenen Schuldspruch zu besorgen wären. Eine untrennbare Verknüpfung des Strafausspruchs besteht hier auch nicht in Bezug auf den Ausspruch über die Einziehung, sodass auch dieser wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden konnte (vgl. zur Trennbarkeit von Strafausspruch und Verfallsanordnung: BGH, Urteil vom 15.05.2013 - 1 StR 476/12, NStZ-RR 2013, 279, 280).

B.

11

Die sachlich-rechtliche Prüfung des Rechtsfolgeausspruchs auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft deckt einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf.

1.

12

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er allein ist in der Lage, sich aufgrund der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, insbesondere wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht gelassen haben oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder nach unten inhaltlich löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist. Die Höhe der vom Tatrichter für den jeweiligen Fall bestimmten Strafe kann vom Revisionsgericht anhand der im Urteil dargelegten Umstände nicht ohne weiteres nachgeprüft werden. Bei der Gewichtung der einzelnen Umstände spielen vielmehr die aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung und dem Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnenen Momente eine Rolle, die sich einer exakten Richtigkeitskontrolle entziehen und schon deshalb eine volle Nachprüfung des Strafausspruchs durch den Revisionsrichter ausschließen. In Zweifelsfällen muss die Strafzumessung des Tatrichters bis zur Grenze des noch Vertretbaren hingenommen werden (st. Rspr. vgl. Senat, Urteil vom 07.06.1996 - 1 Ss 51/96, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 10.04.1987 - GSSt 1/86, juris Rn. 17 f. = BGHSt 34, 345; Urteil vom 27.01.2015 - 1 StR 142/14, juris Rn. 24; Weber, BtMG, 5. Aufl., Vor §§ 29ff. Rn. 784; Miebach/Maier in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 46 Rn. 307 jeweils mwN.).

2.

13

An diesen revisionsrechtlichen Maßstäben gemessen erweisen sich weder die Annahme des Landgerichts, der mildere Ausnahmestrafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG sei hinsichtlich beider Taten angemessen, noch die Bemessung der jeweiligen Einzelstrafen als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Zwar nähern sich diese - und dadurch bedingt die Gesamtstrafe - mit Blick auf die Menge der jeweils gehandelten Betäubungsmittel durchaus der unteren Grenze des noch Vertretbaren an. Der Senat kann aber noch ausschließen, dass die Grenze des tatrichterlichen Ermessens in rechtfehlerhafter Weise unterschritten ist. Weder im Rahmen der Bestimmung des Strafrahmens, noch bei der konkreten Strafzumessung sind dem Tatgericht Wertungsfehler unterlaufen. Die Ausführungen der Berufungskammer sind auch weder lückenhaft noch unvollständig oder in sonstiger Weise rechtsfehlerhaft. Die bestimmenden Umstände sind aufgeführt und in vertretbarer Weise abgewogen, ohne dass dabei rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht geblieben sind. Auch insgesamt sind die verhängten Strafen nicht dergestalt unvertretbar milde, dass hierdurch die Grundsätze gerechten Schuldausgleichs nicht mehr eingehalten werden.

14

a) Rechtlich bedenklich ist allerdings, dass das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung die zum Handel bestimmten Mengen nicht von denjenigen abgegrenzt hat, die der Angeklagte (lediglich) zum Eigenkonsum erworben bzw. besessen hat. Dies lässt besorgen, dass das Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung die jeweiligen Gesamtmengen dem Handeltreiben zugerechnet hat und deshalb insoweit zum Nachteil des Angeklagten von einem zu hohen Schuldgehalt ausgegangen sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2001 - 3 StR 268/01, juris Rn. 7). Auf diesem, auf die Revision der Staatsanwaltschaft beachtlichen Rechtsfehler (§ 301 StPO) kann das Urteil jedoch nicht beruhen. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht aufgrund der gebotenen Differenzierung der Betäubungsmittel nach ihrem Verwendungszweck ohne Rechtsfehler zu einer noch milderen Bestrafung hätte kommen können.

15

b) Das Landgericht hat in beiden Fällen tragfähig begründet, weshalb es den gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG für angemessen gehalten hat. Seine Ausführungen lassen insbesondere nicht besorgen, dass es im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung (hierzu: Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29a Rn. 121 m.w.N.) verkannt haben könnte, dass im Betäubungsmittelstrafrecht der Gesamtwirkstoffmenge des Wirkstoffs bezogen auf den Grenzwert zur nicht geringen Menge und dem darin zum Ausdruck kommenden Gewicht des Angriffs auf die Volksgesundheit wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 08.11.1989 - 3 StR 368/89, NStZ 1990, 84, 85). Das Landgericht hat, was die Beschwerdeführerin auch nicht in Abrede stellt, ausweislich der Urteilsgründe das Überschreiten des Grenzwertes um ein Vielfaches (im Fall 1 um das ca. 180-fache, im Fall 2 um das ca. 21-fache) vielmehr ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin weist zwar im Ausgangspunkt zu Recht darauf hin, dass die für die Annahme eines minder schweren Falles herangezogenen mildernden Gesichtspunkte umso gewichtiger sein müssen, desto höher die Grenzmenge überschritten wird (BGH, Urteile vom 23.12.1998 - 3 StR 531/98, NStZ 1999, 193, und vom 15.03.2017 - 2 StR 294/16, NJW 2017, 2776, 2777; s. a. Patzak aaO. Rn. 128). Solche mildernden Umstände von erheblichen Gewicht hat das Landgericht hier aber angeführt. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn es im Ergebnis seiner Abwägung ein deutliches Überwiegen dieser Gesichtspunkte gegenüber dem straferschwerenden Umstand einer den Grenzwert um ein Vielfaches übersteigenden Menge angenommen hat. Ein Rechtssatz dahingehend, dass bei einem Handeltreiben mit Cannabis das Überschreiten eines bestimmten Vielfachen des Grenzwertes i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG die Annahme eines minder schweren Falls (§ 29a Abs. 2 BtMG) stets und unabhängig von den im konkreten Fall festgestellten mildernden Gesichtspunkten ausschließt, existiert nicht (s.a. Weber, aaO. Vor §§ 29 ff. Rn. 796).

16

Das Landgericht hat eine Vielzahl gewichtiger mildernder Umstände benannt. So hat es zugunsten des Angeklagten insbesondere darauf abgestellt, dass er - über die Erkenntnisse aus der Observation hinaus - geständig war, glaubhaft Reue und Einsicht gezeigt hat, nicht vorbestraft ist, durch die ca. einen Monat andauernde Untersuchungshaft nachhaltig beeindruckt wurde und dass im Fall 1 aufgrund der Überwachung der Übergabe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden hat, dass die Betäubungsmittel in den Verkehr gelangen. Das Landgericht war aus Rechtsgründen auch nicht daran gehindert, dem Umstand, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmitteln um eine sog. „weiche“ Droge handelt, im Rahmen der Abwägung ebenfalls milderndes Gewicht beizumessen (vgl. Senat, aaO. Rn. 5; BGH, Urteil vom 28.01.2009 - 5 StR 465/08, juris Rn. 7; Patzak aaO. Vor §§ 29 ff. Rn. 126, 209; Weber aaO. Vor. §§ 29 Rn. 795). Der Senat besorgt im Hinblick auf den in diesem Zusammenhang gegebenen Hinweis des Landgerichts auf die „politisch immer wieder [thematisierte] Frage der Legalisierung“ (UA S. 9) nicht, das Landgericht könnte die Gefährlichkeit von Cannabis verkannt oder verharmlost und die gesetzgeberische Entscheidung, nicht zwischen verschiedenen Rauschgiftarten zu differenzieren (hierzu: BGH, Urteil vom 08.10.1997 - 3 StR 299/97, NStZ 1998, 254, 255), übergangen haben. Diese Ausführung dient ersichtlich lediglich der Begründung der Einordnung von Cannabis als „weiche“ Droge, der in der Bandbreite der vorkommenden Betäubungsmittel geringere Gefährlichkeit beigemessen wird. Die Wertung, dass diese mildernden Umstände in ihrer Gesamtheit geeignet sind, trotz des erheblichen Überschreitens des Grenzwertes die Annahme eines Ausnahmefalls zu begründen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.

17

c) Soweit die Beschwerdeführerin meint, die Berufungskammer habe verabsäumt, den „sich aufdrängenden Strafzumessungsgesichtspunkt der Gewerbsmäßigkeit zu prüfen und gegebenenfalls miteinzubeziehen“, entfernt sie sich von den Urteilsfeststellungen. Diese belegen nicht, dass der Angeklagte in der Absicht gehandelt hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (vgl. Patzak aaO. § 29 Teil 27 Rn. 22). Im Übrigen ist es dem Tatrichter zwar nicht verwehrt, dem Umstand gewerbsmäßigen Handelns auch im Rahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfende Bedeutung beizumessen (vgl. BGH Beschluss vom 03.09.1997 - 2 StR 431/97 -, juris Rn. 4). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist aber weder rechtlich geboten noch möglich. Daraus, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann daher nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (BGH, Urteile vom 02.08.2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, und vom 31.07.2014 - 4 StR 216/14, NStZ-RR 2014, 320). Ein sachlicher Fehler liegt (erst) vor, wenn in den Urteilsgründen Umstände außer Acht gelassen werden, die für die Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehalts und damit die Schwere der Tat von besonderer Bedeutung sind, weshalb deren Einbeziehung in die Strafzumessungserwägungen nahelag (Miebach/Maier aaO. § 46 Rn. 84). Eine solche besondere Bedeutung, die den Tatrichter zur Erörterung in den Urteilsgründen zwingt, kommt dem Umstand gewerbsmäßigen Handelns im Rahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht bei (vgl. bereits Senat aaO. Rn. 5). Entsprechendes gilt für den in der Revisionsrechtfertigung angeführten Umstand, dass der Angeklagte im Fall 1 der Initiator des Geschäfts gewesen war und damit „letztlich die alleinige Verantwortung für das Ausmaß der beabsichtigten Gefährdung der Volksgesundheit“ trägt. Soweit seiner Berücksichtigung nicht bereits § 46 Abs. 3 StGB entgegensteht, handelt es sich hierbei nicht um einen bestimmenden Gesichtspunkt i.S.v. § 267 Abs. 3 S. 1 Hs 2 StPO.

18

d) Letztlich ist auch die Strafzumessung im engeren Sinne frei von durchgreifenden Rechtsfehlern. Aus den Urteilsgründen ergibt sich insbesondere kein Anhalt darauf, dass das Landgericht die Höhe der Einzelstrafen im Wesentlichen danach ausgerichtet hat, eine Gesamtstrafe in noch bewährungsfähiger Höhe verhängen zu können. Eine solche Besorgnis ist entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin auch nicht mit Blick auf die Ausführungen des Landgerichts zum Verhalten des Angeklagten nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft begründet. Denn hierdurch wollte das Tatgericht ersichtlich die Tatreue des Angeklagten belegen, die durch die dargestellten, nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft eingetretenen Änderungen in seiner Lebensplanung und -ausgestaltung auch objektivierbar geworden ist.

19

Die verhängten - durchaus äußerst moderaten - Einzelstrafen sowie die Gesamtfreiheitsstrafen stehen angesichts der zahlreichen Strafmilderungsgründe letztlich auch nicht in einem so groben Missverhältnis zu der Menge der gehandelten Betäubungsmittel, dass sie ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nicht mehr gerecht werden würden (vgl. a. Senat aaO. Rn. 6 zu einem 138-fachen Überschreiten des Grenzwerts bei Cannabis).

C.

20

Das Landgericht hat versehentlich in der Urteilsformel die Gesamtfreiheitsstrafe nicht als solche bezeichnet. Diese war vom Senat zu berichtigen.

Urteilsbesprechung zu Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 13. Apr. 2018 - 1 OLG 2 Ss 5/18

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Urteil, 13. Apr. 2018 - 1 OLG 2 Ss 5/18 zitiert 8 §§.

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Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29a Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer1.als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder2.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Referenzen - Urteile

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als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 16. Dezember 2002 wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist. 3. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Dem Angeklagten liegen über 160 Sexualdelikte (§§ 174, 176, 177, 178 StGB aF) zur Last, die er zwischen 1989 und 2000 begangen haben soll. Opfer soll in allen Fällen die 1983 geborene Nebenklägerin, die Tochter seiner früheren Lebensgefährtin, gewesen sein. Verurteilt wurde er wegen zwei im Jahre 1989 begangener Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, in einem Fall in Tateinheit mit sexueller Nötigung, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Im übrigen wurde er freigesprochen.
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten als auch der Angeklagte Revision eingelegt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, während die auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erfolglos bleibt.

I.


Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision mit Schriftsatz vom 5. März 2003 näher begründet. Dabei werden zu Beginn und am Ende dieses Schriftsatzes nicht deckungsgleiche Anträge (§ 344 Abs. 1 StPO) gestellt. Nach dem maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung versteht der Senat das Vorbringen der Staatsanwaltschaft dahin, daß sie weder den Schuldspruch noch den Strafausspruch in den Fällen anfechten will, in denen eine Verurteilung erfolgt ist. Sie wendet sich jedoch gegen sämtliche Freisprüche, wobei sie die nach ihrer Ansicht rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung an einigen Beispielsfällen verdeutlicht.
Der Senat bemerkt, daß – zumal bei einer Revision der Staatsanwaltschaft – die Revisionsanträge klar, widerspruchsfrei und ohne weiteres deckungsgleich mit den Ausführungen zur Revisionsbegründung sein sollten. Das Revisionsverfahren wird nicht unerheblich erleichtert, wenn der Umfang der Anfechtung, also das Ziel des Rechtsmittels, nicht erst durch eine (nicht am Wortlaut haftende) Erforschung des Sinns des Vorbringens und seines gedanklichen Zusammenhangs unter Berücksichtigung aller Umstände des Ein-
zelfalls (vgl. zur insoweit gleich zu behandelnden Auslegung einer Berufungs- begründung Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn. 11 m.w.N.) ermittelt zu werden braucht. 2. In der Sache hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg. Sie wendet sich mit Recht gegen die den Freisprüchen zugrunde liegende Beweiswürdigung.
Die Jugendkammer ist nach sachverständiger Beratung mit eingehender und rechtlich nicht zu beanstandender Begründung zu dem Ergebnis gekommen , daß im Grundsatz keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschädigten bestehen. Dennoch sei der Angeklagte nur in zwei Fällen zu verurteilen, im übrigen nach dem Zweifelssatz aber freizusprechen. Die übrigen Angaben der Nebenklägerin seien bei der Polizei einerseits und in der Hauptverhandlung andererseits nicht "identisch, widerspruchsfrei und detailliert" genug geschildert worden. So habe die Nebenklägerin etwa bei der Schilderung des ersten Oralverkehrs, bei dem sie etwa acht Jahre alt gewesen sei und bei dem der Angeklagte gesagt habe: "Mach die Fresse auf, du Hure!" und Gewalt mit dem linken Oberarm angewendet habe, diesen Ablauf, den Tatort und ihren Ekel immer gleich geschildert, sich jedoch unterschiedlich dazu geäußert, ob sie dabei vor dem Angeklagten gekniet ist oder gestanden hat. Zu einer Vergewaltigung in der Nacht ihres siebzehnten Geburtstags, bei der er in ihr Schlafzimmer gekommen, sich auf ein Sofa gestellt und sie aus ihrem Hochbett gerissen habe, habe sie zunächst gesagt, der Angeklagte sei von hinten in ihre Scheide eingedrungen, später aber nicht mehr sagen können, in welcher Stellung der Geschlechtsverkehr durchgeführt wurde. Insgesamt seien viele Vorgänge nicht in Einzelheiten und daher konturenlos geschildert.
Damit hat die Jugendkammer einen überspannten und schon deshalb rechtsfehlerhaften Maßstab angelegt. Die Nebenklägerin hat bekundet, ab ihrem siebten Lebensjahr mit Unterbrechungen, die auf Heimaufenthalte zurückgingen , um die sie selbst gebeten hatte, über mehr als zehn Jahre hin in einer großen Vielzahl von Fällen mißbraucht worden zu sein. Sind derartige Behauptungen , zumal nach weiteren Jahren, zu überprüfen, kann schon wegen des naheliegend immer wieder ähnlichen Ablaufs des Tatgeschehens nicht für jeden einzelnen Vorgang eine zeitlich exakte und detailreiche Schilderung erwartet werden. Ebenso wenig kann erwartet werden, daß jedes als solches erinnerliche Detail auch einem zeitlich exakt fixierten Vorgang zugeordnet werden kann (vgl. nur BGHSt 40, 44, 46; Senatsurteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 190/01). Im übrigen haben Schwächen einer Aussage, wie etwa fehlende Konstanz und Genauigkeit, nur verhältnismäßig geringes Gewicht, wenn sie nicht den Kernbereich des Vorwurfs betreffen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 332, 333). Was Kernbereich ist und was Randbereich, läßt sich nicht ohne weiteres abstrakt beurteilen, sondern ist Frage des Einzelfalls. Hierbei kommt es auch auf die Opfersicht an. Daß es objektiv oder aus der subjektiven Sicht eines achtjährigen Mädchens, das heftig an den Haaren gezogen wird und unter Beschimpfungen ("Hure") das Geschlechtsteil eines Erwachsenen gegen seinen Widerstand ("Zähne zusammengebissen") in den Mund gestoßen bekommt, von besonderer Wichtigkeit ist, ob es dabei kniete oder stand, ist sehr fernliegend und hätte daher eingehender und nachvollziehbarer Begründung bedurft. Für die Schilderung des Vorgangs vom 17. Geburtstag gilt entsprechendes.
Allerdings kann auch eine an sich nicht unglaubhafte Aussage nicht Grundlage einer Verurteilung sein, wenn eine Konkretisierung der Vorgänge praktisch unmöglich ist (vgl. BGHSt 42, 107 ff.; Urteil vom 12. Juni 2001
1 StR 190/01). Dies ist offensichtlich bei den genannten Schilderungen zu einzelnen Vorgängen nicht der Fall. Aber auch, soweit die Vorwürfe pauschaler gehalten sind – so habe der Angeklagte zwischen 1994 und 1996 mit der Nebenklägerin mindestens einmal wöchentlich in der Wohnung in M. Geschlechtsverkehr gehabt – könnten entsprechende Feststellungen durchaus Urteilsgrundlage sein. Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß sich die dargelegten fehlerhaften Maßstäbe der Jugendkammer auf die Freisprüche insgesamt ausgewirkt haben können, so daß die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf.
3. Gegebenenfalls hätte die neu zur Entscheidung berufene Jugendkammer unter Auflösung der bisher gebildeten Gesamtstrafe die für die beiden abgeurteilten Taten verhängten (von der Staatsanwaltschaft nicht und vom Angeklagten erfolglos – vgl. hierzu III. – angefochtenen) Einzelstrafen in eine etwa neu zu bildende Gesamtstrafe einzubeziehen (§ 55 StGB).

II.


Zur Revision des Angeklagten: 1. Die Revision macht geltend, die Jugendkammer habe ein gegen den Sachverständigen Dr. S. gerichtetes Befangenheitsgesuch (§ 74 StPO) formal ungenügend und in der Sache zu Unrecht zurückgewiesen. Der Beschluß verweist im wesentlichen auf einen schon vor der Hauptverhandlung ergangenen Beschluß vom 15. November 2002, mit dem ein auf dasselbe Ziel gerichteter Antrag zurückgewiesen worden war.
Dies ist unbedenklich. Liegt im Ergebnis eine bloße Wiederholung eines früheren Antrags vor, genügt, von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen , regelmäßig eine Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung (vgl. MeyerGoßner StPO 46. Aufl. § 34 Rdn. 4). Die Revision macht zwar zutreffend geltend , die Zurückweisung des Befangenheitsantrags könne nur Gegenstand einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein, wenn er in der Hauptverhandlung gestellt worden sei (vgl. BGH StV 2002, 350 m.N.). Daraus folgt jedoch nicht die Pflicht des Gerichts, einen vor der Hauptverhandlung ergangenen Beschluß abzuschreiben, wenn es auf dessen Gründe Bezug nehmen will.
Der Hinweis, der Beschluß vom 15. November 2002 sei nicht zugestellt, sondern formlos übersandt worden, verdeutlicht die Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit des späteren Beschlusses nicht. Im übrigen brauchte der Beschluß vom 15. November 2002 aber auch nicht zugestellt zu werden, § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Inhaltlich kann der Senat die Zurückweisung des Antrags nicht überprüfen , da die Revision entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder den Inhalt des Beschlusses vom 15. November 2002 noch die von ihr in Bezug genommenen Aktenteile (z. B. die Stellungnahme einer Diplompsychologin) mitteilt.
2. Die Revision macht geltend, der Angeklagte sei in der Hauptverhandlung vom 2. Dezember 2002 zu Unrecht während der Vernehmung der Nebenklägerin entfernt worden (§ 247 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO), weil sich während ihrer in Anwesenheit des Angeklagten begonnenen Vernehmung ergeben habe, daß sie sich "ersichtlich schwer tut", in Gegenwart des Angeklagten nähere Angaben zu machen. Die Revision meint, damit sei nicht klar ge-
nug, "welche konkreten Anhaltspunkte für die entsprechende Befürchtung bestehen".

a) Es bestehen schon Zweifel an der Zulässigkeit der Rüge. Die Revision trägt nämlich nicht vor, daß der Nebenklägerin zu Beginn ihrer Vernehmung gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 StPO gestattet worden war, nur eingeschränkte Angaben zur Person zu machen. Dies führt dazu, daß die Revision sich nicht mit Umständen auseinandersetzen muß, die gegen ihr Vorbringen sprechen können (vgl. BGHSt 40, 218, 240; BGH NStZ-RR 1999, 26, 27). Wenn nämlich sogar schon uneingeschränkte Angaben zur Person (§ 68 Abs. 1 Satz 2 StPO) eine Gefahr für die Nebenklägerin begründen können, kann dies für die Frage, ob die Voraussetzungen von § 247 StPO vorliegen können, offensichtlich von Bedeutung sein.

b) Letztlich kann aber offen bleiben, ob die Rüge zulässig erhoben ist. Auch wenn man von einem den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Vortrag ausgeht, ist die Rüge unbegründet.
Grundsätzlich müssen allerdings die konkreten Tatsachen und Erwägungen erkennbar sein, aus denen der Ausschlußgrund hergeleitet wird (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 35). Der Senat hält den Hinweis auf das, was das Gericht in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligter beobachten konnte, für konkret genug. Außerdem läge selbst dann, wenn der Beschluß zum Ausschluß des Angeklagten überhaupt nicht begründet wäre, ein Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO dann nicht vor, wenn das Gericht unzweifelhaft von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist (vgl. BGHR StPO § 247 Satz 2 Begründungserfordernis 2 m.w.N.). Für eine nur pauschale Be-
gründung kann nichts anderes gelten (in vergleichbarem Sinne auch BGH StV 2000, 240 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, daß die Jugendkammer unter den gegebenen Umständen nicht von zutreffenden Erwägungen ausgegangen sein könnte, sind hier nicht erkennbar.
3. Auch die Rüge einer weiteren Verletzung von § 247 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO bleibt erfolglos.

a) Nach der Entlassung der Zeugin am 2. Dezember 2002 wurde die Nebenklägerin auf Wunsch des Angeklagten, der zunächst keine Fragen gehabt hatte, am 4. Dezember 2002 nochmals vernommen. Sie erklärte zu Beginn , sie sei in der Lage Fragen in Anwesenheit des Angeklagten zu beantworten. Dementsprechend wurde der Angeklagte nicht erneut ausgeschlossen und die Zeugin wurde nach Beendigung ihrer Vernehmung wieder entlassen. Am 10. Dezember 2002 hielt die Jugendkammer eine dritte Vernehmung der Zeugin für erforderlich. Noch vor ihrem Erscheinen wurde der Angeklagte auf Antrag des Vertreters der Nebenklägerin erneut ausgeschlossen, die Begründung dieses Beschlusses beschränkt sich auf die Inbezugnahme der Gründe des Beschlusses vom 2. Dezember 2002.

b) Hierauf stützt sich die Rüge, wobei die Revision jedoch das weitere Verfahrensgeschehen nicht vorträgt:
Im Verlauf ihrer Vernehmung übergab die Zeugin eine Lohnsteuerkarte und fertigte eine Skizze an, auf der ein Sofa eingezeichnet ist. Nachdem der Angeklagte wieder zugelassen und vom Ablauf der Vernehmung unterrichtet worden war, wurden Lohnsteuerkarte und Skizze erneut zum Gegenstand der
Verhandlung gemacht. Sodann wurde die Zeugin erneut in den Saal gerufen und sie erklärte sich bereit, in Anwesenheit des Angeklagten Fragen zu beantworten. Sie äußerte sich dann weiter zur Sache und wurde schließlich in allseitigem Einvernehmen entlassen.

c) Es spricht schon viel dafür, daß diese Rüge, ohne daß es auf weiteres ankäme, jedenfalls deshalb ins Leere geht, weil ein (etwaiger) Verfahrensfehler ausschließlich einen Teil der Hauptverhandlung beträfe, bei dem es um Vorwürfe ging, von denen der Angeklagte freigesprochen wurde (vgl. BGH Beschluß vom 21. September 1999 – 1 StR 253/99; BGH MDR 1995, 1160 m.w.N.). Bei den abgeurteilten Taten handelt es sich um Sexualstraftaten zum Nachteil eines sechs Jahre alten Mädchens. Ein wie auch immer beschaffener Zusammenhang zwischen solchen Taten und einer Lohnsteuerkarte ist kaum vorstellbar. Hinzu kommt, daß die abgeurteilten Taten im Lagerkühlraum für Lebensmittel in einer Gaststätte begangen wurden. Es liegt sehr fern, daß sich in einem solchen Raum ein Sofa befunden haben könnte. Demgegenüber spielt ein Sofa sowohl hinsichtlich des Vorwurfs vom 17. Geburtstag als auch im Rahmen eines näher geprüften Vorwurfs aus dem Jahr 1995 während eines Krankenhausaufenthalts der Mutter, der sich auf dem "Mama-Sofa" abgespielt haben soll, eine Rolle; von beiden Vorwürfen ist der Angeklagte freigesprochen worden. Zu alledem äußert sich die Revision nicht.

d) Unabhängig davon ist die Rüge (aber auch) aus einem anderen Grund wegen nicht genügenden Tatsachenvortrags nicht zulässig erhoben, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Angesichts der genannten Umstände – die Nebenklägerin wurde am 10. Dezember 2002 zwar zunächst in Abwesenheit, dann aber auch in Anwesenheit des Angeklagten vernommen, er konnte sie persön-
lich befragen, Lohnsteuerkarte und Skizze wurden in seiner Anwesenheit erneut zum Gegenstand der Verhandlung gemacht und die Zeugin wurde mit sei- ner Zustimmung entlassen – drängt sich die Annahme jedenfalls einer Heilung eines etwaigen Verfahrensverstoßes durch Wiederholung (vgl. nur BGHSt 30, 74, 76 m.w.N.) auf. Jedenfalls deshalb wäre Vortrag dazu erforderlich gewesen , was Gegenstand der dritten Vernehmung war, solange der Angeklagte ausgeschlossen war und ob es um anderes ging, als bei der Fortsetzung der Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß in einem Fall, in dem nach dem eigenen Vortrag des Beschwerdeführers die Möglichkeit der Heilung in Betracht kommt, der Sachverhalt auch in dieser Hinsicht vollständig mitgeteilt werden muß, um dem Revisionsgericht die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein bis zum Urteil fortwirkender Mangel vorliegt (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Abwesenheit 2). In einem Fall, in dem sich, wie hier, diese Möglichkeit nicht aus dem Vortrag des Revisionsführers , sondern aus dem von ihm nicht vorgetragenen, aus dem Protokoll der Hauptverhandlung aber ersichtlichen Verfahrensgeschehen ergibt, kann im Ergebnis nichts anderes gelten.
4. Die Jugendkammer hat einen Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens zur Glaubwürdigkeit der Geschädigten als ungeeignet abgelehnt. Gestützt ist dies auf die Erklärung des Nebenklägervertreters, die Geschädigte sei wegen ihres psychischen Zustandes "nicht in der Lage bzw. nicht bereit", sich einer Begutachtung zu unterziehen. Die Revision meint, es sei, obwohl rechtlich erheblich, unklar, ob die Zeugin nicht bereit oder nicht in der Lage sei, sich begutachten zu lassen. Ein Zeuge muß aber überhaupt keinen Grund dafür nennen, wenn er sich nicht begutachten lassen will; im übrigen war die Zeugin offensichtlich nicht bereit, sich begutachten zu lassen, weil sie sich
hierzu nicht in der Lage fühlte. Ein Rechtsfehler ist aus alledem nicht erkennbar , ebenso aus dem gesamten weiteren Vorbringen der Revision, etwa der Antrag auf Erstellung eines neuen Gutachtens hätte nicht zurückgewiesen werden können, ohne daß zuvor ein Gutachten darüber erhoben worden ist, ob ein Gutachten erstellt werden kann. Darüber hinaus kann der Senat die Rüge nicht inhaltlich überprüfen, weil in dem Antrag auf eine entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO von der Revision nicht mitgeteilte längere Stellungnahme einer Psychologin Bezug genommen ist.
5. Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 90/14
vom
11. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubs u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juni 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen. Die Nebenklägerin trägt ihre Auslagen selbst.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete , zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts planten der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. einen Einbruch in ein Wohnhaus in Kronberg. Sie hatten den Tatort zuvor ausgekundschaftet und unter anderem auch in Erfahrung gebracht, dass die Bewohner tagsüber nicht zu Hause sein sollten. In Umsetzung ihres Tatplans begaben sie sich am 7. Juni 2013 gegen 14.15 Uhr zum Tatort. Sie führten eine Tasche mit Wechselkleidung mit sich; darüber hinaus zwei Strumpfmasken wegen der vor Ort vorhandenen Überwachungskameras sowie eine Rolle Klebeband, um ein Fenster vor dem Einschlagen abkleben zu können. Da sie sicher gehen wollten, dass tatsächlich niemand zu Hause war, klingelte der gesondert Verfolgte B. während sich der Angeklagte vor der Haustür postierte. Es öffnete die Zeugin St. , woraufhin der Angeklagte und B. ihren Tatplan spontan dahin erweiterten, nunmehr unter Überwältigung der Zeugin St. in das Haus einzudringen und nach Wertgegenständen Ausschau zu halten.
3
Der Angeklagte drängte die Zeugin sogleich ins Haus, fesselte sie mit einem im Flur entdeckten Strickschal an Händen und Beinen und warf ihr eine Wolldecke über den Kopf. Sodann begannen beide Täter das Haus nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Die aufgefundene Beute (Schmuck und Bargeld ) verstauten sie in einer am Tatort aufgefundenen Sporttasche. Währenddessen rief die unter Atemnot leidende Zeugin um Hilfe und bat um Wasser. Der Angeklagte reichte ihr eine Tasse Kaffee, die die Zeugin mit ihrer aus der Fesselung befreiten rechten Hand ergriff und gegen eine Fensterscheibe warf. Sie rief nun laut um Hilfe. Der Angeklagte und der hinzukommende B. fesselten die Hände der Zeugin mit am Tatort aufgefundenen Kabelbindern fest auf ihren Rücken und verklebten ihr den Mund mit dem mitgeführten Klebeband. Anschließend setzten beide Täter die Durchsuchung fort und entdeckten weiteres Bargeld, das sie an sich nahmen. Als es an der Haustür klingelte, trugen die Täter die gefesselte Zeugin in den Keller und flüchteten aus dem Haus. Unterwegs entledigten sie sich sowohl der Tasche mit Wechselkleidung als auch der Tasche mit der Beute. Der Angeklagte konnte gegen 17.00 Uhr hinter einer naheliegenden Kleingartenanlage festgenommen werden. Beide Taschen wurden alsbald aufgefunden.
4
Die Zeugin erlitt infolge der strammen Fesselung starke Hämatome und Druckstellen an den Handgelenken. Eine traumatische Affektion verschiedener Nerven riefen Taubheitsgefühle in der rechten Hand und am linken Daumen hervor, die bis heute anhalten.
5
2. Die Kammer hat die Tat wegen der strammen Fesselung der Zeugin als „schweren Raub“ gemäߧ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet und unter Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt.

II.


6
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist rechtswirksam auf den Strafausspruch beschränkt.
7
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil deshalb für fehlerhaft hält, weil das Landgericht der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Unrecht den Strafrahmen des minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt und die Freiheitsstrafe daher unangemessen milde bemessen habe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. In einem solchen Fall ist nach ständiger Rechtsprechung das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118; Löwe/Rosenberg-Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 10).
8
Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung ist allein der Strafausspruch angefochten und der Schuldspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen. Allein der Umstand, dass die Revisionsführerin nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge einleitend ausgeführt hat, das Landgericht habe die Tat „insbesondere“ rechtsfehlerhaft als minder schweren Fall gewertet, zeigt mangels eines Hinweises auf einen weiteren Rechtsfehler des Urteils kein weitergehendes Angriffsziel der Revision auf. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch nicht angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 296/12 mwN).
9
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist auch rechtswirksam.
10
Voraussetzung für eine wirksame Beschränkung der Revision ist, dass sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 29. Februar 1956 - 2 StR 25/56, BGHSt 10, 100, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 318 Rn. 6 mwN). Eine Beschränkung ist aber auch dann unwirksam, wenn die Gefahr besteht, dass die nach dem Teilrechtsmittel (stufenweise) entstehende Gesamtentscheidung nicht frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 1980 - 1 StR 262/80, BGHSt 29, 359, 366; Beschluss vom 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, BGHSt 47, 32, 35 und 38).
11
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist nach diesen Grundsätzen wirksam.
12
Es liegen keine Umstände vor, aus denen sich ausnahmsweise eine untrennbare Verknüpfung der Erörterungen zur Schuld- und Straffrage ergibt, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn vom Landgericht strafmildernd gewertete und deshalb von der Revision angegriffene Umstände tatsächlich (auch) den Schuldspruch beträfen. Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft - neben zahlreichen anderen Einwendungen gegen die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Strafzumessungserwägungen - zwar auch eine rechtfehlerhafte Beweiswürdigung im Hinblick auf den von der Strafkammer als strafmildernd gewerteten Umstand, dass die Tatplanerweiterung des Angeklagten und seines Mittäters auf einem spontanen und erst vor Ort gefassten Entschluss beruhte. Die Feststellungen, dass es sich insoweit um eine Spontantat handelte, sind jedoch nicht tatbestandsrelevant. Der Tatvorsatz liegt unabhängig davon vor, wann der Tatentschluss gefasst wurde und zu welchem Zeitpunkt er in welchem Maße vor dem Eindringen der Täter in das Haus konkretisiert war, weshalb der Schuldspruch von dem Revisionsangriff in jedem Fall unberührt bliebe.
13
Bei einer Teilaufhebung wäre hier auch nicht zu befürchten, dass die stufenweise entstehende Gesamtentscheidung unter inneren Widersprüchen litte. Veränderte Feststellungen zum Zeitpunkt des konkreten Tatentschlusses des Angeklagten würden die Gesamtentscheidung lediglich modifizieren und nicht widersprüchlich erscheinen lassen.

III.


14
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
15
1. Die den strafzumessungsrelevanten Feststellungen der Strafkammer zugrunde liegende Beweiswürdigung ist unter Berücksichtigung des revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs frei von Rechtsfehlern.
16
Dies gilt auch im Hinblick auf die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nur einen Einbruchdiebstahl geplant und ihren Tatentschluss erst vor Ort auf die Ausführung eines Raubes erweitert haben, denn das Gericht hat sich auch insoweit seine Überzeugung auf einer ausreichenden objektiven Beweisgrundlage gebildet.
17
Zwar war es zur Überprüfung der Anwesenheit eines Hausbewohners nicht erforderlich, dass sich der Angeklagte beim Klingeln unmittelbar vor der Haustür postierte. Dieses Vorgehen ist aber nicht als derart ungewöhnlich risikoreich zu werten, dass es als gewichtiges Indiz für einen von vornherein geplanten Raub hätte gewertet werden müssen. Denn auch dann, wenn ein Täter nur einen Einbruch plant, kann er auf das unerwartete Öffnen der Tür durch einen Hausbewohner noch mit der unverdächtig erscheinenden Nachfrage nach einer angeblich dort wohnhaften Person reagieren. Für einen zunächst nur geplanten Einbruchdiebstahl sprach ohne Weiteres, dass der Angeklagte und sein Mittäter ausschließlich für einen Einbruch nützliche Gegenstände mit sich führten und demgegenüber keine Vorsorge für die Fesselung bzw. Ruhigstellung eines anwesenden Hausbewohners getroffen hatten. Zur Fesselung der Zeugin St. wurde ein vor Ort aufgefundener Schal verwendet. Nachdem sich diese Fesselung bereits nach kurzer Zeit als unzureichend erwiesen hatte, mussten der Angeklagte und sein Mittäter zunächst nach anderen Mitteln zur Fesselung suchen. Auch auf die Idee, das mitgeführte Klebeband zur Fesselung zu nutzen , kamen sie nicht.
18
2. Der Strafausspruch hält auch im Übrigen sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Rechtsfehler bei der Wahl des Strafrahmens zeigt auch die Revision nicht auf. Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und dabei alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt. In Anbetracht der zahlreichen strafmildernden Umstände (umfassendes Geständnis, junges Alter des Angeklagten, Unbestraftheit, Erstverbüßer, spontane Tatplanerweiterung, gewisser Dilettantismus und wenig vorausschauende Planung der Tat) ist daher die Annahme eines minder schweren Falls gemäß § 250 Abs. 3 StGB aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, auch wenn eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre.
19
3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revision der Staatsanwaltschaft nicht ergeben (§ 301 StPO).
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

Tenor

Unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels wird das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) in den Fällen 1 (Tat vom 20. September 2013) und 3 – 5 (Taten vom 20. und 26. August sowie vom 20. September 2014) der Urteilsgründe

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

In diesem Umfang wird die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 476/12
vom
15. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. Oktober 2011, soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

A.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten der unerlaubten Ausfuhr von Betäubungsmitteln in 20.230 Fällen schuldig gesprochen. Es hat ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, und einer gesonderten Gesamtgeldstrafe von 700 Tagessätzen zu je 100 Euro verurteilt und den Verfall von Wertersatz in einer Höhe von 1.179.508,96 Euro angeordnet. Von der Anordnung erweiterten Werter- satzverfalls in Höhe eines weiteren Geldbetrages von 1.179.508,96 Euro hat es abgesehen.

I.


2
Der - nicht angefochtene - Schuldspruch beruht auf folgenden Feststellungen :
3
Der gesondert Verfolgte M. betrieb seit 2002 unter der Firma „G. “ einen Großhandel für Medikamente. Nach dem Wegfall des absoluten Versandverbots für Apotheken im Jahr 2004 beschloss er, unter Mitwirkung von ihm beschäftigter Mitarbeiter sowie eingeweihter Ärzte und Apotheker - darunter der Angeklagte - einen Internet-Großhandel aufzubauen, um im Ausland häufig nachgefragte sogenannte „ausgenommene Zubereitungen“ (Rivotril, Xanax, Alprazolam, Valium, Stilnox, Lorazepam, Zolpidem, Tafil und Tavor Expedit ) gewinnbringend zu verkaufen.
4
Die zumeist in den USA wohnhaften Kunden gaben hierfür auf weltweit abrufbaren Internetplattformen, die durch zwei von M. in Südafrika und Liechtenstein betriebene Unternehmen verantwortet wurden, Bestellungen auf. Diese wurden durch die eingebundenen Ärzte über einen speziellen Zugangscode entgegengenommen und rezeptiert. Der Angeklagte rief diese Rezepte ab und orderte - vielfach bei „G. “- die entsprechenden Medikamente, um sie sodann unter Benutzung seiner Privatadresse - entsprechend den abgegebenen Bestellungen - zu weit überhöhten Preisen an die Kunden zu versenden. Er wusste, dass zur Ausfuhr der hier als Betäubungsmittel anzusehenden Medikamente eine Ausfuhrgenehmigung nach § 11 BtMG erforderlich gewesen wäre. Ihm war auch bekannt, dass sich die Kunden zu keinem Zeitpunkt den Ärzten vorgestellt, sondern lediglich ihre Kreditkartendaten und einige gesundheitsbezogene und im Übrigen nicht nachprüfbare Informationen im Internet angegeben hatten.
5
Im Tatzeitraum zwischen dem 7. Oktober 2004 und dem 15. März 2006 versandte der Angeklagte in insgesamt 40.460 Fällen Produkte, davon in 20.230 Fällen ausgenommene Zubereitungen, im Übrigen „Lifestyle-Produkte“, die keine Betäubungsmittel darstellten, ins Ausland. Bei keiner Versendung wurde der Grenzwert der nicht geringen Menge der jeweiligen Stoffe erreicht oder überschritten. Der Angeklagte erhielt für seine Beteiligung eine Gewinnmarge von 10 Euro je Bestellung.

II.


6
1. Wegen sämtlicher Taten ist das Landgericht von jeweils gewerbsmäßiger unerlaubter Ausfuhr von Betäubungsmitteln ausgegangen, hat jedoch unter Anwendung von § 31 Nr. 1 BtMG das Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 29 Abs. 3 BtMG abgelehnt und die Strafen dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen. Von den 20.230 Versendungen ausgenommener Zubereitungen entfielen auf den Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 22. Dezember 2004 insgesamt 2.750 Versendungen und auf den anschließenden Zeitraum vom 23. Dezember 2004 bis zum 15. März 2006 weitere 17.480 Versendungen. Für die Taten im zuerst genannten Zeitraum hat das Landgericht jeweils Geldstrafen von 90 Tagessätzen, für die im späteren Zeitraum begangenen Taten im Hinblick auf eine durch den Wechsel des Versand- unternehmens erfolgte „Verfeinerung des Systems“ jeweils Freiheitsstrafen von neun Monaten verhängt und hieraus die vorgenannten Gesamtstrafen gebildet.
7
2. Die Anordnung von Wertersatzverfall erfasst die Hälfte des aus allen 40.460 Versendungen entnommenen, dem Angeklagten zugeflossenen Gesamterlöses , mithin 1.179.508,96 Euro. Die Nichtanordnung erweiterten Wer- tersatzverfalls hinsichtlich des den „Lifestyle-Produkten“ zugeordneten Restbe- trages von ebenfalls 1.179.508,96 Euro hat das Landgericht damit begründet, dass dessen Herkunft aus Straftaten nicht feststehe.

III.


8
Mit ihrer auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision zu Ungunsten des Angeklagten beanstandet die Staatsanwaltschaft Rechtsfehler bei der Strafzumessung sowie bei der Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls.
9
Der Generalbundesanwalt ist der Auffassung, die Revision sei insoweit nicht auf die Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls beschränkt. Vielmehr sei auch die Wertersatzverfallsanordnung angefochten, die er für rechtsfehlerhaft hält.

B.


10
Die Revision hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; sie wirkt sich insoweit sowohl zu Ungunsten des Angeklagten als auch zu seinen Gunsten (§ 301 StPO) aus. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

I.


11
Der Strafausspruch hat keinen Bestand.
12
1. Bei der Bemessung der Einzelstrafen hat das Landgericht rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei den ausge- führten ausgenommenen Zubereitungen um „Medikamente“ gehandelt habe, „die im therapeutischen Bereich ihren Einsatz finden“ (UA S. 78).
13
Das Landgericht hat dabei jedoch erkennbar nicht bedacht, dass nach den insoweit eindeutigen Feststellungen des Urteils im konkreten Fall gerade kein „therapeutischer“ Einsatz vorlag, denn die Versendungen beruhten, wie auch der Angeklagte wusste, auf Scheinrezepten, die von pflichtwidrig handelnden , in das Geschehen eingebundenen Ärzten für ihnen unbekannte Personen unkontrolliert ausgestellt worden waren.
14
2. Das Landgericht hat bei der Festsetzung der Einzelstrafen weiterhin nicht berücksichtigt, dass der Angeklagte von vorneherein mit dem Ziel gehandelt hat, sich durch eine Vielzahl von Ausfuhren ausgenommener Zubereitungen in großem Umfang zu bereichern. Es gilt insoweit im Kern nichts anderes als bei serienmäßig begangenen Delikten, in denen die Bereicherung durch gegen das Vermögen der Opfer begangene Taten erfolgt (vgl. dazu BGH, Urteile vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, und vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554).
15
3. Die aufgezeigten Mängel betreffen im Ansatz sämtliche Einzelstrafen. Unabhängig davon hat das Landgericht aber bei der Strafzumessung für die seit dem 23. Dezember 2004 begangenen Taten eine rechtlich nicht tragfähig begründete Erwägung zum Nachteil des Angeklagten angestellt: Während es für die zuvor begangenen Taten eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen ausgesprochen hat, hat es für die nachfolgenden Taten jeweils neun Monate Freiheitsstrafe verhängt. Gestützt ist diese erhebliche Steigerung der Strafen darauf , dass der Angeklagte zum 23. Dezember 2004 seinen Versand von dem Logistikunternehmen F. auf die Versendung mit der Deutschen Post umgestellt hatte, weil diese ihm sogenannte Trackingnummern zur Verfügung stellen konnte, wodurch Kundenrückfragen (nach dem Verbleib der Ware) besser bearbeitet werden konnten und auch die Kosten des Angeklagten reduziert wurden. Daraus hat das Landgericht eine erhöhte kriminelle Energie des Angeklagten abgeleitet.
16
Dies lässt besorgen, dass das Landgericht sich bei der Festsetzung der Einzelstrafen von rechtsfehlerhaften, für die Bemessung der Schuld des Angeklagten nicht relevanten Überlegungen hat leiten lassen. Die unerlaubte Ausfuhr von Medikamenten im Versandweg macht es unbedingt erforderlich, dass der Täter sich eines Versandunternehmens bedient. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Strafkammer zu den Trackingnummern und ihren sonstigen Ausführungen - zumal in der aus den unterschiedlichen Strafen ersichtlichen Dimension - ist nicht nachvollziehbar, dass er mehr Handlungsunwert oder eine höhere Strafzumessungsschuld auf sich geladen haben soll.
17
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass ohne diese Rechtsfehler in allen Fällen jeweils andere Einzelstrafen verhängt worden wären.
18
5. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der gebildeten Gesamtstrafen nach sich.
19
6. Auf den Umstand, dass das Landgericht in den Urteilsgründen eine Begründung der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gänzlich vermissen lässt (zur entsprechenden Darlegungspflicht vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 485/71, BGHSt 24, 268), kommt es mithin nicht mehr an.

II.


20
1. Die Revision ist nach Auffassung des Senats wirksam auf die Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls beschränkt.
21
Der Senat hält die Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung erweiterten Wertersatzverfalls für wirksam:
22
Die Anordnung wird vom Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft nicht umfasst. Dies ergibt sich, nachdem eine ausdrückliche Beschränkung der Revision nicht erfolgt ist, aus der Revisionsbegründung (vgl. schon BGH, Urteil vom 16. Februar 1956 - 3 StR 473/55, NJW 1956, 756), die der Senat analog § 300 StPO auszulegen hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1 StR 208/97, NJW 1997, 3322 f.; s. a. Nr. 156 Abs. 2, 2. Hs. RiStBV), und die sich konkret - neben Angriffen gegen die Strafzumessung des Landgerichts - allein gegen die Nichtanordnung des erweiterten Verfalls richtet.
23
Diese Beschränkung ist wirksam, weil zwischen der Anordnung des Wertersatzverfalls und der Nichtanordnung des erweiterten Wertersatzverfalls kein untrennbarer Zusammenhang besteht. Das Landgericht hat insgesamt 40.460 Versendungen festgestellt, wobei eine „Versendung“ jeweils einem durch die Versanddaten der vom Angeklagten überwiegend genutzten Postweltluftbriefe umgrenzbaren Versendungsvorgang entspricht (UA S. 56 f.). Sodann hat es festgestellt, dass dem Angeklagten sowohl durch die aus dieser Gesamtmenge entnommenen 20.230 verfahrensgegenständlichen Taten als auch durch die verbleibenden, nicht abgeurteilten 20.230 Versendungen Erlösbeträge von jeweils 1.579.508, 96 Euro zugeflossen sind.
24
Der vom Generalbundesanwalt vertretenen Auffassung, es liege nahe, dass einzelne Versendungen sowohl ausgenommene Zubereitungen als auch sog. „Lifestyle-Produkte“ enthielten, weshalb die nach § 73a StGB bzw. § 73d StGB abschöpfbaren Erlösbeträge jedenfalls teilweise aus denselben Taten stammten, die Anordnung des Wertersatzverfalls von der Nichtanordnung des erweiterten Verfalls mithin nicht trennbar sei, steht die Feststellung des Landgerichts entgegen, die weiteren, also nicht abgeurteilten Versendungen hätten sog. „Lifestyle-Produkte“, also gerade keine ausgenommenen Zubereitungen, zum Gegenstand gehabt (vgl. UA S. 89).
25
2. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Nichtanordnung des erweiterten Verfalls (§ 73d StGB) deckt entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft , welche die vom Landgericht vorgenommene Schätzung der erlangten Vermögenswerte angreift, keinen Rechtsfehler auf.
Wahl Graf Jäger
Cirener Radtke
24
a) Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen , sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Juni 2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471; BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 127; jeweils mwN). Solche Rechtsfehler liegen hier indes vor.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 294/16
vom
15. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darf nur die
Tatbegehung mit einer „nicht geringen Menge“ für sich genommen nicht bei der
Strafzumessung berücksichtigt werden; jedoch kann das Maß der Überschreitung
des Grenzwerts in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich
um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt. Ausgehend
von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat eine Überschreitung
des Grenzwerts grundsätzlich strafschärfende Bedeutung.
BGH, Urteil vom 15. März 2017 – 2 StR 294/16 – Landgericht Aachen
ECLI:DE:BGH:2017:150317U2STR294.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 14. September 2016 in der Sitzung am 15. März 2017, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Zeng, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. März 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe als bereits vollstreckt gilt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richten sich die Revision des Angeklagten sowie die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang begründet.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte „in zeitlicher Nähe“ zu einer am 19. Juni 2014 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung in den Niederlanden 390,21 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 38,9 g Tetrahydrocannabinol, ferner 795 g Amphetaminzubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 26,1 g Amphetaminbase und lagerte diese in seiner Wohnung und in einer Garage. Er beabsichtigte zumindest zum Zeitpunkt des Erwerbs, die Betäubungsmittel in den Niederlanden und in der Bundesrepublik Deutschland gewinnbringend zu veräußern; jedoch wurden sie von der niederländischen Polizei sichergestellt.

II.

3
Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist unbegründet.
4
1. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG, Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk), der kein Verfahrens-, sondern lediglich ein Vollstreckungshindernis begründet (vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2008 - C388 /08, NStZ 2010, 35, 39 mit Anm. Heine; BGH, Beschluss vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100 f.; Beschluss vom 9. Februar 2012 – 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138, 142; Beschluss vom 25. Juni 2014 – 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590; Beschluss vom 20. Oktober 2016 – 3 StR 245/16; Senat, Beschluss vom 16. November 2016 – 2 StR 246/16, NStZ-RR 2017, 116) liegt nicht vor. Zwar wurde der Angeklagte in anderer Sache von den Niederlanden nach Deutschland überstellt. Im Wege des Nachtragsersuchens wurde jedoch eine Auslieferungsbewilligung auch für die ihm hier zur Last gelegte Tat erteilt.
5
2. Die Anwendung deutschen Strafrechts ist rechtlich unbedenklich. Bei der Verfolgung einer Auslandstat bedarf es zur Anwendung deutschen Strafrechts nach § 6 Nr. 5 StGB grundsätzlich keines legitimierenden Anknüpfungspunkts im Inland (vgl. Senat, Urteil vom 7. November 2016 – 2 StR 96/14, NJW 2017, 1043, 1044 f. mit Anm. Heim). Deshalb kann offen bleiben, ob die vom Landgericht festgestellte Absicht des Angeklagten, die in den Niederlanden zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel auch in Deutschland zu veräußern, hinreichend belegt ist.
6
3. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
7
4. Zur Kompensation der langen Dauer des Revisionsverfahrens ist anzuordnen , dass ein Monat der Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Nach der Revisionshauptverhandlung am 14. September 2016 wurde ein Verkündungstermin bestimmt, was auf der Notwendigkeit einer Überprüfung zwischenzeitlich er- gangener Rechtsprechung beruhte. Der Verkündungstermin musste wegen Erkrankung von Senatsmitgliedern wiederholt verlegt werden, was zu einer mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht zu vereinbarenden Verzögerung des Abschlusses des Revisionsverfahrens geführt hat. Dies gebietet die Kompensationsentscheidung.

III.

8
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist im Wesentlichen begründet; lediglich die zugehörigen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben. Das Urteil weist bei der Strafzumessung einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf, worauf der Strafausspruch beruhen kann.
9
1. Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BtMG) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn (§ 46 Abs. 1 und 2 StGB) angenommen, es sei „strafmildernd zugunsten des Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der Amphetaminsalzzubereitung als auch hinsichtlich des Tetrahydrocannabinols die Grenzwerte zur nicht geringen Menge nur geringfügig überschritten wurden, nämlich um ein 2,5-faches und um ein fünffaches.“
10
2. Diese Erwägung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
11
a) Es liegt eine einheitliche Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor, die sich auf beide Betäubungsmittel und auf deren Gesamtmenge bezieht. Deren Wirkstoffgehalt beträgt insgesamt das 7,5-fache der nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Dieser Wirkstoffgehalt ist auch bei der Strafzumessung im Ganzen zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 473/02, NStZ 2003, 434).
12
b) Es ist allerdings rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei der Prüfung eines minder schweren Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG insoweit von einer relativ geringen Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge ausgegangen ist.
13
Ob ein derart besonderer Ausnahmefall vorliegt, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens nicht mehr angemessen erscheint, ist daran auszurichten , ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maß abweicht, dass die Anwendung eines Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. Senat, Urteil vom 19. März 1975 – 2 StR 53/75, BGHSt 26, 97, 99).In diese Gesamtwürdigung sind alle Um- stände einzubeziehen, die für die Wertung von Tat und Täterpersönlichkeit in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorangehen oder ihr nachfolgen. Bei der sonach erforderlichen Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ist die Frage , ob die Wirkstoffmenge um ein Vielfaches der nicht geringen Menge oder nicht sehr erheblich überschritten ist, regelmäßig von Bedeutung (BGH, Beschluss vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162, 165). Je höher im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge überschritten ist, umso eher wird im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung die für die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommen. Je geringer demgegenüber die Überschreitung des Grenzwerts ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falles. Eine nur geringe Grenzwertüberschreitung wird – weil unterhalb des „Durchschnittsfalles“ gelegen – ein Kriterium für die An- nahme eines minder schweren Falles sein, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht.

14
Daran gemessen halten sich die der Strafrahmenwahl zu Grunde liegenden Erwägungen noch innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Spielraums.
15
c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann der Umstand, dass der Angeklagte mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge Handel getrieben hat, jedoch bei der Strafzumessung im engeren Sinn nicht als bestimmender Milderungsgrund gewertet werden.
16
aa) Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG darf die Tatbegehung mit einer „nicht geringen Menge“ für sich genommen nicht berücksichtigt werden, weil dies nur die Erfül- lung des Qualifikationstatbestands beschreibt (§ 46 Abs. 3 StGB). Jedoch kann das Maß der Überschreitung des Grenzwerts in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt, wodurch praktisch allein die Erfüllung des Qualifikationstatbestands festgestellt ist. Wo diese Bagatellgrenze verläuft, hat in erster Linie der Tatrichter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzulegen. Ob sie „annähernd beim Doppelten der nicht geringen Menge“ (vgl. BGH,Beschluss vom 14. März 2017 – 4 StR 533/16), beim zweieinhalbfachen (so im Ergebnis Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141), bei der dreifachen nicht geringen Menge (so im Ergebnis Senat, Beschluss vom 31. März 2016 – 2 StR 36/16, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 44) liegt, oder ob die Bagatellgrenze bei Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge um ein Drittel (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 StR248/16 Rn. 31) noch eingehalten ist, kann hier offen bleiben. Bei einem Handeltreiben mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge handelt es sich jedenfalls nicht um eine derart geringe Überschreitung des Grenzwerts, dass diese Tatsache gemäß § 46 Abs. 3 StGB aus der Gesamtschau aller Strafzumessungsgründe ausscheiden müsste.
17
bb) Jenseits einer die Grenze zur Erfüllung des Qualifikationstatbestands nur unwesentlich überschreitenden Wirkstoffmenge hat das Maß der Überschreitung dieser Grenze regelmäßig die Bedeutung eines im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmenden Strafzumessungsgrundes.
18
Ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat die Überschreitung des Grenzwerts grundsätzlich strafschärfende Bedeutung (vgl. zur Festlegung der Bewertungsrichtung anhand der Strafrahmenuntergrenze Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, 1996, S. 119 f. mwN). Die Bewertungsrichtung wird insoweit durch die Anknüpfung des Qualifikationstatbestands gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an eine bestimmte Menge von Betäubungsmitteln vorgegeben. Unbeschadet des Erfordernisses einer Gesamtwürdigung aller Strafzumessungstatsachen ist die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge gegenüber der Mindeststrafe für sich genommen schärfend zu berücksichtigen.
19
Eine Orientierung an einem anderen Bezugspunkt, wie etwa einem normativen Normalfall, von dem aus ein einzelner Umstand im Rahmen seiner Be- wertungsrichtung als „strafmildernd“ oder „strafschärfend“ bezeichnet werden könnte, oder einem statistischen Durchschnitts- oder Regelfall als Bezugspunkt für die Bestimmung der Bewertungsrichtung, scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der konkreten Strafzumessung aus (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 351). Es bleibt daher bei der vom Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vorgegebenen Bewertungsrichtung, wonach das Maß der Überschreitung der nicht geringen Menge ein gegenüber der Mindeststrafe schärfender Gesichtspunkt ist.
20
cc) Soweit der Senat früher bemerkt hat, eine nur geringfügige Über- schreitung der Grenze zur nicht geringen Menge sei ein „Strafmilderungsgrund“ (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 2 StR 166/12, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 39; Urteil vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, Rn. 40; krit. BGH, Be- schluss vom 8. November 2016 – 5 StR 487/16 und Beschluss vom 10. Januar 2017 – 5 StR 552/16), hält er daran nicht fest.
21
Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 (NStZ-RR 2017, 47) ausgeführt hat, dass „eine geringe Überschreitung der Untergrenze zur nicht geringen Menge […] ein Strafmilderungsgrund“ sei, steht dies der Aufgabe der Rechtsprechung nicht entgegen, weil es sich insoweit nicht um eine tragende Erwägung handelt. Der 1. Strafsenat hatte die strafschärfende Erwägung des Tatrichters, der Grenzwert der nicht geringen Menge sei in jedem der zur Aburteilung stehenden Fälle „um ein Vielfaches“ überschritten,beanstandet, weil diese strafschärfende Erwägung in zwei Fällen auf die Feststellung bezogen war, dass der Grenzwert um das 1,8-fache überschritten war. Der Senat hat – tragend – insoweit ausgeführt , dass die 1,8-fache Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge „noch derart gering“ sei, dass dies jedenfalls „nicht als bestimmender Strafzumessungsgrund“ gewertet werden könne. Dies stehtin Einklang mit der Auffassung des Senats.
22
d) Die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne angeführte Erwägung des Landgerichts, „strafmildernd“ sei „zugunsten des Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der Amphetaminsalzzubereitung als auch hinsichtlich des Tetrahydrocannabinols die Grenzwerte zu den nicht geringen Mengen nur geringfügig überschritten wurden“, ist demnach rechtsfeh- lerhaft. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass der maßvolle Strafausspruch hierauf beruht.
23
3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet.
Appl Krehl Eschelbach Zeng Bartel

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 132/12
vom
2. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
2. August 2012 an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 22. Dezember 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 Alt. 1 StGB angenommen und diesen Sonderstrafrahmen nochmals gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Dies ist frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. Entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts lässt aber auch die Strafzumessung im engeren Sinne im Ergebnis einen durchgreifenden, den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat insoweit zu Gunsten des Angeklag- ten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft, als Erstverbüßer und nicht Deutsch sprechender Ausländer besonders strafempfindlich sei und dass er sich bereits mehr als sechs Monate in Untersuchungshaft befinde. Mildernd habe sich zudem ausgewirkt, dass er sich geständig eingelassen habe und durch die Tat auch selbst körperlich und psychisch verletzt worden sei. Das Landgericht hat "besondere Umstände, die sich zu seinen Lasten ausgewirkt hätten, nicht festgestellt". Dass es dennoch innerhalb des von ihm zugrunde gelegten Strafrahmens von drei Monaten bis sieben Jahre und sechs Monaten Freiheitsstrafe eine solche von fünf Jahren zugemessen hat, hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.
3
1. Die Strafbemessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, so dass das Revisionsgericht nur bei Vorliegen eines Rechtsfehlers eingreifen darf. Ein solcher kann etwa dann gegeben sein, wenn die Begründung für die verhängte Strafe dem Revisionsgericht die ihm obliegende sachlichrechtliche Nachprüfung nicht ermöglicht, die Erwägungen des Tatrichters in sich fehlerhaft sind oder sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nach oben oder unten löst (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 20 ff.; KKEngelhardt , 6. Aufl., § 267 Rn. 25 mwN). Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB hat das Gericht die Umstände gegeneinander abzuwägen, die für und gegen den Täter sprechen. Dies bedeutet indes nicht, dass jeder derartige Umstand der ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen bedarf und dass die Nichterörterung stets einen Rechtsfehler begründet. Das Gericht ist vielmehr lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entschei- den (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1994 - 3 StR 311/94, NStE Nr. 42 zu § 267 StPO mwN; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 267 Rn. 18).
4
2. Nach diesen Maßstäben ist ein revisionsrechtlich bedeutsamer Fehler der Strafbemessung hier nicht ersichtlich.
5
a) Zunächst ist mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu besorgen, dass das Landgericht innerhalb des nach zweifacher Milderung gewählten Strafrahmens ausschließlich für den Angeklagten sprechende Gesichtspunkte erwogen und gleichwohl eine im oberen Bereich des Strafrahmens angesiedelte Strafe verhängt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 2 StR 463/02, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 23). Vielmehr hat das Landgericht auch gegen den Angeklagten sprechende Umstände festgestellt, diese aber ersichtlich lediglich nicht als bestimmend im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO angesehen und daher in den schriftlichen Urteilsgründen bei der Strafzumessung nicht angeführt. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung, es habe besondere Umstände zu seinen Lasten nicht feststellen können. Hinzuweisen ist etwa auf folgende Gesichtspunkte, die im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB gegen den Angeklagten sprechen: So nahm das Opfer den Angeklagten unmittelbar nach dessen Einreise aus Brasilien in seine Wohnung auf, gewährte ihm mehrere Wochen lang Unterkunft und führte mit ihm eine Liebesbeziehung. Nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Opfer stach der Angeklagte mehrfach auf dieses ein, brachte ihm dabei (mindestens ) drei Stichverletzungen in den Hals bei und fügte dem nunmehr am Boden Liegenden mit einem Zimmermannshammer fünfzehn Kopfverletzungen zu, die zu trümmerartigen Brüchen des Hirnschädels und zum Tode führten. Diese besonderen Tatmodalitäten zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen , begegnet hier keinen rechtlichen Bedenken, da auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich ist, so dass für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität Raum bleibt, wenn auch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00, StV 2001, 615, 616).
6
b) Danach besteht entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kein Widerspruch zwischen der verhängten Freiheitsstrafe und der tatrichterlichen Bewertung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände. Namentlich kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, dass Strafschärfungsgründe gänzlich fehlten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar2003 - 2 StR 463/02, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 23) oder diese dem Landgericht bei der Strafzumessung völlig aus dem Blick geraten wären. Deshalb liegt auch eine rechtsfehlerhafte Lücke in der Begründung der Strafbemessung nicht vor. Die vom Generalbundesanwalt für seine gegenteilige Ansicht herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 - 5 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 336) hatte die Verhängung einer Strafe zum Gegenstand, die innerhalb des Regelstrafrahmens des § 250 Abs. 2 StGB als "eine beträchtliche Übersetzung der erheblichen Mindeststrafe" unbegründet geblieben war. Hier ist dagegen die Strafe einem Strafrahmen entnommen, der sich infolge zweifacher Milderung des Regelstrafrahmens ergeben hatte. In diesen Fällen kann das Gewicht, das den Milderungsgründen zukommt, schon durch die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens so weit relativiert sein, dass es innerhalb dieses Strafrahmens kaum noch mildernde Wirkung zu entfalten vermag und die gegen den Täter sprechenden Umstände, insbesondere die Schwere der Tat, eine Strafe im oberen Bereich des gemilderten Strafrahmens rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1987 - 1 StR 77/87, BGHSt 34, 355, 359 ff.).
Becker Hubert Schäfer
Mayer Ri'in BGH Dr. Spaniol befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR216/14
vom
31. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer,
Bender,
Dr. Quentin,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2013 wird verworfen. 2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf den Strafausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Sie hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist auf den Strafausspruch beschränkt. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Antrag der Revisionsführerin, mit dem sie die Aufhebung des Urteils insgesamt begehrt, aber unzweifelhaft aus der Begründung des Rechtsmittels, die sich ausschließlich mit der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zu milden Strafe befasst. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat das Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel weder den Schuld- noch den Maßregelausspruch angreifen will (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2011 - 4 StR 354/11 [juris Rn. 11], sowie die Nachweise bei Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 344 Rn. 6). Es liegt auch kein Fall vor, in dem eine Abhängigkeit der Strafhöhe vom (unterlassenen) Maßregelausspruch besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2011 - 2 StR 251/11, StV 2012, 203 f., sowie für den umgekehrten Fall BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 620/12 [juris Rn. 8]).

II.


3
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat aus den vom Generalbundesanwalt in der Zuschrift vom 21. Mai 2014 dargelegten Gründen keinen Erfolg. Der Strafausspruch weist weder einen den Angeklagten begünstigenden, noch einen ihn belastenden (§ 301 StPO) Rechtsfehler auf. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat lediglich:
4
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349). Das gilt auch insoweit, als die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (st. Rspr.; vgl.
etwa BGH, Urteile vom 26. Juli 2006 - 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339, 340; vom 27. Januar 2010 - 2 StR 498/09 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 20. August 2008 - 5 StR 375/08 [juris Rn. 3]).
5
Daran gemessen ist weder die Annahme des Landgerichts, es liege ein minder schwerer Fall vor, noch die Strafhöhe als durchgreifend rechtsfehlerhaft zu beanstanden. Dass die Strafkammer im Rahmen der Gesamtabwägung die im Urteil genannten Milderungsgründe - ohne dabei die Tat des Angeklagten zu verharmlosen - für so überwiegend hielt, dass es das Vorliegen eines minder schweren Falles bejahte, hält sich insbesondere bei Berücksichtigung des Zeitablaufs noch im Rahmen tatrichterlichen Ermessens. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Nennung zulässiger Strafschärfungsgründe wie etwa die Maskierung der Täter (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2000 - 4 StR 611/99; Urteile vom 5. November 1997 - 5 StR 504/97, NStZ 1998, 188; vom 20. April 2004 - 5 StR 87/04 [juris Rn. 7]) vermisst, gilt - neben dem oben genannten begrenzten Überprüfungsmaßstab - Folgendes: Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, dass ein für die Strafzumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 12. Mai 2005 - 5 StR 86/05; vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336). Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer Bender Quentin

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 JahreBetäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.