Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 07. Mai 2015 - 13 L 640/15.A
Tenor
Der Antrag und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus N. werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 26. Februar 2015 bei Gericht sinngemäß anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 1535/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Februar 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
5I. Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Absatz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antrag ist auch innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Bescheides und damit fristgerecht erhoben worden (§ 74 Absatz 1 AsylVfG).
7II. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
8Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
9Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Italien für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
10Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragstellers vom 8. Oktober 2014.
11Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Italien der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
12Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Antragsteller hat sich nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt am 8. Oktober 2014 vor seiner Einreise nach Deutschland in Italien aufgehalten. Dies wird bestätigt durch das Ergebnis der Abfrage der Eurodac-Datenbank durch das Bundesamt am 21. Oktober 2014. Die Antragsgegnerin hat am 9. Dezember 2014, und damit innerhalb der von Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung, Italien um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht. Nachdem Italien nicht innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von zwei Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmegesuchs geantwortet hat, ist nach Artikel 25 Absatz 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmeersuchen stattgegeben wird. Italien ist daher grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Aufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, aufzunehmen (Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO). Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
13Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
14Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
15Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Italien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
16Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
17Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
18Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der Zuständigkeit Italiens eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, von dem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Italien abzuschieben.
19Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die jeweiligen Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen – wie die der bisherigen Dublin II VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
20Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteile vom 10. Dezember 2013 – C 394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
21Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – nach Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, diesen nach Italien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
23der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben syste-misch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
24Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
25Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
26EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
27Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 ff. m.w.N.
29Nach diesen Maßstäben fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Italien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer dem Antragsteller drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta, Artikel 3 EMRK im Falle seiner Überstellung nach Italien nach sich ziehen könnten.
30So auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2015– 22 L 1020/15.A –, S. 5 ff. des Beschussabdrucks.
31Soweit der EGMR in seinem Urteil vom 4. November 2014 die Rückführung einer Familie mit Kindern nach Italien davon abhängig gemacht hat, dass der abschiebende Staat zunächst die individuelle Garantie seitens der italienischen Behörden erhalten hat, dass die Familie in einer Art und Weise in Obhut genommen wird, die dem Alter der Kinder angepasst ist, und dass die Familie zusammengehalten wird,
32vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, – 29217/12 – (Tarakhel . /. Schweiz), juris,
33kann der Antragsteller als alleinstehender junger Mann daraus für sich nichts herleiten. Der EGMR stützt seine Entscheidung auf die besondere Situation einer Familie mit sechs minderjährigen Kindern, insbesondere auf die spezifische Schutzbedürftigkeit von Kindern und das Gebot der Wahrung der Familieneinheit. Die allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien stehen nach Auffassung des EGMR – anders als diejenigen in Griechenland – für sich genommen einer Rückführung von Asylbewerbern dorthin gerade nicht entgegen,
34vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, – 29217/12 – (Tarakhel . /. Schweiz), Rn. 114 f., juris und Entscheidung vom 13. Januar 2015, – 51428/10 – (A.M.E. ./. Niederlande), Rn. 35, juris (in englischer Sprache).
35Im Falle eines jungen männlichen Asylbewerbers sieht der EGMR gerade keine Grundlage für die Vermutung, ihm drohe im Falle der Rückführung nach Italien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Artikel 3 EMRK.
36EGMR, Entscheidung vom 13. Januar 2015, – 51428/10 – (A.M.E. ./. Niederlande), juris (in englischer Sprache).
37Auch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) hat in seinem Urteil vom 24. April 2015 (14 A 2356/12.A) unter Bezugnahme auf die vorstehend genannte Entscheidung des EGMR und eine seinerseits eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 2015 entschieden, dass nicht festgestellt werden kann, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen, die die Annahme erlaubten, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Zur Begründung führt es unter anderem folgendes aus:
38„Nach der im hiesigen Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6.1.2015 (dort irrtümlich 6.1.2014) hat sich an der Erkenntnislage, die der Entscheidung des beschließenden Gerichts vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - zu Grunde lag, nichts geändert. Auch sonst liegen dem Senat keine Erkenntnisse über relevante Veränderungen vor. Insbesondere stellt die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien keinen Umstand dar, der eine veränderte Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden.“
39OVG NRW, Urteil vom 24. April 2015 – 14 A 2356/12.A –, juris, Rn. 35.
40Das erkennende Gericht schließt sich diesen obergerichtlichen Ausführungen an.
41Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG keine Bedenken. Es sind weder zielstaatsbezogene noch in der Person des Antragstellers, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
42Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den geschilderten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO).
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
44Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
45Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 07. Mai 2015 - 13 L 640/15.A
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 20. März 2015 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 2253/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. März 2015 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
6Der Antrag ist nach § 34a Abs. 2 S. 1 AsylVfG zulässig, insbesondere ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe gewahrt.
7Der Antrag ist aber unbegründet.
8Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Absatz 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Absatz 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
9vgl. hierzu bereits mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR ‑, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 ‑, juris, Rdn. 3 f.; siehe auch bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 7. Januar 2014 – 13 L 2168/13.A ‑ und 24. Februar 2014 – 13 L 2685/13.A ‑, juris.
10Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich ‑ nicht ausschließlich ‑ an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten des Antragstellers aus, denn die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sonstige greifbare Anhaltspunkte, aufgrund derer das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegen könnten, sind nicht ersichtlich.
11Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
12Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG.
13Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III‑VO). Diese findet gemäß ihres Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, mithin auch auf den vom Antragsteller im November 2015 gestellten Asylantrag.
14Nach Art. 13 Abs. 1 der Dublin III‑VO ist Italien für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Die Anfrage im EURODAC-Verzeichnis hat ausweislich des Übermittlungsprotokolls vom 18. November 2014 ergeben, dass sich der Antragsteller vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in Italien aufgehalten und dort einen Asylantrag gestellt hat.
15Die damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III‑VO für Italien anzunehmende Zuständigkeit ist auch nicht nachträglich entfallen. Insbesondere hat das Bundesamt innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO genannten Frist am 9. Januar 2015 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Italien hat hierauf nicht reagiert, sodass gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 der Dublin III-VO seit Ablauf des 23. Januar 2015 davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung Italiens zur Wiederaufnahme des Antragstellers begründet. Der Einwand des Antragstellers, das Wiederaufnahmeersuchen sei Italien eventuell tatsächlich gar nicht zugegangen und daher auch keine Zustimmungsfiktion eingetreten, greift nicht durch. Es bestehen angesichts der im Verwaltungsvorgang befindlichen automatischen, anhand einer Referenznummer dem Einzelfall zuzuordnenden Eingangsbestätigung der italienischen Behörde keine Zweifel am Zugang des Wiederaufnahmeersuchens.
16Ferner ist die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Antragsgegnerin übergegangen. Die (hier fingierte) Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Italien liegt weniger als sechs Monate zurück.
17Darüber hinaus kann sich der Antragsteller auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Antragsgegnerin sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil seiner Überstellung nach Italien rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
18vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rdn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rdn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rdn. 7.
19Davon abgesehen ist die Antragsgegnerin aber auch nicht - unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO - nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, den Antragsteller nach Italien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für den Antragsteller eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,
20EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,
21der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rdn. 94.
23Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
24EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rdn. 86.
25Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rdn. 6 ff. m.w.N.
27Nach diesen Maßstäben fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Italien mit systemischen Mängeln behaftet wären, die eine beachtliche Gefahr einer dem Antragsteller drohenden unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh, Art. 3 EMRK im Falle seiner Überstellung nach Italien nach sich ziehen könnten.
28Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil vom 4. November 2014 die Rückführung einer Familie mit Kindern nach Italien davon abhängig gemacht hat, dass der abschiebende Staat zunächst die individuelle Garantie seitens der italienischen Behörden erhalten hat, dass die Familie in einer Art und Weise in Obhut genommen wird, die dem Alter der Kinder angepasst ist, und dass die Familie zusammengehalten wird,
29vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Az. 29217/12 (Tarakhel . /. Schweiz), juris,
30kann der Antragsteller als alleinstehender junger Mann daraus für sich nichts herleiten. Der EGMR stützt seine Entscheidung auf die besondere Situation einer Familie mit sechs minderjährigen Kindern, insbesondere auf die spezifische Schutzbedürftigkeit von Kindern und das Gebot der Wahrung der Familieneinheit. Die allgemeinen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien stehen nach Auffassung des EGMR – anders als diejenigen in Griechenland – für sich genommen einer Rückführung von Asylbewerbern dorthin gerade nicht entgegen,
31vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, Az. 29217/12 (Tarakhel . /. Schweiz), Rdn. 114 f., juris und Entscheidung vom 13. Januar 2015, Az. 51428/10 (A.M.E. ./. Niederlande), Rdn. 35, juris (in englischer Sprache).
32Im Falle eines jungen männlichen Asylbewerbers sieht der EGMR gerade keine Grundlage für die Vermutung, ihm drohe im Falle der Rückführung nach Italien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK.
33EGMR, Entscheidung vom 13. Januar 2015, Az. 51428/10 (A.M.E. ./. Niederlande), juris (in englischer Sprache).
34Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Antragstellers. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
35vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rdn. 130.
36Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Italien dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
37Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen im Beschluss vom 27. Januar 2015 (Az. 7a 1718/14.A), auf die der Antragsteller sich stützt, betreffen die Situation von neu in Italien aufzunehmenden Flüchtlingen sowie Flüchtlingen, denen keine Möglichkeit der Antragstellung gegeben wurde. Diese Umstände lassen keinen hinreichenden Rückschluss auf die Situation zu, die den Antragsteller nach einer Rücküberstellung nach Italien voraussichtlich erwartet. Denn der Antragsteller hatte nach seinen eigenen Angaben die Möglichkeit, einen Asylantrag in Italien zu stellen, hatte diesen auch gestellt und war – wenn auch nach einer neunmonatigen Wartezeit – in Italien in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht und versorgt worden. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Falle einer (vom Bundesamt gemäß Art. 8 ff der Durchführungsverordnung zur Dublin-VO,
38Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013,
39vorzubereitenden) Überstellung nicht wieder einen Platz in der ihm bereits zugewiesenen oder einer anderen Unterkunft erhalten wird.
40Auch das weitere Vorbringen des Antragstellers bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine ihm ernsthaft drohende Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. Sein Vortrag, er habe Arbeiten übertragen bekommen, die er aus gesundheitlichen Gründen (wegen Allergien) nicht habe ausführen können, lässt nicht erkennen, dass er den italienischen Behörden die hier geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen mitgeteilt hat, um etwa eine Entbindung von diesen Arbeiten zu erreichen. Ausweislich der Mitteilung einer italienischen Liaisonbeamtin des Bundesamtes vom 16. Januar 2015 an das Bundesamt hat der Antragsteller in Italien nie bei der Questura wegen eventueller Gesundheitsprobleme vorgesprochen. Sein Vorbringen, bei den Arbeiten sei ausschließlich Essen angeboten worden, „welches bereits – dem Verfallsdatum nach – nicht mehr gut“ gewesen sei, ist nicht hinreichend substantiiert, allzumal es sich bei einem „Verfallsdatum“ auf Nahrungsmittelpackungen ebenso um die Angabe eines Mindesthaltbarkeitsdatum handeln kann, das keine Aussage darüber trifft, dass das Nahrungsmittel nach Ablauf des Datums nicht mehr zum Genuss geeignet wäre.
41Unter diesen Umständen steht gegenwärtig auch im Sinne von § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat nach dieser gesetzlichen Maßgabe neben zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen auch zu prüfen, ob der Abschiebung inlandsbezogene Vollzugshindernisse entgegenstehen. Für eine insoweit eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde verbleibt daneben kein Raum,
42vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14-, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 -18 B 1060/11 -, juris Rdn. 4; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012- 2 LB 163/10 -, juris Rdn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris Rdn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris Rdn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris Rdn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rdn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rdn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004- 2 M 299/04 -, juris Rdn. 9 ff.
43Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen,
44vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris m.w.N.
45Derartige zielstaats- oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sind nicht ersichtlich.
46Sonstige Gründe für ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse sind nicht erkennbar.
47Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
48Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger, ein 23jähriger lediger Kurde yezidischen Glaubens mit syrischer Staatsangehörigkeit, beantragte am 7.7.2011 gegenüber der Beklagten die Gewährung von Asyl. In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28.7.2011 gab er an, von der Türkei mit einem Schiff nach Italien und von dort mit dem Zug nach Deutschland gefahren zu sein. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, nicht den sonst bevorstehenden Wehrdienst leisten zu wollen, weil er dann auf das unschuldige Volk zu schießen habe. Er habe auch an einigen Demonstrationen in Hassake teilgenommen, was die Polizei aber festgestellt und ihm eine Vorladung geschickt habe, zu der er nicht hingegangen sei.
3Auf ein Übernahmeersuchen der Beklagten erklärte Italien unter dem 6.10.2011 seine Übernahmebereitschaft. Mit Bescheid vom 11.10.2011 stufte die Beklagte den Asylantrag als unzulässig ein und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Der Asylantrag sei gemäß § 27a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) unzulässig, da nach § 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 (ABl. L 50/1 vom 25.2.2003 ‑ Dublin II‑VO ‑) Italien für die Prüfung des Asylantrags zuständig sei. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
4Mit der am 26.1.2011 erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diesen Bescheid gewandt und vorgetragen: Er erhalte in Italien wegen der dortigen Überlastung der Behörden keinen Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards. Im Fall der Abschiebung drohe ihm, dem Kläger, in Italien ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren. Das Konzept normativer Vergewisserung bei der Einstufung sicherer Drittstaaten greife hier nicht. Es lägen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe vor, dass er aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Fall einer Überstellung nach Italien Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Die Beklagte sei daher zum Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin II‑VO verpflichtet.
5Er könne auch über eine bloße Aufhebung des Bescheides die Verurteilung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Feststellung von Abschiebungshindernissen beanspruchen, da das Gericht durchzuentscheiden habe und nicht etwa bloß an die Asylbehörde zurückverweisen dürfe. Er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da ihm generell wegen zu erwartender Verhöre bei Rückkehr, seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts, aber auch wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und der von Kurden organisierten Demonstrationen in Hassake, an denen er teilgenommen habe, politische Verfolgung drohe.
6Der Kläger hat beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2011 zu verpflichten,
81. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie
92. hilfsweise festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat vorgetragen, dass kein Fall einer Ausnahme vom Konzept der normativen Vergewisserung vorliege.
13Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten, mit der sie vorträgt: In Italien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen einschließlich der Gesundheitsversorgung vor, die einer Abschiebung dorthin entgegenstünden.
14Sie beantragt,
15unter Abänderung des angegriffenen Urteils die Klage abzuweisen.
16Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Der Berichterstatter ist auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten zur Entscheidung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑) ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO) berufen.
20Die Klage umfasst im Anfechtungsteil jedenfalls die Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2011 und ist darüber hinaus auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung internationalen Schutzes gerichtet. Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11.10.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der Kläger hat auch keinen Anspruch (§ 113 Abs. 5 VwGO) auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch die Beklagte oder auf deren Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes.
21Der Asylantrag vom 7.7.2011 ist nämlich gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschiften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier nach Art. 10 Abs. 1, 5 Abs. 2 Dublin II‑VO Italien, da der Kläger über Italien eingereist, hier den Asylantrag gestellt und Italien seine Übernahmebereitschaft nach Art. 18 Dublin II‑VO erklärt hat. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013 ‑ Dublin III‑VO ‑), wonach diese Nachfolgeverordnung erst für Anträge auf internationalen Schutz gilt, die im Laufe des Jahres 2014 gestellt werden. Aus der Unzulässigkeit des Asylantrags folgt, dass die Beklagte befugt war, gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II‑VO die Überstellung des Klägers an den zuständigen Mitgliedstaat Italien zu betreiben. Nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II‑VO war die Beklagte daher unionsrechtlich befugt, dem Kläger durch den angefochtenen Bescheid die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Kläger an den zuständigen Mitgliedstaat Italien zu überstellen, mitzuteilen. Die Abschiebungsanordnung rechtfertigt sich aus § 34a Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das ist mit der Übernahmeerklärung Italiens vom 6.10.2011 der Fall.
22Gegen den so unionsrechtlich legitimierten Bescheid kann zwar nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II‑VO der vorliegende Rechtsbehelf eingelegt werden. Entgegen dem angegriffenen Urteil besteht jedoch die Zuständigkeit Italiens und stehen einer Überstellung nach Italien keine Hinderungsgründe entgegen. Das wäre unionsrechtlich nur dann nicht der Fall, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCharta) (= Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ‑ EMRK ‑) ausgesetzt zu werden. Dabei berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten, die Dublin II‑VO zu beachten. Denn auf Grund des Konzepts der sicheren europäischen Drittstaaten (Art. 36 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 ‑ ABl. L 326/13 vom 13.12.2005 ‑, heute Art. 39 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 ‑ ABl. L 180/60 vom 29.6.2013 ‑) und des Prinzips gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GRCharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.
23EuGH, Urteil vom 21.12.2011 ‑ C‑411 und 493/10, NVwZ 2012, 417 Rn. 78 - 80, 82, 94; Urteil vom 14.11.2013 ‑ C‑4/11 ‑, NVwZ 2014, 129 Rn. 36; Urteil vom 10.12.2013 ‑ C‑394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 60, 62.
24Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den nach der Dublin II‑VO für ihn zuständigen Mitgliedstaat daher nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 ‑ 10 B 35.14 ‑, NVwZ 2014, 1677.
26Dieser unionsrechtlichen Lage, die ohnehin Vorrang vor nationalem Recht hat, entspricht auch im Kern die nationale Rechtslage. Dass Italien als Mitglied der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat ist, steht kraft normativer Vergewisserung des Verfassungsgesetzgebers fest (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes). Dem kann nur damit entgegengetreten werden, dass es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Kläger von einem der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten, im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an diese Darlegung strenge Anforderungen zu stellen sind.
27Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 ‑ 2 BvR 1938, 2315/93, ‑, BVerfGE 94, 49 (99 f.); zu den Fallgruppen vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl., § 26a Rn. 3 ff.
28Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat sind ‑ hier allenfalls in Betracht kommende ‑ Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK = Art. 4 GRCharta) greift. Dabei ist der Asylbewerber ‑ wie im Unionsrecht ‑ mit dem Einwand ausgeschlossen, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden.
29Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 ‑ 2 BvR 1938, 2315/93, ‑, BVerfGE 94, 49 (98 f.)
30Maßgebend für die gerichtliche Verneinung des Status eines sicheren Drittstaates ist nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, ob die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien an die zu fordernden und bei Einführung des § 27a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards reichen oder ob eine prekäre Situation von Asylbewerbern im Hinblick auf die materiellen Aufnahmebedingen gegeben ist, sondern ob wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
31Für den Schutzumfang ist dabei zu berücksichtigen, dass Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK zuvörderst eine Unterlassenspflicht für Italien begründen (Verbot, jemanden einer bestimmten Behandlung zu unterwerfen). Dass Italien seine Asylbewerber aktiv unmenschlich oder erniedrigend behandelt, und zwar nicht in Einzelfällen, sondern systemisch, wird von keiner Erkenntnisquelle gestützt und auch vom angegriffenen Urteil nicht behauptet. Vielmehr geht es darum, dass Italien materielle Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nicht in ausreichendem Maße gewährleisten soll. Es geht also nicht um einen Verstoß gegen Unterlassenspflichten, sondern um einen Verstoß gegen Gewährleistungsrechte, insbesondere Schutzpflichten, soweit sie aus Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK abgeleitet werden können.
32Vgl. zum Unterschied in der Beeinträchtigungsform Jarass, GRCharta, 2. Aufl., Art. 4 Rn. 7; Höfling in: Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur GRCharta, Art. 4 Rn. 3; Borowsky in: Meyer, GRCharta, 4. Aufl., Art. 4 Rn. 20.
33Im Bereich von medizinischer und sozialer Fürsorge kann es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Verbot, jemanden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterwerfen, von vorneherein nur um die Gewährleistung einer unabdingbaren Grundversorgung gehen. Dagegen würde etwa verstoßen, wenn Asylbewerber aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen monatelang obdachlos und ohne Zugang zu jeder Versorgung wären.
34Bank in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, 1. Bd., 2. Aufl., Kap. 11 Rn. 110 ff., insbes. 115.
35Die Eingriffsschwelle von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCharta wird durch Missstände im sozialen Bereich nur unter strengen Voraussetzungen überschritten.
36Vgl. die Rechtsprechungsnachweise für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei Iliopoulos-Strangas in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, § 145 Rn. 72; Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 27 Anm. K9: hinsichtlich Gesundheitsversorgung und Unterbringung nur bei gänzlicher Versorgungsverweigerung mit existenzbedrohenden oder unmenschlicher Behandlung gleichkommenden Folgen.
37Nach diesen Maßstäben kann nicht festgestellt werden, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen, die die Annahme erlaubten, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Das ist in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts geklärt.
38Vgl. das den Beteiligten mitgeteilte Urteil vom 7.3.2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, NRWE; zuletzt Beschluss vom 28.1.2015 ‑ 11 A 2550/14.A ‑, S. 5 f. des Beschlussabdrucks; zuletzt durch den beschließenden Senat Beschluss vom 18.8.2014 ‑ 14 A 1613/13.A ‑, S. 2 f. des Beschlussabdrucks.
39Diese Bewertung steht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung anderer Bundesländer,
40vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 27.5.2014 ‑ 2 LA 308/13 ‑, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.4.2014 ‑ A 11 S 1721/13 ‑, InfAuslR 2014, 293; Bay. VGH, Urteil vom 28.2.2014 ‑ 13a B 13.30295 ‑, BayVBl. 2014, 628; Hess. VGH, Beschluss vom 28.2.2014 ‑ 10 A 681/13.Z.A ‑, juris; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21.2.2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris; OVG S.-A., Beschluss vom 14.11.2013 ‑ 4 L 44/13 ‑, juris,
41und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,
42vgl. zuletzt Decision vom 13.1.2015 ‑ 51428/10 ‑, juris.
43Nach der im hiesigen Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6.1.2015 (dort irrtümlich 6.1.2014) hat sich an der Erkenntnislage, die der Entscheidung des beschließenden Gerichts vom 7.3.2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑ zu Grunde lag, nichts geändert. Auch sonst liegen dem Senat keine Erkenntnisse über relevante Veränderungen vor. Insbesondere stellt die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien keinen Umstand dar, der eine veränderte Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden.
44Stellt sich die verfügte Unzulässigkeit des Asylantrags als rechtmäßig dar, besteht der im Verpflichtungswege verfolgte Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung und hilfsweise subsidiären Schutz durch die Beklagte nicht.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
46Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.