Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 30. Okt. 2015 - 7 K 8047/14

ECLI:ECLI:DE:VGD:2015:1030.7K8047.14.00
bei uns veröffentlicht am30.10.2015

Tenor

Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 06. November 2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.


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Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 30. Okt. 2015 - 7 K 8047/14

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 30. Okt. 2015 - 7 K 8047/14

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 30. Okt. 2015 - 7 K 8047/14 zitiert 16 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 55 Bleibeinteresse


(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 53 Ausweisung


(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 56 Überwachung ausreisepflichtiger Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit


(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei de

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 51 Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; Fortgeltung von Beschränkungen


(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen: 1. Ablauf seiner Geltungsdauer,2. Eintritt einer auflösenden Bedingung,3. Rücknahme des Aufenthaltstitels,4. Widerruf des Aufenthaltstitels,5. Ausweisung des Ausländers,5a. Bekanntgabe einer Absc

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Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 30. Okt. 2015 - 7 K 8047/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 14. Mai 2013 - 1 C 13/12

bei uns veröffentlicht am 14.05.2013

Tatbestand 1 Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 10. Juli 2012 - 1 C 19/11

bei uns veröffentlicht am 10.07.2012

Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 07. März 2012 - 11 S 3269/11

bei uns veröffentlicht am 07.03.2012

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. April 2009 - 4 K 1175/08 - aufgehoben.Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 27. März 2008 wird aufgehoben.Der Beklagte trägt die Kosten des V

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Apr. 2011 - 11 S 189/11

bei uns veröffentlicht am 15.04.2011

Tenor Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiese

Referenzen

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

14

1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt. In Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und wendet sich gegen seine Ausweisung.
Er ist am 01.10.1981 in ... geboren und dort aufgewachsen. Sein 1947 geborener Vater war im Bundesgebiet seit 1973 erwerbstätig und verstarb 2009 an den Folgen einer 1999 diagnostizierten Krebserkrankung. Seine 1950 geborene Mutter lebt seit 1978 in Deutschland und ist nach einem Hirninfarkt mit Halbseitenlähmung und weiteren Erkrankungen hilfebedürftig. Sie wird durch Familienmitglieder unterstützt und gepflegt. Im Bundesgebiet leben die vier älteren, in den Jahren 1971, 1972, 1973 und 1979 geborenen Brüder des Klägers, die teilweise hier eigene Familien haben. Die drei ältesten Brüder wuchsen zunächst bei ihren Großeltern in der Türkei auf und kamen im Kindesalter nach Deutschland.
Am 02.10.1997 wurde dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Er erwarb 1998 den Hauptschulabschluss und schloss am 18.07.2001 eine Lehre als Verpackungsmittelmechaniker erfolgreich ab. Sein bisheriger Ausbildungsbetrieb setzte ihn in unmittelbarem Anschluss an das Ende seiner Ausbildung als Drucker ein. Nach eigenen Angaben arbeitete der Kläger wegen einer durch die andauernde Belastung mit Lösungsmitteln hervorgerufenen Erkrankung nur etwa zwei Jahre in seinem erlernten Beruf. Danach bezog er Arbeitslosengeld. Im Jahre 2003 war er kurzzeitig als Konzessionsinhaber des Pizza-Services „...“ in ... registriert, wobei die Pizzeria aufgrund einer „Verrechnung“ in einem Drogengeschäft erworben worden war.
Der Kläger wurde am 06.10.1999 in einem Zug einer verdachtsunabhängigen Kontrolle unterzogen, bei der ein Gramm Marihuana und eine Haschischpfeife gefunden wurden. Von der Verfolgung wurde nach § 45 Abs. 1 JGG abgesehen. Nach einem „Tipp aus der Szene“ wurde gegen ihn ab dem Sommer 2003 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt. Am 08.04.2004 erließ das Amtsgericht ... deswegen einen Haftbefehl, seit 09.05.2005 bestand ein europäischer Haftbefehl. Die Verhaftung des Klägers erfolgte am 02.06.2005 in den Niederlanden. Am 12.08.2005 wurde er an die deutschen Behörden überstellt; zuvor hatte er sich in den Niederlanden erfolglos um gerichtlichen Rechtsschutz gegen seine Auslieferung bemüht.
Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Kläger mit Urteil vom 24.11.2005 - 5 KLs 221 Js 100500/04 -, das noch am gleichen Tag rechtskräftig wurde, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe. Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit dem gesondert verfolgten Mittäter ... Y., wurde angeordnet.
Das Landgericht traf ausweislich der nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründe im Wesentlichen folgende Feststellungen: Der Kläger beschloss spätestens Mitte des Jahres 2002, sich aus dem fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und einer gewissen Dauer zu verschaffen. Er verkaufte im Sommer 2002 zweimal jeweils mindestens ein Kilo Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% gewinnbringend zum Grammpreis von 4,30 EUR an die gesondert verfolgten M.K. und A.Y. (Taten 1 und 2 gemäß des Strafurteils). Spätestens im Oktober 2002 beschlossen der Kläger und der gesondert verfolgte ... Y., sich in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken durch den fortlaufenden gewinnbringenden Verkauf von Marihuana in Stuttgart eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Die Beschaffung und den Vertrieb organisierten sie arbeitsteilig, wobei ... Y. sich die Letztentscheidungskompetenz vorbehielt. Das Marihuana, dessen THC-Gehalt mindestens 15% betrug, verkauften sie an A.M. der es seinerseits an seine Abnehmer G.L. und F.M. weiterveräußerte. Gegenstand der im Strafurteil im Einzelnen aufgeführten und zwischen Oktober 2002 und April 2003 begangenen Taten 3 - 12 (UA S. 4 f.) waren insgesamt mindestens 24,5 kg Marihuana, wobei von den bei den Taten 9, 11 und 12 gehandelten Rauschgiftmengen etwa 12,8 kg sichergestellt werden konnten. Die Polizei verhaftete F.M. am 09.04.2003 und A.M. am 16.04.2003. Spätestens Anfang Dezember 2003 schlossen sich der Kläger, ... Y., M.Y. sowie die beiden Brüder des Klägers N. und M. zu einer Gruppierung zusammen mit dem Ziel, künftig in ... und Umgebung für eine gewisse Dauer erhebliche Mengen Marihuana sowie Kokain jeweils guter Qualität (Wirkstoffgehalt THC mindestens 10 % bzw. Kokainhydrochlorid mindestens 35 %) gewinnbringend weiterzuverkaufen, um sich daraus eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Entsprechend der gemeinsamen Abrede vereinbarten sie ein arbeitsteiliges Vorgehen, wobei es Aufgabe des Klägers und von ... Y. war, die Betäubungsmittelbeschaffung und deren Weiterverkauf zu organisieren. Insbesondere legten sie gemeinsam die jeweiligen Lieferzeitpunkte fest und kontrollierten den Zahlungsverkehr. Mittels sog. Palms glichen sie von Zeit zu Zeit die von ihnen arbeitsteilig erzielten Ergebnisse ab. Im Verhältnis untereinander konnte ... Y. dem Kläger Weisungen erteilen. Bei Bedarf teilten beide den anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zu. Als Umschlagplatz für die Betäubungsmittel diente die von beiden gemeinsam bewohnte Wohnung im Anwesen ..., nachdem die Kurierfahrzeuge zuvor von anderen Bandenmitgliedern in verschiedenen Tiefgaragen in ... entladen worden waren. Spätestens Ende Januar 2004 schloss sich ... F. der Gruppierung an. ... Y. bot diesem in Absprache mit dem Kläger zunächst an, als Security-Mann für ihn zu arbeiten. Nachdem F. dieses Angebot angenommen hatte, wurde ihm innerhalb kürzester Zeit klar, dass der Kläger und ... Y. ihren aufwändigen Lebensstil aus Rauschgiftgeschäften finanzierten. In der Folge erklärte er sich auf Nachfrage der beiden bereit, bei dem Rauschgifthandel mitzumachen. Da der Kläger und ... Y. aus ihrer seitherigen Lieferquelle den wachsenden Marihuana-Absatz nicht mehr vollständig bedienen konnten, beauftragte ... Y. in Absprache mit dem Kläger F., neue Lieferquellen zu erschließen. F. nahm Kontakt mit einem nicht näher identifizierten Russen namens „...“ auf und vereinbarte und organisierte mit diesem Lieferungen von Marihuana aus den Niederlanden, wobei man sich zur „Geschäftsabwicklung“ teilweise in Heinsberg traf. Im März 2004 stieß schließlich J.L. zu der Bande. Dieser hatte sich Anfang Januar 2004 vom Kläger Geld geliehen, was er jedoch nicht zurückzahlen konnte. Zur Abgeltung dieser Schulden erklärte sich L. bereit, an dem Rauschgifthandel mitzuwirken. Gegenstand der abgeurteilten 16 Taten, die im Zeitraum zwischen Dezember 2003 und 06.04.2004 begangen worden waren, waren insgesamt etwa 205 kg Marihuana sowie 500 g Kokain, wobei 15 kg Marihuana sichergestellt werden konnten. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Taten wird auf die Feststellungen des Landgerichts verwiesen (dort Taten Nrn. 13 bis 28, UA S. 7 - 15). Die Feststellungen zur Sache beruhten dem Strafurteil zufolge auf dem umfassenden, im Vorfeld der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis des Klägers, das sich einerseits mit den vom Zeugen KHK K. glaubhaft berichteten Ermittlungsergebnissen aus dem umfassenden Gesamtermittlungskomplex und andererseits den Feststellungen in dem gegen die übrigen Bandenmitglieder ergangenen Strafurteil vom 15.03.2005 deckte.
Zur Strafzumessung führte das Landgericht unter anderem aus: Für eine Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG sei kein Raum gewesen. Zwar habe der Kläger im Rahmen seiner polizeilichen Angaben - wie KHK K. berichtet habe -umfängliche, über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Aufklärungshilfe geleistet. Diese erschöpfe sich jedoch, von einem in seiner Erfolgsaussicht derzeit noch nicht abschließend zu beurteilenden Ermittlungsansatz abgesehen, maßgeblich in der Bestätigung des bereits durch die Angaben des ... Y. bekannten Ermittlungsstandes. Innerhalb des für die Taten 1 bis 12 geltenden Strafrahmens nach § 29a Abs. 1 BtMG und des für die Taten 13 bis 28 zur Anwendung kommenden Strafrahmens nach § 30a Abs. 1 BtMG sei zu Gunsten des nicht vorbestraften Klägers sein umfassendes Geständnis gewertet worden, welches zu einer nennenswerten Verfahrensabkürzung geführt habe. In diesem Zusammenhang habe die Strafkammer auch die geleistete Aufklärungshilfe strafmildernd gewertet. In gleicher Weise sei die Länge der erlittenen Auslieferungs- und Untersuchungshaft sowie der Umstand gewichtet worden, dass der Kläger als Erstverbüßer äußerst strafempfindlich sei. Auch die im Raume stehenden ausländerrechtlichen Folgen der vorliegenden Verurteilung seien strafmildernd gewertet worden. Zu Gunsten des Klägers sei bezüglich der Taten 9, 11, 12 und 28 strafmildernd berücksichtigt worden, dass Rauschgift habe sichergestellt werden können und nicht in den Verkehr gelangt sei. Zudem habe die Strafkammer strafmildernd gewertet, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt gewesen sei. Zu seinen Lasten fielen strafschärfend die jeweils erheblichen Mengen an Rauschgift sowie das Handeltreiben mit Kokain als einem der gefährlichsten Rauschgifte ins Gewicht. Bei den Taten 13 bis 28 sei zu seinen Lasten berücksichtigt worden, dass die Tatinitiative jeweils von ihm - zusammen mit ... Y. - ausgegangen sei, zu seinen Gunsten sei jedoch seine Weisungsgebundenheit gegenüber diesem einzustellen. Schließlich sei seine extrem große kriminelle Energie strafschärfend gewichtet worden, welche insbesondere in der hohen Tatfrequenz zum Ausdruck gekommen sei.
Ausweislich des Protokolls des Landgerichts über die Hauptverhandlung gab es zwischen der Strafkammer, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger Gespräche über eine einvernehmliche Verfahrensabkürzung. Die Strafkammer sagte dem Kläger für den Fall eines umfassenden Geständnisses und der Bereitschaft, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, zu, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als neun Jahren zu verurteilen. Die Staatsanwaltschaft sagte für diesen Fall zu, das weitere anhängige Ermittlungsverfahren im bisher bekannten Umfang einzustellen und erklärte, dass die Zusage nur für den Fall einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens neun Jahren gilt.
Die übrigen Bandenmitglieder waren bereits durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.03.2005 - 5 KLs 221 Js 95338/03 - zu Freiheitsstrafen verurteilt worden - unter anderem ... Y. zu 10 Jahren, M.Y. zu 6 Jahren, N.B. zu 6 Jahren und 2 Monaten sowie M.B. zu 6 Jahren und 6 Monaten. Nach den hinsichtlich aller Angeklagten gem. § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten Gründen des Urteils beruhten die Feststellungen zur Sache auf den umfassenden sich wechselseitig bestätigenden und daher glaubhaften Geständnissen sämtlicher Angeklagter, die auch durch die vom Zeugen KHK K. nachvollziehbar berichteten Ermittlungsergebnisse aus den stattgefundenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Observationen gestützt wurden.
10 
Der Kläger selbst hatte ab dem 16.11.2005 in polizeilichen Vernehmungen Angaben gemacht. Nach seiner Verurteilung wurde der Kläger erneut in der Zeit zwischen Januar 2006 und Juni 2006 polizeilich vernommen. ... Y., der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde, hatte bereits vor den Angaben des Klägers zur Sache umfangreich über Hintermänner, Lieferanten und Abnehmer des Rauschgifthandels ausgesagt. Nach einem Schreiben von KHK K. an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 17.03.2008 seien aufgrund der Aussagen des „Bandenkopfes“, dessen rechter Hand und weiterer Bandenmitglieder, welche zwischenzeitlich bei der Polizei Angaben gemacht hätten, etwa 90 Strafverfahren eingeleitet worden, die teilweise zu langjährigen Freiheitsstrafen geführt hätten. Das aufgrund der ab Januar 2006 erfolgten Angaben gegen den Kläger eröffnete Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Verfügung vom 16.03.2007 - 221 Js 26457/06 - nach § 154 StPO ein.
11 
Das Regierungspräsidium Stuttgart nahm die Verurteilung des Klägers zum Anlass, ihn mit Verfügung vom 04.10.2006 aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung in die Türkei ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht und die Abschiebung auf den Zeitpunkt der Haftentlassung angekündigt. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: Der Kläger besitze eine Rechtsposition aus Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80. Folglich könne er nur unter dem Vorbehalt der Beschränkungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 und nach Ermessen ausgewiesen werden. Die von ihm vorsätzlich und tatmehrheitlich begangenen Betäubungsmittelstraftaten wögen ausgesprochen schwer, da er sich unter anderem mit anderen Personen zu einer Bande zusammen geschlossen habe, die allein aus Gewinnstreben höchst umfangreich einen schwunghaften Handel mit Marihuana in höheren Kilogrammbereich betrieben habe. Dass es sich dabei „nur“ um Marihuana gehandelt habe, ändere an der Schwere der Tat nichts, denn über diese Einstiegsdroge führe oft der Weg in eine schwere Drogenabhängigkeit. Zudem habe er in einem Fall auch die harte Droge Kokain in einer Menge von ca. 500 Gramm verkauft. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei gegeben. Diese entfalle auch nicht im Hinblick auf das Geständnis im Strafverfahren. Eine echte Einsicht und Reue lasse sich daraus nicht ableiten, zumal die Beweislage wegen der Telekommunikationsüberwachung und der polizeilichen Observation erdrückend gewesen sei. Der Ausweisung stehe Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG und der darin enthaltene besondere Ausweisungsschutz nicht entgegen. Diese gemeinschaftsrechtliche Vorschrift sei auf türkische Staatsangehörige, die sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen könnten, nicht anzuwenden. Der Kläger sei zwar im Bundesgebiet geboren und hier aufgewachsen, doch überwiege sein durchaus erhebliches Interesse, von der Ausweisung verschont zu bleiben, nicht das herausragende öffentliche Interesse an der wirksamen Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. Die Wahrscheinlichkeit, dass er im Bundesgebiet erneut straffällig werde, sei ausgesprochen hoch. Es werde nicht übersehen, dass er Schwierigkeiten haben werde, sich in der Türkei einzugewöhnen. Er könne aufgrund seines Alters jedoch ohne weiteres allein klar kommen, zumal er zumindest Grundkenntnisse der türkischen Sprache besitze. Vor dem Hintergrund des höchst kriminellen Fehlverhaltens sei es ihm zumutbar, die mit einer Abschiebung in die Türkei verbundenen Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen und dort zu überwinden - zumal die Straftaten auf eine nicht abgeschlossene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse schließen ließen. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass er noch Bindungen in der Türkei habe. Hierauf deute auch der Kauf einer Eigentumswohnung dort durch seinen Bruder M. hin. Die familiäre Verbundenheit mit den im Bundesgebiet lebenden Angehörigen den Eltern und Brüdern stehe der Ausweisung nicht entgegen. Diese stehe mit Art. 8 EMRK in Einklang.
12 
Zur Begründung seiner fristgerecht erhobenen Klage trug der Kläger vor: Die Ausweisungsverfügung verstoße gegen nationale und internationale Vorschriften. Er könne nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen werden. Diese Voraussetzungen lägen aber nicht vor. Abgesehen davon sei seine Ausweisung auch aus anderen Gründen fehlerhaft. Schon vor seiner Verurteilung habe er damit begonnen, mit seiner kriminogenen Vergangenheit abzuschließen. Seine Zeugenaussagen, die bewirkt hätten, dass er in ständiger Bedrohung lebe, hätten zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer Vielzahl von Personen geführt. Seine Entwicklung nach der Tat und sein in jeder Hinsicht beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug zeigten, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe. Seine Integration in deutsche Lebensverhältnisse sei abgeschlossen; daran ändere seine Straffälligkeit nichts. Seine Bezugspersonen lebten alle in Deutschland. Hier habe er einen festen Freundeskreis. Verbindungen in die Türkei habe er keine mehr. Auch sei sein früherer Mittäter ... Y. in den Zeugenschutz aufgenommen worden, was wiederum für diesen zumindest ein Abschiebungshindernis bedeute. Er dürfe ausländerrechtlich nicht schlechter behandelt werden als dieser und als seine eigenen Brüder, die im Bundesgebiet bleiben könnten. Auch bilde er sich weiter. Er plane und betreibe seine Schuldenregulierung, die bei einer Abschiebung in die Türkei nicht mehr erfolgen könnte. Seine Ausweisung verstoße gegen Art. 8 EMRK.
13 
Das Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - die Ausweisungsverfügung des beklagten Landes, das der Klage entgegen getreten war.
14 
Da sowohl die angefochtene Verfügung als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts davon ausgingen, die Ausweisung des Klägers richte sich aufgrund seiner Rechtstellung nach Art. 7 Satz 1 und 2 ARB 1/80 nach Art. 14 ARB 1/80 und offen sei, ob auch assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige sich auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a RL 2004/38/EG berufen können, ließ der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 22.07.2008 - 13 S 1244/08 - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu. Die vom Kläger unter Stellung eines Antrags fristgerecht begründete Berufung wurde mit Blick auf das durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 22.07.2008 - 13 S 1917/07 - bei Europäischen Gerichtshof zu dieser Frage bereits anhängig gemachte Vorabentscheidungsersuchen (C-371/08) ausgesetzt.
15 
Der Kläger war zunächst in der JVA ... und sodann in der JVA ... in Haft. Dort teilte er sich mit seinen zwei Brüdern - aus Sicherheitsgründen - die Zelle. In der JVA ... arbeitete er seit dem 14.03.2006 in der Druckerei und eignete sich hier die Reprofilmmontage, die Druckplattenkopie und die Filmarchivierung an. Nach der Bescheinigung der JVA - Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen - vom 09.07.2009 habe er sich im Laufe seiner Tätigkeit in der Druckerei in seinem Verhalten gegenüber Vorgesetzten und auch Mitgefangenen sehr positiv entwickelt; er zeichne sich hauptsächlich durch Zuverlässigkeit, Qualitätsbewusstsein und Loyalität aus. Betäubungsmittelkontrollen während der Haft waren negativ. Mit Wirkung zum 26.08.2009 wurde der Kläger als Freigänger zugelassen, um ab dem 30.08.2009 einen zwei Jahre dauernden Umschulungslehrgang am ... Berufskolleg beginnen zu können. Die in Vollzeit stattfindende Ausbildung „Mediengestalter Digital und Print, Schwerpunkt: Gestaltung und Technik“ endet mit einer Abschlussprüfung vor der IHK. Nach den Bescheiden der Bundesagentur für Arbeit vom 07.09.2009 werden die Kosten des Lehrgangs von insgesamt 17.518,60 EUR als Leistungen für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme von dieser getragen, darüber hinaus erhält der Kläger ein monatliches Arbeitslosengeld gemäß § 117 SGB III in Höhe von 797,40 EUR.
16 
Mit Schreiben vom 09.03.2010 beantragte der Kläger die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2005 und führte hierin unter anderem aus: Er habe durch seine umfangreiche, wahrheitsgemäße Aufklärungshilfe glaubwürdig Abstand von seinen kriminellen Taten genommen. Im Strafvollzug habe er sich mit der Bedeutung und den Folgen der Rauschgiftkriminalität in Diskussionsrunden und mit dem Bewährungspersonal aktiv und kritisch auseinandergesetzt. Dabei habe er nicht nur die ihn selbst betreffenden negativen Folgen seiner Taten durch den Strafvollzug in aller Deutlichkeit an „Haut und Haaren“ durchleben müssen. Auch die Gefahren und negativen Folgen, die von Rauschgift gegenüber der Allgemeinheit ausgingen, habe er in zahlreichen Diskussionsrunden mit Mithäftlingen und Resozialisierungspersonal erstmals in seinem jungen Leben in aller Deutlichkeit aufgezeigt bekommen und bleibend aufgenommen. Aufgrund der während des Strafvollzugs gewonnenen Erkenntnisse über die vom Rauschgift ausgehende Gefährlichkeit für die Gesundheit des Einzelnen und der Allgemeinheit habe er, ohne dass dies naturgemäß in seinem eigenen Strafverfahren im Urteil des Landgerichts Stuttgart berücksichtigt worden sei, nach seiner Verurteilung weiterhin mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet und durch seine Aussage die Sprengung von zahlreichen, bandenmäßig organisierten Rauschgifthändlern herbeigeführt. Er habe Angaben zu Lieferanten und Abnehmern gemacht, von denen die Ermittlungsbehörden vor seiner Aussage keinerlei Kenntnis gehabt hätten.
17 
Die JVA ... erstellte am 10.05.2010 dem Kläger unter Hinweis auf den beanstandungsfreien Verlauf von Vollzug und Vollzugslockerungen eine positive Sozialprognose und befürwortete seine bewährungsweise Entlassung.
18 
Das Landgericht ... - Auswärtige Strafvollstreckungskammer ... - setzte nach Einholung eines kriminalprognostischen Gutachtens bei Dr. X. - Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Forensische Psychiatrie - mit Beschluss vom 26.10.2010 die Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung aus. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und der Kläger für die Dauer der ersten beiden Jahre der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt. Der Kläger wurde am 28.10.2010 - und damit etwa ein halbes Jahr vor der Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe - aus dem Strafvollzug entlassen. Am 12.02.2011 heiratete er nach islamischem Ritus ... D., die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Mit ihr und den beiden vier und acht Jahre alten Kindern von Frau D. aus einer früheren Beziehung lebt er in familiärer Lebensgemeinschaft.
19 
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Rechtssache Tsakouridis (C-145/09) mit Urteil vom 23.11.2010 entschieden und das beklagte Land mit Schriftsatz vom 12.01.2011 auf den Umstand hingewiesen hatte, der Kläger habe anlässlich seiner kriminalprognostischen Begutachtung angegeben, er habe sich vor seiner Verhaftung 14 Monate in den Niederlanden aufgehalten, hat der Senat mit Beschluss vom 21.01.2011 den Aussetzungsbeschluss aufgehoben.
20 
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger nunmehr vor: Seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 seien nicht erloschen. Dies folge schon aus Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG. Die Vorschrift konkretisiere den Zeitraum, der für den Erhalt unionsrechtlich begründeter Aufenthaltsrechte bei Auslandsaufenthalten anzuwenden sei. Im Übrigen habe er sich nach seiner Flucht nicht durchgehend in den Niederlanden aufgehalten. Er habe die Aufenthalte zwischen Deutschland und den Niederladen gewechselt. In dieser Zeit habe er auch regelmäßig seine Familie getroffen. Treffpunkt sei jeweils Köln gewesen. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 23.11.2010 sei die Berufung begründet. Die Erstreckung der Kriterien für eine Aufenthaltsbeendigung nach dem Maßstab des Art. 45 Abs. 3 AEUV, der mit demjenigen des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG übereinstimme, auf Art. 14 ARB 1/80 sei ungeklärt. Der EuGH leite im Urteil Tsakouridis jedoch die Zulässigkeit der Ausweisung von Drogenhändlern aus der Gefahr her, die der Drogenhandel für die Gesellschaft darstelle. Um die Gesellschaft zu schützen und den Drogenhandel wirksam bekämpfen zu können, griffen heute die Mitgliedstaaten zu Mitteln wie der Kronzeugenregelung. Mittätern würden für den Fall der Aussage Vergünstigungen zugesagt, die von geringeren Strafen bis zur Verleihung einer anderen Identität reichen könnten. Er habe sich stets aussagebereit gezeigt und Aufklärungshilfe geleistet. Wegen seines Aussageverhaltens seien ihm Drohungen zugekommen. Von ihm gehe keine gegenwärtige Gefahr mehr aus. Seine Verfehlungen seien einmalig gewesen. Er sei Ersttäter und die Strafhaft habe ihn beeindruckt. Er habe in der JVA ... Gespräche zur Tataufbereitung mit dem Psychologen M. geführt. Eine Rückfallneigung sei zu verneinen. Das bestätige das Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das ihm einen nachhaltigen Gesinnungswandel attestiere. Er habe sich aus der Drogenszene gelöst und wolle das auch in Zukunft einhalten. Im Übrigen stünde eine Ausweisung im Widerspruch zur gezeigten Aussagebereitschaft und zur Kronzeugenregelung. Die Aussagebereitschaft würde nicht gefördert, wenn sie mit Ausweisung „belohnt“ würde. Eine Ausweisung würde ihn auch vollständig entwurzeln. Er sei im Bundesgebiet geboren, aufgewachsen und vollständig integriert. Deutsch sei seine Muttersprache. Würde er durch Ausweisung von seiner Familie und seiner Verlobten getrennt und in eine sprachfremde Umgebung verbracht, würde er in eine verzweifelte Lage gebracht werden. Allein und ohne Sprachkenntnisse käme er in der Türkei nicht zurecht. Im Übrigen seien sein Nachtatverhalten und seine Resozialisierung so außergewöhnlich, dass eine Wiederholungsgefahr unter jeder Betrachtung entfallen sei. Seine Haftverbüßung habe abschreckend gewirkt und eine starken Verhaltensänderung herbeigeführt. Er sei nicht drogenabhängig und habe jegliche Beziehungen und Strukturen zu ehemaligen kriminellen Personen für immer abgebrochen. Er habe Aussicht auf den Erlass des größten Teils der Schulden, sofern er sich weiterhin gut führe, sowie auf eine Festanstellung nach Ende seiner Ausbildung bei der Firma, bei der er derzeit sein Praktikum mache.
21 
Der Kläger beantragt zuletzt,
22 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - zu ändern und Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006 aufzuheben.
23 
Das beklagte Land beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Es entgegnet: Die Rechtspositionen des Klägers aus Art. 7 ARB 1/80 seien erloschen. Mit seiner Flucht im April 2004 habe er seinen Lebensmittelpunkt in einen anderen Staat verlagert, weil er sich auf diese Weise dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden dauerhaft habe entziehen wollen. Insoweit seien Unionsrecht und damit die Frage der Anwendung des Art. 28 Abs. 3 lit. a Richtlinie 2004/38/EG nicht relevant und die Ausweisung richte sich nur nach nationalem Recht. Es bestehe ungeachtet des Nachtatverhaltens des Klägers und seiner bedingten Entlassung aus der Strafhaft weiterhin unter dem Gesichtspunkt der ordnungsrechtlichen Gefahrenabwehr ein Bedürfnis, den Kläger aus spezialpräventiven und daneben auch aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Art. 8 EMRK und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stünden dem nicht entgegen. Der Kläger könne aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Türkei ohne weiteres eine Arbeitsmöglichkeit finden. Wenn er nunmehr aus der Haft entlassen worden sei und an seiner beruflichen Bildung arbeite, so mindere dies das ausgesprochen schwere Gewicht des spezial- und generalpräventiven Grundes nicht. Nichts anderes gelte hinsichtlich der neuen Partnerin, mit der der Kläger allerdings nicht verheiratet sei.
26 
Der Vertreter des beklagten Landes hat in der Berufungsverhandlung die Abschiebungsandrohung (Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 04.10.2006) aufgehoben.
27 
Der Senat hat Dr. X. zur Erläuterung ihres kriminalprognostischen Gutachtens vom 07.09.2010 angehört und KHK K. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich ihrer Angaben wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
28 
Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten verwiesen. Der Senat hat die Strafakten des Landgerichts Stuttgart (3 Bände) und die Ermittlungsakten (25 Leitzordner) im Verfahren 5 KLs 221 Js 100500/04, die Strafvollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (1 Band), das Bewährungsheft (1 Band) und die Gefangenenpersonalakten (5 Bände) sowie die Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 beigezogen. Diese sind ebenso wie die Akten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten der Stadt Stuttgart (2 Bände) und die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (1 Band), Grundlage der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
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Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
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Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
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Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
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Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
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Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
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Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
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Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
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Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
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Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
29 
Es bestand für den Senat keine Veranlassung, dem unter Hinweis auf eine seit drei Tagen bekannte Schwangerschaft der Lebensgefährtin des Klägers mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 28.04.2011 gestellten Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entsprechen. Dem steht schon entgegen, dass der unterschriebene Urteilstenor zum Zwecke der Bekanntgabe an die Beteiligten auf Nachfrage seit dem 15.04.2011 auf der Geschäftsstelle niedergelegt ist und zum Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes am 29.04.2011 damit die Entscheidung vom Senat nicht mehr geändert werden konnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27.04.2005 - 5 B 107.04 - juris Rn. 7 und vom 24.06.1971 - I CB 4.69 - juris Rn. 52; Bader/Funke-Kaiser/ Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 116 Rn. 10). Abgesehen davon wäre eine Wiedereröffnung auch in der Sache nicht erforderlich gewesen, denn dass der Kläger mit seiner jetzigen Lebensgefährtin in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und beide ein gemeinsames Kind haben wollen, war bereits Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.04.2011, insbesondere auch der Angaben des Klägers während seiner Anhörung vor dem Senat.
30 
Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Abschiebungsandrohung den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12.03.2008 - 8 K 3985/06 - ist damit insoweit unwirksam, als die Klage gegen Ziffer 2 der Ausweisungsverfügung abgewiesen worden ist (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
31 
Im Übrigen bleibt die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO) Berufung des Klägers ohne Erfolg. Die Ausweisung ist nach der maßgebenden Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.12.2008 - 1 C 35.07 - NVwZ 2009, 326 und vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - AuAS 2008, 40) rechtmäßig und verletzt schon deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger besitzt nicht mehr die Rechtsstellungen nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG - Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80); auch aus Art. 6 ARB 1/80 stehen ihm keine Rechte zu (I.). Nach nationalem Recht beruht die verfügte Ausweisung auf § 53 AufenthG; der Kläger genießt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt keinen besonderen Ausweisungsschutz (II.). Seine Ausweisung als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist wegen der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig (III.). Im Übrigen stehen einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen aufgrund der von ihm begangenen schwerwiegenden bandenmäßigen Betäubungsmittelkriminalität, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates und der Gesellschaft gefährdet, Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG nicht entgegen (IV.).
I.)
32 
Das assoziationsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht des Klägers ist erloschen, weil er seinen Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, indem er Anfang April 2004 aus Deutschland geflohen ist, um sich auf Dauer seiner Strafverfolgung im Bundesgebiet zu entziehen.
1.)
33 
Der aufenthaltsrechtliche Status des Klägers beruhte bis April 2004 auf Art. 7 ARB 1/80. Sein Vater hatte ausweislich einer Arbeitsbescheinigung vom 29.09.1997 seit 1974 als Verzinkereihelfer bei S. ... Feuerverzinken GmbH gearbeitet. Der Kläger wurde als Sohn eines in der Vergangenheit dem regulären deutschen Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers im Bundesgebiet geboren und lebte in der Folgezeit mehr als fünf Jahre ununterbrochen ordnungsgemäß mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft (vgl. zur Notwendigkeit des tatsächlichen Zusammenlebens während dieser Zeit EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/97 - Rn. 35 ff. und vom 22.06.2000 - C-65/98 - Rn. 28 ff.), was zum Erwerb einer Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 führte. Dass ihm selbst nach Aktenlage erst am 02.10.1997 ein Aufenthaltstitel in Gestalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, spielt insoweit keine Rolle. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22) gelangen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80, auch ohne dass zuvor eine Genehmigung zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt worden ist, dann zur Entstehung, wenn der türkische Familienangehörige im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist und stets dort gelebt hat. Aufgrund der nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich am 18.07.2001 abgeschlossenen Lehre als Verpackungsmitteltechniker besaß der Kläger auch eine Rechtstellung nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80. Der Erwerb dieser Rechte ist allerdings nicht mit Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (heute: Europäische Union) verbunden; ein türkischer Staatsangehörige besitzt nur im Aufnahmemitgliedstaat bestimmte Rechte (EuGH, Urteil 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 37 und vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 66).
2.)
34 
Der Kläger hat die Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich und Art. 7 Satz 2 ARB 1/80, die ein Aufenthaltsrecht implizieren (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 25, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn. 31 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 40; BVerwG, Urteil vom 06.10.2005 - 1 C 5.04 - juris Rn. 11), durch seine Flucht aus dem Bundesgebiet vor der ihm hier drohenden Strafverfolgung verloren.
35 
Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dient dem Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen. Die Vorschrift will die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, dadurch fördern, dass ihm in diesem Staat die Aufrechterhaltung familiärer Bande ermöglicht wird. Zur Förderung der dauerhaften Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers gewährt die Vorschrift seinen Familienangehörigen nicht nur ein Aufenthaltsrecht, sondern nach einer bestimmten Zeit das Recht, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung auszuüben. Die fortschreitende persönliche Integration des türkischen Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstat sollen erleichtert und gefördert werden (EuGH, Urteil vom 07.07.2005 - C-373/03 - Rn. 22 ff. und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 34; Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 162; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 33).
36 
Die Regelung in Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine Privilegierung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln will, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 25 ff. und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 23). Die unterschiedliche Ausgestaltung der Rechte aus Art. 7 Satz 1 und Satz 2 ARB 1/80 ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration der Kinder türkischer Arbeitnehmer. Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 hängt lediglich von der Voraussetzung ab, dass das Kind des betreffenden türkischen Arbeitnehmers während seines rechtmäßigen Aufenthalts eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Elternteil in diesem Staat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war (vgl. Renner, a.a.O. § 4 AufenthG Rn. 171 ff. und GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 111 jew. m.w.N.).
37 
Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten allerdings unabhängig davon, ob der konkrete Ausgangssachverhalt unter den ersten oder den zweiten Satz des Art. 7 ARB 1/80 fällt, für den Verlust der erworbenen Rechte dieselben Voraussetzungen (Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45 und vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 24 f.). Sowohl die Rechtsposition nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 als auch diejenige nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich - und damit das Aufenthaltsrecht - erlöschen, wenn der türkische Staatsangehörige den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (st. Rspr. des EuGH; vgl. etwa Urteil vom 22.12.2010 - C-303/08 - Rn. 42, vom 04.02.2010 - C-14/09 - Rn. 42, vom 18.12.2008 - C-337/07 - Rn. 62, vom 25.09.2008 - C-453/07 - Rn. 30 f., vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 45, vom 16.02.2006 - C-502/04 - Rn. 25, vom 07.07.2005 -C-373/03 - Rn. 27, vom 11.11.2004 - C-467/02 - Rn.36 und vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48). Unter welchen Voraussetzungen von einem Verlassen des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe auszugehen ist, obliegt in erster Linie der Feststellung der nationalen Gerichte (vgl. auch EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 43) und bestimmt sich anhand von Sinn und Zweck des Art. 7 ARB 1/80 (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 ff. Rn. 27; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 11.01.2008 - 11 ME 418/07 - juris Rn. 5 f.; VG Ansbach, Urteil vom 25.02.2010 - AN 5 K 09.01143 -juris Rn. 25 f.; Renner, a.a.O., § 4 Rn. 162; Kurzidem, Das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZAR 2010, 121, 124 f.). Der Umstand, dass der Verlustgrund auf beide Sätze des Art. 7 ARB 1/80 Anwendung findet, schließt es indessen nicht aus, dass es, je nachdem wie verfestigt die Lebensverhältnisse des Ausländers im Bundesgebiet sind, im Einzelfall geboten sein kann, bei dessen Prüfung die innerhalb des Art. 7 ARB 1/80 erreichte „Stufe“ mit in den Blick zu nehmen. Wer als - insbesondere hier geborenes und aufgewachsenes - Kind eines Migranten den „Integrationsgrad“ des Satzes 2 erreicht hat, läuft bei gleich langem Auslandsaufenthalt weniger Gefahr, den Integrationszusammenhang mit dem Aufnahmemitgliedstaat zu verlieren als derjenige, der sich - z.B. als nachgezogener Ehepartner - nach dreijährigem ordnungsgemäßen Aufenthalt gerade erst auf Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 berufen kann. Allerdings ist das Merkmal des „nicht unerheblichen Zeitraums“ nicht allein nach der tatsächlich außerhalb des Aufnahmemitgliedstaats verbrachten Zeit zu würdigen, sondern im Zusammenhang mit den Gründen und Absichten für die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, denn der Verlustgrund knüpft daran an, dass der rechtliche Besitzstand, den der türkische Staatsangehörige nach Art. 7 Satz 1 oder 2 ARB 1/80 erworben hat, deshalb verloren geht, weil er diesen freiwillig verlassen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 51) und „die Bande, die ihn mit diesem Mitgliedstaat verbunden haben, selbst gelöst hat“ (so die Formulierung in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 11.01.2007 - C-325/05 - Rn. 33).
38 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 und Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 verloren. Nach der Verhaftung von Mitgliedern der Bande am 07.04.2004, von der der Kläger noch am gleichen Tag erfuhr, und einem anschließenden dreitägigen Aufenthalt in Hotels in ... flüchtete er in die Niederlande, um sich auf unabsehbare Zeit außerhalb Deutschlands aufzuhalten und sich so seiner Festnahme zu entziehen. Dies ergibt sich sowohl aus seiner Aussage während seinen polizeilichen Vernehmungen als Beschuldigter (unter anderem am 17.11.2005) als auch aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat. Es sei ihm darum gegangen wegzukommen. Er habe damals Angst vor dem Gefängnis gehabt und sich auf keinen Fall stellen wollen. Für die ihm seinerzeit vorgeworfenen Straftaten beträgt die Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB zwanzig Jahre, da die Taten nach §§ 29a Abs. 1 und 30a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind. Auch wenn ihm dies möglicherweise nicht so dezidiert bekannt gewesen sein dürfte, war ihm aber aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre durchaus bewusst, für einen langen Zeitraum damit rechnen zu müssen, für die von ihm verübten gravierenden Straftaten belangt zu werden und bei einer Verurteilung eine langjährigen Gefängnisstrafe zu erhalten. Der späteren Anklage ist ein (auch bandenmäßiges) Handeltreiben mit Marihuana in einer Gesamtgrößenordnung von etwa 230 kg und von Kokain mit 0,5 kg zugrunde gelegt worden. Tatsächlich waren jedoch - was der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung so nicht bekannt gewesen ist - unter Beteiligung des Klägers bis zu seiner Flucht mehr als 1,5 t Marihuana und mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten umgesetzt worden. Unter diesem Eindruck traf er von sich aus die Entscheidung, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet aufzugeben und sich für unabsehbare Zeit im Ausland aufzuhalten, um hier nicht strafrechtlich belangt zu werden. Dass der ihm persönlich bekannte Lieferant von Betäubungsmitteln ... E. sich in den Entscheidungsprozess des Klägers „eingeschalten“ und ihm gesagt habe, „er solle zusehen, dass er nach Amsterdam komme“ - so die Angaben des Klägers in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 - stellt die Verantwortung des Klägers für seine Entscheidung, in das Ausland zu fliehen, nicht in Frage. Insbesondere sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass auf ihn - etwa durch seine Lieferanten - in einer Weise Zwang ausgeübt worden wäre, die seine freie Willensbetätigung beeinträchtigt hätte.
39 
Der Kläger hat auch durch sein Verhalten in den Niederlanden während der 14 Monate bis zu seiner dortigen Verhaftung unter Beweis gestellt, dass er Deutschland mit seiner Flucht Anfang April 2004 nicht nur vorübergehend verlassen, sondern für sich unter dem Eindruck der hier drohenden Strafverfolgung langfristig und zeitlich völlig unbestimmt ein Leben außerhalb des Bundesgebiets vorgesehen hat. Die Beschaffung eines fremden türkischen Reisepasses unter Nutzung von Verbindungen zur Stuttgarter Rauschgiftszene, vor allem aber die Fortsetzung seiner Betäubungsmittelkriminalität dort verdeutlichen, dass er sich nicht nur vorübergehend auf ein Leben in einem anderen Land eingestellt hatte.
40 
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, es sei ihm darum gegangen, mit dem Pass von einem der E.-Zwillinge in den Niederlanden durch Kontrollen zu kommen, weil er als gesuchte Person ja schlecht seinen eigenen Pass, den er in die Niederlande mitgenommen gehabt habe, habe vorlegen können, mag dies auch ein Motiv gewesen sein. Wie im polizeilichen Ermittlungsbericht vom 04.08.2005 im Einzelnen dargelegt ist, diente die Beschaffung des fremden Passes, der dem Kläger direkt nach Holland gebracht wurde und für den E. einen Abzug von 5.000 EUR auf seine Schulden aus Rauschgiftgeschäften erhielt (so die Angaben des Klägers in seiner Vernehmung vom 09.03.2006), aber vor allem dazu, sich mit diesem in die Türkei absetzen. Dies hat der Kläger in seiner polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005 ausdrücklich eingeräumt. Dass er von den Niederlanden aus in die Türkei gehen wollte, wird vor allem durch Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation belegt. In einem am 28.05.2005 zwischen dem Kläger und seinem Vater in türkischer Sprache geführten Telefonat äußerte sich der Kläger auf die Frage seines Vaters, ob er in die Türkei gehen werde: „Ja Vater, sprich nicht am Telefon, ich habe doch gesagt, wir werden uns sehen“. Ob die Absicht des Klägers, in die Türkei zu gehen, auf dem Vorschlag von ... T. beruhte, der die Bande Y. ebenfalls mit Rauschgift beliefert hatte und bei dem sich der Kläger zuletzt in den Niederlanden aufhielt (so seine Angaben in der polizeilichen Vernehmung vom 17.11.2005), oder ob die Initiative hierfür von seinem Vater ausging (so seine Einlassung in der Berufungsverhandlung), ist insoweit ohne Bedeutung. Vor allem aber organisierte der Kläger in den Niederlanden in zehn Fällen Marihuanalieferungen an die Zwillingsbrüder E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Dies ergibt sich aus dem Vermerk des die damaligen Ermittlungen des Gesamtkomplexes leitenden Polizeibeamten KHK K. vom 12.07.2006 im Ermittlungsverfahren 221 Js 26457/06, der auf den entsprechenden Angaben des Klägers beruht. Wie der Kläger später selbst einräumte, hätte das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kein Ende genommen, wäre er nicht in Haft gekommen (so seine von Dr. X. in ihrem Gutachten vom 07.09.2010 festgehaltene Äußerung).
41 
Für die Frage des Verlustes des Aufenthaltsrechts spielt es keine Rolle, dass der Kläger nach seinen Angaben im Berufungsverfahren während der Zeit in den Niederlanden seine Familie in Köln getroffen haben will sowie ab und zu nach Heinsberg gefahren sei. Es spricht schon einiges dafür, dass dieser Vortrag nicht den Tatsachen entspricht. Der Kläger hat in seinen polizeilichen Vernehmungen, in denen er sehr ausführlich Angaben über seine Zeit in den Niederlanden gemacht hat, solche Treffen nicht erwähnt. Ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 12.11.2004 und des Ermittlungsberichts vom 04.08.2005 äußerten sich die Eltern und die Brüder ... und ... in mehreren Befragungen dahingehend, es bestünde keinerlei Kontakt zu dem Kläger und ihnen sei unbekannt, wo er sich aufhalte, der letzte Kontakt sei Ostern 2004 gewesen. Auch ist wenig plausibel, weshalb der Kläger - bei fortgesetzten Drogengeschäften in den Niederlanden - das Risiko einer Entdeckung in Deutschland hätte eingehen sollen. Für die Einschätzung, dass es sich um ein taktisches Vorbringen im Rahmen des Ausweisungsverfahrens handelt, spricht auch der Umstand, dass angebliche Treffen in Köln erstmals mit Schriftsatz vom 26.01.2011 vorgetragen worden sind, nachdem zuvor auf die Möglichkeit des Erlöschens des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts hingewiesen worden war. Die Einlassung, er sei auch mit ... T. nach Heinsberg gefahren, ist sogar erstmals in der Berufungsverhandlung erfolgt. Ob der Vortrag des Klägers zutrifft, kann jedoch dahingestellt bleiben. Mit seiner Flucht in die Niederlande im April 2004 in dem Willen, auf unbestimmte Zeit Deutschland „den Rücken zuzukehren“, hat er die mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpfte Integrationsverbindung freiwillig durchtrennt und damit sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren; dieses lebt auch dann nicht wieder auf, wenn er -aus welchen Motiven auch immer -danach (immer wieder) zu Kurzaufenthalten in das Bundesgebiet eingereist ist.
42 
Die Beurteilung, dass das Verhalten des Klägers zum Verlust seiner Rechte aus Art. 7 ARB/80 geführt hat, steht auch mit dem allgemeinen Zweck der Assoziation und vor allem des ARB 1/80 in Einklang. Der Beschluss vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation verfolgt auch das Ziel, die Rechtstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich zu verbessern (vgl. die dritte Begründungserwägung), indem ihr arbeits- und aufenthaltsrechtlicher Status gegenüber früheren Regelungen verbessert wird. Dies spricht dafür, für das Verlassen des Mitgliedstaats dann „berechtigte Gründe“ anzunehmen, wenn diese Ausdruck allgemein üblicher, sozialtypischer Verhaltensweisen sind, wie etwa Urlaub und Verwandtenbesuch (so zu diesen beiden Beispielen EuGH, Urteil vom 17.04.1997 - C-351/95 - Rn. 48), oder durch staatsangehörigkeitsbezogene Rechte oder Pflichten bedingt sind, etwa die Ableistung von Wehrdienst (Senatsbeschluss vom 31.07.2007 - 11 S 723/07 - juris Rn. 3 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 5 ff.). Vor dem Hintergrund dieser Intention des ARB 1/80 besteht aber keine Veranlassung, einmal erworbene Rechte auch dann unangetastet zu lassen, wenn das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates in der Absicht erfolgt, dessen Strafverfolgungsanspruch zu durchkreuzen; denn ein solches Verhalten ist weder schutzbedürftig noch schutzwürdig.
43 
Diesem Ergebnis steht schließlich Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (ABl. L 158 vom 30.04.2004) nicht entgegen. Nach dieser Regelung der Unionsbürgerrichtlinie führt nur die Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zum Verlust des erworbenen Daueraufenthaltsrechts, ohne dass es nach dem Wortlaut auf die Art der Gründe ankommt. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Bestimmung direkt - oder jedenfalls als Orientierungsrahmen (so BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 - Rn. 27; OVG Berlin, Urteil vom 11.05.2010 - OVG 12 B 26.09 - juris Rn. 37 f.; BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 9 ff.) - auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige überhaupt Anwendung findet (die Übertragung der Unionsbürgerrichtlinie auf assoziationsrechtliche türkische Staatsangehörige generell ablehnend Schlussanträge des Generalanwalts vom 14.04.2011 - C-371/08 - Rn. 42 ff.) und welche inhaltliche Bedeutung ihr beizumessen wäre (vgl. zu dem letzten Aspekt auch EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - Rn. 30 ff.). Die Unionsbürgerrichtlinie vom 29.04.2004 ist am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten (Art. 41) und bis zum 30.04.2006 umzusetzen gewesen (Art. 40). Der Kläger hat jedoch seine Rechtsstellung nach Art. 7 ARB 1/80 bereits vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie dadurch verloren, indem er Anfang April 2004 in die Niederlande geflohen ist. Die Anwendung von Art. 16 Abs. 4 der Unionsbürgerrichtlinie würde damit im vorliegenden Fall ins Leere gehen, weil ein Aufenthaltsrecht, an das die Regelung anknüpfen könnte, schon erloschen gewesen ist.
3.)
44 
Die Rechtsstellung aus Art. 6 Satz 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80, die der Kläger aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung und der unmittelbar daran anschließenden etwa zweijährigen Beschäftigung innehatte, und die neben der Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 bestand (zum Nebeneinander von Art. 6 und 7 ARB 1/80 EuGH, Urteil vom 05.10.1994 - C-355/93 - Rn. 16 ff.; GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 129 f.), ist ebenfalls erloschen. Der Kläger bezog nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld. Spätestens Mitte 2003 traf er die Entscheidung, sein Einkommen durch Drogengeschäfte im „großen Stil“ zu bestreiten und setzte diese entsprechend um. Dass der Kläger den Rauschgifthandel „berufsmäßig“ betrieb, hat auch der Zeuge KHK K. in der mündlichen Verhandlung anschaulich bekundet. Bemühungen um Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit sind offensichtlich nicht mehr entfaltet worden. Von einer nur vorübergehendenden Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in dieser Zeit ist nicht mehr auszugehen (vgl. zu den Kriterien für die Beibehaltung der Arbeitnehmereigenschaft bei Arbeitslosigkeit Renner, a.a.O., § 4 Rn. 132 ff.). Damit hatte er seine Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt schon vor seiner Flucht in die Niederlande endgültig verloren gehabt. Selbst wenn man zugunsten des Klägers eine andere Sichtweise annehmen würde, ist jedenfalls - entsprechend den Ausführungen oben unter I. 2.) - mit der Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet Anfang April 2004 seine Rechtsstellung erloschen.
4.)
45 
Die Rechte aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 sind auch nicht erneut zur Entstehung gelangt.
46 
Der Kläger erhält seit dem 30.08.2009 eine von der Bundesagentur für Arbeit auf der Grundlage der §§ 77 ff. SGB III finanzierte berufliche Weiterbildungsmaßnahme zum Mediengestalter, die zum 31.08.2011 abgeschlossen sein soll, sowie nach § 117 Abs. 1 Nr. 2 SGB III Arbeitslosengeld. Teil dieser Weiterbildung ist auch eine praktische Tätigkeit in Firmen. Er absolviert sein Praktikum seit 02.11.2010 bis voraussichtlich Ende Juli 2011 bei einer Firma in ..., wo ihm nach Ende des Praktikums eine Festanstellung angeboten werden soll. Dies könnte dafür sprechen, dass der Kläger erneut dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik angehört. Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 sind aber jedenfalls deshalb nicht begründet worden, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung fehlt. Die ordnungsgemäße Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Rechtsposition des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus; außerdem muss die Beschäftigung im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen und arbeitserlaubnisrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaats stehen (EuGH, Urteil vom 06.06.1995 - C-434/93 - Rn. 26 ff. und vom 24.01.2008 - C-294/06 - Rn. 30 ff.; Renner, a.a.O., § 4 AufenthG Rn. 115). Der Kläger hält sich jedoch seit seiner ausschließlich in Vollstreckung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs zwangsweise durchgesetzten Rückkehr in das Bundesgebiet am 12.08.2005 ohne Aufenthaltserlaubnis hier auf. Die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 ist infolge seiner Flucht aus dem Bundesgebiet seit April 2004 erloschen (siehe dazu unten II.). In der Folgezeit wurde weder ein Aufenthaltstitel beantragt noch erteilt. Die dem Kläger seit seiner Haftentlassung fortlaufend verlängerten Duldungen sind aufgrund ihrer Rechtsnatur nicht geeignet, Ansprüche aus Art. 6 ARB 1/80 entstehen zu lassen, da sie nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts beinhalten (GK-AufenthG, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 132).
47 
Auch eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 ist nicht neu erworben worden. Hat ein Familienangehöriger die Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren und reist er später wieder in den früheren Aufnahmemitgliedstaat ein, so muss er erneut eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, deren Erteilung sich allein nach den aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats richtet (EuGH, Urteil vom 18.07.2007 - C-325/05 - Rn. 67 und vom 16.03.2000 - C-329/97 - Rn. 49). Erst in Anknüpfung an einen dann rechtmäßigen Aufenthalt kann eine Berufung auf Art. 7 ARB 1/80 in Betracht kommen (vgl. näher EuGH, Urteil vom 21.01.2010 - C-462/08 - Rn. 39, 45). Eine erneute Legalisierung des Aufenthalts des Klägers ist aber bis heute nicht erfolgt.
II.)
48 
Rechtsgrundlage der verfügten Ausweisung ist § 53 AufenthG. Durch die rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtstrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwölf tatmehrheitlichen Fällen sowie unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechzehn tatmehrheitlichen Fällen ist sowohl der Tatbestand der Ist-Ausweisung nach § 53 Nr. 1 AufenthG als auch derjenige nach § 53 Nr. 2 AufenthG verwirklicht.
1.)
49 
Der Kläger genießt keinen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, weil die unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 02.10.1997 im April 2004 nach § 44 Abs. 1 AuslG 1990 erloschen war und daher nicht gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgelten konnte.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990 erlischt die Aufenthaltsgenehmigung, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Eine entsprechende Regelung sah schon § 9 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1965 vor. Wie oben unter I 2.) bereits dargelegt, wollte sich der Kläger mit seiner Flucht in die Niederlande Anfang April 2004 einer Strafverfolgung im Bundesgebiet auf unabsehbarer Zeit entziehen. In einem solchen Fall erfolgt die Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund (Senatsbeschluss vom 22.01.2004 - 11 S 192/04 - juris Rn. 8 ff.; ebenso GK-AufenthG, § 51 Rn. 47 und Renner, a.a.O., § 51 Rn. 9 jew. zur wortgleichen Bestimmung in § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG). Dies führte kraft Gesetzes mit dem Verlassen des Bundesgebiets zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG 1990, ohne dass es hierzu einer besonderen Feststellung bedurfte. Die Aufenthaltserlaubnis lebt auch nicht wieder auf, wenn der Betreffende später - und sei es nur kurze Zeit nach der Ausreise - "anderen Sinnes" wird und in die Bundesrepublik zurückkehrt (vgl. Senatsurteil vom 10.04.2002 - 11 S 2269/01).
51 
Ob die Aufenthaltserlaubnis ungeachtet des Umstands, dass das Ausländergesetz 1965 - anders als das Ausländergesetz 1990 - keinen Verlusttatbestand für eine Aufenthaltserlaubnis enthielt, der allein an den Ablauf einer zeitlich bestimmten Frist für die Wiedereinreise anknüpfte, auch nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 erloschen ist, weil der Kläger nicht innerhalb von 6 Monaten nach seiner Ausreise (freiwillig) in das Bundesgebiet wieder eingereist ist, bedarf keiner Entscheidung mehr. Die Frage nach der Vereinbarkeit der Regelung in § 44 Abs. 1 Nr. 3 AuslG 1990 mit den Stillhalteklauseln (Art. 41 Abs. 1 ZP und Art. 13 ARB 1 /80) kann daher offen bleiben (dies bejahend BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C.6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn 16 ff.).
52 
Soweit § 44 Abs. 1a und 1b AuslG in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung Ausnahmen vom Erlöschen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 44 Abs.1 Nr. 2 und 3 AuslG vorsahen, griff diese Privilegierung beim Kläger nicht ein, da er die Voraussetzungen dieser Bestimmungen nicht erfüllte. Die gegenüber der Vorgängernorm personell und inhaltlich günstigere Regelung des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Erlöschensgrund bereits vor dem 01.01.2005 eingetreten war. Im Übrigen hätte diese auch nicht zu einem für den Kläger besseren Ergebnis geführt. Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 2005 erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist. Unabhängig davon, ob für die Prognose zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt der Ausreise (VG München, Urteil vom 27.11.2007 - M 4 K 07.3681 - juris Rn. 42 ff.), des - mit der Ausreise nicht zwangsläufig identischen - mutmaßlichen Erlöschens (OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2010 - 18 B 111/10 - juris Rn. 8) oder der Wiedereinreise (BayVGH, Beschluss vom 15.10.2009 - 19 CS 09.2194 - juris Rn. 14) abzustellen wäre, hätte eine positive Prognose nicht getroffen werden können. Der Kläger finanzierte jedenfalls ab 2003 sein Leben ausschließlich aus den Gewinnen der Drogenkriminalität und hatte im Zeitpunkt der „Wiedereinreise“ im Wege der Auslieferung einen langen Gefängnisaufenthalt zu erwarten, was der prognostischen Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht.
2.)
53 
Auch sonstigen Umstände, die zu Gunsten des Klägers zu einer Veränderung des nationalrechtlichen Entscheidungsmaßstabs führen würden, liegen nicht vor.
a.)
54 
Die Voraussetzungen für einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG sind ebenfalls nicht einschlägig, so dass die Ist-Ausweisung nicht zu einer Regelausweisung herabgestuft ist. Daher kann auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zur Anwendung gelangen, wonach ein Ausnahmefall von der Regelausweisung - und damit die Notwendigkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung - bereits dann vorliegt, wenn durch höherrangiges Recht oder Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Belange des Ausländers eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles gebieten (Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwG 129, 367). § 53 AufenthG lässt gerade keinen Spielraum für eine individuelle Gefahrenprognose oder eine eigene Güter- und Interessenabwägung der Ausländerbehörde zu; mithin fehlt es an einer ausländerrechtlichen Grundlage für die Veränderung des Entscheidungsspielraums. Allerdings steht die § 53 AufenthG innewohnende Typisierung, dass die Ausweisung geboten und verhältnismäßig ist, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung entgegen zu wirken, unter dem verfassungsrechtlichen Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall (vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 10.12.1993 - 1 B 160/93 - juris Rn. 3 und vom 30.12.1993 - 1 B 185/93 - juris Rn 7; Renner, a.a.O., § 53 Rn. 3 ff.; GK-AufenthG § 53 Rn. 17 f., 59, 62 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 10.05.2007- 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275 und vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR 2007, 443) entbindet die normative Vertypung und Gewichtung der Ist-Ausweisung daher nicht davon, die konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu prüfen und zu würdigen, da nur so sichergestellt ist, dass die Verhältnismäßigkeit bezogen auf die Lebenssituation des Ausländers gewahrt bleibt (vgl. dazu auch Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482 ff.). Die Ausweisung erweist sich jedoch als verhältnismäßig (siehe nachfolgend III. und IV.).
b.)
55 
Eine Verschiebung des rechtlichen Prüfungsrahmens findet auch nicht im Hinblick auf die Standstill-Klauseln statt. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation - ZP - werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Nach Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Vertragsparteien für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Die Stillhalteklausel unterstellt die nationale Regelungszuständigkeit dem Vorbehalt, dass neue Vorschriften die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den Zugang zur Beschäftigung sowie den damit verbundenen Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen nicht strengeren Bedingungen als denjenigen unterwerfen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der jeweiligen Stillhalteklausel in dem betreffenden Mitgliedstaat galten und steht auch einer Rücknahme zwischenzeitlich eingeführter Vergünstigungen für diesen Personenkreis entgegen (vgl. näher EuGH Urteil vom 09.12.2010 - C-300/09 - und vom 21.10.2003 - C-317/01 - ). Art. 41 ZP ist im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht einschlägig sein, weil der Kläger weder Selbstständiger noch Dienstleistungsempfänger oder -erbringer im Sinne dieses Artikels ist (vgl. näher Renner, a.a.O., § 4 Rn. 203 ff. und 206 ff.). Auch Art. 13 ARB 1/80 gebietet nicht, die Ausweisung des Klägers am Maßstab der Ermessensausweisung nach § 10 AuslG 1965 zu prüfen. Art. 13 ARB 1/80 ist - speziell was die Aufenthaltsbeendigung eines türkischen Staatsangehörigen durch Ausweisung anbelangt - für den Personenkreis von Bedeutung, der kein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 innehat. Begünstigt nach Art. 13 ARB 1/80 sind damit unter anderem die ordnungsgemäß beschäftigten Arbeitnehmer, die noch nicht in die Aufenthaltsverfestigung nach einer der Alternativen des Art. 6 ARB 1/80 hineingewachsen sind (vgl. zu den Einzelheiten des Anwendungsbereichs GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 63 ff.). Zwar dürfte der Kläger durch die ihm erlaubte Weiterbildung wieder dem Arbeitsmarkt angehören. Allerdings können sich nur solche türkischen Staatsangehörige auf die Stillhalteklausel des Art 13 ARB 1/80 berufen, die sich ordnungsgemäß im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten. Der Begriff „ordnungsgemäß“ in Art. 13 ARB 1/80 bedeutet, Aufenthalt und etwaige Beschäftigung müssen rechtmäßig sein (vgl. näher EuGH, Urteil vom 17.09.2009 - C-242/06 - Rn. 53 und vom 21.10.2003 - C-317/01 - Rn. 84; GK-AufenthG, Art. 13 ARB 1/80 Rn. 8; Farahat, Von der Stillhaltepflicht zur „zeitlichen Meistbegünstigung“ im Assoziationsrecht, NVwZ 2011, 343, 344). Dies entspricht dem Grundsatz, dass das Assoziationsrecht die Befugnis des Aufnahmestaats, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, nicht tangiert. Auch dem - bezüglich der Folgen aus Art. 13 ARB 1/80 inhaltlich sehr weitgehenden - Urteil des EuGH in der Rechtssache Kommission gegen Niederlande (vom 29.04.2010 - C-92/07 - 44 ff., insb. Rn. 49) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Der Kläger hält sich jedoch nicht legal im Bundesgebiet auf. Seinen rechtmäßigen Aufenthalt hat er schon vor seiner zwangsweisen Rückführung am 12.08.2005 verloren und in der Folgezeit nicht erneut begründet (vgl. dazu oben II 1. und I 2. bis 4.).
III.)
56 
Die spezialpräventive Ausweisung des Klägers als eines hier geborenen und aufgewachsenen Ausländers der 2. Generation ist aufgrund der von ihm nach wie vor ausgehenden Wiederholungsgefahr auch im Hinblick auf sein im Bundesgebiet geführtes Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verhältnismäßig.
57 
Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Nach der mittlerweile hinreichend gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs von einem bestimmten, nicht notwendigerweise abschließenden Kriterien- und Prüfkatalog auszugehen (vgl. etwa Urteil vom 02.08.2001 - Nr. 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - Nr. 46410/99 -, <Üner> NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - Nr. 1683/04 -, InfAuslR 2008, 333 und vom 25.03.2010 - Nr. 40601/05 -, InfAuslR 2010, 325). Dieser kann ohne weiteres auch Geltung für die Beantwortung der Frage beanspruchen, ob ein derartiger Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist. Es handelt sich dabei um folgende Kriterien: Die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat; das Alter des Ausländers bei Begehung der Straftaten; der Charakter und die Dauer des Aufenthalts im Land, das der Ausländer verlassen soll; die seit Begehen der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Ausländers seit der Tat, insbesondere im Strafvollzug; die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten; die familiäre Situation des Ausländers und gegebenenfalls die Dauer der Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen; der Grund für die Schwierigkeiten, die der Partner in dem Land haben kann, in das ggfs. abgeschoben werden soll; ob der Partner bei Begründung der familiären Beziehung Kenntnis von der Straftat hatte; ob der Verbindung Kinder entstammen, und in diesem Fall deren Alter; das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere der Umfang der Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggfs. abgeschoben werden soll; die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits.
1.)
58 
Was die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden „straftatbezogenen“ Kriterien anbelangt, so ist festzustellen, dass die vom Kläger als junger Erwachsener bis zu seiner Festnahme im Alter von 23 Jahren verübten Straftaten ihn als einen Intensivtäter auf dem Gebiet der Rauschgiftkriminalität ausweisen. Er ist über einen Zeitraum von etwa drei Jahren in einer sich quantitativ und qualitativ steigernden Weise an führender Stelle in einer international verbundenen Bande von Rauschgifthändlern massiv durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln straffällig geworden. Die Menge der gehandelten Betäubungsmittel, die Art und Weise der Tatbegehung und die ihr zugrunde liegende Motivation belegen, dass er ohne durchgreifende Skrupel die Sucht anderer als Mittel für seine persönliche Bereicherung eingesetzt hat. Er ist der „Prototyp“ des international und national vernetzten, im großen Stile tätigen und seine kriminellen Ziele im Interesse der Gewinnmaximierung effizient verfolgenden Rauschgifttäters, dessen Handlungen in höchstem Maße gesellschaftsschädigend sind und unermessliches menschliches Leid verursachen. Unter Zugrundelegung der Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils und der Erkenntnisse aus beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten, wobei hier vor allem der vorläufige Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 und der endgültige vom 04.08.2005 und die Vermerke des die Ermittlung leitenden Polizeibeamten KHK KI. zu nennen sind, sowie aus den Angaben des Klägers vor und nach seiner Verurteilung ergibt sich folgendes Bild:
59 
Der Kläger veräußerte zunächst als Einzeltäter im Sommer 2002 Marihuana, sodann spätestens im Oktober 2002 als Mittäter von ... Y. und versorgte jedenfalls ab Dezember 2003 bandenmäßig den Großraum ... mit Marihuana von guter Qualität. In der kriminellen Hierarchie stieg er im Laufe der verübten Rauschgiftdelikte vom „Handlanger und Läufer“ des ... Y. zu dessen „rechter Hand“ auf und konnte bei Bedarf anderen Bandenmitgliedern einzelne Aufgaben zur Erledigung zuweisen. Das „letzte Wort“ in der Bande hatte allerdings ... Y., was auch die Strafkammer in ihrem Urteil vom 24.11.2005 zu Gunsten des Klägers berücksichtigt hat. Der Kläger war in die zeitliche Organisation der Rauschgiftlieferung jedoch ebenso eingebunden wie in deren Abwicklung einschließlich des Eintreibens ausstehender Verkaufserlöse. Auch das Treffen mit „Hintermännern“ und die Erschließung neuer Lieferanten, um den wachsenden Absatz von Rauschmittel bedienen zu können, ging unter Beteiligung des Klägers von sich. Die Bande bezog das Rauschgift von drei untereinander unabhängigen „Quellen“ aus Holland. Lieferungen erfolgten über ... E., die Bande des ... T. und aus einem über das Bandenmitglied ... F. eingefädelten Kontakt („...“). Das Rauschgift kam auf unterschiedlichen Transportwegen und unter Beteiligung verschiedener Personen nach ... und wurde von dort veräußert, wobei es die Organisationen verkraftet haben, dass auch einzelne Lieferungen „hoch gegangen“ sind. Für die Umladung, Aufbereitung und Verteilung des nach ... gebrachten Rauschgifts wurden neben der von ... Y. und dem Kläger bewohnten Wohnung konspirativ unauffällige Örtlichkeiten genutzt, wie etwa Tiefgaragen. Die Rauschgiftgeschäfte wurden - wie der Zeuge KHK. K in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Einzelnen nochmals erläutert hat - profimäßig abgewickelt. Mit der sehr effizienten Organisation wurden unter führender Beteiligung des Klägers in einem Zeitraum von Januar 2002 bis Juni 2005 insgesamt zwei Tonnen Marihuana sowie mehrere Kilogramm Kokain und Ecstasy-Tabletten im Großraum ... verteilt. Diese in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 16.03.2007 enthaltenen Daten und Mengen entsprechen auch den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sowie denjenigen des Zeugen KHK K. Letzterer hat überzeugend dargelegt, wie sich die genannten Mengen unter Berücksichtigung auch der Aussagen von anderen Mitgliedern der Bande und von Abnehmern errechnen und dass hinsichtlich Kokain von einer gehandelten Mindestmenge von fünf Kilogramm auszugehen ist. Zwar liegt dem - ausgehandelten - Strafurteil nur eine angeklagte Menge von etwa 230 kg Marihuana und 500 g Kokain zugrunde, auch hat die Staatsanwaltschaft in der oben genannten Einstellungsverfügung hinsichtlich der Straftaten, die nicht schon Gegenstand des „Deals“ vor der Strafkammer waren (vgl. dazu den Vermerk der Staatsanwaltschaft vom 25.11.2005 und die dem beigefügte Auflistung), von der Erhebung der Anklage gem. §154 StPO i.V.m. § 31 BtMG abgesehen. Dies spricht jedoch nicht dagegen, bei der Frage, ob im konkreten Einzelfall eine Ausweisung wegen Rauschgiftkriminalität verhältnismäßig ist, den tatsächlichen Umfang der Rauschgiftgeschäfte einzustellen und zu würdigen.
60 
In den überwiegend auf Kommissionsbasis abgewickelten Rauschgifthandel waren nach den Zeugenangaben von KHK K. etwa 20 bis 25 direkte Abnehmer der Bande Y. eingebunden, die die Betäubungsmittel ihrerseits weiter veräußerten. Nach den Darstellungen von KHK K. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat setzte die Bande Y. selbst bei konservativer Berechnung Drogen in einem Wert von weit über sechs Millionen EUR brutto um. Der Senat hat keinen Anlass, diesen wirtschaftlichen Wert in Zweifel zu ziehen. Im Übrigen veranschaulicht auch der im Urteil des Landgerichts Stuttgart bezüglich der abgeurteilten Straftaten gegenüber dem Kläger angeordnete Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 857.300 EUR, davon in Höhe von 848.700 EUR gesamtschuldnerisch mit ... Y., in welcher wirtschaftlichen Größenordnung sich die Drogengeschäfte unter seiner Beteiligung abspielten. Die unter führendem Engagement des Klägers durch das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln angerichteten gravierenden gesellschaftlichen und menschlich-individuellen Schäden liegen bei den umgesetzten Mengen auf der Hand. Dass es sich bei dem hauptsächlich gehandelten Marihuana um eine eher „weiche“ Droge handelt, nimmt der Tat nicht ihre Gefährlichkeit - zumal dieses Rauschgift häufig der Einstieg für eine „Drogenkarriere“ ist.
61 
Bemerkenswert ist, dass den Kläger die Verhaftung von Abnehmern im April 2003 und die Sicherstellung von durch ihn gelieferten Rauschgifts nicht zu einem Umdenken veranlasste, vielmehr hielt ihn das nicht davon ab, sich danach bandenmäßig zu organisieren und die Rauschgiftgeschäfte zu intensivieren. Auch legte der Kläger seine anfängliche Ablehnung was Kokain anbelangt nach und nach ab. Zwar nahm er nicht selbst den Handel mit den insgesamt mindestens fünf Kilogramm Kokain „in die Hand“, jedoch unternahm er auch nichts mehr dagegen und gab sogar seiner damaligen Freundin ... V. Kokain in einer Menge von insgesamt 250 g auf Kommissionsbasis. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden dürfte die Gruppierung um ... Y. ab Februar 2004 die Befürchtung gehabt haben, unter polizeilicher Beobachtung zu stehen; die Wohnung in der ... wurde gekündigt und eine neue geeignete Immobilie gesucht. Selbst dies war für die Bande kein Grund gewesen aufzuhören; vielmehr verließ man sich offensichtlich darauf, aufgrund der Organisationsstruktur ungefährdet weitermachen zu können. Auch die Verhaftung der Bandenmitglieder im April 2004 war für den Kläger kein Anlass, vom Rauschgifthandel Abstand zu nehmen. Er floh ganz bewusst nach Holland und kam dort bei seinen Lieferanten unter, zunächst bei ... E., später bei ... T. In der Zeit von Juni bis Dezember 2004 organisierte der Kläger in zehn Fällen Marihuanalieferungen an ... und ... E., wobei in sechs Fällen 10 kg und in vier Fällen 10 - 15 kg von den Niederlanden nach Deutschland gebracht und von diesen an die ehemaligen Abnehmer der Bande Y. verteilt wurden. Das Rauschgift stammte von ... T., bei dessen Bande die Bande des ... Y. Schulden aus Rauschgiftgeschäften hatte; die neuen Taten dienten insoweit zur Tilgung von Altschulden. Gerade auch in den Taten in den Niederlanden zeigt sich die besondere Gefährlichkeit des internationalen Rauschgifthandels. Dem Kläger war es auch nach der Verhaftung der Bandenmitglieder problemlos möglich, aufgrund des verzweigten Organisationssystems einfach weiterzumachen. Seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung ließ nicht erkennen, dass er von dem „Gläubiger“ hierzu gezwungen worden wäre. Er konnte sich in den Niederlanden frei bewegen. Es war seine eigene Entscheidung, seine kriminellen Taten fortzusetzen.
62 
Die Rauschgiftgeschäfte wurden auch nicht aus einer wirtschaftlichen Notsituation, einer sozial problematischen Lage oder aus einer bestehenden Abhängigkeit heraus begonnen oder weitergeführt. Zwar ist der Kläger nach seinen Angaben in einem sozialen Brennpunktviertel und unter dem Eindruck sehr knapper finanzieller Mittel der Familie sowie familiärer Streitereien zwischen seinem Vater und seinen Brüdern aufgewachsen. Als er im Alter von etwa 21 Jahren in den Drogenhandel in großem Stil einstieg, lag diese Phase jedoch hinter ihm; damals hatte er erfolgreich seine Lehre abgeschlossen und war als Drucker berufstätig. Soweit das Landgericht in seinen Strafzumessungserwägungen strafmildernd gewertet hat, dass die Hemmschwelle des Klägers nicht ausschließbar durch seinen Eigenkonsum herabgesetzt war, ist damit keine Abhängigkeit umschrieben. Vielmehr war es in den Kreisen, in denen er verkehrte, nicht ungewöhnlich, gelegentlich Rauschgift, darunter auch Kokain, selbst zu konsumieren. Dies hat der Kläger in seinen polizeilichen Vernehmungen anschaulich geschildert. Die vom ihm selbst stets verneinte Abhängigkeit ist auch durch die regelmäßigen negativ verlaufenden Drogenkontrollen während der Haft bestätigt. Motiv für die Betäubungsmitteldelikte waren allein das Gewinnstreben, der Genuss des luxuriösen Lebens und das „Glücklichsein im Hier und Jetzt“. Diese Motivation ist in den polizeilichen Vernehmungen des Klägers und ... Y. übereinstimmend berichtet worden und vor allem auch aus ihrem tatsächlichen verschwenderischen Lebensstil ersichtlich, der im Urteil des Strafgericht angesprochen worden und der insbesondere in dem vorläufigen Ermittlungsbericht der Polizei vom 31.08.2004 dokumentiert ist. Dieser umfasste unter anderem die Anmietung einer luxuriösen Wohnung, die mit teuren Einrichtungsgegenständen ausgestattet war (z.B. Flachbildschirmfernseher mit einem Wert zw. 7.000 und 8.000 EUR), Flugreisen, Aufenthalte in teuren Hotels, die Nutzung von Autos der gehobenen Klassen (unter anderem Jaguar), Partys, aber auch Kontakte zu Prostituierten und extrem häufige Taxibestellungen (etwa um ein Baguette abholen zu lassen) sowie ein Auftreten als „Geschäftsmänner“ mit den entsprechenden Begleitutensilien wie Designer-Handy, Kugelschreiber im Wert von 1.000 EUR, Schmuck, Uhren.
2.)
63 
Was das ebenfalls in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzufließende Verhalten des Klägers nach der Tat und seine Entwicklung bis heute anbelangt, ist der Senat aufgrund der oben dargelegten konkreten Umstände der Tat und nach dem Eindruck, den er aus dem Inhalt der Akten und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, der Überzeugung, dass vom Kläger nach wie vor die in den Taten angelegte Wiederholungsgefahr ausgeht. Daher kann dahingestellt bleiben, ob bei der Verwirklichung eines Ausweisungstatbestands nach § 53 AuslG nach nationalrechtlichem Maßstab eine Unverhältnismäßigkeit einer spezialpräventiven Ausweisung nur dann eintreten könnte, wenn die Wiederholungsgefahr gänzlich entfallen oder jedenfalls extrem gemindert wäre (vgl. GK-AufenthG, § 53 Rn. 62 i.V.m. Vor §§ 53 ff. Rn. 418 ff.) und ob - solange dies nicht festgestellt werden kann - auch der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK das der nationalen Norm immanente schwerwiegende spezialpräventive Ausweisungsinteresse mit diesem Gewicht zugrunde zu legen wäre.
a.)
64 
Der Senat misst hinsichtlich der Feststellung der Wiederholungsgefahr dem kriminalprognostischen Gutachten von Dr. X. vom 07.09.2010, das aus forensisch psychiatrischer Sicht feststellt, dass die durch die Taten zutage tretende Gefährlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Das Gutachten beruht in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen, die ihrerseits jedenfalls zum Teil auf falsche oder unvollständige Angaben des Klägers bei seiner Exploration zurückgehen (aa.). Darüber hinaus ist das schriftliche Gutachten in zentralen Punkten nicht schlüssig (bb.). Die dem Gutachten innewohnenden Mängel sind auch nicht durch die Erklärungen der Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeräumt worden (cc.).
aa.)
65 
Die Gutachterin ging davon aus, der Kläger habe - entsprechend seiner Angaben während der Untersuchung - allenfalls als Jugendlicher zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr Marihuana geraucht (S. 12 i.V.m. S. 16). Tatsächlich hat der Kläger jedoch nach früheren Angaben auch während der Phase seiner Betäubungsmittelkriminalität Drogen genommen; so hat er während seines Aufenthalts in den Niederlanden, damals war er 23 Jahre alt, Kokain konsumiert. Diesen Konsum hat der Kläger in der Berufungsverhandlung - allerdings erst auf intensive Nachfrage und unter Vorhalt seiner Angaben in seiner Vernehmung als Beschuldigter am 17.11.2005 - auch eingeräumt. Der Betäubungsmittelkonsum auch noch als junger Erwachsener findet im Gutachten ebenso wenig Beachtung wie der - vom Kläger anlässlich seiner Exploration ebenfalls nicht erwähnte - Umstand, dass er Ende Januar 2005 versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Von beidem hat die Gutachterin nach ihren eigenen Angaben in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals durch die hier erfolgte Anhörung des Klägers erfahren. Dies verdeutlicht im Übrigen, dass die Gutachterin, die ihr Gutachten ausdrücklich auch auf die drei Bände Strafakten stützt (S. 2 des Gutachtens), diese möglicherweise nicht genügend beachtet hat. Das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 17.11.2005, in dem der Kläger den Drogenkonsum und auch das Queraufschneiden der Pulsadern, weil er „nonstop drauf gewesen“ sei, ausdrücklich eingeräumt hat, befindet sich in Band III der Strafakten, die der Gutachterin vorlagen.
66 
Unrichtig oder jedenfalls „geschönt“ waren auch die Angaben des Klägers zu seiner angeblich intakten Beziehung. Das Gutachten hält unter anderem folgende Angaben des Klägers fest (S. 7): „Er verfolge jetzt andere Ziele im Leben. Er habe jetzt eine Freundin, werde sich verloben. Das wichtigste sei, dass er ihrer Mutter vor 2, 3 Monaten gesagt habe, was mit ihm los sei, nämlich dass er im Gefängnis sei. Das sei seine erste türkische Freundin überhaupt. Früher habe er keine türkischen Freundinnen gehabt. Es sei jetzt aber eine ganz tolle Erfahrung für ihn, diese Beziehung zu einer türkisch-stämmigen Freundin.“ Auf S. 11 des Gutachtens sind - auszugsweise - folgende weitere Angaben des Klägers festgehalten: „Letztes Jahr habe er über einen Freund in ... seine Freundin kennengelernt, die aus K. in Bayern stamme….Im Februar diesen Jahres habe er ihr erzählt, was mit ihm sei….Ende des Jahres werde man das Verlobungsfest feiern und „so Gott will“ im nächsten Jahr heiraten….. Man habe vor kurzem mit der Familie eine „kleine Verlobung“ bei ihren Eltern gefeiert….Das Fest sei sehr schön und sehr traditionell gewesen. Er hab sich nie vorstellen können, dass ihm so was passieren werde. Traditionell sei zum Beispiel gewesen, dass seine Verlobte ihm Salz statt Zucker in den Kaffee getan habe und er diesen dann entsprechend der Tradition trotzdem getrunken habe.“ Hinsichtlich früherer Beziehungen führte er aus (S. 12): „Er habe seitdem er 17 Jahre alt gewesen sei immer wieder Freundinnen gehabt. Die erste Beziehung habe vier Jahre gedauert. Dann habe er noch mal eine Beziehung zwischen 2000 und 2004 gehabt.“ Wie die Gutachterin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mehrfach erklärt hat, sei ihr die Schilderung der Verlobungsfeier, die von ihm als wertvoll erlebte Tradition, sehr zu Herzen gegangen; es sei für sie sehr anrührig gewesen. Grundlage ihrer positiven Prognose ist ausweislich des Gutachtens auch die Annahme der Einbindung des Klägers in einer stabilen Beziehung zu seiner türkischen Staatsangehörigen. Tatsächlich kriselte es jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner früheren Verlobten. Bereits im August 2010 - zu diesem Zeitpunkt war der Kläger nach seinen Angaben in der Berufungsverhandlung eigentlich noch verlobt - frischte er die Kontakte mit seiner jetzigen Partnerin auf. Im September habe er ihre Wohnung komplett renoviert, da seien sie sich näher gekommen, seit November 2010 seien sie ein Paar. Darüber hinaus verschwieg der Kläger bei der Exploration seine frühere Beziehung zu ... V. Mit ihr war er seit Januar 2004 „zusammen“. Diese erwartete wohl von ihm ein Kind; der Abbruch der Schwangerschaft wurde von ihm bezahlt. Bis einschließlich August 2007 wurde er regelmäßig von ... V., die zeitweise in der Wohnung seiner Eltern lebte und von ihm selbst als seine Verlobte bezeichnet wurde, besucht. Unter dem 21.08.2006 erkundigte er sich sogar nach der Möglichkeit des Heiratens im Gefängnis. Gerade mit Rücksicht auf diesen Umstand nimmt der Senat dem Kläger seine Versuche in der mündlichen Verhandlung, diese Beziehung als unbedeutend darzustellen und mit der Begründung schlecht zu machen, ... V. sei nur eine Prostituierte, nicht ab. Am 27.02.2008 teilte der Rechtsanwalt von ... V. gegenüber der JVA ... mit, nach Darstellung seiner Mandantin besitze ihr Ex-Freund in der JVA ein Handy sowie ihr Tagebuch und eine goldene Halskette. Eine deswegen angeordnete Durchsuchung des Klägers sowie seines Haftraums und seines Arbeitsplatzes verlief negativ. In Reaktion darauf gab der Kläger am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich gegenüber den Ermittlungsbehörden an, im Zeitraum Februar/März 2004 in drei Taten insgesamt 250 g Kokain an seine damalige Freundin ... V. gewinnbringend auf Kommission verkauft zu haben. Diese Erkenntnisse ergeben sich aus den - von der Gutachterin nicht beigezogenen - Gefangenenpersonalakten und aus der Akte im Ermittlungsverfahren 221 Js 45897/08.
67 
Des Weiteren hat der Kläger bei der Gutachterin angegeben, zu seinen früheren Freunden habe er keinen Kontakt mehr, wolle auch keine Kontakte mehr haben. Tatsächlich ist jedoch der langjährige Freund des Klägers M.Y., der ebenfalls Mitglied der Bande Y. war und deswegen zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ausweislich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 Zeuge der nach islamischem Recht eingegangenen Verbindung zwischen dem Kläger und ... D. gewesen. In der mündlichen Verhandlung begründete der Kläger die Wahl seines Zeugen damit, dass dieser aus dem Glauben heraus lebe und kein schlechter Mensch sei.
68 
Darüber hinaus hat der Kläger mit der Gutachterin über seine Umschulung als Mediengestalter gesprochen. Im Rahmen ihrer Beurteilung der Wiederholungsgefahr hat sie den vom Kläger stringent verfolgten Weg, sich beruflich weiter zu qualifizieren, positiv gewürdigt. Die Gutachterin hat jedoch in ihre Beurteilung nicht eingestellt, dass der Kläger nach wie mehr als 800.000 EUR Schulden aus dem im Strafurteil angeordneten Verfall des Wertersatzes hat.
69 
Schließlich ist der Gutachterin bei der Abfassung des Gutachtens das Ausmaß des kriminellen Verhaltens des Klägers nicht geläufig gewesen. Das Gutachten referiert zwar Teile aus dem Strafurteil (S. 2 ff.) und verweist zu Beginn der „Zusammenfassung und Beurteilung“ unter anderem darauf, dass sich der Kläger ab Dezember 2003 zusammen mit Mittätern zu einer Gruppierung zusammengeschlossen hat, „welche im Kilogrammbereich in ... und Umgebung“ mit Marihuana Handel betrieben hätten“. Die tatsächlich umgesetzten Mengen der verschiedenen gehandelten Betäubungsmittel, die Organisationsstrukturen sowie die Stellung des Klägers innerhalb des Systems sind ihr jedoch - wie sie selbst eingeräumt hat - erstmals im Laufe der Verhandlung vor dem Senat in aller Deutlichkeit bewusst geworden.
bb.)
70 
Darüber hinaus sind wesentliche Aussagen im Beurteilungsteil nicht schlüssig bzw. nachvollziehbar. So heißt es dort: „Herr X. soll nach seiner Inhaftnahme seine Kenntnisse über den organisierten Drogenhandel den Behörden gegenüber offenbart haben, so dass allein aus diesem Grund eine Rückkehr in solcherart kriminelle Aktivitäten ihm wohl künftig nicht mehr möglich sein dürfte“. Wieso die Gutachterin zu dieser Einschätzung gelangt, wird nicht transparent gemacht, möglicherweise knüpft sie allein an die entsprechenden Ausführungen im Antrag des Klägers vom 09.03.2010 auf Aussetzung des Rests der Freiheitsstrafe zur Bewährung an. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend -schon gar nicht im vorliegenden Fall, bei dem etliche Leute der Organisation „ausgepackt“ haben. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führt in ihrem Schreiben vom 28.03.2011 an den Senat auch aus, dass erfahrungsgemäß Aufklärungshilfe nicht unbedingt zwingend zur Folge habe, das eine Rückkehr ins Rauschgiftmilieu „verbaut“ werde - zumal dann nicht, wenn sie mit einem Ortswechsel des „Verräters“ verbunden sei.
71 
Die Gutachterin nimmt weiter an, die soziale Situation des Klägers sei (wieder) gesichert. Sie setzt sich aber nicht mit dem Umstand auseinander, dass die Drogendelikte aus einer intakten Existenz heraus begangen wurden. Der Kläger lebte zu Beginn der Taten in geordneten familiären Verhältnissen und verfügte nach abgeschlossener Lehre in seinem Ausbildungsberuf über regelmäßige Einkünfte. Trotzdem hat ihn das von den Straftaten nicht abgehalten. In diesem Zusammenhang fehlen auch Aussagen dazu, ob und wie sich die derzeit noch vorhandenen Schulden in Höhe von etwa 800.000 EUR auf die (soziale) Situation des Klägers auswirken könnten.
72 
Das positive Ergebnis des Gutachtens beruht auch auf der Auffassung der Gutachterin, die Tathandlungen seien situativ, d.h. lebensgeschichtlich begrenzt gewesen (Adoleszenz), die verurteilten Taten hätten in einer abgrenzbaren Lebenssituation, d.h. im frühen Erwachsenenalter stattgefunden. Abgesehen davon, dass Aussagen zur Einordnung von Tathandlungen schon nicht belastbar getroffen werden können, wenn ein Gutachter - wie hier - das Ausmaß des kriminellen Fehlverhaltens nicht zutreffend erkennt und würdigt, ist dem Senat aus zahlreichen weiteren Ausweisungsverfahren bekannt, dass Rauschgiftkriminalität jedenfalls in der oben unter III 1. dargestellten Art und Weise keine für die Adoleszenz typische Tat und auch nicht zwingend auf eine abgrenzbare Lebenssituation beschränkt ist.
73 
Schließlich bleibt auch unklar, weshalb die Gutachterin davon ausgeht, dass die Erfahrung der Inhaftierung beim Kläger offenkundig einen nachvollziehbaren Gesinnungswandel bedingt hat. Allein in einem ambulanten Termin mit dem Kläger, der lediglich 1 ½ Stunden gedauert hat, lässt sich dies in Anbetracht des Ausmaßes der kriminellen Vorgeschichte nach Überzeugung des Senats kaum verlässlich eruieren - zumal wenn der zu Beurteilende in einzelnen Punkten die Unwahrheit sagt oder die Lage beschönigt. Die Gefangenenpersonalakten, die hierüber näheren Aufschluss geben könnten, sind von der Gutachterin nicht beigezogen worden.
cc.)
74 
Die aufgezeigten Defizite im Gutachten, die ihre Ursache auch darin haben können, dass - wie die Gutachterin gegenüber dem Senat ausgeführt hat - die Beauftragung durch die Strafvollstreckungskammer „in sehr zeitknappem Zustand“ erfolgte und der Kläger sich schon im Freigang bewährte, sind durch ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden. Ihre Erklärungen sind insgesamt vage, ausweichend und für den Senat nicht überzeugend gewesen.
75 
Aus der Antwort auf die Frage des Senats, welche Bedeutung die Schulden des Klägers aus dem Verfall des Wertersatzes für die Wiederholungsgefahr haben, wird deutlich, dass die Gutachterin an diesem Problem gänzlich vorbei geht. Sie führt nämlich hierzu aus, dass der Kläger im jungen Erwachsenenalter zu den Taten gekommen sei. Er sei gierig nach Geld gewesen. „Veränderungen seien möglich und insbesondere Hafterfahrung und Nachdenken klinge authentisch, so dass man sich vorstellen könne, dass hinsichtlich der Schulden, die aus den Taten stammen, weil eben das Geld nicht gespart worden sei, um es abzugeben, sondern es ausgegeben worden sei, Veränderungen in der Wertehaltung möglich seien.“
76 
Auch was die Frage der Einordnung der Tat als durch die Adoleszenz bzw. lebensgeschichtlich begrenzt anbelangt, sind nach Auffassung des Senats die Ausführungen der Gutachterin nicht überzeugend. Sie hat nach wie vor nur auf das damalige Alter des Klägers und die zwischenzeitliche Hafterfahrung abgestellt ohne sich jedoch mit der hohen Professionalität der Betäubungsmittelstraftaten und der Tatsache, dass ältere Bandenmitglieder eine vergleichbare Stellung innerhalb der Organisation nicht erreicht haben, auseinander zu setzen. Gleichzeitig bleibt sie eine Antwort auf die Frage schuldig, warum diesen Faktoren bei der Beurteilung insoweit keine entscheidende Bedeutung zukommen soll.
77 
Hinsichtlich der von der Gutachterin angenommenen verbauten Rückkehr in die früheren kriminellen Aktivitäten, hat sie zwar eingeräumt, dass es entsprechende andere Kreise geben könnte. Sie hat auch zur Kenntnis genommen, dass der Kläger entgegen seinen Bekundungen ihr gegenüber nach wie vor freundschaftlich mit einem früheren Mittäter verbunden ist. Welche Konsequenzen sie hieraus zieht, hat sie jedoch insoweit offen gelassen.
78 
Zwar ist etwa die Frage, ob der Kläger letztmalig als Jugendlicher oder schon im Erwachsenenalter Drogen und ggfs. welche genommen hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr als solche nicht relevant, weil Grund für die Straftaten keine eigene Abhängigkeit gewesen ist. Allerdings sind die unrichtigen Angaben durch den Kläger in diesem Punkt ebenso wie andere „Glättungen“ in der Darstellung, etwa was seine Beziehungen zu Frauen anbelangt, von Bedeutung für die Qualifizierung seiner Persönlichkeit - und vor allem für die Frage, ob dem Kläger vor diesem Hintergrund eine „innere Umkehr“ geglaubt werden kann. Hierzu direkt befragt hat die Gutachter gegenüber dem Senat lediglich angegeben, das sei schwierig.
79 
Im Verlaufe ihrer Anhörung hat die Gutachterin ungeachtet der von ihr selbst als kritisch angesehenen manipulativen Tendenzen des Klägers zunächst ausgeführt, dass sie dennoch an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten will, am Ende ihrer Befragung hat sie dies dahingehend relativiert, „sie glaube, sie würde auch noch zu dem Schluss kommen ‚ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr fortbesteht‘“. Abgesehen davon, dass eine solche lavierende Aussage nicht belastbar ist, sind auch die von der Gutachterin angeführten Gründe für ihre (möglicherweise) im Ergebnis gleichbleibende Einschätzung nicht zwingend, wenn nicht gar spekulativ. Sie hat hierzu ausgeführt, dass es sich nicht um eine Symptomtat gehandelt habe, der Kläger kein polytrop kriminell dissozialer Mensch sei und auch die harten negativen Fakten, wie sie z. B. bei Exhibitionismus vorhanden seien, fehlten. Das sei günstig. Positiv seien auch das Fehlen von Augenblicksverhaftetheit, das Lernen aus Erfahrungen, sein Ehrgeiz um berufliche Fortbildung. Allerdings hat die Gutachterin auf Nachfrage des Senats auch eingeräumt, dass die beim Kläger vorhandenen Eigenschaften ihn zu dieser sehr professionellen Betäubungsmittelkriminalität überhaupt erst befähigt haben. Letztlich sei es die Frage, ob man ihm die Änderung, künftig nicht mehr kriminell werden zu wollen, glaube.
80 
Im Hinblick auf die auch durch die mündliche Verhandlung nicht ausgeräumten Defizite des Gutachtens, misst der Senat diesem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Für das Gericht besteht auch keine Notwendigkeit, zur Beurteilung der Wiederholungsgefahr als Entscheidungshilfe ein erneutes Sachverständigengutachten einzuholen. In Ausweisungsverfahren ist es die ureigene richterliche Aufgabe dies selbst festzustellen. Tat- oder täterpersönlichkeitsbezogenen Besonderheiten, die ausnahmsweise abweichend hiervon eine Begutachtung durch einen Sachverständigen nahe legen würden (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 22.10.2008 - 1 B 5.08 - juris Rn. 5), weist der vorliegende Fall nicht auf.
b.)
81 
Die Frage der Wiederholungsgefahr ist nicht deshalb in einem für den Kläger günstigen Licht zu sehen, weil aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 26.10.2010 die Verbüßung des Restes der Freiheitsstrafe noch vor Ablauf von zwei Dritteln der Strafhaft zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
82 
In Vorbereitung dieser Entscheidung ist das kriminalprognostische Gutachten vom 07.09.2010 eingeholt worden. Hierauf bezieht sich auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer. Schon aufgrund der oben dargelegten Mängel des Gutachtens misst der Senat diesem für das Ausweisungsverfahren ebenfalls keine relevante Bedeutung zu. Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, für die Aussetzungsentscheidung sei das Gutachten letztlich nicht entscheidend gewesen, weil die Strafvollstreckungskammer aufgrund selbstständiger Prüfung zu dem Ergebnis gelangt sei, der Strafrest werde noch vor Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe nach § 57 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist die strafvollstreckungsrechtliche Einschätzung für die Beurteilung der ordnungsrechtlichen Wiederholungsgefahr nicht maßgebend. Dies gilt schon deshalb, weil die im Ausweisungsverfahren nunmehr verfügbaren Erkenntnisse die dort getroffenen Annahmen und Einschätzungen nicht mehr ohne weiteres plausibel und nachvollziehbar erscheinen lassen. So hat der Kläger in seiner Anhörung bei der Strafvollstreckungskammer am 21.10.2010 ungeachtet dessen, dass die Beziehung mit seiner damaligen Verlobten jedenfalls schon erheblich in die Krise geraten war und er sich - wie aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bestätigung des Vermieters von Frau D. vom 08.04.2011 ersichtlich - schon seit Oktober 2010 des Öfteren bei dieser aufgehalten hat, erneut den Eindruck erweckt, in einer stabil erscheinenden Beziehung mit einer türkischen Verlobten zu leben. Dies ist auch Grundlage des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geworden. Darüber hinaus ist der Senat aufgrund der ihm in dem für die Beurteilung der Ausweisung maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse, insbesondere des aufgrund der mehrstündigen mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks vom Kläger, nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger glaubhaft mit seiner kriminellen Vergangenheit auseinandergesetzt, sich von dieser distanziert und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchlaufen hat, an dessen Ende ein zukünftig straffreies Leben steht.
c.)
83 
Der Senat ist der Überzeugung, dass der Kläger ungeachtet dessen, dass seit der letzten Tat etwa 6 Jahre vergangen sind und er einen mehrjährigen auf Resozialisierung ausgerichteten Gefängnisaufenthalt hinter sich hat, keine solche Persönlichkeitswandlung und Verhaltensänderung durchlaufen hat, die in Anbetracht von Art und Ausmaß der von ihm begangenen Betäubungsmitteldelikte verlässlich den Schluss zulassen würde, er werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr (in vergleichbarer Weise) straffällig.
84 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist aus seiner Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nicht auf einen „Bruch“ mit vergangenen kriminellen Strukturen und entsprechender Reue zu schließen, die ein zukünftig rechtstreues Leben nahelegen. Zwar konnten aufgrund der Angaben des Klägers und des „Bandenchefs“ ... Y. etwa 90 Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, die zu teilweise langen Freiheitsstrafen führten. Dies hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart mit Schreiben vom 28.03.2011 gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt. Hervorzuheben ist auch, dass der Kläger über eigene Straftaten in den Niederlanden berichtete, über die die Ermittler im Vorfeld seiner Angaben keinerlei Erkenntnisse hatten. Nach dem Vermerk des Zeugen KHK K. vom 13.03.2006 teilte der Kläger ihm erstmals am 08.03.2006 mit, dass er aus der Zeit in den Niederlanden noch etwas zu „beichten“ habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart führte in ihrer Einstellungsverfügung vom 16.03.2007 nach § 154 StPO unter anderem aus, dass die Feststellungen zum Gesamtumfang der Tat allein auf den Angaben des Klägers beruhten und ihm ohne sein Geständnis nicht hätten nachgewiesen werden können. Darüber hinaus habe er seine Lieferanten und Abnehmer namentlich benannt und durch seine Angabe - auch in den jeweiligen Hauptverhandlungen - dazu beigetragen, dass ein Großteil dieser Personen habe abgeurteilt werden können, so dass ihm in ganz erheblichem Maße die Strafmilderung des § 31 BtMG zu Gute komme.
85 
Allerdings führt eine Aufklärungshilfe, die zur Überführung anderer Rauschgifthändler beigetragen hat, nicht zwingend zu einer prognostisch günstigen Beurteilung der Wiederholungsgefahr bei einem wegen illegalen Rauschgifthandels Verurteilten (BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 1 C 70.86 - BVerwGE 81, 356 und Beschluss vom 04.09.1992 - 1 B 155.92 - InfAuslR 1993, 11); maßgebend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls (vgl. auch GK-AufenthG, Vor §§ 53 ff. Rn. 1188 ff.). Aus der Existenz und der Anwendung von § 31 BtMG durch die Staatsanwaltschaft in ihren Einstellungsverfügungen ergibt sich nichts anderes. Das kriminalpolitische Ziel des § 31 BtMG besteht unter anderem darin, das Aufbrechen von Banden und kriminellen Vereinigungen zu ermöglichen, die strafrechtliche Verfolgung begangener Betäubungsmittelstraftaten zu verbessern und es dem einzelnen Täter zu erleichtern, sich von dem illegalen Rauschgifthandel abzusetzen. Auf die Motivation der Aufklärungshilfe kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 19.05.2010 - 2 StR 102/10 - juris und Beschluss vom 20.06.1990 - 3 StR 74/90 - juris). Mit Moral hat § 31 BtMG nichts zu tun. Die Privilegierung knüpft allein daran an, dass aufgrund der Offenbarung des Täters tatsächlich ein Aufklärungserfolg über seinen Tatbeitrag hinaus eingetreten ist (vgl. näher Weber, BtMG, 3. Aufl. 2009, § 31 Rn. 7 f., 16 f). § 31 BtMG kommt daher auch dann in Betracht, wenn der Täter seine Tat nicht bereut und auch zu einer Lebensumkehr nicht bereit ist (Weber, a.a.O., Rn. 65). Ausgehend von ihren Zielen ist diese Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich auf das Strafrecht beschränkt; sie enthält keinen darüber hinaus gehenden allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im Ausweisungsrecht Beachtung finden müsste.
86 
Der Senat ist der Überzeugung, dass die ab 15.11.2005 gezeigte Aussagebereitschaft des Klägers, die zunächst zu seinem Geständnis kurz vor der Hauptverhandlung am 24.11.2005 führte sowie ab Januar 2006 zu umfangreichen Angaben über Lieferanten, Abnehmer und Hintermänner, nicht auf einem grundlegenden Gesinnungswandel beruhte, insbesondere aus der Erkenntnis heraus, welchen immensen gesellschaftlichen und menschlichen Schäden er durch seine Delikte angerichtet hatte, sondern deshalb erfolgte, um sich persönliche Vorteile zu verschaffen - vor allem mit Blick auf eine Strafmilderung und vorzeitige Beendigung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Der Kläger äußerte dem Aktenvermerk des Zeugen KHK K. vom 18.11.2005 zufolge vor seiner Vernehmung am 16.11.2005 unter anderem, dass er seine Strafe so niedrig wie möglich halten und schnellstmöglich aus der JVA herauskommen wolle. Aus den polizeilichen Protokollen sowie Vorgängen in den Gefangenenpersonalakten ergibt sich, dass der Kläger in den Jahren 2006 und 2007 immer wieder darauf hingewiesen habe, er wolle so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommen bzw. so schnell wie möglich abgeschoben werden. So heißt es in einem Protokoll der JVA ... vom 09.10.2006 anlässlich der Fortschreibung des Vollzugsplans, der Kläger strebe eine zügige Abschiebung an. Auch zwischen dem Verteidiger des Klägers und der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab es im Juli 2007 Kontakte, ob im Hinblick auf die „Verdienste“ des Klägers bereits vor dem Halbstrafenzeitpunkt nach § 456a StPO verfahren werden könnte (vgl. näher die mit Schreiben vom 28.03.2011 vorgelegten Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft vom 17., 30. und 31.07.2005). Vor dem Hintergrund dieser Abläufe stellt sich die Aussagebereitschaft des Klägers als eine „Leistung“ in der unterschwelligen Erwartung einer „Gegenleistung“ dar. Auch ... Y. äußerte sich im Übrigen in seiner Zeugenvernehmung vom 07.03.2008 dahingehend, der Kläger habe sich persönlich erhofft, nach seinen Aussagen entlassen zu werden.
87 
Hinzukommt, dass uneigennützige Motive hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers zu seinen „Hinterleuten“ bei KHK K. auch deshalb nicht auf der Hand liegen, weil die weitere Bereitschaft des Klägers, in anderen Ermittlungsverfahren Angaben zu machen, Teil der dem Urteil zugrunde liegenden Absprache zwischen den Beteiligten war. Dies ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung des Landgerichts vom 24.11.2005 sowie aus dem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft Stuttgart ebenfalls vom 24.11.2005.
88 
Wären die umfangreichen Angaben des Klägers zu Beginn oder jedenfalls ab einem späteren Zeitpunkt von Reue und Einsicht in das immense Unrecht seiner Tat getragen gewesen, so hätte es nahe gelegen, dies im Zusammenhang mit den Vernehmungen zu offenbaren. Weder in den Straf- noch in den Ermittlungsakten in den Verfahren 221 Js 26457/06 und 221 Js 45897/08 finden sich entsprechende Hinweise auf solche die Angaben auslösende oder sie jedenfalls begleitende „Regungen“ beim Kläger. Auch der den Kläger immer wieder vernehmende Beamte KHK. K. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Anhaltspunkte für ein uneigennütziges Aussageverhalten nennen können. Bezeichnenderweise wertete die Strafkammer das Geständnis des Klägers ausschließlich unter dem Aspekt der „nennenswerten Verfahrensabkürzung“ zu seinen Gunsten, von „Reue“ oder „Umkehr“ ist in den Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts nicht die Rede.
89 
Dass seinem Aussageverhalten eigennützige Motive - und nicht eine im Strafvollzug gewonnene Erkenntnis über die Gefährlichkeit des Rauschgifts für die Gesundheit des Einzelnen - zugrunde liegen, zeigt sich vor allem auch an der Belastung seiner früheren Freundin ... V. Diese schonte er in den guten Tagen der Beziehung. Erst als das Verhältnis zerbrochen war und sie ihn mit falschen Verdächtigungen konfrontierte, zeigte er sie unmittelbar darauf am 27.02.2008 telefonisch und am 04.03.2008 förmlich wegen eines Kokain-Geschäftes an. Als Grund, warum er „jetzt nach fast vier Jahren mit dieser Geschichte herauskomme“, nannte er in seiner Vernehmung vom 04.03.2008, dass „sie ihm jetzt das Leben mit ihren Lügen schwer mache, er nichts mehr von ihr wissen wolle und er zu seinem eigenen Schutz jetzt die Geschichte erzähle“. Mit Einsicht in das Unrecht seiner früheren Tat hat diese Aussage nichts zu tun. Mit Verfügung vom 13.02.2009 - 221 Js 45897/08 - sah die Staatsanwaltschaft Stuttgart ihm gegenüber nach § 154 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage ab. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte Frau V. am 24.06.2009 rechtkräftig zu einer Jugendstrafe von 18 Monate auf Bewährung.
90 
Auch im Übrigen sind keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, dass sich der Kläger qualifiziert mit seiner schwerwiegenden Kriminalität und den dadurch angerichteten Schäden auseinandersetzt und hieraus Schlüsse für seine weitere Lebensführung abgeleitet hat. Eine solche einem Gesinnungs- und Persönlichkeitswandel regelmäßig vorausgehende „Bilanzierung“ ist im Regelfall ein längerer Prozess, der im Gefängnis auch üblicherweise durch den Psychologischen Dienst begleitet wird. Aus den beigezogenen und vollständigen Gefangenenpersonalakten ergeben sich aber keine Erkenntnisse dafür, dass eine Aufarbeitung des Fehlverhaltens betreffende qualifizierte psychologische Gespräche mit dem Kläger geführt worden wären. Wie dem Senat aus anderen Ausweisungsverfahren bekannt ist, wird die Tatsache, dass solche Gespräche erfolgen, in der Gefangenenpersonalakte festgehalten. Zwar hat der Kläger angegeben, mit dem Psychologen M. in der Justizvollzugsanstalt Gespräche geführt zu haben. Auf Nachfrage des Senats hat dieser in seinem Schreiben vom 30.03.2011 mitgeteilt, mit dem Kläger mehrere Gespräche (Einzelgespräche) geführt zu haben, könne aber mangels Aufzeichnungen nichts mehr über den Inhalt oder die Frequenz sagen. Dies sowie das Fehlen jeglicher Dokumentation über eine Tataufarbeitung in den Gefangenenpersonalakten lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nur um „Alltagsgespräche“ zur Unterstützung des Klägers im Strafvollzug gehandelt haben kann.
91 
Nach der Überzeugung des Senats ist die in der begangenen Rauschgiftkriminalität angelegte erhebliche Wiederholungsgefahr, die vor allem aus dem Ausmaß der Taten und der diesen zugrunde liegenden Motivation herrührt, nicht dadurch relativiert, dass sich der Kläger im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt und diesen effizient zur Weiterbildung genutzt hat. Ein solches Verhalten lässt noch nicht auf einen dauerhaften Wandel schließen. Für den Umstand, dass der Kläger in seiner bisherigen kurzen Bewährungszeit nicht negativ aufgefallen ist, gilt entsprechendes. Auch die Lebensumstände des Klägers nach seiner Haftentlassung sind keine grundlegend anderen als diejenigen, die vor seinem Einstieg in die Drogenstraftaten vorlegen haben, wobei die immense Schuldenbelastung sogar ein zusätzlicher negativer Faktor ist. Der Kläger selbst gibt im Zusammenhang mit der Prüfung der Strafrestaussetzung und im Ausweisungsverfahren an, er habe erkannt, dass er sehr viel falsch gemacht habe. Er habe aus Geldgier andere Menschen vergiftet. Er habe sich vor allem durch die Hafterfahrung geändert und verfolge jetzt andere Ziele. Seine Familie sei ihm wichtig, er habe jetzt eine andere Weltanschauung. Diesen verbalen Bekundungen misst der Senat aber kein besonderes Gewicht zu, denn die Angaben des Klägers zeichnen sich in weiten Teilen dadurch aus, dass er für eine positive Veränderung der Lebensumstände und einen nachhaltigen Gesinnungswandel durchaus relevante Tatsachen schönt oder sogar bewusst unwahr angibt und Negatives bagatellisiert. Diese Tendenz hat sich insbesondere bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. So ist es auffällig, dass der Kläger im August 2010 gegenüber der Gutachterin angegeben hat, zu früheren Freunden keinen Kontakt mehr zu haben und diesen auch nicht mehr haben zu wollen. Im Widerspruch dazu hat er ein früheres Bandenmitglied als „Trauzeugen“ anlässlich des Heiratsvertrags vom 12.02.2011 gewählt und dies in seiner Anhörung damit begründet, es handele sich bei diesem eben um einen vertrauten Freund seit seiner Kindheit, der kein schlechter Mensch sei. Auch bei der im Rahmen des „sozialen Empfangsraums“ relevanten Stabilität einer Beziehung hat der Kläger unzutreffende Angaben gemacht und eine frühere Beziehung, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen könnte, sogar ganz verschwiegen. Bemerkenswert ist ferner, dass er auf Frage nach Art und Umfang des gehandelten Rauschgifts dies von sich aus zunächst nicht zutreffend angegeben hat und auch auf Nachfrage hin in erster Linie auf die Aufzeichnungen des Zeugen KHK K. verwiesen hat. Den Ausgangspunkt seiner Straftaten sieht der Kläger darin, dass „er auf den gehört hat, auf den er nicht hören sollte“, und er „als der ... Y. ihn gefragt habe, ob er ihm helfen könne, da halt so reingerutscht sei“. Was das gegen ihn verhängte Strafmaß aufgrund des ausgehandelten Urteils anbelangt, so hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus geäußert, „er könne wirklich nicht sagen, dass er durch seine Angaben eine Strafermäßigung bekommen habe; der Kopf der Bande habe zehn Jahre bekommen, er - angesehen als seine rechte Hand - neun Jahre; da sehe er keine Strafmaßminderung“. Diese beispielhaft aufgeführten Äußerungen deuten nicht nur darauf hin, dass er sich bis heute mit seinem kriminellen Verhalten nicht adäquat auseinandergesetzt hat, sondern zeigen auch, dass seine verbalen Bekundungen keine verlässliche Grundlage für die Annahme eines dauerhaften Wandels sind. Die Gefahr, dass der Kläger zukünftig in Verfolgung eigennütziger Ziele erneut der Versuchung des „schnellen Geldes“ unterliegen kann, besteht daher nach wie vor.
3.)
92 
Hinsichtlich der „Boultif/Üner-Kriterien“, die sich auf das Privat- und Familienleben beziehen, ist zunächst festzustellen, dass sich der Kläger - mit Ausnahme der Zeit von Anfang April 2004 bis 12.08.2005 - seit seiner Geburt im Oktober 1981 bis heute in Deutschland aufhält und damit - den Aufenthalt in den Niederlanden abgezogen - tatsächlich etwa 28 Jahre hier verbracht hat. Nahezu 23 Jahre, nämlich bis April 2004, ist der Aufenthalt rechtmäßig gewesen. Er beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift und hat seine gesamte Erziehung und Sozialisation im Bundesgebiet erfahren. Hier leben seine mittlerweile verwitwete Mutter und seine Geschwister sowie deren Familien. Er hat nach dem altersentsprechenden Erwerb des Hauptschulabschlusses eine Berufungsausbildung erfolgreich absolviert und in unmittelbarem Anschluss hieran ein Arbeitsverhältnis in dem erlernten Beruf aufgenommen. Die Verbindung zum Arbeitsmarkt hat er jedoch von sich aus gelöst, indem er im großen Stil in den Drogenhandel eingestiegen ist. Derzeit durchläuft er eine staatlich geförderte berufliche Weiterbildung zum Mediengestalter Digital und Print - Fachrichtung Gestaltung und Technik, die mit einem allgemein anerkannten Abschluss endet wird. Die dem Senat vorliegenden Zeugnisse deuten darauf hin, dass er seine Prüfungen im Sommer diesen Jahres voraussichtlich bestehen wird. Auf die Schulden in Höhe von nach wie vor weit über 800.000 EUR aufgrund des im Strafurteil angeordneten Verfalls des Wertersatzes, leistet der Kläger seit Anfang 2007 kontinuierlich monatliche Zahlungen, die regelmäßig an seine wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst werden. Ob die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Stuttgart - Vermögensabschöpfung - vom 03.02.2011 ergebende Perspektive, möglicherweise nach Ablauf seiner Bewährungszeit die Vollstreckung aus der Verfallsanordnung erlassen zu bekommen, realisiert wird, ist offen.
93 
Die Kontakte zwischen dem Kläger und seinen Brüdern entsprechen dem unter Erwachsenen Üblichen. Der Kläger hat entsprechend der Auflage im Bewährungsbeschluss zunächst nach seiner Haftentlassung bei seiner Mutter gelebt, mittlerweile hält er sich jedoch tatsächlich bei seiner neuen Partnerin auf, die über eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG verfügt. Allerdings hilft er noch bei der Pflege seiner Mutter, indem er sie zum Arzt fährt oder die Einkäufe organisiert. Hilfe bei der eigentlichen Körperpflege leistet er keine, da er – wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – dies als Mann nicht gegenüber seiner Mutter erbringen könne. Mit seiner jetzigen Partnerin, die 1981 im Bundesgebiet geboren ist und einen serbischen Reisepass hat, sowie deren vier und acht Jahre alten Kindern aus einer früheren Beziehung lebt er seit November 2010 in familiärer Lebensgemeinschaft. Eine standesamtliche Heirat streben beide an, sobald die hierfür erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen, wobei nach den Angaben des Klägers nur noch Dokumente von Frau D. aus dem Kosovo fehlen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger insbesondere auch zu dem im Juni 2006 geborenen Sohn von Frau D. eine enge Beziehung aufgebaut hat und er - wie sich aus dem vorgelegten Schreiben des Kindergartens vom 12.04.2011 ergibt - einen positiven Einfluss auf diesen hat. Auch der Bewährungshelfer führt in seiner Stellungnahme vom 01.04.2011 aus, nach seiner eigenen Beobachtung fühlten sich die Kinder mit dem Kläger sehr wohl und pflegten einen vertrauten Umgang mit ihm. Aus den Erklärungen des Klägers und seiner Partnerin im Berufungsverfahren ergibt sich, dass ihre familiäre Lebensgemeinschaft fortgeführt und intensiviert werden soll; beide wollen nach einer Fehlgeburt weiterhin ein gemeinsames Kind.
4.)
94 
In dem Land seiner Staatsangehörigkeit hat der Kläger bislang noch keinen Lebensmittelpunkt gehabt. Er kennt die Türkei allerdings aus Besuchs- und Urlaubsreisen. Nach seinen Angaben sei seine früher in Kayseri lebende Großmutter mittlerweile verstorben, zuletzt sei er mit einer damaligen Freundin 2002 in Alanya gewesen. Der Kläger beherrscht alltagstauglich Türkisch in Wort und Schrift. Wie die Protokolle aus der Überwachung der Telekommunikation zeigen, ist innerhalb der Familie Türkisch benutzt worden. Teilweise gilt dies auch für die Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte; sowohl unter den Bandenmitgliedern als auch unter den Lieferanten und Abnehmern haben sich türkischstämmige Personen befunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat letztlich auch eingeräumt, Türkisch in einer Weise zu sprechen und schreiben, die es ihm ermöglicht, sich dort zurecht zu finden. Aus der Beschreibung seiner Verlobungsfeier anlässlich des Untersuchungstermins bei der Gutachterin ergibt sich ferner, dass er türkische Bräuche und die dadurch vermittelte Tradition als wertvoll erlebt. Dass der Kläger in der Vergangenheit einem Leben in der Türkei nicht ablehnend gegenüber gestanden ist, verdeutlichen auch die Bemühungen seines damaligen Strafverteidigers um eine „Freigabe“ zur Abschiebung noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt und auch die entsprechenden eigenen Äußerungen des Klägers, wonach er eine zügige Abschiebung in die Türkei anstrebe. Dies liegt „in einer Linie“ mit der jedenfalls im Mai 2005 auch nach außen verkündeten Absicht, in die Türkei zu gehen.
5.)
95 
Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erweist sich die unbefristet verfügte Ausweisung des Klägers auch in Ansehung der Tatsache, dass er die für sein Privat- und Familienleben konstitutiven Bindungen dauerhaft verlieren wird, aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses und der nach wie vor von ihm ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in der Türkei als verhältnismäßig. Zwar wird der Kläger nicht mehr in den Alltagsablauf seiner pflegebedürftigen Mutter eingebunden sein; eine Übernahme der bisher durch ihn erbrachten Hilfestellungen, bei denen es sich im Übrigen nicht um direkte pflegerische Leistungen handelt, durch andere Personen, insbesondere hier lebende Brüder, ist jedoch möglich. Dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet nicht nur für ihn, sondern für alle Familienangehörigen und auch für seine jetzige Partnerin und deren Kinder, die gerade erst eine Beziehung zu ihm aufgebaut haben, mit einer Härte verbunden ist, liegt auf der Hand. Allerdings kommt den neuen, ohnehin erst seit wenigen Monaten praktizierten, Bindungen zu Frau D. und deren Kindern ohnehin kein qualifizierter Schutz zu, weil sie in Kenntnis des laufenden Ausweisungsverfahrens eingegangen worden sind. Auch ist der Kläger weder der Vater der Kinder noch hat er mit seiner Partnerin eine nach deutschen Recht anerkannte Ehe geschlossen. Der Kläger wird auch seine beruflichen und sozialen Positionen und Kontakte und all das, was sein Privatleben letztlich ausmacht, durch eine Aufenthaltsbeendigung unwiederbringlich verlieren. Dies ist ihm jedoch aufgrund des öffentlichen Interesses an seiner Ausweisung und der Tatsache, dass ihm ein Einleben in die ihm nicht gänzlich unbekannten Verhältnisse in der Türkei möglich ist, zuzumuten - zumal er schon seit seiner Überstellung aus den Niederlanden im August 2005 nicht mehr über einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt und er im Übrigen damals von sich aus durch seine Flucht seine Bindungen an das Bundesgebiet gelöst hat.
96 
Der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gebietet es ebenfalls nicht, schon zum Zeitpunkt der Ausweisung deren Wirkungen zu befristen. Aufgrund des Ausmaßes der vom Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ihrer derzeit nicht sicher zu prognostizierenden zukünftigen Entwicklung muss eine Befristung einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben. Das insoweit eher gering anzusiedelnde Gewicht der Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen erfordert keine andere Entscheidung.
97 
Ob aufgrund der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. EU L 348/2008, S. 98 ff.), die nach Ablauf der Umsetzungsfrist am 24. Dezember 2010 inzwischen unmittelbar anwendbar ist, jedenfalls mit Blick auf die Tatsache, dass sich der Kläger schon seit August 2005 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und die Legalität des Aufenthalts daher nicht unmittelbar durch die Ausweisung beendet wird, die Wirkungen des Einreiseverbots schon jetzt und von Amts wegen zu befristen wären, kann dahin gestellt bleiben. Denn eine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne des Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie, die im Falle des gesetzlichen Erlöschens des Aufenthaltsrechts funktionell in der Abschiebungsandrohung liegt, ist nicht Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren.
IV.)
98 
Unabhängig hiervon erweist sich eine Ausweisung des Klägers nach § 53 AufenthG aus dem dieser Bestimmung selbstständig neben der Spezialprävention zugrunde liegenden Zweck der Generalprävention selbst mit Blick darauf, dass es sich beim ihm um einen hier geborenen und aufgewachsenen Ausländer der zweiten Generation handelt, als verhältnismäßig (Art. 8 EMRK sowie Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG).
99 
Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Ist-Ausweisung nach § 47 Abs. 1 AuslG 1990, wonach diese auch zu einem generalpräventiven Einschreiten ermächtigt (BVerwG, Beschluss vom 30.12.1993 - 1 B 185.93 - juris Rn. 4 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu §§ 45 ff. AuslG 1990 ), die Vorschrift inhaltlich in das Aufenthaltsgesetz übernommen und damit im Rahmen der ihm zustehenden Einschätzungs- und Wertungsprärogative zur Notwendigkeit und Wirksamkeit der Generalprävention § 53 AufenthG auch diesen Ausweisungszweck stillschweigend zugrunde gelegt (vgl. GK-AufenthG § 53 Rn. 22 f., Vor §§ 53 ff. Rn. 1300.2). Zwar hat der Senat mit Urteil vom 18.03.2011 (11 S 2/11 - juris) entschieden, dass seit Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon am 01.12.2009 eine Ausweisung bei in Deutschland nachhaltig „verwurzelten“ Ausländern in der Regel nicht mehr tragend generalpräventiv begründet werden kann. Er hat jedoch in den Urteilsgründen auch ausgeführt, dies könne allerdings ausnahmsweise dann zulässig sein, wenn eine ganz besonders schwerwiegende Straftat verwirklicht worden ist, die in erheblichem Maße die Interessen des Staates oder der Gesellschaft gefährdet. Gemessen hieran steht Art. 8 EMRK in Ansehung der Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht entgegen, weil die von ihm verwirklichte schwerwiegende bandenmäßige Betäubungsmittelkriminalität in einem erheblichen Maße die Interessen des Staates bzw. der Gesellschaft gefährdet und im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels sein Privatinteresse an einem weiteren Verbleib überwiegt.
1.)
100 
Der der zwingenden Ausweisung nach § 53 AufenthG innewohnende Zweck, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten, ist im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Klägers nicht in einer die Verhältnismäßigkeit berührenden Weise schon dadurch entwertet oder gemindert, dass die Ausweisung bis heute nicht vollzogen ist, andere Bandenmitglieder nicht ausgewiesen worden sind bzw. eine generalpräventive Ausweisung im Kampf gegen die Betäubungsmittelkriminalität ein Fremdkörper in dem durch die strafrechtliche Anerkennung von Aufklärungshilfen geprägten System wäre.
101 
Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt kommt es nur darauf an, dass die Ausländerbehörde im Rahmen der Erfordernisse des Verwaltungsverfahrens die Ausweisung zeitnah verfügt. (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ. Urteil vom 26.07.2001 - 13 S 2401/99 - juris Rn. 29). Das Regierungspräsidium leitete bereits am 25.08.2005 das Ausweisungsverfahren ein, gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Erhalt des Strafurteils am 02.03.2006 Gelegenheit zur Stellungnahme und erließ am 04.10.2006 und damit ohne zeitliche Verzögerung die Ausweisungsverfügung. Dass diese bis heute nicht vollzogen ist und die Generalprävention erst aufgrund der Erkenntnis, dass der Kläger seine Rechte aus dem ARB 1/80 verloren hat, „ins Spiel kommt“, ist Konsequenz des Rechtsschutzsystems und steht als solches der Eignung der generalpräventiven Wirkung nicht entgegen. Die Verhältnismäßigkeit wird im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der „Bandenchef“ Hadi Y., der es im Gegensatz zum Kläger nicht abgelehnt hat, in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden, und auch die Brüder des Klägers N. und M., die Rechtsstellungen nach dem ARB 1/80 besitzen, nach wie vor in Deutschland leben. Die gegen die Brüder ergangenen Ausweisungsverfügungen des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 28.04.2005 bzw. 03.05.2005 sind vom Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteilen vom 22.02.2006 - 16 K 1744/05 - und vom 05.07.2006 - 16 K 1821/05 - wegen eines formellen Fehlers rechtskräftig aufgehoben worden. Die Fälle sind schon aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte und der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen nicht mit der hier vorliegenden Konstellation vergleichbar. Was schließlich den Einwand der fehlenden „Systemkonformität“ von Ausweisung und Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG anbelangt, so kommt dem schon deshalb keine Bedeutung zu, weil sich der Gesetzgeber in Kenntnis des im Prinzip seit 1982 geltenden § 31 BtMG (Weber, BtMG, a.a.O., § 31 Rn. 4) zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität entschlossen hat. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 schuf in § 47 Abs. 1 Nr. 3 AuslG eine zwingende Ausweisung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz, um dem aus dem Interesse an konsequenter Bekämpfung der Drogenkriminalität hergeleiteten Grundsatz Rechnung zu tragen, dass ausländische Drogentäter ihr Aufenthaltsrecht verwirken und aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden (so die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 12/6853, S. 30). Der Gesetzgeber hat die Konsequenzen und die Anerkennung geleisteter Aufklärungshilfe nach Maßgabe des § 31 BtMG - wie in der Systematik angelegt - grundsätzlich auf das Strafrecht beschränkt.
2.)
102 
Auch Art. 8 EMRK hindert im vorliegenden Fall nicht daran, den Kläger aus generalpräventiven Gründen auszuweisen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht der Generalprävention als Ausweisungszweck zwar grundsätzlich kritisch gegenüber (Senatsurteil vom 18.03.2011 - 11 S 2/11 - juris Rn. 28), hat deren Zulässigkeit aber bisher nicht ausdrücklich verneint, sondern dies vielmehr als einen Aspekt der Einzelfallprüfung behandelt (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.12.2007 - Nr. 69735/01 - InfAuslR 2008, 111 und vom 28.06.2007 - Nr. 31753/02 - InfAuslR 2007, 325; näher Hoppe, Neuere Tendenzen in der Rechtsprechung zur Aufenthaltsbeendigung - gibt es eine gemeinsame Linie in den Entscheidungen von EGMR, EuGH und BVerfG?, ZAR 2008, 251, 253 m.w.N.). Der Gerichtshof betont in seiner Rechtsprechung die verheerenden Folgen von Drogen auf das Leben der Menschen und „hat Verständnis dafür, dass die Behörden mit großer Bestimmtheit gegen jene vorgehen, die aktiv zur Verbreitung dieser Plage beitragen“ (EGMR, Urteil vom 12.01.2010 - Nr. 47486/06 - ). Speziell was den bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmittel anbelangt, hat der EuGH in dem zur Unionsbürgerrichtlinie ergangenen Urteil vom 23.11.2010 (C-145/09 - Rn. 46 ff.) darauf verwiesen, dass dieser eine diffuse Kriminalität darstelle, die mit beeindruckenden wirtschaftlichen und operativen Mitteln ausgestattet sei und sehr häufig über internationale Verbindungen verfüge. Angesichts seiner verheerenden Folgen sei mit dem illegalen Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Unionsbürger sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten verbunden.
103 
Aufgrund der oben im Einzelnen dargelegten Intensität und des Umfangs des bandenmäßigen Drogenhandels, der im konkreten Fall auch mit den typischen Gefahren der Rauschgiftkriminalität tatsächlich verbunden gewesen ist, erweist sich die generalpräventive Ausweisung des Klägers, der in diesem illegalen „Geflecht“ eine führende Stellung eingenommen hat, unter Berücksichtigung seiner persönlichen Belange und dem Interesse an einer weiteren Lebensführung im Bundesgebiet (vgl. insoweit oben unter III.) als verhältnismäßig.
V.)
104 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 155 Abs. 1 Satz 3 154 Abs. 2 VwGO.
105 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
106 
Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, ist das Urteil unanfechtbar.
107 
Beschluss vom 15. April 2011
108 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
109 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.

3

Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.

5

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.

6

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

10

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.

11

1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.

12

1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

13

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.

14

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.

15

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

16

1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.

17

1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.

18

Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

19

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

20

Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").

21

Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

22

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

23

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

24

1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).

25

1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).

26

2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.

27

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).

28

2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.

29

Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.

30

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

31

Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.

32

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.

33

Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.

34

Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.

35

3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. April 2009 - 4 K 1175/08 - aufgehoben.

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 27. März 2008 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich u.a. gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der am ...1984 in Albstadt geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wuchs weitgehend bei seiner mittlerweile 55 Jahre alten Mutter und seinen 4 älteren Geschwistern (2 Brüder und 2 Schwestern) in Winterlingen auf. Im ersten Grundschuljahr ging er mit seinem Vater, der wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung die Bundesrepublik Deutschland verlassen musste, vorübergehend für etwa sechs Monate in die Türkei. Im zweiten Grundschuljahr hielt er sich für acht Monate mit seiner Mutter in der Türkei auf. Ein Bruder des Klägers wurde vor längerer Zeit ausgewiesen und in die Türkei abgeschoben. Sein Vater, zu dem er seit seiner Rückkehr aus der Türkei keinen Kontakt mehr hat, lebt nach wie vor in der Türkei. Die Eltern leben seit dieser Zeit getrennt, die Ehe ist seit 1994 geschieden. Die Mutter war über viele Jahre mit Unterbrechungen als Näherin erwerbstätig. Sie bezieht nunmehr Rente und erhält ergänzend Sozialleistungen. Der Kläger besuchte von 1989 bis 1999 die Grund- und Förderschule. Einen Schulabschluss erlangte er dort nicht. Danach absolvierte er zunächst ein einjähriges Praktikumsjahr und begann anschließend im August 2000 eine Ausbildung als Metallfeinbearbeiter, die er aber schon nach 3 Monaten abbrach. In der Folgezeit ging er jeweils für kurze Zeit mehreren Gelegenheitsjobs nach und war immer wieder, wie auch zuletzt arbeitslos.
Im Januar 2003 lernte der Kläger während eines Türkeiurlaubs eine 1987 geborene türkische Staatsangehörige kennen, die er am 12.02.2003 in der Türkei heiratete. Seine Ehefrau lebt nach wie vor in der Türkei. Ein Antrag auf Ehegattennachzug wurde im April 2005 von der zuständigen Ausländerbehörde abgelehnt. Am 26.05.2006 wurde ein gemeinsames Kind in der Türkei geboren; dieses lebt bei der Mutter. Im Bundesgebiet war der Kläger zuletzt vor seiner Festnahme mit einer Freundin zusammen. Seit dem 20.03.2000 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, die als Niederlassungserlaubnis fort gilt.
Der Kläger ist strafrechtlich bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Urteil des Amtsgerichts Albstadt vom 15.11.2001, rechtskräftig seit 23.11.2001, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis; Ableistung von 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit; Tatzeit: April 2001.
2. Urteil des Amtsgerichts Albstadt vom 21.03.2002, rechtskräftig seit 26.03.2002, wegen Hehlerei; Ableistung von 20 Stunden gemeinnütziger Arbeit; Tatzeit: Juli 2001.
3. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 26.03.2002, rechtskräftig seit 10.06.2002, wegen Diebstahls in 3 Fällen; Jugendstrafe von 7 Monaten, deren Vollstreckung für 2 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Einbezogen wurde das Urteil des Amtsgerichts Albstadt vom 21.03.2002; letzte Tat: Oktober 2001.
4. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 01.10.2002, rechtskräftig seit 03.03.2003, wegen Diebstahls in Tateinheit mit unbefugtem Gebrauch eines Fahrzeugs und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis; Jugendstrafe von 1 Jahr ohne Bewährung. Einbezogen wurde die Entscheidung vom 26.03.2002 des Amtsgerichts Hechingen; letzte Tat: 25.02.2002.
5. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 22.07.2003, rechtskräftig seit 30.07.2003, wegen Sachbeschädigung und unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis; Jugendstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten ohne Bewährung. Einbezogen wurden die Entscheidungen des Amtsgerichts Hechingen vom 01.10.2002 und vom 26.03.2002; letzte Tat: 07.12.2002 Die Strafe wurde vom 24.03.2003 bis zum 12.01.2004 verbüßt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Adelsheim vom 17.12.2003 wurde der Rest der Jugendstrafe bis zum 28.12.2006 zur Bewährung ausgesetzt.
10 
6. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 27.07.2004, rechtskräftig seit 04.08.2004, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 2 Fällen; Jugendstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten, deren Vollstreckung für 2 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Einbezogen wurden die Entscheidungen des Amtsgerichts Hechingen vom 22.07.2003, 01.10.2002 und 26.03.2002; letzte Tat: 13.05.2004. Die Strafaussetzung wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20.02.2006, rechtskräftig seit 14.03.2006, widerrufen.
11 
7. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 12.07.2005, rechtskräftig seit diesem Tag, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 2 Fällen; Freiheitsstrafe von 3 Monaten, deren Vollstreckung für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde; letzte Tat: 31.12.2004.
12 
8. Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 10.01.2006, rechtskräftig seit 18.01.2006, wegen gefährlicher Körperverletzung; Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten ohne Bewährung. Einbezogen wurde die Entscheidung des Amtsgerichts Hechingen vom 12.07.2005; Tatzeitpunkt: 10.04.2005. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 20.02.2006, rechtskräftig seit 14.03.2006, wurde die Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hechingen vom 27.07.2004 (Ziffer 6) widerrufen.
13 
9. Urteil des Landgerichts Hechingen vom 22.05.2006, rechtskräftig seit 11.10.2006, wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; Freiheitsstrafe von 6 Jahren ohne Bewährung; Tatzeitpunkt: 21.12.2005.
14 
Nach der Verurteilung zu 4. und zu 6. wurde der Kläger jeweils im Juli 2003 und im August 2004 ausländerrechtlich verwarnt. Zwei bereits früher eingeleitete Ausweisungsverfahren wurden von der Behörde nicht weiter betrieben. Wegen der Straftaten unter 9. wurde er am 22.12.2005 festgenommen und befand sich bis Januar 2011 in Haft.
15 
Aufgrund der letzten Straftat wurde gegen den Kläger erneut ein Ausweisungsverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 10.03.2006 wurde er zu einer beabsichtigten Ausweisung angehört. Mit Schreiben vom 23.04.2006 schilderte er zunächst seinen Werdegang und führte sodann aus, dass er mit seiner Eheschließung in der Türkei am 12.02.2003 einen Neuanfang in Deutschland gesucht habe. Nach der Ablehnung der Familienzusammenführung sei sein Leben jedoch weiter negativ verlaufen. Er habe seine Arbeitsstelle verloren und sei schließlich für 7 Wochen zu seiner Ehefrau in die Türkei gefahren. Anschließend habe er in Deutschland trotz der Unterstützung durch seine Schwestern keine Arbeit gefunden. Er bereue seine Taten und bitte, nicht aus Deutschland abgeschoben zu werden. Auch werde seine Frau im Mai 2006 ein Kind entbinden; gemeinsam würden sie auf eine neue Chance hoffen. Im Fall der Abschiebung müsse er zudem zum Militär, was er auf keinen Fall wolle.
16 
Mit Bescheid vom 27.05.2008 wies das Regierungspräsidium Tübingen - Bezirksstelle für Asyl - den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (1.) und drohte ihm die Abschiebung direkt aus der Strafhaft heraus oder gegebenenfalls nach Ablauf eines Monats nach der Haftentlassung in die Türkei an (2.). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Ausweisung erfolge im Hinblick auf die strafrechtlichen Verfehlungen des Klägers gleichwohl als Ermessensausweisung. Dabei werde unterstellt, dass dem Kläger der Schutz von Art. 14 ARB 1/80 zugutekomme. Insgesamt komme die Ermessensausübung auch unter Berücksichtigung dieser und weiterer einschlägiger Vorschriften sowie den persönlichen Verhältnissen zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung insbesondere unter Berücksichtigung der letzten Verurteilung geboten sei. Die mit der letzten Verurteilung durch das Landgericht Hechingen geahndeten Straftaten seien der schweren Kriminalität zuzuordnen und der Kläger habe auch mit einer erheblichen kriminellen Energie gehandelt. Aufgrund seiner Vorstrafen und - wie im Urteil des Landgerichts bei der Strafzumessung ausgeführt - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Kläger auch ein zweifacher Bewährungsbruch vorzuhalten sei, liege hier eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Hierfür spreche weiter, dass sich der Kläger in der Vergangenheit auch von ausländerrechtlichen Verwarnungen, einer Haftverbüßung und den gegen ihn eingeleiteten, früheren Ausweisungsverfahren nicht von weiteren Straftaten habe abhalten lassen. An dieser Beurteilung ändere auch der Umstand nichts, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz genieße, denn die insoweit erforderlichen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lägen hier, wie ausgeführt, vor. Auch seine persönlichen Umstände rechtfertigten nicht die Annahme eines atypischen Sachverhalts. Er sei zwar hier geboren, aber in einem türkischen Familienverbund aufgewachsen, spreche nach wie vor seine Muttersprache und sei nicht nachhaltig wirtschaftlich und beruflich in der Bundesrepublik integriert. Zwar habe er den Hauptschulabschluss zwischenzeitlich in der Haft nachgeholt, sei aber bisher ohne abgeschlossene Berufsausbildung und habe jeweils nur in kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen gestanden. Unter weiterer Berücksichtigung seiner Heirat mit seiner in der Türkei befindlichen Ehefrau, seinen mehrfachen Urlaubsreisen in die Türkei und seines Alters sei für ihn die Rückkehr in die Türkei nicht mit unzumutbaren Belastungen verbunden, zumal dort auch sein Vater und sein ausgewiesener Bruder lebten. Insgesamt verbleibe es daher auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ermessensausweisung. Hieran ändere schließlich der Bericht der Justizvollzugsanstalt vom 29.02.2008 nichts. Dieser zeige zwar in Teilbereichen eine positive Entwicklung und ein normales, beanstandungsfreies Vollzugsverhalten, lasse aber keine Aussage über eine gelungene und abgeschlossene Nachreifung zu, die die Wiederholungsgefahr entfallen lasse. Letztlich verstoße die Ausweisung weder gegen Art. 6 GG noch gegen Art. 8 EMRK und auch nicht gegen Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38/EG.
17 
Am 07.06.2008 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen und machte gelten: Er könne nach Art. 7 Satz 1 und 14 Abs. 1 ARB 1/80 i. V. m. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nur ausgewiesen werden, wenn er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit des Staates stelle er indes nicht dar, unabhängig von dem für ihn bislang günstigen Haftverlauf, der auch gegen eine ausreichende Wiederholungsgefahr spreche.
18 
Der Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid entgegen.
19 
Das Verwaltungsgericht holte einen Führungsbericht der JVA Ravensburg vom 12.11.2008 und eine Ergänzung vom 01.04.2009 ein.
20 
In der mündlichen Verhandlung änderte der Beklagte die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 27.05.2008 dahingehend ab, dass eine Abschiebung frühestens einen Monat nach Bestandskraft der Ausweisungsverfügung erfolge.
21 
Der Kläger wurde angehört und führte im Wesentlichen aus, seine Frau wohne bei seiner Mutter in der Türkei. Die Wohnung gehöre seiner Mutter. Seine Mutter pendele zwischen der Türkei und der Bundesrepublik. Die Wohnung befinde sich in ... bei Ankara; seine Mutter stamme aus diesem Ort. Zu seinem Vater habe er seit seinem 5. oder 6. Lebensjahr keinen Kontakt mehr. Sein Bruder wohne auch in diesem Ort. Diesem schreibe er in türkischer Sprache; er (der Kläger) sei zweisprachig. Hier im Bundesgebiet habe er eine eigene, selbst gemietete Wohnung gehabt, aber auch noch bei seiner Mutter gewohnt. Seine hier befindliche Freundin habe auch eine eigene Wohnung gehabt. Von der Freundin im Bundesgebiet wisse seine Frau nichts. Er habe damals noch keine Verantwortung übernehmen können. Von seiner Inhaftierung wisse seine Frau, von den Straftaten aber nur teilweise. Gegenwärtig stehe er mit seiner Frau in telefonischem Kontakt und schreibe ihr auch gelegentlich. Mit der früheren Freundin habe er seit 2 oder 2 ½ Jahren keinen Kontakt mehr. In der Zeit der Begehung seiner Straftaten habe er regelmäßig Drogen genommen und auch regelmäßig Alkohol getrunken. Angesprochen auf den letzten JVA-Bericht räumte er ein, vor etwa 3 Monaten einmal THC-positiv gewesen zu sein. Bei Kollegen sei beim Hofgang ein Joint gekreist und er habe ein paar Züge genommen. 6 bis 8 Wochen später sei bei einer weiteren Urinkontrolle wieder alles in Ordnung gewesen. Das Jointrauchen sei ein einmaliger Vorgang gewesen. Seit etwa 2 Monaten nehme er im Vollzug einmal die Woche an den Sitzungen der Anonymen Alkoholiker - Gruppe teil. Er meine aber, kein Suchtproblem zu haben. Er sei reifer geworden. Er habe es auf dem harten Weg lernen müssen und habe es nun endlich begriffen.
22 
Mit Urteil vom 29.04.2009 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
23 
Es führte u.a. aus: Rechtsgrundlagen der Ausweisung seien §§ 55 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2, 53 Nr. 1, 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 sowie Satz 2 AufenthG. Im Hinblick auf den besonderen Ausweisungsschutz des im Bundesgebiet geborenen Klägers sei die Ausweisung zu Recht (nur) als Ermessensausweisung verfügt worden. Hinsichtlich der Ausweisung werde auf die umfassenden und zutreffenden Ausführungen im Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 27.05.2008 verwiesen, denen das Gericht folge. Die Ermessensausübung des Regierungspräsidiums sei auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung fehlerfrei und im Wesentlichen zutreffend auf die vom Kläger weiterhin ausgehende erhebliche Wiederholungsgefahr gestützt. Die Ausweisung sei auch unter Berücksichtigung der Anforderungen aus Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 i. V. m. Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG nicht zu beanstanden und verstoße nicht gegen Art 8 EMRK. Schließlich sei die Abschiebungsandrohung mit der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärten Abänderung rechtmäßig. Vom Kläger gehe weiterhin eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus.
24 
Das Urteil wurde dem Kläger am 30.09.2009 zugestellt.
25 
Auf den rechtzeitig gestellten und begründeten Antrag ließ der Senat mit Beschluss vom 30.11.2009 die Berufung zu.
26 
Am 10.12.2009 begründete der Kläger unter Stellung eines Antrags die Berufung zunächst wie folgt: Das angegriffene Urteil verletze Art. 14 ARB 1/80 und verkenne den auch hier anwendbaren besonderen Schutz nach Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Ziebell, bis zu deren Entscheidung das Berufungsverfahren geruht hatte, macht der Kläger nunmehr geltend, dass die angegriffene Ausweisungsverfügung deshalb rechtwidrig sei, weil das nicht zuletzt wegen der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter zu beachtende, in Art. 9 RL 64/221/EWG niedergelegte „Vier-Augen-Prinzip“ verletzt worden sei.
27 
Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen vom 11.01.2011 wurde nach Verbüßung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Hechingen vom 22.05.2006 sowie des Amtsgerichts Hechingen vom 10.01.2006 bei einer Bewährungszeit von drei Jahren die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt mit der Auflage, für die Dauer von einem Jahr eine ambulante Drogentherapie nach Weisung des Bewährungshelfers zu unterziehen. Der Entscheidung lag ein kriminologisch-kriminalprognostisches Gutachten der Universität Tübingen (Dr. Reich) vom 01.12.2010 sowie befürwortende Stellungnahmen der JVA Rottenburg sowie der Staatsanwaltschaft Hechingen zugrunde.
28 
Der Kläger beantragt,
29 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29. April 2009 - 4 K 1175/08 - zu ändern und den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 27. Mai 2008 aufzuheben.
30 
Der Beklagte beantragt,
31 
die Berufung zurückzuweisen.
32 
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache sei das „Vier-Augen-Prinzip“ obsolet. Auch nach der Entlassung des Klägers aus der Strafhaft könne in Anbetracht der Tatsache, dass er Intensivtäter sei, nicht davon ausgegangen werden, dass die Wiederholungsgefahr gemindert oder gar entfallen sei. Die im Verhältnis zur kriminellen Vita nur kurze Zeit der Bewährung von einem Jahr erlaube keine substantiierte Legalprognose zugunsten des Klägers, zumal er sich hinsichtlich der Vorsprachen bei der Drogenberatung in der ersten Jahreshälfte 2011 nicht immer zuverlässig erwiesen habe.
33 
Der Senat hat eine Stellungnahme des Bewährungshelfers des Klägers eingeholt. Insoweit wird auf dessen Schreiben vom 29.02.2012 verwiesen.
34 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
35 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums, des Verwaltungsgerichts, die Strafvollsteckungsakten sowie die Gefangenenpersonalakten vor.

Entscheidungsgründe

 
36 
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
37 
Nach der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats maßgeblichen Sach- und Rechtslage kann die Ausweisungsentscheidung des Beklagten keinen Bestand mehr haben.
38 
I. Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann sein Aufenthalt gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 (i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG) nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
39 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, ebenda Rn. 73).
40 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs. C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs. 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs. C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie, eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
41 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
42 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 80).
43 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
45 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention erfolgen, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
47 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 47).
48 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr bringt der Gerichtshof mit dieser Formel nur mit anderen Worten den in seiner ständigen Rechtsprechung für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs. C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs. C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
49 
Diese in der Entscheidung angelegte und angemahnte besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt nach Auffassung des Senats auch die Berücksichtigung einer aktiven und positiven Mitarbeit des oder der Betroffenen am Resozialisierungsprozess insbesondere während des Vollzugs der Strafhaft, die aber erkennbar über ein bloßes Wohlverhalten hinausgehen muss, weshalb auch insoweit die infolge der Ausweisung eintretende mögliche Gefährdung eines in Gang gesetzten positiven Resozialisierungsprozesses (vgl. auch § 2 StVollzG) einen wichtigen Abwägungsfaktor ausmachen kann. In Fällen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die im Bundesgebiet geboren und/oder hier einen ganz überwiegenden Teil ihres gesamten Lebens verbracht haben, vermag der Umstand einer konkreten Gefährdung eines positiven Resozialisierungsprozesses unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zwar assoziationsrechtlich keine strikte Rechtsgrenze einer Ausweisung auszumachen, er kann jedoch im Einzelfall von solchem Gewicht sein, dass es einer besonderen Begründung bedarf, um gleichwohl eine Ausweisung verfügen zu dürfen. Es müssen – namentlich wenn der Resozialisierungsprozess weit fortgeschritten ist und weitere gewichtige positive Integrationsfaktoren hinzukommen – besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, gleichwohl das reale Risiko eines Scheiterns des Resozialisierungsprozesses in Kauf zu nehmen.
50 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
51 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291 und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
53 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
54 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
55 
Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht bislang davon aus, dass einer Aussetzung der Reststrafe nach § 57 Abs. 1 und 2 StGB oder nach § 88 Abs. 1 und 2 JGG keine Bindungswirkung zukommt, was u.a. auf die unterschiedlichen Prognosemaßstäbe zurückgeführt wird (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - NVwZ 2001, 442; Discher, in: GK-AufenthG Vor §§ 53 ff. Rdn. 1241 ff.). Allerdings soll einer solchen Aussetzung immerhin eine gewisse Indizwirkung zukommen. Die Relativierung derartiger Aussetzungsentscheidungen auf eine bloße Indizwirkung wird jedoch den unions- und assoziationsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig gerecht. Denn es würde sich bei einer derartigen Sichtweise ein nicht gerechtfertigter Widerspruch auftun. Der Ansatz von der bloßen Indizwirkung unterstellt, dass gleichwohl im Falle der Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ohne weiteres ein gesellschaftliches Grundinteresse des Mitgliedstaats weiterhin tatsächlich und hinreichend schwerwiegend gefährdet und eine Beschränkung der Freizügigkeit bzw. ein Entzug des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts gerechtfertigt sein kann. Andererseits bringt jedoch die Gesellschaft des Mitgliedstaats gerade durch diese Aussetzung ihre Wertung zum Ausdruck, dass sie um des Täters und seiner Resozialisierung willen - durchaus nicht risikofrei - bereit ist, diesem ein Leben in Freiheit, wenn auch zunächst mit gewissen Auflagen, zu ermöglichen. Es kann dann schwerlich einem Grundinteresse der gesamten Gesellschaft des Mitgliedstaats entsprechen, den Betroffenen gleichwohl vom eigenen Territorium zu entfernen und ihm die Chance einer Resozialisierung in dem Land, in dem er zuletzt gelebt hat, zu nehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er in diesem Land längere Zeit gelebt und dort wesentliche Teile seiner Sozialisierung erfahren hat. Seine Ausweisung in ein Land, in dem er schon längere Zeit nicht mehr oder sogar niemals gelebt hat, muss regelmäßig als kontraproduktiv und einer Resozialisierung hinderlich begriffen werden. Nimmt man noch hinzu, dass nach den oben dargelegten besonderen unionsrechtlichen bzw. assoziationsrechtlichen Maßstäben erhebliche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Straftaten gestellt werden müssen, so dürfen derartige Aussetzungen auch deshalb nicht gering gewichtet und bewertet werden, weil sie von einer mit der Beurteilung von der Täterpersönlichkeiten und deren Lebensumfeld vertrauten Fachgerichtsbarkeit ausgesprochen und veranlasst werden. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn zur Vorbereitung der Aussetzungsentscheidung fachkundige Stellungnahmen oder fachwissenschaftliche Gutachten eingeholt wurden. Da andererseits den Aussetzungsentscheidungen keine ausdrücklich gesetzlich angeordnete Bindungs- oder Tatbestandswirkung zukommt, kann das Verwaltungsgericht eine solche Entscheidung ausnahmsweise unbeachtet lassen, wenn sie sich als offenkundig fehlerhaft erweist oder aber infolge aktueller Entwicklungen überholt ist und damit keine zuverlässige Prognosegrundlage mehr abgeben kann. Im Regelfall jedoch ist eine solche Aussetzungsentscheidung in der Weise zu berücksichtigen, dass die Ausweisung keinem Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaates (mehr) entspricht.
56 
2. Ausgehend hiervon ist von Folgendem auszugehen: Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen hat mit Beschluss vom 11.01.2011 (... StVK ... + .../...) die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt mit der Auflage, dass der Kläger sich innerhalb des ersten Jahres einer Drogentherapie zu unterziehen hat. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Der Beschluss beruht auf einem kriminologisch-kriminalprognostischen Gutachten der Universität Tübingen (Dr. R.) vom 01.12.2011, das nach zwei umfangreichen Explorationen erstellt wurde. Dieses Gutachten, das sich auch umfassend mit der Aktenlage beschäftigt, erweist sich in seiner differenzierten und durchaus kritische Aspekte nicht unterdrückenden Sicht als überzeugend. Nimmt man hinzu, dass zur Vorbereitung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer noch eine umfassende Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Rottenburg eingeholt worden war, die die wesentlichen Entwicklungsschritte, die der Kläger insbesondere im Jahre 2010 gemacht hat, deutlich macht und eine vorzeitige Freilassung befürwortet, so vermag der Senat keine Gesichtspunkte zu erkennen, die geeignet wären, die Entscheidung des Landgerichts Tübingen infrage zu stellen. Die Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht deshalb überholt, weil der Kläger drei Termine bei der Drogenberatung nicht wahrgenommen hat. Die vom Kläger hierfür gegebene Erklärung, wonach er wegen der anstrengenden Nachtarbeit die Termine verschlafen oder vergessen habe, vermag zwar nicht völlig zu überzeugen. Eine einzelne Säumnis mag bei der für den Kläger sicherlich völlig neuen Belastungssituation in einem geregelten Arbeitsverhältnis der konkreten Art ohne weiteres verständlich sein. Eine dreimalige Säumnis innerhalb eines Zeitraums von einem knappen dreiviertel Jahr ist allerdings weniger nachvollziehbar, zumal dem Kläger klar sein musste, dass seine Bewährung auf dem Spiel stehen kann. Auch wenn dieser Regelverstoß daher nicht bagatellisiert werden darf, so kann andererseits nicht übersehen werden, dass der Bewährungshelfer in seiner Stellungnahme die aktuelle Bereitschaft des Klägers, mit ihm zusammenzuarbeiten, sehr positiv hervorgehoben und weiterhin nach über einem Jahr in Freiheit eine sehr positive Prognose abgegeben hat, wobei sicherlich auch eine Rolle gespielt hat, dass aufgrund der durchgeführten Urinkontrollen von einem Drogenkonsum nicht ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass die Säumnis des Klägers der Strafvollstreckungskammer keine Veranlassung gegeben hat, die Bewährungszeit zu verlängern oder die Bewährung gar zu widerrufen. Hiervon abgesehen hat der Kläger zur Überzeugung des Senats nach seiner Haftentlassung eine positive Entwicklung durchlaufen. Ihm ist es bereits kurze Zeit nach der Entlassung gelungen, eine Beschäftigung zu finden; mittlerweile steht er in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, mit dem er seinen Lebensunterhalt sichern kann; auch seine Wohnsituation ist geklärt. Dieses zusammengefasst ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nach den oben dargelegten Maßstäben kein Grundinteresse der Gesellschaft mehr betroffen ist und die Ausweisung nicht mehr von Art. 14 ARB 1/80 getragen wird. Wenn es ihm gelingen sollte, seinen Sohn und seine Ehefrau nach Deutschland zu holen, so wird dies seine Situation aller Voraussicht nach weiter stabilisieren.
57 
Hat die Ausweisung keinen Bestand mehr, so war auch die unselbstständige Abschiebungsandrohung aufzuheben.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision wird zugelassen, weil die aufgeworfenen Fragen zur Anwendung und Auslegung des Assoziationsrechts von grundsätzlicher Bedeutung sind (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
60 
Beschluss vom 7. März 2012
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
36 
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
37 
Nach der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats maßgeblichen Sach- und Rechtslage kann die Ausweisungsentscheidung des Beklagten keinen Bestand mehr haben.
38 
I. Da der Kläger eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 genießt, kann sein Aufenthalt gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 (i.V.m. § 55 Abs. 1 AufenthG) nur beendet werden, wenn dieses aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt ist.
39 
1. Nach der ständigen und mittlerweile gefestigten Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs ist in diesem Zusammenhang zur Auslegung der assoziationsrechtlichen Begrifflichkeiten auf die für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union geltenden Grundsätze zurückzugreifen (vgl. zuletzt Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 52, insbesondere auch Rn. 67 m.w.N.). Allerdings scheidet ein Rückgriff auf die weitergehenden Schutzwirkungen des Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wegen der grundsätzlich unterschiedlichen durch diese Richtlinie vermittelten Rechtstellung des Unionsbürgers aus (EuGH, ebenda Rn. 73).
40 
Der Europäische Gerichtshof ist hiernach der Auffassung, dass der Ausweisungsschutz nach der Aufhebung der bisher für seine Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz von assoziationsrechtlich geschützten türkischen Staatsangehörigen sinngemäß bzw. analog (vgl. hierzu nunmehr EuGH, Urteil vom 08.12.2010 - Rs. C-317/08 Rn. 58) berücksichtigten Richtlinie 64/221 entsprechend den Grundsätzen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach Art. 12 der Richtlinie 2003/109, der sog. Daueraufenthaltsrichtlinie zu bestimmen ist. Diejenigen Drittstaatsangehörigen, die die Rechtsstellung eines Daueraufenthaltsberechtigten genießen, können hiernach nur dann ausgewiesen werden, wenn sie eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen (Urteil vom 08.12.2011 – Rs. C-371/08 Rn. 79). Wie sich unschwer aus den weiteren Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Ziebell ablesen lässt (vgl. Rn. 80 ff.), folgt hieraus aber kein andersartiges Schutzniveau, als es bis zum Inkrafttreten der Unionsbürgerrichtlinie für Freizügigkeit genießende Arbeitnehmer der Union galt (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 26.02.1975 - Rs. 67/74 ; vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ; vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ; vom 18.05.1982 - Rs. 115 und 116/81 ; vom 18.05.1989 - Rs. 249/86 ; vom 19.01.1999 - Rs. C-348/96 ). Soweit der Gerichtshof die Tatsache anspricht, dass Herr Ziebell sich mehr als zehn Jahre ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält (vgl. Rn. 79, auch Rn. 46), wird damit kein eigenständiges erhöhtes materielles Schutzniveau eingeführt, sondern lediglich eine dem Vorabentscheidungsverfahren zugrunde liegende Tatsache wiedergegeben. Diese Schlussfolgerung ist auch deshalb unausweichlich, weil der Daueraufenthaltsrichtlinie, anders als der Unionsbürgerrichtlinie, eine Zehnjahresschwelle fremd ist. Vielmehr setzt der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nur einen fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und darüber hinaus nach Art. 7 der Richtlinie die ausdrückliche Verleihung der Rechtsstellung voraus.
41 
Kann ein assoziationsrechtlich geschützter türkischer Staatsangehöriger nur dann ausgewiesen werden, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, so steht dem auch entgegen, dass die Ausweisungsverfügung auf wirtschaftliche Überlegungen gestützt wird.
42 
Weiter haben die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats, bevor sie eine solche Verfügung erlassen, die Dauer des Aufenthalts der betreffenden Person im Hoheitsgebiet dieses Staates, ihr Alter, die Folgen einer Ausweisung für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen sowie ihre Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Urteil vom 08.12.2011 - Rs. C-371/08 Rn. 80).
43 
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Ausnahmen und Abweichungen von der Grundfreiheit der Arbeitnehmer eng auszulegen, wobei deren Umfang nicht einseitig von den Mitgliedstaaten bestimmt werden kann (vgl. Rn. 81 mit dem Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-303/08 Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 
Somit dürfen Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. Rn. 82 wiederum mit Hinweis auf das Urteil vom 22.12.2010 - Rs. C-303/08 Rn. 57 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung).
45 
Eine Ausweisung darf daher nicht automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung oder zum Zweck der Generalprävention erfolgen, um andere Ausländer vor der Begehung von Straftaten abzuschrecken (Rn. 83 Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
46 
Der Gerichtshof betont im Urteil vom 08.12.2011 (Rn. 85) zudem ausdrücklich, dass die nationalen Gerichte und Behörden anhand der gegenwärtigen Situation des Betroffenen die Notwendigkeit des beabsichtigten Eingriffs in dessen Aufenthaltsrecht zum Schutz des vom Aufnahmemitgliedstaat verfolgten berechtigten Ziels gegen alle tatsächlich vorliegenden Integrationsfaktoren abwägen müssen, die die Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats ermöglichen. Hierbei ist insbesondere zu prüfen, ob das Verhalten des türkischen Staatsangehörigen gegenwärtig eine hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Sämtliche konkreten Umstände sind angemessen zu berücksichtigen, die für seine Situation kennzeichnend sind, wie namentlich besonders enge Bindungen des betroffenen Ausländers zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in deren Hoheitsgebiet er geboren oder auch nur aufgewachsen ist.
47 
Demzufolge sind für die Feststellung der Gegenwärtigkeit der konkreten Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit auch alle nach der letzten Behördenentscheidung eingetretenen Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für das in Rede stehende Grundinteresse darstellen soll (Rn. 84; vgl. u. a. Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 Rn. 47).
48 
Wenn der Gerichtshof schließlich in der konkreten Antwort auf die Vorlagefrage (Rn. 86) noch davon spricht, dass die jeweilige Maßnahme für die Wahrung des Grundinteresses „unerlässlich“ sein muss, ohne dass dieses in den vorangegangenen Ausführungen näher angesprochen und erörtert worden wäre, so kann dies nicht dahingehend verstanden werden, dass die Ausweisungsentscheidung gewissermaßen die „ultima ratio“ sein muss und dem Mitgliedstaat keinerlei Handlungsalternative mehr offen stehen darf. Denn bei einem solchen Verständnis ginge der Schutz der assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen weiter als der von Unionsbürgern, was mit Art. 59 ZP nicht zu vereinbaren wäre. Vielmehr bringt der Gerichtshof mit dieser Formel nur mit anderen Worten den in seiner ständigen Rechtsprechung für die Ausweisung von Unionsbürgern entwickelten Grundsatz zum Ausdruck, dass die Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie insbesondere nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. etwa Urteil vom 26.11.2002 - Rs. C-100/01 Rn. 43; vom 30.11.1995 - Rs. C-55/94, Rn. 37; vom 28.10.1975 - Rs 36/75 ), wobei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen ist.
49 
Diese in der Entscheidung angelegte und angemahnte besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt nach Auffassung des Senats auch die Berücksichtigung einer aktiven und positiven Mitarbeit des oder der Betroffenen am Resozialisierungsprozess insbesondere während des Vollzugs der Strafhaft, die aber erkennbar über ein bloßes Wohlverhalten hinausgehen muss, weshalb auch insoweit die infolge der Ausweisung eintretende mögliche Gefährdung eines in Gang gesetzten positiven Resozialisierungsprozesses (vgl. auch § 2 StVollzG) einen wichtigen Abwägungsfaktor ausmachen kann. In Fällen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die im Bundesgebiet geboren und/oder hier einen ganz überwiegenden Teil ihres gesamten Lebens verbracht haben, vermag der Umstand einer konkreten Gefährdung eines positiven Resozialisierungsprozesses unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zwar assoziationsrechtlich keine strikte Rechtsgrenze einer Ausweisung auszumachen, er kann jedoch im Einzelfall von solchem Gewicht sein, dass es einer besonderen Begründung bedarf, um gleichwohl eine Ausweisung verfügen zu dürfen. Es müssen – namentlich wenn der Resozialisierungsprozess weit fortgeschritten ist und weitere gewichtige positive Integrationsfaktoren hinzukommen – besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, gleichwohl das reale Risiko eines Scheiterns des Resozialisierungsprozesses in Kauf zu nehmen.
50 
Der vom Gerichtshof entwickelte Maßstab verweist - anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizei- und Ordnungsrecht - nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern nur auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich auf „ein Grundinteresse der Gesellschaft, das tatsächlich berührt sein muss“. Dabei ist zu beachten, dass eine in der Vergangenheit erfolgte strafgerichtliche Verurteilung allein nur dann eine Ausweisung rechtfertigen kann, wenn die ihr zugrunde liegenden Umstände ein künftiges persönliches Verhalten erwarten lassen, das die beschriebene Gefährdung ausmacht (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 - Rs. C-482 und 493/01 ). Die Gefährdung kann sich allerdings auch allein aufgrund eines strafgerichtlich abgeurteilten Verhaltens ergeben (EuGH, Urteil vom 27.10.1977 - Rs. 30/77 ). Andererseits kann und darf es unionsrechtlich gesehen keine Regel geben, wonach bei schwerwiegenden Straftaten das abgeurteilte Verhalten zwangsläufig die hinreichende Besorgnis der Begehung weiterer Straftaten begründet. Maßgeblich ist allein der jeweilige Einzelfall, was eine umfassende Würdigung aller Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordert (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30.06.1998 - 1 C 27.95 - InfAuslR 1999, 59). Wenn der Umstand, dass eine oder mehrere frühere strafrechtliche Verurteilungen vorliegen, für sich genommen ohne Bedeutung für die Rechtfertigung einer Ausweisung ist, die einem türkischen Staatsangehörigen Rechte nimmt, die er unmittelbar aus dem Beschluss Nr. 1/80 ARB 1/80 ableitet (vgl. auch Urteil vom 04.10.2007 - C-349/06 Rn. 36), so muss das Gleiche erst recht für eine Maßnahme gelten, die im Wesentlichen nur auf die Dauer der Inhaftierung des Betroffenen gestützt wird.
51 
Der Gerichtshof billigt den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen, was ein eigenes gesellschaftliches „Grundinteresse“ sein soll, einen gewissen Spielraum zu (vgl. Urteil vom 28.10.1975 - Rs. 36/75 ). Gleichwohl bleiben die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Begriffe, die nicht von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausgelegt werden können.
52 
Für die Festlegung der entscheidungserheblichen Wiederholungsgefahr und des Maßes der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei der Anwendung der dargestellten unionsrechtlichen Grundsätze entsprechend dem allgemein geltenden aufenthalts- wie ordnungsrechtlichen Maßstab ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gelten mit der Folge, dass insbesondere bei einer Gefährdung des menschlichen Lebens oder bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen auch schon die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 - InfAuslR 2010, 3). Dieser Sichtweise ist mit den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Dessen Rechtsprechung lassen sich keine verifizierbaren und tragfähigen Ansätze für eine derartige weitgehende Relativierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes entnehmen; sie werden vom Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 02.09.2009 sowie in der dort in Bezug genommenen anderen Entscheidungen auch nicht bezeichnet. Das vom Gerichtshof gerade regelmäßig herausgestellte Erfordernis der engen Auslegung der Ausnahmevorschrift und die inzwischen in ständiger Spruchpraxis wiederholten Kriterien der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung eines gesellschaftlichen Grundinteresses, der die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten die Aufenthaltsbeendigung und damit die vollständige Unterbindung der jeweils in Frage stehenden Grundfreiheit unter dem strikten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit steht, lassen ein solches Verständnis nicht zu. Es wäre auch nicht durch den den Mitgliedstaaten eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Festlegung des jeweiligen Grundinteresses gedeckt. Denn andernfalls wäre gerade die hier unmittelbar unions- bzw. assoziationsrechtlich gebotene und veranlasste enge Auslegung nicht mehr gewährleistet (so schon Senatsurteile vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291 und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 - juris).
53 
Dem restriktiven, vom Verhältnismäßigkeitsprinzip und „effet utile“ geprägten Verständnis des Gerichtshofs liegt abgesehen davon die Vorstellung einer die gesamte Union in den Blick nehmenden Sichtweise zugrunde. Alle Mitgliedstaaten haben nämlich auch eine Verantwortung für die gesamte Union (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Mit dieser wäre es schwerlich vereinbar, dass ein Mitgliedstaat ein zunächst einmal genuin auf seinem Territorium aufgetretenes und entstandenes Risiko für die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch die Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs für sich so aus der Welt schafft, dass er sich des Verursachers dieses Risiko gewissermaßen zu Lasten aller anderen Mitgliedstaaten räumlich entledigt. Denn zunächst einmal bewirkt die Beendigung der Freizügigkeit und die Außer-Landes-Schaffung des früheren Straftäters durch einen EU-Mitgliedstaat im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten nichts und hätte keine Auswirkungen auf dessen Freizügigkeit in allen anderen Mitgliedstaaten. Allerdings wäre es einem anderen Mitgliedstaat nicht verwehrt, wenn der Betreffende dort gerade auch für diesen Mitgliedstaat eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstellte, seinerseits die Freizügigkeit zu beschränken. Dennoch widerspricht diese Art von „Gefahrenexport“ zu Lasten anderer Mitgliedstaaten dem Geist des EU-Vertrags. Auch wenn diese Überlegungen im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei nicht unmittelbar tragfähig sind, weil diese keine Freizügigkeit innerhalb der Union gewährleistet, so ändert dies angesichts des vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung praktizierten Übernahme der unionsrechtlichen Grundsätze nichts an der Gültigkeit der Annahme, dass ein „gleitender Wahrscheinlichkeitsmaßstab“ auch nach Assoziationsrecht einer tragfähigen Grundlage entbehrt.
54 
Andererseits ist nach Auffassung des Senats das Kriterium der tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung nicht in dem Sinn zu verstehen, dass auch eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne der traditionellen Begrifflichkeit des deutschen Polizei- und Ordnungsrechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung kann daher nach Auffassung des Senats dann ausgegangen werden, wenn unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen einzustellenden Gesichtspunkte bei einer wertenden Betrachtungsweise mehr dafür spricht, dass der Schaden in einer überschaubaren Zeit eintreten wird.
55 
Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht bislang davon aus, dass einer Aussetzung der Reststrafe nach § 57 Abs. 1 und 2 StGB oder nach § 88 Abs. 1 und 2 JGG keine Bindungswirkung zukommt, was u.a. auf die unterschiedlichen Prognosemaßstäbe zurückgeführt wird (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - NVwZ 2001, 442; Discher, in: GK-AufenthG Vor §§ 53 ff. Rdn. 1241 ff.). Allerdings soll einer solchen Aussetzung immerhin eine gewisse Indizwirkung zukommen. Die Relativierung derartiger Aussetzungsentscheidungen auf eine bloße Indizwirkung wird jedoch den unions- und assoziationsrechtlichen Anforderungen nicht vollständig gerecht. Denn es würde sich bei einer derartigen Sichtweise ein nicht gerechtfertigter Widerspruch auftun. Der Ansatz von der bloßen Indizwirkung unterstellt, dass gleichwohl im Falle der Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ohne weiteres ein gesellschaftliches Grundinteresse des Mitgliedstaats weiterhin tatsächlich und hinreichend schwerwiegend gefährdet und eine Beschränkung der Freizügigkeit bzw. ein Entzug des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts gerechtfertigt sein kann. Andererseits bringt jedoch die Gesellschaft des Mitgliedstaats gerade durch diese Aussetzung ihre Wertung zum Ausdruck, dass sie um des Täters und seiner Resozialisierung willen - durchaus nicht risikofrei - bereit ist, diesem ein Leben in Freiheit, wenn auch zunächst mit gewissen Auflagen, zu ermöglichen. Es kann dann schwerlich einem Grundinteresse der gesamten Gesellschaft des Mitgliedstaats entsprechen, den Betroffenen gleichwohl vom eigenen Territorium zu entfernen und ihm die Chance einer Resozialisierung in dem Land, in dem er zuletzt gelebt hat, zu nehmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er in diesem Land längere Zeit gelebt und dort wesentliche Teile seiner Sozialisierung erfahren hat. Seine Ausweisung in ein Land, in dem er schon längere Zeit nicht mehr oder sogar niemals gelebt hat, muss regelmäßig als kontraproduktiv und einer Resozialisierung hinderlich begriffen werden. Nimmt man noch hinzu, dass nach den oben dargelegten besonderen unionsrechtlichen bzw. assoziationsrechtlichen Maßstäben erhebliche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Begehung neuer Straftaten gestellt werden müssen, so dürfen derartige Aussetzungen auch deshalb nicht gering gewichtet und bewertet werden, weil sie von einer mit der Beurteilung von der Täterpersönlichkeiten und deren Lebensumfeld vertrauten Fachgerichtsbarkeit ausgesprochen und veranlasst werden. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn zur Vorbereitung der Aussetzungsentscheidung fachkundige Stellungnahmen oder fachwissenschaftliche Gutachten eingeholt wurden. Da andererseits den Aussetzungsentscheidungen keine ausdrücklich gesetzlich angeordnete Bindungs- oder Tatbestandswirkung zukommt, kann das Verwaltungsgericht eine solche Entscheidung ausnahmsweise unbeachtet lassen, wenn sie sich als offenkundig fehlerhaft erweist oder aber infolge aktueller Entwicklungen überholt ist und damit keine zuverlässige Prognosegrundlage mehr abgeben kann. Im Regelfall jedoch ist eine solche Aussetzungsentscheidung in der Weise zu berücksichtigen, dass die Ausweisung keinem Grundinteresse der Gesellschaft des Mitgliedstaates (mehr) entspricht.
56 
2. Ausgehend hiervon ist von Folgendem auszugehen: Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen hat mit Beschluss vom 11.01.2011 (... StVK ... + .../...) die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt mit der Auflage, dass der Kläger sich innerhalb des ersten Jahres einer Drogentherapie zu unterziehen hat. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Der Beschluss beruht auf einem kriminologisch-kriminalprognostischen Gutachten der Universität Tübingen (Dr. R.) vom 01.12.2011, das nach zwei umfangreichen Explorationen erstellt wurde. Dieses Gutachten, das sich auch umfassend mit der Aktenlage beschäftigt, erweist sich in seiner differenzierten und durchaus kritische Aspekte nicht unterdrückenden Sicht als überzeugend. Nimmt man hinzu, dass zur Vorbereitung der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer noch eine umfassende Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Rottenburg eingeholt worden war, die die wesentlichen Entwicklungsschritte, die der Kläger insbesondere im Jahre 2010 gemacht hat, deutlich macht und eine vorzeitige Freilassung befürwortet, so vermag der Senat keine Gesichtspunkte zu erkennen, die geeignet wären, die Entscheidung des Landgerichts Tübingen infrage zu stellen. Die Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht deshalb überholt, weil der Kläger drei Termine bei der Drogenberatung nicht wahrgenommen hat. Die vom Kläger hierfür gegebene Erklärung, wonach er wegen der anstrengenden Nachtarbeit die Termine verschlafen oder vergessen habe, vermag zwar nicht völlig zu überzeugen. Eine einzelne Säumnis mag bei der für den Kläger sicherlich völlig neuen Belastungssituation in einem geregelten Arbeitsverhältnis der konkreten Art ohne weiteres verständlich sein. Eine dreimalige Säumnis innerhalb eines Zeitraums von einem knappen dreiviertel Jahr ist allerdings weniger nachvollziehbar, zumal dem Kläger klar sein musste, dass seine Bewährung auf dem Spiel stehen kann. Auch wenn dieser Regelverstoß daher nicht bagatellisiert werden darf, so kann andererseits nicht übersehen werden, dass der Bewährungshelfer in seiner Stellungnahme die aktuelle Bereitschaft des Klägers, mit ihm zusammenzuarbeiten, sehr positiv hervorgehoben und weiterhin nach über einem Jahr in Freiheit eine sehr positive Prognose abgegeben hat, wobei sicherlich auch eine Rolle gespielt hat, dass aufgrund der durchgeführten Urinkontrollen von einem Drogenkonsum nicht ausgegangen werden kann. Hinzu kommt, dass die Säumnis des Klägers der Strafvollstreckungskammer keine Veranlassung gegeben hat, die Bewährungszeit zu verlängern oder die Bewährung gar zu widerrufen. Hiervon abgesehen hat der Kläger zur Überzeugung des Senats nach seiner Haftentlassung eine positive Entwicklung durchlaufen. Ihm ist es bereits kurze Zeit nach der Entlassung gelungen, eine Beschäftigung zu finden; mittlerweile steht er in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis, mit dem er seinen Lebensunterhalt sichern kann; auch seine Wohnsituation ist geklärt. Dieses zusammengefasst ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nach den oben dargelegten Maßstäben kein Grundinteresse der Gesellschaft mehr betroffen ist und die Ausweisung nicht mehr von Art. 14 ARB 1/80 getragen wird. Wenn es ihm gelingen sollte, seinen Sohn und seine Ehefrau nach Deutschland zu holen, so wird dies seine Situation aller Voraussicht nach weiter stabilisieren.
57 
Hat die Ausweisung keinen Bestand mehr, so war auch die unselbstständige Abschiebungsandrohung aufzuheben.
58 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
59 
Die Revision wird zugelassen, weil die aufgeworfenen Fragen zur Anwendung und Auslegung des Assoziationsrechts von grundsätzlicher Bedeutung sind (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
60 
Beschluss vom 7. März 2012
61 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
62 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Der Aufenthaltstitel erlischt in folgenden Fällen:

1.
Ablauf seiner Geltungsdauer,
2.
Eintritt einer auflösenden Bedingung,
3.
Rücknahme des Aufenthaltstitels,
4.
Widerruf des Aufenthaltstitels,
5.
Ausweisung des Ausländers,
5a.
Bekanntgabe einer Abschiebungsanordnung nach § 58a,
6.
wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist,
7.
wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist,
8.
wenn ein Ausländer nach Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß der §§ 22, 23 oder § 25 Abs. 3 bis 5 einen Asylantrag stellt;
ein für mehrere Einreisen oder mit einer Geltungsdauer von mehr als 90 Tagen erteiltes Visum erlischt nicht nach den Nummern 6 und 7.

(1a) Die Gültigkeit einer nach § 19 erteilten ICT-Karte erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie 2014/66/EU vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des unternehmensinternen Transfers in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen. Die Gültigkeit einer nach § 16b oder § 18d erteilten Aufenthaltserlaubnis erlischt nicht nach Absatz 1 Nummer 6 und 7, wenn der Ausländer von der in der Richtlinie (EU) 2016/801 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, einen Teil des Studiums oder des Forschungsvorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchzuführen.

(2) Die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis seines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten erlöschen nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn deren Lebensunterhalt gesichert ist und kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Die Niederlassungserlaubnis eines mit einem Deutschen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ausländers erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 6 und 7, wenn kein Ausweisungsinteresse nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder Absatz 2 Nummer 5 bis 7 besteht. Zum Nachweis des Fortbestandes der Niederlassungserlaubnis stellt die Ausländerbehörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts auf Antrag eine Bescheinigung aus.

(3) Der Aufenthaltstitel erlischt nicht nach Absatz 1 Nr. 7, wenn die Frist lediglich wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Heimatstaat überschritten wird und der Ausländer innerhalb von drei Monaten nach der Entlassung aus dem Wehrdienst wieder einreist.

(4) Nach Absatz 1 Nr. 7 wird in der Regel eine längere Frist bestimmt, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach vorübergehenden Grunde ausreisen will und eine Niederlassungserlaubnis besitzt oder wenn der Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets Interessen der Bundesrepublik Deutschland dient. Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.

(5) Die Befreiung vom Erfordernis des Aufenthaltstitels entfällt, wenn der Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben wird; § 11 Absatz 2 bis 5 findet entsprechende Anwendung.

(6) Räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach diesem und nach anderen Gesetzen bleiben auch nach Wegfall des Aufenthaltstitels oder der Aussetzung der Abschiebung in Kraft, bis sie aufgehoben werden oder der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist.

(7) Im Falle der Ausreise eines Asylberechtigten oder eines Ausländers, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, erlischt der Aufenthaltstitel nicht, solange er im Besitz eines gültigen, von einer deutschen Behörde ausgestellten Reiseausweises für Flüchtlinge ist. Der Ausländer hat auf Grund seiner Anerkennung als Asylberechtigter oder der unanfechtbaren Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Anspruch auf erneute Erteilung eines Aufenthaltstitels, wenn er das Bundesgebiet verlassen hat und die Zuständigkeit für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge auf einen anderen Staat übergegangen ist.

(8) Vor der Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a Abs. 1, vor einer Ausweisung eines Ausländers, der eine solche Aufenthaltserlaubnis besitzt und vor dem Erlass einer gegen ihn gerichteten Abschiebungsanordnung nach § 58a gibt die zuständige Behörde in dem Verfahren nach § 91c Absatz 2 über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in dem der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzt, Gelegenheit zur Stellungnahme, wenn die Abschiebung in ein Gebiet erwogen wird, in dem diese Rechtsstellung nicht erworben werden kann. Geht die Stellungnahme des anderen Mitgliedstaates rechtzeitig ein, wird sie von der zuständigen Behörde berücksichtigt.

(8a) Soweit die Behörden anderer Schengen-Staaten über Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009, die durch die Ausländerbehörden getroffen wurden, zu unterrichten sind, erfolgt dies über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörden unterrichten die Behörden anderer Schengen-Staaten unmittelbar über ihre Entscheidungen nach Artikel 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009.

(9) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU erlischt nur, wenn

1.
ihre Erteilung wegen Täuschung, Drohung oder Bestechung zurückgenommen wird,
2.
der Ausländer ausgewiesen oder ihm eine Abschiebungsanordnung nach § 58a bekannt gegeben wird,
3.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von zwölf aufeinander folgenden Monaten außerhalb des Gebiets aufhält, in dem die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erworben werden kann; der Zeitraum beträgt 24 aufeinanderfolgende Monate bei einem Ausländer, der zuvor im Besitz einer Blauen Karte EU war, und bei seinen Familienangehörigen, die zuvor im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 30, 32, 33 oder 36 waren,
4.
sich der Ausländer für einen Zeitraum von sechs Jahren außerhalb des Bundesgebiets aufhält oder
5.
der Ausländer die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwirbt.
Auf die in Satz 1 Nr. 3 und 4 genannten Fälle sind die Absätze 2 bis 4 entsprechend anzuwenden.

(10) Abweichend von Absatz 1 Nummer 7 beträgt die Frist für die Blaue Karte EU und die Aufenthaltserlaubnisse nach den §§ 30, 32, 33 oder 36, die den Familienangehörigen eines Inhabers einer Blauen Karte EU erteilt worden sind, zwölf Monate. Gleiches gilt für die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers, der sich mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat sowie die Niederlassungserlaubnis eines mit ihm in ehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Ehegatten, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.