Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 29. Okt. 2018 - 8 A 3336/18

bei uns veröffentlicht am29.10.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, hilfsweise des subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots hinsichtlich des Iraks.

2

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger aus der Provinz Niniwe, reiste 2016 oder 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).

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Nachdem die Beklagte den Asylantrag zunächst mit Bescheid vom 28. April 2017 als unzulässig abgelehnt hatte, weil Bulgarien für den dort gestellten Asylantrag zuständig sei, hob sie diesen Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-VO mit Bescheid vom 5. März 2018 wieder auf. Im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 5. April 2018 gab der Kläger ausweislich der Anhörungsniederschrift an, jesidischen Glaubens zu sein. Er habe zuletzt im Dorf X in der Gemeinde Y mit seinen Großeltern und seiner Schwester gelebt. Seine fünf Geschwister und seine Eltern sowie alle Tanten und Onkel seien in Deutschland, nur seine Großeltern würden noch im Irak leben. Die Familie habe zwei Häuser gehabt, die zur Finanzierung der Ausreise verkauft worden seien. Er habe 5 Jahre die Schule besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Die Familie habe davon gelebt, dass der Vater einen Traktor gehabt habe, mit dem er Sand und Ähnliches transportiert habe. Zum Fluchtgrund gab der Kläger an, dass er vor dem IS geflohen sei als dieser Richtung Y gekommen sei. Ihm persönlich sei aber nichts passiert.

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Mit Bescheid vom 8. Mai 2018 erkannte die Beklagte dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung oder, im Falle einer Klagerhebung, nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Er habe keinerlei ihn individuell treffende Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an einen der in § 3b AsylG benannten Verfolgungsgründe geltend gemacht, sondern pauschal und in vagen Ausführungen auf die allgemeine Lage der jesidischen Bevölkerung nach dem Vorstoß des IS auf Sinjar im August 2014 verwiesen. Eine Gruppeverfolgung der Jesiden durch den IS sei in der Provinz Niniwe nicht mehr festzustellen, nachdem die irakische Zentralregierung im Verlauf des Jahres 2017 gänzlich die Kontrolle in der Provinz Niniwe zurückgewonnen habe. Die Voraussetzungen der Asylanerkennung gemäß Art. 16a Abs. 1 GG seien enger als die für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG und lägen daher auch nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG lägen ebenfalls nicht vor. Dem Sachvortrag des Klägers sei nicht zu entnehmen, dass ihm die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würde. Ihm drohe auch kein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Insbesondere sei eine Abschiebung nicht gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohen, sei keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar. Darüber hinaus könne nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung des Art. 3 EMRK ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn der Antragsteller im Falle einer Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, im Aufnahmeland auf so schlechte humanitäre Bedingungen zutreffen, dass die Abschiebung dorthin eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten indes nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Beachtung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Gründe sich die von einem Ausländer geltend gemachte Furcht auf Gefahren, die die ganze Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehöre, allgemein beträfen, so sei die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gesperrt. Die durch das Bundesverwaltungsgericht entwickelte Rechtsprechung, die bei Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Wege einer verfassungskonformen Auslegung dennoch zu einer Schutzgewährung führen könne, komme nach der neuen Auslegung des § 60 Abs. 5 AufenthG nicht mehr in Betracht.

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Der Kläger hat am 15. Mai 2018 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er u.a. vor, an den Jesiden werde seit dem 3. August 2014 ein noch andauernder Völkermord verübt. Die Barzani-Regierung setze ihre Repressionspolitik gegen die Jesiden fort. Nachdem die Shingal-Region vom IS weitestgehend befreit worden sei, stehe die Region unter der vollständigen Kontrolle der Peshmerga und der Sicherheitspolizei Asayish, die die Jesiden, die in ihre Heimat zurückkehren möchten, fast nach Belieben drangsalieren würden. Die kurdische Autonomie-Regierung habe Moslems der umliegenden Ortschaften bewaffnet, damit diese die Jesiden „schützen“ sollten, was aber eine unmittelbare Bedrohung der Jesiden im Shingal darstelle. Es sei davon auszugehen, dass sich die Situation in der gesamten Region weiter verschärfe und eskalieren werde. Die völkerrechtswidrige „Operation Ölzweig“, welche von der türkischen Armee gemeinsam mit islamistischen Kräften der FSA durchgeführt werde, habe unmissverständlich gezeigt, wer der eigentliche Gegner sei: Es gehe darum, die Jesiden nicht nur aus ihren Dörfern zu vertreiben, sondern vielmehr, den 2014 begonnenen Völkermord fortzusetzen. Durch die hierdurch ausgelöste Fluchtwelle sei es für Jesiden inzwischen nicht mehr möglich, im kurdischen Autonomiegebiet Wohnung und Arbeit und mithin überhaupt eine Existenz zu finden, weil die hohe Zahl an Flüchtlingen die diesbezügliche Konkurrenz erheblich verschärfe. Der Kläger habe zumindest einen Anspruch auf die Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz. Hierzu zitiert er lange Passagen aus dem Urteil des VG Oldenburg vom 27. Februar 2018 (15 A 883/17, juris) und führt u.a. aus, aufgrund der großen symbolischen, strategischen und politischen Bedeutung Sindschars mit Einheiten der Volksmobilisierungs al-Hashd al Shaab, irakischen Söldnern, dem türkischen Militär, Peschmerga und Guerilla der PKK stünden sich verschiedene rivalisierende und bewaffnete Gruppen mit gegenläufigen Interessen gegenüber, deren weiteres Ziel es sei, ohne Rücksicht auf die dort (noch) lebende Bevölkerung die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Bei dieser Ausgangslage sei eine auch nur ansatzweise Einschätzung des Gefährdungsrisikos auf der Grundlage der bereits nicht valide erhobenen Gewalthandlungen der verschiedenen sich in Niniwe gegenüberstehendenden Konfliktparteien gegen die bisher gegenüber der früheren Bevölkerungsdichte nur in geringer Zahl zurückgekehrten Personen nicht möglich. Dies könne nicht zu Lasten des Klägers gehen.

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Der Kläger beantragt:

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1. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2018 (Az.: 7093075-438) wird aufgehoben.

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2. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

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3. Hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG zuzuerkennen.

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4. Höchst hilfsweise wird beantragt, die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG zuzuerkennen.

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Die Beklagten beantragt mit Schriftsatz vom 29. Mai 2018,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.

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Die Kammer hat den Rechtstreit durch Beschluss vom 20. August 2018 gemäß § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2018 persönlich angehört worden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und die Asylakte Bezug genommen, die wie auch die mit der Ladung benannten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

16

Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, auf den der Rechtsstreit durch Beschluss der Kammer vom 20. August 2018 gemäß § 76 Abs. 1 AsylG übertragen worden ist. Das Gericht konnte entscheiden, obwohl in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte niemand erschienen ist, da die Beklagte mit der ordnungsgemäßen Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

II.

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Die Klage ist unbegründet.

18

Der angefochtene Bescheid ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 1.), noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu 2.), noch die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks zu (dazu 3.). Danach erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbots als rechtmäßig (dazu 4. und 5.).

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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

20

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – im Folgenden: Genfer Konvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.

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Die weiteren Einzelheiten zu den Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, u.a. zu den berücksichtigungsfähigen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen, den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren und, unter welchen Umständen ein Ausländer auf Schutzakteure in seinem Herkunftsland oder eine dortige inländische Fluchtalternative zu verweisen ist, regeln die §§ 3a - 3e AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU):

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Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist, (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2).

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Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

24

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

25

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2011/95/EU ist angelegt, dass den Flüchtlingsschutz nur derjenige beanspruchen kann, der Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zu erwarten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn 19). Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierte“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 32). Eine nach diesem Maßstab wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der – auch deutlich – unterhalb von 50 v.H. liegt. Entscheidend für die Beurteilung der Beachtlichkeit der Gefahr ist vielmehr der qualitative Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung ist, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, juris, Rn. 17; VGH Mannheim, Urt. v. 30.5.2017, A 9 S 991/15, juris, Rn. 25 ff.).

26

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU – diese Vorschrift hat keine nationale Entsprechung – ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies entspricht dem Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach zu differenzieren, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder nicht, der auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegt (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147, 181 u. 182/80, juris, Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 21; Urt. v. 31.3.1981, 9 C 237/80, juris, Rn. 13). Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von der Vorschrift erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht jedoch durch eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland erneut von Verfolgung bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzutragen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden Umstände erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23; EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, juris, Rn. 128).

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Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

28

a) Zugunsten des Klägers kann eine Vorverfolgung durch den IS im Irak angenommen werden. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist im Fall des Klägers indes widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris, Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris, Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris, Rn. 11).

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Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung des Gerichts vor. Denn die Lage im Irak hat sich seit August 2014 insoweit grundlegend geändert, als dass der IS in der Provinz Niniwe, aus der der Kläger ursprünglich stammt, keine quasistaatliche Macht im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, die Grundlage der von IS-Kämpfern und -Anhängern durchgeführten großflächigen Verfolgungsmaßnahmen dort war. Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt im gesamten Irak fast vollständig verloren. Die Städte Sinjar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak – Lagebericht –, Stand: Dezember 2015, 18.2.2016, S. 7, 9) und stehen nunmehr unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der ihr unterstehenden Popular Mobilisation Forces (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Republik Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 18). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56). Die letzten irakischen Städte, die sich unter der Kontrolle des IS befunden haben – Al-Qaim, Ana und Rawa im Westen des Landes – wurden im November 2017 von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 8). Allein das Wüstengebiet nördlich dieser Städte – an der Grenze der Provinzen Anbar und Niniwe – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat der IS auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit dem militärischen Sieg über den IS nicht sämtliche Anhänger des IS aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet verschwunden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Gruppe in der Zivilbevölkerung untergetaucht ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Dies dürfte daher auch nicht bedeuten, dass es von Seiten der untergetauchten IS-Kämpfer zu keinerlei Menschenrechtsverletzungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Der IS dürfte sich aber künftig auf die Verübung terroristischer Anschläge konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 18.2.2018, S. 6, 15). Dabei ist zu beachten, dass solche terroristische Anschläge nicht stets als gezielte Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer aufgefasst werden können. Oftmals stellen diese Anschläge eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung dar, welche nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, Rn. 32). Damit ist jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der IS in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht in der Lage ist bzw. in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden wie noch 2014 gezielt und flächendeckend zu verfolgen (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 13.3.2018 [Kammer], 8 A 1135/17, juris, Rn. 29; Urt. v. 20.2.2018 [Kammer], 8 A 4134/17, juris, Rn. 36; VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris, Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris, Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris, Rn. 45 ff.; i.E. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., S. 14 UA; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris, Rn. 15; a.A. VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., S. 10 ff. UA; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris, Rn. 33).

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b) Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Der Kläger unterliegt insbesondere keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

31

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (so genannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichtete Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris, Rn. 21).

32

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris, Rn. 24).

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Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung, sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das Asylgesetz ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 14.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 21).

34

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Herkunftsregion des Klägers weder durch staatliche (dazu aa)), noch durch nichtstaatliche Akteure (dazu bb)) festzustellen.

35

aa) Zwar scheinen Angehörige von Minderheiten jedenfalls in der Region Kurdistan-Irak und in den von der kurdischen Regionalregierung kontrollierten Gebieten vereinzelt Schikanen und Übergriffen durch Sicherheitsbehörden ausgesetzt zu sein (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 19 f.). Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass staatlicherseits flächendeckend menschenrechtswidrige Handlungen vorgenommen würden, wie es für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre. Nach Auswertung der Erkenntnismittel ist hingegen davon auszugehen, dass eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden (§ 3c Nr. 1 AsylG) im gesamten Irak nicht stattfindet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 12.2.2018, S. 11). Auch für eine Gruppenverfolgung von Jesiden seitens der irakischen Zentralregierung in den sog. umstrittenen Gebieten, die auch von der irakischen Zentralregierung beansprucht werden und zu denen das Heimatdorf des Klägers gehören dürfte, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

36

bb) Auch von Seiten nichtstaatlicher Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG) kann weder für die Region Kurdistan-Irak noch für die Provinz Niniwe eine ausreichende Verfolgungsdichte festgestellt werden. In die Region Kurdistan-Irak ist der IS militärisch zu keinem Zeitpunkt vorgedrungen. Dort sind Minderheiten im Übrigen weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt, sie gilt schon seit Längerem als „sicherer Hafen“ für Minderheiten (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 12.2.2018, S. 11; UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 7). Von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung ausgehende Verfolgungshandlungen sind lediglich vereinzelt festzustellen (vgl. ausführlich das Urteil der Kammer v. 20.2.2018, 8 A 4134/17, juris, Rn. 54 f. m.w.N.). Die wohl stattfindenden Belästigungen durch strenggläubige Muslime und Diskriminierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, sowie häufige öffentliche Schmähungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche v. 20.5.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3), erreichen nicht die nach § 3a AsylG für eine Verfolgungshandlung vorausgesetzte Eingriffsintensität. Ein „feindliches Klima“ einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen Anpassungsprozesses rechtfertigen noch nicht automatisch die Annahme einer Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1990, 9 C 17/89, juris, Rn. 11 zu Jesiden in der Türkei).

37

Auch bei einer Rückkehr in den nördlichen Teil der Provinz Niniwe droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Verfolgungsakteure. Vor dem Hintergrund der bereits dargestellten Zurückdrängung des IS aus dem Irak kann im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht – jedenfalls nicht mehr – auf eine hinreichende Verfolgungsdichte geschlossen werden. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter 1. a) Bezug genommen. Den Erkenntnisquellen lassen sich dementsprechend keine aktuellen, dem IS zuzurechnenden Verfolgungshandlungen gegen Jesiden entnehmen, die Grundlage für die Annahme einer hinreichenden Verfolgungsdichte sein könnten. Das von Spannungen geprägte Verhältnis der jesidischen Minderheit zu der muslimischen Mehrheitsbevölkerung begründet wie auch in der Region Kurdistan-Irak nicht die Annahme einer Gruppenverfolgung (vgl. insoweit das Urteil der Kammer v. 20.2.2018, 8 A 4134/17, juris, Rn. 54 f.).

38

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

39

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

40

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 Buchst. f) Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „...tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt – wie oben bereits ausgeführt – voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 32 zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist – wie im Falle einer Vorverfolgung – nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

41

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

42

a) Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Hinsichtlich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch den IS, die kurdische Regierung oder die muslimische Mehrheitsbevölkerung gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend (1.), wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt. Eine sonstige menschenrechtswidrige Behandlung durch andere Akteure ist ebenfalls weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Wollte man in schlechten humanitären Bedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erblicken, wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen (s.u. 3. a)).

43

b) Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.

44

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).

45

aa) Nach Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemachten Erkenntnismittel besteht in der Provinz Niniwe kein internationaler oder innerstaatlicher Konflikt (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 13.3.2018 [Kammer], 8 A 1135/17, juris, Rn. 44). Dies folgt bereits daraus, dass der IS durch die irakischen Streitkräfte – wie dargelegt – landesweit fast vollständig zurückgedrängt wurde. Soweit der IS noch Selbstmordattentate und andere Anschläge verübt hat, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 57 f.) und soweit die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten noch prekär ist, da diese durch so genannte IEDs (improvisierte Sprengsätze) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt sind (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56), handelt es sich dabei um Einzelfälle, die jedenfalls kein solches Ausmaß erreichen, dass die Lage als innerstaatlicher Konflikt zu qualifizieren wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass es darüber hinaus im Distrikt Sinjar gezielte Luftangriffe der türkischen Luftwaffe gegeben hat, die gegen Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK gerichtet waren, wobei auch ein Ausbildungslager der jesidischen YBS-Milizen zerstört worden sein soll (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, 2.2.2017). Denn zum einen handelt es sich dabei um einen Konflikt, der nur zwischen den türkischen Sicherheitskräften einerseits und der PKK sowie der ihnen nahestehenden YBS-Milizen andererseits besteht, wenngleich es dabei zu Todesopfern – mindestens auch einem zivilen – gekommen sein soll (vgl. ebda.). Denn auch insofern ist die Schwelle im Hinblick auf Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts nicht ausreichend, um einen internationalen oder innerstaatlichen Konflikt in der Provinz Niniwe annehmen zu können.

46

Soweit der Kläger aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 27. Februar 2018 (15 A 883/17, juris) zitiert und meint, es liege ein innerstaatlicher Konflikt vor, weil sich aufgrund der großen symbolischen, strategischen und politischen Bedeutung Sinjars mit Einheiten der Volksmobilisierung al-Hashd al-Shaab, irakischen Söldnern, dem türkischen Militär, Peschmerga und Guerilla der PKK verschiedene rivalisierende und bewaffnete Gruppen mit gegenläufigen Interessen gegenüber stünden, deren jeweiliges Ziel es sei, ohne Rücksicht auf die dort (noch) lebende Bevölkerung die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen, genügt dies nicht für die Annahme, dass ein innerstaatlicher (oder internationaler) bewaffneter Konflikt besteht. Denn allein das gemutmaßte Ziel, dass Gruppen mit gegenläufigen Interessen ohne Rücksicht auf die Bevölkerung die Kontrolle über ein Gebiet erlangen wollen, reicht hierfür nicht aus. Kampfhandlungen von einer Qualität, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen, sind – wie gezeigt – nicht zu verzeichnen. Auch gibt es keine konkreten Anhaltspunkte, dass solche Kampfhandlungen unmittelbar bevor stehen. Im Übrigen stammt der Kläger nicht aus Sinjar.

47

bb) Unabhängig hiervon kann für die Provinz Niniwe davon ausgegangen werden, dass dem Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht. Es gibt dort derzeit kein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

48

So sind die Zahlen der getöteten oder verletzten Zivilisten sowohl landesweit als auch in Niniwe nach der Zurückdrängung des IS als stark rückläufig zu bewerten. Gab es nach den Aufzeichnungen der UN etwa im Januar 2017 landesweit noch 403 getötete (Oktober 2014: 1089) und 924 verletzte (Oktober 2014: 2074) Zivilisten, wurden im September 2018 von der UN landesweit „nur“ noch 75 getötete und 179 verletzte Zivilisten verzeichnet, nachdem die Zahlen auch in den Vormonaten bereits deutlich gesunken waren (vgl. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6725:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2017&Itemid=633&lang=en und http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=9687:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2018&Itemid=633&lang=en – jeweils zuletzt aufgerufen am 29.10.2018). Der amerikanische Irak-Experte Joel Wing hat für die Provinz Niniwe im September 2018 insgesamt 46 getötete Zivilisten und 9 verletzte Zivilisten aufgeführt (vgl. https://musingsoniraq.blogspot.com/2018/09/ einschließlich der Unterseiten hierzu – zuletzt aufgerufen am 29.10.2018).

49

Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in die Provinz Niniwe allein durch ihre Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein, derzeit nicht erreicht ist. Wenn man nicht von den amtlichen Zahlen der UN ausgeht, sondern zugunsten des Klägers die zuletzt für September 2018 von Joel Wing berichteten Zahlen – 55 betroffene Zivilisten – zugrunde legt, ist schätzungsweise davon auszugehen, dass in Niniwe im Jahr 660 Zivilpersonen getötet oder verletzt werden. Stellt man dies der Anzahl der Einwohner in der Provinz Niniwe gegenüber, die nach den Erkenntnissen des Gerichts bei ungefähr 3,2 Millionen liegt (vgl. vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12; Wikipedia zum Lemma „Ninawa“), beträgt das Risiko, als Zivilperson in Niniwe entsprechend betroffen zu sein, etwa 0,021 v.H. (660 / 3.200.000 Einwohner x 100). Dies ist auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, selbst wenn man berücksichtigt, dass womöglich auch mit diesen Zahlen nicht alle getöteten oder verletzten Zivilpersonen erfasst wurden und die jesidische Glaubenszugehörigkeit des Klägers sich gefahrerhöhend auswirken mag.

50

Das Gericht teilt dabei die teilweise geäußerten Zweifel an solchen Daten jedenfalls insoweit nicht, als daraus gefolgert wird, dass sie einer quantitativen Annäherung der Gefährdung im Sinne der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Ermittlung der Gefahrendichte nicht zugrunde gelegt werden können (vgl. hingegen VG Gelsenkirchen, Urt. v. 7.3.2018, 15a K 7127/16.A, juris, Rn. 64 ff.) und dass dies nicht zu Lasten des Klägers gehen dürfe, also subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei (VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris Rn. 51). Auch wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die berichteten Zahlen ein abschließendes Bild der Lage zeichnen und hinsichtlich der Einwohnerzahl auf einer Schätzung beruhen, so sind sie gleichwohl geeignet, um auf ihrer Grundlage eine annähernde Quantifizierung der (konflikt)betroffenen Zivilisten vorzunehmen. Angesichts der Präsenz auch von Nichtregierungsorganisationen in der Provinz Niniwe und des internationalen Augenmerks auch auf diese Region in Irak ist nicht ersichtlich, dass die berichteten Zahlen die tatsächlichen Begebenheiten in einem solchen Maß – etwa um Größenordnungen – verfehlten, dass von einer solchen annähernden Berechnung von vornherein abzusehen sein könnte.

51

cc) Soweit der Kläger in die Region Kurdistan-Irak zurückkehren würde, etwa in ein dortiges Flüchtlingscamp, droht ihm auch dort ersichtlich kein ernsthafter Schaden infolge eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

52

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

53

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

54

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36).

55

Dies zugrunde gelegt begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutzstatus unter 2. a) Bezug genommen. Auch humanitäre Gründe führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht mit Art. 3 EMRK zu vereinbaren wäre.

56

Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen ein-schließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).

57

Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen im Irak.

58

Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 12.2.2018, S. 22).

59

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-)Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrischen Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

60

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- USD/Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8 v.H. angestiegen und wird mit zuletzt 14 v.H. berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 10.5.2017 und v. 29.3.2018). Bei Frauen liegt sie bei 29,4 v.H. gegenüber 9,7 v.H. bei Männern (ebda.). Fast zwei v.H. der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen nicht über ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittellieferungen funktioniert das System relativ gut in Dohuk und Sacho (vgl. ACCORD, a.a.O.).

61

Trotz der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

62

Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum selbst zu sichern.

63

Da der IS nicht bis ins Heimatdorf des Klägers vorgedrungen ist und dieses daher jedenfalls keine sehr großen Zerstörungen aufweisen dürfte, kommt für den Kläger eine Rückkehr dorthin in Betracht. Der Kläger ist aber jedenfalls darauf zu verweisen, sich in der nahe gelegenen Region Kurdistan-Irak niederzulassen. Das Gericht ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung, nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es ihm im Falle seiner Niederlassung in der Region Kurdistan-Irak nicht möglich sein würde, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger nicht in der Lage sein würde, sein Existenzminimum dort zu sichern bzw. dass es ihm dort nicht gewährleistet wird. Dabei kann dahin stehen, inwieweit der Kläger auf Unterstützung von im Irak lebenden Verwandten zurückgreifen kann. Anders als bei der Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger in der mündlichen Gerichtsverhandlung jedenfalls angegeben, dass neben seinen Großeltern noch ein Onkel im Irak lebe. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass der Kläger durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Arbeitseinkommen erzielen und sich damit zumindest das Existenzminimum sichern kann. Der Kläger muss keine Familie unterhalten, allenfalls müsste er für seine 22 Jahre alte Schwester mitsorgen. Auch dies würde dem Kläger nach Überzeugung des Gerichts gelingen. Denn der Kläger ist 21 Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Dauerhafte körperliche Einschränkungen des Klägers sind nicht ersichtlich. Zudem spricht er kurdisch-kurmandschi und kann als kurdischer Volkszugehöriger sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und seinen Aufenthalt dort nehmen, jedenfalls in der Region Dohuk (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12. April 2017, S. 8; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 91/17 A, juris Rn. 38 ff.). Das Gericht hält es zudem nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seines jesidischen Glaubens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden würde. Zwar gibt es in der Region Kurdistan-Irak nach der Erkenntnislage des Gerichts Diskriminierungen von Jesiden auf dem Arbeitsmarkt (dazu bereits oben 1. b) bb)). Dass es Jesiden aber auch mit Mühe nicht gelingen kann, dort Arbeit zu finden, geht aus den Erkenntnismitteln nicht hervor.

64

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kläger mangels verfügbaren Wohnraums gezwungen sein wird, sich in einem Flüchtlingslager niederzulassen. Ein solches müsste der Kläger voraussichtlich in der Region Kurdistan-Irak aufsuchen, da er wohl über einen der dortigen internationalen Flughäfen (Erbil, Sulaimaniya) zurückkehren würde. Eine Verfolgung (s.o. 1.) oder ein ernsthafter Schaden würde ihm dort nicht drohen. Insbesondere würde dem Kläger keine gewaltsame Vertreibung drohen. Soweit der Kläger unter Hinweis auf einen Artikel von ezidipress.com meint, jesidische Familien würden von der Barzani-Regierung systematisch aus dem kurdischen Autonomiegebiet vertrieben, ist dies nicht belegt. In dem in Bezug genommen Artikel geht es um 4 jesidische Familien, deren Angehörige für schiitische Milizen gekämpft haben (http://www.ezidipress.com/blog/hrw-bericht-kurdische-regierung-vertreibt-ezidische-fluechtlingsfamilien/). Das trifft auf den Kläger nicht zu.

65

Das Gericht ist überzeugt, dass der Kläger auch in einem Flüchtlingslager seine elementaren Bedürfnisse befriedigen kann. Das Gericht verkennt nicht, dass die Lage in den Flüchtlingslagern schwierig ist, was sie aber nicht menschenunwürdig macht. Den Erkenntnismitteln kann nicht entnommen werden, dass es in den Flüchtlingslagern in der Region Kurdistan-Irak generell an dem für ein menschenwürdiges Leben Erforderlichen mangelt. Vielmehr sind die meisten Flüchtlingslager der Region mit Elektrizität und Wasser versorgt (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage von Rückkehrern aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem; Schwierigkeiten für Rückkehrer aus Europa, 29.3.2018). Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse zu fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten, flächendeckenden Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung oder zu hygienisch unhaltbaren Zuständen vor (vgl. zur allgemeinen Situation und Ausstattung der Flüchtlingslager unter anderem Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 115 f.; vgl. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742/17.A, juris 79 ff.; a.A. VG Aachen, Urt. v. 11.6.2018, 4 K 530/18.A, juris Rn. 122 ff.). Dass der Kläger in ein Flüchtlingscamp gelangen wird, in dem die Situation vergleichbar ist mit der Situation in den Flüchtlingslagern, bezüglich derer der EGMR in seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681, Rn. 303) einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK gesehen hat, ist nicht ersichtlich. Dort waren ca. 280.000 Flüchtlinge in Camps untergebracht, die nur für 90.000 Flüchtlinge gedacht waren. Infolge der starken Überfüllung wurde der Zugang zu Unterkünften, Wasser, sanitären Einrichtungen und anderen wichtigen Dienstleistungen behindert. Dort nahmen Vorfälle von Diebstahl und sexuellem Missbrauch zu. Somalischen Flüchtlingen war es generell nicht erlaubt, die Lager zu verlassen, es sei denn es lagen außergewöhnliche Umstände vor (hierzu EGMR im genannten Urteil vom 28. Juni 2011, Rn. 156 bis 159, insoweit abrufbar unter https://www.refworld.org/cases,ECHR,4e09d29d2.html). Schon angesichts der grundsätzlich weiter voranschreitenden Rückkehr der Binnenvertriebenen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 12.2.2018, S. 5) und mangels entsprechender konkreter Anhaltspunkte geht das Gericht davon aus, dass in den Flüchtlingscamps in der Region Kurdistan-Irak derartige Bedingungen nicht bestehen.

66

Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären.

67

b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

68

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

69

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris, Rn. 37 ff. m.w.N.).

70

aa) Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen droht dem Kläger hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Herkunftsland nicht.

71

Erforderlich aber auch ausreichend ist, dass sich die Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, Urt. vom 17.10.2006, 1 C 18/05, juris, Rn. 15). Dabei erfasst § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind. Gefahren, die sich allein als Folge oder im Zusammenhang mit der Abschiebung ergeben, fallen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamtes und sind daher auch nicht im vorliegenden Verfahren, sondern von der Ausländerbehörde im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris, Rn. 57).

72

Gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (Satz 1). Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen (vgl. VGH München, Beschl. v. 24.1.2018, 10 ZB 18.30105, juris, Rn. 7; OVG Magdeburg, Beschl. v. 28.9.2017, 2 L 85/17, juris, Rn. 2 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 9.10.2017, 13 A 1807/17.A, juris, Rn. 19 ff.).

73

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis wegen einer Krankheit kann zum einen darauf beruhen, dass im Zielstaat keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, aber auch darauf, dass grundsätzlich vorhandene Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen tatsächlich nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.2006, 1 C 18/05, juris, Rn. 20). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Zudem liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).

74

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in seinem Herkunftsstaat einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen unterliegen würde. Er hat die gesetzliche Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht erschüttert. Der Kläger hat zwar vorgetragen, traumatisiert zu sein, dies aber nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht.

75

bb) Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).

76

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu 2. und 3. a) Ausgeführte entsprechend.

77

4. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 38 Abs. 1 AsylG.

78

5. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden.

III.

79

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 29. Okt. 2018 - 8 A 3336/18

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 29. Okt. 2018 - 8 A 3336/18

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 15. Jan. 2018 - Au 5 K 17.35594

bei uns veröffentlicht am 15.01.2018

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Tatbestand

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 24. Jan. 2018 - 10 ZB 18.30105

bei uns veröffentlicht am 24.01.2018

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Ber

Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 13. März 2018 - 8 A 1135/17

bei uns veröffentlicht am 13.03.2018

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Siche

Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 20. Feb. 2018 - 8 A 4134/17

bei uns veröffentlicht am 20.02.2018

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch..

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 28. Sept. 2017 - 2 L 85/17

bei uns veröffentlicht am 28.09.2017

Gründe 1 Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 5. Kammer - vom 21.07.2017 hat keinen Erfolg. 2 I. Der Rechtssache kommt die von den Klägern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 31. Jan. 2013 - 10 C 15/12

bei uns veröffentlicht am 31.01.2013

Tatbestand 1 Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren. 2

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 23. Nov. 2011 - 10 B 32/11

bei uns veröffentlicht am 23.11.2011

Gründe 1 Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Nov. 2011 - 10 C 13/10

bei uns veröffentlicht am 17.11.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 4/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 A

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.

(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

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Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

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Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

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3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

Gründe

1

Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

2

Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr des Klägers in Tschetschenien und dem Fehlen einer zumutbaren internen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Hierzu macht sie geltend, das Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen nicht mit der abweichenden Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte auseinandergesetzt, auf die sich der am Verfahren beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten ausdrücklich berufen habe. Dieser hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 6. April 2011 unter Bezugnahme auf im Einzelnen nach Aktenzeichen und Entscheidungsdatum spezifizierte Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte darauf hingewiesen, dass Tschetschenen bei einer Rückkehr nach Tschetschenien hinreichend sicher seien bzw. im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass ihnen Verfolgung oder sonstiger ernsthafter Schaden drohe, soweit sie keine besonderen Gefährdungsfaktoren aufwiesen. Außerdem hat er geltend gemacht, dass Tschetschenen nach allgemeiner Spruchpraxis selbst bei Annahme einer weiter andauernden Verfolgungsgefahr in Tschetschenien zumindest eine inländische Ausweichmöglichkeit bzw. im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG interner Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation zustehe.

3

Mit den in diesen obergerichtlichen Entscheidungen vertretenen Auffassungen setzt sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht auseinander. Es erwähnt in seiner Entscheidung zwar eine der vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen als Beleg für eine von seiner eigenen Einschätzung abweichende Auffassung zur aktuellen Lage in Tschetschenien, ohne jedoch weiter auf das Vorbringen des Bundesbeauftragten einzugehen und sich mit der abweichenden tatsächlichen und rechtlichen Würdigung der anderen Oberverwaltungsgerichte zur Lage in Tschetschenien und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative näher zu befassen. Das lässt angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nur den Schluss zu, dass es dieses Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung zwar auch neuere Erkenntnismittel an, die den vom Bundesbeauftragten angeführten Entscheidungen der anderen Oberverwaltungsgerichte nicht vorlagen. Diesen entnimmt das Berufungsgericht aber keine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern verweist ausdrücklich darauf, dass seine aktuelle Lageeinschätzung älteren - von den anderen Oberverwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigten - Erkenntnissen entspreche (UA S. 11) und deshalb "weiterhin" für die in Tschetschenien lebenden Personen eine tatsächliche Gefahr bestehe (UA S. 12). Bei dieser Sachlage verletzt das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs; darin liegt zugleich ein formeller Begründungsmangel im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

4

Zwar ist die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung, so dass eine fehlende Auseinandersetzung mit abweichender obergerichtlicher Rechtsprechung als solche in aller Regel nicht als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 1. März 2006 - BVerwG 1 B 85.05 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 324 und - BVerwG 1 B 86.05). Etwas anderes muss jedoch dann gelten, wenn sich ein Beteiligter - wie hier - einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu eigen macht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen handelt. Geht das Berufungsgericht hierauf in den Urteilsgründen nicht ein und lässt sich auch sonst aus dem gesamten Begründungszusammenhang nicht erkennen, dass und in welcher Weise es diesen Vortrag zur Kenntnis genommen und erwogen hat, liegt in der unterlassenen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts ausnahmsweise auch ein rügefähiger Verfahrensmangel (vgl. in diesem Sinne schon Beschluss vom 21. Mai 2003 - BVerwG 1 B 298.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 270).

5

Auf diesen Verfahrensmangel kann sich jedenfalls in der vorliegenden prozessualen Konstellation auch die Beklagte berufen. Denn sie ist der Berufung des Klägers entgegengetreten und hat sich damit das in die gleiche Richtung zielende Vorbringen des Beteiligten zumindest konkludent zu eigen gemacht.

6

Wie die Beschwerde zutreffend darlegt, kann die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich der vom Bundesbeauftragten angesprochenen Frage der Gefährdung in Tschetschenien und des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative gelangt wäre. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insbesondere keine Anhaltspunkte für ein besonderes Gefährdungspotential des Klägers, bei dessen Vorliegen auch andere Oberverwaltungsgerichte eine Gefährdung bzw. das Fehlen einer inländischen Fluchtalternative annehmen.

7

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass beim Flüchtlingsschutz allein die Gefahr krimineller Übergriffe ohne Anknüpfung an einen flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsgrund keine Verfolgung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG bedeutet. Auch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde.

8

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten.

2

Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und jesidischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 6. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. März 2016 einen Asylantrag.

3

Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21. September 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er den Irak am 21. November 2015 verlassen habe und er aus dem Dorf Tel Benat stamme, das sich in der Nähe der Stadt Sindschar befinde. Im Irak habe er zwölf Jahre die Schule besucht und Abitur gemacht. Anschließend habe er circa zwei Jahre als Maler gearbeitet. Im Irak lebten neben seiner Mutter, die erkrankt sei und in einem Flüchtlingslager in Zaxo lebe, ein weiterer Bruder und eine weitere Schwester sowie die gesamte Großfamilie. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Kläger im Wesentlichen an, dass die Terrormiliz des Islamischen Staates (im Folgenden: IS) sein Dorf erobert habe und er seitdem nichts mehr besitze. Für die geflüchteten Jesiden sei die Situation in dem Flüchtlingslager unbefriedigend, da es im Sommer heiß und im Winter kalt sei. Die Menschen würden unter den schlechten Bedingungen leiden. Er selbst sei im Irak weder bedroht, verletzt noch vertrieben worden. Trotzdem könne er als Jeside nicht mehr im Irak leben, da die Bevölkerung die Jesiden grundlos hasse. Er wisse nicht, warum dies so sei. Es seien jedenfalls fremde Leute, die er nicht kenne und die er auch nicht gesehen habe. Er selbst sei nicht sehr religiös und lebe seinen Glauben auch nicht offen aus. Für diejenigen, die Jesiden hassten, sei es nicht erkennbar, dass er Jeside sei und sie würden dies auch nicht erfahren. Allerdings bedrohten diese Menschen bestimmte Dörfer in bestimmten Regionen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. Er habe ebenso wie die übrigen Jesiden kein Zuhause mehr und sei gezwungen, in einem Flüchtlingslager zu leben. Das Elternhaus, in dem er vor seiner Flucht gelebt habe, sei zwar nicht zerstört worden, allerdings wisse er nicht, wer dort jetzt wohne. Auf die weiteren Ausführungen des Klägers (Bl. 72 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

4

Mit Bescheid vom 9. Januar 2017 erkannte die Beklagte die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2 des Bescheids), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Des Weiteren forderte sie den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Abschiebung in den Irak angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Überdies befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Vortrag des Klägers, wonach er als Jeside verfolgt werde, sei zu allgemein. Auch auf Nachfrage habe er nicht angegeben, persönlich bedroht, verletzt oder vertrieben worden zu sein. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass er ausgeführt habe, dass für seine Leute schwere Lebensbedingungen im Irak und in den Flüchtlingslagern herrschten und dass seine Mutter krank sei. Denn auch aus diesen sehr allgemein geschilderten Lebensbedingungen ergebe sich weder eine Verfolgungshandlung noch ein Verfolgungsakteur. Eine begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden aufgrund seiner Religion oder Volkszugehörigkeit folge auch nicht aus seinem übrigen Vortrag. Denn er habe angegeben, nicht sehr religiös zu sein und seine Religion nicht auszuleben, so dass auch niemand mitbekomme, dass er Jeside sei, was man ihm auch nicht äußerlich ansehe. Dem stehe nicht entgegen, dass der IS das Heimatdorf des Klägers eingenommen habe, da der Kläger bereits nach seinen eigenen Angaben landesintern Schutz im Irak gefunden habe und er seit dem Verlassen seines Elternhauses nicht bedroht, verletzt oder vertrieben worden sei. Im Übrigen scheide die Gewährung von Flüchtlingsschutz bereits deshalb aus, weil es dem Kläger zugemutet werden könne, Schutz in den nichtumkämpften Landesteilen des Irak zu suchen. Die Gesamtbetrachtung seiner Lebensumstände und individuellen Voraussetzungen lasse zudem erwarten, dass er als gesunder arbeitsfähiger junger Mann in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums sicherstellen zu können. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen ebenfalls nicht vor. Des Weiteren seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben, denn der Vortrag des Klägers sei auch insofern nicht glaubhaft. Auch drohe ihm keine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Dem stehe in seinem Fall darüber hinaus entgegen, dass er neben seiner Mutter noch eine Großfamilie im Irak habe und daher weiterhin dort familiär verwurzelt sei. Auch drohe ihm keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Umstände, die geeignet wären, eine hier zu berücksichtigende Gefährdung begründen zu können, seien nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei im vorliegenden Fall angemessen. Auf die weiteren Gründe des Bescheids (Bl. 83 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

5

Am 27. Januar 2017 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass ihm als Jeside aus dem Sindschar-Gebirge die Flüchtlingseigenschaft als Gruppenverfolgter zugesprochen werden müsse. Dies folge daraus, dass die Islamisten hunderttausende Jesiden vertrieben und tausende von ihnen entführt und ermordet hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei er – wie alle Jesiden – im Irak nicht sicher vor Verfolgung. Es sei den Jesiden nicht möglich, im Irak ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie seien schweren Diskriminierungen durch die moslemische Bevölkerung ausgesetzt. Ihre Produkte würden von Muslimen nicht gekauft werden, da sie nach deren Auffassung unrein seien. Die Jesiden seien – ebenso wie die Christen – wegen dieser Alternativlosigkeit gezwungen, in der Gastronomiebranche zu arbeiten und Alkohol zu verkaufen. Allerdings führe dies regelmäßig dazu, dass sie von Islamisten getötet würden, da Alkoholkonsum und -verkauf nach dem Islam verboten seien. Der Kläger könne im Irak sein wirtschaftliches Existenzminimum jedenfalls nicht sichern.

6

Der Kläger beantragt,

7
1. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Januar 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
8
2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die nationalen Abschiebeverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
9

Aus dem Schriftsatz vom 19. Juli 2017 geht der Antrag der Beklagten hervor,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung ihres Antrags bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2018 persönlich angehört worden. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die Asylakte des Bundesamts Bezug genommen, welche ebenso zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde wie die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen.

Entscheidungsgründe

I.

14

Der Entscheidung steht nicht entgegen, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Hierauf ist sie gemäß § 102 Abs. 2 VwGO mit der Ladung hingewiesen worden.

II.

15

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

16

Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG (hierzu unter 1.) oder des Status als subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (hierzu unter 2.). Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (hierzu unter 3.). Die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden (hierzu unter 4. und 5.). Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

18

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen (vgl. § 3 Abs. 4 AsylG). Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560; im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention [GFK]), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).

19

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung unterschiedlicher Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

20

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht nur vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

21

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

22

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 19). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32 m.w.N.).

23

Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 v. 20.12.2011, S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU) ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dies entspricht dem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris; dem folgend u. a. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris). Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei der Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden, und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden oder einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in ihr Heimatland erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.).

24

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

25

a. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

26

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger kurdischer Volks- und jesidischer Religionszugehörigkeit ist und aus dem Dorf Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive stammt. Daran hat auch die Beklagte keine Zweifel. Im Übrigen ergibt sich dies sowohl aus den in der Asylakte befindlichen Ausweisdokumenten als auch aus den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Wenngleich er nicht in der Lage war, seine Heimatregion auf einer Karte zu zeigen, da diese nicht in arabischer Schrift war, konnte er diese zumindest geographisch hinreichend bestimmen. Denn er hat dargelegt, dass sich sein Heimatdorf Tel Benat circa zwölf Kilometer südlich der Stadt Sindschar befinde und zwischen den Dörfern Gasr (östlich), Khilo (westlich) sowie Sibaa (südlich) liege. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass sich sein Heimatdorf in dem Distrikt Qairawan befinde, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, da es sich dabei nach den Erkenntnismitteln des Gerichts lediglich um eine weitere regionale Untergliederung innerhalb des Distrikts Sindschar handeln dürfte. Daneben hat der Kläger detaillierte Angaben zu seinem Leben in Tel Benat gemacht (Wohnsituation, Ausbildung, Familie, Beruf). Weiter geht das Gericht davon aus, dass er sein Heimatdorf am Morgen des 3. August 2014 fluchtartig verlassen hat, um sich vor dem herannahenden IS in Sicherheit zu bringen. Der Kläger hat den Geschehensablauf zu seiner Flucht anschaulich und detailliert dargelegt. Im Übrigen entspricht das von ihm geschilderte Fluchtschicksal in zeitlicher und in tatsächlicher Hinsicht den Erkenntnissen des Gerichts zum Einmarsch des IS in die Provinz Ninive.

27

Zwar dürfte der Kläger auf dieser Grundlage insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017).

28

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris Rn. 11).

29

Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich zwischenzeitlich jedenfalls insoweit grundlegend verändert, als dass der IS zumindest in der Provinz Ninive und insbesondere in dem Distrikt Sindschar – der Herkunftsregion des Klägers – keine quasi-staatliche Macht im Sinne von § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt (vgl. hierzu auch VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., UA S. 14). Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt sogar im gesamten Irak fast vollständig verloren. So wurden im November 2017 die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. nur Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 8 m.w.N.). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 befreit (vgl. ebenda, S. 56). Die Städte Sindschar und Ramadi wurden sogar bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr – wie auch die anderen Distrikte der Provinz Ninive – unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung beziehungsweise der ihr unterstehenden Popular Mobilization Forces (PMF) (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 18 m.w.N.; https://isis.liveuamap.com/). Allein das Wüstengebiet nördlich der Städte Al-Qaim, Ana und Rawa – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat dieser auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Zwar ist insoweit nicht zu verkennen, dass die territoriale Zurückdrängung des IS nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle Kämpfer des IS getötet oder inhaftiert worden sind. Viele Kämpfer, von denen es allein in der Provinzhauptstadt Mossul 40.000 gegeben hat, sind entweder in die Wüste geflohen oder haben sich unter die Zivilbevölkerung gemischt (ebenda, S. 8 m.w.N.). Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden (ebenda, S. 57 f.). Auch ist die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten prekär, da diese durch sog. „IEDs“ (improvised explosive devices) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt ist (ebenda, S. 56). Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass es von Seiten untergetauchter IS-Anhänger zu keinerlei Verfolgungshandlungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Wie in anderen von den irakischen Streitkräften zurückeroberten Gebieten oder in nie vom IS kontrollierten Gebieten dürfte sich der IS im Zuge seiner territorialen Zurückdrängung künftig aber vor allem auf die Verübung terroristischer Anschläge bzw. auf eine asymmetrische Kriegsführung mit verstärkten terroristischen Aktivitäten konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017), 12.2.2018, – im Folgenden: Lagebericht 2018 –, S. 15). Derartige terroristische Anschläge stellen grundsätzlich keine gezielten Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer dar. Denn dabei handelt es sich vielmehr um eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung, die nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG steht, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris Rn. 32). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist daher nicht davon auszugehen, dass der IS in der Lage ist beziehungsweise in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden – insbesondere in der Region Ninive – systematisch zu verfolgen (im Ergebnis so auch VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris Rn. 45 ff.; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., UA S. 10 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris Rn. 33).

30

Dafür dass von dem IS insofern keine ernstzunehmende Gefahr mehr ausgeht, sprechen auch die Rückkehrbewegungen der Binnenflüchtlinge in die Provinz Ninive sowie in die anderen Provinzen des Iraks. Bereits im Oktober 2017 hat sich die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen von ca. 5,5 Millionen Menschen um 2,3 Millionen Menschen verringert. Dabei waren die Provinzen Anbar, Ninive und Salah Al-Din besonders stark von Vertreibungen betroffen. Etwa 1,2 Millionen Binnenvertriebene halten sich in der Region Kurdistan-Irak auf (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2018, S. 5). Neueren Erkenntnissen zufolge hält diese Rückkehrbewegung auch im Jahre 2018 weiter an. Diese betrafen sowohl die Regionen, die Schwerpunkte der militärischen Auseinandersetzung mit dem IS waren – wie etwa Ninive –, als auch die Provinz Bagdad, wo der IS die meisten Terroranschläge verübt hat. Nach Ninive kehrten dabei insgesamt 1.172.448 Millionen Menschen aus den umliegenden Provinzen sowie 89.364 weitere Menschen, die innerhalb Ninives geflohen sind, in ihre Herkunftsregionen zurück (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/number-of-displaced-returning-home.html, veröffentlicht am 8.3.2018).

31

b. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

32

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (sogenannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris Rn. 21).

33

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris Rn. 24).

34

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung, sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, a.a.O.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O.).

35

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers nicht festzustellen (im Ergebnis ebenso u. a. VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris Rn. 40 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742/17.A, juris Rn. 45 ff.; VG Ansbach, Urt. v. 18.9.2017, AN 2 K 16.31390, juris Rn. 11; für die Provinz Ninive noch offen gelassen: VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris Rn. 34; a. A. VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris Rn. 33; noch zur Lage vor der Rückeroberung der Städte Mossul und Tel Afar: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a 5929/16.A, juris Rn. 92 ff.; a. A. noch nach der Befreiung Mossuls mit Blick auf die Verfolgung schabakischer Gläubiger: VG Aachen, Urt. v. 28.8.2017, 4 K 2015/16.A, juris Rn. 72 ff.).

36

Eine Gruppenverfolgung von Jesiden geht in der Herkunftsregion des Klägers auch nicht von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als nichtstaatlichem Akteur aus, wenngleich das Verhältnis von Jesiden und Muslimen mitunter durch Spannungen geprägt ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris Rn. 16). Den Erkenntnismitteln lässt sich insbesondere für die Region Kurdistan-Irak zwar entnehmen, dass strenggläubige Muslime die Jesiden als Ungläubige schmähen sowie belästigen und die Jesiden darüber hinaus auch auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und diskriminiert werden (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious minorities, August 2016, 24 f.;Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 20.05.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität beziehungsweise die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Denn als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten nur solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder die nach Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Daran fehlt es hier. Denn die Berichte über die Belästigungen und Diskriminierungen, denen die Jesiden teilweise ausgesetzt sind, bleiben vereinzelt und lassen insbesondere keine flächendeckenden und menschenrechtswidrigen Handlungen erkennen, was für die Annahme einer Gruppenverfolgung aber erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr sprechen darüber hinaus wie unter II. 1. a. bereits dargelegt auch die Rückkehrbewegungen der Binnenflüchtlinge in die Provinz Ninive.

37

2. Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

38

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

39

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 lit. f) der Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe…“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris Rn. 22). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32 – zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

40

Gemessen an diesen Vorgaben erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht.

41

a. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht dem Kläger weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Soweit sich der Kläger auf eine Bedrohung aufgrund seiner jesidischen Religionszugehörigkeit berufen hat, gelten insoweit die obigen Ausführungen entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

42

b. Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist im Fall des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich.

43

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z. B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17; Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 13). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 vom "tatsächlichen Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (C-465/07, juris Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, a.a.O.). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder in dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z. B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund deren der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125%, in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris Rn. 22 f.).

44

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und nach Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemachten Erkenntnismittel besteht nach Auffassung der Kammer in der Region Ninive kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dies folgt bereits daraus, dass der IS durch die irakischen Streitkräfte – wie dargelegt – landesweit fast vollständig zurückgedrängt wurde. Dem steht nicht entgegen, dass Anhänger des IS weiterhin Selbstmordattentate und andere Anschläge verüben. Denn bei diesen sicherheitsrelevanten Vorfällen – toten und verletzten Zivilpersonen – handelt es sich um Einzelfälle; jedenfalls haben sie aber kein derartiges Ausmaß erreicht, dass sie als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren sind. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten mitunter prekär ist, da auch insofern die Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht vorliegen. Ein solcher kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die türkische Luftwaffe im April 2017 im Sindschar-Gebirge gezielt Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bombardiert hat, wobei auch ein Ausbildungslager der jesidischen YBS-Milizen zerstört worden sein soll (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017, unter Verweis auf eine Meldung von Euronews vom 27. April 2017). Denn dabei handelt es sich um einen Konflikt, der nur zwischen den türkischen Sicherheitskräften einerseits und der PKK sowie der ihnen nahestehenden YBS-Milizen andererseits besteht. Auch wenn es bei diesen Luftangriffen zu Todesopfern – mindestens auch einem zivilen – gekommen sein soll (vgl. ebenda), ist auch insofern die Schwelle im Hinblick auf Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts nicht ausreichend, um einen innerstaatlichen Konflikt annehmen zu können.

45

Aber selbst wenn – wovon die Kammer nicht überzeugt ist – ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneten Konflikt im Irak landesweit oder in der Provinz Ninive bestehen sollte, kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben droht. Denn der Grad willkürlicher Gewalt hat zumindest kein so hohes Niveau erreicht bzw. hat kein so hohes Niveau mehr, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in den Irak oder in die betroffene Region – vorliegend Ninive – allein durch seine Anwesenheit in diesem Gebiet bzw. dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die Zahlen in Bezug auf getötete oder verletzte Zivilisten sind nämlich sowohl landesweit als auch in Ninive nach der Zurückdrängung des IS stark rückläufig. Gab es nach den Aufzeichnungen der UN im Februar 2017 landesweit noch 392 getötete (Oktober 2014: 1.089) und 613 verletzte (Oktober 2014: 2.074) Zivilisten, wurden im Februar 2018 von der UN landesweit „nur“ noch 91 getötete und 208 verletzte Zivilisten verzeichnet, nachdem diese auch in den Vormonaten bereits deutlich gesunken waren. Die insgesamt 299 sicherheitsrelevanten Vorfälle ereigneten sich überdies hauptsächlich in den Provinzen Bagdad (49 getötete und 146 verletzte Zivilisten), Anbar (14 getötete und 37 verletzte Zivilisten) und Diyala (12 getötete und 11 verletzte Zivilisten) (vgl. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en). Nach den für jede Provinz gesondert ausgewiesenen Zahlen von Joel Wing, einem Blogger, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, gab es in der Provinz Ninive demgegenüber im Februar 2018 zwar insgesamt 427 getötete und neun verletzte Zivilisten und damit deutlich mehr als von der UN ermittelt. Allerdings resultiert diese vergleichsweise hohe Anzahl aus der Einberechnung von in Massengräbern gefundenen Leichen; so wurden im Februar 2018 in fünf Massengräbern insgesamt 347 getötete Personen in der Provinz Ninive gefunden, so dass letztlich von nicht mehr als 80 Getöteten ausgegangen werden kann (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/643-deaths-256-wounded-feb-2018-in-iraq.html). Ein ähnliches Bild vermitteln die Zahlen der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count. Danach sind im Februar 2018 im Irak insgesamt 410 Zivilisten getötet worden, wobei auch die in Massengräbern gefundenen Leichen berücksichtigt wurden. Auf die Provinz Ninive entfielen dabei insgesamt 173 getötete Zivilisten, davon 145 Leichen aus Massengräbern, so dass danach insgesamt von 28 Getöteten im Februar 2018 auszugehen ist (vgl. https://www.iraqbodycount.org/database/recent/0/).

46

Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in die Provinz Ninive allein durch ihre Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein, derzeit nicht erreicht ist. Denn unter Zugrundelegung der Zahlen der UN und insbesondere der von Joel Wing sowie der von Iraq Body Count aber auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nicht alle getöteten und verletzten Zivilpersonen gezählt werden, ist schätzungsweise davon auszugehen, dass derzeit in Ninive pro Monat wahrscheinlich nicht mehr als 100 Zivilpersonen getötet oder verletzt werden. Pro Jahr ist daher von nicht mehr als 1.200 solcher Vorfälle auszugehen. Stellt man diese der Einwohneranzahl Ninives gegenüber, die nach den Erkenntnissen des Gerichts bei ungefähr 3,2 Millionen liegt (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12; https://de.wikipedia.org/wiki/Ninawa mit Stand 2010), beträgt das Risiko, als Zivilperson in Ninive entsprechend betroffen zu sein, etwa 0,0375% (1.200 / 3.200.000 Einwohner x 100). Dies ist auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt.

47

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

48

a) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

49

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13.96, juris) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 36).

50

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in Herkunftsland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird zunächst auf die obigen Ausführungen unter II. 2. a. Bezug genommen. Auch die humanitären Verhältnisse im Irak führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

51

Ein Ausländer kann kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung seine Lage einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Nur in besonderen Ausnahmefällen können humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (vgl. Urt. v. 21.11.2011, a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f. – zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 23 ff.).

52

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass für den Kläger im Fall seiner Abschiebung in den Irak aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestehen würde. Die Kammer lässt dabei ausdrücklich offen, ob dem Kläger derzeit eine Rückkehr in seine Herkunftsregion, dem Dorf Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive wegen der gegenwärtigen Situation in der Provinz Ninive zumutbar ist. Denn er kann jedenfalls darauf verwiesen werden, in der Region Kurdistan-Irak Schutz zu suchen.

53

Nach den Erkenntnismitteln besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Millionen der 36 Millionen Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

54

Die Provinz Ninive stellte eines der Hauptkampfgebiete im Krieg gegen den IS dar (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Weite Teile der Städte und Gemeinden sind zerstört worden, wobei die Städte Mossul und Sindschar besonders stark betroffen gewesen sind, die Distrikte Akre und Al-Shikan demgegenüber keine kriegsbedingten Zerstörungen aufweisen (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Indes variieren die Angaben zum Umfang und zum Ausmaß der Zerstörungen insbesondere für den Distrikt Sindschar aufgrund der unzureichenden Erkenntnismöglichkeiten und unvollständigen Informationslage. Einem Bericht der jesidischen Organisation Yazda von September 2017 zufolge, der auf die Einschätzung des Bürgermeisters von Sindschar Bezug nimmt, sei die Stadt Sindschar zu 80-85% zerstört (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017). Demgegenüber beziffert die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Zerstörung Sindschars bezogen auf Wohnhäuser auf ca. 70%, wobei der Zerstörungsgrad weit überwiegend nur 1-25% betrage (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Daneben seien aber auch weite Teile der Infrastruktur infolge des Krieges zerstört worden. Die Wasserversorgung sei zu 12%, die Stromversorgung sei zu 11%, die Straßen seien zu 6%, das Mobilfunknetz sei zu 3% und die Kanalisation sei zu 3% zerstört worden (vgl. ebenda, S. 22; wobei einschränkend klargestellt wird, dass nur 71% der Flächen in Augenschein genommen werden konnten und tatsächlich deutlich mehr Infrastruktur zerstört sein dürfte).

55

Neben diesen Zerstörungen stellt die Bedrohung durch Sprengfallen und Landminen ein weiteres Problem dar, das Hilfslieferungen und Wiederaufbau erschwert (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017, unter Verweis auf einen Bericht von Yazda aus dem September 2017; IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass ungefähr 27% der Flächen Ninives mit Landminen und Sprengfallen versehen worden sind, was den zweithöchsten Wert im Irak darstellt (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Trotz dieser angespannten Lage, bestehe in der Provinz Ninive kein offensichtliches Konfliktrisiko (vgl. ebenda, S. 23). Das danach einzig in dem Distrikt Sindschar bestehende niedrige Konfliktrisiko (low risk, 2.25), das auf die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Peschmerga zurückzuführen ist (vgl. ebenda, S. 23), dürfte aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten – weitgehend kampflosen – Machtübernahme der durch die Peschmerga besetzten Gebiete durch die irakische Zentralregierung beziehungsweise die für diese agierenden PMF nicht mehr gegeben sein.

56

Gleichwohl liegen trotz dieser schwierigen Situation keine Erkenntnisse über Hunger leidende Menschen in der Provinz Ninive vor. Den neueren Erkenntnismitteln kann – wie bereits dargelegt – trotz der angespannten Lage eine zunehmende Rückkehrbewegung nach Ninive entnommen werden. Die Organisation Yazda berichtete hierzu im September 2017 für den Zeitraum Juli/August 2017 von täglich 60 bis 120 Rückkehrer-Familien in die Region Sindschar, wobei diese aufgrund des Mangels an bewohnbaren Häusern und Infrastruktur weiterhin mit gravierenden Hindernissen konfrontiert gewesen seien (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017). Die Internationale Organisation für Migration berichtet mit Stand Oktober 2017 davon, dass die Anzahl der Rückkehrer (267.690 Menschen) die der Flüchtlinge (192.366 Menschen) in Ninive übersteigt, wobei sich die Anzahl der Flüchtlinge im Vergleich zum Vorjahr 2016 fast halbiert hat (minus 48%) (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 21). Aus dem Distrikt Sindschar sind zwar weiterhin 1.846 Menschen flüchtig, allerdings steht denen eine Anzahl von 4.468 Rückkehrern gegenüber (vgl. ebenda, S. 21). Einem aktuellen Bericht von Joel Wing zufolge sind im Zeitraum von Januar bis Februar 2018 in die Provinz Ninive bereits 1.172.448 Menschen zurückgekehrt (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/number-of-displaced-returning-home.html, veröffentlicht am 8.3.2018). Diese kontinuierlich wachsende Anzahl an Rückkehrern lässt nicht den Schluss zu, dass die humanitären Bedingungen nach der Befreiung von dem IS unzumutbar sind.

57

Über die östlich an die Provinz Ninive angrenzende Region Kurdistan-Irak lässt sich den Erkenntnismitteln entnehmen, dass diese in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-) Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrische Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

58

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- US-Dollar pro Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8% angestiegen und wird mit zuletzt 14% im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4% gegenüber 9,7% bei Männern (ebenda). Fast 2% der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen über nicht ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittelkörbe funktioniert das System relativ gut in Duhok und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

59

Ungeachtet der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

60

Legt man diese Erkenntnismittellage zugrunde und geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen mit der Folge, dass die Frage maßgeblich ist, ob der Kläger im Fall seiner Abschiebung in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, steht eine mangelnde Fähigkeit des Klägers im vorgenannten Sinne nicht zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar spricht vieles dafür, dass der Kläger in der Provinz des zuletzt von ihm bewohnten Dorfes Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive aufgrund der vielfach zerstörten Häuser und Infrastruktur sowie den Versorgungsengpässen wahrscheinlich mit beträchtlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein würde, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings bedarf dies vorliegend keiner Entscheidung, sondern kann dahinstehen. Denn der Kläger ist jedenfalls darauf zu verweisen, sich in der nahe gelegenen Region Kurdistan-Irak niederzulassen. Die Kammer ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung, nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es ihm im Falle seiner Niederlassung in der Region Kurdistan-Irak nicht möglich sein würde, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger nicht in der Lage sein würde, sein Existenzminimum dort zu sichern bzw. dass es ihm dort nicht gewährleistet wird.

61

Der Großteil der Familie des Klägers befindet sich derzeit in der Region Kurdistan-Irak, da diese – entsprechend seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung – mit ihm vor dem herannahenden IS geflohen sei und mit ihm in dem Flüchtlingslager in Qadiya gewohnt habe. Es kann daher erwartet werden, dass er die von ihm benannten Verwandten im Falle einer Rückkehr kontaktiert. Aber selbst für den Fall, dass ihm in der Region Kurdistan-Irak durch seine Familie keine Unterstützung zuteilwird, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort nicht durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Arbeitseinkommen erzielen wird und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums wird finanzieren können. Denn der Kläger ist 25 Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht, insoweit bestehen auch keine Anhaltspunkte. Zudem ist er kurdischer Volkszugehörigkeit und spricht Kurmanci. Er hat darüber hinaus nach eigenen Angaben zwölf Jahre in Tel Benat die Schule besucht und das Abitur erlangt. Daneben hat er angegeben, bis zu seiner Flucht vor dem IS das Studienfach Geographie an der Fakultät in Al Hamdami begonnen zu haben. Darüber hinaus verfügt er nach eigenen Angaben auch über handwerkliche Berufserfahrung, da er ausgeführt hat, auf Baustellen gearbeitet und neben allgemeinen Hilfs- auch Malerarbeiten durchgeführt zu haben. Diese Erfahrungen können dem Kläger auf dem Arbeitsmarkt in der Region Kurdistan-Irak weiterhelfen. Wenngleich derzeit noch keine vertiefte Sozialisierung in der Region Kurdistan-Irak gegeben sein dürfte, so kann der Kläger jedenfalls auf sein dort befindliches familiäres Netzwerk zurückgreifen. Schließlich wird der Kläger als kurdischer Volkszugehöriger auch sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und seinen Aufenthalt dort nehmen können, jedenfalls in der Region Dohuk (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12. April 2017, S. 8; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 91/17 A, juris Rn. 38 ff.). Denn anders als Araber und Turkmenen benötigt der Kläger als kurdischer Jeside keine Aufenthaltsgenehmigung, sondern kann ohne Beschränkungen und Auflagen – wie etwa der Stellung eines Bürgen („sponsor“) – dort einreisen und seinen Aufenthalt nehmen (vgl. ebenda, S. 8).

62

Sollte der Kläger mangels verfügbaren Wohnraums – erneut – gezwungen sein, sich (vorübergehend) in einem Flüchtlingslager niederzulassen, ist dies unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts nicht unzumutbar i.S.d. Art. 3 EMRK (so unter anderem auch VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742/17.A, juris 79 ff.). Dass die Lage in den Flüchtlingslagern schwierig ist, macht sie nicht menschenunwürdig. Den Erkenntnismitteln kann nicht entnommen werden, dass es dort an dem für ein menschenwürdiges Leben Erforderlichen mangelt. Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse zu fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten, flächendeckenden Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung oder zu hygienisch unhaltbaren Zuständen vor (vgl. zur allgemeinen Situation und Ausstattung der Flüchtlingslager unter anderem Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 115 f.). Im Übrigen hat der Kläger zu dem von ihm bewohnten Flüchtlingslager in Quadiya in der Region Kurdistan-Irak in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er dort – beengt – in Wohncontainern mit seiner Familie gelebt habe. Eine Versorgung mit Lebensmitteln wie Reis, Mehl und weißen Bohnen sei durch Hilfsorganisationen ebenfalls erfolgt. Dabei hat er nicht dargelegt, dass seine Familie oder er unter Hunger gelitten hätten. Ergänzend hat der Kläger zu der medizinischen Versorgung in dem von ihm bewohnten Flüchtlingslager zwar ausgeführt, dass es dort eine Art Arztassistent gegeben hätte, der den Bewohnern aber nur „Kopfschmerztabletten“ gegeben hätten. Daneben habe es in der nahe gelegenen Stadt Dohuk aber auch zwei Ärzte gegeben, deren Inanspruchnahme er sich allerdings nicht habe leisten können. Indes folgt auch hieraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers. Dieser hat keine gesundheitlichen Einschränkungen geltend gemacht und solche sind auch nicht ersichtlich.

63

b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

64

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

65

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

66

Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen droht dem Kläger in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

67

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15.12, juris Rn. 38).

68

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

69

4. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

70

5. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler i. S. v. § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.

III.

71

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Iraks.

2

Der Kläger, ein irakischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens, reiste am 9. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Februar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, den er später auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte.

3

Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. September 2016 gab er im Wesentlichen an, er stamme aus dem Dorf K. südlich von Dohuk. Er habe in Dohuk studiert und sei ausgebildeter Ingenieur „für Elektro und Computer“. Zuletzt habe er sechs Monate als Elektriker an unterschiedlichen Orten gearbeitet. Seine Eltern lebten in der Türkei. Im Irak habe er keine Verwandten. Er sei vor Kriegshandlungen des IS geflüchtet, die in unmittelbarer Nähe des Dorfes stattgefunden hätten. Der IS sei nämlich ungefähr einen Kilometer von dem Dorf entfernt gewesen und habe es mit Raketen beschossen. Ein Kommilitone von ihm sei durch den IS umgebracht worden; auch er selbst habe Angst gehabt, von dem IS getötet zu werden. Des Weiteren habe er sich allgemein verfolgt gefühlt. Er habe, weil er Jeside sei, immer Probleme gehabt. Die kurdischen Muslime und die Araber hätten die Jesiden nicht akzeptiert. Konkret habe ihm eine andere Person dreimal gesagt, er müsse Muslim sein, sonst könne dieser ihn töten. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak fürchte er, getötet zu werden.

4

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu. Sie stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung oder, im Falle einer Klageerhebung, nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

5

Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zunächst kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG, da keine flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG ersichtlich seien, die eine Furcht vor Verfolgung begründen könnten. Hinsichtlich einer Verfolgung durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers habe sich die Lage seit August 2014 entscheidend verändert. Aus der Region Semel und Dohuk sei der IS bereits seit August 2014 vertrieben. Im Übrigen könne der Kläger, der auch in Kurdistan registriert sei, sich dort frei bewegen und internen Schutz innerhalb Kurdistans erlangen. Das von ihm geschilderte sonstige Geschehen in Anknüpfung an seinen Glauben besitze nicht die erforderliche Intensität und Schwere flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgungshandlungen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Ein dafür erforderlicher ernsthafter Schaden drohe ihm nicht. Hierfür genüge die allgemeine Schilderung, dass kurdische Muslime und Araber in Kurdistan ihn nicht akzeptieren würden, nicht. Weder sei eine Bedrohung durch den IS in der kurdischen Heimatregion des Klägers zu gewärtigen noch herrsche dort ein sonstiger innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Insbesondere sei nichts für eine Art. 3 EMRK widersprechende individuelle Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ersichtlich. Auch die humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge. Dieser habe studiert und zuletzt als Ingenieur „für Elektro und Computer“ an unterschiedlichen Orten gearbeitet und könne sich im Falle einer Rückkehr diese berufliche Existenz wieder aufbauen. Auch mit Blick auf die Lage der Gesamtbevölkerung sei nicht dargelegt, dass der Kläger schlechter gestellt sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nicht vor, schon weil der Kläger krankheitsbedingte Gründe nicht vorgetragen habe. Auf die weitere Begründung des Bescheids (Bl. 82 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

6

Am 18. Januar 2017 gab die Beklagte den Bescheid zur Zustellung mit Postzustellungsurkunde auf. Den Briefumschlag adressierte sie an „X. 29-30“, den darin eingelegten Vordruck der Postzustellungsurkunde hingegen an die Anschrift „X. 13“. Am 23. Januar 2017 gelangte die Sendung als unzustellbar an die Beklagte zurück. Die Postzustellungsurkunde enthält den Vermerk, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nachdem der Kläger sich unter dem 21. März 2017 unter Angabe der Anschrift „X. 13“ nach dem Verfahrensstand erkundigt hatte, stellte die Beklagte den Bescheid am 25. März 2017 an diese Adresse durch Einlegung in den Briefkasten zu.

7

Der Kläger hat am 5. April 2017 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung vor, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er vor Islamisten geflohen sei, die einen Völkermord an den Jesiden verübt hätten. Die Jesiden seien auch in Kurdistan vor Verfolgung nicht sicher. Die dortige Regionalregierung habe die Jesiden vor den Moslems nie ernsthaft geschützt oder schützen wollen, sie und ihre Sicherheitskräfte hätten vielmehr die Jesiden im Irak im Sommer 2014 kampflos den Islamisten ausgeliefert und den Völkermord an den Jesiden so erst ermöglicht. In Flüchtlingscamps in Kurdistan seien mehrere Jesiden von muslimischen Flüchtlingen angegriffen und schwer verletzt oder sogar ermordet worden. Die kurdische Regionalregierung habe mehrere arabische bzw. kurdische muslimische Stämme in Mossul militärisch ausgebildet und bewaffnet, die an dem Völkermord an den Jesiden beteiligt gewesen seien. Die kurdische Geheimpolizei habe auch die weltweit größte jesidische Nichtregierungsorganisation, die in Dohuk ansässig gewesen sei, geschlossen. PDK-Milizen hätten den jesidischen Journalisten Karwan Heci Baadri wegen eines kritischen Facebook-Beitrags krankenhausreif geprügelt. Bereits 2007 und im Dezember 2011 hätten in Schechan und in mehreren kurdischen Städten, darunter Sacho und Dohuk, pogromähnliche Angriffe auf Jesiden stattgefunden. Keiner der Beteiligten sei jemals strafrechtlich belangt worden. Nun versuchten die von der PDK dominierten Peschmerga, den von den Islamisten nicht ganz vollendeten Völkermord an den Jesiden selbst zu Ende zu führen. Die Peschmerga hätten zusammen mit kurdisch-arabischen Muslimen Anfang März 2017 mehrmals Jesiden mit schweren Waffen angegriffen und mehrere, darunter zivile, Demonstranten getötet. Zusammenfassend könnten die Jesiden in Kurdistan kein menschenwürdiges Leben führen, weil sie dort wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer schweren Diskriminierung durch die muslimisch-kurdische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt seien. Die Produkte von Jesiden, insbesondere Lebensmittelprodukte, würden von der muslimisch-kurdischen Bevölkerung nicht gekauft, weil diese die Jesiden und ihre Produkte als unrein einschätzten. Er könne daher auch sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht sichern. Es entspreche im Übrigen der bisherigen Praxis der Beklagten, Jesiden als Gruppenverfolgte anzuerkennen. Drei seiner Brüder und seine Schwester seien in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der seine Ungleichbehandlung rechtfertige.

8

Der Kläger beantragt,

9

unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2017 die Beklagte zu verpflichten,

10

ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

11

hilfsweise, ihm den Status als subsidiärer Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

12

äußerst hilfsweise festzustellen, dass zu seinen Gunsten die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

13

Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich der Antrag,

14

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

16

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 zur Sache persönlich angehört worden. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Asylakte des Bundesamtes Bezug genommen, die wie auch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

18

Die Kammer kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass bei der im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung der Beklagten die zweiwöchige Ladungsfrist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterschritten wurde, da die Beklagte auf deren Einhaltung mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 verzichtet hat.

II.

19

Die Klage ist zulässig (dazu 1.), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg (dazu 2.).

20

1. Die am 5. April 2017 erhobene Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhoben worden, da der angegriffene Bescheid dem Kläger erst am 25. März 2017 zugestellt wurde.

21

Die Zustellung gilt dabei nicht bereits durch den Zustellversuch vom 19. Januar 2017 als bewirkt. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss ein Ausländer zwar Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Regelungen knüpfen an die Pflicht des Ausländers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylG an, während der Dauer des Asylverfahrens seine Erreichbarkeit zu gewährleisten und insbesondere unverzüglich jeden Anschriftenwechsel mitzuteilen. Die Fiktion tritt nach Sinn und Zweck der Vorschrift daher nur ein, wenn für das Fehlschlagen der Zustellung oder der Übersendung eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Ausländers ursächlich geworden ist (vgl. Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylG, Rn. 29). Insbesondere muss die Beklagte sicherstellen, dass die Bekanntgabe oder Zustellung in einer Weise ordnungsgemäß durchgeführt wird, die sicherstellt, dass die Sendung den Ausländer an der nach § 10 Abs. 2 Sätze 1-3 AsylG maßgeblichen Anschrift grundsätzlich erreichen kann (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 15. Ed., Stand: 1.8.2017, § 10 AsylG, Rn. 31).

22

Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG sind nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Denn die Sendung war auf eine Weise adressiert, die bei dem üblichen Verlauf der Dinge eine Zustellung an der nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG maßgeblichen Anschrift gerade nicht sicherstellte. Die der Beklagten bekannte maßgebliche Adresse war „X. 13“. Auf dem Versandumschlag war jedoch die davon abweichende Adresse „X. 29-30“ angebracht. Der in dem Versandumschlag liegende Vordruck der Postzustellungsurkunde war zwar korrekt adressiert worden. Es konnte aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Postzusteller diese Diskrepanz bemerkt und den Zustellungsversuch an der richtigen Anschrift oder sogar an beiden Anschriften unternimmt, schon weil ihm unbekannt war, welche die richtige Zustellanschrift ist. Unabhängig hiervon geht die Kammer davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs an der Anschrift „X. 13“ für Zustellungen erreichbar war und der Zustellungsversuch vorliegend nicht an seiner mangelnden Mitwirkung gescheitert ist. Aus den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass er seit dem 18. Januar 2016 ununterbrochen an der Anschrift „X. 13“ gelebt hat und dort mittels eines eigenen Briefkastens für Postsendungen erreichbar war. Dort konnte dem Kläger der Bescheid im März 2017 schließlich auch erfolgreich zugestellt werden (Bl. 142 d. Asylakte). Der insoweit freien Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 286 ZPO stehen die Eintragungen auf der Postzustellungsurkunde vom 19. Januar 2017 nicht entgegen. Darauf hat der Postbedienstete als Grund der Nichtzustellung zwar vermerkt, dass der Adressat an der darauf angegebenen Anschrift „X. 13“ nicht zu ermitteln sei. Der Postzustellungsurkunde kommt vorliegend allerdings keine formelle Beweiskraft (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) zu, da sie entgegen § 182 Abs. 2 Nr. 8 ZPO den Namen und Vornamen des Zustellers nicht enthält (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v.; Beschl. v. 12.7.2017, 10 AE 6411/17, n.v.).

23

2. Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn dem Kläger steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu a.), noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu b.), noch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks (dazu c.) zu. Danach erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Wiedereinreiseverbots als rechtmäßig (dazu d. und e.).

24

a. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

25

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.

26

Die weiteren Einzelheiten zu den Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, u.a. zu den berücksichtigungsfähigen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen, den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren und, unter welchen Umständen ein Ausländer auf Schutzakteure in seinem Herkunftsland oder eine dortige inländische Fluchtalternative zu verweisen ist, regeln die §§ 3a - 3e AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU):

27

Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist, (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2).

28

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

29

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

30

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2011/95/EU ist angelegt, dass den Flüchtlingsschutz nur derjenige beanspruchen kann, der Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zu erwarten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn 19). Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierte“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 32). Eine nach diesem Maßstab wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der – auch deutlich – unterhalb von 50 v.H. liegt. Entscheidend für die Beurteilung der Beachtlichkeit der Gefahr ist vielmehr der qualitative Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung ist, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, juris, Rn. 17, VGH Mannheim, Urt. v. 30.5.2017, A 9 S 991/15, juris, Rn. 25 ff.).

31

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU – diese Vorschrift hat keine nationale Entsprechung – ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies entspricht dem Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach zu differenzieren, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder nicht, der auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegt (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147, 181 u. 182/80, juris, Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 21; Urt. v. 31.3.1981, 9 C 237/80, juris, Rn. 13). Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von der Vorschrift erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht jedoch durch eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland erneut von Verfolgung bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzutragen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden Umstände erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23; EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, juris, Rn. 128).

32

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

33

aa. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

34

(1) Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sein ausschließlich von Jesiden bewohntes Heimatdorf K. in der Provinz Dohuk (Region Kurdistan-Irak) wegen Artilleriebeschusses durch den so genannten Islamischen Staat (im Folgenden: IS) im August 2014 verlassen habe, führt dies nicht dazu, dass er sich mit Erfolg auf die Beweiserleichterung berufen kann. Zwar dürfte der Kläger auf Grundlage seines Vortrags insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; für den südlichen Teil der Provinz Dohuk daher eine Gruppenverfolgung annehmend VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a K 9307/16.A, juris, Rn. 55 ff.).

35

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris, Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris, Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris, Rn. 11).

36

Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich seit August 2014 insoweit grundlegend geändert, als dass der IS in der Provinz Ninive keine quasistaatliche Macht im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, die Grundlage der von IS-Kämpfern und -Anhängern durchgeführten großflächigen Verfolgungsmaßnahmen war. Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt im gesamten Irak fast vollständig verloren. Die Städte Sindschar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der ihr unterstehenden Popular Mobilisation Forces (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Republik Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 18). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56). Die letzten irakischen Städte, die sich unter der Kontrolle des IS befunden haben – Al-Qaim, Ana und Rawa im Westen des Landes – wurden im November 2017 von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 8). Allein das Wüstengebiet nördlich dieser Städte – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat der IS auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für ein erstmaliges Vordringen in die – hier maßgebliche – Provinz Dohuk. Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit dem militärischen Sieg über den IS nicht sämtliche Anhänger des IS aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet verschwunden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Gruppe in der Zivilbevölkerung untergetaucht ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Dies dürfte daher auch nicht bedeuten, dass es von Seiten der untergetauchten IS-Kämpfer zu keinerlei Menschenrechtsverletzungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Der IS dürfte sich aber künftig auf die Verübung terroristischer Anschläge konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 6, 16). Dabei ist zu beachten, dass solche terroristische Anschläge nicht stets als gezielte Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer aufgefasst werden können. Oftmals stellen diese Anschläge eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung dar, welche nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, Rn. 32). Damit ist jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der IS in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht in der Lage ist bzw. in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden wie noch 2014 gezielt und flächendeckend zu verfolgen (ebenso für die Verfolgung von Jesiden VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris, Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris, Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris, Rn. 45 ff.; i.E. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., S. 14 UA; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris, Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., S. 10 ff. UA; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris, Rn. 33).

37

Dem entspricht es, dass der Kläger bereits einige Wochen nach seiner erstmaligen Flucht in sein Heimatdorf zurückkehrte und dort noch bis zu seiner Ausreise ein Jahr später lebte, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat.

38

(2) Der Vortrag des Klägers, er sei als Teilnehmer einer Demonstration für die Freilassung des von kurdischen Behörden inhaftierten jesidischen Milizkommandanten Heydar Schescho im Y. 2015 von Angehörigen der Partei PDK festgenommen und ihm sei eine Unterlassungserklärung mit Blick auf weitere gegen die PDK gerichtete Aktivitäten abgenötigt worden, begründet eine Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU schon deshalb nicht, weil die Kammer sich von der Wahrheit seiner diesbezüglichen Schilderungen nicht zu überzeugen vermochte.

39

Auch in Asylstreitsachen müssen die Verwaltungsgerichte die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals erlangen (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris, Rn. 16), wobei der allgemeine Grundsatz gilt, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Darüber hinaus ist die besondere Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der Verfolgungsgründe beschwerten Asylsuchenden zu berücksichtigen. Dazu kann seinen Erklärungen größere Bedeutung beigemessen werden, als sie sonstigen Parteibekundungen zukommt; ihr Beweiswert soll im Rahmen des Möglichen wohlwollend beurteilt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Bei der somit genügenden Glaubhaftmachung ist es mit Blick auf die in § 25 AsylG geregelten, auf Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zurückgehenden Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Ausländers und seiner daran anknüpfenden prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO allerdings seine Sache, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24/01, juris, Rn. 5; Urt. v. 24.3.1987, 9 C 321/85, juris, Rn. 9). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer aber nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1988, 9 C 273/86, juris, Rn. 11).

40

Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs erachtet die Kammer die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Angaben des Klägers zu der Demonstration und Festnahme im Y. 2015 als nicht glaubhaft. Sie bleiben detailarm und lebensfremd. So hat der Kläger trotz entsprechender Nachfrage nicht vermocht, die Demonstration räumlich mehr als nur grob zu orientieren und ihre Dauer näher anzugeben. Auch die Größe des Teilnehmerkreises konnte er nicht näher bezeichnen. Daneben bleibt die Schilderung zu seiner angeblichen Festnahme oberflächlich und macht keinen selbst erlebten Eindruck. Trotz eindringlicher Aufforderung seines Prozessbevollmächtigten hat er deren Ablauf nicht nachvollziehbar beschrieben. Der Kläger hat auch nicht schlüssig darlegen können, warum er diese Angaben nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgebracht hat. Dass ihm erst ein später absolvierter (Deutsch- oder Integrations-)Kurs die Einsicht gegeben habe, in Deutschland – dem Land, in dem er um Schutz nachsucht – über seine politische Verfolgung sprechen zu können, überzeugt nicht. Der Kläger hat zum einen nicht näher erläutert, welchen Nachteil er meinte befürchten zu müssen, falls er die Teilnahme an einer politischen Demonstration und eine anschließende Festnahme in der Anhörung vor dem Bundesamt auf die Frage nach (politischer) Verfolgung angegeben hätte. Diese Erklärung erscheint andererseits deshalb unplausibel, weil die Anhörung erst ein Jahr nach seiner Einreise stattfand. In diesem Zeitraum dürfte der akademisch ausgebildete Kläger auch ohne einen Lehrkurs einen entsprechenden Eindruck von den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gewonnen haben.

41

Unabhängig davon lägen – bei entsprechender Wahrunterstellung des Vortrags – jedenfalls stichhaltige Gründe vor, die die Wiederholungsträchtigkeit des Geschehens entkräften würden. Dabei handelt es sich nämlich um einen abgeschlossenen Vorgang. Dass der Kläger wegen der angeblichen Teilnahme an der Demonstration weitere (Verfolgungs-)Maßnahmen zu erwarten hätte, geht daraus nicht hervor. Mit Unterzeichnung der Unterlassungserklärung und Freilassung des Klägers scheint die Angelegenheit für die PDK-Angehörigen vielmehr erledigt gewesen zu sein. Der Kläger hat außerdem angegeben, dass er zukünftig nicht mehr in gleicher Weise politisch aktiv werden wolle.

42

(3) Soweit der Kläger sich auf eine zeitlich nicht näher bestimmte Todesdrohung gegen ihn beruft, begründet auch dies eine Vorverfolgung nicht. Dem Vortrag fehlt es an der – auch auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgten – erforderlichen Substantiierung, etwa zur Person des Drohenden, zum Zeitpunkt der Drohung(en) und zu der Situation, in der die Drohung vorgenommen worden sein soll. Auf dieser Grundlage konnte die Kammer eine Überzeugung von der Wahrheit einer solchen Bedrohungssituation nicht gewinnen.

43

bb. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

44

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (so genannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris, Rn. 21).

45

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris, Rn. 24).

46

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 14.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 21).

47

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Herkunftsregion des Klägers weder durch staatliche (dazu (1)), noch durch nichtstaatliche Akteure (dazu (2)) festzustellen.

48

(1) Eine systematische Verfolgung der Jesiden durch staatliche Behörden (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder (Regierungs-)Parteien (§ 3c Nr. 2 AsylG) findet in der Region Kurdistan-Irak, zu der Dohuk, die Herkunftsprovinz des Klägers, zählt, nicht statt (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; i.E. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die vom Kläger geäußerte Befürchtung, die kurdische Regionalregierung setze dazu an, den Völkermord des IS an den Jesiden zu vervollständigen, findet keine Stütze in den Erkenntnismitteln.

49

Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 11). In der Region Kurdistan-Irak ist im Mai 2015 ein Gesetz zum Schutz religiöser Minderheiten in Kraft getreten, das zahlreiche Minderheitenrechte verbürgt und ein weit gefasstes Diskriminierungsverbot vorsieht (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 13). Dort sowie in den weiteren Gebiete, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten nach der Erkenntnislage weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12). Die Region gilt innerhalb des Iraks traditionell als sicherer Hafen für religiöse Minderheiten (vgl. UK Home Office, a.a.O., S. 7). Insbesondere in der Stadt Dohuk, also in unmittelbarer Nähe des Heimatdorfes des Klägers, gibt es sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben (so Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18). Es wird auch berichtet, dass Mitglieder religiöser Minderheiten bei der Einreise in die Region Kurdistan-Irak weniger strengen Regeln unterworfen werden als (arabische und turkmenische) Muslime und sich dort einfacher niederlassen können (vgl. UNHCR, Iraq, Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative [IFA/IRA], 12.4.2017, S. 7 ff.).

50

Zwar wird auch von Schikanen oder Übergriffen von Peschmerga-Milizionären und Mitgliedern der Geheimpolizei der kurdischen Regionalregierung, Asayish, auf Angehörige von Minderheiten berichtet (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; UK Home Office, a.a.O., S. 19 f.). Doch bleiben diese Berichte vereinzelt und beziehen sich allein auf die kurdisch kontrollierten Gebiete außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Daraus ergibt sich nicht, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak flächendeckend menschenrechtswidrige Handlungen vorgenommen würden, wie es für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr spricht im Übrigen der Umstand, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Jesiden in die Region Kurdistan-Irak, insbesondere in die Provinz Dohuk, geflohen sind (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; dazu auch VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36).

51

Dieses Lagebild hat der Kläger durch sein Vorbringen nicht erschüttert. Für den angeführten Überfall auf den jesidischen Journalisten Heci Baadri und das Vorgehen der kurdischen Geheimpolizei gegen die jesidische Nichtregierungsorganisation Yazda in Dohuk deuten die eingereichten Nachrichtenmeldungen jeweils auf einen politischen Anlass und keine Anknüpfung an die jesidische Religion hin. Danach sei der Journalist wegen Facebook-Einträgen, in denen er der PDK Korruption vorgeworfen habe, zusammengeschlagen worden; die Schließung des Yazda-Büros stehe im Zusammenhang mit einem Machtkampf um die Vorherrschaft in dem Distrikt Sindschar in der Provinz Ninive (außerhalb der Region Kurdistan-Irak). Auch daraus, dass kurdische Peschmerga-Kräfte Anfang August 2014 aus dem Distrikt Sindschar geflohen sind und die dortige jesidische Bevölkerung ohne militärischen Schutz dem herannahenden IS ausgesetzt haben, kann vor dem Hintergrund der sonstigen Erkenntnisse nicht geschlossen werden, dass der kurdische Regierungsapparat Maßnahmen gegen Jesiden innerhalb der Region Kurdistan-Irak ergreift. Insoweit kommt den beiden Vorfälle im März 2017, die ausweislich der eingereichten Nachrichtenmeldungen ebenso dem Ringen zwischen der kurdischen Regionalregierung und einer der als Terrororganisation eingestuften PKK nahe stehenden (jesidischen) Miliz um den Distrikt Sindschar zuzurechnen waren, ebenfalls keine entscheidungserhebliche Aussagekraft für die Verhältnisse in der Region Kurdistan-Irak zu.

52

(2) Dem Kläger droht auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG).

53

Eine Gruppenverfolgung durch den IS in der Heimatregion des Klägers ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit Blick auf dessen Gebiets- und Machtverlust nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 2. a. aa. (1) Bezug genommen. Insbesondere können aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel sowie anderer öffentlich zugänglicher Erkenntnisquellen für die Provinz Dohuk keine dem IS zuzuschreibenden Verfolgungshandlungen festgestellt werden.

54

Auch von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in der Provinz Dohuk geht keine Gruppenverfolgung aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass nach der Erkenntnislage in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung nicht nur vereinzelt Ressentiments gegenüber Angehörigen des jesidischen Glaubens bestehen und das Nebeneinander der Glaubensrichtungen durch – mitunter erhebliche – Spannungen gekennzeichnet ist. Die Erkenntnismittel belegen Belästigungen durch strenggläubige Muslime und Diskriminierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, sowie häufige öffentliche Schmähungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche v. 20.5.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungshandlungen müssen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen, denn nur solche Handlungen sind im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder sind, wenn sie aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG so gravierend, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie bei einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte betroffen ist. Ein „feindliches Klima“ einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen Anpassungsprozesses ist nicht automatisch Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1990, 9 C 17/89, juris, Rn. 11 zu Jesiden in der Türkei).

55

Die vom Kläger konkret benannten Vorfälle in der Region Kurdistan-Irak bzw. in den faktisch kurdisch kontrollierten Teilen der Provinz Ninive – insbesondere pogromartige Überfälle muslimischer Extremisten auf jesidische Geschäfte im Jahr 2011 und eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen muslimischen Kurden und Jesiden in einem Flüchtlingslager in Akre im September 2015 – stehen hierzu nicht im Widerspruch. Angesichts ihrer zeitlichen Verteilung und mit Blick auf die hunderttausende zählende jesidische Bevölkerung in der Region Kurdistan-Irak (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017) stellen sich diese vielmehr als einzelne herausragende Ereignisse dar. Auch in einer Gesamtschau ist nicht erkennbar, dass eine Vielzahl von Verfolgungsschlägen aus der Zivilbevölkerung gegen Jesiden vorliegt, die sich derart wiederholen und um sich greifen, dass nicht nur die Möglichkeit, sondern die für eine Gruppenverfolgung erforderliche aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit jedes Jesiden besteht. Im Übrigen geht aus den von dem Kläger überreichten Nachrichtenmeldungen selbst hervor, dass die kurdischen Sicherheitskräfte bei den Vorfällen in der Provinz Dohuk 2011 und in Akre 2015 jeweils eingegriffen und damit grundsätzlich Schutzwillen und -fähigkeit im Sinne des § 3d Abs. 1 AsylG gegen Übergriffe aus der Zivilbevölkerung gezeigt haben.

56

b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

57

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

58

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 Buchst. f) Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „...tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt – wie oben bereits ausgeführt – voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 32 zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist – wie im Falle einer Vorverfolgung – nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

59

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

60

aa. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in die Provinz Dohuk die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Soweit der Kläger sich davor fürchtet, von dem IS getötet zu werden oder von der kurdischen Regierung oder der muslimischen Mehrheitsbevölkerung unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden, gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

61

bb. Auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in-folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.

62

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).

63

Ein inner- oder zwischenstaatlicher Konflikt in diesem Sinne findet in der Region Kurdistan-Irak bzw. in Dohuk, der Herkunftsprovinz des Klägers, derzeit nicht statt (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. 26.7.2017,20 K 3549/17.A, juris, Rn. 60; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 81 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 47 ff.). Bereits vor der Zurückdrängung des IS war die Region Kurdistan-Irak von der von dieser Organisation ausgehenden Bedrohung und den damit in Zusammenhang stehenden Kämpfen nicht direkt erfasst, auch wenn dort die Sicherheitslage angespannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12; Lagebericht 2016, S. 9). Soweit die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt waren, ereigneten sich diese außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Zwar kommt es innerhalb der Region, insbesondere in nördlich gelegenen Dörfern der Provinz Dohuk, seit Juli 2015 zu Luftschlägen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, die teilweise zivile Opfer fordern. Über diese Angriffe wurde auch im Jahr 2017 weiterhin berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 16; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen, 10.5.2017). Dies bleibt aber hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück (so auch VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 89 ff.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak in absehbarer Zukunft ein Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entstehen wird.

64

Unabhängig davon bietet auch die Zahl der von willkürlicher Gewalt betroffenen Personen keinen Grund für die Annahme, dass jede Zivilperson in der Region Kurdistan-Irak bzw. in der Provinz Dohuk allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Bei der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count sind für das Jahr 2016 vier getötete Zivilisten, für das Jahr 2017 – insoweit sind Zahlen aber nur bis Februar verfügbar – keine Sicherheitsvorfälle und für 2018 (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) bislang ein getöteter Zivilist in der Provinz Dohuk verzeichnet (vgl. www.iraqbodycount.org/database – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). Der Blogger Joel Wing, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, vermerkt für die Provinz Dohuk im Januar 2018 nur einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem betroffenen Zivilisten, im Dezember 2017 drei Vorfälle mit insgesamt 21 Betroffenen, im November 2017 drei Vorfälle mit sieben Betroffenen, für den Monat Juli zwei Vorfälle mit sechs Betroffenen und für Mai zwei Vorfälle mit zwölf Betroffenen; für die restlichen Monate des Jahres 2017 notiert er jeweils keinen Vorfall (vgl. www.musingsoniraq.blogspot.com – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). In Bezug zur Einwohnerzahl Dohuks – bereits vor der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge ca. eine Million (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12) – und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer und des Umstands, dass sich die jesidische Glaubenszugehörigkeit gefahrerhöhend auswirken kann, bleibt die aktuelle Zahl der Gewaltbetroffenen deutlich hinter dem Maß zurück, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Bedrohung auch bei wertender Betrachtung noch nicht zu begründen vermag.

65

c.Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungs-verbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

66

aa. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

67

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36).

68

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutzstatus unter II. 2. b. Bezug genommen. Auch humanitäre Gründe führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

69

Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen ein-schließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).

70

Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen in der Region Kurdistan-Irak, insbesondere der Provinz Dohuk.

71

Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

72

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-)Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrischen Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

73

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- USD/Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8 angestiegen und wird mit zuletzt 14 v.H. im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4 v.H. gegenüber 9,7 v.H. bei Männern (ebda.). Fast zwei v.H. der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen nicht über ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittellieferungen funktioniert das System relativ gut in Dohuk und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

74

Trotz der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

75

Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren, sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum dort selbst zu sichern.

76

Der Kläger ist – auch ohne verwandtschaftliche Unterstützung – darauf zu verweisen, sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu sichern. Er ist knapp über dreißig Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Derzeitig bestehende körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Er ist kurdischer Volkszugehörigkeit, spricht Kurmandschi und ist in der Provinz Dohuk sozialisiert, insbesondere hat er dort studiert. Er hat einen Hochschulabschluss als Elektro- und Computeringenieur und hat bereits mit Personalverantwortung im Leitungsbau gearbeitet. Dies alles spricht dafür, dass er zahlreiche Anlaufstellen für die Arbeitssuche hätte und über eine Qualifikation verfügt, die ihn von vielen Mitbewerbern um Arbeitsplätze abhöbe. So müsste er gerade nicht in Konkurrenz zu der Vielzahl an niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden treten. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass jedenfalls die berichteten Arbeitslosenquoten für Männer – selbst unter Berücksichtigung einer Abweichung von der tatsächlichen Arbeitslosenquote – im internationalen Vergleich nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten sind. Die Kammer hält es zudem nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seines jesidischen Glaubens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden würde. Zwar entsprechen die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Erkenntnislage, aus der die Diskriminierung von Jesiden auf dem Arbeitsmarkt hervorgeht (dazu bereits oben). Dass es – insbesondere aus der Provinz Dohuk selbst stammenden – Jesiden aber auch mit Mühe nicht gelingen kann, dort Arbeit zu finden, geht aus den Erkenntnismitteln nicht hervor. Dagegen sprechen neben der Tatsache, dass es in Dohuk sehr viele – von Verfolgung und Unterdrückung weitgehend freie – Jesiden gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18), auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Aus diesen ergibt sich nicht, dass ihm jemals eine Arbeitsstelle aus religiösen Gründen verwehrt worden wäre. Soweit er die Diskriminierung von Jesiden am Arbeitsmarkt beklagt hat, hat er sich erkennbar auf die allgemeinen Zustände bezogen. Vielmehr hat er angegeben, seinen letzten, für irakische Verhältnisse gut bezahlten Arbeitsplatz innerhalb kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten gefunden zu haben. Nachdem der Arbeitgeber den Betrieb in der Region Kurdistan-Irak wegen des Vorrückens des IS eingestellt habe, habe er sich bis zu seiner Ausreise nicht noch einmal auf Arbeitsplatzsuche begeben. Darüber hinaus hat er angegeben, dass auch sein Vater noch 2015 Gelegenheitsarbeit habe finden können. Als jesidischer Kurde, der in der Region Kurdistan-Irak registriert ist, könnte der Kläger zudem sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und sich dort wieder niederlassen (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12.4.2017, S. 8; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 15 ff.; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 19/17 A, juris, Rn. 38 ff.). Schließlich berücksichtigt die Kammer, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak perspektivisch verbessern dürfte, da zu erwarten ist, dass zumindest ein Teil der dorthin gelangten Binnenflüchtlinge langsam in ihre von der Herrschaft des IS befreiten Herkunftsregionen außerhalb der Region Kurdistan-Irak zurückkehrt.

77

Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären.

78

bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

79

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

80

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

81

Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen drohte dem Kläger im Falle der Abschiebung hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

82

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).

83

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu II. 2. a., b., und c.aa. Ausgeführte entsprechend.

84

d. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

85

e. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger diesbezüglich keine Einwendungen vorgebracht und insbesondere keine fehlerhafte Ermessensausübung gerügt hat.

III.

86

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Die am ... 1997 in ... – ... (Irak) geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige mit kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischem Glauben.

Ihren Angaben zufolge reiste die Klägerin am 26. Dezember 2015 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie unter dem 13. Mai 2016 Asylerstantrag stellte.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 6. Oktober 2016 wurde der Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt und gegenüber der Klägerin die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet. Weiter wurde bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Falle der Klägerin nicht vorliegen. Auf die Gründe dieses Bescheides wird verwiesen.

Die Klägerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid Klage erhoben (Az.: Au 1 K 16.50110).

Nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Klägerin am 22. Dezember 2016 wurde das Klageverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 26. Januar 2017 eingestellt.

Am 2. Mai 2017 stellte die Klägerin einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11. August 2017 wurde das Asylfolgeverfahren der Klägerin wegen Nichtbetreibens gemäß § 33 Abs. 5 Asylgesetz (AsylG) eingestellt. Gegenüber der Klägerin wurde die Abschiebung in den Irak angedroht.

Mit Antrag vom 8. September 2017 begehrte die Klägerin die Fortführung ihres Asylfolgeverfahrens. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2017 wurde die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 11. August 2017 aufgehoben und das Verfahren nach § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG fortgesetzt.

Bei ihrer persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 9. Oktober 2017 trug die Klägerin im Wesentlichen vor, dass in der Provinz Ninive die Yeziden angegriffen und viele von ihnen getötet worden seien. Ebenfalls seien viele Frauen vergewaltigt worden. Es habe keinen Schutz für die Yeziden im Irak gegeben. Zuletzt habe sie sich in ... aufgehalten. Die Terrormiliz ‘Islamischer Staat‘ (IS) habe das Gebiet, welches eine halbe Autostunde von ... entfernt sei, besetzt. Der Klägerin sei persönlich nichts geschehen.

Für den weiteren Vortrag der Klägerin anlässlich deren persönlicher Anhörung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift des Bundesamtes Bezug genommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Oktober 2017 wurde der Klägerin der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Nr. 1. des Bescheids). Im Übrigen wurde der Asylantrag der Klägerin abgelehnt (Nr. 2.).

In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vorliegend gegebenen seien. Es läge der Wiederaufgreifensgrund einer Sachlagenänderung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vor. Im Falle der Klägerin lägen auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes vor. Aufgrund des ermittelten Sachverhaltes sei davon auszugehen, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen hingegen nicht vor. Ein Ausländer sei Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befinde, dessen Staatsangehörigkeit er besitze (§ 3 AsylG). Die Klägerin sei kein Flüchtling im Sinne dieser Definition. Soweit die Klägerin vorgetragen habe, sie sei yezidische Glaubensangehörige und sei aus Angst vor der Terrormiliz IS ausgereist, könne dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Die Klägerin habe angegeben, dass sie aus dem Ort, ... zwischen der Stadt ... und der Stadt ... stamme. Der Ort ... sei seit Mitte November 2015 unter kurdischer Kontrolle. Dem Bundesamt lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Klägerin im kurdisch kontrollierten Gebiet eine Verfolgung aufgrund ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit drohen könne. Von einer Gruppenverfolgung yezidischer Glaubensangehöriger sei derzeit in der kurdischen Autonomiezone im Nordirak nicht auszugehen. Der IS befände sich nicht mehr in der Nähe von ... und sei weitgehend aus der Provinz Ninive vertrieben worden. Aus dem Sachvortrag der Klägerin ergäben sich auch keine Anhaltspunkte, wonach sie persönlich bei Rückkehr mit staatlicher oder nichtstaatlicher Verfolgung zu rechnen habe. Somit sei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG abzulehnen gewesen. Von der Feststellung von Abschiebungsverboten werde gemäß § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG abgesehen.

Die Klägerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 10. Oktober 2017 die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen.

Zur Begründung ist vorgetragen, dass die Klägerin irakische Staatsangehörige mit yezidischem Glauben sei. Sie stamme aus dem zentralen Irak, Provinz Ninive. Der angefochtene Bescheid sei teilweise rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Dem Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sei stattzugeben. Seit Anfang Juni 2014 habe die islamistische Terrororganisation Isis eine Offensive gestartet, in deren Verlauf sie bis zum heutigen Tag weite Gebiete im Norden an der Grenze zu Syrien und im Westen an der Grenze zu Jordanien unter ihre Kontrolle gebracht habe. Ein gezielter Vorstoß nach Bagdad habe bis dato noch nicht stattgefunden. Die Klägerin sei bei einer Rückkehr in den Irak einer individuellen Verfolgung in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale ausgesetzt. Weil sie der yezidischen Religion zugehörig sei, wäre eine Verfolgung seitens aktiver Kämpfer oder Sympathisanten der Isis in der derzeitigen Situation beachtlich wahrscheinlich. Yeziden würden als Ungläubige betrachtet und seien damit in der derzeitigen Lage einer großen Gefährdung seitens radikaler Islamisten ausgesetzt. Eine echte Fluchtalternative bestehe nicht. Zwar sei der IS politisch besiegt, jedoch sei die Gegend in und um Sindschar nach wie vor von Anhängern und Kämpfern des IS bewohnt. Die Heimatregion der Klägerin sei aufgrund der Zerstörungen durch den Krieg gegen den Islamischen Staat und wegen der gegenwärtigen Sicherheitslage unbewohnbar geworden.

Auf den weiteren Vortrag im Klageschriftsatz vom 13. Dezember. 2017 wird ergänzend verwiesen.

Die Beklagte hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 10. Januar 2018 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.

Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2018 haben die Bevollmächtigten der Klägerin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt.

Die Beklagte hat mit Generalerklärung vom 27. Juni 2017 ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Verfahrensakten Bezug genommen.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Klägerin ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO).

Die ausschließlich auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2017 ist, soweit er mit der Klage vom 13. Dezember 2017 angegriffen worden ist, rechtmäßig und nicht geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Bescheid ist unter Würdigung der Verhältnisse in dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im schriftlichen Verfahren rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechen. Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Gem. § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Hiernach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –, BGBl. 1953 II Seite 559), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- und Schutzakteuren regeln die §§ 3a-d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU, L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9-26, sog. Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: RL 2011/95/EU).

Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. auch Art. 9 der RL 2011/95/EU) gelten als Verfolgung Handlungen, die – Nr. 1 – aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II Seite 685,953) keine Abweichung zulässig ist, oder die – Nr. 2 – in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie in der Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Als Verfolgung können nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. folgende Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt – Nr. 1 – sowie Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind – Nr. 6 –.

Ferner muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 und § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.

Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von – Nr. 1 – dem Staat, – Nr. 2 – Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder – Nr. 3 – von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 AsylG) und der RL 2011/95/EU ist angelegt, dass bei ihrer Prüfung als Prognosemaßstab derjenige der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen ist. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte (Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A – juris).

Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU – dieser hat keine nationale Entsprechung – ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits vorverfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird.

Dies entspricht dem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147, 181, 182/80 – BVerfGE 54, (360 f.); dem folgend BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377-388 und vom 31. März 1981 – 9 C 237.80 – juris).

Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – und vom 18. Februar 1997 – 9 C 9.96 –, BVerwGE 104, 97 (101 ff.), juris), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – und vom 27. April 1982 – 9 C 308.81 –, BVerwGE 65, 250 (252), juris).

Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden – auch seelischen – Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 – und vom 18. Februar 1997 – 9 C 9.96 – BVerwGE 104, 97 (99), juris).

Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für Ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei der Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden oder einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in das Heimatland erneut realisiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – Saadi, Rn. 128 m.w.N., juris).

Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Die Beurteilung, ob stichhaltige Gründe die Vermutung widerlegen, obliegt dem Tatrichter im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 –; Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 11. Juli 2016 – Au 5 K 16/30604 – juris).

Aus den in § 25 AsylG (und Art. 4 RL 2011/95/EU) geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Drittstaatsangehörigen folgt, dass es auch unter Berücksichtigung dieser Vorgaben Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 24. März 1987 – 9 C 321.85 – juris).

Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.

Gemäß nach diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Klägerin nicht vor. Da die Klägerin im Verfahren keine individuelle Bedrohung insbesondere seitens der Terrormiliz ‘Islamischer Staat‘ (IS) geltend gemacht hat, ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an die Klägerin ausschließlich über die Grundsätze der Gruppenverfolgung für yezidische Glaubensangehörige möglich.

Das Gericht ist der Auffassung, dass für Glaubenszugehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft, die wie die Klägerin aus der Provinz Ninive im Zentralirak stammen, die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) nicht mehr gegeben sind.

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich geklärt (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. April 2009 – 10 C 11/08 – und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – juris).

Danach kann sich die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begehrt, nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 u.a. – BVerfGE 83, 216; BVerwG, Urteile vom 21. April 2009 – 10 C 11/08 – und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – juris).

Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2003 – 1 B 234.02 – und Urteil vom 30. April 1996 – 9 C 171.95 – BVerwGE 101, 134 (140 f.), juris).

Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms –,

(vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 (204), juris), ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2006 – 1 C 15.05 – Rn. 20 und vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 (203), juris).)

Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 (204), juris).

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3 d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 – juris Rn 20).

Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es jedoch nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein (staatliches) Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 (204)); zu der ferner zu beachtenden Möglichkeit einer „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vgl. zuletzt etwa BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2003 – 1 B 234.02 –; BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 – BVerfGE 83, 216-238 (234), juris, jeweils m.w.N).

Diese Grundsätze für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das Asylgesetz ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urteile 21. April 2009 – 10 C 11/08 – und vom 18. Juli 2006 – 1 C 15/05 – BVerwGE 126, 243-254; OVG NRW, Beschluss vom 30. März 2011 – 9 A 567/11.A – juris).

Gruppengerichtete Verfolgungen, die von Dritten ausgehen, erfassen nicht immer ein ganzes Land gewissermaßen flächendeckend. Die ihnen zugrundeliegenden ethnischen, religiösen, kulturellen oder sozialen Gegensätze können in einzelnen Landesteilen unterschiedlich ausgeprägt sein; die darin wurzelnden Spannungen können sich in unterschiedlichem Grade auf das Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsteile auswirken. Deshalb ist – jedenfalls bei gruppengerichteten Verfolgungen durch nicht-staatliche Kräfte – von der Möglichkeit auszugehen, dass solche Verfolgungen regional oder lokal begrenzt sind mit der Folge, dass sich die verfolgungsfreien Räume als inländische Fluchtalternative darstellen können und dass die dort ansässigen Gruppenangehörigen als unverfolgt zu gelten haben. Allerdings bedarf dabei näherer Ermittlung, ob eine bestehende Schutzunwilligkeit des Staates die Gefahr einer Ausweitung der Verfolgung in bisher verfolgungsfreie Räume begründet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 – BVerfGE 83, 216-238, juris).

Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin als Angehörige der yezidischen Religionsgemeinschaft bezogen auf ihren letzten Aufenthaltsort ... in der Provinz Ninive keiner regionalen Gruppenverfolgung durch den IS als nichtstaatlichem Akteur ausgesetzt.

Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fehlt es jedenfalls an der erforderlichen „Verfolgungsdichte“, die für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung erforderlich ist.

Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen belief sich die Zahl der in der Provinz Ninive ansässigen Yeziden vor dem Überfall durch den IS auf ca. 291.000 Menschen in der Region Sindschar, wobei diese Zahl anhand der ausgegebenen Lebensmittelkarten ermittelt werden konnte, und weiteren ca. 65.000 Menschen in der Region Sheikhan (vgl. Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien vom 16. September 2013 an das OVG NRW, S. 11 f., juris).

Zwar wurden seit 2014 Schätzungen zufolge 5000 Yeziden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit getötet, mehr als 6000 Yezidinnen versklavt, 300 000 Yeziden wurden vertrieben. 24 Massengräber wurden in der Region Sindschar bereits gefunden. Befürchtet wird, dass fast doppelt so viele an verschiedenen Orten in der Region liegen, viele davon weiter südlich der aktuellen Frontlinie (vgl. Die Zeit online, Die Vergessenen von Sindschar, 13. Juni 2016, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/jesiden-nordirak-islamischer-staat; Die Jesiden von Sindschar, Le Monde diplomatique, Januar 2017, S. 11).

Diese Verfolgungssituation für yezidische Glaubenszugehörige besteht seit Mitte/Ende des Jahres 2017 jedoch nicht mehr unverändert fort und führt im vorbezeichneten Verfahren dazu, dass die Voraussetzungen für die Gruppenverfolgung von Yeziden in der Provinz Ninive nicht mehr angenommen werden können. Im August 2017 erklärte der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi, dass mit der Stadt Tal Afar eine der letzten IS-Bastionen im Land befreit worden sei. Die US-geführte Anti-IS-Koalition teilte ebenfalls mit, dass der Irak 90% des ehemals von der Terrormiliz kontrollierten Gebietes zurückerobert habe. Der IS hat nach seinem Vormarsch vor mehr als drei Jahren (2014) auf dem Höhepunkt seiner Macht riesige Gebiete im Norden und Westen des Irak beherrscht, darunter große Städte. Hierzu gehörte auch die Millionenstadt Mossul östlich von Tal Afar. Auch die Provinz Ninive, die an der Grenze zu Syrien liegt, wurde im Sommer 2014 vom IS überrannt. In der Provinzhauptstadt Mossul haben die Dschihadisten damals ihr so genanntes Kalifat ausgerufen. Im Juli 2017 wurde Mosul nach Monate langer Belagerung von den irakischen Truppen mit internationaler Hilfe zurückerobert. Bereits zuvor hatten die Extremisten die größten Teile der ehemals kontrollierten Gebiete im Irak verloren. Die Rückeroberung von Tal Afar habe nur zehn Tage gedauert. Tal Afar war eine der letzten irakischen Städte in der Hand der IS-Miliz. Diese kontrolliert nach aktuellen, dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen, nur noch zwei Gebiete im Irak, von denen Großteile unbewohnt sind. Es handelt sich hierbei um Hawidscha im Zentralirak und die Städte Al-Kaim, Rawa und Anna in der Wüste an der Grenze zu Syrien. In den übrigen Gebieten ist die Terrormiliz IS auch in der Provinz Ninive vollständig besiegt.

Mit der geschilderten Zurückdrängung des IS aus der Provinz Ninive, der Tatsache, dass die Terrormiliz lediglich noch zwei Gebiete im Irak beherrscht, ist es nach Auffassung des Gerichtes ausgeschlossen, dass die Terrormiliz noch über Strukturen verfügt, die es ihr ermöglicht, yezidische Glaubenszugehörige in der Provinz Ninive systematisch im Rahmen eines eingeleiteten und durchgeführten Verfolgungsprogramms (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, Seite 12, 18) zu verfolgen, wie es Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung wäre.

Über dies ist im Falle der Klägerin festzustellen, dass diese mit dem von ihr selbst benannten vormaligen Aufenthaltsort ... nordöstlich von Mossul gelegen, gerade nicht aus einem der vormals im unmittelbaren Einflussbereich des IS liegenden Regionen stammt. Im Wesentlichen waren dies die Regionen Sinjar, Tal Afar und die Ninive-Ebene. Insbesondere kontrollierten Kämpfer des IS yezidische Dörfer im Süden der Region Sinjar und griffen von dort aus kurdische und yezidische Stellungen an (vgl. Die Jesiden von Sindschar, Le Monde diplomatique, Januar 2017, S. 11; UNHCR, Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA) for Yazidis in the Kurdistan Region of Iraq (KR-I), liegt in deutscher Übersetzung vor; vgl. Karte zum aktuellen Frontverlauf, https://isis.live-uamap.com).

Soweit die Bevollmächtigten der Klägerin darauf verweisen, dass diese aus der Region ... stamme, ist dies unzutreffend. Die Stadt, die im Zentrum der vormaligen Verfolgungen durch Angehörige der Terrormiliz IS stand, befindet sich in einer Entfernung von ca. 127 km von Mossul und ist deutlich westlich gelegen. Die Klägerin stammt vielmehr aus einem Gebiet in der Provinz Sheikhan, welches nordöstlich der Stadt Mossul gelegen ist. Dass der Heimatort ... vormals und gegenwärtig nennenswert von Aktivitäten der Terrormiliz IS betroffen gewesen ist, ist für das Gericht nicht erkennbar. Jedenfalls liegen für Glaubensangehörige der yezidischen Glaubensgemeinschaft seit Mitte/Ende des Jahres 2017 Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung in der Provinz Ninive nicht mehr vor. Gerichtsbekannt ist ebenfalls, dass auch bereits christliche Glaubensangehörige, die ebenfalls unter erheblichem Verfolgungsbzw. Vernichtungsdruck der Terrormiliz IS gestanden sind, zwischenzeitlich bereits in die Ninive-Ebene zurückkehren. Auch dies spricht letztlich dagegen, dass der derzeit in der Heimatprovinz der Klägerin nennenswerte Vertreibungsaktivitäten der Terrormiliz IS stattfinden bzw. stattfinden können. Es ist für das gesamte Gebiet eine gewisse Befriedung eingetreten und festzustellen. Dies schließt die Annahme einer Gruppenverfolgung für die Klägerin bei fehlender anlassgeprägter Einzelverfolgung im vorliegenden Fall aus. Dies gilt jedenfalls für den der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Zeitpunkt im schriftlichen Verfahren.

Nach allem war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Die 1981 und 1984 geborenen Kläger zu 1) und zu 2) und deren Kinder, die Kläger zu 3) bis 5), sind irakische Staatsangehörige, muslimisch-sunnitischen Glaubens. Sie reisten am 27. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 6. Oktober 2015 Asylanträge. Bei einer vorbereitenden Anhörung bei der Asylantragstellung gaben sie an, aus Baashiqa, Mossul zu stammen. Sie hätten ihr Heimatland am 22. Dezember 2014 verlassen und seien am 27. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 12. April 2016 gab der Kläger zu 1) an, während seiner Kindheit mit seinen Eltern in der Stadt Mossul gelebt zu haben und 2009 nach Baashiqa gezogen zu sein. Am 6. August 2014 sei der Ort Baashiqa von ISIS eingenommen worden und viele Einwohner seien geflohen. Sie seien zu Freunden in die Provinz Dohuk.

Sie hätten die Stadt Baashiqa verlassen, weil ISIS die Stadt erobert habe. Sie seien wie alle anderen auch geflüchtet. Bevor ISIS gekommen sei, sei seine Familie 2009 bedroht worden. Dies sei der Grund gewesen, weshalb sie nach Baashiqa gegangen seien. Sein Vater hätte eine Firma gehabt, sein Onkel sei ermordet worden und sein Bruder habe sich zur Wahl in der Provinz Ninive aufstellen lassen. Sie seien deshalb in Mossul von militanten Gruppen bedroht worden. Deshalb habe er den Irak verlassen. Er sei auch persönlich bedroht worden: er habe in der Firma seines Vaters geholfen Stromanlagen zu bauen. Er sei deswegen von militanten Gruppen bedroht worden. Sein Onkel sei deswegen getötet worden. Es habe eine Explosion neben ihrem damaligen Haus gegeben. Dort habe seine gesamte Familie, also seine Eltern, seine Kinder und seine Frau gelebt. Dies sei 2008 gewesen. Bei der Explosion sei sein Sohn verletzt worden. 2009 sei er dann nach Baashiqa gezogen. Zu den Bedrohungen sei es deshalb gekommen, weil sein Vater ein wichtiger Mann, ein Stammesführer gewesen sei. Außerdem sei der Vater mit seiner Mutter, die Schiitin sei, verheiratet gewesen und schließlich sei er auch wegen des Geldes bedroht worden. Die Bedrohung sei von „AlKaida im Irak“ ausgegangen. In Baashiqa sei er seit 2009 nicht mehr bedroht worden. Persönliche Probleme habe er dort nicht gehabt. Er sei im Irak nicht politisch aktiv gewesen. Sie seien dadurch geflüchtet, da sie den Peschmerga und dem irakischen Militär gefolgt seien, als diese Mossul verlassen hätten. In einem anderen Ort im Irak könne er nicht leben. In Kurdistan könne er sich als Araber nicht lange aufhalten. Man brauche Geld und einen Bürgen. Bei einer Rückkehr fürchte er, von ISIS oder bewaffneten Gruppen getötet zu werden.

Die Klägerin zu 2) gab bei ihrer Befragung an, dass ihre Eltern und ihre 3 Brüder und 7 Schwestern aus Mossul vertrieben worden seien und jetzt zumeist in Kirkuk lebten. Zu ihren Asylgründen gab die Klägerin an, dass ihr Mann bedroht worden sei. Sie habe außerdem mit ansehen müssen, dass ihr Kind durch eine Explosion verletzt worden sei. Zuletzt sei ISIS gekommen und sie haben ausreisen müssen. Die ganze Familie ihres Mannes sei bedroht worden, weil der Vater ihres Mannes eine Firma gehabt habe. Der Sohn sei durch einen Sprengkörper in der Nähe des damaligen Hauses verletzt worden, nachdem ihr Onkel umgebracht worden sei. Die Explosion habe in Mossul, im Stadtviertel … stattgefunden. Jetzt gehe es ihrem Sohn wieder gut. Von einer weiteren Bedrohung ihres Mannes, nachdem sie nach Baashiqa gegangen seien, habe sie nichts mitbekommen.

Mit Bescheid vom 27. April 2016 wurden den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt (Ziffer 1) und die Asylanträge im Übrigen abgelehnt (Ziffer 2).

Die Kläger seien keine Flüchtlinge im Sinne des AsylG. Der Anschlag auf das Wohnhaus im Jahr 2008 in Mossul habe dem Vater des Klägers zu 1) gegolten. Nach dem Umzug der Familie im Jahr 2009 habe es keine derartigen Bedrohungen mehr gegeben.

Nach einem Aktenvermerk vom 15. April 2016 ist den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden, weil sie aus einer Region kommen, in der ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt stattfinde.

Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2016 erhoben die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage und beantragten,

den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2016 hinsichtlich Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG für die Kläger vorliegt.

Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2016 beantragte die Beklagte,

die Klagen abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2016 wurde die Klage dahingehend begründet, dass die Kläger vom IS ausgehende Verfolgung befürchten müssten. Beim IS handelt es sich um einen nicht staatlichen Akteur, dessen Handeln weder durch den irakischen Staat noch durch andere Parteien oder Organisationen unterbunden werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Gründe

Die allein auf die Anerkennung als Flüchtlinge gemäß § 3 Abs. 1 AsylG gerichtete Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des BAMF vom 27. April 2016 ist, soweit den Klägern die Flüchtlingseigenschaft versagt wird, rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).

Die Kläger haben keine Umstände dargelegt, die – über den Status des subsidiären Schutzes hinaus – zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen würde. Eine allgemeine Verfolgungsgefahr i.S.v. § 3 AsylG ergibt sich aktuell bei einer Rückkehr der Kläger nach Mossul oder in den nahe Mossul gelegenen Ort Baashiqa nicht mehr. Zugunsten der Kläger kann, wie sie vortragen, zugrunde gelegt werden, dass sie 2009 aus berechtigter Furcht vor Repressalien islamistischer Terroristen (Al-Kaida bzw. ISIS) aus Mossul geflüchtet sind und auch Baashiqa Mitte 2014 wegen des Einmarsches des IS dort verlassen haben. Selbst wenn die ihnen wie auch anderen gemäßigten Sunniten, Schiiten und Nichtmuslimen drohende Gefahr in den IS-Gebieten als Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG qualifiziert werden müsste oder wenn die Kläger aus individuellen Gründen speziellen Bedrohungen durch den IS ausgesetzt gewesen wären, steht dies einer Rückkehr aktuell nicht mehr entgegen, da sich die Lage im Gebiet um Mossul insoweit grundlegend geändert hat und eine Bedrohung im Sinne einer Verfolgung durch den IS dort nicht mehr besteht. Seit Anfang Juli 2017 ist der IS aus dem Gebiet um Mossul durch die irakische Armee und ihre Verbündeten soweit zurückgedrängt worden, dass er dort keine quasistaatliche Macht i.S.v. § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, so dass vom IS dort keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinne mehr ausgehen kann. Seit der Rückeroberung der Gebiete durch die Regierungstruppen ist auch nicht mehr mit der im Asylrecht erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass Rückkehrern in die dortigen Gebiete kein staatlicher Schutz gegen eventuelle vereinzelte Übergriffe des IS aus dem Hinterhalt gewährt wird. Eine Bedrohung im Sinne einer Verfolgung, die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlich ist, besteht nicht mehr.

Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer besteht im Irak und in der Region Mossul auch keine generelle Verfolgungssituation für Sunniten von staatlicher Seite. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08 - juris) liegt eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Dies gilt nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen für Sunniten nicht allgemein. Zwar existieren im Irak der Auskunftslage nach mehrere schiitische Milizen, die zum Teil gewaltsam gegen Sunniten vorgehen. Dabei handelt es sich aber – auch in den befreiten Gebieten – um einzelne Übergriffe, die kein solches Ausmaß erreichen, dass ohne Weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit auszugehen ist.

Die allgemeinen, im Einzelnen noch zum Teil sehr schweren Lebensverhältnisse in den kürzlich vom IS befreiten Gebieten durch die Zerstörungen und mangelhafte Versorgungslage mögen einer Rückkehr im Konkreten durchaus entgegenstehen, können aber nicht die Flüchtlingseigenschaft begründen, sondern sind durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG in jedem Fall ausreichend abgedeckt. Ohne das Bestehen einer Verfolgung im Rechtssinn ist die Flüchtlingseigenschaft auch dann nicht zu gewähren bzw. aufrecht zu erhalten, wenn die neue Gefahr an die Stelle der Verfolgung getreten ist (vgl. insoweit EuGH,U.v. 2.3.2010, C-175/08 u.a. – juris).

Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Iraks.

2

Der Kläger, ein irakischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens, reiste am 9. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Februar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, den er später auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte.

3

Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. September 2016 gab er im Wesentlichen an, er stamme aus dem Dorf K. südlich von Dohuk. Er habe in Dohuk studiert und sei ausgebildeter Ingenieur „für Elektro und Computer“. Zuletzt habe er sechs Monate als Elektriker an unterschiedlichen Orten gearbeitet. Seine Eltern lebten in der Türkei. Im Irak habe er keine Verwandten. Er sei vor Kriegshandlungen des IS geflüchtet, die in unmittelbarer Nähe des Dorfes stattgefunden hätten. Der IS sei nämlich ungefähr einen Kilometer von dem Dorf entfernt gewesen und habe es mit Raketen beschossen. Ein Kommilitone von ihm sei durch den IS umgebracht worden; auch er selbst habe Angst gehabt, von dem IS getötet zu werden. Des Weiteren habe er sich allgemein verfolgt gefühlt. Er habe, weil er Jeside sei, immer Probleme gehabt. Die kurdischen Muslime und die Araber hätten die Jesiden nicht akzeptiert. Konkret habe ihm eine andere Person dreimal gesagt, er müsse Muslim sein, sonst könne dieser ihn töten. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak fürchte er, getötet zu werden.

4

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu. Sie stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung oder, im Falle einer Klageerhebung, nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

5

Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zunächst kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG, da keine flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG ersichtlich seien, die eine Furcht vor Verfolgung begründen könnten. Hinsichtlich einer Verfolgung durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers habe sich die Lage seit August 2014 entscheidend verändert. Aus der Region Semel und Dohuk sei der IS bereits seit August 2014 vertrieben. Im Übrigen könne der Kläger, der auch in Kurdistan registriert sei, sich dort frei bewegen und internen Schutz innerhalb Kurdistans erlangen. Das von ihm geschilderte sonstige Geschehen in Anknüpfung an seinen Glauben besitze nicht die erforderliche Intensität und Schwere flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgungshandlungen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Ein dafür erforderlicher ernsthafter Schaden drohe ihm nicht. Hierfür genüge die allgemeine Schilderung, dass kurdische Muslime und Araber in Kurdistan ihn nicht akzeptieren würden, nicht. Weder sei eine Bedrohung durch den IS in der kurdischen Heimatregion des Klägers zu gewärtigen noch herrsche dort ein sonstiger innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Insbesondere sei nichts für eine Art. 3 EMRK widersprechende individuelle Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ersichtlich. Auch die humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge. Dieser habe studiert und zuletzt als Ingenieur „für Elektro und Computer“ an unterschiedlichen Orten gearbeitet und könne sich im Falle einer Rückkehr diese berufliche Existenz wieder aufbauen. Auch mit Blick auf die Lage der Gesamtbevölkerung sei nicht dargelegt, dass der Kläger schlechter gestellt sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nicht vor, schon weil der Kläger krankheitsbedingte Gründe nicht vorgetragen habe. Auf die weitere Begründung des Bescheids (Bl. 82 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

6

Am 18. Januar 2017 gab die Beklagte den Bescheid zur Zustellung mit Postzustellungsurkunde auf. Den Briefumschlag adressierte sie an „X. 29-30“, den darin eingelegten Vordruck der Postzustellungsurkunde hingegen an die Anschrift „X. 13“. Am 23. Januar 2017 gelangte die Sendung als unzustellbar an die Beklagte zurück. Die Postzustellungsurkunde enthält den Vermerk, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nachdem der Kläger sich unter dem 21. März 2017 unter Angabe der Anschrift „X. 13“ nach dem Verfahrensstand erkundigt hatte, stellte die Beklagte den Bescheid am 25. März 2017 an diese Adresse durch Einlegung in den Briefkasten zu.

7

Der Kläger hat am 5. April 2017 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung vor, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er vor Islamisten geflohen sei, die einen Völkermord an den Jesiden verübt hätten. Die Jesiden seien auch in Kurdistan vor Verfolgung nicht sicher. Die dortige Regionalregierung habe die Jesiden vor den Moslems nie ernsthaft geschützt oder schützen wollen, sie und ihre Sicherheitskräfte hätten vielmehr die Jesiden im Irak im Sommer 2014 kampflos den Islamisten ausgeliefert und den Völkermord an den Jesiden so erst ermöglicht. In Flüchtlingscamps in Kurdistan seien mehrere Jesiden von muslimischen Flüchtlingen angegriffen und schwer verletzt oder sogar ermordet worden. Die kurdische Regionalregierung habe mehrere arabische bzw. kurdische muslimische Stämme in Mossul militärisch ausgebildet und bewaffnet, die an dem Völkermord an den Jesiden beteiligt gewesen seien. Die kurdische Geheimpolizei habe auch die weltweit größte jesidische Nichtregierungsorganisation, die in Dohuk ansässig gewesen sei, geschlossen. PDK-Milizen hätten den jesidischen Journalisten Karwan Heci Baadri wegen eines kritischen Facebook-Beitrags krankenhausreif geprügelt. Bereits 2007 und im Dezember 2011 hätten in Schechan und in mehreren kurdischen Städten, darunter Sacho und Dohuk, pogromähnliche Angriffe auf Jesiden stattgefunden. Keiner der Beteiligten sei jemals strafrechtlich belangt worden. Nun versuchten die von der PDK dominierten Peschmerga, den von den Islamisten nicht ganz vollendeten Völkermord an den Jesiden selbst zu Ende zu führen. Die Peschmerga hätten zusammen mit kurdisch-arabischen Muslimen Anfang März 2017 mehrmals Jesiden mit schweren Waffen angegriffen und mehrere, darunter zivile, Demonstranten getötet. Zusammenfassend könnten die Jesiden in Kurdistan kein menschenwürdiges Leben führen, weil sie dort wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer schweren Diskriminierung durch die muslimisch-kurdische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt seien. Die Produkte von Jesiden, insbesondere Lebensmittelprodukte, würden von der muslimisch-kurdischen Bevölkerung nicht gekauft, weil diese die Jesiden und ihre Produkte als unrein einschätzten. Er könne daher auch sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht sichern. Es entspreche im Übrigen der bisherigen Praxis der Beklagten, Jesiden als Gruppenverfolgte anzuerkennen. Drei seiner Brüder und seine Schwester seien in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der seine Ungleichbehandlung rechtfertige.

8

Der Kläger beantragt,

9

unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2017 die Beklagte zu verpflichten,

10

ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

11

hilfsweise, ihm den Status als subsidiärer Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

12

äußerst hilfsweise festzustellen, dass zu seinen Gunsten die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

13

Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich der Antrag,

14

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

16

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 zur Sache persönlich angehört worden. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Asylakte des Bundesamtes Bezug genommen, die wie auch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

18

Die Kammer kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass bei der im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung der Beklagten die zweiwöchige Ladungsfrist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterschritten wurde, da die Beklagte auf deren Einhaltung mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 verzichtet hat.

II.

19

Die Klage ist zulässig (dazu 1.), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg (dazu 2.).

20

1. Die am 5. April 2017 erhobene Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhoben worden, da der angegriffene Bescheid dem Kläger erst am 25. März 2017 zugestellt wurde.

21

Die Zustellung gilt dabei nicht bereits durch den Zustellversuch vom 19. Januar 2017 als bewirkt. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss ein Ausländer zwar Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Regelungen knüpfen an die Pflicht des Ausländers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylG an, während der Dauer des Asylverfahrens seine Erreichbarkeit zu gewährleisten und insbesondere unverzüglich jeden Anschriftenwechsel mitzuteilen. Die Fiktion tritt nach Sinn und Zweck der Vorschrift daher nur ein, wenn für das Fehlschlagen der Zustellung oder der Übersendung eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Ausländers ursächlich geworden ist (vgl. Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylG, Rn. 29). Insbesondere muss die Beklagte sicherstellen, dass die Bekanntgabe oder Zustellung in einer Weise ordnungsgemäß durchgeführt wird, die sicherstellt, dass die Sendung den Ausländer an der nach § 10 Abs. 2 Sätze 1-3 AsylG maßgeblichen Anschrift grundsätzlich erreichen kann (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 15. Ed., Stand: 1.8.2017, § 10 AsylG, Rn. 31).

22

Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG sind nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Denn die Sendung war auf eine Weise adressiert, die bei dem üblichen Verlauf der Dinge eine Zustellung an der nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG maßgeblichen Anschrift gerade nicht sicherstellte. Die der Beklagten bekannte maßgebliche Adresse war „X. 13“. Auf dem Versandumschlag war jedoch die davon abweichende Adresse „X. 29-30“ angebracht. Der in dem Versandumschlag liegende Vordruck der Postzustellungsurkunde war zwar korrekt adressiert worden. Es konnte aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Postzusteller diese Diskrepanz bemerkt und den Zustellungsversuch an der richtigen Anschrift oder sogar an beiden Anschriften unternimmt, schon weil ihm unbekannt war, welche die richtige Zustellanschrift ist. Unabhängig hiervon geht die Kammer davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs an der Anschrift „X. 13“ für Zustellungen erreichbar war und der Zustellungsversuch vorliegend nicht an seiner mangelnden Mitwirkung gescheitert ist. Aus den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass er seit dem 18. Januar 2016 ununterbrochen an der Anschrift „X. 13“ gelebt hat und dort mittels eines eigenen Briefkastens für Postsendungen erreichbar war. Dort konnte dem Kläger der Bescheid im März 2017 schließlich auch erfolgreich zugestellt werden (Bl. 142 d. Asylakte). Der insoweit freien Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 286 ZPO stehen die Eintragungen auf der Postzustellungsurkunde vom 19. Januar 2017 nicht entgegen. Darauf hat der Postbedienstete als Grund der Nichtzustellung zwar vermerkt, dass der Adressat an der darauf angegebenen Anschrift „X. 13“ nicht zu ermitteln sei. Der Postzustellungsurkunde kommt vorliegend allerdings keine formelle Beweiskraft (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) zu, da sie entgegen § 182 Abs. 2 Nr. 8 ZPO den Namen und Vornamen des Zustellers nicht enthält (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v.; Beschl. v. 12.7.2017, 10 AE 6411/17, n.v.).

23

2. Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn dem Kläger steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu a.), noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu b.), noch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks (dazu c.) zu. Danach erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Wiedereinreiseverbots als rechtmäßig (dazu d. und e.).

24

a. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

25

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.

26

Die weiteren Einzelheiten zu den Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, u.a. zu den berücksichtigungsfähigen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen, den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren und, unter welchen Umständen ein Ausländer auf Schutzakteure in seinem Herkunftsland oder eine dortige inländische Fluchtalternative zu verweisen ist, regeln die §§ 3a - 3e AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU):

27

Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist, (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2).

28

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

29

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

30

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2011/95/EU ist angelegt, dass den Flüchtlingsschutz nur derjenige beanspruchen kann, der Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zu erwarten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn 19). Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierte“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 32). Eine nach diesem Maßstab wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der – auch deutlich – unterhalb von 50 v.H. liegt. Entscheidend für die Beurteilung der Beachtlichkeit der Gefahr ist vielmehr der qualitative Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung ist, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, juris, Rn. 17, VGH Mannheim, Urt. v. 30.5.2017, A 9 S 991/15, juris, Rn. 25 ff.).

31

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU – diese Vorschrift hat keine nationale Entsprechung – ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies entspricht dem Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach zu differenzieren, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder nicht, der auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegt (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147, 181 u. 182/80, juris, Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 21; Urt. v. 31.3.1981, 9 C 237/80, juris, Rn. 13). Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von der Vorschrift erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht jedoch durch eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland erneut von Verfolgung bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzutragen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden Umstände erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23; EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, juris, Rn. 128).

32

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

33

aa. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

34

(1) Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sein ausschließlich von Jesiden bewohntes Heimatdorf K. in der Provinz Dohuk (Region Kurdistan-Irak) wegen Artilleriebeschusses durch den so genannten Islamischen Staat (im Folgenden: IS) im August 2014 verlassen habe, führt dies nicht dazu, dass er sich mit Erfolg auf die Beweiserleichterung berufen kann. Zwar dürfte der Kläger auf Grundlage seines Vortrags insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; für den südlichen Teil der Provinz Dohuk daher eine Gruppenverfolgung annehmend VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a K 9307/16.A, juris, Rn. 55 ff.).

35

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris, Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris, Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris, Rn. 11).

36

Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich seit August 2014 insoweit grundlegend geändert, als dass der IS in der Provinz Ninive keine quasistaatliche Macht im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, die Grundlage der von IS-Kämpfern und -Anhängern durchgeführten großflächigen Verfolgungsmaßnahmen war. Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt im gesamten Irak fast vollständig verloren. Die Städte Sindschar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der ihr unterstehenden Popular Mobilisation Forces (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Republik Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 18). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56). Die letzten irakischen Städte, die sich unter der Kontrolle des IS befunden haben – Al-Qaim, Ana und Rawa im Westen des Landes – wurden im November 2017 von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 8). Allein das Wüstengebiet nördlich dieser Städte – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat der IS auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für ein erstmaliges Vordringen in die – hier maßgebliche – Provinz Dohuk. Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit dem militärischen Sieg über den IS nicht sämtliche Anhänger des IS aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet verschwunden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Gruppe in der Zivilbevölkerung untergetaucht ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Dies dürfte daher auch nicht bedeuten, dass es von Seiten der untergetauchten IS-Kämpfer zu keinerlei Menschenrechtsverletzungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Der IS dürfte sich aber künftig auf die Verübung terroristischer Anschläge konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 6, 16). Dabei ist zu beachten, dass solche terroristische Anschläge nicht stets als gezielte Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer aufgefasst werden können. Oftmals stellen diese Anschläge eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung dar, welche nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, Rn. 32). Damit ist jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der IS in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht in der Lage ist bzw. in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden wie noch 2014 gezielt und flächendeckend zu verfolgen (ebenso für die Verfolgung von Jesiden VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris, Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris, Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris, Rn. 45 ff.; i.E. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., S. 14 UA; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris, Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., S. 10 ff. UA; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris, Rn. 33).

37

Dem entspricht es, dass der Kläger bereits einige Wochen nach seiner erstmaligen Flucht in sein Heimatdorf zurückkehrte und dort noch bis zu seiner Ausreise ein Jahr später lebte, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat.

38

(2) Der Vortrag des Klägers, er sei als Teilnehmer einer Demonstration für die Freilassung des von kurdischen Behörden inhaftierten jesidischen Milizkommandanten Heydar Schescho im Y. 2015 von Angehörigen der Partei PDK festgenommen und ihm sei eine Unterlassungserklärung mit Blick auf weitere gegen die PDK gerichtete Aktivitäten abgenötigt worden, begründet eine Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU schon deshalb nicht, weil die Kammer sich von der Wahrheit seiner diesbezüglichen Schilderungen nicht zu überzeugen vermochte.

39

Auch in Asylstreitsachen müssen die Verwaltungsgerichte die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals erlangen (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris, Rn. 16), wobei der allgemeine Grundsatz gilt, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Darüber hinaus ist die besondere Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der Verfolgungsgründe beschwerten Asylsuchenden zu berücksichtigen. Dazu kann seinen Erklärungen größere Bedeutung beigemessen werden, als sie sonstigen Parteibekundungen zukommt; ihr Beweiswert soll im Rahmen des Möglichen wohlwollend beurteilt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Bei der somit genügenden Glaubhaftmachung ist es mit Blick auf die in § 25 AsylG geregelten, auf Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zurückgehenden Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Ausländers und seiner daran anknüpfenden prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO allerdings seine Sache, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24/01, juris, Rn. 5; Urt. v. 24.3.1987, 9 C 321/85, juris, Rn. 9). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer aber nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1988, 9 C 273/86, juris, Rn. 11).

40

Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs erachtet die Kammer die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Angaben des Klägers zu der Demonstration und Festnahme im Y. 2015 als nicht glaubhaft. Sie bleiben detailarm und lebensfremd. So hat der Kläger trotz entsprechender Nachfrage nicht vermocht, die Demonstration räumlich mehr als nur grob zu orientieren und ihre Dauer näher anzugeben. Auch die Größe des Teilnehmerkreises konnte er nicht näher bezeichnen. Daneben bleibt die Schilderung zu seiner angeblichen Festnahme oberflächlich und macht keinen selbst erlebten Eindruck. Trotz eindringlicher Aufforderung seines Prozessbevollmächtigten hat er deren Ablauf nicht nachvollziehbar beschrieben. Der Kläger hat auch nicht schlüssig darlegen können, warum er diese Angaben nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgebracht hat. Dass ihm erst ein später absolvierter (Deutsch- oder Integrations-)Kurs die Einsicht gegeben habe, in Deutschland – dem Land, in dem er um Schutz nachsucht – über seine politische Verfolgung sprechen zu können, überzeugt nicht. Der Kläger hat zum einen nicht näher erläutert, welchen Nachteil er meinte befürchten zu müssen, falls er die Teilnahme an einer politischen Demonstration und eine anschließende Festnahme in der Anhörung vor dem Bundesamt auf die Frage nach (politischer) Verfolgung angegeben hätte. Diese Erklärung erscheint andererseits deshalb unplausibel, weil die Anhörung erst ein Jahr nach seiner Einreise stattfand. In diesem Zeitraum dürfte der akademisch ausgebildete Kläger auch ohne einen Lehrkurs einen entsprechenden Eindruck von den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gewonnen haben.

41

Unabhängig davon lägen – bei entsprechender Wahrunterstellung des Vortrags – jedenfalls stichhaltige Gründe vor, die die Wiederholungsträchtigkeit des Geschehens entkräften würden. Dabei handelt es sich nämlich um einen abgeschlossenen Vorgang. Dass der Kläger wegen der angeblichen Teilnahme an der Demonstration weitere (Verfolgungs-)Maßnahmen zu erwarten hätte, geht daraus nicht hervor. Mit Unterzeichnung der Unterlassungserklärung und Freilassung des Klägers scheint die Angelegenheit für die PDK-Angehörigen vielmehr erledigt gewesen zu sein. Der Kläger hat außerdem angegeben, dass er zukünftig nicht mehr in gleicher Weise politisch aktiv werden wolle.

42

(3) Soweit der Kläger sich auf eine zeitlich nicht näher bestimmte Todesdrohung gegen ihn beruft, begründet auch dies eine Vorverfolgung nicht. Dem Vortrag fehlt es an der – auch auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgten – erforderlichen Substantiierung, etwa zur Person des Drohenden, zum Zeitpunkt der Drohung(en) und zu der Situation, in der die Drohung vorgenommen worden sein soll. Auf dieser Grundlage konnte die Kammer eine Überzeugung von der Wahrheit einer solchen Bedrohungssituation nicht gewinnen.

43

bb. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

44

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (so genannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris, Rn. 21).

45

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris, Rn. 24).

46

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 14.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 21).

47

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Herkunftsregion des Klägers weder durch staatliche (dazu (1)), noch durch nichtstaatliche Akteure (dazu (2)) festzustellen.

48

(1) Eine systematische Verfolgung der Jesiden durch staatliche Behörden (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder (Regierungs-)Parteien (§ 3c Nr. 2 AsylG) findet in der Region Kurdistan-Irak, zu der Dohuk, die Herkunftsprovinz des Klägers, zählt, nicht statt (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; i.E. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die vom Kläger geäußerte Befürchtung, die kurdische Regionalregierung setze dazu an, den Völkermord des IS an den Jesiden zu vervollständigen, findet keine Stütze in den Erkenntnismitteln.

49

Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 11). In der Region Kurdistan-Irak ist im Mai 2015 ein Gesetz zum Schutz religiöser Minderheiten in Kraft getreten, das zahlreiche Minderheitenrechte verbürgt und ein weit gefasstes Diskriminierungsverbot vorsieht (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 13). Dort sowie in den weiteren Gebiete, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten nach der Erkenntnislage weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12). Die Region gilt innerhalb des Iraks traditionell als sicherer Hafen für religiöse Minderheiten (vgl. UK Home Office, a.a.O., S. 7). Insbesondere in der Stadt Dohuk, also in unmittelbarer Nähe des Heimatdorfes des Klägers, gibt es sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben (so Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18). Es wird auch berichtet, dass Mitglieder religiöser Minderheiten bei der Einreise in die Region Kurdistan-Irak weniger strengen Regeln unterworfen werden als (arabische und turkmenische) Muslime und sich dort einfacher niederlassen können (vgl. UNHCR, Iraq, Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative [IFA/IRA], 12.4.2017, S. 7 ff.).

50

Zwar wird auch von Schikanen oder Übergriffen von Peschmerga-Milizionären und Mitgliedern der Geheimpolizei der kurdischen Regionalregierung, Asayish, auf Angehörige von Minderheiten berichtet (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; UK Home Office, a.a.O., S. 19 f.). Doch bleiben diese Berichte vereinzelt und beziehen sich allein auf die kurdisch kontrollierten Gebiete außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Daraus ergibt sich nicht, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak flächendeckend menschenrechtswidrige Handlungen vorgenommen würden, wie es für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr spricht im Übrigen der Umstand, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Jesiden in die Region Kurdistan-Irak, insbesondere in die Provinz Dohuk, geflohen sind (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; dazu auch VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36).

51

Dieses Lagebild hat der Kläger durch sein Vorbringen nicht erschüttert. Für den angeführten Überfall auf den jesidischen Journalisten Heci Baadri und das Vorgehen der kurdischen Geheimpolizei gegen die jesidische Nichtregierungsorganisation Yazda in Dohuk deuten die eingereichten Nachrichtenmeldungen jeweils auf einen politischen Anlass und keine Anknüpfung an die jesidische Religion hin. Danach sei der Journalist wegen Facebook-Einträgen, in denen er der PDK Korruption vorgeworfen habe, zusammengeschlagen worden; die Schließung des Yazda-Büros stehe im Zusammenhang mit einem Machtkampf um die Vorherrschaft in dem Distrikt Sindschar in der Provinz Ninive (außerhalb der Region Kurdistan-Irak). Auch daraus, dass kurdische Peschmerga-Kräfte Anfang August 2014 aus dem Distrikt Sindschar geflohen sind und die dortige jesidische Bevölkerung ohne militärischen Schutz dem herannahenden IS ausgesetzt haben, kann vor dem Hintergrund der sonstigen Erkenntnisse nicht geschlossen werden, dass der kurdische Regierungsapparat Maßnahmen gegen Jesiden innerhalb der Region Kurdistan-Irak ergreift. Insoweit kommt den beiden Vorfälle im März 2017, die ausweislich der eingereichten Nachrichtenmeldungen ebenso dem Ringen zwischen der kurdischen Regionalregierung und einer der als Terrororganisation eingestuften PKK nahe stehenden (jesidischen) Miliz um den Distrikt Sindschar zuzurechnen waren, ebenfalls keine entscheidungserhebliche Aussagekraft für die Verhältnisse in der Region Kurdistan-Irak zu.

52

(2) Dem Kläger droht auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG).

53

Eine Gruppenverfolgung durch den IS in der Heimatregion des Klägers ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit Blick auf dessen Gebiets- und Machtverlust nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 2. a. aa. (1) Bezug genommen. Insbesondere können aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel sowie anderer öffentlich zugänglicher Erkenntnisquellen für die Provinz Dohuk keine dem IS zuzuschreibenden Verfolgungshandlungen festgestellt werden.

54

Auch von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in der Provinz Dohuk geht keine Gruppenverfolgung aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass nach der Erkenntnislage in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung nicht nur vereinzelt Ressentiments gegenüber Angehörigen des jesidischen Glaubens bestehen und das Nebeneinander der Glaubensrichtungen durch – mitunter erhebliche – Spannungen gekennzeichnet ist. Die Erkenntnismittel belegen Belästigungen durch strenggläubige Muslime und Diskriminierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, sowie häufige öffentliche Schmähungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche v. 20.5.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungshandlungen müssen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen, denn nur solche Handlungen sind im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder sind, wenn sie aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG so gravierend, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie bei einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte betroffen ist. Ein „feindliches Klima“ einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen Anpassungsprozesses ist nicht automatisch Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1990, 9 C 17/89, juris, Rn. 11 zu Jesiden in der Türkei).

55

Die vom Kläger konkret benannten Vorfälle in der Region Kurdistan-Irak bzw. in den faktisch kurdisch kontrollierten Teilen der Provinz Ninive – insbesondere pogromartige Überfälle muslimischer Extremisten auf jesidische Geschäfte im Jahr 2011 und eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen muslimischen Kurden und Jesiden in einem Flüchtlingslager in Akre im September 2015 – stehen hierzu nicht im Widerspruch. Angesichts ihrer zeitlichen Verteilung und mit Blick auf die hunderttausende zählende jesidische Bevölkerung in der Region Kurdistan-Irak (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017) stellen sich diese vielmehr als einzelne herausragende Ereignisse dar. Auch in einer Gesamtschau ist nicht erkennbar, dass eine Vielzahl von Verfolgungsschlägen aus der Zivilbevölkerung gegen Jesiden vorliegt, die sich derart wiederholen und um sich greifen, dass nicht nur die Möglichkeit, sondern die für eine Gruppenverfolgung erforderliche aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit jedes Jesiden besteht. Im Übrigen geht aus den von dem Kläger überreichten Nachrichtenmeldungen selbst hervor, dass die kurdischen Sicherheitskräfte bei den Vorfällen in der Provinz Dohuk 2011 und in Akre 2015 jeweils eingegriffen und damit grundsätzlich Schutzwillen und -fähigkeit im Sinne des § 3d Abs. 1 AsylG gegen Übergriffe aus der Zivilbevölkerung gezeigt haben.

56

b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

57

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

58

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 Buchst. f) Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „...tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt – wie oben bereits ausgeführt – voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 32 zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist – wie im Falle einer Vorverfolgung – nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

59

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

60

aa. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in die Provinz Dohuk die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Soweit der Kläger sich davor fürchtet, von dem IS getötet zu werden oder von der kurdischen Regierung oder der muslimischen Mehrheitsbevölkerung unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden, gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

61

bb. Auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in-folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.

62

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).

63

Ein inner- oder zwischenstaatlicher Konflikt in diesem Sinne findet in der Region Kurdistan-Irak bzw. in Dohuk, der Herkunftsprovinz des Klägers, derzeit nicht statt (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. 26.7.2017,20 K 3549/17.A, juris, Rn. 60; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 81 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 47 ff.). Bereits vor der Zurückdrängung des IS war die Region Kurdistan-Irak von der von dieser Organisation ausgehenden Bedrohung und den damit in Zusammenhang stehenden Kämpfen nicht direkt erfasst, auch wenn dort die Sicherheitslage angespannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12; Lagebericht 2016, S. 9). Soweit die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt waren, ereigneten sich diese außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Zwar kommt es innerhalb der Region, insbesondere in nördlich gelegenen Dörfern der Provinz Dohuk, seit Juli 2015 zu Luftschlägen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, die teilweise zivile Opfer fordern. Über diese Angriffe wurde auch im Jahr 2017 weiterhin berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 16; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen, 10.5.2017). Dies bleibt aber hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück (so auch VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 89 ff.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak in absehbarer Zukunft ein Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entstehen wird.

64

Unabhängig davon bietet auch die Zahl der von willkürlicher Gewalt betroffenen Personen keinen Grund für die Annahme, dass jede Zivilperson in der Region Kurdistan-Irak bzw. in der Provinz Dohuk allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Bei der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count sind für das Jahr 2016 vier getötete Zivilisten, für das Jahr 2017 – insoweit sind Zahlen aber nur bis Februar verfügbar – keine Sicherheitsvorfälle und für 2018 (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) bislang ein getöteter Zivilist in der Provinz Dohuk verzeichnet (vgl. www.iraqbodycount.org/database – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). Der Blogger Joel Wing, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, vermerkt für die Provinz Dohuk im Januar 2018 nur einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem betroffenen Zivilisten, im Dezember 2017 drei Vorfälle mit insgesamt 21 Betroffenen, im November 2017 drei Vorfälle mit sieben Betroffenen, für den Monat Juli zwei Vorfälle mit sechs Betroffenen und für Mai zwei Vorfälle mit zwölf Betroffenen; für die restlichen Monate des Jahres 2017 notiert er jeweils keinen Vorfall (vgl. www.musingsoniraq.blogspot.com – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). In Bezug zur Einwohnerzahl Dohuks – bereits vor der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge ca. eine Million (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12) – und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer und des Umstands, dass sich die jesidische Glaubenszugehörigkeit gefahrerhöhend auswirken kann, bleibt die aktuelle Zahl der Gewaltbetroffenen deutlich hinter dem Maß zurück, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Bedrohung auch bei wertender Betrachtung noch nicht zu begründen vermag.

65

c.Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungs-verbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

66

aa. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

67

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36).

68

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutzstatus unter II. 2. b. Bezug genommen. Auch humanitäre Gründe führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

69

Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen ein-schließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).

70

Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen in der Region Kurdistan-Irak, insbesondere der Provinz Dohuk.

71

Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

72

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-)Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrischen Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

73

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- USD/Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8 angestiegen und wird mit zuletzt 14 v.H. im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4 v.H. gegenüber 9,7 v.H. bei Männern (ebda.). Fast zwei v.H. der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen nicht über ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittellieferungen funktioniert das System relativ gut in Dohuk und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

74

Trotz der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

75

Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren, sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum dort selbst zu sichern.

76

Der Kläger ist – auch ohne verwandtschaftliche Unterstützung – darauf zu verweisen, sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu sichern. Er ist knapp über dreißig Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Derzeitig bestehende körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Er ist kurdischer Volkszugehörigkeit, spricht Kurmandschi und ist in der Provinz Dohuk sozialisiert, insbesondere hat er dort studiert. Er hat einen Hochschulabschluss als Elektro- und Computeringenieur und hat bereits mit Personalverantwortung im Leitungsbau gearbeitet. Dies alles spricht dafür, dass er zahlreiche Anlaufstellen für die Arbeitssuche hätte und über eine Qualifikation verfügt, die ihn von vielen Mitbewerbern um Arbeitsplätze abhöbe. So müsste er gerade nicht in Konkurrenz zu der Vielzahl an niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden treten. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass jedenfalls die berichteten Arbeitslosenquoten für Männer – selbst unter Berücksichtigung einer Abweichung von der tatsächlichen Arbeitslosenquote – im internationalen Vergleich nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten sind. Die Kammer hält es zudem nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seines jesidischen Glaubens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden würde. Zwar entsprechen die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Erkenntnislage, aus der die Diskriminierung von Jesiden auf dem Arbeitsmarkt hervorgeht (dazu bereits oben). Dass es – insbesondere aus der Provinz Dohuk selbst stammenden – Jesiden aber auch mit Mühe nicht gelingen kann, dort Arbeit zu finden, geht aus den Erkenntnismitteln nicht hervor. Dagegen sprechen neben der Tatsache, dass es in Dohuk sehr viele – von Verfolgung und Unterdrückung weitgehend freie – Jesiden gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18), auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Aus diesen ergibt sich nicht, dass ihm jemals eine Arbeitsstelle aus religiösen Gründen verwehrt worden wäre. Soweit er die Diskriminierung von Jesiden am Arbeitsmarkt beklagt hat, hat er sich erkennbar auf die allgemeinen Zustände bezogen. Vielmehr hat er angegeben, seinen letzten, für irakische Verhältnisse gut bezahlten Arbeitsplatz innerhalb kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten gefunden zu haben. Nachdem der Arbeitgeber den Betrieb in der Region Kurdistan-Irak wegen des Vorrückens des IS eingestellt habe, habe er sich bis zu seiner Ausreise nicht noch einmal auf Arbeitsplatzsuche begeben. Darüber hinaus hat er angegeben, dass auch sein Vater noch 2015 Gelegenheitsarbeit habe finden können. Als jesidischer Kurde, der in der Region Kurdistan-Irak registriert ist, könnte der Kläger zudem sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und sich dort wieder niederlassen (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12.4.2017, S. 8; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 15 ff.; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 19/17 A, juris, Rn. 38 ff.). Schließlich berücksichtigt die Kammer, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak perspektivisch verbessern dürfte, da zu erwarten ist, dass zumindest ein Teil der dorthin gelangten Binnenflüchtlinge langsam in ihre von der Herrschaft des IS befreiten Herkunftsregionen außerhalb der Region Kurdistan-Irak zurückkehrt.

77

Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären.

78

bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

79

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

80

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

81

Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen drohte dem Kläger im Falle der Abschiebung hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

82

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).

83

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu II. 2. a., b., und c.aa. Ausgeführte entsprechend.

84

d. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

85

e. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger diesbezüglich keine Einwendungen vorgebracht und insbesondere keine fehlerhafte Ermessensausübung gerügt hat.

III.

86

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes, hilfsweise des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Iraks.

2

Der Kläger, ein irakischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit und jesidischen Glaubens, reiste am 9. September 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Februar 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag, den er später auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkte.

3

Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. September 2016 gab er im Wesentlichen an, er stamme aus dem Dorf K. südlich von Dohuk. Er habe in Dohuk studiert und sei ausgebildeter Ingenieur „für Elektro und Computer“. Zuletzt habe er sechs Monate als Elektriker an unterschiedlichen Orten gearbeitet. Seine Eltern lebten in der Türkei. Im Irak habe er keine Verwandten. Er sei vor Kriegshandlungen des IS geflüchtet, die in unmittelbarer Nähe des Dorfes stattgefunden hätten. Der IS sei nämlich ungefähr einen Kilometer von dem Dorf entfernt gewesen und habe es mit Raketen beschossen. Ein Kommilitone von ihm sei durch den IS umgebracht worden; auch er selbst habe Angst gehabt, von dem IS getötet zu werden. Des Weiteren habe er sich allgemein verfolgt gefühlt. Er habe, weil er Jeside sei, immer Probleme gehabt. Die kurdischen Muslime und die Araber hätten die Jesiden nicht akzeptiert. Konkret habe ihm eine andere Person dreimal gesagt, er müsse Muslim sein, sonst könne dieser ihn töten. Für den Fall einer Rückkehr in den Irak fürchte er, getötet zu werden.

4

Mit Bescheid vom 17. Januar 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab und erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu. Sie stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung oder, im Falle einer Klageerhebung, nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

5

Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger sei zunächst kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG, da keine flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungshandlungen nach § 3a AsylG ersichtlich seien, die eine Furcht vor Verfolgung begründen könnten. Hinsichtlich einer Verfolgung durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers habe sich die Lage seit August 2014 entscheidend verändert. Aus der Region Semel und Dohuk sei der IS bereits seit August 2014 vertrieben. Im Übrigen könne der Kläger, der auch in Kurdistan registriert sei, sich dort frei bewegen und internen Schutz innerhalb Kurdistans erlangen. Das von ihm geschilderte sonstige Geschehen in Anknüpfung an seinen Glauben besitze nicht die erforderliche Intensität und Schwere flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgungshandlungen. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Ein dafür erforderlicher ernsthafter Schaden drohe ihm nicht. Hierfür genüge die allgemeine Schilderung, dass kurdische Muslime und Araber in Kurdistan ihn nicht akzeptieren würden, nicht. Weder sei eine Bedrohung durch den IS in der kurdischen Heimatregion des Klägers zu gewärtigen noch herrsche dort ein sonstiger innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Insbesondere sei nichts für eine Art. 3 EMRK widersprechende individuelle Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ersichtlich. Auch die humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorläge. Dieser habe studiert und zuletzt als Ingenieur „für Elektro und Computer“ an unterschiedlichen Orten gearbeitet und könne sich im Falle einer Rückkehr diese berufliche Existenz wieder aufbauen. Auch mit Blick auf die Lage der Gesamtbevölkerung sei nicht dargelegt, dass der Kläger schlechter gestellt sei. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liege nicht vor, schon weil der Kläger krankheitsbedingte Gründe nicht vorgetragen habe. Auf die weitere Begründung des Bescheids (Bl. 82 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

6

Am 18. Januar 2017 gab die Beklagte den Bescheid zur Zustellung mit Postzustellungsurkunde auf. Den Briefumschlag adressierte sie an „X. 29-30“, den darin eingelegten Vordruck der Postzustellungsurkunde hingegen an die Anschrift „X. 13“. Am 23. Januar 2017 gelangte die Sendung als unzustellbar an die Beklagte zurück. Die Postzustellungsurkunde enthält den Vermerk, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nachdem der Kläger sich unter dem 21. März 2017 unter Angabe der Anschrift „X. 13“ nach dem Verfahrensstand erkundigt hatte, stellte die Beklagte den Bescheid am 25. März 2017 an diese Adresse durch Einlegung in den Briefkasten zu.

7

Der Kläger hat am 5. April 2017 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung vor, er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil er vor Islamisten geflohen sei, die einen Völkermord an den Jesiden verübt hätten. Die Jesiden seien auch in Kurdistan vor Verfolgung nicht sicher. Die dortige Regionalregierung habe die Jesiden vor den Moslems nie ernsthaft geschützt oder schützen wollen, sie und ihre Sicherheitskräfte hätten vielmehr die Jesiden im Irak im Sommer 2014 kampflos den Islamisten ausgeliefert und den Völkermord an den Jesiden so erst ermöglicht. In Flüchtlingscamps in Kurdistan seien mehrere Jesiden von muslimischen Flüchtlingen angegriffen und schwer verletzt oder sogar ermordet worden. Die kurdische Regionalregierung habe mehrere arabische bzw. kurdische muslimische Stämme in Mossul militärisch ausgebildet und bewaffnet, die an dem Völkermord an den Jesiden beteiligt gewesen seien. Die kurdische Geheimpolizei habe auch die weltweit größte jesidische Nichtregierungsorganisation, die in Dohuk ansässig gewesen sei, geschlossen. PDK-Milizen hätten den jesidischen Journalisten Karwan Heci Baadri wegen eines kritischen Facebook-Beitrags krankenhausreif geprügelt. Bereits 2007 und im Dezember 2011 hätten in Schechan und in mehreren kurdischen Städten, darunter Sacho und Dohuk, pogromähnliche Angriffe auf Jesiden stattgefunden. Keiner der Beteiligten sei jemals strafrechtlich belangt worden. Nun versuchten die von der PDK dominierten Peschmerga, den von den Islamisten nicht ganz vollendeten Völkermord an den Jesiden selbst zu Ende zu führen. Die Peschmerga hätten zusammen mit kurdisch-arabischen Muslimen Anfang März 2017 mehrmals Jesiden mit schweren Waffen angegriffen und mehrere, darunter zivile, Demonstranten getötet. Zusammenfassend könnten die Jesiden in Kurdistan kein menschenwürdiges Leben führen, weil sie dort wegen ihrer Religionszugehörigkeit einer schweren Diskriminierung durch die muslimisch-kurdische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt seien. Die Produkte von Jesiden, insbesondere Lebensmittelprodukte, würden von der muslimisch-kurdischen Bevölkerung nicht gekauft, weil diese die Jesiden und ihre Produkte als unrein einschätzten. Er könne daher auch sein wirtschaftliches Existenzminimum nicht sichern. Es entspreche im Übrigen der bisherigen Praxis der Beklagten, Jesiden als Gruppenverfolgte anzuerkennen. Drei seiner Brüder und seine Schwester seien in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der seine Ungleichbehandlung rechtfertige.

8

Der Kläger beantragt,

9

unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2017 die Beklagte zu verpflichten,

10

ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,

11

hilfsweise, ihm den Status als subsidiärer Schutzberechtigter gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

12

äußerst hilfsweise festzustellen, dass zu seinen Gunsten die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

13

Aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich der Antrag,

14

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

16

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 zur Sache persönlich angehört worden. Wegen des Inhalts der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Asylakte des Bundesamtes Bezug genommen, die wie auch die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

I.

18

Die Kammer kann trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung hierauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass bei der im Übrigen ordnungsgemäßen Ladung der Beklagten die zweiwöchige Ladungsfrist nach § 102 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterschritten wurde, da die Beklagte auf deren Einhaltung mit allgemeiner Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 verzichtet hat.

II.

19

Die Klage ist zulässig (dazu 1.), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg (dazu 2.).

20

1. Die am 5. April 2017 erhobene Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhoben worden, da der angegriffene Bescheid dem Kläger erst am 25. März 2017 zugestellt wurde.

21

Die Zustellung gilt dabei nicht bereits durch den Zustellversuch vom 19. Januar 2017 als bewirkt. Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG muss ein Ausländer zwar Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, gilt die Zustellung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG mit Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Diese Regelungen knüpfen an die Pflicht des Ausländers nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AsylG an, während der Dauer des Asylverfahrens seine Erreichbarkeit zu gewährleisten und insbesondere unverzüglich jeden Anschriftenwechsel mitzuteilen. Die Fiktion tritt nach Sinn und Zweck der Vorschrift daher nur ein, wenn für das Fehlschlagen der Zustellung oder der Übersendung eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des Ausländers ursächlich geworden ist (vgl. Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 10 AsylG, Rn. 29). Insbesondere muss die Beklagte sicherstellen, dass die Bekanntgabe oder Zustellung in einer Weise ordnungsgemäß durchgeführt wird, die sicherstellt, dass die Sendung den Ausländer an der nach § 10 Abs. 2 Sätze 1-3 AsylG maßgeblichen Anschrift grundsätzlich erreichen kann (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 15. Ed., Stand: 1.8.2017, § 10 AsylG, Rn. 31).

22

Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 AsylG sind nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall aber nicht erfüllt. Denn die Sendung war auf eine Weise adressiert, die bei dem üblichen Verlauf der Dinge eine Zustellung an der nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG maßgeblichen Anschrift gerade nicht sicherstellte. Die der Beklagten bekannte maßgebliche Adresse war „X. 13“. Auf dem Versandumschlag war jedoch die davon abweichende Adresse „X. 29-30“ angebracht. Der in dem Versandumschlag liegende Vordruck der Postzustellungsurkunde war zwar korrekt adressiert worden. Es konnte aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Postzusteller diese Diskrepanz bemerkt und den Zustellungsversuch an der richtigen Anschrift oder sogar an beiden Anschriften unternimmt, schon weil ihm unbekannt war, welche die richtige Zustellanschrift ist. Unabhängig hiervon geht die Kammer davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs an der Anschrift „X. 13“ für Zustellungen erreichbar war und der Zustellungsversuch vorliegend nicht an seiner mangelnden Mitwirkung gescheitert ist. Aus den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung geht hervor, dass er seit dem 18. Januar 2016 ununterbrochen an der Anschrift „X. 13“ gelebt hat und dort mittels eines eigenen Briefkastens für Postsendungen erreichbar war. Dort konnte dem Kläger der Bescheid im März 2017 schließlich auch erfolgreich zugestellt werden (Bl. 142 d. Asylakte). Der insoweit freien Überzeugungsbildung des Gerichts im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 286 ZPO stehen die Eintragungen auf der Postzustellungsurkunde vom 19. Januar 2017 nicht entgegen. Darauf hat der Postbedienstete als Grund der Nichtzustellung zwar vermerkt, dass der Adressat an der darauf angegebenen Anschrift „X. 13“ nicht zu ermitteln sei. Der Postzustellungsurkunde kommt vorliegend allerdings keine formelle Beweiskraft (§ 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. §§ 182 Abs. 1 Satz 2, 418 ZPO) zu, da sie entgegen § 182 Abs. 2 Nr. 8 ZPO den Namen und Vornamen des Zustellers nicht enthält (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v.; Beschl. v. 12.7.2017, 10 AE 6411/17, n.v.).

23

2. Die Klage ist aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn dem Kläger steht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu a.), noch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (dazu b.), noch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks (dazu c.) zu. Danach erweisen sich auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Wiedereinreiseverbots als rechtmäßig (dazu d. und e.).

24

a. Der Kläger hat im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

25

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.

26

Die weiteren Einzelheiten zu den Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft, u.a. zu den berücksichtigungsfähigen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen, den in Betracht kommenden Verfolgungsakteuren und, unter welchen Umständen ein Ausländer auf Schutzakteure in seinem Herkunftsland oder eine dortige inländische Fluchtalternative zu verweisen ist, regeln die §§ 3a - 3e AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU):

27

Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist, (Nr. 1) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2).

28

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

29

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

30

In der Definition der Flüchtlingseigenschaft und in der Richtlinie 2011/95/EU ist angelegt, dass den Flüchtlingsschutz nur derjenige beanspruchen kann, der Verfolgung aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zu erwarten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn 19). Eine solche beachtliche Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierte“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 32). Eine nach diesem Maßstab wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer quantitativen oder mathematischen Betrachtungsweise für dessen Eintritt ein Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, der – auch deutlich – unterhalb von 50 v.H. liegt. Entscheidend für die Beurteilung der Beachtlichkeit der Gefahr ist vielmehr der qualitative Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung ist, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten oder sich der Gefahr durch Rückkehr in das Heimatland auszusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.11.1991, 9 C 118/90, juris, Rn. 17, VGH Mannheim, Urt. v. 30.5.2017, A 9 S 991/15, juris, Rn. 25 ff.).

31

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU – diese Vorschrift hat keine nationale Entsprechung – ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies entspricht dem Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach zu differenzieren, ob der Ausländer bereits verfolgt worden ist oder nicht, der auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegt (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147, 181 u. 182/80, juris, Rn. 52; BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 21; Urt. v. 31.3.1981, 9 C 237/80, juris, Rn. 13). Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von der Vorschrift erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht jedoch durch eine Absenkung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Ausländer eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland erneut von Verfolgung bedroht werden und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzutragen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden Umstände erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23; EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, juris, Rn. 128).

32

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

33

aa. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

34

(1) Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er sein ausschließlich von Jesiden bewohntes Heimatdorf K. in der Provinz Dohuk (Region Kurdistan-Irak) wegen Artilleriebeschusses durch den so genannten Islamischen Staat (im Folgenden: IS) im August 2014 verlassen habe, führt dies nicht dazu, dass er sich mit Erfolg auf die Beweiserleichterung berufen kann. Zwar dürfte der Kläger auf Grundlage seines Vortrags insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; für den südlichen Teil der Provinz Dohuk daher eine Gruppenverfolgung annehmend VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a K 9307/16.A, juris, Rn. 55 ff.).

35

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris, Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris, Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris, Rn. 11).

36

Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich seit August 2014 insoweit grundlegend geändert, als dass der IS in der Provinz Ninive keine quasistaatliche Macht im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt, die Grundlage der von IS-Kämpfern und -Anhängern durchgeführten großflächigen Verfolgungsmaßnahmen war. Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt im gesamten Irak fast vollständig verloren. Die Städte Sindschar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung bzw. der ihr unterstehenden Popular Mobilisation Forces (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Republik Österreich), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 18). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 56). Die letzten irakischen Städte, die sich unter der Kontrolle des IS befunden haben – Al-Qaim, Ana und Rawa im Westen des Landes – wurden im November 2017 von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 8). Allein das Wüstengebiet nördlich dieser Städte – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat der IS auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Dies gilt insbesondere für ein erstmaliges Vordringen in die – hier maßgebliche – Provinz Dohuk. Zwar ist nicht zu verkennen, dass mit dem militärischen Sieg über den IS nicht sämtliche Anhänger des IS aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet verschwunden sind. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein Teil dieser Gruppe in der Zivilbevölkerung untergetaucht ist (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Dies dürfte daher auch nicht bedeuten, dass es von Seiten der untergetauchten IS-Kämpfer zu keinerlei Menschenrechtsverletzungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Der IS dürfte sich aber künftig auf die Verübung terroristischer Anschläge konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 6, 16). Dabei ist zu beachten, dass solche terroristische Anschläge nicht stets als gezielte Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer aufgefasst werden können. Oftmals stellen diese Anschläge eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung dar, welche nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris, Rn. 32). Damit ist jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass der IS in der Herkunftsprovinz des Klägers nicht in der Lage ist bzw. in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden wie noch 2014 gezielt und flächendeckend zu verfolgen (ebenso für die Verfolgung von Jesiden VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris, Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris, Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris, Rn. 45 ff.; i.E. ebenso VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., S. 14 UA; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris, Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., S. 10 ff. UA; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris, Rn. 33).

37

Dem entspricht es, dass der Kläger bereits einige Wochen nach seiner erstmaligen Flucht in sein Heimatdorf zurückkehrte und dort noch bis zu seiner Ausreise ein Jahr später lebte, wie er in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat.

38

(2) Der Vortrag des Klägers, er sei als Teilnehmer einer Demonstration für die Freilassung des von kurdischen Behörden inhaftierten jesidischen Milizkommandanten Heydar Schescho im Y. 2015 von Angehörigen der Partei PDK festgenommen und ihm sei eine Unterlassungserklärung mit Blick auf weitere gegen die PDK gerichtete Aktivitäten abgenötigt worden, begründet eine Vorverfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU schon deshalb nicht, weil die Kammer sich von der Wahrheit seiner diesbezüglichen Schilderungen nicht zu überzeugen vermochte.

39

Auch in Asylstreitsachen müssen die Verwaltungsgerichte die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals erlangen (vgl. grundsätzlich BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, 9 C 109/84, juris, Rn. 16), wobei der allgemeine Grundsatz gilt, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Darüber hinaus ist die besondere Beweisnot des mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der Verfolgungsgründe beschwerten Asylsuchenden zu berücksichtigen. Dazu kann seinen Erklärungen größere Bedeutung beigemessen werden, als sie sonstigen Parteibekundungen zukommt; ihr Beweiswert soll im Rahmen des Möglichen wohlwollend beurteilt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1985, a.a.O.). Bei der somit genügenden Glaubhaftmachung ist es mit Blick auf die in § 25 AsylG geregelten, auf Art. 4 Richtlinie 2011/95/EU zurückgehenden Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Ausländers und seiner daran anknüpfenden prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO allerdings seine Sache, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 19.10.2001, 1 B 24/01, juris, Rn. 5; Urt. v. 24.3.1987, 9 C 321/85, juris, Rn. 9). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer aber nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.2.1988, 9 C 273/86, juris, Rn. 11).

40

Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs erachtet die Kammer die erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Angaben des Klägers zu der Demonstration und Festnahme im Y. 2015 als nicht glaubhaft. Sie bleiben detailarm und lebensfremd. So hat der Kläger trotz entsprechender Nachfrage nicht vermocht, die Demonstration räumlich mehr als nur grob zu orientieren und ihre Dauer näher anzugeben. Auch die Größe des Teilnehmerkreises konnte er nicht näher bezeichnen. Daneben bleibt die Schilderung zu seiner angeblichen Festnahme oberflächlich und macht keinen selbst erlebten Eindruck. Trotz eindringlicher Aufforderung seines Prozessbevollmächtigten hat er deren Ablauf nicht nachvollziehbar beschrieben. Der Kläger hat auch nicht schlüssig darlegen können, warum er diese Angaben nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgebracht hat. Dass ihm erst ein später absolvierter (Deutsch- oder Integrations-)Kurs die Einsicht gegeben habe, in Deutschland – dem Land, in dem er um Schutz nachsucht – über seine politische Verfolgung sprechen zu können, überzeugt nicht. Der Kläger hat zum einen nicht näher erläutert, welchen Nachteil er meinte befürchten zu müssen, falls er die Teilnahme an einer politischen Demonstration und eine anschließende Festnahme in der Anhörung vor dem Bundesamt auf die Frage nach (politischer) Verfolgung angegeben hätte. Diese Erklärung erscheint andererseits deshalb unplausibel, weil die Anhörung erst ein Jahr nach seiner Einreise stattfand. In diesem Zeitraum dürfte der akademisch ausgebildete Kläger auch ohne einen Lehrkurs einen entsprechenden Eindruck von den hiesigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen gewonnen haben.

41

Unabhängig davon lägen – bei entsprechender Wahrunterstellung des Vortrags – jedenfalls stichhaltige Gründe vor, die die Wiederholungsträchtigkeit des Geschehens entkräften würden. Dabei handelt es sich nämlich um einen abgeschlossenen Vorgang. Dass der Kläger wegen der angeblichen Teilnahme an der Demonstration weitere (Verfolgungs-)Maßnahmen zu erwarten hätte, geht daraus nicht hervor. Mit Unterzeichnung der Unterlassungserklärung und Freilassung des Klägers scheint die Angelegenheit für die PDK-Angehörigen vielmehr erledigt gewesen zu sein. Der Kläger hat außerdem angegeben, dass er zukünftig nicht mehr in gleicher Weise politisch aktiv werden wolle.

42

(3) Soweit der Kläger sich auf eine zeitlich nicht näher bestimmte Todesdrohung gegen ihn beruft, begründet auch dies eine Vorverfolgung nicht. Dem Vortrag fehlt es an der – auch auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung nicht erfolgten – erforderlichen Substantiierung, etwa zur Person des Drohenden, zum Zeitpunkt der Drohung(en) und zu der Situation, in der die Drohung vorgenommen worden sein soll. Auf dieser Grundlage konnte die Kammer eine Überzeugung von der Wahrheit einer solchen Bedrohungssituation nicht gewinnen.

43

bb. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

44

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (so genannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris, Rn. 21).

45

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris, Rn. 24).

46

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris, Rn. 14.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O., Rn. 21).

47

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden in der Herkunftsregion des Klägers weder durch staatliche (dazu (1)), noch durch nichtstaatliche Akteure (dazu (2)) festzustellen.

48

(1) Eine systematische Verfolgung der Jesiden durch staatliche Behörden (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder (Regierungs-)Parteien (§ 3c Nr. 2 AsylG) findet in der Region Kurdistan-Irak, zu der Dohuk, die Herkunftsprovinz des Klägers, zählt, nicht statt (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; i.E. auch VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die vom Kläger geäußerte Befürchtung, die kurdische Regionalregierung setze dazu an, den Völkermord des IS an den Jesiden zu vervollständigen, findet keine Stütze in den Erkenntnismitteln.

49

Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 11). In der Region Kurdistan-Irak ist im Mai 2015 ein Gesetz zum Schutz religiöser Minderheiten in Kraft getreten, das zahlreiche Minderheitenrechte verbürgt und ein weit gefasstes Diskriminierungsverbot vorsieht (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 13). Dort sowie in den weiteren Gebiete, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten nach der Erkenntnislage weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12). Die Region gilt innerhalb des Iraks traditionell als sicherer Hafen für religiöse Minderheiten (vgl. UK Home Office, a.a.O., S. 7). Insbesondere in der Stadt Dohuk, also in unmittelbarer Nähe des Heimatdorfes des Klägers, gibt es sehr viele Jesiden, die dort weitgehend ohne Unterdrückung oder Verfolgung leben (so Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18). Es wird auch berichtet, dass Mitglieder religiöser Minderheiten bei der Einreise in die Region Kurdistan-Irak weniger strengen Regeln unterworfen werden als (arabische und turkmenische) Muslime und sich dort einfacher niederlassen können (vgl. UNHCR, Iraq, Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative [IFA/IRA], 12.4.2017, S. 7 ff.).

50

Zwar wird auch von Schikanen oder Übergriffen von Peschmerga-Milizionären und Mitgliedern der Geheimpolizei der kurdischen Regionalregierung, Asayish, auf Angehörige von Minderheiten berichtet (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; UK Home Office, a.a.O., S. 19 f.). Doch bleiben diese Berichte vereinzelt und beziehen sich allein auf die kurdisch kontrollierten Gebiete außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Daraus ergibt sich nicht, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak flächendeckend menschenrechtswidrige Handlungen vorgenommen würden, wie es für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr spricht im Übrigen der Umstand, dass in den vergangenen Jahren hunderttausende Jesiden in die Region Kurdistan-Irak, insbesondere in die Provinz Dohuk, geflohen sind (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017; dazu auch VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36).

51

Dieses Lagebild hat der Kläger durch sein Vorbringen nicht erschüttert. Für den angeführten Überfall auf den jesidischen Journalisten Heci Baadri und das Vorgehen der kurdischen Geheimpolizei gegen die jesidische Nichtregierungsorganisation Yazda in Dohuk deuten die eingereichten Nachrichtenmeldungen jeweils auf einen politischen Anlass und keine Anknüpfung an die jesidische Religion hin. Danach sei der Journalist wegen Facebook-Einträgen, in denen er der PDK Korruption vorgeworfen habe, zusammengeschlagen worden; die Schließung des Yazda-Büros stehe im Zusammenhang mit einem Machtkampf um die Vorherrschaft in dem Distrikt Sindschar in der Provinz Ninive (außerhalb der Region Kurdistan-Irak). Auch daraus, dass kurdische Peschmerga-Kräfte Anfang August 2014 aus dem Distrikt Sindschar geflohen sind und die dortige jesidische Bevölkerung ohne militärischen Schutz dem herannahenden IS ausgesetzt haben, kann vor dem Hintergrund der sonstigen Erkenntnisse nicht geschlossen werden, dass der kurdische Regierungsapparat Maßnahmen gegen Jesiden innerhalb der Region Kurdistan-Irak ergreift. Insoweit kommt den beiden Vorfälle im März 2017, die ausweislich der eingereichten Nachrichtenmeldungen ebenso dem Ringen zwischen der kurdischen Regionalregierung und einer der als Terrororganisation eingestuften PKK nahe stehenden (jesidischen) Miliz um den Distrikt Sindschar zuzurechnen waren, ebenfalls keine entscheidungserhebliche Aussagekraft für die Verhältnisse in der Region Kurdistan-Irak zu.

52

(2) Dem Kläger droht auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure (§ 3c Nr. 3 AsylG).

53

Eine Gruppenverfolgung durch den IS in der Heimatregion des Klägers ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit Blick auf dessen Gebiets- und Machtverlust nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II. 2. a. aa. (1) Bezug genommen. Insbesondere können aufgrund der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel sowie anderer öffentlich zugänglicher Erkenntnisquellen für die Provinz Dohuk keine dem IS zuzuschreibenden Verfolgungshandlungen festgestellt werden.

54

Auch von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung in der Provinz Dohuk geht keine Gruppenverfolgung aus (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris, Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris, Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris, Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris, Rn. 16; VG Stuttgart, Urt. v. 17.1.2017, A 13 K 6896/16, juris, S. 6 f. UA). Die Kammer verkennt dabei nicht, dass nach der Erkenntnislage in der muslimischen Mehrheitsbevölkerung nicht nur vereinzelt Ressentiments gegenüber Angehörigen des jesidischen Glaubens bestehen und das Nebeneinander der Glaubensrichtungen durch – mitunter erhebliche – Spannungen gekennzeichnet ist. Die Erkenntnismittel belegen Belästigungen durch strenggläubige Muslime und Diskriminierungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, sowie häufige öffentliche Schmähungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious Minorities, 12.8.2016, S. 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche v. 20.5.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgungshandlungen müssen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen, denn nur solche Handlungen sind im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder sind, wenn sie aus einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG so gravierend, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie bei einer schwerwiegenden Verletzung der Menschenrechte betroffen ist. Ein „feindliches Klima“ einschließlich möglicher Diskriminierungen oder Benachteiligungen der Bevölkerungsminderheit durch die Bevölkerungsmehrheit oder aber die allmähliche Assimilation ethnischer oder religiöser Minderheiten als Folge eines langfristigen Anpassungsprozesses ist nicht automatisch Gruppenverfolgung (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.5.1990, 9 C 17/89, juris, Rn. 11 zu Jesiden in der Türkei).

55

Die vom Kläger konkret benannten Vorfälle in der Region Kurdistan-Irak bzw. in den faktisch kurdisch kontrollierten Teilen der Provinz Ninive – insbesondere pogromartige Überfälle muslimischer Extremisten auf jesidische Geschäfte im Jahr 2011 und eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen muslimischen Kurden und Jesiden in einem Flüchtlingslager in Akre im September 2015 – stehen hierzu nicht im Widerspruch. Angesichts ihrer zeitlichen Verteilung und mit Blick auf die hunderttausende zählende jesidische Bevölkerung in der Region Kurdistan-Irak (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017) stellen sich diese vielmehr als einzelne herausragende Ereignisse dar. Auch in einer Gesamtschau ist nicht erkennbar, dass eine Vielzahl von Verfolgungsschlägen aus der Zivilbevölkerung gegen Jesiden vorliegt, die sich derart wiederholen und um sich greifen, dass nicht nur die Möglichkeit, sondern die für eine Gruppenverfolgung erforderliche aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit jedes Jesiden besteht. Im Übrigen geht aus den von dem Kläger überreichten Nachrichtenmeldungen selbst hervor, dass die kurdischen Sicherheitskräfte bei den Vorfällen in der Provinz Dohuk 2011 und in Akre 2015 jeweils eingegriffen und damit grundsätzlich Schutzwillen und -fähigkeit im Sinne des § 3d Abs. 1 AsylG gegen Übergriffe aus der Zivilbevölkerung gezeigt haben.

56

b. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

57

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

58

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 Buchst. f) Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „...tatsächlich Gefahr liefe...“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris, Rn. 22). Dieser Maßstab setzt – wie oben bereits ausgeführt – voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 32 zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist – wie im Falle einer Vorverfolgung – nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

59

Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.

60

aa. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr in die Provinz Dohuk die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Soweit der Kläger sich davor fürchtet, von dem IS getötet zu werden oder von der kurdischen Regierung oder der muslimischen Mehrheitsbevölkerung unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden, gilt das oben zu der Gefahr einer Verfolgung Ausgeführte entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

61

bb. Auch eine ernsthafte individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in-folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt im Fall des Klägers nicht vor.

62

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris, Rn. 21 f.). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z.B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 13; Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris, Rn. 17). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 davon, dass der "tatsächliche Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berücksichtigen sei (C-465/07, juris, Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, a.a.O.). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, C-465/07, juris, Rn. 43). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnender Umstände spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z.B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris, Rn. 33). Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125 v.H., in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris, Rn. 22 f.).

63

Ein inner- oder zwischenstaatlicher Konflikt in diesem Sinne findet in der Region Kurdistan-Irak bzw. in Dohuk, der Herkunftsprovinz des Klägers, derzeit nicht statt (vgl. VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris, Rn. 31; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris, Rn. 38; VG Düsseldorf, Urt. 26.7.2017,20 K 3549/17.A, juris, Rn. 60; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 81 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris, Rn. 47 ff.). Bereits vor der Zurückdrängung des IS war die Region Kurdistan-Irak von der von dieser Organisation ausgehenden Bedrohung und den damit in Zusammenhang stehenden Kämpfen nicht direkt erfasst, auch wenn dort die Sicherheitslage angespannt ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 12; Lagebericht 2016, S. 9). Soweit die kurdischen Peschmerga-Streitkräfte in Kampfhandlungen verwickelt waren, ereigneten sich diese außerhalb der Region Kurdistan-Irak. Zwar kommt es innerhalb der Region, insbesondere in nördlich gelegenen Dörfern der Provinz Dohuk, seit Juli 2015 zu Luftschlägen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK, die teilweise zivile Opfer fordern. Über diese Angriffe wurde auch im Jahr 2017 weiterhin berichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 16; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitslage in der autonomen Region Kurdistan-Irak: Kampfhandlungen, Anschläge und Zielgruppen, 10.5.2017). Dies bleibt aber hinter dem Ausmaß eines bürgerkriegsähnlichen Konflikts zurück (so auch VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 A 9944/16.A, juris, Rn. 89 ff.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass innerhalb der Region Kurdistan-Irak in absehbarer Zukunft ein Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG entstehen wird.

64

Unabhängig davon bietet auch die Zahl der von willkürlicher Gewalt betroffenen Personen keinen Grund für die Annahme, dass jede Zivilperson in der Region Kurdistan-Irak bzw. in der Provinz Dohuk allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Bei der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count sind für das Jahr 2016 vier getötete Zivilisten, für das Jahr 2017 – insoweit sind Zahlen aber nur bis Februar verfügbar – keine Sicherheitsvorfälle und für 2018 (im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) bislang ein getöteter Zivilist in der Provinz Dohuk verzeichnet (vgl. www.iraqbodycount.org/database – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). Der Blogger Joel Wing, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, vermerkt für die Provinz Dohuk im Januar 2018 nur einen sicherheitsrelevanten Vorfall mit einem betroffenen Zivilisten, im Dezember 2017 drei Vorfälle mit insgesamt 21 Betroffenen, im November 2017 drei Vorfälle mit sieben Betroffenen, für den Monat Juli zwei Vorfälle mit sechs Betroffenen und für Mai zwei Vorfälle mit zwölf Betroffenen; für die restlichen Monate des Jahres 2017 notiert er jeweils keinen Vorfall (vgl. www.musingsoniraq.blogspot.com – letztmals aufgerufen am 11. April 2018). In Bezug zur Einwohnerzahl Dohuks – bereits vor der Aufnahme hunderttausender Flüchtlinge ca. eine Million (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12) – und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer und des Umstands, dass sich die jesidische Glaubenszugehörigkeit gefahrerhöhend auswirken kann, bleibt die aktuelle Zahl der Gewaltbetroffenen deutlich hinter dem Maß zurück, das nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer individuellen Bedrohung auch bei wertender Betrachtung noch nicht zu begründen vermag.

65

c.Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungs-verbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

66

aa. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

67

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13/96, BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b) Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013,10 C 15/12, juris, Rn. 36).

68

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutzstatus unter II. 2. b. Bezug genommen. Auch humanitäre Gründe führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

69

Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen ein-schließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Herkunftsland des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.; zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 23 ff.).

70

Nach Maßgabe dieser – strengen – Anforderungen besteht kein Abschiebungsverbot aufgrund der humanitären Bedingungen in der Region Kurdistan-Irak, insbesondere der Provinz Dohuk.

71

Nach der Erkenntnislage des Gerichts besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90 v.H. der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57 v.H. der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

72

Es ist außerdem nicht zu verkennen, dass auch die Region Kurdistan-Irak in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-)Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrischen Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

73

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- USD/Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8 angestiegen und wird mit zuletzt 14 v.H. im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4 v.H. gegenüber 9,7 v.H. bei Männern (ebda.). Fast zwei v.H. der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen nicht über ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittellieferungen funktioniert das System relativ gut in Dohuk und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

74

Trotz der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

75

Auch wenn man zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückgehen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, ob der Kläger im Fall seiner Rückkehr in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, ist ein Abschiebungsverbot nicht festzustellen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren, sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ist die Kammer nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kläger trotz dieser angespannten Lage nicht möglich wäre, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass er einen unmenschlichen oder erniedrigenden Zustand vermeiden könnte. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger außerstande wäre, das Existenzminimum dort selbst zu sichern.

76

Der Kläger ist – auch ohne verwandtschaftliche Unterstützung – darauf zu verweisen, sein Existenzminimum durch eigene Arbeit zu sichern. Er ist knapp über dreißig Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Derzeitig bestehende körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht. Solche sind auch sonst nicht erkennbar. Er ist kurdischer Volkszugehörigkeit, spricht Kurmandschi und ist in der Provinz Dohuk sozialisiert, insbesondere hat er dort studiert. Er hat einen Hochschulabschluss als Elektro- und Computeringenieur und hat bereits mit Personalverantwortung im Leitungsbau gearbeitet. Dies alles spricht dafür, dass er zahlreiche Anlaufstellen für die Arbeitssuche hätte und über eine Qualifikation verfügt, die ihn von vielen Mitbewerbern um Arbeitsplätze abhöbe. So müsste er gerade nicht in Konkurrenz zu der Vielzahl an niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden treten. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass jedenfalls die berichteten Arbeitslosenquoten für Männer – selbst unter Berücksichtigung einer Abweichung von der tatsächlichen Arbeitslosenquote – im internationalen Vergleich nicht als außergewöhnlich hoch zu bewerten sind. Die Kammer hält es zudem nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger aufgrund seines jesidischen Glaubens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden würde. Zwar entsprechen die diesbezüglichen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Erkenntnislage, aus der die Diskriminierung von Jesiden auf dem Arbeitsmarkt hervorgeht (dazu bereits oben). Dass es – insbesondere aus der Provinz Dohuk selbst stammenden – Jesiden aber auch mit Mühe nicht gelingen kann, dort Arbeit zu finden, geht aus den Erkenntnismitteln nicht hervor. Dagegen sprechen neben der Tatsache, dass es in Dohuk sehr viele – von Verfolgung und Unterdrückung weitgehend freie – Jesiden gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 18), auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Aus diesen ergibt sich nicht, dass ihm jemals eine Arbeitsstelle aus religiösen Gründen verwehrt worden wäre. Soweit er die Diskriminierung von Jesiden am Arbeitsmarkt beklagt hat, hat er sich erkennbar auf die allgemeinen Zustände bezogen. Vielmehr hat er angegeben, seinen letzten, für irakische Verhältnisse gut bezahlten Arbeitsplatz innerhalb kurzer Zeit ohne Schwierigkeiten gefunden zu haben. Nachdem der Arbeitgeber den Betrieb in der Region Kurdistan-Irak wegen des Vorrückens des IS eingestellt habe, habe er sich bis zu seiner Ausreise nicht noch einmal auf Arbeitsplatzsuche begeben. Darüber hinaus hat er angegeben, dass auch sein Vater noch 2015 Gelegenheitsarbeit habe finden können. Als jesidischer Kurde, der in der Region Kurdistan-Irak registriert ist, könnte der Kläger zudem sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und sich dort wieder niederlassen (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12.4.2017, S. 8; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 15 ff.; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 19/17 A, juris, Rn. 38 ff.). Schließlich berücksichtigt die Kammer, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Region Kurdistan-Irak perspektivisch verbessern dürfte, da zu erwarten ist, dass zumindest ein Teil der dorthin gelangten Binnenflüchtlinge langsam in ihre von der Herrschaft des IS befreiten Herkunftsregionen außerhalb der Region Kurdistan-Irak zurückkehrt.

77

Unabhängig hiervon ergibt sich aus den Erkenntnismitteln kein Anhaltspunkt dafür, dass die Grundbedürfnisse des Klägers – etwa wegen einer völlig unzureichenden Versorgungs- und Angebotslage – ungeachtet seiner voraussichtlich verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten nicht zu befriedigen wären.

78

bb. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

79

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

80

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

81

Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen drohte dem Kläger im Falle der Abschiebung hinsichtlich der genannten Rechtsgüter in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

82

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris, Rn. 38).

83

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gilt das oben zu II. 2. a., b., und c.aa. Ausgeführte entsprechend.

84

d. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

85

e. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Die Ermessenserwägungen des Bundesamts sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal der Kläger diesbezüglich keine Einwendungen vorgebracht und insbesondere keine fehlerhafte Ermessensausübung gerügt hat.

III.

86

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

25

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, weiter hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten.

2

Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volks- und jesidischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 6. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. März 2016 einen Asylantrag.

3

Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21. September 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er den Irak am 21. November 2015 verlassen habe und er aus dem Dorf Tel Benat stamme, das sich in der Nähe der Stadt Sindschar befinde. Im Irak habe er zwölf Jahre die Schule besucht und Abitur gemacht. Anschließend habe er circa zwei Jahre als Maler gearbeitet. Im Irak lebten neben seiner Mutter, die erkrankt sei und in einem Flüchtlingslager in Zaxo lebe, ein weiterer Bruder und eine weitere Schwester sowie die gesamte Großfamilie. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Kläger im Wesentlichen an, dass die Terrormiliz des Islamischen Staates (im Folgenden: IS) sein Dorf erobert habe und er seitdem nichts mehr besitze. Für die geflüchteten Jesiden sei die Situation in dem Flüchtlingslager unbefriedigend, da es im Sommer heiß und im Winter kalt sei. Die Menschen würden unter den schlechten Bedingungen leiden. Er selbst sei im Irak weder bedroht, verletzt noch vertrieben worden. Trotzdem könne er als Jeside nicht mehr im Irak leben, da die Bevölkerung die Jesiden grundlos hasse. Er wisse nicht, warum dies so sei. Es seien jedenfalls fremde Leute, die er nicht kenne und die er auch nicht gesehen habe. Er selbst sei nicht sehr religiös und lebe seinen Glauben auch nicht offen aus. Für diejenigen, die Jesiden hassten, sei es nicht erkennbar, dass er Jeside sei und sie würden dies auch nicht erfahren. Allerdings bedrohten diese Menschen bestimmte Dörfer in bestimmten Regionen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. Er habe ebenso wie die übrigen Jesiden kein Zuhause mehr und sei gezwungen, in einem Flüchtlingslager zu leben. Das Elternhaus, in dem er vor seiner Flucht gelebt habe, sei zwar nicht zerstört worden, allerdings wisse er nicht, wer dort jetzt wohne. Auf die weiteren Ausführungen des Klägers (Bl. 72 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

4

Mit Bescheid vom 9. Januar 2017 erkannte die Beklagte die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1 des Bescheids), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2 des Bescheids), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheids). Des Weiteren forderte sie den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde die Abschiebung in den Irak angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Überdies befristete sie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids). Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und für die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Vortrag des Klägers, wonach er als Jeside verfolgt werde, sei zu allgemein. Auch auf Nachfrage habe er nicht angegeben, persönlich bedroht, verletzt oder vertrieben worden zu sein. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass er ausgeführt habe, dass für seine Leute schwere Lebensbedingungen im Irak und in den Flüchtlingslagern herrschten und dass seine Mutter krank sei. Denn auch aus diesen sehr allgemein geschilderten Lebensbedingungen ergebe sich weder eine Verfolgungshandlung noch ein Verfolgungsakteur. Eine begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden aufgrund seiner Religion oder Volkszugehörigkeit folge auch nicht aus seinem übrigen Vortrag. Denn er habe angegeben, nicht sehr religiös zu sein und seine Religion nicht auszuleben, so dass auch niemand mitbekomme, dass er Jeside sei, was man ihm auch nicht äußerlich ansehe. Dem stehe nicht entgegen, dass der IS das Heimatdorf des Klägers eingenommen habe, da der Kläger bereits nach seinen eigenen Angaben landesintern Schutz im Irak gefunden habe und er seit dem Verlassen seines Elternhauses nicht bedroht, verletzt oder vertrieben worden sei. Im Übrigen scheide die Gewährung von Flüchtlingsschutz bereits deshalb aus, weil es dem Kläger zugemutet werden könne, Schutz in den nichtumkämpften Landesteilen des Irak zu suchen. Die Gesamtbetrachtung seiner Lebensumstände und individuellen Voraussetzungen lasse zudem erwarten, dass er als gesunder arbeitsfähiger junger Mann in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums sicherstellen zu können. Die engeren Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter lägen ebenfalls nicht vor. Des Weiteren seien auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht gegeben, denn der Vortrag des Klägers sei auch insofern nicht glaubhaft. Auch drohe ihm keine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Dem stehe in seinem Fall darüber hinaus entgegen, dass er neben seiner Mutter noch eine Großfamilie im Irak habe und daher weiterhin dort familiär verwurzelt sei. Auch drohe ihm keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde. Umstände, die geeignet wären, eine hier zu berücksichtigende Gefährdung begründen zu können, seien nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sei im vorliegenden Fall angemessen. Auf die weiteren Gründe des Bescheids (Bl. 83 ff. der Asylakte) wird Bezug genommen.

5

Am 27. Januar 2017 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass ihm als Jeside aus dem Sindschar-Gebirge die Flüchtlingseigenschaft als Gruppenverfolgter zugesprochen werden müsse. Dies folge daraus, dass die Islamisten hunderttausende Jesiden vertrieben und tausende von ihnen entführt und ermordet hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei er – wie alle Jesiden – im Irak nicht sicher vor Verfolgung. Es sei den Jesiden nicht möglich, im Irak ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie seien schweren Diskriminierungen durch die moslemische Bevölkerung ausgesetzt. Ihre Produkte würden von Muslimen nicht gekauft werden, da sie nach deren Auffassung unrein seien. Die Jesiden seien – ebenso wie die Christen – wegen dieser Alternativlosigkeit gezwungen, in der Gastronomiebranche zu arbeiten und Alkohol zu verkaufen. Allerdings führe dies regelmäßig dazu, dass sie von Islamisten getötet würden, da Alkoholkonsum und -verkauf nach dem Islam verboten seien. Der Kläger könne im Irak sein wirtschaftliches Existenzminimum jedenfalls nicht sichern.

6

Der Kläger beantragt,

7
1. die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Januar 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
8
2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die nationalen Abschiebeverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
9

Aus dem Schriftsatz vom 19. Juli 2017 geht der Antrag der Beklagten hervor,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung ihres Antrags bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2018 persönlich angehört worden. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte sowie auf die Asylakte des Bundesamts Bezug genommen, welche ebenso zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde wie die mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilten Erkenntnisquellen.

Entscheidungsgründe

I.

14

Der Entscheidung steht nicht entgegen, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Hierauf ist sie gemäß § 102 Abs. 2 VwGO mit der Ladung hingewiesen worden.

II.

15

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

16

Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG (hierzu unter 1.) oder des Status als subsidiär Schutzberechtigter im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (hierzu unter 2.). Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (hierzu unter 3.). Die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden (hierzu unter 4. und 5.). Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

18

Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen (vgl. § 3 Abs. 4 AsylG). Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560; im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention [GFK]), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).

19

Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung unterschiedlicher Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

20

Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Der Schutz vor Verfolgung muss nach § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und darf nicht nur vorübergehend sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

21

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).

22

Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, drohen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 19). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32 m.w.N.).

23

Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 v. 20.12.2011, S. 9; im Folgenden: Richtlinie 2011/95/EU) ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Dies entspricht dem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedanken, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris; dem folgend u. a. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris). Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Sie misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung bei und begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei der Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden, und entlastet sie von der Notwendigkeit, stichhaltige Gründe dafür vorzulegen, dass sich die vorverfolgungsbegründenden oder einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in ihr Heimatland erneut realisieren (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.).

24

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Kläger kein Flüchtling. Ihm droht im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion im Irak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe.

25

a. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU greift im Fall des Klägers nicht ein.

26

Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger kurdischer Volks- und jesidischer Religionszugehörigkeit ist und aus dem Dorf Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive stammt. Daran hat auch die Beklagte keine Zweifel. Im Übrigen ergibt sich dies sowohl aus den in der Asylakte befindlichen Ausweisdokumenten als auch aus den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Wenngleich er nicht in der Lage war, seine Heimatregion auf einer Karte zu zeigen, da diese nicht in arabischer Schrift war, konnte er diese zumindest geographisch hinreichend bestimmen. Denn er hat dargelegt, dass sich sein Heimatdorf Tel Benat circa zwölf Kilometer südlich der Stadt Sindschar befinde und zwischen den Dörfern Gasr (östlich), Khilo (westlich) sowie Sibaa (südlich) liege. Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass sich sein Heimatdorf in dem Distrikt Qairawan befinde, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, da es sich dabei nach den Erkenntnismitteln des Gerichts lediglich um eine weitere regionale Untergliederung innerhalb des Distrikts Sindschar handeln dürfte. Daneben hat der Kläger detaillierte Angaben zu seinem Leben in Tel Benat gemacht (Wohnsituation, Ausbildung, Familie, Beruf). Weiter geht das Gericht davon aus, dass er sein Heimatdorf am Morgen des 3. August 2014 fluchtartig verlassen hat, um sich vor dem herannahenden IS in Sicherheit zu bringen. Der Kläger hat den Geschehensablauf zu seiner Flucht anschaulich und detailliert dargelegt. Im Übrigen entspricht das von ihm geschilderte Fluchtschicksal in zeitlicher und in tatsächlicher Hinsicht den Erkenntnissen des Gerichts zum Einmarsch des IS in die Provinz Ninive.

27

Zwar dürfte der Kläger auf dieser Grundlage insoweit von einer Verfolgung durch den IS wegen seines jesidischen Glaubens zumindest unmittelbar bedroht gewesen sein, da der IS nach den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismitteln im Sommer 2014 zügig in den nördlichen, an die Provinz Dohuk grenzenden Teil der Provinz Ninive vorstieß und in den eingenommenen Dörfern Jesiden hingerichtet, versklavt, misshandelt und entführt hat (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 7.2.2017 – im Folgenden: Lagebericht 2017 –, S. 12; ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen, 2.2.2017).

28

Allerdings ist die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, dass eine Vorverfolgung oder eine frühere unmittelbare Bedrohung durch Verfolgung ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, im Fall des Klägers widerlegt. Für die Widerlegung dieser Vermutung ist es erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris Rn. 23). Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU bezieht sich insoweit nur auf eine zukünftig drohende Verfolgung. Maßgeblich ist danach, ob stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung sprechen, die in einem inneren Zusammenhang mit der vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung stünde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.11.2011, 10 B 32/11, juris Rn. 7). Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kann durch stichhaltige Gründe selbst dann widerlegt sein, wenn im Herkunftsland keine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung im Sinne des vom Bundesverwaltungsgericht früher verwendeten herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Zur Entkräftung der Beweiserleichterung ist daher nicht erforderlich, dass die Wiederholung einer Verfolgungsmaßnahme mit der nach diesem Maßstab geforderten hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (vgl. zum früheren herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab etwa BVerfG, Beschl. v. 2.7.1980, 1 BvR 147/80, juris Rn. 54; BVerwG, Urt. v. 2.8.1983, 9 C 599/81, juris Rn. 11).

29

Solche stichhaltigen Gründe liegen hier zur Überzeugung der Kammer vor. Denn die Lage im Irak hat sich zwischenzeitlich jedenfalls insoweit grundlegend verändert, als dass der IS zumindest in der Provinz Ninive und insbesondere in dem Distrikt Sindschar – der Herkunftsregion des Klägers – keine quasi-staatliche Macht im Sinne von § 3c Nr. 2 AsylG mehr ausübt (vgl. hierzu auch VG Hamburg, Urt. v. 12.1.2018, 8 A 3019/16, n.v., UA S. 14). Der IS hat sein Einflussgebiet zuletzt sogar im gesamten Irak fast vollständig verloren. So wurden im November 2017 die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert (vgl. nur Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 8 m.w.N.). Die Großstadt Mossul wurde im Juli 2017 befreit (vgl. ebenda, S. 56). Die Städte Sindschar und Ramadi wurden sogar bereits Ende 2015 zurückerobert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2015), 18.2.2016 – im Folgenden: Lagebericht 2016 –, S. 7, 9) und stehen nunmehr – wie auch die anderen Distrikte der Provinz Ninive – unter der Kontrolle der irakischen Zentralregierung beziehungsweise der ihr unterstehenden Popular Mobilization Forces (PMF) (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 18 m.w.N.; https://isis.liveuamap.com/). Allein das Wüstengebiet nördlich der Städte Al-Qaim, Ana und Rawa – an der Grenze der Provinzen Anbar und Ninive – war zuletzt noch unter der Kontrolle des IS. Mit den Gebietsverlusten hat dieser auch wesentliche Einnahmen, insbesondere aus Ölquellen, verloren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, Stand: 23.11.2017, S. 47). Dass der IS angesichts dieser Entwicklung nochmals nach Norden vorstoßen und in wesentlichen Teilen des Nordiraks Fuß fassen könnte, erscheint unwahrscheinlich. Zwar ist insoweit nicht zu verkennen, dass die territoriale Zurückdrängung des IS nicht zwangsläufig bedeutet, dass alle Kämpfer des IS getötet oder inhaftiert worden sind. Viele Kämpfer, von denen es allein in der Provinzhauptstadt Mossul 40.000 gegeben hat, sind entweder in die Wüste geflohen oder haben sich unter die Zivilbevölkerung gemischt (ebenda, S. 8 m.w.N.). Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden (ebenda, S. 57 f.). Auch ist die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten prekär, da diese durch sog. „IEDs“ (improvised explosive devices) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt ist (ebenda, S. 56). Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass es von Seiten untergetauchter IS-Anhänger zu keinerlei Verfolgungshandlungen gegen einzelne Personen mehr kommen kann. Wie in anderen von den irakischen Streitkräften zurückeroberten Gebieten oder in nie vom IS kontrollierten Gebieten dürfte sich der IS im Zuge seiner territorialen Zurückdrängung künftig aber vor allem auf die Verübung terroristischer Anschläge bzw. auf eine asymmetrische Kriegsführung mit verstärkten terroristischen Aktivitäten konzentrieren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017), 12.2.2018, – im Folgenden: Lagebericht 2018 –, S. 15). Derartige terroristische Anschläge stellen grundsätzlich keine gezielten Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der Religionszugehörigkeit der Opfer dar. Denn dabei handelt es sich vielmehr um eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung, die nicht im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG steht, sondern bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigen sind (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 29.4.2014, A 4 A 104/14, juris Rn. 32). Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist daher nicht davon auszugehen, dass der IS in der Lage ist beziehungsweise in absehbarer Zukunft sein wird, Jesiden – insbesondere in der Region Ninive – systematisch zu verfolgen (im Ergebnis so auch VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris Rn. 40 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris Rn. 29; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742.A, juris Rn. 45 ff.; VG Ansbach, Urt. v. 15.9.2017, AN 2 K 16.30525, juris Rn. 15; a.A. – für die Verfolgung von Jesiden in der Provinz Ninive – VG Hannover, Urt. v. 31.1.2018, 6 A 2574/17, n.v., UA S. 10 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris Rn. 33).

30

Dafür dass von dem IS insofern keine ernstzunehmende Gefahr mehr ausgeht, sprechen auch die Rückkehrbewegungen der Binnenflüchtlinge in die Provinz Ninive sowie in die anderen Provinzen des Iraks. Bereits im Oktober 2017 hat sich die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen von ca. 5,5 Millionen Menschen um 2,3 Millionen Menschen verringert. Dabei waren die Provinzen Anbar, Ninive und Salah Al-Din besonders stark von Vertreibungen betroffen. Etwa 1,2 Millionen Binnenvertriebene halten sich in der Region Kurdistan-Irak auf (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2018, S. 5). Neueren Erkenntnissen zufolge hält diese Rückkehrbewegung auch im Jahre 2018 weiter an. Diese betrafen sowohl die Regionen, die Schwerpunkte der militärischen Auseinandersetzung mit dem IS waren – wie etwa Ninive –, als auch die Provinz Bagdad, wo der IS die meisten Terroranschläge verübt hat. Nach Ninive kehrten dabei insgesamt 1.172.448 Millionen Menschen aus den umliegenden Provinzen sowie 89.364 weitere Menschen, die innerhalb Ninives geflohen sind, in ihre Herkunftsregionen zurück (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/number-of-displaced-returning-home.html, veröffentlicht am 8.3.2018).

31

b. Auch unabhängig davon, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU berufen kann, droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründe. Insbesondere unterliegt der Kläger keiner Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seinen jesidischen Glauben.

32

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (sogenannte anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines flüchtlingsrechtlich relevanten Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Feststellung einer solchen gruppengerichteten Verfolgung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus, welche die Regelvermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen“ eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, 10 C 11/08, juris Rn. 13 ff.; Urt. v. 5.7.1994, 9 C 158/94, juris Rn. 21).

33

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsland die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 3d AsylG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.7.2006, 1 C 15/05, juris Rn. 24).

34

Diese Grundsätze zur Gruppenverfolgung gelten nicht nur für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung, sondern sind auch auf die Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie durch das AsylG ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2009, a.a.O.; Urt. v. 18.7.2006, a.a.O.).

35

Nach diesem Maßstab ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine Gruppenverfolgung von Jesiden durch den IS in der Herkunftsregion des Klägers nicht festzustellen (im Ergebnis ebenso u. a. VG Oldenburg, Urt. v. 27.2.2018, 15 A 883/17, juris Rn. 37 ff.; VG Augsburg, Urt. v. 15.1.2018, Au 5 K 17.35594, juris Rn. 40 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742/17.A, juris Rn. 45 ff.; VG Ansbach, Urt. v. 18.9.2017, AN 2 K 16.31390, juris Rn. 11; für die Provinz Ninive noch offen gelassen: VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris Rn. 34; a. A. VG Oldenburg, Urt. v. 23.8.2017, 3 A 3903/16, juris Rn. 33; noch zur Lage vor der Rückeroberung der Städte Mossul und Tel Afar: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 8.3.2017, 15a 5929/16.A, juris Rn. 92 ff.; a. A. noch nach der Befreiung Mossuls mit Blick auf die Verfolgung schabakischer Gläubiger: VG Aachen, Urt. v. 28.8.2017, 4 K 2015/16.A, juris Rn. 72 ff.).

36

Eine Gruppenverfolgung von Jesiden geht in der Herkunftsregion des Klägers auch nicht von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung als nichtstaatlichem Akteur aus, wenngleich das Verhältnis von Jesiden und Muslimen mitunter durch Spannungen geprägt ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 21.11.2017, 5 ZB 17.31653 und 5 ZB5 ZB 17.31667, juris, jeweils Rn. 14; VG Karlsruhe, Urt. v. 10.10.2017, A 10 K 1508/17, juris Rn. 28; VG Augsburg, Urt. v. 7.9.2017, Au 5 K 17.33860, juris Rn. 32; VG Düsseldorf, Urt. v. 26.7.2017, 20 K 3549/17.A, juris Rn. 32 ff.; VG Köln, Urt. v. 5.7.2017, 3 K 9944/16.A, juris Rn. 39 ff.; VG Oldenburg, Urt. v. 7.6.2017, 3 A 3731/16, juris Rn. 36; VG München, Urt. v. 16.5.2017, M 4 K 16.35324, juris Rn. 17; VG Würzburg, Urt. v. 17.2.2017, W 4 K 16.31618, juris Rn. 16). Den Erkenntnismitteln lässt sich insbesondere für die Region Kurdistan-Irak zwar entnehmen, dass strenggläubige Muslime die Jesiden als Ungläubige schmähen sowie belästigen und die Jesiden darüber hinaus auch auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und diskriminiert werden (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious minorities, August 2016, 24 f.;Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 20.05.2016 zum Irak: Gesetzliche Lage für die Abkehr vom Islam in der Autonomen Region Kurdistan, Schutzwille der Behörden, S. 3). Daraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität beziehungsweise die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte. Denn als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten nur solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder die nach Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Daran fehlt es hier. Denn die Berichte über die Belästigungen und Diskriminierungen, denen die Jesiden teilweise ausgesetzt sind, bleiben vereinzelt und lassen insbesondere keine flächendeckenden und menschenrechtswidrigen Handlungen erkennen, was für die Annahme einer Gruppenverfolgung aber erforderlich wäre. Gegen eine Verfolgungsgefahr sprechen darüber hinaus wie unter II. 1. a. bereits dargelegt auch die Rückkehrbewegungen der Binnenflüchtlinge in die Provinz Ninive.

37

2. Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter.

38

Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Heimatland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

39

Nach der Gesetzesbegründung soll § 4 AsylG die Art. 15 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU umsetzen (vgl. BT-Drs. 17/13052, S. 20), wobei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch die Definition aus Art. 2 lit. f) der Richtlinie 2011/95/EU aufgreift, wonach einem Drittstaatsangehörigen der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorbringt, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden. Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe…“ enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR). Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk"; vgl. nur EGMR, Urt. v. 28.2.2008, Nr. 37201/06, NVwZ 2008, 1330, Rn. 125 ff.); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 5/09, juris Rn. 22). Dieser Maßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, 10 C 23/12, juris Rn. 32 – zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG). Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen ernsthaften Schaden unmittelbar bedroht war, ist nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ein ernsthafter Hinweis darauf, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird.

40

Gemessen an diesen Vorgaben erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht.

41

a. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht dem Kläger weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Soweit sich der Kläger auf eine Bedrohung aufgrund seiner jesidischen Religionszugehörigkeit berufen hat, gelten insoweit die obigen Ausführungen entsprechend, wobei an die Stelle der Verfolgung bzw. der begründeten Furcht vor Verfolgung die Gefahr eines ernsthaften Schadens bzw. die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens tritt.

42

b. Auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist im Fall des Klägers nicht beachtlich wahrscheinlich.

43

Dabei ist der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung der in Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, 10 C 43/07, juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u. a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional (z. B. in der Herkunftsregion des Ausländers) bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken. Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17; Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 13). Auch der Europäische Gerichtshof spricht in seiner Entscheidung vom 17. Februar 2009 vom "tatsächlichen Zielort" des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (C-465/07, juris Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.7.2009, 10 C 9/08, juris Rn. 17). Der innerstaatliche bewaffnete Konflikt begründet ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aber nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 17.2.2009, a.a.O.). Eine solche Bedrohung kann vielmehr auch dann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betroffene Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch die Anwesenheit im Gebiet des Landes oder in dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Dabei hebt der Europäische Gerichtshof hervor, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer ist, je mehr der Betroffene belegen kann, dass er aufgrund seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist. Hieraus folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, 10 C 4/09, juris Rn. 33). Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen – z. B. als Arzt oder Journalist – gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund deren der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Dabei können für die Bemessung der Gefahrendichte die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.4.2010, a.a.O.). Dabei geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125%, in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass selbst eine wertende Gesamtbetrachtung eine individuelle Bedrohung nicht mehr zu begründen vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, 10 C 13/10, juris Rn. 22 f.).

44

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und nach Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemachten Erkenntnismittel besteht nach Auffassung der Kammer in der Region Ninive kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Dies folgt bereits daraus, dass der IS durch die irakischen Streitkräfte – wie dargelegt – landesweit fast vollständig zurückgedrängt wurde. Dem steht nicht entgegen, dass Anhänger des IS weiterhin Selbstmordattentate und andere Anschläge verüben. Denn bei diesen sicherheitsrelevanten Vorfällen – toten und verletzten Zivilpersonen – handelt es sich um Einzelfälle; jedenfalls haben sie aber kein derartiges Ausmaß erreicht, dass sie als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren sind. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten mitunter prekär ist, da auch insofern die Voraussetzungen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht vorliegen. Ein solcher kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die türkische Luftwaffe im April 2017 im Sindschar-Gebirge gezielt Stellungen der als Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) bombardiert hat, wobei auch ein Ausbildungslager der jesidischen YBS-Milizen zerstört worden sein soll (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017, unter Verweis auf eine Meldung von Euronews vom 27. April 2017). Denn dabei handelt es sich um einen Konflikt, der nur zwischen den türkischen Sicherheitskräften einerseits und der PKK sowie der ihnen nahestehenden YBS-Milizen andererseits besteht. Auch wenn es bei diesen Luftangriffen zu Todesopfern – mindestens auch einem zivilen – gekommen sein soll (vgl. ebenda), ist auch insofern die Schwelle im Hinblick auf Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts nicht ausreichend, um einen innerstaatlichen Konflikt annehmen zu können.

45

Aber selbst wenn – wovon die Kammer nicht überzeugt ist – ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneten Konflikt im Irak landesweit oder in der Provinz Ninive bestehen sollte, kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben droht. Denn der Grad willkürlicher Gewalt hat zumindest kein so hohes Niveau erreicht bzw. hat kein so hohes Niveau mehr, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in den Irak oder in die betroffene Region – vorliegend Ninive – allein durch seine Anwesenheit in diesem Gebiet bzw. dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die Zahlen in Bezug auf getötete oder verletzte Zivilisten sind nämlich sowohl landesweit als auch in Ninive nach der Zurückdrängung des IS stark rückläufig. Gab es nach den Aufzeichnungen der UN im Februar 2017 landesweit noch 392 getötete (Oktober 2014: 1.089) und 613 verletzte (Oktober 2014: 2.074) Zivilisten, wurden im Februar 2018 von der UN landesweit „nur“ noch 91 getötete und 208 verletzte Zivilisten verzeichnet, nachdem diese auch in den Vormonaten bereits deutlich gesunken waren. Die insgesamt 299 sicherheitsrelevanten Vorfälle ereigneten sich überdies hauptsächlich in den Provinzen Bagdad (49 getötete und 146 verletzte Zivilisten), Anbar (14 getötete und 37 verletzte Zivilisten) und Diyala (12 getötete und 11 verletzte Zivilisten) (vgl. http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=8643:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2018&Itemid=633&lang=en). Nach den für jede Provinz gesondert ausgewiesenen Zahlen von Joel Wing, einem Blogger, der regelmäßig über die Zahl der Konfliktbetroffenen im Irak berichtet, gab es in der Provinz Ninive demgegenüber im Februar 2018 zwar insgesamt 427 getötete und neun verletzte Zivilisten und damit deutlich mehr als von der UN ermittelt. Allerdings resultiert diese vergleichsweise hohe Anzahl aus der Einberechnung von in Massengräbern gefundenen Leichen; so wurden im Februar 2018 in fünf Massengräbern insgesamt 347 getötete Personen in der Provinz Ninive gefunden, so dass letztlich von nicht mehr als 80 Getöteten ausgegangen werden kann (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/643-deaths-256-wounded-feb-2018-in-iraq.html). Ein ähnliches Bild vermitteln die Zahlen der von einer britischen Nichtregierungsorganisation betriebenen Datenbank Iraq Body Count. Danach sind im Februar 2018 im Irak insgesamt 410 Zivilisten getötet worden, wobei auch die in Massengräbern gefundenen Leichen berücksichtigt wurden. Auf die Provinz Ninive entfielen dabei insgesamt 173 getötete Zivilisten, davon 145 Leichen aus Massengräbern, so dass danach insgesamt von 28 Getöteten im Februar 2018 auszugehen ist (vgl. https://www.iraqbodycount.org/database/recent/0/).

46

Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in die Provinz Ninive allein durch ihre Anwesenheit in dieser Region tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein, derzeit nicht erreicht ist. Denn unter Zugrundelegung der Zahlen der UN und insbesondere der von Joel Wing sowie der von Iraq Body Count aber auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nicht alle getöteten und verletzten Zivilpersonen gezählt werden, ist schätzungsweise davon auszugehen, dass derzeit in Ninive pro Monat wahrscheinlich nicht mehr als 100 Zivilpersonen getötet oder verletzt werden. Pro Jahr ist daher von nicht mehr als 1.200 solcher Vorfälle auszugehen. Stellt man diese der Einwohneranzahl Ninives gegenüber, die nach den Erkenntnissen des Gerichts bei ungefähr 3,2 Millionen liegt (vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 12; https://de.wikipedia.org/wiki/Ninawa mit Stand 2010), beträgt das Risiko, als Zivilperson in Ninive entsprechend betroffen zu sein, etwa 0,0375% (1.200 / 3.200.000 Einwohner x 100). Dies ist auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt.

47

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks.

48

a) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor.

49

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 11.11.1997, 9 C 13.96, juris) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich weitgehend identisch mit dem des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG knüpft – wie dargelegt – an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. In Fällen, in denen – wie hier – gleichzeitig über die Gewährung subsidiären Schutzes und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet daher bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 36).

50

Dies zugrunde gelegt, begründen die Verbürgungen der EMRK im Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot. Insbesondere verstieße eine Abschiebung des Klägers in Herkunftsland nicht gegen Art. 3 EMRK. Insoweit wird zunächst auf die obigen Ausführungen unter II. 2. a. Bezug genommen. Auch die humanitären Verhältnisse im Irak führen nicht zu der Annahme, dass eine Abschiebung des Klägers in sein Heimatland gegen Art. 3 EMRK verstieße.

51

Ein Ausländer kann kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung seine Lage einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung des EGMR allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Nur in besonderen Ausnahmefällen können humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, Urt. v. 27.5.2008, Nr. 26565/05, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42). Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/06, NVwZ 2011, 413, Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die – in einem ihnen völlig fremden Umfeld – vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259). Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR. In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 (Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (vgl. Urt. v. 21.11.2011, a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f. – zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15/12, juris Rn. 23 ff.).

52

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und unter Auswertung der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Erkenntnismittel kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass für den Kläger im Fall seiner Abschiebung in den Irak aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse das ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestehen würde. Die Kammer lässt dabei ausdrücklich offen, ob dem Kläger derzeit eine Rückkehr in seine Herkunftsregion, dem Dorf Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive wegen der gegenwärtigen Situation in der Provinz Ninive zumutbar ist. Denn er kann jedenfalls darauf verwiesen werden, in der Region Kurdistan-Irak Schutz zu suchen.

53

Nach den Erkenntnismitteln besteht im gesamten Irak eine angespannte humanitäre Situation. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes zur Lage im gesamten Land kann der irakische Staat die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Millionen der 36 Millionen Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt worden sind. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums. Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Schon im Juni 2013 sind vier Millionen Iraker unterernährt gewesen. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2,-- US-Dollar/Tag). In den vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht 2017, S. 22).

54

Die Provinz Ninive stellte eines der Hauptkampfgebiete im Krieg gegen den IS dar (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Weite Teile der Städte und Gemeinden sind zerstört worden, wobei die Städte Mossul und Sindschar besonders stark betroffen gewesen sind, die Distrikte Akre und Al-Shikan demgegenüber keine kriegsbedingten Zerstörungen aufweisen (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Indes variieren die Angaben zum Umfang und zum Ausmaß der Zerstörungen insbesondere für den Distrikt Sindschar aufgrund der unzureichenden Erkenntnismöglichkeiten und unvollständigen Informationslage. Einem Bericht der jesidischen Organisation Yazda von September 2017 zufolge, der auf die Einschätzung des Bürgermeisters von Sindschar Bezug nimmt, sei die Stadt Sindschar zu 80-85% zerstört (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017). Demgegenüber beziffert die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Zerstörung Sindschars bezogen auf Wohnhäuser auf ca. 70%, wobei der Zerstörungsgrad weit überwiegend nur 1-25% betrage (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Daneben seien aber auch weite Teile der Infrastruktur infolge des Krieges zerstört worden. Die Wasserversorgung sei zu 12%, die Stromversorgung sei zu 11%, die Straßen seien zu 6%, das Mobilfunknetz sei zu 3% und die Kanalisation sei zu 3% zerstört worden (vgl. ebenda, S. 22; wobei einschränkend klargestellt wird, dass nur 71% der Flächen in Augenschein genommen werden konnten und tatsächlich deutlich mehr Infrastruktur zerstört sein dürfte).

55

Neben diesen Zerstörungen stellt die Bedrohung durch Sprengfallen und Landminen ein weiteres Problem dar, das Hilfslieferungen und Wiederaufbau erschwert (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017, unter Verweis auf einen Bericht von Yazda aus dem September 2017; IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass ungefähr 27% der Flächen Ninives mit Landminen und Sprengfallen versehen worden sind, was den zweithöchsten Wert im Irak darstellt (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 22). Trotz dieser angespannten Lage, bestehe in der Provinz Ninive kein offensichtliches Konfliktrisiko (vgl. ebenda, S. 23). Das danach einzig in dem Distrikt Sindschar bestehende niedrige Konfliktrisiko (low risk, 2.25), das auf die Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den Peschmerga zurückzuführen ist (vgl. ebenda, S. 23), dürfte aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten – weitgehend kampflosen – Machtübernahme der durch die Peschmerga besetzten Gebiete durch die irakische Zentralregierung beziehungsweise die für diese agierenden PMF nicht mehr gegeben sein.

56

Gleichwohl liegen trotz dieser schwierigen Situation keine Erkenntnisse über Hunger leidende Menschen in der Provinz Ninive vor. Den neueren Erkenntnismitteln kann – wie bereits dargelegt – trotz der angespannten Lage eine zunehmende Rückkehrbewegung nach Ninive entnommen werden. Die Organisation Yazda berichtete hierzu im September 2017 für den Zeitraum Juli/August 2017 von täglich 60 bis 120 Rückkehrer-Familien in die Region Sindschar, wobei diese aufgrund des Mangels an bewohnbaren Häusern und Infrastruktur weiterhin mit gravierenden Hindernissen konfrontiert gewesen seien (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, 2.10.2017). Die Internationale Organisation für Migration berichtet mit Stand Oktober 2017 davon, dass die Anzahl der Rückkehrer (267.690 Menschen) die der Flüchtlinge (192.366 Menschen) in Ninive übersteigt, wobei sich die Anzahl der Flüchtlinge im Vergleich zum Vorjahr 2016 fast halbiert hat (minus 48%) (vgl. IOM Iraq, Integrated Location Assessment II, Governorate Profiles, S. 21). Aus dem Distrikt Sindschar sind zwar weiterhin 1.846 Menschen flüchtig, allerdings steht denen eine Anzahl von 4.468 Rückkehrern gegenüber (vgl. ebenda, S. 21). Einem aktuellen Bericht von Joel Wing zufolge sind im Zeitraum von Januar bis Februar 2018 in die Provinz Ninive bereits 1.172.448 Menschen zurückgekehrt (vgl. http://musingsoniraq.blogspot.de/2018/03/number-of-displaced-returning-home.html, veröffentlicht am 8.3.2018). Diese kontinuierlich wachsende Anzahl an Rückkehrern lässt nicht den Schluss zu, dass die humanitären Bedingungen nach der Befreiung von dem IS unzumutbar sind.

57

Über die östlich an die Provinz Ninive angrenzende Region Kurdistan-Irak lässt sich den Erkenntnismitteln entnehmen, dass diese in Anbetracht der Veränderungen der letzten Jahre nicht mehr als wirtschaftlich prosperierend bezeichnet werden kann. Neben der dort herrschenden Finanzkrise gilt es auch die Versorgung der dort aufgenommenen (Binnen-) Flüchtlinge zu bewältigen. Die mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge allein seit Anfang 2014 und die 250.000 syrische Flüchtlinge haben nicht nur zu einer kritischen humanitären Versorgungslage der Flüchtlinge geführt (vgl. hierzu eingehend Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 52 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note, Iraq: Security and humanitarian situation, März 2017, S. 33 ff.). Auch die lokale Bevölkerung wird durch die Bevölkerungszunahme in Bezug auf die Verteilung von Ressourcen, der stärkeren Konkurrenz um Arbeit und dem daraus entstehenden Druck auf die die Löhne und damit das Haushaltseinkommen belastet (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, IRAK: Update: Sicherheitssituation in der KRG-Region, 28.3.2015, S. 2; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Irak, 24.8.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017, S. 117 f.).

58

Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region lebt unter der Armutsgrenze. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Einwohner der Region leben von weniger als 87,-- US-Dollar pro Monat, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden ist. Die Arbeitslosigkeit hat sich seit 2010 beinahe verdreifacht. Sie ist von zunächst 4,8% angestiegen und wird mit zuletzt 14% im September 2016 berichtet. Wahrscheinlich ist sie aber wesentlich größer (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017). Bei Frauen liegt sie bei 29,4% gegenüber 9,7% bei Männern (ebenda). Fast 2% der Bevölkerung der Region Kurdistan-Irak verfügen über nicht ausreichend Geld, um sich regelmäßig drei Mahlzeiten am Tag zu leisten. Allerdings gibt es ein staatlich subventioniertes Lebensmittelverteilungssystem, wonach jeder im Irak ansässige Einwohner ein Anrecht auf monatliche Rationen hat. Das Lebensmittelverteilungssystem ist seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. In der Provinz Dohuk gibt es aber beispielsweise 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme unterstützt das Lebensmittelverteilungssystem in der Region Kurdistan seit 1996. Hilfsorganisationen arbeiten daran, die Versorgungslücken zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Trotz Verzögerungen einiger Lebensmittelkörbe funktioniert das System relativ gut in Duhok und Sacho (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, 17.5.2017).

59

Ungeachtet der seit einigen Jahren andauernden ökonomischen Herausforderungen wird ausdrücklich berichtet, dass es in der Region Kurdistan-Irak keinen Hunger und keine Mangelernährung gibt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge v. 21.7.2017, S. 3; Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 113). Die medizinische Versorgung ist in den großen Städten der Region Kurdistan-Irak gut und auf dem Land ist eine medizinische Grundversorgung vorhanden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach v. 12.6.2017, S. 2).

60

Legt man diese Erkenntnismittellage zugrunde und geht zugunsten des Klägers davon aus, dass die dargestellten humanitären Bedingungen im Irak überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen mit der Folge, dass die Frage maßgeblich ist, ob der Kläger im Fall seiner Abschiebung in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse – wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft – zu befriedigen, steht eine mangelnde Fähigkeit des Klägers im vorgenannten Sinne nicht zur Überzeugung der Kammer fest. Zwar spricht vieles dafür, dass der Kläger in der Provinz des zuletzt von ihm bewohnten Dorfes Tel Benat, Distrikt Sindschar, Provinz Ninive aufgrund der vielfach zerstörten Häuser und Infrastruktur sowie den Versorgungsengpässen wahrscheinlich mit beträchtlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein würde, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen. Allerdings bedarf dies vorliegend keiner Entscheidung, sondern kann dahinstehen. Denn der Kläger ist jedenfalls darauf zu verweisen, sich in der nahe gelegenen Region Kurdistan-Irak niederzulassen. Die Kammer ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund der Angaben des Klägers im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren sowie des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung, nicht zu der Überzeugung gelangt, dass es ihm im Falle seiner Niederlassung in der Region Kurdistan-Irak nicht möglich sein würde, seinen Lebensunterhalt zumindest so weit zu sichern, dass ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger nicht in der Lage sein würde, sein Existenzminimum dort zu sichern bzw. dass es ihm dort nicht gewährleistet wird.

61

Der Großteil der Familie des Klägers befindet sich derzeit in der Region Kurdistan-Irak, da diese – entsprechend seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung – mit ihm vor dem herannahenden IS geflohen sei und mit ihm in dem Flüchtlingslager in Qadiya gewohnt habe. Es kann daher erwartet werden, dass er die von ihm benannten Verwandten im Falle einer Rückkehr kontaktiert. Aber selbst für den Fall, dass ihm in der Region Kurdistan-Irak durch seine Familie keine Unterstützung zuteilwird, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort nicht durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Arbeitseinkommen erzielen wird und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums wird finanzieren können. Denn der Kläger ist 25 Jahre alt und damit im arbeitsfähigen Alter. Körperliche Einschränkungen hat er nicht geltend gemacht, insoweit bestehen auch keine Anhaltspunkte. Zudem ist er kurdischer Volkszugehörigkeit und spricht Kurmanci. Er hat darüber hinaus nach eigenen Angaben zwölf Jahre in Tel Benat die Schule besucht und das Abitur erlangt. Daneben hat er angegeben, bis zu seiner Flucht vor dem IS das Studienfach Geographie an der Fakultät in Al Hamdami begonnen zu haben. Darüber hinaus verfügt er nach eigenen Angaben auch über handwerkliche Berufserfahrung, da er ausgeführt hat, auf Baustellen gearbeitet und neben allgemeinen Hilfs- auch Malerarbeiten durchgeführt zu haben. Diese Erfahrungen können dem Kläger auf dem Arbeitsmarkt in der Region Kurdistan-Irak weiterhelfen. Wenngleich derzeit noch keine vertiefte Sozialisierung in der Region Kurdistan-Irak gegeben sein dürfte, so kann der Kläger jedenfalls auf sein dort befindliches familiäres Netzwerk zurückgreifen. Schließlich wird der Kläger als kurdischer Volkszugehöriger auch sicher und legal in die Region Kurdistan-Irak einreisen und seinen Aufenthalt dort nehmen können, jedenfalls in der Region Dohuk (vgl. UNHCR, Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA), 12. April 2017, S. 8; ferner VG Berlin, Urt. v. 4.5.2017, 22 K 91/17 A, juris Rn. 38 ff.). Denn anders als Araber und Turkmenen benötigt der Kläger als kurdischer Jeside keine Aufenthaltsgenehmigung, sondern kann ohne Beschränkungen und Auflagen – wie etwa der Stellung eines Bürgen („sponsor“) – dort einreisen und seinen Aufenthalt nehmen (vgl. ebenda, S. 8).

62

Sollte der Kläger mangels verfügbaren Wohnraums – erneut – gezwungen sein, sich (vorübergehend) in einem Flüchtlingslager niederzulassen, ist dies unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts nicht unzumutbar i.S.d. Art. 3 EMRK (so unter anderem auch VG Düsseldorf, Urt. v. 25.10.2017, 20 K 1742/17.A, juris 79 ff.). Dass die Lage in den Flüchtlingslagern schwierig ist, macht sie nicht menschenunwürdig. Den Erkenntnismitteln kann nicht entnommen werden, dass es dort an dem für ein menschenwürdiges Leben Erforderlichen mangelt. Es liegen insbesondere keine Erkenntnisse zu fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten, flächendeckenden Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung oder zu hygienisch unhaltbaren Zuständen vor (vgl. zur allgemeinen Situation und Ausstattung der Flüchtlingslager unter anderem Danish Immigration Service, The Kurdistan Region of Iraq, Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation, April 2016, S. 115 f.). Im Übrigen hat der Kläger zu dem von ihm bewohnten Flüchtlingslager in Quadiya in der Region Kurdistan-Irak in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er dort – beengt – in Wohncontainern mit seiner Familie gelebt habe. Eine Versorgung mit Lebensmitteln wie Reis, Mehl und weißen Bohnen sei durch Hilfsorganisationen ebenfalls erfolgt. Dabei hat er nicht dargelegt, dass seine Familie oder er unter Hunger gelitten hätten. Ergänzend hat der Kläger zu der medizinischen Versorgung in dem von ihm bewohnten Flüchtlingslager zwar ausgeführt, dass es dort eine Art Arztassistent gegeben hätte, der den Bewohnern aber nur „Kopfschmerztabletten“ gegeben hätten. Daneben habe es in der nahe gelegenen Stadt Dohuk aber auch zwei Ärzte gegeben, deren Inanspruchnahme er sich allerdings nicht habe leisten können. Indes folgt auch hieraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers. Dieser hat keine gesundheitlichen Einschränkungen geltend gemacht und solche sind auch nicht ersichtlich.

63

b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.

64

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG). Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.

65

Der bei der Bestimmung einer erheblichen konkreten Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG anzulegende Prognosemaßstab entspricht dem allgemeinen asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; beachtlich ist die Wahrscheinlichkeit, wenn die für die Annahme einer Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen, eine theoretische Möglichkeit reicht hierzu nicht aus (vgl. OVG Münster, Urt. v. 18.1.2005, 8 A 1242/03.A, juris Rn. 37 ff. m.w.N.).

66

Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen droht dem Kläger in seinem Heimatland nicht. Diesbezüglich ist nichts vorgetragen worden. Auch anderweitige Anhaltspunkte bestehen nicht.

67

Ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich letztlich auch nicht aus der humanitären Lage oder aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Insoweit handelt es sich um allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, welche grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und – wie bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK – zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 10 C 15.12, juris Rn. 38).

68

Nach diesen Maßstäben wäre der Kläger im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

69

4. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamtes ergangene Abschiebungsandrohung ist aus rechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen entspricht der gesetzlichen Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

70

5. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG keinen rechtlichen Bedenken. Ermessensfehler i. S. v. § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich.

III.

71

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Verpflichtung der Beklagten weiter, das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der geltend gemachte Verfahrensmangel, durch die Ablehnung ihres Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung sei der Klägerin das rechtliche Gehör versagt worden (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO), nicht vorliegt.

Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 – 5 B 48.15 – juris Rn 10), d.h. ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (BayVGH, B.v. 20.11.2017 – 11 ZB. 31318 – juris Rn. 4). Von Willkür kann insbesondere dann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Rechtsauffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B.v. 22.5.2015 – 1 BvR 2291/13 – juris Rn. 5 m.w.N.).

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 13. Oktober 2017 beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass sie schwer psychisch erkrankt und aus diesem Grund auf ständige Behandlung angewiesen ist, um Eigengefährdungen entgegenzuwirken, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.

Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG werde vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG müsse der Ausländer eine Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, an die bestimmte Anforderungen zu stellen seien. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei hierzu nicht erforderlich.

Zur Begründung ihres Zulassungsantrags bringt die Klägerin vor, dass die Ablehnung des Beweisantrags hinsichtlich der Anwendbarkeit der Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG nicht vom Prozessrecht gedeckt sei.

Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Verwaltungsgericht den Beweisantrag zu Recht abgelehnt hat. Denn es entspricht inzwischen gefestigter Rechtsprechung mehrerer Oberverwaltungsgerichte (OVG LSA, B.v. 28.9. 2017 – 2 L 85/17 – juris Rn. 2-13; OVG NW, B.v. 9.10.2017 – 13 A 1807/17.A – juris Rn. 19-28, BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – Rn. 4) und auch des erkennenden Senats (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – Rn. 8), dass die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind. Es ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und der Erwägung des Gesetzgebers, dass er mit den Regelungen in dem mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Absatz 2c des § 60a AufenthG im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8/07 – juris Rn. 15) nachvollzogen hat. Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen, und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten. Auch lässt die Begründung zur Einführung des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG erkennen, dass der Gesetzgeber mit diesen Regelungen die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernis insgesamt erschweren wollte. Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

Es ist demnach – wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – Aufgabe des erkennenden Gerichts zu überprüfen, ob die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens ist insoweit nicht erforderlich.

Aus dem vorgelegten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2017 (13a ZB 17.31153) ergibt sich nichts anderes, weil sich diese Entscheidung zu der Frage, ob die Anforderungen an ärztliche Atteste in § 60a Abs. 2c AufenthG auch auf die Geltendmachung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen sind, nicht verhält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83 b AsylG.

Mit dieser gemäß § 80 AsylG unanfechtbaren Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Gründe

1

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 5. Kammer - vom 21.07.2017 hat keinen Erfolg.

2

I. Der Rechtssache kommt die von den Klägern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht zu.

3

"Grundsätzliche Bedeutung" im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. OVG NW, Beschl. v. 29.01.2016 - 4 A 2103/15.A -, juris). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 09.10.2015 - 8 LA 146/15 -, juris).

4

1. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob die Feststellung einer Erkrankung durch ein früheres verwaltungsgerichtliches Urteil für spätere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen hinsichtlich der Diagnose und der Reichweite der tatsächlichen Feststellungen bindend ist, hat keine Grundsatzbedeutung. Rechtskräftige Urteile binden die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 121 VwGO). Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt eine entsprechende Bindungswirkung nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für die Gerichte in einem späteren Prozess der Beteiligten über denselben Streitgegenstand. Die Bindung an den Inhalt eines rechtskräftigen Urteils entfällt aber dann, wenn sich die entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich geändert hat. In diesem Sinn ist die Frage der Reichweite der Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils höchstrichterlich geklärt.

5

2. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob die ärztlichen Atteste oder Bescheinigungen, mit denen im Asylverfahren u. a. ein Abschiebungsverbot begründet werden soll, an dem gesetzlichen Maßstab des § 60a Abs. 2c Satz 2 ff. AufenthG zu bewerten bzw. ob die Vorschriften des § 60a Abs. 2c, 2d AufenthG im Asylverfahren anwendbar sind, ist nicht in einem Berufungsverfahren klärungsbedürftig, weil sich diese Frage ohne weiteres anhand des Wortlauts des Gesetzes, der Entstehungsgeschichte und den gesetzgeberischen Erwägungen bejahen lässt.

6

a) Der Wortlaut des § 60a Abs. 2c AufenthG stellt ausschließlich darauf ab, ob Abschiebungsverbote aus gesundheitlichen Gründen vorliegen und differenziert nicht zwischen inlands- und zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten, so dass der Annahme der Kläger, § 60a Abs. 2c AufenthG könne nur bei der Bewertung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse zur Anwendung gelangen, schon vom Wortlaut her nicht zu folgen ist.

7

b) Auch lässt die Begründung zur Einführung des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl I, S. 390) erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG die Anforderungen an die Geltendmachung psychischer Erkrankungen als Abschiebungshindernis insgesamt erschweren wollte.

8

In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu (BT-Drucksache 18/7538, S. 1): "Vielfach scheitern Rückführungsversuche daran, dass medizinische Gründe einer Abschiebung entgegengehalten werden. Diese können jedoch oftmals nicht nachvollzogen werden, da keine einheitlichen Vorgaben für die zu erbringenden Atteste bestehen. Um Verzögerungen von Rückführungen und Missbrauch entgegenzuwirken, bedarf es der Präzisierung der Rahmenbedingungen für die Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen." Soll die Vorschrift des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG durch die Einführung erhöhter Anforderungen an den Inhalt ärztlicher Bescheinigungen damit nach der Intention des Gesetzgebers nicht nur dem zunehmenden Versuch, Rückführungen durch die Ausländerbehörde aus medizinischen Gründen zu verhindern, sondern generell dem Missbrauch bei der Inanspruchnahme von Abschiebungsschutz entgegenwirken, kommt der Vorschrift maßgebliche Bedeutung auch für die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) zu.

9

Hierfür spricht zudem die weitere Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/7538, S. 19): "Mit der Regelung zur Glaubhaftmachung einer Erkrankung durch den Ausländer wird auf erhebliche praktische Probleme hinsichtlich der Bewertung der Validität von ärztlichen Bescheinigungen im Vorfeld einer Abschiebung reagiert, wie sie auch aus dem Bericht der Unterarbeitsgruppe Vollzugsdefizite der Bund - Länder - Arbeitsgruppe Rückführung über die Ergebnisse der Evaluierung des Berichts über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen und Vollzugsmaßnahmen von April 2015 hervorgehen. Es besteht ein praktisches Bedürfnis, eine vom Ausländer vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der Erfüllung formaler und inhaltlicher Vorgaben zu validieren. Hierzu legt der Gesetzgeber nunmehr die in Absatz 2c genannten Qualitätskriterien fest, die die jeweilige ärztliche Bescheinigung insbesondere enthalten soll.“

10

Der Gesetzgeber hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass die Vorschrift des § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG aufgrund ihrer systematischen Stellung nicht lediglich als Teil der Regelungen in § 60a AufenthG anzusehen ist, sondern der Vorschrift allgemeine Bedeutung für die Frage zukommt, welche Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung zu stellen sind.

11

c) Schließlich umfasst die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG auch nach ihrem Sinn und Zweck die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

12

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 2 der mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 geänderten Vorschrift liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4). In den Sätzen 2 bis 4 unternimmt der Gesetzgeber in materieller Hinsicht eine Konkretisierung der Anforderungen insbesondere vor dem Hintergrund der Geltendmachung von Abschiebungshindernissen aus gesundheitlichen Gründen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 18/7538, S. 18) wird davon ausgegangen, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hinderten. Mit dieser Präzisierung werde klargestellt, dass nur äußerst gravierende Erkrankungen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben nach Satz 1 darstellten. Eine solche schwerwiegende Erkrankung könne hingegen zum Beispiel in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden: In Fällen einer PTBS sei die Abschiebung regelmäßig möglich, es sei denn, die Abschiebung führe zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung. Die Abschiebung dürfe nicht dazu führen, dass sich die schwerwiegende Erkrankung des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern werde, dass ihm eine individuell konkrete, erhebliche Gefahr an Leib oder Leben drohe. Es werde jedoch im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland bzw. im Zielstaat der Abschiebung der Versorgung in Deutschland oder in der Europäischen Union gleichwertig sei. Dem Ausländer sei es insbesondere zumutbar, sich in einen bestimmten Teil des Zielstaats zu begeben, in dem für ihn eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet sei. Es komme nicht darauf an, dass alle Landesteile des Zielstaats gleichermaßen eine ausreichende Versorgung bieten würden. Inländische Gesundheitsalternativen seien ggf. aufzusuchen.

13

Im Lichte dieser Neuregelung sind die zeitgleich in § 60 Abs. 2c und 2d AufenthG eingefügten Vorgaben zu den qualitativen Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung zu sehen. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Insofern hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die obergerichtliche Rechtsprechung zum Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - BVerwG 10 C 8.07 und 10 C 1710 C 17.07 -, juris RdNr. 15) nachvollzogen, wonach zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes gehört. Vor diesem Hintergrund bezweckt die gesetzliche Regelung in § 60 Abs. 2c und 2d AufenthG gerade oder zumindest auch, die Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG abschließend zu regeln.

14

3. Soweit die Kläger die Frage aufwerfen, ob in Russland eine effektive und zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz für Personen aus Tschetschenien besteht, denen die Unterstützung separatistischer Kräfte vorgeworfen wird, wenn diese in das Ausland reisen konnten, wird die Zulassungsschrift den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht gerecht.

15

Dabei genügt es nicht, bloße Zweifel an den Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf die Gegebenheiten in dem Herkunftsland des Ausländers zu äußern oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr ist es erforderlich, durch die Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich dann stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Hat das Verwaltungsgericht Feststellungen zu einer Tatsachenfrage mit von ihm benannten Erkenntnisquellen begründet, muss zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fallbezogene Auseinandersetzung mit diesen Erkenntnisquellen erfolgen. Dies kann durch eine eigenständige Bewertung der bereits vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismittel geschehen, oder auch durch Berufung auf weitere, neue oder von dem Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte Erkenntnismittel. Dabei gilt allgemein, dass die Anforderungen an die Darlegung nicht überspannt werden dürfen, sondern sich nach der Begründungstiefe der angefochtenen Entscheidung zu richten haben (OVG LSA, Beschl. v. Beschl. v. 11.08.2017 - 2 L 50/17 -; SächsOVG, Beschl. v. 07.04.2015 - 3 A 20/15.A -, juris RdNr. 2).

16

Diesen Anforderungen wird die Zulassungsschrift nicht gerecht; denn die Kläger haben sich mit dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnismaterial (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 13.05.2016) und den konkreten Erwägungen des Verwaltungsgerichts (vgl. UA S. 8 ff.) nicht in einer Weise auseinandergesetzt, die geeignet wäre, zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, sondern ihre Bewertung zutreffend ist.

17

II. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen; denn die Kläger vermögen mit ihrer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht durchzudringen.

18

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen (siehe auch die §§ 86 Abs. 2 und 3, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO), und verpflichtet das Gericht darüber hinaus, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Eine Verletzung dieses Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht diesen Pflichten nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.06.1975 - 2 BvR 1086/74 -, BVerfGE 40, 101 [104 f.]). Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen, die im Verfahren von der einen oder anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind. Nur der wesentliche Kern des Tatsachenvorbringens einer Partei, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt nur dann vor, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [146]), oder dass die Entscheidung maßgebend auf Aspekte gestützt worden ist, mit denen im vorgenannten Sinne nicht zu rechnen war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.01.2014 - BVerwG 1 B 12.13 -, juris). Solche Umstände werden von den Klägern nicht dargelegt.

19

1. Ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs liegt zunächst nicht deshalb vor, weil das Verwaltungsgericht den klägerischen Vortrag, sie hätten "in Tschetschenien bzw. der gesamten Russischen Föderation Verfolgung aufgrund einer ihnen zugeschriebenen regimekritischen Haltung zu befürchten", übergangen habe. Denn aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils (UA S. 3, letzter Absatz) ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht den klägerischen Vortrag zu der dem Kläger zu 1. "zugeschriebenen regimekritischen Haltung" durchaus zur Kenntnis genommen hat. Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen seiner Prüfung, ob die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG i. V. m. § 60 Abs. 8 AufenthG haben, auf der Grundlage des Vortrags der Kläger allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass der Grund für die von den Klägern geschilderte Verfolgung nicht die politische Überzeugung des Klägers zu 1. oder dessen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, sondern allein seine Erwerbstätigkeit sei. Hat mithin die vermeintliche regimekritische Haltung des Klägers zu 1. nach Auffassung des Gerichts nicht zu Verfolgungshandlungen in seinem Heimatland geführt, war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, vertiefend der Frage nachzugehen, ob der Kläger zu 1. tatsächlich eine oppositionelle, separatistische oder zumindest mit solchen Gedanken sympathisierende Haltung eingenommen hat oder ihm diese durch die Verfolger im Sinne des § 3b Abs. 2 AsylG zugeschrieben worden ist.

20

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts beanstandet, fehlt es von vornherein an der schlüssigen Darlegung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Denn die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn der Richter im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit zur Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zu einer möglicherweise unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist (BVerfG, Beschl. v. 04.04.1991 - 2 BvR 1497/90 -, InfAuslR 1991, 262 [263]).

21

2. Ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ist auch nicht deswegen anzunehmen, weil das Gericht es nach Auffassung der Kläger versäumt habe, die in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin zu 2. bekundete mangelhafte Erinnerung auch nur ansatzweise zu erörtern. Zwar ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.07.2017, dass die Klägerin zu 2. (1.) erklärt hat, die Zeiten und Daten nicht genau sagen zu können, und (2.), dass sie anfange, alles zu vergessen. Die vom Verwaltungsgericht festgestellten Widersprüche bezogen sich allerdings nicht auf Zeiten und Daten, sondern auf das von dem Kläger zu 1. geschilderte Kerngeschehen, nämlich die Misshandlungen anlässlich seiner drei Verhaftungen. Auch steht die 2. Äußerung der Klägerin zu 2. im Zusammenhang mit der Frage, wie oft sie persönlich bei der Abholung ihres Mannes dabei gewesen sei. Diesen Ausführungen der Klägerin zu 2. zu ihrer Anwesenheit bei der Verhaftung des Klägers zu 1. hat die Vorinstanz aber ausweislich der Entscheidungsgründe (UA S. 8) keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Insofern war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, die - offensichtlich nicht zentralen - Äußerungen der Klägerin zu 2. in den Gründen der Entscheidung zu behandeln.

22

3. Schließlich vermag auch der Vortrag der Kläger, das Gericht habe sich bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zu 1. zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nicht im Ansatz mit der ärztlichen Diagnose erheblicher psychischer Erkrankungen sowie damit befasst, dass die Überwindung derartiger Ereignisse auch dadurch geschehe, dass Erinnerungen verblassen oder abweichend verbleiben, die Zulassung der Berufung wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu rechtfertigen. Der Sache nach rügen die Kläger damit erneut eine vermeintlich fehlerhafte, aber zulassungsrechtlich unerhebliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Gericht. Im Übrigen war die Vorinstanz auch nicht gehalten, sich tiefergehend mit der Diagnose PTBS zu befassen, weil es selbst bei Annahme einer wenn auch nur leichten PTBS von einer Behandelbarkeit in der Russischen Föderation ausgegangen ist.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.

24

Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 ZPO).

25

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 78 Abs. 5 Satz 2, 80 AsylG).


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(2) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes oder der Einstellung des Verfahrens beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(3) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags oder der Klage oder des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Absatz 3 kann dem Ausländer eine Ausreisefrist bis zu drei Monaten eingeräumt werden, wenn er sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.