Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Sept. 2015 - M 2 K 15.50225
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts ... vom ... Februar 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist nach seinen Angaben somalischer Staatsangehöriger und reiste etwa im Juni 2012 aus seinem Heimatland aus. Nach Aktenlage stellte er am
Auf ein Wiederaufnahmegesuche der Beklagten hin akzeptierte Malta am
Mit Bescheid des Bundesamts ... (BAMF) vom ... Februar 2015, dem Kläger zugestellt am
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 9. März 2015 Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom ... Februar 2015 aufzuheben.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger sei über 18 Monate in Malta inhaftiert gewesen, eine ordnungsgemäße Anhörung und ein faires Verfahren seien nicht durchgeführt worden. Der Kläger leide unter massiven psychischen Problemen und habe eine Verletzung am linken Bein.
Einem gleichzeitig gestellten Antrag (M 2 S 15.50226), die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2. des Bescheids vom ... Februar 2015 anzuordnen, gab der Einzelrichter mit Beschluss vom 26. März 2015
Die Beklagte äußerte sich, von der Aktenvorlage abgesehen, nicht zum Verfahren.
Mit Beschluss vom 7. August 2015
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakten im Eil- und Klageverfahren, insbesondere auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am
Gründe
In der Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamts vom ... Februar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Asylantrag des Klägers ist nicht deshalb gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Vielmehr ist hier die Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung dieses Asylantrags gegeben. Der Erlass der Abschiebungsanordnung nach § 34a i. V. m. § 27a AsylVfG ist aus diesem Grund ebenfalls rechtswidrig.
Zwar wäre im Fall des Klägers grundsätzlich von einer Zuständigkeit Maltas gemäß Art. 13 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) VO (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) auszugehen (die Annahme der Beklagten gemäß Bl. 43 der Behördenakte, es liege ein Fall des Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin-III-VO vor, dürfte nicht zutreffen, nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärte, er habe in Malta einen Asylantrag gestellt und dort schon längere Zeit vor seiner Weiterreise von dessen Ablehnung durch die maltesischen Behörden erfahren). Allerdings ist hier ausnahmsweise die Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrags gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO gegeben. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (EuGrCh) mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel 3 der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann eine solche anderweitige Zuständigkeit - wofür es vorliegend keine hinreichenden Belege gibt - nicht festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf ein Asylbewerber nur dann nicht an den europarechtlich zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel, d. h. regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris).
In der aktuellen erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird diese Frage hinsichtlich Maltas kontrovers beurteilt. Eine gefestigte Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe, die die aktuelle Auskunftslage berücksichtigt, ist derzeit nicht erkennbar.
So wird in einigen aktuelleren Gerichtsentscheidungen die Gefahr, dass Asylbewerbern im Fall der Rücküberstellung nach Malta eine unmenschliche oder entwürdigenden Behandlung droht, verneint (so etwa: VG München, B. v. 12.6.2015 - M 25 S 15.50265 - noch n. v.; VG Dresden, B. v. 25.3.2015 - 3 L 744/14.A - abrufbar auf „www.a...net“; VG Gelsenkirchen, B. v. 16.1.2015 - 1a L 2036/14.A - juris Rn. 43 ff.; VG München, B. v. 4.6.2014 - M 12 S 14.50276 - juris Rn. 30 ff.; VG München, B. v. 13.5.2014 - M 11 S 14.50187 - juris Rn. 18 ff.; VG Oldenburg, B. v. 17.2.2014 - 3 B 6974/13 - juris Rn. 13 ff.; VG Augsburg, U. v. 29.5.2013 - Au 7 K 13.30134 - juris Rn. 22).
Insoweit ist jedoch festzustellen, dass sich diese, die Abschiebungsanordnungen nach Malta - überwiegend im Eilverfahren - bestätigenden Gerichtsentscheidungen häufig entscheidungserheblich auf den Gesichtspunkt stützen, dass trotz durchwegs festgestellter bedenklicher Härten und struktureller Missstände in den Aufenthalts-, Haft- und Lebensbedingungen für Asylbewerber in Malta (vgl. im Einzelnen die ausführlichen Analysen der tatsächlichen Situation in Malta durch: VG Gelsenkirchen, B. v. 16.1.2015 - 1a L 2036/14.A - juris Rn. 46 ff.; VG Düsseldorf, B. v. 5.2.2015 - 13 L 3079/14.A - juris Rn. 58; VG Oldenburg, B. v. 17.2.2014 - 3 B 6974/13 - juris Rn. 13 ff.) der UNHCR bislang keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Malta zu überstellen (so etwa: VG München, B. v. 17.3.2015 - M 7 S 14.50627 - juris Rn. 22; VG Gelsenkirchen, B. v. 16.1.2015 - 1a L 2036/14.A - juris Rn. 58; VG München, B. v. 4.6.2014 - M 12 S 14.50276 - juris Rn. 32; VG München, B. v. 13.5.2014 - M 11 S 14.50187 - juris Rn. 21; VG Oldenburg, B. v. 17.2.2014 - 3 B 6974/13 - juris Rn. 23).
Hierzu hat das VG Oldenburg (B. v. 23.7.2014 - 12 B 1217/14 - juris Rn. 34 f.) nach Auffassung des Einzelrichters jedoch bereits zutreffend festgestellt:
„Die Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel im Asyl- und Aufnahmesystem Maltas verneint, überzeugt das Gericht nicht. Die Entscheidungen werten entweder nur wenige Erkenntnismittel aus (vgl. z. B. VG Potsdam, Beschluss vom 5. Februar 2014 - 6 L 53/14.A -; VG Stade, Beschluss vom 31. März 2014 - 5 B 582/14 -, beide juris) oder kommen nach Auswertung einer Vielzahl von Erkenntnismitteln und zum Teil sehr ausführlicher Darstellung von Missständen im Wesentlichen nur deshalb zu ihrer Bewertung, weil keine Empfehlung des UNHCR, von Überstellungen nach Malta grundsätzlich abzusehen, vorliegt (vgl. z. B. VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 - 3 B 6974/13 -, VG Osnabrück, Beschluss vom 7. Mai 2014 - 5 B 104/14 - und VG Lüneburg, Beschluss vom 10. Juni 2014 - 3 B 1/14 -, beide unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung des VG Oldenburg, alle juris). Letzterem vermag das Gericht aus folgenden Gründen nicht beizutreten:
Der UNHCR hat in seiner Stellungnahme „Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung der UNHCR - Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien - Juli 2013“ vom März 2014 ausgeführt, dass er bislang lediglich in besonderen Ausnahmefällen die generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylsuchende nicht im Rahmen des Dublin-Verfahrens in einen bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen. Aus der Tatsache, dass keine Äußerung dazu vorliege, ob systemische Mängel einer Überstellung entgegenstünden, könne nicht geschlossen werden, dass der UNHCR die Auffassung vertrete, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Dies sei nicht zuletzt deswegen der Fall, da sich das Papier in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung richte. Der UNHCR weist damit ausdrücklich auf die Appellfunktion seiner Einschätzungen gegenüber den betroffenen Mitgliedstaaten hin, die an Wirkung verlöre, wenn zur Einstellung von Überstellungen aufgerufen wird. Das OVG Nordrhein-Westfalen misst daher in seinem
Festhalten ist auch, dass der UNHCR in einer seiner letzten Stellungnahmen zu Malta („UNHCR’s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“
Jedenfalls im Eilverfahren erachten auch einige Verwaltungsgerichte die Erfolgsaussichten der jeweiligen Hauptsacheverfahren als offen und ordnen in Folge dessen die aufschiebende Wirkung der Klagen an (z. B. VG Düsseldorf, B. v. 9.4.2015 - 8 L 1100/15.A - juris Rn. 9;
Bereits in Hauptsacheverfahren bejaht die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO hinsichtlich Maltas jedenfalls im Hinblick auf sog. „verletzliche“ Personen das VG Berlin (B. v. 4.8.2014 - 34 L 78.14 A - juris Rn. 12 a. E.).
Ohne Einschränkung auf besonders schutzbedürftige Personen vertritt das Verwaltungsgericht Minden in einer aktuellen Entscheidung
Hiervon geht aktuell auch das VG Gelsenkirchen (U. v. 27.4.2015 - 7a K 864/15.A - juris Rn. 19 sowie
Auch nach den tatsächlichen aktuellen Feststellungen des VG Düsseldorf (B. v. 9.4.2015 - 8 L 1100/15.A - juris Rn. 43 ff. unter Bezugnahme auf
Über die Haftpraxis hinaus bejahen weitere Gerichte aktuell systemische Schwachstellen auch im Hinblick auf die Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen. In einem aktuellen Beschluss (OVG SA,
Für die Widerlegung der im gemeinsamen europäischen Asylsystem bestehenden Vermutung, dass die Mitgliedstaaten die Grundrechte von Asylbewerbern, das sog. Refoulement-Verbot und die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention haben, achten, bestehen hohe Hürden. Dennoch ist der Einzelrichter nach eigener Prüfung und Würdigung der vorgenannten Rechtsprechung, der darin in Bezug genommenen Erkenntnismittel sowie der selbst zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel (vgl. die insoweit mit der Ladung den Beteiligten übersandte Zusammenstellung) davon überzeugt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in Malta aktuell systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 EuGrCh mit sich bringen und dass auch der Kläger im konkret zu entscheidenden Einzelfall im Fall seiner Rücküberstellung nach Malta und Wiederaufnahme durch die maltesischen Behörden dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit systemischen Mängeln i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO ausgesetzt wäre.
Zur Begründung wird auf die vorgenannten Gerichtsentscheidungen (im Hinblick auf die Haftpraxis insbesondere: VG Gelsenkirchen, U. v. 27.4.2015 - 7a K 864/15.A - juris Rn. 19 sowie
Dabei wird nicht verkannt, dass die zuletzt bekannt gewordenen Erkenntnismittel (US Department of State, 2014 Country report on human rights practices - Malta; UN Human Rights Council: Report by the Special Rapporteur on the human rights of migrants, Francois Crépeau - Mission to Malta; aida country report Malta, Stand Februar 2015) in Teilbereichen erkennen lassen, dass die maltesischen Behörden aufgrund früherer Beanstandungen durch internationale Organisationen und Beobachter für Verbesserungen in einzelnen Aspekten der Haft- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Malta gesorgt haben dürften. Aus den auf einem Besuch in Malta im Dezember 2014 beruhenden Empfehlungen des „Special Rapporteur on the human rights of migrants“ (a. a. O., S. 19 ff.) und einem aktuellen Bericht von Amnesty International (Report 2014/15 - Malta vom 25.2.2015) wird aber auch deutlich, dass nach wie vor erhebliche Defizite in der Haftpraxis und den Aufnahmebedingungen Maltas zu besorgen sind. Für den Einzelrichter ergeben sich deshalb und auch angesichts der in den letzten Monaten massiv gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern, die über die sog. „zentrale Mittelmeerroute“ versuchen, in europäischen Ländern einen Asylantrag zu stellen, auch hieraus keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen nicht mehr von den in den vorgenannten Entscheidungen zu Recht festgestellten systemischen Schwachpunkte der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen in Malta auszugehen wäre.
Der (gerichtskostenfreien, § 83 b AsylVfG) Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Sept. 2015 - M 2 K 15.50225
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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
II.
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. wird abgelehnt.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2I.
3Der am °°. T. °°°° in L. geborene Antragsteller ist F. Staatsangehöriger und gehört dem Volk der U. an.
4Der Antragsteller reiste am °°. O. °°°° mit dem Pkw aus G. kommend in das Bundesgebiet ein.
5Seinen Asylerstantrag vom °°. K. °°°° begründete er damit, dass er Angst vor einer erneuten Gefangenschaft und weiteren körperlichen Übergriffen, insbesondere durch somalische Mitgefangene, habe. Er habe Deutschland erreichen wollen, weil hier die Menschenrechte gewahrt würden und er in Malta in Gefangenschaft gesessen habe. Außerdem könne er sich hier weiterbilden und habe in G1. einen Freund.
6Zu seinem bisherigen Reiseweg führte aus: Er sei im Jahr 2003 aus F. in den T1. gekommen. Ende 2011 sei er mit dem PKW aus dem T1. ausgereist. Im Anschluss sei er zunächst für etwa zehn Monate in M. gewesen, sodann mit dem Boot nach Malta gekommen, wo er etwa ein Jahr lang in Gefangenschaft gewesen und danach noch zwei Monate lang gearbeitet habe. Von Malta aus sei er für die Dauer von insgesamt zwölf Tagen zunächst mit dem Boot nach J. und sodann mit dem Zug nach G. weitergereist. Aus G. sei er schließlich mit dem Pkw, vermutlich durch C1. , nach Deutschland eingereist.
7Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) beantragte am °°. N1. °°°° bei den maltesischen Behörden die Übernahme des Antragstellers und leitete ein Dublin-Verfahren ein. Mit Schreiben vom °. B. °°°° akzeptierten die maltesischen Behörden die Rückübernahme des Antragstellers.
8Durch Bescheid vom °°. T. °°°°, dem Antragsteller gegen Empfangsbestätigung persönlich ausgehändigt am °°. E. °°°°, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Malta an.
9Am °°. E. °°°° hat der Antragsteller Klage (1a K 5740/14.A) erhoben und einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Er trägt vor, dass zwischenzeitlich bereits die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen sei und deshalb eine antragsgemäße Entscheidung durch die Antragsgegnerin erfolgen müsse. Im Übrigen könne Asylsuchenden auf Malta kein menschenwürdiges Dasein geboten werden. Er selbst habe während seiner Aufenthaltszeit in Malta persönlich erlebt, dass er kurz nach seiner Ankunft im B. °°°° mit einem Schlauchboot sofort grundlos inhaftiert worden sei. Die Inhaftierung habe ein volles Jahr angedauert, bis ihm gesagt worden sei, er könne nun gehen und sich ein Zelt zum Schlafen suchen. Kurz nach seiner Entlassung habe er eine einmalige Hilfe von 90 € erhalten, weitere staatliche Hilfen seien stets abgewiesen worden. Zeitweise habe er für zwei Euro in der Stunde bei Bauarbeiten dort ansässiger Unternehmer helfen können, sich im Übrigen aber nur mit Betteln am Leben gehalten. Das Leben auf Malta sei von Beginn an unerträglich gewesen, Aufnahmeplätze oder eine ärztliche Versorgung seien nicht vorhanden. Eine Besserung dieser Situation sei ebenfalls nicht in Sicht, da das maltesischen Aufnahmesystem heillos überfordert und die dortige Regierung nicht bereit sei, die zu gewährenden Standards einzuhalten. Bereits sein eigener, dokumentierter Fall widerlege die Vermutung, die allgemein aus der Teilnahme von Malta am Dublin-Verfahren herrühre. Eine bloße Fiktion der Geltung der Menschenrechte sei jedoch nicht ausreichend, was auch der EGMR im Jahr 2011 bereits festgestellt habe. In dieser Weise hätten deshalb auch schon eine Reihe von Verwaltungsgerichten entschieden.
10Der Antragsteller beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom °°. T. °°°° enthaltene Abschiebungsanordnung nach Malta anzuordnen,
12ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. zu gewähren.
13Die Antragsgegnerin beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Sie nimmt Bezug auf den angegriffenen Bescheid.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17II.
18Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbeschadet der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, vgl. § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO.
19Der Antrag des Antragstellers, über den der Berichterstatter nach § 76 Abs. 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als gesetzlicher Einzelrichter entscheidet, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässig, aber unbegründet.
20Die von dem Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Für die Interessenabwägung ist eine Prognose der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache von wesentlicher Bedeutung. Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung spricht alles dafür, dass der Bescheid des Bundesamts rechtmäßig ist und die gegen ihn gerichtete Klage daher keinen Erfolg haben wird.
21Auf Grundlage von §§ 27a und 34a AsylVfG bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel, dass das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragstellers aussprechen und die Abschiebung nach Malta anordnen durfte. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall.
22Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist insofern die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin III-VO). Die Dublin III-VO, die zum 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist, gilt gemäß ihres Art. 49 Satz 2 für solche Anträge auf internationalen Schutz, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag in Deutschland am °°. K. °°°° gestellt, so dass die Dublin III-VO hier Anwendung findet.
23Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
24Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO ist Malta der für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständige Mitgliedsstaat. Dort hat der Antragsteller ausweislich eines entsprechenden EURODAC-Treffers am °°. P. °°°° einen Asylantrag gestellt. Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Erhalt der EURODAC-Treffermeldung fristgemäß, d.h. innerhalb von zwei Monaten, vgl. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO, das Wiederaufnahmegesuch unter dem °°. N1. °°°° an Malta gestellt. Die maltesischen Behörden haben auf diese Anfrage schließlich unter dem °. B. °°°° ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO und die Bereitschaft zu seiner Wiederaufnahme erklärt.
25Nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in den Fällen des § 27a AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen sind gegeben, da die maltesischen Behörden der Übernahme des Antragstellers unter dem °. B. °°°° zugestimmt haben und der Abschiebung keine Gründe entgegenstehen.
26Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wäre zwar zwischenzeitlich die sechsmonatige Überstellungsfrist am °. P. °°°° abgelaufen.
27Vgl. zum Fristbeginn: OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A -, juris.
28Unabhängig von der Frage, ob Deutschland dementsprechend objektiv nicht mehr zuständig ist für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers, kann der Antragsteller jedoch kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin III-VO geltend machen. Eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten folgt hieraus nicht. Die vorgenannten Vorschriften betreffend die Überstellung hat der Unionsgesetzgeber erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen. Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
29Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -, juris.
30Vorrangiges Ziel der Dublin-Verordnungen, insbesondere seiner Fristbestimmungen für Übernahmeersuchen und Überstellungen, ist danach die zeitnahe Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat. Dem Asylbewerber sollte keine Rechtsposition eingeräumt werden, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen – weiteren – Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen. Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den nach den Dublin-Verordnungen für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten. Die in den Dublin-Verordnungen geregelten Fristvorschriften begründen kein subjektives Recht.
31Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 -; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchstabe B, jeweils juris; a.A. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12. November 2014 – Au 7 K 14.50047 – und VG Regensburg, Urteil vom 14. November 2014 – RN 5 K 14.30304 -, jeweils juris.
32Es liegt schließlich auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der individuellen Rechte des Antragstellers wegen einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt wäre, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zu berufen.
33Die Antragsgegnerin ist auch nicht Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO gehalten, trotz der Zuständigkeit Maltas den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
34Ob ein Mitgliedsstaat vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist.
35Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
36Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Nicht jede Verletzung eines Grundrechts oder jeder geringfügige Verstoß gegen die europäischen Asylrichtlinien durch den zuständigen Mitgliedsstaat kann angesichts dessen dazu führen, dass der überstellende Mitgliedsstaat nicht mehr an die Bestimmungen der Dublin III-VO gebunden wäre. Vielmehr muss ein Mitgliedsstaat die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asylverfahren in diesem Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren.
37Vgl. zur Dublin-II-VO: EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
38Für den vorliegenden Fall ist danach von einer grundsätzlich bestehenden Zuständigkeit Maltas für die Bearbeitung des Asylantrages auszugehen. Diese entfiele jedoch und ginge gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland über, wenn in Malta die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht gewährleistet wäre. Nach den vorgenannten Regelungen wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringt.
39Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verweisung eines Asylbewerbers auf einen sicheren Drittstaat (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) – die nicht nur die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG ausschließt, sondern entsprechend seiner inhaltlichen Reichweite auch die materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann – grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Schutz hat die Bundesrepublik Deutschland in diesen Fällen nur dann zu gewähren, wenn bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Es obliegt insoweit dem Antragsteller unter Anlegung eines strengen Maßstabes, die Umstände darzulegen, aus denen sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem solchen im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen ist.
40Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris.
41Eine Verdichtung des Selbsteintrittsrechts eines Mitgliedsstaates zu einer entsprechenden Pflicht kommt daher nur in Betracht, wenn ein vom „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht aufgefangener Sonderfall offensichtlich vorliegt.
42Im Übrigen reicht unabhängig vom Erfordernis der Existenz systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern die drohende Überstellung in einen Mitgliedstaat, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem überstellenden Mitgliedstaat, nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Diese Regelungen können nicht so ausgelegt werden, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichten, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Sie enthalten keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Ausländern, die von einer Überstellung betroffen sind, gewähren die genannten Regelungen grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, in einem Mitgliedstaat zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bedeutend geschmälert würden, falls ein Antragsteller überstellt werden würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen die zuletzt genannten beiden Vorschriften zu begründen.
43Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - (3. Kammer), Entscheidung vom 2. April 2013 - 27725/10 -, ZAR 2013, 336 f., Rn. 70 f. - Mohammed Hussein u.a./Niederlande u. Italien -, die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001-118927.
44Die Verantwortlichkeit eines Staates nach Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK wegen der Behandlung eines Ausländers kann allerdings ausnahmsweise begründet sein, wenn dieser vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
45Vgl. zur Situation in Griechenland: EGMR - Große Kammer -, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 ff., Rn. 253 - M.S. S./C1.Belgien u. Griechenland -, der an anderer Stelle von einer „Situation äußerster materieller Armut“ spricht (s. Rn. 252, situation of extreme material poverty); die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-103050; vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16.12 -, juris, Rn. 9, mit Veröffentlichungshinweis auf InfAuslR 2013, 45; zu den Voraussetzungen vgl. auch VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 6802/13 -, a.a.O., Rn. 8 f.
46Ausgehend von den vorstehend dargestellten Maßstäben ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Malta eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht,
47vgl. im Ergebnis systematische Mängel in Malta ebenfalls verneinend: VG Potsdam, Beschlüsse vom 20. November 2013 - 6 L 768/13.A -, und 14. Januar 2014 - 6 L 930/13.A -, VG Augsburg, Urteil vom 29. Mai 2013 - Au 7 K 13.30134 -, VG Stade, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 3 B 2649/13 - und 4. April 2013 - 3 B 1395/13 -, VG Magdeburg, Beschluss vom 17. April 2013 - 5 B 155/13 MD -, VG Minden, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 10 L 31/13.A -, VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, alle jeweils juris; systematische Mängel in Bezug auf verletzliche Personen bejahend etwa VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris; systematische Mängel allgemein bejahend: VG Braunschweig, Beschluss vom 28. Oktober 2013 – 7 B 185/13 – und VG Regensburg, Urteil vom 7. Februar 2012 – RO 7 K 11.30142 –, beide juris.
48Nach der genannten Rechtsprechung, einer Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in W. - im Folgenden Deutsche Botschaft genannt - vom °. G2. °°°° und zahlreichen zur Flüchtlingssituation in Malta ergangenen Gutachten sowie Berichten verschiedener Nichtregierungsorganisationen (Bericht des UNHCR von März 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier vom 6. September 2010 – „Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche“ – und Update von November 2011 – „Malta: Aufnahmebedingungen für Personen aus dem Asylbereich“ –; bordermonitoring.eu e.V. und Förderverein Pro Asyl e.V. – im Folgenden bordermonitoring/Pro Asyl genannt –, Broschüre „Malta: Out of System - Zur Situation von Flüchtlingen auf Malta“ von Mai 2012; Amnesty International, Amnesty Report 2013 Malta) nebst einer Veröffentlichung des amerikamischen Außenministeriums (Malta 2013 Human Rights Report des U.S. Department of State vom 19. April 2013) weisen die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Malta für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen und nationalen Schutzes aufenthaltsberechtigt sind, zwar teilweise erhebliche Missstände auf. Diese erreichen aber, jedenfalls soweit – wie hier – nicht verletzliche Personen wie beispielsweise Kinder oder schwer erkrankte Asylbewerber betroffen sind, nicht die für die Annahme systemischer Mängel vorausgesetzte Intensität.
49Auf Grundlage der vorstehenden Erkenntnisquellen stellt sich die Lebenssituation für Asylbewerber in Malta – wie den Antragsteller – im Wesentlichen wie folgt dar:
50Vgl. sehr ausführlich hierzu in jüngerer Zeit bereits VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, beide juris.
51Gemäß der o.g. Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2 f.) werden alle in Malta ankommenden illegalen Immigranten aus Afrika wegen des illegalen Grenzübertritts zunächst in geschlossenen Lagern untergebracht (nicht Gefängnisse). Diese automatische Inhaftierung aller irregulär Einreisenden wird durch andere Berichte, u.a. des UNHCR von März 2013 und bordermonitoring/Pro Asyl (dort Seite 9), – jedenfalls sinngemäß – bestätigt. Im Anschluss würden nur unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder sowie die besonders gefährdeten Personen (schwangere Frauen, Familien mit Kindern sowie Personen mit starken körperlichen/psychischen Einschränkungen) aus der sog. Administrativhaft (detention) entlassen, nachdem sie eine Prüfung ihrer Verletzlichkeit oder ihres Alters durchlaufen hätten (s. auch Amnesty Report 2013 oder Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2). Regelmäßig würden Asylsuchende bis zu zwölf Monate in solchen geschlossenen Lagern untergebracht, bevor sie entlassen würden und sodann auch Zugang zum Arbeitsmarkt hätten. Bei abgelehnten Asylsuchenden könnte die Dauer bis zur Entlassung maximal 18 Monate betragen. Asylbewerber, denen Schutz (Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz oder vorübergehender humanitärer Schutz) gewährt worden sei, würden freigelassen (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 5; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; Amnesty Report 2013). Hauptkritikpunkte sei hier die grundsätzliche systematische Inhaftierung sowie die mangelnde Freizeitbeschäftigung, die kombiniert mit der Unsicherheit über die Zukunft für die Betroffenen psychisch nur schwer zu ertragen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3).
52Nach zwölf Monaten, nach Erhalt eines positiven Entscheids über das Asylgesuch (Asyl oder subsidiärer Schutz) oder nach Feststellung der Verletzlichkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3) würden die betroffenen Personen in die neun vorhandenen offenen Lager verlegt. Bei diesen handele es sich um teilweise überfüllte ehemalige Schulgebäude, Flugzeughallen, Zelt- und Wohncontainerlager (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.). Zu den dortigen Lebensbedingungen heißt es etwa im Bericht des UNHCR von März 2013 (Seite 1 f.) – jedenfalls sinngemäß –, dass diese Einrichtungen rudimentär und oft überbelegt seien, sich jedoch die Lage zuletzt verbessert habe, nach dem die Behörden Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Missstände getroffen hätten. Gleichzeitig sei die Nutzung bestimmter Einrichtungen, die nicht mehr dem Mindeststandard entsprochen hätten, im Jahr 2011 eingestellt worden. Im Hinblick auf die Ausstattung der Lager räumt die Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 5 f.) ein, dass alle Lager nicht dem relativ hohen deutschen Standard entsprechen dürften. Die Lager böten eigentlich nur eine Basisversorgung, sie seien unbequem, lästig und teilweise überfüllt. Speziell in den kühlen Monaten Januar/Februar seien die schlecht beheizbaren Zeltlager als äußerst unkomfortabel einzuordnen. Man könne auch sagen, dass von der Ausstattung, der Organisation und dem Sauberkeitszustand die geschlossenen Lager fast besser seien als die offenen Lager. Die Regierung tue alles in allem viel, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden im Rahmen bestehender nationaler und internationaler Vorschriften. Praktisch bedeute das auch, dass alle Lager laufend renoviert und verbessert würden. Insoweit sei festzuhalten, dass sich die Unterbringungsverhältnisse in den letzten drei Jahren augenfällig verbessert hätten (zu der Bemühung der Regierung um Verbesserungen auch bereits im Jahr 2010: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier, Seite 12). Demgegenüber hält Amnesty International die offenen Aufnahmezentren für die aus der Migrationshaft entlassenen Flüchtlinge und Migranten nach wie vor für unzureichend (Amnesty Report 2013). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert in dem Update von November 2011 (Seite 10), dass solche provisorischen Unterkünfte in keiner Weise angemessen für eine längerfristige Unterbringung seien, faktisch jedoch viele Personen monate- bis jahrelang dort blieben. Speziell in den großen Zentren I. G3. U1. W1. und im I. G3. I1. P1. D. seien die Bedingungen prekär und erinnerten eher an eine Notsituation in einem Katastrophengebiet als an eine dauerhafte Unterkunft für Personen, von denen viele bereits einen Schutzstatus erhalten hätten. Rattenplagen, schlechte hygienische Bedingungen aufgrund von Überbelegung in alten maroden Gebäuden mit Asbest, Schimmel und Algen an den Wänden bzw. Ölrückständen am Boden stellten zudem eine Gesundheitsbedrohung für die Betroffenen dar. Derartige Bedingungen seien für sämtliche Personen problematisch, für verletzliche Person wie Familien mit Kindern jedoch schlicht inakzeptabel. Diese unzureichenden Bedingungen, die sich durch Überbelegung noch verschlimmerten, zeigt auch der Amnesty Report 2013 auf. Der Bericht von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 14 f.) bestätigt ebenfalls, dass die offenen Lager sehr unterschiedliche Standards hätten und in verschiedenen Regionen der Insel lägen. Insbesondere seien die Zentren im Jahr 2011 aufgrund der stark angestiegenen Zahl von Flüchtlingen heillos überfüllt gewesen. Grundsätzlich könne festgehalten werden, dass es in der Lagerpolitik keine klare Linie der Regierung gebe. Die Bewohner/-innen lebten in ständiger Angst, dass sie ihren Platz in ihrem Centre verlören und damit auch ihren Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Immerhin würden die Lager nicht von der Regierung, sondern von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen betrieben (bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 14; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.).
53Hinsichtlich der Rechte und Versorgung der Asylsuchenden heißt es weiter: Die Anerkannten in den offenen Lagern hätten allerdings volle Bewegungsfreiheit und folgende Rechte (hierzu Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3): Anspruch auf kostenlose Unterbringung (in der Regel bis zu 6 m² Privatsphäre) und Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Küchen, Aufenthaltsräume und Sportflächen, Anspruch auf monatliche Barauszahlung in Höhe von 130,- €, auf kostenlose medizinische Versorgung einschließlich Krankenhausaufenthalt, auf generelle Arbeitserlaubnis (viele Personen arbeiteten im Baugewerbe und in der Tourismusbranche) und auf Teilnahme an Integrationskursen (Sprachkurse zum Erlernen der englischen Sprache und Kurse wie „Leben in Malta“ oder „Wie finde ich Arbeit“). Jedoch sei die finanzielle Hilfe an die Voraussetzung genknüpft, sich als Bewohner dreimal pro Woche zu registrieren, wodurch gleichzeitig die Arbeitssuche erschwert werde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Die Gruppe der abgelehnten Asylbewerber habe in einem offenen Lager grundsätzlich die gleichen Rechte wie die „Personen mit Flüchtlingsstatus“, mit zwei Ausnahmen: Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei genehmigungspflichtig und nur zulässig bei Vorlage eines verbindlichen Arbeitsvertrages. Für die Betroffenen sei es sehr schwierig, sich in dem kleinen Land Malta zu integrieren, zumal die Anzahl der Asylsuchenden gemessen an der Bevölkerungszahl groß sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 10).
54Im Hinblick auf Abschiebungen bzw. Rückführungen nach Malta bedürfe es nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 4 f.) einer Differenzierung von drei Gruppen: (a) Personen mit Flüchtlingsstatus und abgelehnte Asylbewerber aus Malta (aus offenen Lagern nach Ablauf der 18-Monate-Frist), (b) Personen, die mit gefälschten Dokumenten über Malta nach Mittel- und Nordeuropa weitergereist seien, und (c) Personen, die aus geschlossenen Einrichtungen in Malta entlaufen und weitergereist seien. Für diese Gruppen würden in Malta bei Rückkehr naturgemäß keine neuen Asylverfahren durchgeführt. Nach Malta zurückgeführte Personen der Gruppe (b) würden zunächst in Malta strafrechtlich belangt und erhielten Haftstrafen bis zu sechs Monaten. Falls es sich um Personen mit Flüchtlingsstatus handeln sollte oder im Asylverfahren abgelehnte Personen, würden sie nach verbüßter Haftstrafe wieder in offenen Lagern untergebracht. Personen der Gruppe (c) würden sofort wieder in geschlossenen Lagern untergebracht. Auch hier gelte die insgesamt bis zu achtzehnmonatige Verweildauer. Zur Gruppe (a) gehörten die eigentlich gemäß „Dublin II“ nach Malta abgeschobenen Personen, die in Malta absolut identisch behandelt würden wie vor der Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa. Nach dem Update zum Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von November 2011 (Seite 4) würden Dublin-Rückkehr in der Regel in offenen Lagern untergebracht und kämen nur dann in geschlossene Lager, wenn sie aus einem solchen geflohen und darauf in ein anderes europäisches Land ausgereist seien (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 22). Ihnen würden allerdings die monatlichen Barauszahlungen für Rückkehrer von 130 € auf 80 € reduziert (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f. und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Ob sich eine Person mit 80,- € noch ernähren und ihren Lebensunterhalt sicherstellen könne, wird unterschiedlich bewertet (ja: Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; nein: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Diese Reduzierung sei für alle Rückkehrer (ob mit Flüchtlingsstatus oder abgelehnte Bewerber) gleich und werde nicht als Bestrafung angesehen, sondern als Auswirkung der ungewissen und selbst initiierten Ausreise nach Mittel- und Nordeuropa. Einfach ausgedrückt, ein Flüchtling, der sich mittellos und ohne Orientierung nach Norden aufmache, habe vermutlich seine Risiken kalkuliert, was sie dann bei Rückkehr nach Malta auch hier die Lage versetze, mit nur 80,- € Zuwendung auszukommen, auch weil er die Möglichkeit habe, hier durch Arbeit ein Zubrot zu verdienen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5). Diese Kürzung der finanziellen Unterstützung wird hingegen etwa von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 16) und Schweizerischer Flüchtlingshilfe (Themenpapier, Seite 5) bemängelt. Umgekehrt aber wird festgehalten, dass Malta eine sehr entspannte und großzügige Handhabung der Arbeitsaufnahme erlaube, was sich auch im Straßenbild ausdrücke, weil viele Flüchtlinge für Müllabfuhrunternehmen, Baufirmen, kleine Handwerker und im Hotelgewerbe arbeiteten (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5 unter Bezugnahme auf den Leiter der UNHCR in Malta, welcher eine eher sehr kritische Haltung gegenüber der maltesischen Regierung in Flüchtlings- und Asylfragen vertrete).
55Die Bearbeitungszeit für Asylanträge habe nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2) im Jahr 2011 5-6 Monate betragen. Von Januar bis September 2011 seien 1640 neue Asylgesuche eingereicht, 880 Asylgesuche im ersten Halbjahr entschieden worden. Darin seien 26 Person als Flüchtlinge anerkannt worden, 449 hätten subsidiären Schutz erhalten, 23 Personen Temporary Humanitarian Protection und 303 den neuen Schutzstatus New Temporary Humanitarian Protection (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2).
56Sämtlichen Asylbewerbern stünde im Übrigen das Recht zu, bereits ergangene Asylentscheidungen durch ein eigens eingerichtetes „Refugee Appeals Board“ überprüfen zu lassen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3; bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 7). Allerdings werde eine positive Entscheidung zu Gunsten der Asylbewerber hierbei nur in wenigen Fällen pro Jahr gewährt (vgl. UNHCR in seinem o.g. Bericht von März 2013).
57Den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich auch in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße entnehmen, dass ein „systemisches Versagen“,
58vgl. zu diesem Begriff EGMR, Entscheidung vom 2. April 2013, a.a.O., Rn. 78,
59der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vorliegt und das Asylverfahren sowie die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Malta die eingangs erläuterten systemischen Mängel aufweisen.
60Vgl. zu diesem Begriff erneut EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, Rn. 86; bestätigt durch weitere Urteile vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, allesamt juris.
61Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass der UNHCR bislang keine generelle Empfehlung, Asylbewerber und Ausländer, die bereits einen Schutzstatus in Malta haben, nicht nach Malta zu überstellen, ausgesprochen hat. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant sind,
62vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 - C-528/11 -, juris, Rn. 44, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ-RR 2013, 660 ff.
63Trotz der zum Teil nicht unerheblichen Kritik des UNHCR an den allgemeinen Lebensbedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in Malta scheinen hiernach – jedenfalls bislang – noch keine systematischen Mängel vorzuliegen (a.A. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 26).
64In gleicher Weise hat auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrem Update von November 2011 abschließend (Seite 11) Position bezogen. Darin wurde lediglich die Ansicht geäußert, insbesondere verletzliche Person wie Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen (mit und ohne Kinder), ältere und schwer kranke Menschen nicht nach Malta zurückzuschicken, da zumindest ihre Überstellung unzumutbar sei. Eine dieser Konstellationen liegt beim Antragsteller nicht vor.
65Allein der Umstand, dass Flüchtlinge in Malta in geschlossenen „detention centers“ untergebracht sind, bedeutet im Lichte der einschlägigen EMRK-Rechtsprechung zu dem Art. 4 GRCh entsprechenden Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Beschluss vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336) keine erniedrigende und/oder unmenschliche Behandlung, zumal es hierfür aus der Lage Maltas sachliche Gründe gibt.
66Vgl. hierzu auch VG Potsdam, Beschluss vom 20. November 2013 – 6 L 768/13.A –, juris.
67Demgegenüber handelte es sich bei früheren Entscheidungen des EGMR vom 23. Juli 2013, in denen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK festgestellt wurde (vgl. Nr. 55352/12 -, Aden Ahmed/Malta und Nr. 42337/12 -, Aden Ahmed/Malta) um Einzelfallentscheidungen, die nicht den Rückschluss auf systemische Mängel zulassen.
68So bereits VG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, juris.
69Eine gänzlich andere Ausgangslage betraf hingegen das von dem Antragsteller benannte Urteil des EGMR vom 21. Januar 2011 (Nr. 30696/09 –, M.S.S./Belgium and Greece), das sich demgemäß nicht vollständig auf die vorliegende Konstellation übertragen lässt. Diesem Urteil lag ein Fall zu Grunde, in dem ein Ausländer in Griechenland nach seinen Angaben monatelang in extremer Armut gelebt habe und seine elementaren Bedürfnisse nicht habe befriedigen, sich nicht habe ernähren und nicht waschen können sowie obdachlos gewesen sei (a.a.O., Rn. 254). Dabei hat das Gericht sich zur Begründung nicht auf eine unzulässige Fiktion der Menschenrechte berufen, sondern die allgemeine Lebenssituation in Malta anhand diverser Erkenntnismittel ermittelt, in ihren wesentlichen Grundzügen dargelegt und sodann anhand der zuvor aufgestellten Maßgaben eine Schlussfolgerung gezogen. Diese stellten sich jedoch – in Anbetracht der vorstehenden erläuterten Situation in Malta – grundlegend verschieden von dem vorstehenden Fall dar. Ein den griechischen Verhältnissen vergleichbarer Zusammenbruch des gesamten Asyl- und Aufnahme- bzw. Unterbringungssystems mit der Folge gravierender Menschenrechtsverletzungen ist in Malta nicht festzustellen.
70Schließlich ist das Gericht auch – ihre Erforderlichkeit offen gelassen – der Frage nachgegangen, ob dem Antragsteller trotz des Fehlens systemischer Mängel eine Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK im Einzelfall droht, um in einem solchen Falle gegebenenfalls eine Ausnahme von der innereuropäischen Schutzvermutung zu begründen.
71Vgl. etwa VG Oldenburg (Oldenburg), Beschlüsse vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und vom 21. Januar 2014 – 3 B 6802/13 –, juris; s.a. die jüngste Entscheidung des EGMR bezüglich Dublin-Überstellungen nach Italien: Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – Tarakhel gegen die Schweiz; die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#{"itemid":["001-148070"]}.
72Auf Grundlage der hier lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung sind ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Betroffene im zuständigen Mitgliedstaat tatsächlich Gefahr laufe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu werden, nicht erkennbar.
73Zu diesen Maßstäben: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O., Rn. 365; s.a. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, a.a.O.
74Zwar hat der Antragsteller dargelegt, dass er während seiner Aufenthaltszeit in Malta zunächst grundlos inhaftiert und das Leben unerträglich gewesen sei. Doch hat er gleichzeitig die von den diversen Berichten geschilderte Lage bestätigt, dass er nach etwa einem Jahr hätte gehen und sich – neben den geringen staatlichen Hilfen – um eine Arbeitsaufnahme habe bemühen können. Trotz der Schwierigkeit der Lebensbedingungen hat der Antragsteller hiermit keinen Anlass zur Annahme eines Einzelfalls geboten, in welchem er mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in eine Situation geraten würde, die einen Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK darstellen würde. Im Übrigen legt er jedoch nicht dar, dass er als Rücküberstellter bestimmten Risiken in spezifischer Weise ausgesetzt sei. Das Gericht vermag insoweit unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zur Situation in Malta eine besondere Benachteiligung des Antragstellers nicht festzustellen. Abgesehen davon ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen zur Situation auf Malta anzunehmen, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Malta wahrscheinlich die Möglichkeit hätte, dort zu arbeiten und so seinen Lebensunterhalt jedenfalls in bescheidenem Maße selbst zu bestreiten. Gesundheitliche Beschwerden, die dem entgegen stünden oder sogar in medizinischer Hinsicht nach einer anderen Bewertung verlangen würden, hat der Antragsteller hingegen nicht vorgetragen.
75Die Abschiebungsanordnung nach Malta im Bescheid des Bundesames vom °°. T2. °°°° ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
76Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
II.
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. wird abgelehnt.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2I.
3Der am °°. T. °°°° in L. geborene Antragsteller ist F. Staatsangehöriger und gehört dem Volk der U. an.
4Der Antragsteller reiste am °°. O. °°°° mit dem Pkw aus G. kommend in das Bundesgebiet ein.
5Seinen Asylerstantrag vom °°. K. °°°° begründete er damit, dass er Angst vor einer erneuten Gefangenschaft und weiteren körperlichen Übergriffen, insbesondere durch somalische Mitgefangene, habe. Er habe Deutschland erreichen wollen, weil hier die Menschenrechte gewahrt würden und er in Malta in Gefangenschaft gesessen habe. Außerdem könne er sich hier weiterbilden und habe in G1. einen Freund.
6Zu seinem bisherigen Reiseweg führte aus: Er sei im Jahr 2003 aus F. in den T1. gekommen. Ende 2011 sei er mit dem PKW aus dem T1. ausgereist. Im Anschluss sei er zunächst für etwa zehn Monate in M. gewesen, sodann mit dem Boot nach Malta gekommen, wo er etwa ein Jahr lang in Gefangenschaft gewesen und danach noch zwei Monate lang gearbeitet habe. Von Malta aus sei er für die Dauer von insgesamt zwölf Tagen zunächst mit dem Boot nach J. und sodann mit dem Zug nach G. weitergereist. Aus G. sei er schließlich mit dem Pkw, vermutlich durch C1. , nach Deutschland eingereist.
7Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) beantragte am °°. N1. °°°° bei den maltesischen Behörden die Übernahme des Antragstellers und leitete ein Dublin-Verfahren ein. Mit Schreiben vom °. B. °°°° akzeptierten die maltesischen Behörden die Rückübernahme des Antragstellers.
8Durch Bescheid vom °°. T. °°°°, dem Antragsteller gegen Empfangsbestätigung persönlich ausgehändigt am °°. E. °°°°, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Malta an.
9Am °°. E. °°°° hat der Antragsteller Klage (1a K 5740/14.A) erhoben und einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Er trägt vor, dass zwischenzeitlich bereits die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen sei und deshalb eine antragsgemäße Entscheidung durch die Antragsgegnerin erfolgen müsse. Im Übrigen könne Asylsuchenden auf Malta kein menschenwürdiges Dasein geboten werden. Er selbst habe während seiner Aufenthaltszeit in Malta persönlich erlebt, dass er kurz nach seiner Ankunft im B. °°°° mit einem Schlauchboot sofort grundlos inhaftiert worden sei. Die Inhaftierung habe ein volles Jahr angedauert, bis ihm gesagt worden sei, er könne nun gehen und sich ein Zelt zum Schlafen suchen. Kurz nach seiner Entlassung habe er eine einmalige Hilfe von 90 € erhalten, weitere staatliche Hilfen seien stets abgewiesen worden. Zeitweise habe er für zwei Euro in der Stunde bei Bauarbeiten dort ansässiger Unternehmer helfen können, sich im Übrigen aber nur mit Betteln am Leben gehalten. Das Leben auf Malta sei von Beginn an unerträglich gewesen, Aufnahmeplätze oder eine ärztliche Versorgung seien nicht vorhanden. Eine Besserung dieser Situation sei ebenfalls nicht in Sicht, da das maltesischen Aufnahmesystem heillos überfordert und die dortige Regierung nicht bereit sei, die zu gewährenden Standards einzuhalten. Bereits sein eigener, dokumentierter Fall widerlege die Vermutung, die allgemein aus der Teilnahme von Malta am Dublin-Verfahren herrühre. Eine bloße Fiktion der Geltung der Menschenrechte sei jedoch nicht ausreichend, was auch der EGMR im Jahr 2011 bereits festgestellt habe. In dieser Weise hätten deshalb auch schon eine Reihe von Verwaltungsgerichten entschieden.
10Der Antragsteller beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom °°. T. °°°° enthaltene Abschiebungsanordnung nach Malta anzuordnen,
12ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. zu gewähren.
13Die Antragsgegnerin beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Sie nimmt Bezug auf den angegriffenen Bescheid.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17II.
18Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbeschadet der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, vgl. § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO.
19Der Antrag des Antragstellers, über den der Berichterstatter nach § 76 Abs. 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als gesetzlicher Einzelrichter entscheidet, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässig, aber unbegründet.
20Die von dem Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Für die Interessenabwägung ist eine Prognose der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache von wesentlicher Bedeutung. Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung spricht alles dafür, dass der Bescheid des Bundesamts rechtmäßig ist und die gegen ihn gerichtete Klage daher keinen Erfolg haben wird.
21Auf Grundlage von §§ 27a und 34a AsylVfG bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel, dass das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragstellers aussprechen und die Abschiebung nach Malta anordnen durfte. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall.
22Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist insofern die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin III-VO). Die Dublin III-VO, die zum 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist, gilt gemäß ihres Art. 49 Satz 2 für solche Anträge auf internationalen Schutz, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag in Deutschland am °°. K. °°°° gestellt, so dass die Dublin III-VO hier Anwendung findet.
23Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
24Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO ist Malta der für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständige Mitgliedsstaat. Dort hat der Antragsteller ausweislich eines entsprechenden EURODAC-Treffers am °°. P. °°°° einen Asylantrag gestellt. Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Erhalt der EURODAC-Treffermeldung fristgemäß, d.h. innerhalb von zwei Monaten, vgl. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO, das Wiederaufnahmegesuch unter dem °°. N1. °°°° an Malta gestellt. Die maltesischen Behörden haben auf diese Anfrage schließlich unter dem °. B. °°°° ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO und die Bereitschaft zu seiner Wiederaufnahme erklärt.
25Nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in den Fällen des § 27a AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen sind gegeben, da die maltesischen Behörden der Übernahme des Antragstellers unter dem °. B. °°°° zugestimmt haben und der Abschiebung keine Gründe entgegenstehen.
26Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wäre zwar zwischenzeitlich die sechsmonatige Überstellungsfrist am °. P. °°°° abgelaufen.
27Vgl. zum Fristbeginn: OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A -, juris.
28Unabhängig von der Frage, ob Deutschland dementsprechend objektiv nicht mehr zuständig ist für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers, kann der Antragsteller jedoch kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin III-VO geltend machen. Eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten folgt hieraus nicht. Die vorgenannten Vorschriften betreffend die Überstellung hat der Unionsgesetzgeber erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen. Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
29Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -, juris.
30Vorrangiges Ziel der Dublin-Verordnungen, insbesondere seiner Fristbestimmungen für Übernahmeersuchen und Überstellungen, ist danach die zeitnahe Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat. Dem Asylbewerber sollte keine Rechtsposition eingeräumt werden, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen – weiteren – Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen. Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den nach den Dublin-Verordnungen für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten. Die in den Dublin-Verordnungen geregelten Fristvorschriften begründen kein subjektives Recht.
31Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 -; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchstabe B, jeweils juris; a.A. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12. November 2014 – Au 7 K 14.50047 – und VG Regensburg, Urteil vom 14. November 2014 – RN 5 K 14.30304 -, jeweils juris.
32Es liegt schließlich auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der individuellen Rechte des Antragstellers wegen einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt wäre, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zu berufen.
33Die Antragsgegnerin ist auch nicht Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO gehalten, trotz der Zuständigkeit Maltas den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
34Ob ein Mitgliedsstaat vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist.
35Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
36Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Nicht jede Verletzung eines Grundrechts oder jeder geringfügige Verstoß gegen die europäischen Asylrichtlinien durch den zuständigen Mitgliedsstaat kann angesichts dessen dazu führen, dass der überstellende Mitgliedsstaat nicht mehr an die Bestimmungen der Dublin III-VO gebunden wäre. Vielmehr muss ein Mitgliedsstaat die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asylverfahren in diesem Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren.
37Vgl. zur Dublin-II-VO: EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
38Für den vorliegenden Fall ist danach von einer grundsätzlich bestehenden Zuständigkeit Maltas für die Bearbeitung des Asylantrages auszugehen. Diese entfiele jedoch und ginge gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland über, wenn in Malta die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht gewährleistet wäre. Nach den vorgenannten Regelungen wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringt.
39Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verweisung eines Asylbewerbers auf einen sicheren Drittstaat (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) – die nicht nur die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG ausschließt, sondern entsprechend seiner inhaltlichen Reichweite auch die materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann – grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Schutz hat die Bundesrepublik Deutschland in diesen Fällen nur dann zu gewähren, wenn bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Es obliegt insoweit dem Antragsteller unter Anlegung eines strengen Maßstabes, die Umstände darzulegen, aus denen sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem solchen im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen ist.
40Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris.
41Eine Verdichtung des Selbsteintrittsrechts eines Mitgliedsstaates zu einer entsprechenden Pflicht kommt daher nur in Betracht, wenn ein vom „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht aufgefangener Sonderfall offensichtlich vorliegt.
42Im Übrigen reicht unabhängig vom Erfordernis der Existenz systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern die drohende Überstellung in einen Mitgliedstaat, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem überstellenden Mitgliedstaat, nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Diese Regelungen können nicht so ausgelegt werden, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichten, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Sie enthalten keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Ausländern, die von einer Überstellung betroffen sind, gewähren die genannten Regelungen grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, in einem Mitgliedstaat zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bedeutend geschmälert würden, falls ein Antragsteller überstellt werden würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen die zuletzt genannten beiden Vorschriften zu begründen.
43Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - (3. Kammer), Entscheidung vom 2. April 2013 - 27725/10 -, ZAR 2013, 336 f., Rn. 70 f. - Mohammed Hussein u.a./Niederlande u. Italien -, die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001-118927.
44Die Verantwortlichkeit eines Staates nach Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK wegen der Behandlung eines Ausländers kann allerdings ausnahmsweise begründet sein, wenn dieser vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
45Vgl. zur Situation in Griechenland: EGMR - Große Kammer -, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 ff., Rn. 253 - M.S. S./C1.Belgien u. Griechenland -, der an anderer Stelle von einer „Situation äußerster materieller Armut“ spricht (s. Rn. 252, situation of extreme material poverty); die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-103050; vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16.12 -, juris, Rn. 9, mit Veröffentlichungshinweis auf InfAuslR 2013, 45; zu den Voraussetzungen vgl. auch VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 6802/13 -, a.a.O., Rn. 8 f.
46Ausgehend von den vorstehend dargestellten Maßstäben ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Malta eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht,
47vgl. im Ergebnis systematische Mängel in Malta ebenfalls verneinend: VG Potsdam, Beschlüsse vom 20. November 2013 - 6 L 768/13.A -, und 14. Januar 2014 - 6 L 930/13.A -, VG Augsburg, Urteil vom 29. Mai 2013 - Au 7 K 13.30134 -, VG Stade, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 3 B 2649/13 - und 4. April 2013 - 3 B 1395/13 -, VG Magdeburg, Beschluss vom 17. April 2013 - 5 B 155/13 MD -, VG Minden, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 10 L 31/13.A -, VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, alle jeweils juris; systematische Mängel in Bezug auf verletzliche Personen bejahend etwa VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris; systematische Mängel allgemein bejahend: VG Braunschweig, Beschluss vom 28. Oktober 2013 – 7 B 185/13 – und VG Regensburg, Urteil vom 7. Februar 2012 – RO 7 K 11.30142 –, beide juris.
48Nach der genannten Rechtsprechung, einer Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in W. - im Folgenden Deutsche Botschaft genannt - vom °. G2. °°°° und zahlreichen zur Flüchtlingssituation in Malta ergangenen Gutachten sowie Berichten verschiedener Nichtregierungsorganisationen (Bericht des UNHCR von März 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier vom 6. September 2010 – „Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche“ – und Update von November 2011 – „Malta: Aufnahmebedingungen für Personen aus dem Asylbereich“ –; bordermonitoring.eu e.V. und Förderverein Pro Asyl e.V. – im Folgenden bordermonitoring/Pro Asyl genannt –, Broschüre „Malta: Out of System - Zur Situation von Flüchtlingen auf Malta“ von Mai 2012; Amnesty International, Amnesty Report 2013 Malta) nebst einer Veröffentlichung des amerikamischen Außenministeriums (Malta 2013 Human Rights Report des U.S. Department of State vom 19. April 2013) weisen die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Malta für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen und nationalen Schutzes aufenthaltsberechtigt sind, zwar teilweise erhebliche Missstände auf. Diese erreichen aber, jedenfalls soweit – wie hier – nicht verletzliche Personen wie beispielsweise Kinder oder schwer erkrankte Asylbewerber betroffen sind, nicht die für die Annahme systemischer Mängel vorausgesetzte Intensität.
49Auf Grundlage der vorstehenden Erkenntnisquellen stellt sich die Lebenssituation für Asylbewerber in Malta – wie den Antragsteller – im Wesentlichen wie folgt dar:
50Vgl. sehr ausführlich hierzu in jüngerer Zeit bereits VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, beide juris.
51Gemäß der o.g. Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2 f.) werden alle in Malta ankommenden illegalen Immigranten aus Afrika wegen des illegalen Grenzübertritts zunächst in geschlossenen Lagern untergebracht (nicht Gefängnisse). Diese automatische Inhaftierung aller irregulär Einreisenden wird durch andere Berichte, u.a. des UNHCR von März 2013 und bordermonitoring/Pro Asyl (dort Seite 9), – jedenfalls sinngemäß – bestätigt. Im Anschluss würden nur unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder sowie die besonders gefährdeten Personen (schwangere Frauen, Familien mit Kindern sowie Personen mit starken körperlichen/psychischen Einschränkungen) aus der sog. Administrativhaft (detention) entlassen, nachdem sie eine Prüfung ihrer Verletzlichkeit oder ihres Alters durchlaufen hätten (s. auch Amnesty Report 2013 oder Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2). Regelmäßig würden Asylsuchende bis zu zwölf Monate in solchen geschlossenen Lagern untergebracht, bevor sie entlassen würden und sodann auch Zugang zum Arbeitsmarkt hätten. Bei abgelehnten Asylsuchenden könnte die Dauer bis zur Entlassung maximal 18 Monate betragen. Asylbewerber, denen Schutz (Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz oder vorübergehender humanitärer Schutz) gewährt worden sei, würden freigelassen (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 5; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; Amnesty Report 2013). Hauptkritikpunkte sei hier die grundsätzliche systematische Inhaftierung sowie die mangelnde Freizeitbeschäftigung, die kombiniert mit der Unsicherheit über die Zukunft für die Betroffenen psychisch nur schwer zu ertragen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3).
52Nach zwölf Monaten, nach Erhalt eines positiven Entscheids über das Asylgesuch (Asyl oder subsidiärer Schutz) oder nach Feststellung der Verletzlichkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3) würden die betroffenen Personen in die neun vorhandenen offenen Lager verlegt. Bei diesen handele es sich um teilweise überfüllte ehemalige Schulgebäude, Flugzeughallen, Zelt- und Wohncontainerlager (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.). Zu den dortigen Lebensbedingungen heißt es etwa im Bericht des UNHCR von März 2013 (Seite 1 f.) – jedenfalls sinngemäß –, dass diese Einrichtungen rudimentär und oft überbelegt seien, sich jedoch die Lage zuletzt verbessert habe, nach dem die Behörden Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Missstände getroffen hätten. Gleichzeitig sei die Nutzung bestimmter Einrichtungen, die nicht mehr dem Mindeststandard entsprochen hätten, im Jahr 2011 eingestellt worden. Im Hinblick auf die Ausstattung der Lager räumt die Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 5 f.) ein, dass alle Lager nicht dem relativ hohen deutschen Standard entsprechen dürften. Die Lager böten eigentlich nur eine Basisversorgung, sie seien unbequem, lästig und teilweise überfüllt. Speziell in den kühlen Monaten Januar/Februar seien die schlecht beheizbaren Zeltlager als äußerst unkomfortabel einzuordnen. Man könne auch sagen, dass von der Ausstattung, der Organisation und dem Sauberkeitszustand die geschlossenen Lager fast besser seien als die offenen Lager. Die Regierung tue alles in allem viel, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden im Rahmen bestehender nationaler und internationaler Vorschriften. Praktisch bedeute das auch, dass alle Lager laufend renoviert und verbessert würden. Insoweit sei festzuhalten, dass sich die Unterbringungsverhältnisse in den letzten drei Jahren augenfällig verbessert hätten (zu der Bemühung der Regierung um Verbesserungen auch bereits im Jahr 2010: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier, Seite 12). Demgegenüber hält Amnesty International die offenen Aufnahmezentren für die aus der Migrationshaft entlassenen Flüchtlinge und Migranten nach wie vor für unzureichend (Amnesty Report 2013). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert in dem Update von November 2011 (Seite 10), dass solche provisorischen Unterkünfte in keiner Weise angemessen für eine längerfristige Unterbringung seien, faktisch jedoch viele Personen monate- bis jahrelang dort blieben. Speziell in den großen Zentren I. G3. U1. W1. und im I. G3. I1. P1. D. seien die Bedingungen prekär und erinnerten eher an eine Notsituation in einem Katastrophengebiet als an eine dauerhafte Unterkunft für Personen, von denen viele bereits einen Schutzstatus erhalten hätten. Rattenplagen, schlechte hygienische Bedingungen aufgrund von Überbelegung in alten maroden Gebäuden mit Asbest, Schimmel und Algen an den Wänden bzw. Ölrückständen am Boden stellten zudem eine Gesundheitsbedrohung für die Betroffenen dar. Derartige Bedingungen seien für sämtliche Personen problematisch, für verletzliche Person wie Familien mit Kindern jedoch schlicht inakzeptabel. Diese unzureichenden Bedingungen, die sich durch Überbelegung noch verschlimmerten, zeigt auch der Amnesty Report 2013 auf. Der Bericht von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 14 f.) bestätigt ebenfalls, dass die offenen Lager sehr unterschiedliche Standards hätten und in verschiedenen Regionen der Insel lägen. Insbesondere seien die Zentren im Jahr 2011 aufgrund der stark angestiegenen Zahl von Flüchtlingen heillos überfüllt gewesen. Grundsätzlich könne festgehalten werden, dass es in der Lagerpolitik keine klare Linie der Regierung gebe. Die Bewohner/-innen lebten in ständiger Angst, dass sie ihren Platz in ihrem Centre verlören und damit auch ihren Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Immerhin würden die Lager nicht von der Regierung, sondern von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen betrieben (bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 14; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.).
53Hinsichtlich der Rechte und Versorgung der Asylsuchenden heißt es weiter: Die Anerkannten in den offenen Lagern hätten allerdings volle Bewegungsfreiheit und folgende Rechte (hierzu Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3): Anspruch auf kostenlose Unterbringung (in der Regel bis zu 6 m² Privatsphäre) und Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Küchen, Aufenthaltsräume und Sportflächen, Anspruch auf monatliche Barauszahlung in Höhe von 130,- €, auf kostenlose medizinische Versorgung einschließlich Krankenhausaufenthalt, auf generelle Arbeitserlaubnis (viele Personen arbeiteten im Baugewerbe und in der Tourismusbranche) und auf Teilnahme an Integrationskursen (Sprachkurse zum Erlernen der englischen Sprache und Kurse wie „Leben in Malta“ oder „Wie finde ich Arbeit“). Jedoch sei die finanzielle Hilfe an die Voraussetzung genknüpft, sich als Bewohner dreimal pro Woche zu registrieren, wodurch gleichzeitig die Arbeitssuche erschwert werde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Die Gruppe der abgelehnten Asylbewerber habe in einem offenen Lager grundsätzlich die gleichen Rechte wie die „Personen mit Flüchtlingsstatus“, mit zwei Ausnahmen: Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei genehmigungspflichtig und nur zulässig bei Vorlage eines verbindlichen Arbeitsvertrages. Für die Betroffenen sei es sehr schwierig, sich in dem kleinen Land Malta zu integrieren, zumal die Anzahl der Asylsuchenden gemessen an der Bevölkerungszahl groß sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 10).
54Im Hinblick auf Abschiebungen bzw. Rückführungen nach Malta bedürfe es nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 4 f.) einer Differenzierung von drei Gruppen: (a) Personen mit Flüchtlingsstatus und abgelehnte Asylbewerber aus Malta (aus offenen Lagern nach Ablauf der 18-Monate-Frist), (b) Personen, die mit gefälschten Dokumenten über Malta nach Mittel- und Nordeuropa weitergereist seien, und (c) Personen, die aus geschlossenen Einrichtungen in Malta entlaufen und weitergereist seien. Für diese Gruppen würden in Malta bei Rückkehr naturgemäß keine neuen Asylverfahren durchgeführt. Nach Malta zurückgeführte Personen der Gruppe (b) würden zunächst in Malta strafrechtlich belangt und erhielten Haftstrafen bis zu sechs Monaten. Falls es sich um Personen mit Flüchtlingsstatus handeln sollte oder im Asylverfahren abgelehnte Personen, würden sie nach verbüßter Haftstrafe wieder in offenen Lagern untergebracht. Personen der Gruppe (c) würden sofort wieder in geschlossenen Lagern untergebracht. Auch hier gelte die insgesamt bis zu achtzehnmonatige Verweildauer. Zur Gruppe (a) gehörten die eigentlich gemäß „Dublin II“ nach Malta abgeschobenen Personen, die in Malta absolut identisch behandelt würden wie vor der Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa. Nach dem Update zum Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von November 2011 (Seite 4) würden Dublin-Rückkehr in der Regel in offenen Lagern untergebracht und kämen nur dann in geschlossene Lager, wenn sie aus einem solchen geflohen und darauf in ein anderes europäisches Land ausgereist seien (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 22). Ihnen würden allerdings die monatlichen Barauszahlungen für Rückkehrer von 130 € auf 80 € reduziert (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f. und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Ob sich eine Person mit 80,- € noch ernähren und ihren Lebensunterhalt sicherstellen könne, wird unterschiedlich bewertet (ja: Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; nein: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Diese Reduzierung sei für alle Rückkehrer (ob mit Flüchtlingsstatus oder abgelehnte Bewerber) gleich und werde nicht als Bestrafung angesehen, sondern als Auswirkung der ungewissen und selbst initiierten Ausreise nach Mittel- und Nordeuropa. Einfach ausgedrückt, ein Flüchtling, der sich mittellos und ohne Orientierung nach Norden aufmache, habe vermutlich seine Risiken kalkuliert, was sie dann bei Rückkehr nach Malta auch hier die Lage versetze, mit nur 80,- € Zuwendung auszukommen, auch weil er die Möglichkeit habe, hier durch Arbeit ein Zubrot zu verdienen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5). Diese Kürzung der finanziellen Unterstützung wird hingegen etwa von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 16) und Schweizerischer Flüchtlingshilfe (Themenpapier, Seite 5) bemängelt. Umgekehrt aber wird festgehalten, dass Malta eine sehr entspannte und großzügige Handhabung der Arbeitsaufnahme erlaube, was sich auch im Straßenbild ausdrücke, weil viele Flüchtlinge für Müllabfuhrunternehmen, Baufirmen, kleine Handwerker und im Hotelgewerbe arbeiteten (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5 unter Bezugnahme auf den Leiter der UNHCR in Malta, welcher eine eher sehr kritische Haltung gegenüber der maltesischen Regierung in Flüchtlings- und Asylfragen vertrete).
55Die Bearbeitungszeit für Asylanträge habe nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2) im Jahr 2011 5-6 Monate betragen. Von Januar bis September 2011 seien 1640 neue Asylgesuche eingereicht, 880 Asylgesuche im ersten Halbjahr entschieden worden. Darin seien 26 Person als Flüchtlinge anerkannt worden, 449 hätten subsidiären Schutz erhalten, 23 Personen Temporary Humanitarian Protection und 303 den neuen Schutzstatus New Temporary Humanitarian Protection (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2).
56Sämtlichen Asylbewerbern stünde im Übrigen das Recht zu, bereits ergangene Asylentscheidungen durch ein eigens eingerichtetes „Refugee Appeals Board“ überprüfen zu lassen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3; bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 7). Allerdings werde eine positive Entscheidung zu Gunsten der Asylbewerber hierbei nur in wenigen Fällen pro Jahr gewährt (vgl. UNHCR in seinem o.g. Bericht von März 2013).
57Den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich auch in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße entnehmen, dass ein „systemisches Versagen“,
58vgl. zu diesem Begriff EGMR, Entscheidung vom 2. April 2013, a.a.O., Rn. 78,
59der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vorliegt und das Asylverfahren sowie die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Malta die eingangs erläuterten systemischen Mängel aufweisen.
60Vgl. zu diesem Begriff erneut EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, Rn. 86; bestätigt durch weitere Urteile vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, allesamt juris.
61Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass der UNHCR bislang keine generelle Empfehlung, Asylbewerber und Ausländer, die bereits einen Schutzstatus in Malta haben, nicht nach Malta zu überstellen, ausgesprochen hat. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant sind,
62vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 - C-528/11 -, juris, Rn. 44, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ-RR 2013, 660 ff.
63Trotz der zum Teil nicht unerheblichen Kritik des UNHCR an den allgemeinen Lebensbedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in Malta scheinen hiernach – jedenfalls bislang – noch keine systematischen Mängel vorzuliegen (a.A. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 26).
64In gleicher Weise hat auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrem Update von November 2011 abschließend (Seite 11) Position bezogen. Darin wurde lediglich die Ansicht geäußert, insbesondere verletzliche Person wie Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen (mit und ohne Kinder), ältere und schwer kranke Menschen nicht nach Malta zurückzuschicken, da zumindest ihre Überstellung unzumutbar sei. Eine dieser Konstellationen liegt beim Antragsteller nicht vor.
65Allein der Umstand, dass Flüchtlinge in Malta in geschlossenen „detention centers“ untergebracht sind, bedeutet im Lichte der einschlägigen EMRK-Rechtsprechung zu dem Art. 4 GRCh entsprechenden Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Beschluss vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336) keine erniedrigende und/oder unmenschliche Behandlung, zumal es hierfür aus der Lage Maltas sachliche Gründe gibt.
66Vgl. hierzu auch VG Potsdam, Beschluss vom 20. November 2013 – 6 L 768/13.A –, juris.
67Demgegenüber handelte es sich bei früheren Entscheidungen des EGMR vom 23. Juli 2013, in denen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK festgestellt wurde (vgl. Nr. 55352/12 -, Aden Ahmed/Malta und Nr. 42337/12 -, Aden Ahmed/Malta) um Einzelfallentscheidungen, die nicht den Rückschluss auf systemische Mängel zulassen.
68So bereits VG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, juris.
69Eine gänzlich andere Ausgangslage betraf hingegen das von dem Antragsteller benannte Urteil des EGMR vom 21. Januar 2011 (Nr. 30696/09 –, M.S.S./Belgium and Greece), das sich demgemäß nicht vollständig auf die vorliegende Konstellation übertragen lässt. Diesem Urteil lag ein Fall zu Grunde, in dem ein Ausländer in Griechenland nach seinen Angaben monatelang in extremer Armut gelebt habe und seine elementaren Bedürfnisse nicht habe befriedigen, sich nicht habe ernähren und nicht waschen können sowie obdachlos gewesen sei (a.a.O., Rn. 254). Dabei hat das Gericht sich zur Begründung nicht auf eine unzulässige Fiktion der Menschenrechte berufen, sondern die allgemeine Lebenssituation in Malta anhand diverser Erkenntnismittel ermittelt, in ihren wesentlichen Grundzügen dargelegt und sodann anhand der zuvor aufgestellten Maßgaben eine Schlussfolgerung gezogen. Diese stellten sich jedoch – in Anbetracht der vorstehenden erläuterten Situation in Malta – grundlegend verschieden von dem vorstehenden Fall dar. Ein den griechischen Verhältnissen vergleichbarer Zusammenbruch des gesamten Asyl- und Aufnahme- bzw. Unterbringungssystems mit der Folge gravierender Menschenrechtsverletzungen ist in Malta nicht festzustellen.
70Schließlich ist das Gericht auch – ihre Erforderlichkeit offen gelassen – der Frage nachgegangen, ob dem Antragsteller trotz des Fehlens systemischer Mängel eine Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK im Einzelfall droht, um in einem solchen Falle gegebenenfalls eine Ausnahme von der innereuropäischen Schutzvermutung zu begründen.
71Vgl. etwa VG Oldenburg (Oldenburg), Beschlüsse vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und vom 21. Januar 2014 – 3 B 6802/13 –, juris; s.a. die jüngste Entscheidung des EGMR bezüglich Dublin-Überstellungen nach Italien: Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – Tarakhel gegen die Schweiz; die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#{"itemid":["001-148070"]}.
72Auf Grundlage der hier lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung sind ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Betroffene im zuständigen Mitgliedstaat tatsächlich Gefahr laufe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu werden, nicht erkennbar.
73Zu diesen Maßstäben: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O., Rn. 365; s.a. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, a.a.O.
74Zwar hat der Antragsteller dargelegt, dass er während seiner Aufenthaltszeit in Malta zunächst grundlos inhaftiert und das Leben unerträglich gewesen sei. Doch hat er gleichzeitig die von den diversen Berichten geschilderte Lage bestätigt, dass er nach etwa einem Jahr hätte gehen und sich – neben den geringen staatlichen Hilfen – um eine Arbeitsaufnahme habe bemühen können. Trotz der Schwierigkeit der Lebensbedingungen hat der Antragsteller hiermit keinen Anlass zur Annahme eines Einzelfalls geboten, in welchem er mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in eine Situation geraten würde, die einen Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK darstellen würde. Im Übrigen legt er jedoch nicht dar, dass er als Rücküberstellter bestimmten Risiken in spezifischer Weise ausgesetzt sei. Das Gericht vermag insoweit unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zur Situation in Malta eine besondere Benachteiligung des Antragstellers nicht festzustellen. Abgesehen davon ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen zur Situation auf Malta anzunehmen, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Malta wahrscheinlich die Möglichkeit hätte, dort zu arbeiten und so seinen Lebensunterhalt jedenfalls in bescheidenem Maße selbst zu bestreiten. Gesundheitliche Beschwerden, die dem entgegen stünden oder sogar in medizinischer Hinsicht nach einer anderen Bewertung verlangen würden, hat der Antragsteller hingegen nicht vorgetragen.
75Die Abschiebungsanordnung nach Malta im Bescheid des Bundesames vom °°. T2. °°°° ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
76Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Tenor
- 1.
Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage 13 K 8433/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 wird angeordnet.
- 2.
Die Aufhebung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 wird angeordnet. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Antragsteller unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Antragsgegnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen.
- 3.
Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. X. aus N. bewilligt.
- 4.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe:
2A. Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 8433/14.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
5I. Der Antrag ist zulässig.
61. Insbesondere hat der Antragsteller die Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gewahrt. Nach der genannten Vorschrift sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die fristauslösende Bekanntgabe muss gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 und 4 AsylVfG in Form der Zustellung an den Ausländer selbst erfolgen. Eine solche Zustellung hat hier nicht stattgefunden (a). Auch greift die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG nicht ein (b), weshalb die Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG erst am 8. Dezember 2014, als der Antragsteller den Bundesamtsbescheid tatsächlich erhalten hat, in Lauf gesetzt und durch Eingang des Antrags bei Gericht am 15. Dezember 2014 gewahrt wurde (c).
7a) Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 29. Oktober 2014 sollte dem Antragsteller gemäß § 3 VwZG durch die Post mit Zustellungsurkunde an die dem Bundesamt von der Beigeladenen mitgeteilte Anschrift „X1.----straße 119, P. “ zugestellt werden. Unstreitig ist diese Zustellung jedoch nicht erfolgt. Vielmehr ist die Postsendung mit dem auf der Zustellungsurkunde angekreuzten Vermerk „Adressat unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln“ an das Bundesamt zurückgelangt.
8b) Der Bescheid gilt auch nicht aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG als zugestellt. Die Vorschrift sieht vor, dass die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt, wenn die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Voraussetzung für den Eintritt dieser Fiktionswirkung ist jedoch, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist,
9vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 2014 - 13 K 1278/14.A -, juris, Rz. 23 m.w.N.,
10was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes hätte ordnungsgemäß zugestellt werden können, dieses aber zu Unrecht unterblieben ist.
11Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand November 2014, § 10 Rz. 256.
12Hiervon ausgehend greift die Zustellungsfiktion vorliegend nicht ein, weil der Antragsteller im Zeitpunkt des erfolglosen Zustellungsversuchs am 3. November 2014 unter der Anschrift, an die zugestellt werden sollte (X1.----straße 119, P. ) wohnhaft war, eine ordnungsgemäß Zustellung also hätte erfolgen können.
13Etwas anderes folgt nicht aus der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde (§§ 173 VwGO, 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist die Postzustellungsurkunde - auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost - eine öffentliche Urkunde mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft. Diese Beweiskraft erstreckt sich dabei auch darauf, dass der Antragsteller unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war.
14Vgl. VG Düsseldorf , Beschluss vom 2. September 2014 - 13 L 1841/14.A -; VG Trier, Urteil vom 13. November 2013 - 5 K 340/13.TR -, juris, Rz. 20.
15Gemäß § 418 Abs. 2 ZPO ist aber der Beweis der Unrichtigkeit der mit der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen zulässig. Dieser Gegenbeweis erfordert, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen. Er ist durch qualifiziertes Bestreiten zu führen, indem die in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen nicht nur in Abrede gestellt werden, sondern ihre Unrichtigkeit substantiiert und schlüssig dargelegt wird.
16Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2014 - 13 L 1690/14.A -, juris, Rz. 6; BSG, Beschluss vom 28. September 1998 - B 11 AL 83/98 B -, juris.
17Nach diesen Maßstäben vermag hier das Vorbringen des Antragstellers die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde zu erschüttern und dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass der Inhalt der Urkunde eine unzutreffende Tatsache wiedergibt, soweit es in ihr heißt, der Antragsteller sei am 3. November 2011, dem Tag des Zustellungsversuchs, unter der Anschrift „X1.----straße 119, P. “ nicht zu ermitteln gewesen. Der Antragsteller trägt vor, er habe bis Ende November 2014 unter der genannten Anschrift gewohnt. Dies stimmt überein mit der vom Gericht telefonisch eingeholten Auskunft des Hausmeisters der Gemeinschaftsunterkunft X1.----straße 119, Herrn L1. , der bestätigt hat, dass der Antragsteller bis Ende November in der Unterkunft wohnhaft war; weiter führte Herr L1. aus: Der Antragsteller habe sich regelmäßig nach Post erkundigt; Erkenntnisse darüber, dass er sich tatsächlich nicht in der Unterkunft aufgehalten habe, lägen ihm nicht vor; es sei nicht auszuschließen, dass ein Kollege gegenüber dem Postbediensteten irrtümlich geäußert habe, der Antragsteller sei hier nicht wohnhaft. Soweit die Beigeladene mit Schriftsatz vom 4. Februar 20145 einwendet, Herr L1. sei lediglich als Vertretung in der Unterkunft X1.----straße 119 eingesetzt und zum fraglichen Zeitpunkt dort nicht im Dienst gewesen, schließt dies nicht aus, dass Herr L1. nach dem Tag des Zustellungsversuchs während seiner Vertretungsdienstzeiten entsprechende Wahrnehmungen machen konnte. Dass Herr L1. durchgehend bis Ende November 2014 keinen Dienst in der Unterkunft X1.----straße 119 hatte, behauptet die Beigeladene nicht. Die von der Beigeladenen geschilderte Vorgehensweise der Hausmeister bei Postzustellungen - keine Entgegennahme der Sendungen, sondern Begleitung des Postbediensteten bis zum Zimmer des Asylbewerbers - lässt die nahe liegende Möglichkeit offen, dass der Hausmeister dann, wenn er irrtümlich davon ausgeht, der Asylbewerber wohne nicht in der Unterkunft, dem Postbediensteten eine entsprechende Auskunft gibt und tatsächlich nicht zusammen mit diesem das Zimmer aufsucht, weil dies aus seiner Sicht dann keinen Sinn macht. Durchgreifende Zweifel daran, dass der Antragsteller im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs am 3. November 2014 in der Unterkunft X1.----straße wohnhaft war, ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass er bereits zum 15. Oktober 2014 eine neue Wohnung (T.------straße 21, P. ) angemietet hatte. Nach den Angaben der Beigeladenen (siehe den Schriftsatz vom 21. Januar 2015) erfolgte der Einzug in die neue Wohnung erst am 9. Dezember 2014. Dies deckt sich wiederum im Wesentlichen mit der oben wiedergegebenen Auskunft des Hausmeisters L1. . Das weitere Vorbringen der Beigeladenen in deren Schriftsatz vom 21. Januar 2015, telefonische Anfragen seitens eines Mitarbeiters ihrer Ausländerbehörde beim Hausmeister der Unterkunft X1.----straße hätten ergeben, dass der Antragsteller sich „seit einiger Zeit“ dort nicht aufhalte und auch seine in der Unterkunft lagernde Post nicht abhole, lässt sich zwanglos damit in Einklang bringen, dass der Antragsteller, wie dargelegt, Ende November/Anfang Dezember 2014 in die neue Wohnung in der T.------straße umgezogen war. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er sich schon Anfang November 2014 nicht mehr in der Unterkunft X1.----straße aufhielt, obwohl „das reale Einzugsdatum“ (so die Formulierung der Beigeladenen in dem Schriftsatz vom 21. Januar 2015) erst der 9. Dezember 2014 war, lassen sich den bis auf das Umzugsdatum eher vagen Angaben der Beigeladenen nicht entnehmen. Zwar heißt es bereits in einer Email eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde an die Flüchtlingsberaterin Frau N1. vom 24. November 2014, es sei nachvollziehbar, dass der Antragsteller kaum Post erhalte, „wenn er sich selten bis gar nicht in seiner Unterkunft aufhält“ (Blatt 52 der Ausländerakten). Auf schriftliche Nachfrage des Gerichts vermochte die Beigeladene aber nicht näher zu konkretisieren, auf welcher tatsächlichen Erkenntnisgrundlage diese Behauptung beruht. Soweit die Beigeladene erstmals mit Schriftsatz vom 4. Februar 2015 - abweichend von ihren bisherigen Angaben - geltend macht, der tatsächliche Umzug sei nicht erst am 9. Dezember 2014, sondern bereits früher erfolgt, wird dies ebenfalls nicht durch hinreichend aussagekräftige Tatsachen untermauert. Die Beigeladene trägt insoweit lediglich vor, dass der Antragsteller am 6. November 2014 bei der Asylbewerberleistungsstelle angegeben habe, den Schlüssel für sein Zimmer in der Unterkunft X1.----straße 119 in der folgenden Woche abgeben zu wollen, und dass er dies dann am 10. November 2014 getan habe. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass - worauf es im Hinblick auf den Zustellungsversuch vom 3. November 2014 allein ankommt - der Antragsteller jedenfalls bis zur Abgabe des Schlüssels am 10. November 2014 sein Zimmer in der Unterkunft X1.----straße 119 nicht aufgegeben hatte, also noch nicht ausgezogen war. Gegen einen früheren Umzug spricht nicht zuletzt auch, dass das an die Anschrift „X1.----straße 119, P. “ gerichtete Schreiben der Ausländerbehörde vom 4. November 2014, mit dem der Antragsteller zur Vorsprache aufgefordert wurde (siehe Seite 38 der Ausländerakten), diesen offenbar erreicht hat, wie sein daraufhin erfolgtes Erscheinen bei der Ausländerbehörde belegt. Ein Postrücklauf ist nicht aktenkundig. Der Umstand, dass sich wohl das Original des Einladungsschreibens vom 4. November 2014 in den Ausländerakten (Blatt 43) befindet, kann zahlreiche Ursachen haben, etwa die, dass der Antragsteller es bei seiner Vorsprache abgegeben hat (worauf hindeutet, dass es der am 11. November 2014 erteilten Duldung nachgeheftet ist).
18c) Lässt sich - wie hier - die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen, gilt es gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs heilt den Zustellungsmangel, fingiert eine wirksame Zustellung und löst den Lauf der Klage- bzw. Antragsfrist aus.
19Vgl. Sadler, VwVG VwZG, 7. Aufl. 2010, VwZG § 8 Rz. 22; Bay.VGH, Urteil vom 4. Juni 2013 ‑ 12 B 13.183 -, juris..
20Hier hat der Antragsteller den Bundesamtsbescheid tatsächlich am 8. Dezember 2014 durch Aushändigung seitens der Ausländerbehörde erhalten, so dass die einwöchige Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG am 15. Dezember 2014 endete. An diesem Tag sind der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die zugehörige Klage bei Gericht eingegangen. Soweit die Beigeladene dem Antragsteller vorwirft, er habe Kenntnis von dem Vorhandensein des Bundesamtsbescheides gehabt, jedoch nichts unternommen, geht dies in zweierlei Hinsicht fehl: Zum einen ist die irgendwie vermittelte Kenntnis des Adressaten vom bloßen Vorhandensein eines Bescheides rechtlich unerheblich; insbesondere ist sie nicht der rechtliche Anknüpfungspunkt für den Beginn der Antragsfrist. Zum anderen hat der Antragsteller durchaus Anstrengungen unternommen, um in den Besitz des Bescheides zu kommen. Bei seiner Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 11. November 2014 hat man ihm dort jedoch keine Kopie ausgehändigt, sondern ihn an das Bundesamt verwiesen. Erst auf Intervention der Flüchtlingsberaterin Frau N1. , die der Antragsteller daraufhin um Hilfe bat, erklärte die Ausländerbehörde per Email, der Antragsteller könne sich eine Bescheidkopie abholen.
212. Für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht ferner ein Rechtsschutzinteresse, solange über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Hauptsacheverfahren nicht entschieden ist. Dem steht die zwischenzeitlich erfolgte Abschiebung des Antragstellers nicht entgegen, da diese im Wege des Annexverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO wieder rückgängig gemacht, der status quo ante also wieder hergestellt werden kann (siehe dazu unten).
22Vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 1. Februar 2010 - Au 5 S 10.30014 ‑, juris, Rz. 33; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 14 B 86/02 ‑, juris, Rz. 14.
23II. Der Antrag ist auch begründet. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) stellen sich die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als offen dar. Eine abschließende Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die Abwägung der widerstreitenden Belange - der Gefährdung der Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des Interesses der Allgemeinheit an der umgehenden Rückführung des Antragstellers nach Malta andererseits - führt bei offenen Erfolgsaussichten zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers. Denn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung hat gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf einen Schutz entsprechend den im Europäischen Unionsrecht vereinbarten Mindeststandards zurückzutreten.
24Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
25Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Jedoch ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
261. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragstellers vom 21. Mai 2014.
27Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des von dem Antragsteller gestellten Asylantrags.
28Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer-Nr. MT11810/13) in Malta einen Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich auch aus seinen Angaben bei der Befragung durch das Bundesamt am 21. Mai 2014. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 22. Juli 2014 hat Malta am 4. August 2014, und damit innerhalb der nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von zwei Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen.
292. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer - dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener - Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist.
30Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413.
31Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Art. 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 -, juris, Rz. 37; Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinnen vom 18. April 2013 - C 4/11 -, juris, Rz. 57 f.
33Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber - unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO - dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber dort tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.
34Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 94.
35Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 86.
37Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rz. 6 m.w.N.
39Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
40Vgl. VG Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 23 L 899.14 A -, juris, Rz. 6 m.w.N. und vom 4. August 2014 - 34 L 78.14 A -, juris, Rz. 9.
41Systemische Mängel in diesem Sinne können erst dann angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in einzelnen Fällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
42Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 94.
43Die Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem sie die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta mit sich bringen.
44Bei der Bewertung der in Malta bestehenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können).
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12 -, juris, Rz. 130.
46Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu betrachten, die wie der Antragsteller in Malta bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
47Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et. al. -, juris, Rz. 90 ff.
49Auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung erhebliche Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer - dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener - Aufklärung bedürfen.
50Dabei geht das Gericht bei der vorzunehmenden Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta aus.
51Sowohl Art. 3 EMRK als auch Art. 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
52Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413, Rz. 220 m.w.N.
53Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Art. 3 EMRK. Indes verpflichtet Art. 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
54Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, juris, Rz. 221, und 15. Juli 2002 - 47095/99 -, Rz. 95.
55Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Abs. 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Abs. 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Art. 9 Abs. 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Abs. 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Abs. 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11 AufnahmeRL).
56Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
57Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - A 8 K 345/14 -, juris, Rz. 11; VG Oldenburg, Beschluss vom 23. Juli 2014 ‑ 12 B 1217/14 -, juris, Rz. 27 m.w.N.
58Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende - vorläufige - Feststellungen treffen:
59Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür ist das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), das nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheidet. Danach gelten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Art. 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergeht auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Art. 14 Abs. 2 Immigration Act). Anders sieht es nur - bei einem kleinen Prozentsatz - der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit wird von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung trifft (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern kann. Dabei werden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar ist, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige, zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthält keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Falls über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden ist, erfolgt die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkennt. Abschiebehaft ist ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
60Vgl. zu alledem AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation des UNHCR und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ aus Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ aus Juni 2013 S. 5 ff.
61Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen Maltas keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. So sieht das maltesische Recht keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Art. 25A Immigration Act besteht lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen drei Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gibt es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden ist. Entscheidungen dauern bis zu dreieinhalb Monaten und es wird nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben besteht gemäß Art. 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf ist wenig effektiv, weil das Gericht regelmäßig davon ausgeht, dass die Inhaftierung des Flüchtlings auf der Grundlage des Immigration Act rechtmäßig und eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führen könnten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst sei. Schließlich kann die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Art. 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings wird die Inhaftierung in der Regel für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art dauern Monate, wenn nicht Jahre. Hinzu kommt, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert sind und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten besteht.
62Siehe hierzu AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ aus Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ aus Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 55352/12 -, Rz. 108 m.w.N.
63Zu der speziellen - und vorliegend allein maßgeblichen - Situation von Dublin-Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
64Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der - zum Teil mehrere Monate dauernden - Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
65Vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 21 f.
66Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
67Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - A 8 K 345/14 -, juris, Rz. 11.
68Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.
69B. Ist daher die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, hat auch der auf Rückgängigmachung der Abschiebung gerichtete Annexantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO,
70die Aufhebung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Antragsteller unverzüglich die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland auf Kosten der Antragsgegnerin zu ermöglichen,
71Erfolg.
72Die Regelung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO stellt eine prozessuale Grundlage für die Geltendmachung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs in demselben Verfahren, in dem um die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gestritten wurde, zur Verfügung. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO schon vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Sinn der Regelung ist es, zur Erlangung eines im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes die tatsächliche Situation schon im Rahmen des Eilverfahrens mit der Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen.
73Ein solcher Anspruch setzt unter anderem voraus, dass durch die Vollziehung ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist; er ist insoweit begrenzt, als die Folgenbeseitigung rechtlich und tatsächlich möglich sein muss.
74Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2007 - 18 B 2533/06 -, juris, Rz. 12 f.
75Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Wie sich aus § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ergibt, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, war die zwangsweise Rückführung des Antragstellers nach Malta rechtswidrig.
76Nach derzeitiger Erkenntnislage ist auch nicht davon auszugehen, dass die Ermöglichung der Wiedereinreise rechtlich oder tatsächlich unmöglich wäre. Insbesondere führt die Abschiebung nicht dazu, dass einer Wiedereinreise die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegenstünden. Abgesehen davon, dass die Wiedereinreise zumindest über die Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG ermöglicht werden kann und die Wirkungen der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet werden können, stehen die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einem im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu verfolgenden Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch dann nicht entgegen, wenn sich in dem Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nicht abschließend feststellen lässt und eine Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers daran, nicht erst nach erfolgreichem Abschluss des Hauptsacheverfahrens, sondern sogleich wieder nach Deutschland einreisen zu dürfen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer weiteren Fernhaltung des Antragstellers vom Bundesgebiet überwiegt.
77Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2007 - 18 B 2533/06 -, juris, Rz. 25 m.w.N.
78Demnach folgt die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO grundsätzlich denselben Regeln wie die über die Aussetzung; auf die obigen Ausführungen zur Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wird daher verwiesen.
79Da die Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen Erfolg hat, war auch dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
80Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie etwaige eigene außergerichtliche Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
81Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
82Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
I.
Der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, nach seinen Angaben ein am ... 1992 geborener somalischer Staatsangehöriger, reiste am
Bei seinen Befragungen durch die Regierung von Oberbayern am
Eine EURODAC-Recherche vom
Malta stimmte einem Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom
Mit Bescheid vom ... Oktober 2014 erklärte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers gestützt auf § 27 a AsylVfG für unzulässig (Nr. 1) und ordnete gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta an (Nr. 2). Auf die Gründe des Bescheids wird gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.
Gegen den am
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom ... Oktober 2014 anzuordnen, hilfsweise die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung in dem angefochtenen Bescheid aufzuheben, der Antragsgegnerin aufzugeben, Abschiebemaßnahmen gegen den Antragsteller zu unterlassen.
Auch im Eilverfahren wurde beantragt,
dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Zur Begründung der Klage wurde auf einschlägige Rechtsprechung Bezug genommen und vorgetragen, der Asylantrag sei in Malta abgelehnt worden, weil man dem Antragsteller seine Herkunft aus Somalia nicht geglaubt habe und die Bedrohung durch Al-Shabaab und die beiden ermordeten Onkel als gesellschaftlicher Konflikt eingestuft worden seien. Es sei zu befürchten, dass er von Malta unmittelbar in den Verfolgerstaat abgeschoben werde. Trotz der Vertreibung der Al-Shabaab aus Mogadischu sei die Sicherheitslage instabil geblieben. Al-Shabaab sei weiterhin in Mogadischu präsent. Immer wieder komme es zu heftigen Anschlägen. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde damit begründet, dass eine Kanzleimitarbeiterin der ... Rechtsanwaltsgesellschaft mbH versehentlich die Frist für den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nicht aufgenommen habe. Es handele sich um einen einmaligen Vorfall. Die erforderlichen Vorkehrungen seien getroffen worden, dass dies nicht nochmals geschehe.
Die Antragsgegnerin legte mit Schreiben vom
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach zweckgerichteter Auslegung (§ 88, § 122 Abs. 1 VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom... Oktober 2014 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Malta gerichtete Antrag ist bereits unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nicht innerhalb der Wochenfrist des § 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gestellt worden und damit unzulässig. Die Frist hat mit Bekanntgabe des mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung sowie deren Übersetzung in somalische Sprache versehenen Bescheides - ausweislich der Postzustellungsurkunde - am 21. Oktober 2014 zu laufen begonnen (§ 34 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG; § 58 Abs. 1, § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB) und ist gem. § 188 Abs. 2, 1. Alt. i. V. m. § 187 Abs. 1 BGB am 28. Oktober 2014, 24.00 Uhr abgelaufen.
Dem Antragsteller kann nicht, wie fristgerecht beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO gewährt werden. Denn er hat keinen Sachverhalt glaubhaft gemacht, wonach seine Prozessbevollmächtigten, dessen Verhalten er sich nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, ohne Verschulden an der Einhaltung der Antragsfrist verhindert waren (§ 60 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 VwGO). Der nicht weiter substantiierte Vortrag, eine Kanzleimitarbeiterin habe es einmalig versäumt, die Antragsfrist zu notieren, und man habe die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um eine Wiederholung des Versehens auszuschließen, genügt auch bei Anlegung eines niedrigen Maßstabes den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung (§ 60 Abs. 2 Satz 2, § 173 VwGO i. V. m. § 294 ZPO) nicht (vgl. OVG Hamburg, U. v. 5. März 1997 - Bf V 66/95 - juris Rn. 15 mit zahlreichen Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Weder wurde die Mitarbeiterin namentlich benannt noch eine eidesstattliche Versicherung von ihr vorgelegt. Auch ist nicht dargetan, dass die Prozessbevollmächtigten ihre Sorgfaltspflichten in Bezug auf Auswahl und Überwachung ihres Personals eingehalten (u. a. Angaben zur Ausbildung und zum Beschäftigungsverhältnis der Mitarbeiterin) und welche organisatorischen Vorkehrungen sie getroffen haben, um Fristüberschreitungen zu verhindern. Damit ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Fristversäumnis durch Hilfspersonal verursacht worden ist und die Prozessbevollmächtigten hierfür kein Verschulden tragen.
Im Übrigen wäre der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch unbegründet. Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für und gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Anordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Nach der gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller durch die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung nach Malta nicht in subjektiven Rechten verletzt wird.
Nach § 27 a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Malta ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Nach Art. 18 Abs. 1 b) bzw. d) der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Die Antragsgegnerin hat einen Selbsteintritt gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere ist derzeit (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nicht ersichtlich, dass eine Überstellung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO unmöglich ist. Das ist dann der Fall, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EUGRCh - mit sich bringen. Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 - C-411/10
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern nach Maßgabe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 (M.S.S. ./. Belgien und Griechenland -; vgl. auch BVerwG, B. v. 25. Oktober 2012 - 10 B 16/12 - juris Rn. 8 f.) in Malta schon im Allgemeinen nicht eingehalten werden. Es wird zunächst auf die mit Nachweisen aus der Rechtsprechung und aktuellen Erkenntnissen belegten Bescheidsgründe gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen (insbesondere Seite 3 f. zur Situation von Rückkehrern). Ungeachtet der zum Teil schwierigen Verhältnisse (UNHCR von März 2013 in der im Oktober 2013 veröffentlichten Fassung: „Universal Periodic Review: Malta“ und „Position on the detention of asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013, jeweils im Internet veröffentlicht; ausführlich VG Oldenburg, B. v. 17. Februar 2014 - 3 B 6974/13 - juris Rn. 13 ff.) und der vom EGMR in Einzelfällen festgestellten Missstände (E. jeweils v. 23. Juli 2013 - Nr. 55352/12
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote bestehen nicht. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe, die im Rahmen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt zu prüfen sind (BayVGH, B. v. 12. März 2014 - 10 CE 14.427- juris Ls), sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Da der angefochtene Bescheid keine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der „Ausweisung“ bzw. der Abschiebungsandrohung enthält sowie aus vorstehenden Gründen war auch der Hilfsantrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO ist unbeschadet der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus den oben dargelegten Gründen ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. wird abgelehnt.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2I.
3Der am °°. T. °°°° in L. geborene Antragsteller ist F. Staatsangehöriger und gehört dem Volk der U. an.
4Der Antragsteller reiste am °°. O. °°°° mit dem Pkw aus G. kommend in das Bundesgebiet ein.
5Seinen Asylerstantrag vom °°. K. °°°° begründete er damit, dass er Angst vor einer erneuten Gefangenschaft und weiteren körperlichen Übergriffen, insbesondere durch somalische Mitgefangene, habe. Er habe Deutschland erreichen wollen, weil hier die Menschenrechte gewahrt würden und er in Malta in Gefangenschaft gesessen habe. Außerdem könne er sich hier weiterbilden und habe in G1. einen Freund.
6Zu seinem bisherigen Reiseweg führte aus: Er sei im Jahr 2003 aus F. in den T1. gekommen. Ende 2011 sei er mit dem PKW aus dem T1. ausgereist. Im Anschluss sei er zunächst für etwa zehn Monate in M. gewesen, sodann mit dem Boot nach Malta gekommen, wo er etwa ein Jahr lang in Gefangenschaft gewesen und danach noch zwei Monate lang gearbeitet habe. Von Malta aus sei er für die Dauer von insgesamt zwölf Tagen zunächst mit dem Boot nach J. und sodann mit dem Zug nach G. weitergereist. Aus G. sei er schließlich mit dem Pkw, vermutlich durch C1. , nach Deutschland eingereist.
7Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) beantragte am °°. N1. °°°° bei den maltesischen Behörden die Übernahme des Antragstellers und leitete ein Dublin-Verfahren ein. Mit Schreiben vom °. B. °°°° akzeptierten die maltesischen Behörden die Rückübernahme des Antragstellers.
8Durch Bescheid vom °°. T. °°°°, dem Antragsteller gegen Empfangsbestätigung persönlich ausgehändigt am °°. E. °°°°, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Malta an.
9Am °°. E. °°°° hat der Antragsteller Klage (1a K 5740/14.A) erhoben und einstweiligen Rechtsschutz begehrt. Er trägt vor, dass zwischenzeitlich bereits die sechsmonatige Überstellungsfrist abgelaufen sei und deshalb eine antragsgemäße Entscheidung durch die Antragsgegnerin erfolgen müsse. Im Übrigen könne Asylsuchenden auf Malta kein menschenwürdiges Dasein geboten werden. Er selbst habe während seiner Aufenthaltszeit in Malta persönlich erlebt, dass er kurz nach seiner Ankunft im B. °°°° mit einem Schlauchboot sofort grundlos inhaftiert worden sei. Die Inhaftierung habe ein volles Jahr angedauert, bis ihm gesagt worden sei, er könne nun gehen und sich ein Zelt zum Schlafen suchen. Kurz nach seiner Entlassung habe er eine einmalige Hilfe von 90 € erhalten, weitere staatliche Hilfen seien stets abgewiesen worden. Zeitweise habe er für zwei Euro in der Stunde bei Bauarbeiten dort ansässiger Unternehmer helfen können, sich im Übrigen aber nur mit Betteln am Leben gehalten. Das Leben auf Malta sei von Beginn an unerträglich gewesen, Aufnahmeplätze oder eine ärztliche Versorgung seien nicht vorhanden. Eine Besserung dieser Situation sei ebenfalls nicht in Sicht, da das maltesischen Aufnahmesystem heillos überfordert und die dortige Regierung nicht bereit sei, die zu gewährenden Standards einzuhalten. Bereits sein eigener, dokumentierter Fall widerlege die Vermutung, die allgemein aus der Teilnahme von Malta am Dublin-Verfahren herrühre. Eine bloße Fiktion der Geltung der Menschenrechte sei jedoch nicht ausreichend, was auch der EGMR im Jahr 2011 bereits festgestellt habe. In dieser Weise hätten deshalb auch schon eine Reihe von Verwaltungsgerichten entschieden.
10Der Antragsteller beantragt,
11die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom °°. T. °°°° enthaltene Abschiebungsanordnung nach Malta anzuordnen,
12ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N. aus C. zu gewähren.
13Die Antragsgegnerin beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Sie nimmt Bezug auf den angegriffenen Bescheid.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17II.
18Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbeschadet der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, vgl. § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO.
19Der Antrag des Antragstellers, über den der Berichterstatter nach § 76 Abs. 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als gesetzlicher Einzelrichter entscheidet, ist nach § 80 Abs. 5 VwGO in Verbindung mit § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG zulässig, aber unbegründet.
20Die von dem Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Für die Interessenabwägung ist eine Prognose der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache von wesentlicher Bedeutung. Bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung spricht alles dafür, dass der Bescheid des Bundesamts rechtmäßig ist und die gegen ihn gerichtete Klage daher keinen Erfolg haben wird.
21Auf Grundlage von §§ 27a und 34a AsylVfG bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel, dass das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragstellers aussprechen und die Abschiebung nach Malta anordnen durfte. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall.
22Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist insofern die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin III-VO). Die Dublin III-VO, die zum 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist, gilt gemäß ihres Art. 49 Satz 2 für solche Anträge auf internationalen Schutz, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag in Deutschland am °°. K. °°°° gestellt, so dass die Dublin III-VO hier Anwendung findet.
23Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird.
24Gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO ist Malta der für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständige Mitgliedsstaat. Dort hat der Antragsteller ausweislich eines entsprechenden EURODAC-Treffers am °°. P. °°°° einen Asylantrag gestellt. Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Erhalt der EURODAC-Treffermeldung fristgemäß, d.h. innerhalb von zwei Monaten, vgl. Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO, das Wiederaufnahmegesuch unter dem °°. N1. °°°° an Malta gestellt. Die maltesischen Behörden haben auf diese Anfrage schließlich unter dem °. B. °°°° ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO und die Bereitschaft zu seiner Wiederaufnahme erklärt.
25Nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt in den Fällen des § 27a AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen sind gegeben, da die maltesischen Behörden der Übernahme des Antragstellers unter dem °. B. °°°° zugestimmt haben und der Abschiebung keine Gründe entgegenstehen.
26Nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO wäre zwar zwischenzeitlich die sechsmonatige Überstellungsfrist am °. P. °°°° abgelaufen.
27Vgl. zum Fristbeginn: OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A -, juris.
28Unabhängig von der Frage, ob Deutschland dementsprechend objektiv nicht mehr zuständig ist für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers, kann der Antragsteller jedoch kein subjektives Recht auf Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristvorschriften der Dublin III-VO geltend machen. Eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten folgt hieraus nicht. Die vorgenannten Vorschriften betreffend die Überstellung hat der Unionsgesetzgeber erlassen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem „forum shopping“ zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen. Einer der Hauptzwecke der Verordnung besteht in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.
29Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -, juris.
30Vorrangiges Ziel der Dublin-Verordnungen, insbesondere seiner Fristbestimmungen für Übernahmeersuchen und Überstellungen, ist danach die zeitnahe Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat. Dem Asylbewerber sollte keine Rechtsposition eingeräumt werden, seinen Asylantrag in einem ganz bestimmten Mitgliedstaat, in dem er einen – weiteren – Asylantrag gestellt hat, prüfen zu lassen. Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den nach den Dublin-Verordnungen für ihn zuständigen Mitgliedstaat nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten. Die in den Dublin-Verordnungen geregelten Fristvorschriften begründen kein subjektives Recht.
31Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – Rs. C-394/12 – Abdullahi -; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 -; Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. 3, Buchstabe B, jeweils juris; a.A. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 12. November 2014 – Au 7 K 14.50047 – und VG Regensburg, Urteil vom 14. November 2014 – RN 5 K 14.30304 -, jeweils juris.
32Es liegt schließlich auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der individuellen Rechte des Antragstellers wegen einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Antragsgegnerin verwehrt wäre, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zu berufen.
33Die Antragsgegnerin ist auch nicht Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO gehalten, trotz der Zuständigkeit Maltas den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
34Ob ein Mitgliedsstaat vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht, steht grundsätzlich in seinem Ermessen, dessen Ausübung integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist.
35Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
36Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. Nicht jede Verletzung eines Grundrechts oder jeder geringfügige Verstoß gegen die europäischen Asylrichtlinien durch den zuständigen Mitgliedsstaat kann angesichts dessen dazu führen, dass der überstellende Mitgliedsstaat nicht mehr an die Bestimmungen der Dublin III-VO gebunden wäre. Vielmehr muss ein Mitgliedsstaat die Überstellung eines Asylbewerbers an den zuständigen Mitgliedsstaat nur unterlassen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass das Asylverfahren in diesem Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union implizieren.
37Vgl. zur Dublin-II-VO: EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, jeweils juris.
38Für den vorliegenden Fall ist danach von einer grundsätzlich bestehenden Zuständigkeit Maltas für die Bearbeitung des Asylantrages auszugehen. Diese entfiele jedoch und ginge gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 3 Dublin III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland über, wenn in Malta die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht gewährleistet wäre. Nach den vorgenannten Regelungen wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat zum zuständigen Mitgliedsstaat, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Antragsteller in diesem Mitgliedsstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union mit sich bringt.
39Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Verweisung eines Asylbewerbers auf einen sicheren Drittstaat (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) – die nicht nur die Berufung auf das Asylgrundrecht des Art. 16a Abs. 1 GG ausschließt, sondern entsprechend seiner inhaltlichen Reichweite auch die materiellen Rechtspositionen erfasst, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann – grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich. Schutz hat die Bundesrepublik Deutschland in diesen Fällen nur dann zu gewähren, wenn bezogen auf den Drittstaat bzw. auf den zuständigen Staat Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Es obliegt insoweit dem Antragsteller unter Anlegung eines strengen Maßstabes, die Umstände darzulegen, aus denen sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem solchen im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen ist.
40Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris.
41Eine Verdichtung des Selbsteintrittsrechts eines Mitgliedsstaates zu einer entsprechenden Pflicht kommt daher nur in Betracht, wenn ein vom „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht aufgefangener Sonderfall offensichtlich vorliegt.
42Im Übrigen reicht unabhängig vom Erfordernis der Existenz systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern die drohende Überstellung in einen Mitgliedstaat, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem überstellenden Mitgliedstaat, nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Diese Regelungen können nicht so ausgelegt werden, dass sie die Mitgliedstaaten verpflichten, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen. Sie enthalten keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Ausländern, die von einer Überstellung betroffen sind, gewähren die genannten Regelungen grundsätzlich keinen Anspruch mit dem Ziel, in einem Mitgliedstaat zu verbleiben, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bedeutend geschmälert würden, falls ein Antragsteller überstellt werden würde, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen die zuletzt genannten beiden Vorschriften zu begründen.
43Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - (3. Kammer), Entscheidung vom 2. April 2013 - 27725/10 -, ZAR 2013, 336 f., Rn. 70 f. - Mohammed Hussein u.a./Niederlande u. Italien -, die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/fra/pages/search.aspx?i=001-118927.
44Die Verantwortlichkeit eines Staates nach Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK wegen der Behandlung eines Ausländers kann allerdings ausnahmsweise begründet sein, wenn dieser vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
45Vgl. zur Situation in Griechenland: EGMR - Große Kammer -, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413 ff., Rn. 253 - M.S. S./C1.Belgien u. Griechenland -, der an anderer Stelle von einer „Situation äußerster materieller Armut“ spricht (s. Rn. 252, situation of extreme material poverty); die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-103050; vgl. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2012 - 10 B 16.12 -, juris, Rn. 9, mit Veröffentlichungshinweis auf InfAuslR 2013, 45; zu den Voraussetzungen vgl. auch VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 6802/13 -, a.a.O., Rn. 8 f.
46Ausgehend von den vorstehend dargestellten Maßstäben ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Malta eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im zuvor dargestellten Sinne droht,
47vgl. im Ergebnis systematische Mängel in Malta ebenfalls verneinend: VG Potsdam, Beschlüsse vom 20. November 2013 - 6 L 768/13.A -, und 14. Januar 2014 - 6 L 930/13.A -, VG Augsburg, Urteil vom 29. Mai 2013 - Au 7 K 13.30134 -, VG Stade, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 3 B 2649/13 - und 4. April 2013 - 3 B 1395/13 -, VG Magdeburg, Beschluss vom 17. April 2013 - 5 B 155/13 MD -, VG Minden, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 10 L 31/13.A -, VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, alle jeweils juris; systematische Mängel in Bezug auf verletzliche Personen bejahend etwa VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris; systematische Mängel allgemein bejahend: VG Braunschweig, Beschluss vom 28. Oktober 2013 – 7 B 185/13 – und VG Regensburg, Urteil vom 7. Februar 2012 – RO 7 K 11.30142 –, beide juris.
48Nach der genannten Rechtsprechung, einer Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in W. - im Folgenden Deutsche Botschaft genannt - vom °. G2. °°°° und zahlreichen zur Flüchtlingssituation in Malta ergangenen Gutachten sowie Berichten verschiedener Nichtregierungsorganisationen (Bericht des UNHCR von März 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier vom 6. September 2010 – „Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche“ – und Update von November 2011 – „Malta: Aufnahmebedingungen für Personen aus dem Asylbereich“ –; bordermonitoring.eu e.V. und Förderverein Pro Asyl e.V. – im Folgenden bordermonitoring/Pro Asyl genannt –, Broschüre „Malta: Out of System - Zur Situation von Flüchtlingen auf Malta“ von Mai 2012; Amnesty International, Amnesty Report 2013 Malta) nebst einer Veröffentlichung des amerikamischen Außenministeriums (Malta 2013 Human Rights Report des U.S. Department of State vom 19. April 2013) weisen die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Malta für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen und nationalen Schutzes aufenthaltsberechtigt sind, zwar teilweise erhebliche Missstände auf. Diese erreichen aber, jedenfalls soweit – wie hier – nicht verletzliche Personen wie beispielsweise Kinder oder schwer erkrankte Asylbewerber betroffen sind, nicht die für die Annahme systemischer Mängel vorausgesetzte Intensität.
49Auf Grundlage der vorstehenden Erkenntnisquellen stellt sich die Lebenssituation für Asylbewerber in Malta – wie den Antragsteller – im Wesentlichen wie folgt dar:
50Vgl. sehr ausführlich hierzu in jüngerer Zeit bereits VG Oldenburg, Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und VG Berlin, Beschluss vom 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, beide juris.
51Gemäß der o.g. Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2 f.) werden alle in Malta ankommenden illegalen Immigranten aus Afrika wegen des illegalen Grenzübertritts zunächst in geschlossenen Lagern untergebracht (nicht Gefängnisse). Diese automatische Inhaftierung aller irregulär Einreisenden wird durch andere Berichte, u.a. des UNHCR von März 2013 und bordermonitoring/Pro Asyl (dort Seite 9), – jedenfalls sinngemäß – bestätigt. Im Anschluss würden nur unbegleitete und von ihren Familien getrennte Kinder sowie die besonders gefährdeten Personen (schwangere Frauen, Familien mit Kindern sowie Personen mit starken körperlichen/psychischen Einschränkungen) aus der sog. Administrativhaft (detention) entlassen, nachdem sie eine Prüfung ihrer Verletzlichkeit oder ihres Alters durchlaufen hätten (s. auch Amnesty Report 2013 oder Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2). Regelmäßig würden Asylsuchende bis zu zwölf Monate in solchen geschlossenen Lagern untergebracht, bevor sie entlassen würden und sodann auch Zugang zum Arbeitsmarkt hätten. Bei abgelehnten Asylsuchenden könnte die Dauer bis zur Entlassung maximal 18 Monate betragen. Asylbewerber, denen Schutz (Flüchtlingsstatus, subsidiärer Schutz oder vorübergehender humanitärer Schutz) gewährt worden sei, würden freigelassen (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 9; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 5; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; Amnesty Report 2013). Hauptkritikpunkte sei hier die grundsätzliche systematische Inhaftierung sowie die mangelnde Freizeitbeschäftigung, die kombiniert mit der Unsicherheit über die Zukunft für die Betroffenen psychisch nur schwer zu ertragen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3).
52Nach zwölf Monaten, nach Erhalt eines positiven Entscheids über das Asylgesuch (Asyl oder subsidiärer Schutz) oder nach Feststellung der Verletzlichkeit (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 3) würden die betroffenen Personen in die neun vorhandenen offenen Lager verlegt. Bei diesen handele es sich um teilweise überfüllte ehemalige Schulgebäude, Flugzeughallen, Zelt- und Wohncontainerlager (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.). Zu den dortigen Lebensbedingungen heißt es etwa im Bericht des UNHCR von März 2013 (Seite 1 f.) – jedenfalls sinngemäß –, dass diese Einrichtungen rudimentär und oft überbelegt seien, sich jedoch die Lage zuletzt verbessert habe, nach dem die Behörden Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Missstände getroffen hätten. Gleichzeitig sei die Nutzung bestimmter Einrichtungen, die nicht mehr dem Mindeststandard entsprochen hätten, im Jahr 2011 eingestellt worden. Im Hinblick auf die Ausstattung der Lager räumt die Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 5 f.) ein, dass alle Lager nicht dem relativ hohen deutschen Standard entsprechen dürften. Die Lager böten eigentlich nur eine Basisversorgung, sie seien unbequem, lästig und teilweise überfüllt. Speziell in den kühlen Monaten Januar/Februar seien die schlecht beheizbaren Zeltlager als äußerst unkomfortabel einzuordnen. Man könne auch sagen, dass von der Ausstattung, der Organisation und dem Sauberkeitszustand die geschlossenen Lager fast besser seien als die offenen Lager. Die Regierung tue alles in allem viel, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden im Rahmen bestehender nationaler und internationaler Vorschriften. Praktisch bedeute das auch, dass alle Lager laufend renoviert und verbessert würden. Insoweit sei festzuhalten, dass sich die Unterbringungsverhältnisse in den letzten drei Jahren augenfällig verbessert hätten (zu der Bemühung der Regierung um Verbesserungen auch bereits im Jahr 2010: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Themenpapier, Seite 12). Demgegenüber hält Amnesty International die offenen Aufnahmezentren für die aus der Migrationshaft entlassenen Flüchtlinge und Migranten nach wie vor für unzureichend (Amnesty Report 2013). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert in dem Update von November 2011 (Seite 10), dass solche provisorischen Unterkünfte in keiner Weise angemessen für eine längerfristige Unterbringung seien, faktisch jedoch viele Personen monate- bis jahrelang dort blieben. Speziell in den großen Zentren I. G3. U1. W1. und im I. G3. I1. P1. D. seien die Bedingungen prekär und erinnerten eher an eine Notsituation in einem Katastrophengebiet als an eine dauerhafte Unterkunft für Personen, von denen viele bereits einen Schutzstatus erhalten hätten. Rattenplagen, schlechte hygienische Bedingungen aufgrund von Überbelegung in alten maroden Gebäuden mit Asbest, Schimmel und Algen an den Wänden bzw. Ölrückständen am Boden stellten zudem eine Gesundheitsbedrohung für die Betroffenen dar. Derartige Bedingungen seien für sämtliche Personen problematisch, für verletzliche Person wie Familien mit Kindern jedoch schlicht inakzeptabel. Diese unzureichenden Bedingungen, die sich durch Überbelegung noch verschlimmerten, zeigt auch der Amnesty Report 2013 auf. Der Bericht von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 14 f.) bestätigt ebenfalls, dass die offenen Lager sehr unterschiedliche Standards hätten und in verschiedenen Regionen der Insel lägen. Insbesondere seien die Zentren im Jahr 2011 aufgrund der stark angestiegenen Zahl von Flüchtlingen heillos überfüllt gewesen. Grundsätzlich könne festgehalten werden, dass es in der Lagerpolitik keine klare Linie der Regierung gebe. Die Bewohner/-innen lebten in ständiger Angst, dass sie ihren Platz in ihrem Centre verlören und damit auch ihren Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Immerhin würden die Lager nicht von der Regierung, sondern von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen betrieben (bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 14; Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.).
53Hinsichtlich der Rechte und Versorgung der Asylsuchenden heißt es weiter: Die Anerkannten in den offenen Lagern hätten allerdings volle Bewegungsfreiheit und folgende Rechte (hierzu Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3): Anspruch auf kostenlose Unterbringung (in der Regel bis zu 6 m² Privatsphäre) und Nutzung aller Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Küchen, Aufenthaltsräume und Sportflächen, Anspruch auf monatliche Barauszahlung in Höhe von 130,- €, auf kostenlose medizinische Versorgung einschließlich Krankenhausaufenthalt, auf generelle Arbeitserlaubnis (viele Personen arbeiteten im Baugewerbe und in der Tourismusbranche) und auf Teilnahme an Integrationskursen (Sprachkurse zum Erlernen der englischen Sprache und Kurse wie „Leben in Malta“ oder „Wie finde ich Arbeit“). Jedoch sei die finanzielle Hilfe an die Voraussetzung genknüpft, sich als Bewohner dreimal pro Woche zu registrieren, wodurch gleichzeitig die Arbeitssuche erschwert werde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Die Gruppe der abgelehnten Asylbewerber habe in einem offenen Lager grundsätzlich die gleichen Rechte wie die „Personen mit Flüchtlingsstatus“, mit zwei Ausnahmen: Der Zugang zum Arbeitsmarkt sei genehmigungspflichtig und nur zulässig bei Vorlage eines verbindlichen Arbeitsvertrages. Für die Betroffenen sei es sehr schwierig, sich in dem kleinen Land Malta zu integrieren, zumal die Anzahl der Asylsuchenden gemessen an der Bevölkerungszahl groß sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 10).
54Im Hinblick auf Abschiebungen bzw. Rückführungen nach Malta bedürfe es nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 4 f.) einer Differenzierung von drei Gruppen: (a) Personen mit Flüchtlingsstatus und abgelehnte Asylbewerber aus Malta (aus offenen Lagern nach Ablauf der 18-Monate-Frist), (b) Personen, die mit gefälschten Dokumenten über Malta nach Mittel- und Nordeuropa weitergereist seien, und (c) Personen, die aus geschlossenen Einrichtungen in Malta entlaufen und weitergereist seien. Für diese Gruppen würden in Malta bei Rückkehr naturgemäß keine neuen Asylverfahren durchgeführt. Nach Malta zurückgeführte Personen der Gruppe (b) würden zunächst in Malta strafrechtlich belangt und erhielten Haftstrafen bis zu sechs Monaten. Falls es sich um Personen mit Flüchtlingsstatus handeln sollte oder im Asylverfahren abgelehnte Personen, würden sie nach verbüßter Haftstrafe wieder in offenen Lagern untergebracht. Personen der Gruppe (c) würden sofort wieder in geschlossenen Lagern untergebracht. Auch hier gelte die insgesamt bis zu achtzehnmonatige Verweildauer. Zur Gruppe (a) gehörten die eigentlich gemäß „Dublin II“ nach Malta abgeschobenen Personen, die in Malta absolut identisch behandelt würden wie vor der Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa. Nach dem Update zum Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von November 2011 (Seite 4) würden Dublin-Rückkehr in der Regel in offenen Lagern untergebracht und kämen nur dann in geschlossene Lager, wenn sie aus einem solchen geflohen und darauf in ein anderes europäisches Land ausgereist seien (s.a. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 22). Ihnen würden allerdings die monatlichen Barauszahlungen für Rückkehrer von 130 € auf 80 € reduziert (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f. und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Ob sich eine Person mit 80,- € noch ernähren und ihren Lebensunterhalt sicherstellen könne, wird unterschiedlich bewertet (ja: Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 2 f.; nein: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 8). Diese Reduzierung sei für alle Rückkehrer (ob mit Flüchtlingsstatus oder abgelehnte Bewerber) gleich und werde nicht als Bestrafung angesehen, sondern als Auswirkung der ungewissen und selbst initiierten Ausreise nach Mittel- und Nordeuropa. Einfach ausgedrückt, ein Flüchtling, der sich mittellos und ohne Orientierung nach Norden aufmache, habe vermutlich seine Risiken kalkuliert, was sie dann bei Rückkehr nach Malta auch hier die Lage versetze, mit nur 80,- € Zuwendung auszukommen, auch weil er die Möglichkeit habe, hier durch Arbeit ein Zubrot zu verdienen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5). Diese Kürzung der finanziellen Unterstützung wird hingegen etwa von bordermonitoring/Pro Asyl (Seite 16) und Schweizerischer Flüchtlingshilfe (Themenpapier, Seite 5) bemängelt. Umgekehrt aber wird festgehalten, dass Malta eine sehr entspannte und großzügige Handhabung der Arbeitsaufnahme erlaube, was sich auch im Straßenbild ausdrücke, weil viele Flüchtlinge für Müllabfuhrunternehmen, Baufirmen, kleine Handwerker und im Hotelgewerbe arbeiteten (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 5 unter Bezugnahme auf den Leiter der UNHCR in Malta, welcher eine eher sehr kritische Haltung gegenüber der maltesischen Regierung in Flüchtlings- und Asylfragen vertrete).
55Die Bearbeitungszeit für Asylanträge habe nach der Auskunft der Deutschen Botschaft (Seite 2) im Jahr 2011 5-6 Monate betragen. Von Januar bis September 2011 seien 1640 neue Asylgesuche eingereicht, 880 Asylgesuche im ersten Halbjahr entschieden worden. Darin seien 26 Person als Flüchtlinge anerkannt worden, 449 hätten subsidiären Schutz erhalten, 23 Personen Temporary Humanitarian Protection und 303 den neuen Schutzstatus New Temporary Humanitarian Protection (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Update von November 2011, Seite 2).
56Sämtlichen Asylbewerbern stünde im Übrigen das Recht zu, bereits ergangene Asylentscheidungen durch ein eigens eingerichtetes „Refugee Appeals Board“ überprüfen zu lassen (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft, Seite 3; bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 7). Allerdings werde eine positive Entscheidung zu Gunsten der Asylbewerber hierbei nur in wenigen Fällen pro Jahr gewährt (vgl. UNHCR in seinem o.g. Bericht von März 2013).
57Den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich auch in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße entnehmen, dass ein „systemisches Versagen“,
58vgl. zu diesem Begriff EGMR, Entscheidung vom 2. April 2013, a.a.O., Rn. 78,
59der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen vorliegt und das Asylverfahren sowie die Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Malta die eingangs erläuterten systemischen Mängel aufweisen.
60Vgl. zu diesem Begriff erneut EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, Rn. 86; bestätigt durch weitere Urteile vom 14. November 2013 – C-4/11 – und vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, allesamt juris.
61Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass der UNHCR bislang keine generelle Empfehlung, Asylbewerber und Ausländer, die bereits einen Schutzstatus in Malta haben, nicht nach Malta zu überstellen, ausgesprochen hat. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin II-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant sind,
62vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 - C-528/11 -, juris, Rn. 44, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ-RR 2013, 660 ff.
63Trotz der zum Teil nicht unerheblichen Kritik des UNHCR an den allgemeinen Lebensbedingungen für Asylsuchende und Flüchtlinge in Malta scheinen hiernach – jedenfalls bislang – noch keine systematischen Mängel vorzuliegen (a.A. bordermonitoring/Pro Asyl, Seite 26).
64In gleicher Weise hat auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrem Update von November 2011 abschließend (Seite 11) Position bezogen. Darin wurde lediglich die Ansicht geäußert, insbesondere verletzliche Person wie Familien mit Kindern, alleinstehende Frauen (mit und ohne Kinder), ältere und schwer kranke Menschen nicht nach Malta zurückzuschicken, da zumindest ihre Überstellung unzumutbar sei. Eine dieser Konstellationen liegt beim Antragsteller nicht vor.
65Allein der Umstand, dass Flüchtlinge in Malta in geschlossenen „detention centers“ untergebracht sind, bedeutet im Lichte der einschlägigen EMRK-Rechtsprechung zu dem Art. 4 GRCh entsprechenden Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Beschluss vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336) keine erniedrigende und/oder unmenschliche Behandlung, zumal es hierfür aus der Lage Maltas sachliche Gründe gibt.
66Vgl. hierzu auch VG Potsdam, Beschluss vom 20. November 2013 – 6 L 768/13.A –, juris.
67Demgegenüber handelte es sich bei früheren Entscheidungen des EGMR vom 23. Juli 2013, in denen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK festgestellt wurde (vgl. Nr. 55352/12 -, Aden Ahmed/Malta und Nr. 42337/12 -, Aden Ahmed/Malta) um Einzelfallentscheidungen, die nicht den Rückschluss auf systemische Mängel zulassen.
68So bereits VG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 –, juris.
69Eine gänzlich andere Ausgangslage betraf hingegen das von dem Antragsteller benannte Urteil des EGMR vom 21. Januar 2011 (Nr. 30696/09 –, M.S.S./Belgium and Greece), das sich demgemäß nicht vollständig auf die vorliegende Konstellation übertragen lässt. Diesem Urteil lag ein Fall zu Grunde, in dem ein Ausländer in Griechenland nach seinen Angaben monatelang in extremer Armut gelebt habe und seine elementaren Bedürfnisse nicht habe befriedigen, sich nicht habe ernähren und nicht waschen können sowie obdachlos gewesen sei (a.a.O., Rn. 254). Dabei hat das Gericht sich zur Begründung nicht auf eine unzulässige Fiktion der Menschenrechte berufen, sondern die allgemeine Lebenssituation in Malta anhand diverser Erkenntnismittel ermittelt, in ihren wesentlichen Grundzügen dargelegt und sodann anhand der zuvor aufgestellten Maßgaben eine Schlussfolgerung gezogen. Diese stellten sich jedoch – in Anbetracht der vorstehenden erläuterten Situation in Malta – grundlegend verschieden von dem vorstehenden Fall dar. Ein den griechischen Verhältnissen vergleichbarer Zusammenbruch des gesamten Asyl- und Aufnahme- bzw. Unterbringungssystems mit der Folge gravierender Menschenrechtsverletzungen ist in Malta nicht festzustellen.
70Schließlich ist das Gericht auch – ihre Erforderlichkeit offen gelassen – der Frage nachgegangen, ob dem Antragsteller trotz des Fehlens systemischer Mängel eine Verletzung von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK im Einzelfall droht, um in einem solchen Falle gegebenenfalls eine Ausnahme von der innereuropäischen Schutzvermutung zu begründen.
71Vgl. etwa VG Oldenburg (Oldenburg), Beschlüsse vom 17. Februar 2014 – 3 B 6974/13 – und vom 21. Januar 2014 – 3 B 6802/13 –, juris; s.a. die jüngste Entscheidung des EGMR bezüglich Dublin-Überstellungen nach Italien: Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 – Tarakhel gegen die Schweiz; die offizielle Fassung in der englischen Amtssprache ist abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-148070#{"itemid":["001-148070"]}.
72Auf Grundlage der hier lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung sind ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Betroffene im zuständigen Mitgliedstaat tatsächlich Gefahr laufe, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu werden, nicht erkennbar.
73Zu diesen Maßstäben: EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a.a.O., Rn. 365; s.a. EGMR, Urteil vom 4. November 2014, a.a.O.
74Zwar hat der Antragsteller dargelegt, dass er während seiner Aufenthaltszeit in Malta zunächst grundlos inhaftiert und das Leben unerträglich gewesen sei. Doch hat er gleichzeitig die von den diversen Berichten geschilderte Lage bestätigt, dass er nach etwa einem Jahr hätte gehen und sich – neben den geringen staatlichen Hilfen – um eine Arbeitsaufnahme habe bemühen können. Trotz der Schwierigkeit der Lebensbedingungen hat der Antragsteller hiermit keinen Anlass zur Annahme eines Einzelfalls geboten, in welchem er mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in eine Situation geraten würde, die einen Verstoß gegen Art. 4 GR-Charta und Art. 3 EMRK darstellen würde. Im Übrigen legt er jedoch nicht dar, dass er als Rücküberstellter bestimmten Risiken in spezifischer Weise ausgesetzt sei. Das Gericht vermag insoweit unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zur Situation in Malta eine besondere Benachteiligung des Antragstellers nicht festzustellen. Abgesehen davon ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen zur Situation auf Malta anzunehmen, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Malta wahrscheinlich die Möglichkeit hätte, dort zu arbeiten und so seinen Lebensunterhalt jedenfalls in bescheidenem Maße selbst zu bestreiten. Gesundheitliche Beschwerden, die dem entgegen stünden oder sogar in medizinischer Hinsicht nach einer anderen Bewertung verlangen würden, hat der Antragsteller hingegen nicht vorgetragen.
75Die Abschiebungsanordnung nach Malta im Bescheid des Bundesames vom °°. T2. °°°° ist ebenfalls rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 AsylVfG) erfolgen soll, die Abschiebung an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
76Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
II.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 22. Januar 1979 in Rimal/Marokko geborene Kläger ist nach seinen Angaben marokkanischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit.
3Er war bereits im Sommer/Herbst 2009 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und wurde am 23. September 2009 in Erfurt von der Polizei aufgegriffen. Am 2. Oktober 2009 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 25 AsylVfG gab der Kläger an, er sei von Libyen mit dem Schlauchboot nach Sizilien gebracht worden. Von dort aus sei er mit dem Zug nach Mailand, dann weiter nach Paris und von dort nach Deutschland gefahren.
4Das Bundesamt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 11. Dezember 2009 als unzulässig ab; zugleich ordnete es die Abschiebung nach Italien an. In der Begründung hieß es unter anderem: Laut Eurodac sei der Kläger am 24. Mai 2009 illegal über Italien in den Bereich der Mitgliedstaaten der Dublin II-VO eingereist. Auf ein am 16. November 2009 gestelltes Übernahmeersuchen hin habe Italien seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO erklärt. Daher werde dieser Antrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
5Aufgrund des Übernahmeersuchens wurde der Kläger am 22. Dezember 2009 auf dem Luftwege über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt.
6Am 11. Januar 2011 wurde der Kläger wegen erneuten illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet wiederum in Erfurt aufgegriffen. Bei seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Thüringer Polizei gab er an, er habe nach der Abschiebung nach Italien dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Einen Asylantrag habe er nicht stellen können. Er sei deshalb nach Frankreich weitergereist, habe sich aber auch dort ohne festen Wohnsitz aufgehalten, ohne einen Asylantrag zu stellen. Schließlich sei er – einen Tag zuvor – wieder nach Deutschland gekommen. Er bitte um Asylgewährung, weil er in Marokko von der Familie seiner Freundin, die er geschwängert habe, mit dem Tode bedroht werde.
7Unter dem 17. Januar 2011 ersuchte das Bundesamt Italien unter Bezugnahme auf Art. 16 Satz 1, Art. 13 Dublin II‑VO um Übernahme des Klägers. Das Ersuchen blieb – ebenso wie eine unter Hinweis auf die Annahmefiktion erfolgte Erinnerung vom 18. Februar 2011 – unbeantwortet.
8Mit Bescheid vom 27. April 2011 lehnte das Bundesamt den erneuten Antrag des Klägers auf Durchführung eines Asylverfahrens ab und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an. Italien sei für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Wiederaufgreifensgründe lägen insoweit nicht vor, als diese nicht das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II-VO beträfen. Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO seien ebenfalls nicht ersichtlich. Ein Ausnahmefall vom Konzept der normativen Vergewisserung liege nicht vor.
9Ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes war die Überstellung des Klägers von Düsseldorf nach Rom-Fiumicino mit einem Flug am 10. Mai 2011 vorgesehen.
10Mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A – hat das Verwaltungsgericht der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, vorläufig für die Dauer von sechs Monaten Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen.
11Mit seiner am 16. Mai 2011 erhobenen Klage hat der Kläger im Kern geltend gemacht, die tatsächliche Situation für Asylsuchende in Italien lasse unverändert nicht den Schluss zu, dass dort ein Asylverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Asylantrag in der Sache zu entscheiden.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Der Kläger habe einen aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Selbsteintrittsrecht) folgenden Anspruch darauf, dass ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werde. Das insoweit bestehende Ermessen sei auf Null reduziert. Denn es sei nach den tatsächlichen Verhältnissen in Italien nicht gewährleistet, dass dem Kläger dort ein den Richtlinien der Europäischen Union konformes Asylverfahren zugänglich gemacht werde und namentlich die Erfüllung seiner notwendigen Lebensbedürfnisse sichergestellt sei. Unabhängig davon sei Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens auch deswegen zuständig, weil die nach der Dublin II-VO geltende Überstellungsfrist von 6 Monaten abgelaufen sei. Diese Frist habe sich infolge des durchgeführten Eilverfahrens nicht verlängert.
17In einem weiteren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes während des anhängigen Verfahrens auf Zulassung der Berufung hat der Senat durch Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid des Bundesamts vom 27. April 2011 angeordnet.
18Die mit Beschluss vom gleichen Tage zugelassene Berufung hat die Beklagte fristgerecht begründet. Sie hält aus im Einzelnen dargelegten Gründen Italien weiterhin für zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens.
19Der Kläger beantragt, seinen erstinstanzlichen Antrag neu fassend,
20den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2011 aufzuheben.
21Die Beklagte beantragt,
22das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage mit dem neu gefassten Antrag abzuweisen.
23Der Kläger beantragt weiter,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Der Kläger tritt der Berufung entgegen und macht hierzu im Wesentlichen geltend: Jedenfalls im Falle ernsthafter Anhaltspunkte für eine mit Blick auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im Zielstaat einer Dublin-Überstellung drohende Verletzung von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: EUGRCh) habe der betroffene Asylbewerber ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts, zumindest aber auf Absehen von einer Überstellung. Was den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO betreffe, lasse sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache „Petrosian“ für die Rechtslage in Deutschland kein klares Ergebnis herleiten. Hinsichtlich der tatsächlichen Aspekte des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer in Italien überzeuge die Bewertung der konkreten Situation vor Ort durch die Beklagte sowie in den von dieser zur Stützung ihrer Auffassung in Bezug genommenen Erkenntnismitteln nicht. Es fänden sich dort zum Teil widersprüchliche und/oder ungenaue Aussagen. Zu den Quellen gebe es insbesondere bei den Auskünften des Auswärtigen Amtes nur sehr allgemeine Angaben. Die konkreten Fragen des Senats in dessen Anfrage vom 18. Oktober/27. November 2013 seien unbeantwortet geblieben; das habe der gesetzlich vorgeschriebenen Amtshilfe nicht Genüge getan. Zumindest ein Teil der von der Beklagten außerdem in Bezug genommenen Gerichtsentscheidungen betreffe schon keine hinreichend vergleichbaren Fallkonstellationen; andere Entscheidungen schöpften nicht die Erkenntnisse aus den neuesten vorhandenen Auskünften/Berichten in der gebotenen Weise aus. Auf der Grundlage einer verständigen Würdigung aller vorhandenen und namentlich der besonders aktuellen Erkenntnismittel stelle sich die Lage demgegenüber so dar, dass eine von den tatsächlich zur Verfügung stehenden– hier bei weitem unzureichenden und derzeit auch erheblich überbelegten – Unterbringungskapazitäten schlüssig getragene Sicherstellung einer Versorgung der Asylbewerber und speziell der Dublin-Rückkehrer mit Unterkunft sowie außerdem mit Verpflegung, Kleidung und medizinischer Hilfe – alles gemessen an dem (Mindest-)Schutzniveau des Art. 4 EUGRCh – nicht gewährleistet und auch nicht regelmäßig vorhanden sei. Da das eigentliche Problem des italienischen Asyl-/Aufnahmesystems eine enorme Diskrepanz zwischen dem (nach den Rechtsvorschriften gebotenen) Soll-Zustand und dem (die Praxis und Lebenswirklichkeit bestimmenden) Ist-Zustand sei, umfassende empirische Untersuchungen zu den tatsächlichen Verhältnissen aber in der Regel fehlten, ließen sich zulässigerweise auch aus (etwa Berichten von Nichtregierungsorganisationen zugrunde liegenden) Schilderungen von typischen Einzelfällen Schlüsse auf die im Land vorherrschenden Rahmenbedingungen ziehen. Darauf gründend lägen hier gravierende Defizite vor, die zugleich als strukturell zu bewerten seien. So sei etwa das italienische Asyl- und (daran anknüpfend) Aufnahmesystem dergestalt zweistufig ausgestaltet, dass es nach der ersten Anbringung des Asylgesuchs noch dessen förmlicher Registrierung in einer Questura bedürfe, um überhaupt Leistungen wie Unterkunft o.ä. erhalten zu können. Da diese Registrierung in der Praxis manchmal erst Wochen oder zum Teil sogar Monate später erfolge, ergebe sich eine zeitliche Lücke, welche missachte, dass nach europäischem Recht schon ab Einreise und Asylantragstellung ein Anspruch auf soziale Leistungen bestehe. Bei den in Rede stehenden Aufnahmemodalitäten, darunter insbesondere den massiven Kapazitätsengpässen, handele es sich auch nicht nur um ein temporäres, inzwischen überstandenes Problem. Im Gegenteil habe sich die Situation in der letzten Zeit nicht beruhigt, sondern sogar weiter zugespitzt. Denn zum einen habe der Zustrom von Asylbewerbern nach Italien im Jahr 2013 – und namentlich dessen zweiter Hälfte – wieder dramatisch zugenommen (insgesamt ca. 43.000 Bootsflüchtlinge), andererseits seien die im Zuge des sog. „Notstands Nordafrika“ zusätzlich eingerichteten Unterkunftsmöglichkeiten des Zivilschutzes im Laufe des Jahres 2013 weggefallen und es sei hierfür kein adäquater Ausgleich geschaffen worden. Die insoweit bestehende Lücke zu schließen und zugleich ein – bislang fehlendes – klar überschaubares, möglichst zentrales System der Verteilung von Unterkünften und Verpflegung einzurichten, falle in die staatliche Verantwortung Italiens. Durch die Kirche und etwaige sonstige karitative Einrichtungen erbrachte zusätzliche Nothilfe, auf welche etwa das Auswärtigen Amt immer wieder ergänzend hinweise, könne daher das anzunehmende strukturelle Defizit im Sinne der Rechtsprechung zum „systemischen Mangel“ nicht beseitigen. Das gelte zumal dann, wenn diese Hilfe nicht im staatlichen Auftrag, sondern bezogen auf das Selbstverständnis dieser Organisationen „aus eigenem Antrieb“ erfolge. Das Vorliegen eines „systemischen Mangels“ sei im Übrigen nicht im Sinne einer zusätzlichen Anforderung zu begreifen. Das gelte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Supreme Court des Vereinigten Königreichs jedenfalls dann, wenn kein Zweifel daran bestehe, dass in dem jeweiligen Einzelfall die ernstzunehmende Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gegeben sei. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof durch Urteil vom 27. Februar 2014 nochmals klargestellt, dass der Asylbewerber bereits ab dem Zeitpunkt des Asylantrages den Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben habe, was bei Fehlen einer verfügbaren Unterkunft auch die ersatzweise Zurverfügungstellung finanzieller Mittel betreffe.
26In der (ersten) mündlichen Verhandlung des Senats vom 26. September 2013 ist der Kläger ausführlich (u.a.) zu den Umständen seiner 2009 erfolgten Rückführung nach Italien befragt worden; wegen der Einzelheiten seiner Angaben wird auf die betreffende Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der sonstigen Beiakten (insgesamt 9 Hefte) sowie der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
30I. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig. Der Kläger hat seinen Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entsprechend klargestellt, die Beklagte hat sich hiermit einverstanden erklärt. Eine Anfechtungsklage bietet den erforderlichen und ausreichenden Rechtsschutz, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf. Dies ergibt sich aus Folgendem:
31Nach den Regelungen der vorliegend anzuwendenden (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, Art. 49 Satz 3 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180/31, sog. Dublin III-VO) Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 50/1, sog. Dublin II-VO, ist grundsätzlich nur ein einziger Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung eines Asylantrags zuständig. Lehnt vor diesem Hintergrund die Beklagte, wie ihr Terminsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Bezug auf den streitbefangenen Bescheid klargestellt hat, die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats ab, kann der Asylbewerber geltend machen, seine Überstellung in eben diesen Staat sei wegen dort gegebener systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unzulässig. Erweist sich diese Behauptung als zutreffend, so ist die Beklagte schon kraft Unionsrechts verpflichtet zu prüfen, ob nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO ein anderer Mitgliedstaat zur Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof wiederholt entschieden und hierzu ausgeführt: „... hat folglich dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständig bestimmten Mitgliedstaat nicht möglich ist, der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, ..., die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Ist dies nicht der Fall, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, nach Art. 13 der Verordnung für dessen Prüfung zuständig.“
32EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 –(Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 33 f.; inhaltlich übereinstimmend ferner Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 u.a. – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 96, 97 u. 107.
33Diese unionsrechtliche Verpflichtung tritt, wenn sich die systemischen Mängel erweisen sollten, automatisch ein. Die Verwaltungsgerichte haben demnach zu prüfen, ob in dem in Betracht kommenden Mitgliedstaat der Europäischen Union die behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen vorliegen, und bejahendenfalls weiter zu untersuchen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den Regelungen der Dublin II-VO für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats brauchen die Verwaltungsgerichts nach allgemeinen Grundsätzen aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen, sondern nur insoweit, als sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben. Dementsprechend erweist sich Ziffer 1 des angefochtenen Bundesamtsbescheides als rechtmäßig entweder, wenn der für die Durchführung des Asylverfahrens als zuständig benannte Staat tatsächlich zuständig ist und nicht wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen ausfällt oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens vorrangig zuständig ist. Ergibt die verwaltungsgerichtliche Prüfung aber, dass in dem von der Beklagten als zuständig bezeichneten Mitgliedstaat systemische Mängel bestehen, und lässt sich kein anderer vorrangig zuständiger Mitgliedstaat ausmachen, so ist Deutschland nach Art. 13 Dublin II-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig, weil (regelmäßig) jedenfalls hier ein Asylantrag gestellt worden ist. Eines auf Durchführung des Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsausspruchs bedarf es daher nicht, weil bei bestehender Zuständigkeit der Asylantrag von Amts wegen sachlich zu prüfen ist. Dementsprechend besteht – ungeachtet der Möglichkeit zum Selbsteintritt – selbst beim Bestehen systemischer Mängel auch keine Verpflichtung zum Selbsteintritt des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO,
34vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), a.a.O., Rn. 37; Thym, NVwZ 2014, 130,
35und demzufolge auch kein hierauf gerichteter Anspruch des Asylbewerbers.
36Dies gilt nicht nur bei erstmaliger Antragstellung, sondern auch im Wiederholungsfalle und zwar unabhängig davon, ob der Asylbewerber zwischenzeitlich in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat überstellt wurde. Es spielt daher vorliegend keine Rolle, dass die Beklagte den Asylantrag des Klägers als Folgeantrag eingestuft und in dem Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 die Durchführung eines „weiteren“ Asylverfahrens abgelehnt hat. Insbesondere ist im Lichte der vorbezeichneten neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Fällen der vorliegenden Art die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht einschlägig, derzufolge sich die Verwaltungsgerichte bei Ablehnung der Durchführung eines Asylfolgeverfahrens nicht auf die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Folgeverfahrens beschränken dürfen, sondern die Sache im Hinblick auf die begehrte Anerkennung als Flüchtling spruchreif zu machen haben.
37BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 –, BVerwGE 107, 128 = juris, Rn. 10; dem auch für Fälle folgend, in denen die Prüfung der sog. Dublin-Zuständigkeit inmitten steht, OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2011 – 3 A 133/10.A –, juris.
38Denn die hier zentrale Frage nach dem für die Prüfung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat ist – wie der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 zutreffend ausführt – der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und betrifft nicht das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ein abgeschlossenes (Asyl-)Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen ist. Zuständigkeitsprüfung und inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens sind unterschiedliche, voneinander getrennte Verfahren. Dies wird bestätigt durch die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326/13), die sog. Verfahrensrichtlinie, wonach die materielle Prüfung des Asylgesuchs durch eine „Asylbehörde“ erfolgt, deren Entscheidung gerichtlich überprüft werden kann. Diese Richtlinie betrifft ausweislich ihres Artikels 39 Abs. 1 Buchst. a) i) i.V.m. Art. 25 Abs. 1 sowie ihres 29. Erwägungsgrundes aber nicht das Verfahren der Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II-VO, was belegt, dass die Zuständigkeitsprüfung ein von der materiellen Prüfung des Asylbegehrens abgetrenntes Verfahren darstellt. Noch deutlicher formuliert dies der 53. Erwägungsgrund der nachfolgenden (Verfahrens-)Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, der von einem Verfahren zur Klärung der Zuständigkeit „zwischen Mitgliedstaaten“ spricht. Auch der Europäische Gerichtshof weist darauf hin, dass die Bestimmungen der Dublin II-VO die „Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln“.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 56.
40II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. April 2011 ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Unabhängig von der formalen Einordnung des Asylantrags des Klägers durch die Beklagte als Folgeantrag im Sinne des § 71 AsylVfG findet– wie der Sitzungsvertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat – der Bescheid hinsichtlich der Ablehnung der Durchführung eines Asylverfahrens seine Rechtsgrundlage in § 27a AsylVfG und hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in § 34a Abs. 1 AsylVfG. Beide Regelungen des Bescheides sind rechtlich nicht zu beanstanden.
421. Das Bundesamt hat richtig entschieden, dass die Beklagte für die sachliche Prüfung und Entscheidung des streitbefangenen Asylantrags nicht zuständig ist. Damit musste dieser Antrag, wie in Ziffer 1 des Bescheides vom 27. April 2011 geschehen, abgelehnt werden, weil er unzulässig ist (§ 27a AsylVfG). Maßgebend hierfür ist die Dublin II-VO (nachfolgend a)). Die danach bestehende ursprüngliche Zuständigkeit Italiens zur Durchführung des Asylverfahrens ist nicht nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend b)). Schließlich fällt Italien als zuständiger Staat auch nicht aus, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des der Dublin II-VO zugrunde liegenden Prinzips gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist (nachfolgend c)).
43a) Grundlage der Prüfung dieser Zuständigkeit ist für das im Januar 2011 angebrachte Gesuch des Klägers (noch) die Dublin II-VO. Diese wurde zwar gemäß Art. 48 Satz 1 der Dublin III-VO zwischenzeitlich aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2014 angebrachte Schutzgesuche bleibt jedoch gemäß Art. 49 Satz 3 Dublin III-VO die Vorläufer-Verordnung weiterhin anwendbar (siehe bereits oben I.).
44b) Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Maßgabe der Dublin II-VO hat prinzipiell allein auf der Grundlage der dort festgelegten Kriterien zu erfolgen, für die eine bestimmte Rangfolge gilt (Art. 5 ff. Dublin II-VO). Hiernach war im vorliegenden Falle Italien zuständig (dazu aa)). Diese Zuständigkeit hat Italien nicht verloren; sie ist nicht während des Asylverfahrens nach (Sonder-)Vorschriften der Dublin II-VO auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen (dazu bb) bis ee)).
45Inwieweit diesen Zuständigkeitsvorschriften (und ob allen bzw. gegebenenfalls welchen) dabei überhaupt subjektive Rechte des Asylsuchenden entnommen werden können, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings spricht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
46vgl. Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – (Abdullahi), NVwZ 2014, 208 = juris, Rn. 60,
47viel dafür, dass die subjektive Rechtsstellung von Asylbewerbern in sog. „Dublin-Verfahren“ nur insofern betroffen ist, als es darum geht, ob diese auf der Grundlage von ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründen in dem Mitgliedstaat, in den sie überstellt werden sollen, tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 14. Dezember 2007 (ABl. C 303/1) (EUGRCh) ausgesetzt zu werden. Keine subjektiven Rechte seien hingegen von der Prüfung berührt, ob in dem jeweiligen Fall die Rangkriterien der Dublin II-VO wie etwa Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Rechtsbehelf richtig angewendet oder aber damit verbundene Form- und Fristerfordernisse korrekt beachtet wurden. Eine solche Begrenzung der subjektiven Rechtsstellung soll namentlich dann gelten, wenn der für zuständig befundene Mitgliedstaat der Überstellung zugestimmt hat. Sie dürfte konsequenterweise dann auch den hier gegebenen Fall der Fiktion dieser Zustimmung nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO erfassen, was aber der Europäische Gerichtshof nicht ausdrücklich (mit)entschieden hat. Mit Blick darauf geht der Senat im Folgenden vorsorglich auf die Zuständigkeitsbestimmung nach den Maßgaben der Dublin II-VO ein:
48aa) Die ursprüngliche Dublin-Zuständigkeit Italiens ist hier unstreitig. Sie ergibt sich (mangels vorrangiger Dublin-Kriterien) aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO. Denn ausgehend von seinen eigenen, insofern von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben hat der Kläger aus einem Drittstaat (Libyen) kommend als erstes die (See-)Grenze zu dem Mitgliedstaat Italien überschritten. Dies erfolgte ohne einen Aufenthaltstitel und insofern illegal. Der betreffende Sachverhalt wird durch den im Bescheid des Bundesamtes vom 11. Dezember 2009 erwähnten Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ (Kennzeichnung für illegal Eingereiste ohne Status des Asylbewerbers) bestätigt. Dementsprechend hat Italien im Jahre 2009 auch der Aufnahme des Klägers zugestimmt.
49bb) Die Zuständigkeit Italiens hat nicht nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO geendet. Zwar endet nach dem Wortlaut dieser Vorschrift die Zuständigkeit (eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens) zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem der Mitgliedstaaten ein Asylantrag gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Kriterien für die Bestimmung der sog. Dublin-Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Asylantrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob der Zwölfmonatszeitraum im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist.
50Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 8), siehe auch (im Wesentlichen gleichlautend und nachfolgend nicht mehr gesondert zitiert) Urteil jenes Gerichts vom gleichen Tage – 3 L645/12 –, n.v.; ferner Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 9.
51Hieran gemessen war die Zwölfmonatsfrist bei der ersten Asylantragstellung des Klägers in Deutschland (2. Oktober 2009) noch nicht abgelaufen. Denn der Eurodac-Treffer zu Italien datiert vom 24. Mai 2009. Dafür, dass der Kläger das italienische Staatsgebiet deutlich früher betreten hätte, gibt es auch bei Einbeziehung seiner eigenen vorprozessualen und in diesem Verfahren gemachten Angaben keinen Anhalt. So hat der Kläger in der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, nach seiner Einreise über Lampedusa nach Sizilien gebracht worden zu sein und dort in einer „Sammelstelle für Illegale“ gelebt zu haben. Dies zugrunde gelegt, ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er dort auch – zeitnah zur Einreise – erkennungsdienstlich behandelt wurde.
52cc) Die beklagte Bundesrepublik ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nachträglich für die Prüfung des Asylantrags des Klägers zuständig geworden. Denn sie hat das dort angesprochene Gesuch um Aufnahme innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrags noch in dem Monat der Asylantragstellung (Januar 2011) gestellt. Dass eine Antwort darauf ausblieb, ist im Rahmen der vorgenannten Vorschrift unerheblich, begründet vielmehr nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO (umkehrt) nach Ablauf von zwei Monaten aufgrund fingierter Annahme eine wohl eigenständig hinzutretende Verpflichtung des ersuchten Mitgliedstaates, die in Rede stehende Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Gegebenenfalls ergäbe sich Entsprechendes aus Art. 20 Abs. 1 Buchst. b) und c) Dublin II-VO, wenn keine Aufnahme, sondern eine Wiederaufnahme vorläge.
53dd) Die vom Kläger mit angesprochene Frage, ob die Zuständigkeit Italiens eventuell nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO erloschen ist, stellt sich hier bereits deshalb nicht, weil die in der Vorschrift geregelte Frist von drei Monaten allein den (hier nicht gegebenen) Fall erfasst, dass der Asylbewerber zwischenzeitlich das Gebiet „der“ (also aller) Mitgliedstaaten verlassen hat. Die Dauer des Aufenthalts des Klägers in Frankreich ist hierfür also nicht von Belang.
54ee) Schließlich ist die Zuständigkeit Italiens auch nicht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO, d.h. wegen Überschreitung der sog. Überstellungsfrist, auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag gestellt wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Das knüpft an Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO an, welcher unter anderem bestimmt, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf erfolgt, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist hier nicht abgelaufen, wobei es maßgeblich auf den Fall 2 („oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf“) ankommt.
55Mit „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ ist nicht die gerichtliche Entscheidung in dem zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemeint, mit der die Durchführung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat ausgesetzt wird, sondern die Entscheidung, mit der das Gericht „über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens“ entscheidet und die der Durchführung des Überstellungsverfahrens nicht mehr entgegenstehen kann.
56Vgl. insoweit zu entsprechenden Frist in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin II-VO: EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – (Petrosian), NVwZ 2009, 639 = juris, Rn. 53.
57Das bezieht sich – jedenfalls wenn und solange die Vollziehung der Überstellung (weiter) ausgesetzt ist – nach allgemeiner Auffassung auf die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren.
58Vgl. statt vieler etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 24; Hessischer VGH,Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A –, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 7; VG Freiburg, Beschluss vom 2. Februar 2012– A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 14; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 39, m.w.N.
59Für die Auslegung des Merkmals „aufschiebende Wirkung“ macht es keinen relevanten Unterschied, ob nach dem hier innerstaatlich einschlägigen deutschen Recht – rechtstechnisch gesehen – die Durchführung der Überstellung in Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO oder des § 123 VwGO durch das Gericht vorläufig gestoppt wird. Denn die Wirkung beider Entscheidungstypen des vorläufigen Rechtsschutzes ist mit Blick auf das praktische Ergebnis die gleiche: Die Überstellung darf zunächst einmal kraft gerichtlicher Anordnung nicht erfolgen. Das bedeutet jeweils, dass eine Abstimmung hinsichtlich der näheren Modalitäten der Überstellung, für welche die Frist eingeräumt ist, noch nicht erfolgen kann bzw. noch keinen Sinn ergäbe.
60Vgl. zur Gleichbehandlung der verschiedenen Arten der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes insoweit auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juni 2012 ‑ A 2 S 1355/11 –, AuAS 2012, 213 = juris, Rn. 25; VG Meiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 40.
61Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger hervorgehobenen Umstand, dass § 34a Abs. 2 AsylVfG in seiner bis zum 5. September 2013 gültig gewesenen, also im Zeitpunkt des Ablehnungsbescheides anwendbaren Fassung eine Aussetzung der Abschiebung im Wege der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sowohl nach § 80 als auch § 123 VwGO kraft Gesetzes ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Dieser Umstand führt nicht darauf, dass hier Art. 19 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Fall 2 Dublin II-VO gar nicht oder jedenfalls nicht im Sinne eines Einsetzens der Überstellungsfrist erst mit dem Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung anzuwenden wäre, wenn Gerichte den Vollzug ausgesetzt haben. Denn was nach dem (sachlich zusammenhängend) in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin II-VO in Bezug genommenen „innerstaatlichen Rechtzulässig“ ist, bestimmt sich nach der Rechtsordnung des betroffenen Staates insgesamt und nicht allein nach dem Wortlaut des geschriebenen (einfachen) Gesetzesrechts. Namentlich geht das Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht dem einfachen Gesetzesrecht vor. Dies zugrunde gelegt, fordert die unionsrechtliche Zweckbestimmung der in Rede stehenden Frist, dass diese auch in den hier interessierenden Fällen einer rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nicht anläuft bzw., sofern sie schon angelaufen ist, gehemmt wird.
62Vgl. – in diesem Sinne – etwa auch Hessischer VGH, Beschluss vom 23. August 2011 – 2 A 1863/10.Z.A -, InfAuslR 2011, 463 = juris, Rn. 5, 6; Nds. OVG, Beschluss vom 2. August 2012– 4 MC 133/12 –, juris, Rn. 17; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L643/12 –, juris (UA S. 11 f.).
63Eine etwa entgegen Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO nicht erfolgte Angabe der Frist für die Durchführung der Überstellung hat entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung dafür, ob in Bezug auf den Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO der Überstellungszeitraum von sechs Monaten überschritten ist. Auch die zeitlich begrenzte Verlängerungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II-VO betrifft ganz andere Situationen und hat mit dem Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO nichts zu tun.
64Vgl. in diesem Zusammenhang auch VGMeiningen, Urteil vom 26. Juni 2013 – 5 K 20096/13 Me –, juris, Rn. 41 f.
65Für die Beurteilung des konkreten Falles anhand des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin II-VO folgt daraus: Das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 – 3 L 603/11.A –, zugestellt am 6. Mai 2011, der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer von sechs Monaten aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien auszusetzen. Diese gerichtliche Entscheidung hat zunächst verhindert, dass die Überstellungsfrist nach Fall 2 des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin II-VO überhaupt anlaufen konnte. Selbst wenn die Sechsmonatsfrist für die Überstellung danach (ab 7. November 2011) angelaufen sein sollte, war sie in dem Zeitpunkt, in welchem der Senat mit Beschluss vom 1. März 2012 – 1 B 234/12.A – die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid vom 27. April 2011 (neuerlich) angeordnet hat, noch nicht abgelaufen. Da diese Anordnung nicht befristet gewesen ist, ist die hier interessierende Frist seitdem jedenfalls gehemmt und im Ergebnis auch im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht abgelaufen.
66Vorstehende Überlegungen gelten entsprechend für die in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO für den Fall der Wiederaufnahme geregelten Frist von sechs Monaten.
67c) Die Zuständigkeit Italiens zur Entscheidung über den Asylantrag des Klägers entfällt nicht ausnahmsweise deswegen, weil die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Durchbrechung des den Bestimmungen der Dublin II-VO zugrunde liegenden Systems des gegenseitigen Vertrauens gerechtfertigt ist.
68aa) Im Ausgangspunkt liegt dem im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystem – und dabei gerade auch der Dublin II-VO – die Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“,
69vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 und C-493/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris, Rn. 78 ff.,
70bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Konzept der normativen Vergewisserung“,
71vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, BVerfGE 94, 49 = NJW 1996, 1665 = juris, Rn.181,
72bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann allerdings in Sonderfällen widerlegt sein, nämlich dann, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem nach Maßgabe der Dublin II-VO für die Prüfung eines Asylgesuchs an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh einschließlich der gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 EUV zu berücksichtigenden Erläuterungen).
73Vgl. statt vieler OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 16 mit Hinweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
74Jedenfalls im Kern Entsprechendes ergibt sich auch unmittelbar aus der für das vorliegende Verfahren in erster Linie maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dort wird – wohl letztlich nicht in einem (wesentlich) anderen Sinne – gefordert, dass es sich bei den Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber um „systemische“ Mängel bzw. Unzuträglichkeiten handeln muss. Diesbezüglich ist in dem Urteil der Großen Kammer des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 – Rs C-411/10 und C-493/10 – (NVwZ 2012, 417 = juris) ausgeführt worden:
75Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System (gemeint: das System der Behandlung der Asylanträge) in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. (Rn. 81)
76Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde. (Rn. 82)
77Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet. (Rn. 83)
78Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. (Rn. 84)
79Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. (Rn. 86)
80Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf den Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es nach alledem in Situationen wie denen der Ausgangsverfahren den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden. (Rn. 94)
81Daraus ergibt sich im Ergebnis:
82Art. 4 der Charta ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den ‘zuständigen Mitgliedstaat’ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. (Rn. 106)
83Diese Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof auch in der nachfolgenden Zeit im Kern bestätigt.
84Vgl. etwa Urteil vom 14. November 2013 – C-4/11 – (Puid), NVwZ 2014, 129 = juris, Rn. 30.
85Für die Annahme eines systemischen Mangels im vorgenannten Sinne reicht die Verletzung einzelner Grundrechte außerhalb von Art. 4 EUGRCh ebenso wenig wie die „geringste“ Verletzung von Bestimmungen des zum Asylrecht ergangenen Sekundärrechts.
86Vgl. auch Thym, in: Kluth/Heusch, Beck’scher Online Kommentar Ausländerrecht, AEUV Art. 78, Rn. 27 (Stand 1. Februar 2013).
87Vielmehr erfordern systemische Mängel eine in den vom Gericht empirisch gewonnenen Erkenntnissen zum Ausdruck kommende „reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh“,
88vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406, 408,
89liegen also vor bei „strukturellen Störungen, die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens“ haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaats ankommt.
90Vgl. Marx, NVwZ 2012, 409, 411.
91Zwar setzt dies nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern „in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen“.
92Vgl. Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182, 186.
93Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem – mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis – faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
94Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46.
95Ob der Auffassung des Klägers zuzustimmen ist, dass es auf das Vorliegen systemischer Mängel nicht ankomme, wenn im Einzelfall bei Überstellung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh anzunehmen sei,
96in diesem Sinne Supreme Court des Vereinigten Königreichs, R v Secretary of State for the Home Department, Entscheidung vom 19. Februar 2014, UKSC 12, im Internet abrufbar unter www.supremecourt.uk; ebenso Marx, a.a.O., S. 412; a.A. Hailbronner/Thym, a.a.O.,
97bedarf keiner Entscheidung. Denn im Falle des Klägers geht es nicht um die individuell an seine Person anknüpfende Besorgnis einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh, etwa deshalb, weil er innerhalb der Gruppe der asylsuchenden Dublin-Rückkehrer eine in besonderem Maße verletzliche und/oder gefährdete Person wäre. Vielmehr steht die Frage möglicher struktureller Defizite insbesondere der (allgemein für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern geltenden) Aufnahmebedingungen in Italien im Zentrum des Verfahrens.
98Der Prognosemaßstab für das Vorliegen systemischer Mängel ist einheitlich zu bestimmen sowohl, was die (empirischen) Voraussetzungen für das Vorliegen systemischer Mängel betrifft, als auch hinsichtlich der darauf gründenden Einschätzung, ob diese Mängel die begründete Erwartung rechtfertigen, dass der Betroffene im Falle seiner Überstellung Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
99Die oben angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt insofern zunächst, dass die Annahme einer mit Blick auf bestehende systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh durch „ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe“ gestützt und abgesichert sein muss. Die anzustellende Prognose bedarf somit einer konkret nachvollziehbaren und in der Sache fundierten („ernsthaften“) Tatsachengrundlage. Namentlich im Fall von sich (zum Teil) widersprechenden Auskünften oder sonstigen Erkenntnismitteln müssen die vom Gericht für die Widerlegung der Vermutung des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens als „richtig“ zugrunde gelegten Tatsachen hinreichend belastbar sein. Das setzt voraus, dass für ihr Zutreffen, dabei u.a. auch für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Erkenntnissen über beobachtete oder berichtete Einzelfälle, ein beachtlicher Grad von Wahrscheinlichkeit spricht.
100Das entspricht dem Maßstab, der auch für die Prognose des voraussichtlichen Eintretens der Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh selbst anzuwenden ist. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ergibt sich insofern aus der vom Europäischen Gerichtshof für die drohende Grundrechtsverletzung verwendeten Formulierung der „tatsächlichen Gefahr“, im Englischen „real risk“. Zu dieser Formulierung hat das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der diese Formulierung entlehnt ist,
101vgl. etwa Urteile vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 125, 128 f., z.B. NVwZ 2008, 1330 (1331), und vom 11. Juli 2000– 40035/98 – (Jabari), Rn. 38, 42, u.a. InfAuslR 2001, 57 (58),
102festgestellt, dass damit der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gemeint ist.
103Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013– 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32, und vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22 = juris, Rn. 22, m.w.N.
104Dieser besagt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung (hier: eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh) sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
105Vgl. dazu, dass es dabei allerdings nicht auf eine überwiegende Wahrscheinlichkeit im rein mathematischen Sinne („mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich“) ankommt, EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 – 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 140.
106Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung (hier: einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh) hervorgerufen werden kann.
107Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, 67 = juris, Rn. 32.
108Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden nach alledem (in der Regel) nur solche Verhältnisse, in denen es – hier im Zusammenhang mit Überstellungen von Asylbewerbern nach dem „Dublin-Regime“ – in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommen kann.
109Vgl. sinngemäß auch OVG Sachsen-Anhalt,Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 18); OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 46, 48.
110Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen – auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat – reicht dagegen nicht.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), Rn. 131, u.a. NVwZ 2008, 1330 (1331 f.).
112An dem vorgenannten Maßstab ist im Prinzip auch dann festzuhalten, wenn der Betroffene in der Vergangenheit – wie hier der Kläger – schon einmal in den in Rede stehenden Mitgliedstaat überstellt worden war und er seinerzeit auf der Grundlage seiner Angaben ins Gewicht fallende Mängel und Unzuträglichkeiten der Aufnahmebedingungen tatsächlich erlebt hat. Dieser Umstand ist – je nach der Bedeutsamkeit des Erlebten und den sonstigen Umständen des Einzelfalles mit ggf. unterschiedlichem Gewicht – in die oben erwähnte umfassende Abwägung aller Umstände einzubeziehen. Er rechtfertigt demgegenüber – anders als der Umstand der Vorverfolgung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. L 337/9, sog. Qualifikationsrichtlinie – nicht generell eine den Prognosemaßstab faktisch verschiebende Beweiserleichterung, wie sie der Kläger wohl sinngemäß auch für den vorliegenden Fall geltend macht. Solches muss insbesondere dann gelten, wenn wie hier keine individuellen Besonderheiten des Asylsuchenden bzw. spezifische Besonderheiten der Gruppe, der er zugehört, gefährdungsrelevant sind, sondern die vorzunehmende Prognose maßgeblich an den allgemein bestehenden – und zwar den aktuellen – Aufnahmebedingungen auszurichten ist. Eine andere Sichtweise wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich aufrecht zu erhaltenden und schützenswerten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens zu vereinbaren. Es würde nämlich den konkreten Erfahrungen, welche Einzelpersonen in der Vergangenheit vielleicht mehr oder weniger zufällig gemacht haben, ein zu starres und auch tendenziell zu großes Gewicht im Rahmen der (Gesamt-)Würdigung zumessen, ob ausgehend von den allgemein vorherrschenden Aufnahmebedingungen in dem betroffenen Mitgliedstaat auch (noch) aktuell mit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gerechnet werden muss.
113Vgl. auch EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008– 37201/06 – (Saadi), NVwZ 2008, 1330, Rn. 133: „Die historischen Tatsachen sind zwar insoweit von Bedeutung, als sie die jetzige Lage und die Art, wie sie sich wahrscheinlich entwickelt, beleuchten, entscheidend sind aber die jetzigen Verhältnisse.“
114Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsinhalte (vgl. Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EUGRCh) auf die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen.
115Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 338.
116Nach der Rechtsprechung des EGMR ist (allgemein) eine Behandlung dann „unmenschlich“, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Als „erniedrigend“ ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung/Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist allerdings relativ, hängt also von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Auswirkungen sowie mitunter auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
117Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 219, 220.
118Das kann – etwa bei Asylsuchenden als Angehörige einer besonders benachteiligten und verletzlichen und damit besonders schutzwürdigen Bevölkerungsgruppe – auch die Verhältnisse der Unterbringung, die hygienischen Verhältnisse und die Versorgung mit ausreichender Nahrung betreffen.
119Vgl. das vorgenannte Urteil vom 21. Januar 2011, Rn. 222, 251 und 254.
120Allerdings kann Art. 3 EMRK nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
121Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. (Rn. 70).
122Anders zu beurteilen ist aber bei Erreichen des erforderlichen Schweregrades (möglicherweise) der Fall, dass in dem betreffenden Staat auf Grund des positiven Rechts die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung tatsächlich besteht oder jedenfalls zu bestehen hat, weil einschlägiges Unionsrecht entsprechend umgesetzt werden muss. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180/96) (im Folgenden: Aufnahmerichtlinie), welche die zuvor gültig gewesene Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. L 31/18) inzwischen abgelöst hat. Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden in den Mitgliedstaaten festgelegt.
123Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 250; siehe auch VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 21; eher kritisch hinsichtlich einer damit ggf. einhergehenden Überdehnung der Reichweite des Art. 3 EMRK, welche in Widerspruch zu der Auslegung des Art. 4 EUGRCh durch den EuGH geraten könnte, aber etwa Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406 (407 f.).
124Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der Aufnahmerichtlinie erforderlichen Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, beginnt mit der Stellung des Asylantrags. Systematik und Zweck der Richtlinie und auch die Wahrung der Grundrechte verbieten es, dass einem Asylbewerber der mit den in der Richtlinie festgelegten Mindestnormen verbundene Schutz entzogen wird, und sei es auch nur vorübergehend nach Asylantragstellung.
125Vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2014 – C-79/13 – (Saciri u. a.), juris, Rn. 33 – 35, und Urteil vom 27. September 2012 – C-179/11 – (Cimade), NVwZ 2012, 1529 = juris, Rn. 39, 56, jeweils zur Richtlinie 2003/9/EG.
126Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK (bzw. entsprechend Art. 4 EUGRCh) – zumindest in Gestalt einer in Betracht kommenden Möglichkeit – für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn ein Asylsuchender erkanntermaßen mehrere Monate obdachlos auf der Straße gelebt hat, ohne Einnahmen oder Zugang zu Sanitäreinrichtungen und ohne die Mittel zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.
127EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 253, 263.
128Hiernach ergibt sich: Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin II-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbarer Weise befriedigen kann.
129Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch und gerade die praktische Umsetzung messen lassen. Das betrifft in vorliegenden Zusammenhang insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Aufnahmerichtlinie (Neufassung 2013) für bedürftige Personen unter den Asylantragstellern prinzipiell festgelegt sind. Dabei erlauben diese in bestimmten Ausnahmesituationen, wie etwa bei vorübergehender Erschöpfung der üblicherweise zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten, aber auch zeitlich begrenzte Einschränkungen (Art. 18 Abs. 9 Satz 1 Buchst. b der Aufnahmerichtlinie). Auch dann muss aber das absolut garantierte Minimum (hier: Deckung der „Grundbedürfnisse“) gewährleistet bleiben (Art. 18 Abs. 9 Satz 2 der Aufnahmerichtlinie).
130Die sich aus der Aufnahmerichtlinie ergebenden Verpflichtungen hat Italien in innerstaatliches Recht übernommen.
131bb) Auf der Grundlage des im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in dem Berufungsverfahren vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern – und darunter namentlich von Dublin-Rückkehrern – in Italien steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gründe dafür vorliegen, dass der Kläger im Falle seiner Überstellung in diesen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, ausgehend von systemischen Mängeln des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
132Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können). Demgemäß ist in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu beleuchten, die – wie der Kläger – in Italien bislang noch keinen Asylantrag gestellt haben. Ferner ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt. Nicht maßgeblich ist demnach z. B. die Situation von Rückkehrern, die bei ihrem ersten Aufenthalt in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hatten, über den schon entschieden worden ist, die sich also aktuell nicht mehr in einem Asylverfahren befinden und die ein solches, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden war, regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten können. Dies gilt ebenso für in Italien verbliebene Flüchtlinge, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Es betrifft weiter Flüchtlinge, die keine (in der Regel zuvor angekündigten) Dublin-Rückkehrer sind, sondern – wie beispielsweise die sog. Bootsflüchtlinge – außerhalb eines geordneten Verfahrens in Italien ankommen und um Schutz nachsuchen. Schließlich betrifft dies Flüchtlinge, die sich dem Asylsystem komplett entzogen haben, etwa weil sie überhaupt keinen Asylantrag gestellt haben (und u.U. auch gar nicht stellen wollen), demzufolge auch nicht registriert sind und folglich auch keine der Aufnahmerichtlinie entsprechenden Leistungen erhalten können.
133Hiervon ausgehend kommt der Senat bei der Würdigung des Erkenntnismaterials in einer Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass Italien – mit Blick sowohl auf das dortige Rechtssystem als auch insbesondere die Verwaltungspraxis – über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz ggf. vorliegender einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der „vor Ort“ tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber „im Normalfall“, also bei nach der Erkenntnislage vorhersehbarem Verlauf der Dinge, nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen, namentlich nicht solchen i.S.d. Gewährleistung aus Art. 4 EUGRCh, rechnen muss.
134Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen (nach wie vor) durchaus Mängel und Defizite nicht ganz unwesentlicher Art feststellen lassen, sind diese weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer wie den Kläger nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert.
135Im Einzelnen gilt hierzu:
136(1) Dublin-Rückkehrer werden zurzeit unter Bedingungen nach Italien überstellt, welche in der Regel den ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung auch ein (in dem zu fordernden Mindestmaß) geordnetes Aufnahmeverfahren mitsamt den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse gewährleisten. Soweit Probleme wesentlich erst durch ein eigenmächtiges (Anders-)Verhalten der Betroffenen (z.B. fehlendes Hinbegeben zu den als zuständig mitgeteilten Stellen, Untertauchen, bewusste Nichtinanspruchnahme von Beratung bzw. Vermittlung von Unterkunft, vorzugsweises Wohnen in „besetzten Häusern“ oder Slums statt in staatlichen Aufnahmeeinrichtungen aufgrund eigener Willensentscheidung) ausgelöst werden, kann dies – das sei hier vorangestellt – nicht dem italienischen Staat als Systemfehler und Auslöser einer Grundrechtsverletzung angelastet werden.
137Dublin-Rückkehrer werden in der Regel auf dem Luftweg nach Italien überstellt. Sie treffen zumeist auf den Flughäfen Fiumicino in Rom oder Malpensa in Mailand (vgl. z.B. UNHCR, Recommendations on important aspects of refugee protection in Italy, Juli 2013 – nachfolgend zitiert: Bericht Juli 2013 –, S. 7), in begrenzter Anzahl auch auf einigen weiteren Flughäfen ein. Für den Kläger war im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Bescheid (wie zuvor auch schon in 2009) eine Überstellung nach Rom konkret vorgesehen. Insofern spricht hier eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine künftige Überstellung ebenfalls nach Rom (oder sonst voraussichtlich nach Mailand) erfolgen wird.
138Nach Rom-Fiumicino (rück-)überstellte Personen werden – regelmäßig nach entsprechender Vorankündigung (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7) – von der Grenz- bzw. Luftpolizei beim Flugzeug abgeholt und zur Questura am Flughafen begleitet. Dort werden Fotos und Fingerabdrücke genommen. Haben die Betroffenen in Italien noch keinen Asylantrag gestellt, so können sie einen solchen Antrag sogleich im Büro der Questura am Flughafen registrieren lassen (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7, und an VG Freiburg, Dezember 2013, S. 7, zu Rom-Fiumicimo); andernfalls erhalten sie ein Schreiben, aus dem sich die für sie zuständige Questura ergibt, wo sie ihren Antrag formalisieren lassen können, einen Termin hierfür sowie ein Zugticket dorthin (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013 – im Folgenden zitiert: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013 –, S. 13 f., 16; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7; Auswärtiges Amt (AA) an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Fragen 2 und 8).
139Vgl. hierzu und zum Folgenden ferner etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013– 3 L 643/12 –, juris (UA S. 21); VG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2014 – A 11 K 3470/13 –, UA S. 13 f.
140Von der Questura aus werden die Ankömmlinge weiter zu der jeweils zuständigen Nichtregierungsorganisation (NGO) begleitet, die sich im Transitbereich der Nicht-Schengen-Zone des Flughafens befindet. Diese NGO – in Rom ist nach Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Oktober 2013, S. 14) zurzeit die „Badia Grande“ zuständig – bietet dort im Auftrag der Präfektur Beratung mit Blick auf das weitere Verfahren an. Dolmetscher und Informationsbroschüren stehen zur Verfügung. Die betreffende NGO kümmert sich in der Regel auch um die zumindest vorläufige Unterbringung der Dublin-Rückkehrer, jedenfalls derjenigen, die einen Asylantrag gestellt haben bzw. stellen wollen. Das kann eine Übergangsunterkunft (transit accommodation, z.B. FER-Unterkünfte als mit EU-Mitteln finanziertes Projekt speziell für Dublin-Überstellte, nur teilweise begrenzt auf „vulnerable cases“), eine (Not-)Unterkunft in einer kommunalen oder karitativen Einrichtung), ggf. aber auch schon eine längerfristige Unterkunft in einer der „regulären“ Systeme staatlicher Aufnahmeeinrichtungen (namentlich CARA oder SPRAR) betreffen. Ob Letzteres schon möglich ist, hängt davon ab, ob im Einzelfall die örtliche oder eine andere Präfektur für den Betroffenen zuständig ist. Bis es auf diese Weise gelingt, für die Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft zu finden, müssen diese allerdings unter Umständen einige Tage am Flughafen verbleiben und dort (ohne besondere Schlafplätze, aber wohl geduldet) auch übernachten (zum Ganzen: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14 f., 15 f.; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11 f.; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage a; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 2; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 3. und 7., welche u.a. darauf hinweist, die überstellten Asylbewerber würden an den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa nach eigenen Feststellungen „sehr intensiv betreut“; zu „temporary reception systems“ für Dublin-Rückkehrer etwa auch European Network for technical cooperation on the application of the Dublin II Regulation, Dublin II Regulation National Report, Dezember 2012, S. 48; aida – Asylum Information Database -, National Country Report Italy, Update November 2013, nachfolgend zitiert: aida-Report, November 2013, S. 42, wo andererseits aber auch kritisch angemerkt wird, dass die Unterbringung der Dublin-Rückkehrer insgesamt noch zu lange dauere und es vorkomme, dass einzelne Betroffene am Ende nicht mit einer Unterkunft versorgt würden und in alternativen/selbstorganisierten Unterkunftsformen eine Bleibe fänden).
141Richtig ist allerdings auch, dass die beschriebenen Abläufe wohl nicht in jedem Einzelfall sichergestellt sind. Das mag damit zusammenhängen, dass nach vorliegenden Erkenntnissen Grenzpolizei und NGOs von der italienischen Dublin-Unit nicht immer rechtzeitig und ausreichend informiert werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 15). Im Prinzip werden die NGOs aber über die Ankunft von Dublin-Fällen vorab informiert (UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 7). Ein Versagen des Systems kann daher insoweit nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
142Dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat in der ersten mündlichen Berufungsverhandlung vom 26. September 2013 die Abläufe im Bereich des Flughafens Rom-Fiumicino für seine Ende 2009 und damit vor über vier Jahren erfolgte Rücküberstellung anders geschildert hat, als es der vorstehend zusammengefassten, im Kern übereinstimmenden aktuellen Auskunftslage entspricht, vermag die prinzipielle Belastbarkeit des Inhalts dieser Auskünfte nicht durchgreifend in Frage zu stellen. Denn die aktuellen Erkenntnisquellen zu den derzeitigen Verhältnissen nach der Ankunft von Dublin-Rückkehrern am Flughafen geben für den Regelfall hierfür keinen Anhalt.
143Sollte die Überstellung des Klägers nach Mailand-Malpensa erfolgen, ergäbe sich hiervon keine beachtliche Abweichung. Denn die grundlegenden Strukturen und Verhältnisse der Aufnahme am Flughafen Mailand-Malpensa entsprechen weitgehend denjenigen am Flughafen Rom-Fiumicino (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 13 ff.).
144Allerdings ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen auch, dass die in Italien notwendige „Formalisierung“ eines gestellten Asylantrags – die sog. Verbalizzazione – nicht nur in Einzelfällen, sondern auch übergreifend und insofern einem in der Praxis auftretenden strukturellen Mangel zumindest nahekommend – zu Problemen für Asylbewerber (im Allgemeinen) führt bzw. zumindest geführt hat. Diese sind nämlich in dem Zeitraum bis zur Verbalizzazione nicht immer hinreichend vor Obdachlosigkeit geschützt. Denn Bemühungen um ihre Unterbringung, soweit sie durch die zuständige Questura getätigt werden, setz(t)en in der Regel erst nach der Verbalizzazione ein. Dieser Zwischenzeitraum kann – je nachdem, welche Stadt oder Region betroffen ist und ob es sich um ein Ballungszentrum mit einer Vielzahl zu bearbeitender Anträge oder um einen ländlich geprägten Raum handelt – von wenigen Tagen bis hin zu mehreren Wochen oder ggf. sogar Monaten reichen (vgl. zum Ganzen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 6, 11, und auch schon Bericht Juli 2012, S. 7; AA an Senat vom 11. September 2013, zu Frage b, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 9; siehe für die damaligen Zeitpunkte auch Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 9, und Associazione per gli Studi Giuridici sull‘ Immigrazione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien, November 2012, S. 5 der deutschen Übersetzung). Exakte und zugleich zuverlässige Angaben lassen sich insoweit aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit machen (vgl. aida-Report, November 2013, S. 42). Den Auskünften ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die beschriebene Verzögerung der Regelfall ist (Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1.: teilweise mit Verzögerung; UNHCR vom Dezember 2013, S. 7: in der Regel Zugang zu Transitunterbringungseinrichtungen; evtl. einige Tage an Flughäfen warten; kann passieren, dass gemäß der Dublin-Verordnung überstellte Personen mehrere Tage am Flughafen verbringen; S. 11: UNHCR erhält Berichte über Fälle, in denen Asylsuchende nicht sofort Zugang zu Aufnahmemaßnahmen gewährt wird, sondern erst Wochen und Monate später; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14: Dublin-Rücküberstellte übernachten manchmal ein paar Tage am Flughafen [ohne Schlafplätze]; aida-Report, November 2013, S. 42: in den meisten Fällen [„in most of the cases“] dauert es zu lange, bis eine Unterkunft gefunden ist, mangels genereller Praxis lässt sich die Wartezeit nicht allgemein angeben, es kommt vor [„it happens“], dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden).
145Der darin zum Ausdruck kommende Mangel ist vom italienischen Staat zudem nicht einfach untätig hingenommen worden. So hat das italienische Innenministerium in der ersten Jahreshälfte 2013 die nachgeordneten Behörden angewiesen, dass die Verbalizzazione zeitgleich mit der Asylgesuchstellung zusammenfallen soll. Zugleich ist ein neues Informatiksystem (Vestanet) eingeführt worden, von dem man sich ebenfalls eine Verkürzung der Wartezeiten erhofft. Allerdings benötigt die landesweite Implementierung noch Zeit und leidet unter technischen Anfangsschwierigkeiten, so dass die Prognose, ob dies zu einer Verbesserung führen wird, noch schwierig ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 12). Jedenfalls liegen dem Senat aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese Weisung generell oder zumindest in einer Vielzahl von Fällen nicht befolgt würde.
146Unabhängig davon sind für Dublin-Rückkehrer unter den Asylbewerbern die nachfolgenden Ausführungen bedeutsam, welche den hier in Rede stehenden Mangel noch weiter relativieren: Wenngleich häufig betont wird, dass für Dublin-Rückkehrer insoweit prinzipiell keine Besonderheiten gelten bzw. diese in gleicher Weise von den in Rede stehenden Verzögerungen durch die erst später durchgeführte Registrierung des Asylantrags betroffen sein sollen (vgl. etwa AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 1.4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 12), ist dies bei verständiger Würdigung (nur) dahin zu verstehen, dass das System des Asylverfahrens für diese Personengruppe in gleicher Weise ausgestaltet ist/war wie bei den sonstigen Asylsuchenden. Das meint hier im Besonderen die „Zweistufigkeit“ des Verfahrens, d.h. das Auseinanderfallen von erster Äußerung eines Asylbegehrens und davon (in der Regel auch zeitlich) getrennter Formalisierung/Registrierung des Asylantrags. Mit Blick auf das Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh ernstlich bedenklich ist aber in diesem Zusammenhang nicht die hierdurch ggf. mit herbeigeführte Verzögerung des Beginns des Asylverfahrens als solche, sondern nur deren Folge, die die Einhaltung richtlinienkonformer Aufnahmebedingungen betrifft. Dabei geht es namentlich um eine nicht durch systemische Mängel des Verfahrens zeitlich verzögerte Zurverfügungstellung einer Unterkunft und einer daran anknüpfenden weiteren Versorgung mit Kleidung, Essen, Hygieneartikeln etc. Gerade insoweit ist einschlägigen Erkenntnismitteln – zum Teil sogar sehr detailreich (siehe namentlich den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013, S. 13 ff.) – aber zu entnehmen, dass speziell für die Dublin-Rückkehrer, die noch kein Asylgesuch in Italien gestellt hatten, zumindest an den italienischen Hauptflughäfen Einrichtungen zur Verfügung stehen, welche diese (anders als ggf. auf anderem Wege nach Italien einreisende Asylbewerber) bei Bedarf anleitend betreuen und die sich dabei gerade auch – schon in diesem Stadium – um die Suche nach einem (Interims-)Unterkunftsplatz bemühen, was ihnen – bei Wartezeiten von nur wenigen Tagen an den Flughäfen (siehe oben) – in der Regel auch gelingt. Das alles lässt jedenfalls für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Schutzstatus haben, wie hier den Kläger, systemische Mängel i.S. der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche – bezogen auf den Schweregrad ausreichend – zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh implizieren, am Ende nicht hervortreten. Das gilt jedenfalls, soweit es (was bisher behandelt wurde) um die Aufnahmebedingungen unmittelbar nach der Überstellung nach Italien geht.
147Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die durchaus organisierte Einbeziehung auch nichtstaatlicher, kirchlicher und sonstiger karitativer Einrichtungen in die Betreuung und Hilfeleistung auch dem italienischen Staat zurechnen. Denn die in Rede stehenden Organisationen werden in dem hier interessierenden Zusammenhang – auch die Zurverfügungstellung von (Not‑)Unterkünften betreffend – jedenfalls nicht ausschließlich allein aus eigenem Antrieb tätig, sondern in der Regel im Auftrag staatlicher Stellen wie der Präfektur (staatliche Mittelbehörde in den Provinzen) oder der Kommunen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 14, 22, 33). Auch die letztlich fehlende zentrale Koordinierung der nebeneinander bestehenden Systeme zur Unterbringung von Asylbewerbern und hier insbesondere Dublin-Rücküberstellten unter Einbeziehung staatlicher und nichtstaatlicher Stellen bzw. Organisationen mag zwar gewisse Defizite und Reibungsverluste begünstigen, sie stellt aber für sich genommen noch keinen systemischen und auch keinen auf eine zu befürchtende Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh führenden Mangel mit dem dafür erforderlichen Gewicht dar.
148(2) Dublin-Rückkehrer müssen nach der aktuellen Erkenntnislage auch während der (weiteren) Durchführung ihres Asylverfahrens in Italien nicht beachtlich wahrscheinlich damit rechnen, dass sie in ihrem Grundrecht aus Art. 4 EUGRCh verletzt werden, indem ihnen durch den italienischen Staat wegen von der Zahl her offensichtlich nicht ausreichender angemessener Unterkunftsmöglichkeiten ein Leben „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ (bekanntermaßen) zugemutet würde und damit ihr Recht auf Unterkunft (vgl. hierzu Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Buchst. g der Aufnahmerichtlinie) systematisch unbeachtet bliebe. Eine solchermaßen dramatische Lage lässt sich aktuell für Italien aufgrund belastbarer Tatsachen nicht feststellen. Im Ergebnis unerheblich ist dabei, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigende Mängel und Defizite gibt, auf die verbreitet hingewiesen wird und deren Abstellen bzw. (weiteres) Verringern sicherlich wünschenswert ist. In diese Richtung hat die italienische Regierung aber auch bereits von den Flüchtlingsorganisationen gewürdigte Schritte unternommen.
149Es fehlt zunächst nicht grundlegend an einem planvollen System bzw. (genauer) an verschiedenen, sich ergänzenden Systemen von Aufnahmeeinrichtungen, in denen Dublin-Rückkehrer, sei es zum Teil auch neben anderen Personengruppen (sonstige Asylbewerber, schon anerkannte Flüchtlinge), während eines in Italien durchgeführten Asylverfahrens nicht nur als vorübergehender „Notbehelf“, sondern prinzipiell für die gesamte Dauer dieses Verfahrens (im Einzelfall auch über 6 Monate hinaus) eine Unterkunft finden können. Diese wird den Betroffenen im Rahmen eines ebenfalls in den Grundstrukturen geordneten Vermittlungs-/Zuweisungsverfahrens – in der Regel durch die jeweils örtlich zuständige Präfektur oder Questura – zugeteilt. Wesentliche Bestandteile dieses Aufnahmesystems sind – insbesondere für die Erstaufnahme – die als CARA bezeichneten, in der Regel größeren Aufnahmezentren sowie – in einer zweiten Phase, ggf. aber auch schon für die Erstaufnahme u.a. von Dublin-Rückkehrern – die Einrichtungen des Aufnahmesystems SPRAR. Letztere umfassen nicht nur eine Wohnmöglichkeit, sondern stellen sich als ein individualisiertes Integrationsprojekt mit Sprachkursen, Berufsbildung und Unterstützung bei der Arbeitssuche dar, welches nicht nur Asylsuchenden offen steht, sondern auch anerkannten Schutzberechtigten (siehe Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22; aida-Report, November 2013, S. 46; borderline-europe, Gutachten Dezember 2012, S. 15 f.)
150Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 43.
151Hinzu treten namentlich in den größeren Städten wie Rom und Mailand noch kommunale oder (im Auftrag der Gemeinden) von NGOs betriebene Unterkünfte, die allerdings ebenfalls nicht exklusiv der Unterbringung von Asylbewerbern bzw. der Dublin-Rückkehrer unter ihnen zur Verfügung stehen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 26 ff., 33 ff.).
152Allerdings können Unterkunftsplätze in allen diesen Einrichtungen nur dann konkret angeboten und belegt werden, soweit sie auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Blick auf die vorhandenen Kapazitäten zu lenken. Diesbezüglich wird, was sich mit gewissen Unterschieden auf alle zur Verfügung stehenden Systeme/Unterbringungsarten erstreckt und schon die Übergangsunterkünfte (FER-Projekte) mit einbezieht, von einem Großteil der dem Senat vorliegenden Auskünfte und Berichte namentlich der Flüchtlingsorganisationen das Gesamtangebot als unzureichend kritisiert (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18, 20, 26, 29, 35; aida-Report, November 2013, S. 45, 47; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 11: „lack of capacity in the existing reception system“). Zum Teil wird auch auf aktuelle Engpässe der Belegungssituation gerade in bestimmten Unterkunftsarten, wie etwa in den CARA, hingewiesen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 18 ff.). Insofern überzeugt es wenig, wenn demgegenüber das Auswärtige Amt in seinen Auskünften (z.B. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3., erster Absatz und am Ende, sowie in seiner Auskunft an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage c)) auch auf Nachfrage des Senats ohne konkret nachvollziehbare Begründung davon ausgeht, es gebe landesweit ausreichende Kapazitäten, um in Italien alle Asylbewerber und Flüchtlinge und darunter insbesondere auch die Dublin-Rückkehrer sofort mit einer Unterkunft zu versorgen (Hervorhebung durch den Senat).
153Die vorstehend thematisierten Erkenntnisse sind in die Gesamtwürdigung mit einzustellen, soweit es um die Frage geht, ob in der Zurverfügungstellung eines solchen begrenzten Gesamtangebots ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen zu sehen ist, und ob dieser zugleich die Prognose rechtfertigt, dass überstellte Dublin-Rückkehrer derzeit konkret der Gefahr ausgesetzt sind, obdachlos zu werden. Die Auskünfte sind allerdings unter den nachfolgenden Gesichtspunkten näher zu hinterfragen und im Gefolge dessen auch zu relativieren:
154Was die Zahl der insgesamt oder in den jeweiligen Unterkunftssystemen für sich genommen vorhandenen Plätze betrifft, gibt es in den Erkenntnismitteln Angaben, die sich hinsichtlich der zugrunde gelegten Zahlen jedenfalls zum Teil voneinander unterscheiden (vgl. AA an VG Minden vom 24. Mai 2013 zu Frage 8. in Bezug auf das Gutachten von borderline-europe; Liaisonbeamtin des Bundesamtes in ihrer Stellungnahme vom 21. November 2013 zu Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, zu 1.). Ferner ist in Rechnung zu stellen, dass – zumindest die CARA betreffend – derzeit faktisch wohl Überbelegungen stattfinden, d.h. mehr Personen dorthin zugewiesen werden als diejenige Zahl, für die die jeweilige Einrichtung ausgelegt ist (vgl. Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Stellungnahme vom 21. November 2013, zu 1. mit nach einzelnen CARA aufgeschlüsselter Tabelle). Insofern kommen namentlich in den staatlichen Unterkunftseinrichtungen wahrscheinlich mehr Betroffene unter, als es die nackten Zahlen über die Kapazität dieser Einrichtungen annehmen lassen; die „Soll-Belegung“ muss insofern nicht die „Ist-Belegung“ widerspiegeln. Dies mag als unterstützender Beleg für eine insgesamt unzureichende Unterbringung von Flüchtlingen gewertet werden können, zeigt andererseits aber auch anschaulich, dass den italienischen Stellen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist, sie vielmehr in großer Zahl unter Ausschöpfung von Unterbringungsreserven ein Obdach erhalten und deshalb nicht vollkommen schutzlos auf sich selbst gestellt sind.
155Vgl. zur Abgrenzung etwa EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 263, wo der betroffene Mitgliedstaat – dort Griechenland – gerade auch wegen seiner Untätigkeit für die Lage verantwortlich gemacht wurde, aus der die tatsächliche Gefahr, Opfer einer erniedrigenden Behandlung zu werden, erwuchs.
156Und noch ein Weiteres erschwert in diesem Zusammenhang die Betrachtung: Die Zahlen zur (Soll-)Aufnahmekapazität einzelner oder auch aller Einrichtungen geben für sich genommen schon deswegen kein vollständiges Bild, weil es daneben wesentlich darauf ankommt, wie oft (etwa pro Jahr) ein Wechsel erfolgt, also ein vorhandener Platz wieder frei und neu besetzbar wird. Gerade zu Letzterem und auch (als Indiz hierfür) zur Länge der Asylverfahren gibt es aber keine eindeutigen, durch statistisches Material belegten und verfügbaren Erkenntnisse, obwohl gerade dies für eine gesicherte Annahme von etwaigen Rückkoppelungseffekten (Blockierung von Plätzen durch eine längere als die gewöhnliche Aufenthaltsdauer der „Vorgänger“) von Interesse wäre. Man ist deshalb im Wesentlichen auf überschlägige Schätzungen angewiesen. Der aida-Report, November 2013, S. 43, geht von einer durchschnittlichen Verweildauer in CARAs von 8 bis 10 Monaten aus, in SPRARs könne der Aufenthalt 6 bis 12 Monate andauern. In den Auskünften des Auswärtigen Amtes wird typisierend davon ausgegangen, dass ein Unterkunftsplatz (insbesondere in den SPRAR-Einrichtungen) zwei Mal im Jahr neu belegt werden kann; insofern werden die Zahlen zur Aufnahmekapazität – zum Teil ohne die gebotene Erläuterung – schlicht verdoppelt (siehe AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3, und an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 8; dazu auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 23)). Das verzerrt allerdings das Zahlenmaterial für den notwendigen Vergleich mit anderen Erkenntnismitteln, die häufig eine entsprechende statistische Erhöhung der Kapazität in ihren Zahlenangaben nicht berücksichtigt haben. Die Angabe eines „typischen“ Belegungszeitraums erweist sich bezogen auf nicht staatliche Unterkünfte, die von Kommunen oder NGOs getragen werden, als noch schwieriger und unsicherer im Aussagegehalt. Bezieht man dabei zusätzlich zu festen kommunalen Aufnahmezentren auch die diversen Notschlafstellen bei kirchlichen Einrichtungen oder NGOs mit ein, so ist es unmöglich, überhaupt nur einen Überblick auch schon über die Anzahl der zur Verfügung stehenden Plätze zu gewinnen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 35). Diese Plätze stehen darüber hinaus nicht speziell Asylbewerbern zur Verfügung, obschon auch solche dort inzwischen vermehrt unterkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27).
157Schließlich kommt Folgendes noch relativierend hinzu, und zwar mit Blick darauf, ob dem Bestand an Unterkunftsplätzen ohne Weiteres die Gesamtzahl der in Italien pro Jahr ankommenden Flüchtlinge vergleichend gegenüber gestellt werden kann, um auf diese Weise ein konkret bestehendes Unterkunftsdefizit hinreichend plausibel zu machen: Insofern muss man sich vergegenwärtigen, dass ein nicht exakt bezifferbarer Teil der in Italien anlandenden Flüchtlinge und auch der nach der Dublin II-VO überstellten Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) einen Asylantrag gestellt hatten, unabhängig von der unter Umständen gegebenen Möglichkeit ihrer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung selbst die Entscheidung trifft, im Land unterzutauchen und/oder Italien wieder zu verlassen und – ggf. zum wiederholten Male – in einen anderen Mitgliedstaat der EU, in dem (vermeintlich) bessere Aufnahmebedingungen herrschen, weiterzureisen. Insbesondere Letzteres hat zur Folge, dass diese Personen zumindest vorübergehend die italienischen Aufnahmeeinrichtungen nicht belasten. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Asylbewerber bzw. Flüchtlinge ein solches Verhalten immer erst dann an den Tag legen, wenn die Aufnahmebedingungen, die sie erwarten, objektiv dem Maßstab des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh nicht genügen. Vielmehr können die Gründe für das angeführte Verhalten unterschiedlichster Art sein, und sie müssen auch nicht stets nachvollziehbar sein. So wird etwa in dem schon an anderer Stelle zitierten aida-Report von November 2013 (S. 42) von einem Vorkommnis im Oktober 2013 berichtet, bei dem von 155 geretteten Bootsflüchtlingen 89 nach Rom transferiert worden seien; diese seien sämtlich aus dem dortigen Aufnahmezentrum verschwunden, ohne dem Leiter des Zentrums vorher eine Mitteilung zu machen. Ein anderer Teil der Gesamtzahl der in Italien eintreffenden Flüchtlinge kommt– wie schon dargelegt – bei kommunalen und karitativen Einrichtungen unter. Auch dieser nicht gering zu schätzende Teil kann im Rahmen einer vergleichenden (Zahlen-)Betrachtung nicht einfach der Gesamtanzahl der vorhandenen staatlichen Unterkünfte mit gegenübergestellt werden.
158Vgl. zu dem (u.a.) aus beiden vorstehenden Gründen als gering einzustufenden Aussagewert der Zahlen zur Kapazität der öffentlichen (staatlichen) Aufnahmeeinrichtungen auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013– OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 27.
159Aber selbst unterstellt, es gäbe einen geeigneten und hinreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die in Italien aktuell vorhandenen Kapazitäten zur Unterbringung von Asylbewerbern – und hier insbesondere der Dublin-Rückkehrer unter ihnen – insgesamt nicht ausreichen würden, um für alle Betroffenen die Zuteilung einer (nicht nur nach der Ankunft in Italien übergangsweise vermittelten) Unterkunft regelmäßig ohne Wartezeiten von Belang sicherzustellen, ergäbe sich allein daraus nach Auffassung des Senats noch kein systemisches, die Grenze zur drohenden Grundrechtsverletzung nach Art. 4 EUGRCh überschreitendes Versagen des Staates im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Hierzu gilt:
160Die Frage, in welchem Umfang ein Staat für Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus anderen Ländern angemessene Unterkunftsmöglichkeiten konkret vorsehen (schaffen und aufrechterhalten) muss, lässt sich nicht abstrakt in einem bestimmten Sinne – etwa durch Festlegung einer genauen Mindestanzahl – bestimmen. Das hängt damit zusammen, dass die betreffende Aufgabe sich erst als Reaktion auf bestimmte andere, den Handlungsauftrag auslösende Umstände ergibt. Das sind hier konkret absehbare oder schon vorhandene Flüchtlingsströme in die EU, welche den in Rede stehenden Mitgliedstaat berühren. Die diesbezügliche Situation kann sich ggf. sehr schnell zuspitzen, kann sich dann aber auch wieder deutlich entspannen, um dann evtl. wieder durch neu entstandene politische Konflikte oder Bürgerkriegssituationen z.B. im Mittelmeerraum zu eskalieren. Da die ständige Vorhaltung von Unterkünften für Asylbewerber und Flüchtlinge in großer Zahl nicht unerhebliche finanzielle Mittel bindet, kann in diesem Zusammenhang zumal von Staaten, die wie Italien aktuell eine Wirtschaftskrise durchgemacht haben, nicht strikt verlangt werden, dass sie rein vorsorglich Unterkunftskapazitäten für Asylbewerber in einem Umfang bereithalten müssen, der nicht ständig, sondern nur bei einer ggf. auftretenden Spitzenbelastung benötigt wird. Vielmehr reicht es grundsätzlich aus, wenn sich der betroffene Mitgliedstaat erfolgversprechend bemüht, den sich aus dem Dublin-System ergebenden europarechtlichen Anforderungen je nach der auftretenden Lage im Wege flexibler Anpassung seines Aufnahmesystems zu entsprechen. Dies kann etwa in der Weise geschehen, dass in „ruhigeren Zeiten“ Kapazitäten maßvoll zurückgefahren, diese bei einer neu auftretenden Belastungssituation dann aber wieder in prinzipiell ausreichendem Maße aufgestockt werden.
161Ähnlich OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 18, 19; für die Berücksichtigung erkennbarer, realer Bemühungen eines Mitgliedstaates im Zusammenhang mit der Bewertung, ob ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen angenommen werden kann, auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris, Rn. 47.
162Hiervon ausgehend hat sich Italien – unbeschadet mancherseits, auch von UNHCR, zu Recht angebrachter (Teil-)Kritik – im Wesentlichen (noch) so verhalten, dass weder die Funktionsfähigkeit des Systems als solches in Frage gestellt worden ist noch die aktuell vorhandenen Mängel ein Ausmaß und Gewicht erreichen, von dem ausgehend die Prognose der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh gerechtfertigt erscheint:
163Nachdem im Zuge insbesondere der Ereignisse in Tunesien und in Libyen die Zahl der über das Mittelmeer nach Italien geflüchteten Personen im Jahr 2011 einen Höchststand erreicht hatte (ca. 62.000 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 34.115 Asylgesuchen in jenem Jahr; Zahlenangaben nach AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2, und Schweizerischer Flüchtlingshilfe, Bericht Oktober 2013, S. 7, m.w.N.) trat im Jahr 2012 eine deutliche Entspannung der Situation ein (ca. 13.300 Anlandungen in Süditalien bei insgesamt 15.715 Asylgesuchen; Quellen für die Angaben wie vorstehend). Diese hat vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2013 zwar nicht fortgedauert, sondern es hat wieder eine deutliche Zunahme des Flüchtlingsstroms (auch) nach Italien gegeben. So gab es nach Angaben des Auswärtigen Amtes allein im ersten Halbjahr 2013 ca. 12.000 Anlandungen in Süditalien (AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 2), nach Schätzungen von UNHCR für den gleichen Zeitraum allerdings nur ca. 7.800 (Nachricht vom 6. Juli 2013 auf der Internet-Seite http://www.unhcr.de/archiv/nachrichten/artikel). Auf diese Zahlendivergenz kommt es hier nicht an, denn die Entwicklung des Wiederanstiegs hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2013 unstreitig fortgesetzt und sogar noch verstärkt. So berichtet die Schweizerische Flüchtlingshilfe darüber, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge, welche in Süditalien angekommen seien, „im Sommer 2013“ stark angestiegen sei (Bericht von Oktober 2013, S. 7). Insgesamt haben im Jahr 2013 knapp unter 43.000 Bootsflüchtlinge Italien erreicht (Luise Amtsberg, Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien, Januar 2014, S. 5 f., abrufbar unter www.luise-amtsberg.de; Bericht Spiegel Online vom 17. Februar 2014 = Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 4. März 2014). Die sich daraus wieder ergebende deutliche Verschärfung der Lage, welche der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist somit eher plötzlich entstanden und konnte nicht ohne Weiteres vorhergesehen werden.
164Vor dem Hintergrund dieser seit 2011 in unterschiedliche Richtungen gehenden Entwicklungen und daran anknüpfender organisatorischer Planungen und Entscheidungen, die immer einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigen, ist zunächst kein durchgreifendes Fehlverhalten Italiens darin zu sehen, dass die zur Bewältigung des sog. „Notstand(es) Nordafrika“ seinerzeit von vornherein für einen vorübergehenden Zeitraum geschaffenen zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten des Zivilschutzes in der Größenordnung von (ursprünglich) 50.000 Plätzen nach dem Auslaufen jenes Projekts Anfang 2013 nahezu vollständig wieder weggefallen sind. Denn als die Planungen für diesen Wegfall erstellt und ins Werk gesetzt wurden, war kein neuerlicher dramatischer Anstieg der Zahl von Bootsflüchtlingen und damit mittelbar zugleich von (künftigen) Dublin-Rückkehrern absehbar. Ob und inwieweit jene Unterbringungsmöglichkeiten, welche von vornherein nur vorübergehend zusätzlich zur Verfügung stehen sollten, über eventuelle Verdrängungseffekte (Hineinströmen neuer Bootsflüchtlinge in die für alle nur begrenzt vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen) für die Chance von Dublin-Rückkehrern, untergebracht zu werden, überhaupt von Bedeutung gewesen sind (verneinend AA an den Senat vom 11. September 2013, zu Frage e), bedarf insofern keiner Klärung. Denn das inzwischen ausgelaufene Notstandsprogramm belegt jedenfalls, dass Italien in erheblichem Umfang zusätzliche Unterkunftsplätze einrichten und zur Verfügung stellen will und kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Daraus lässt sich zugleich schließen, dass bei einem aktuell oder künftig ansteigenden Bedarf an Unterkünften voraussichtlich ebenfalls (zumindest im Prinzip) eine Reaktion in Form der gebotenen Anpassung der zur Verfügung gestellten Unterbringungskapazität erfolgen wird.
165Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 26 f.); OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2013 – OVG 7 S 58.13 –, juris, Rn. 19.
166Es gibt darüber hinaus aber auch konkrete Hinweise dafür, dass Italien sich seiner „Dublin-Verantwortung“ auch aktuell bewusst ist und bereits Anstrengungen unternommen sowie weitere Schritte eingeleitet hat, um die von Flüchtlingsorganisationen als zu knapp bemessen kritisierten Unterkunftskapazitäten in einem beachtenswerten und für ein Auffangen der meisten Fälle wohl ausreichenden Umfang wieder auszubauen.
167So ist die Zahl der SPRAR-Unterkünfte von ursprünglich 3.000 auf inzwischen mindestens 5.000 erhöht worden; zumindest im Aufbau begriffen, wenn nicht bereits erreicht oder sogar schon übertroffen (im letztgenannten Sinne aida-Report, November 2013, und die Liaisonbeamtin, siehe unten), ist eine weitere Erhöhung auf 8.000 Plätze. Aufgrund von Dekreten des Innenministeriums von Juli und September 2013 soll in dem Zeitraum von 2014 bis 2016 eine nochmalige Erhöhung auf 16.000 Plätze erfolgen. Mit weiterem Dekret von Oktober 2013 hat das Innenministerium speziell auf die durch den deutlichen Anstieg der auf dem Seeweg ankommenden Flüchtlinge eingetretene Notlage („emergency situation“) reagiert und aufgrund der Bewilligung außerordentlicher Geldmittel eine (wohl unmittelbar in Angriff zu nehmende) Erhöhung der Unterkunftsplätze beschlossen (vgl. insbesondere zu Letzterem aida-Report, November 2013, S. 42; zum Ganzen mit nur geringfügigen Unterschieden, die wohl in erster Linie durch die etwas auseinanderfallenden Zeitpunkte der Erkenntnisgewinnung zu erklären sind, auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 22 f.; Liaisonbeamtin des Bundesamtes, Auskunft vom 21. November 2013, zu 1.; AA an VG Minden vom 24. Mai 2013, zu Frage 5, und an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013, zu Frage 3; UNHCR, Bericht Juli 2013, S. 10). Allerdings hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a.a.O.) in diesem Zusammenhang einschränkend darauf hingewiesen, dass durch den Ausbau der SPRAR-Unterkünfte die Gesamtkapazität nicht in gleichem Umfang steige (gestiegen sei), weil beispielsweise bisher unter kommunaler Verantwortung stehende Plätze in das Vorhaben integriert würden.
168Addiert man zu den in den (wenn auch zurzeit überbelegten) CARA laut Liaisonbeamtin des Bundesamtes mit ca. 11.000 untergebrachten Personen eine Kapazität der SPRAR-Projekte von laut aida bzw. der Liaisonbeamtin derzeit zwischen 8.000 und 9.500 Plätzen hinzu, so beträgt die Summe bereits ca. 20.000 staatliche Plätze. Dabei sind die kommunalen oder durch NGOs bereitgestellten Unterbringungsmöglichkeiten nicht mitgezählt, von denen es allein in Rom zusammen ca. 1.500 gibt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 27). Nimmt man hinzu, dass nicht alle Flüchtlinge über die Dauer von 12 Monaten in den Unterkünften verbleiben, können während eines Jahres tatsächlich mehr Flüchtlinge untergebracht werden, als es die Zahl der Unterkunftsplätze annehmen lässt (z.B. beträgt die durchschnittliche Verweildauer in CARAs 8 bis 10 Monate, aida-Report, November 2013, S. 43). Auch vor diesem Hintergrund und weil dies nicht einmal die bis 2016 angestrebte weitere Erhöhung der SPRAR-Plätze berücksichtigt, lassen auch schon die aktuellen Zahlen – unbeschadet der hierzu oben aufgezeigten Schwierigkeiten einer allein an diesen Zahlen orientierten Vergleichsrechnung – jedenfalls kein dramatisches Missverhältnis in Gestalt einer sich nach den empirischen Grundlagen aufdrängenden Kapazitätsunterdeckung erkennen. Das gilt selbst dann, wenn man richtigerweise einbezieht, dass ein Teil der Unterkünfte auch anerkannten Flüchtlingen, die sich schon im Land befinden, (für einen gewissen Zeitraum) zur Verfügung steht. Damit unterscheidet sich die Situation auch deutlich von der seinerzeitigen Lage in Griechenland, in welcher auch ein erwachsener männlicher Asylsuchender praktisch keine Chance auf einen Platz in einer Aufnahmeeinrichtung hatte, weil es weniger als 1000 Unterkünfte gab, um zehntausende Asylsuchende unterzubringen.
169Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011– 30696/09 – (M.S.S.), EuGRZ 2011, 243, Rn. 258.
170Auch im Übrigen wird an den Strukturen der Aufnahme in Gestalt von Verbesserungen bzw. zumindest der Sicherung vorhandener Kapazitäten weiter gearbeitet. So soll etwa das am Stadtrand von Rom gelegene Centro Enea, eine zunächst von der Arcofraternita betriebene Einrichtung insbesondere für Dublin-Rückkehrer, die in Rom-Fiumicino ankommen, deren Fortbestand zwischenzeitlich unklar gewesen ist (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 20 oben), ab Januar 2014 in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft umgewandelt werden. Dies ergibt sich aus einem Bericht des Mitglieds des Deutschen Bundestags Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) vom 16. Januar 2014 („Bericht der flüchtlingspolitischen Reise nach Italien“, abrufbar unter www.luise-amtsberg.de).
171Es wird insoweit auf eine gute Infrastruktur des Hauses, auf verschiedene Kultur- und Bildungsangeboten sowie auf engagiert wirkende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingewiesen. Zwar wird auch angemerkt, dass das betreffende Haus, welches 410 Menschen im Asylverfahren aus 35 verschiedenen Ländern beherberge, isoliert von der Außenwelt und viel zu groß für die individuelle Betreuung der Menschen sei. Das mag einen noch möglichen Verbesserungsbedarf anzeigen, lässt allerdings gewichtige Mängel des bestehenden bzw. im Aufbau begriffenen Zustandes nicht hervortreten. In dem vorgenannten Bericht wird im Übrigen an anderer Stelle (S. 6) auch darauf hingewiesen, dass angesichts des aktuell hohen Zustroms an Flüchtlingen sowie der Überfüllung der CARAs inzwischen alle Regionen Italiens aufgefordert seien, weitere (Aufnahme-)Zentren zu bauen.
172Dass Italien den in Bezug auf die tatsächlichen Aufnahmebedingungen bestehenden Mängeln und Defiziten nicht etwa schlechthin tatenlos zusieht, sondern (namentlich seit Ende 2012) durchaus anerkennenswerte Bemühungen unternimmt, die insoweit bestehende Situation zu verbessern, wird ferner – trotz zugleich geübter, auch struktureller Kritik, auch in dem letzten Bericht von UNHCR von Juli 2013 gewürdigt (S. 10 unten: „UNHCR welcomes the decision of the Ministry of Interior …“, „SPRAR projects … are able to provide for the reception needs of a significant number of asylum-seekers“). Als „äußerst unzureichend“– und damit wohl wesentlicher Grund für eine umfassende Reform des Aufnahmesystems – werden in jenem Zusammenhang allein die Unterstützungsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge beschrieben (vgl. UNHCR an VG Freiburg von Dezember 2013, S. 6 oben, basierend auf dem UNHCR-Bericht über Italien von Juli 2013, dort S. 10 unten).
173Anders als für andere Staaten wie zuletzt Bulgarien und trotz inzwischen mehrfacher eingehender Befassung mit dem Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Italien auch für Dublin-Rückkehrer hat UNHCR bislang nicht explizit eine Empfehlung ausgesprochen, von der Überstellung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen. In der Anlage zu dem beim Oberverwaltungsgericht etwa zweieinhalb Stunden vor der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schreiben an den Senat vom 7. März 2014 (Ergänzende Informationen zur Veröffentlichung „UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien – Juli 2013“) hat er hierzu erläuternd darauf hingewiesen, der Umstand, dass in dem betreffenden Papier keine Äußerung enthalten sei, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, könne keine Grundlage für die Annahme bilden, der UNHCR vertrete die Auffassung, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Ob solches der Fall sei, hätten vielmehr die Behörden und Gerichte im Einzelfall mit Blick darauf zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung ausschlössen. Dabei weiche der Prüfungsmaßstab in den Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes des Art. 3 EMRK ab.
174Auf der Grundlage dieser Ausführungen ergibt sich weder eine Indizwirkung dafür noch eine solche dagegen, dass die in Italien derzeit vorzufindenden Aufnahmebedingungen die Überstellung eines Dublin-Rückkehrers, der wie der Kläger dort noch kein Asyl beantragt hatte und für den keine individuellen Besonderheiten gelten, allgemein hindern. Somit bleibt der Senat auch im Hinblick auf diese neue Stellungnahme aufgefordert, sich in der gebotenen Gesamtschau aller für und gegen eine drohende Verletzung des Klägers in seinen Grundrechten aus Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK sprechenden Gründe ein eigenes Urteil zu bilden, ob die u.a. von UNHCR in der Sache angeführten Mängel und Defizite in Bezug auf das Asylsystem und die Aufnahmebedingungen gewichtig genug sind, um eine belastbare tatsächliche Grundlage für die Prognose zu bilden, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft finden und obdachlos sein. Eine solche Grundlage ist aus den vorstehend angeführten Gründen nicht vorhanden.
175Allerdings merkt der Senat sein Befremden darüber an, dass UNHCR seine jetzige Interpretation des eigenen Berichts von Juli 2013 maßgeblich darauf stützt, dieser richte sich in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung. Ohne diese Intention anzweifeln zu wollen, gründet das Befremden des Senats darin, dass UNHCR nicht unbekannt sein kann, dass die dort erstellten Berichte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs „besonders relevant“ sind auch bei der Bewertung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zuge der Rückführung von Asylsuchenden nach der Dublin II-VO.
176Vgl. EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013– C-528/11 – (Halaf), NVwZ-RR 2013, 660 =juris, Rn. 44, und vom 21. Dezember 2011– C-411/10 – (N.S.), NVwZ 2012, 417 = juris,Rn. 90 f.
177Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr wesentlich auf die nicht durch prüffähige Einzelangaben belegte Darstellung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes an, dass die in dem Bericht von UNHCR von Juli 2013 registrierten Mängel bereits zum großen Teil beseitigt worden seien, was ihr am 16. September 2013 die Capo Dipartimento, Angela Pria, versichert habe (vgl. die Stellungnahme der Liaisonbeamtin vom 21. November 2013, zu 7.).
178(3) Es gibt auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel ferner keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass die den Asylbewerbern und darunter insbesondere den Dublin-Rückkehrern während der Durchführung des Asylverfahrens zur Verfügung gestellten Unterkünfte gleich welcher Art wegen ihrer Beschaffenheit und Ausstattung (z.B. der hygienischen Verhältnisse) oder auch wegen der dort herrschenden Zustände (insbesondere der Gefahr, das Opfer von Gewalttätigkeit und anderer krimineller Delikte zu werden) typischerweise unzureichend oder in Bezug auf das Zusammenleben mit anderen Personen auf ggf. engem Raum in einer Weise unzumutbar wären, dass daraus auf die konkrete Gefahr einer erniedrigenden Behandlung im Falle der Überstellung des Klägers nach Italien geschlossen werden könnte.
179Vgl. dazu allgemein auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 28 f., m.w.N.).
180Gegenteiliges lässt sich insbesondere auch nicht aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat herleiten. Dies schon deshalb nicht, weil sich diese Angaben auf einen anderen Zeitpunkt und im Übrigen auch ausschließlich auf die Verhältnisse in einer Art „Sammelstelle“ auf Sizilien – und damit allenfalls auf die seinerzeitigen Bedingungen in Süditalien – beziehen. Die konkrete Unterkunftsart konnte der Kläger weder näher bezeichnen noch irgendwie klar umschreiben. Was die angeblich angetroffenen „schlechten“ Lebensbedingungen betrifft, fehlt es im Übrigen auch an der Relevanz, solange die Grenze des grundrechtlichen Gewährleistungsgehalts des Art. 4 EUGRCh nicht berührt wird. Namentlich ist es unerheblich, wenn die Aufnahmebedingungen nicht den Standard erreicht haben bzw. erreichen, wie er bei einer Aufnahme von Asylbewerbern in der Bundesrepublik Deutschland üblich ist. Für die nicht weiter belegte Annahme des Klägers, infolge der derzeitigen Überbelegung vieler Aufnahmeeinrichtungen herrschten dort gemeinhin menschenunwürdige Zustände, geben die Erkenntnisse nichts her. Darauf, ob dies vielleicht in Einzelfällen anders sein mag, kommt es nicht an.
181(4) Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass Dublin-Rückkehrer, welche in Italien einen Asylantrag stellen, während des Verfahrens bis zur Entscheidung über diesen Antrag materielle Not leiden müssen, weil sie gemessen an den Vorgaben des Unionsrechts nicht das zum Leben Benötigte – wie insbesondere Nahrung, Wäsche, Kleidung und Hygieneartikel – erhalten. Vielmehr wird dem Rechtsanspruch der Asylsuchenden auf Verpflegung und Versorgung im Allgemeinen auch in Italien nachgekommen. Dies geschieht bei denjenigen Personen, die in staatlichen/öffentlichen Unterkünften untergebracht sind, in der Regel dadurch, dass die Aufnahmeeinrichtungen/-zentren auch die Verpflegung und Versorgung mit übernehmen. Aber auch für diejenigen Asylbewerber, die in nichtstaatlichen, namentlich in karitativen oder kirchlichen Unterkünften leben, wird grundsätzlich ausreichend gesorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 5.; für seitdem eingetretene Änderungen ist nichts ersichtlich). Dass die Asylbewerber und hier insbesondere die Dublin-Rückkehrer unter ihnen typischerweise in extremer Armut leben und ihren Lebensunterhalt dabei beispielsweise durch Betteln oder Prostitution sichern müssten, kann folglich nicht festgestellt werden.
182Vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UAS. 29 ff.).
183Das schließt es nicht aus, dass im Einzelfall solches namentlich bei obdachlosen Personen hin und wieder vorkommen mag. Denn ein staatliches Sozialhilfesystem existiert in Italien nur sehr eingeschränkt. Das reicht indes nicht für die Annahme aus, der Kläger werde im Falle seiner Überstellung nach Italien ernstlich der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt sein.
184(5) Soweit es um die medizinische Versorgung der Dublin-Rückkehrer nach Italien geht, die dort ein Asylverfahren einleiten, unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen, die in Italien allgemein für Asylbewerber während ihres Verfahrens gilt. Als unionsrechtliche Vorgabe ist insoweit Art. 19 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2013/33/EU) zu beachten. Dieser garantiert allerdings für Antragsteller ohne besondere medizinische Bedürfnisse – wie hier den Kläger – nur einen Mindeststandard (Notversorgung, unmittelbar erforderliche Behandlungen). Dass Asylbewerber in Italien in der Regel eine medizinische Versorgung kostenfrei erhalten können, welche zumindest diesem Mindeststandard entspricht, wird vom Kläger und auch in den dem Senat vorliegenden (einschlägigen) Erkenntnismitteln nicht prinzipiell in Frage gestellt. In den Erkenntnissen wird allenfalls in Zweifel gezogen, ob auch jenseits der Not- bzw. Akutversorgung der allgemeine Zugang zum italienischen Gesundheitssystem, zu dem eine Gesundheitskarte nötig ist, den Asylbewerbern bereits – ggf. landesweit – dann eröffnet ist, wenn sie (noch) nicht über einen ständigen Wohnsitz bzw. eine feste Adresse verfügen, und inwiefern insoweit eine sog. fiktive bzw. virtuelle Adresse ausreicht und erlangt werden kann (siehe etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Oktober 2013, S. 49 f., 52; AA an OVG Sachsen-Anhalt vom 21. Januar 2013, zu 6., und – dort entsprechend für anerkannte Schutzberechtigte – an VG Gießen vom 26. März 2013, zu Frage 4.; zu einzelnen Defiziten hinsichtlich der praktischen Anwendung der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern seinerzeit Judith Gleitze, borderline europe, Gutachten an das VG Braunschweig, Dezember 2012, S. 45 ff.). Mängel der Aufnahmebedingungen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen, lassen sich somit auch in diesem Zusammenhang nicht feststellen. Individuelle Besonderheiten im Sinne einer besonderen Verletzlichkeit oder medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Klägers bestehen im Übrigen nicht.
185Vgl. zum Zugang zum Gesundheitssystem auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 31 f.).
186(6) Durchgreifende Mängel gibt es auch nicht in Bezug auf die Qualität und Dauer der Asylverfahren in Italien. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird insoweit auch, was die faktische Umsetzung in der behördlichen Praxis einschließlich der Gewährung von Rechtsberatung und Rechtsschutz betrifft, nicht in einer nennenswerten Weise beeinträchtigt. Der Senat schließt sich insoweit der (vom Kläger nicht in Zweifel gezogenen) Bewertung durch das OVG Sachsen-Anhalt an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen einschlägigen Ausführungen Bezug, welche sich auch dazu verhalten, dass es in Italien keine unverhältnismäßig restriktive Asylpraxis gibt.
187Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris (UA S. 32 ff.).
188(7) Die in Gesamtwürdigung der Verhältnisse gewonnene Einschätzung des Senats, dass das Asylverfahren und namentlich auch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber – darunter hier speziell Dublin-Rückkehrer – in Italien nicht an systemischen Mängeln leiden, welche darauf führen, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird, stimmt schließlich mit der Bewertung überein, welche für dessen Entscheidungszeitpunkt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Beschluss vom 2. April 2013– 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a.), insb. Rn. 78, unter Würdigung zahlreicher Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen getroffen hat. Dieser Entscheidung lag durchaus jedenfalls auch eine Betrachtung der allgemeinen Situation und der Lebensbedingungen in Italien zugrunde; keineswegs erfolgte sie maßgeblich (nur) vor dem Hintergrund etwaiger besonderer Umstände des zugrunde liegenden Falles wie namentlich des Umstandes, dass die Klägerin in dem Verfahren grundlegend falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht hatte; ebenso wenig lässt sich ihr entnehmen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe eigentlich etwas anderes, nämlich in Richtung auf das Bestehen systemischer Mängel, sagen wollen.
189In diesem Sinne (zu Unrecht) VG Frankfurt, Urteil vom 9. Juli 2013 – 7 K 560/11.F.A. –, juris, Rn. 61 f.; VG Gießen, Urteil vom 25. November 2013 – 1 K 844/11. GI.A –, juris, Rn. 36.
190Hierfür spricht nicht zuletzt auch, dass der EGMR seine Linie zu Italien auch in nachfolgenden Entscheidungen bestätigt hat.
191Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 2013 – 53852/11 – (Halimi), ZAR 2013, 338 (339, Rn. 68), und vom 10. September 2013 – 2314/10 – (Hussein Diirshi), Rn. 138, 139.
192Wie ein zwischenzeitlich vor der Großen Kammer des EGMR anhängiges und im Februar 2014 verhandeltes (weiteres) Verfahren zu Italien, das der Kläger angesprochen hat, ausgehen wird und inwiefern der EGMR in jenem Verfahren fallübergreifende Feststellungen zu den Verhältnissen in Italien treffen oder die konkreten Verhältnisse des zu entscheidenden Falles in den Vordergrund stellen wird, ist ungewiss; die Entscheidung hierzu steht noch aus.
193(8) Der Senat hatte auch mit Blick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im Berufungsverfahren schriftsätzlich vorgebrachten Beweisanregungen keine Veranlassung, zur Gewinnung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Überzeugung noch weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation der Asylbewerber in Italien einzuholen. Denn die vorliegenden Erkenntnismittel haben im Ergebnis ausgereicht, ihm diese Überzeugung bereits in einem ausreichenden Maße zu vermitteln.
194Dem steht zunächst nicht durchgreifend entgegen, dass der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 die Sache zunächst vertagt hat. Denn zu jenem Zeitpunkt standen wesentliche aktuelle Erkenntnismittel, wie namentlich der damals bereits angekündigte ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von Oktober 2013, noch nicht zur Verfügung. Der zusätzliche Umstand, dass der Senat unter dem 18. Oktober 2013 ein weiteres, trotz des Umfangs der gestellten Fragen im Wesentlichen die Erläuterung bzw. Konkretisierung/Substantiierung bereits vorliegender Aussagen betreffendes Auskunftsersuchen an das Auswärtige Amt gerichtet hat, welches das Auswärtige Amt dann angeblich mit den eigenen Möglichkeiten nicht beantworten konnte (vgl. die Antwortschreiben vom 5. November und 18. Dezember 2013), hinderte den Senat nicht, sich (aufgrund der insofern neuen Situation) noch einmal neu mit der Frage zu befassen, ob es für seine Entscheidung – etwa auch vor dem Hintergrund des ausführlichen aktuellen Berichts der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – der Beantwortung der gestellten Fragen (bzw. aller davon) notwendig bedurfte, und diese Frage zu verneinen. Eine etwaige Bindung war durch die rein vorsorgliche Anfrage vom 18. Oktober 2013 nicht eingetreten; zudem hatte sich die Sachlage inzwischen wesentlich geändert. Denn das Auswärtige Amt hat in dem Schreiben vom 18. Dezember 2013 unmissverständlich mitgeteilt, dass (ergänzende) eigene Erkenntnisse oder Unterlagen nicht vorhanden seien.
195Der Anregung im Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2014, bestimmte Angehörige der Organisationen „borderline europe“ und Schweizerische Flüchtlingshilfe als sachverständige Zeugen zu hören, musste der Senat nicht entsprechen. Denn es ist nicht dargetan oder sonst ersichtlich, dass „borderline europe“ die Erkenntnisse aus dem im Dezember 2012 erstellten Bericht bzw. Gutachten inzwischen auf der Grundlage neuerer konkreter Erkenntnisse sozusagen „fortgeschrieben“ hätte und/oder dass Angehörige der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus eigener Kenntnis heraus wesentliche zusätzliche Informationen über das hinaus geben könnten, was schon in dem sehr ausführlichen Bericht von Oktober 2013 unter (in der Regel) spezifizierter Offenlegung der Quellen schriftlich niedergelegt ist. Schließlich musste der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, auf ihr in der Stellungnahme der Liaisonbeamtin des Bundesamtes vorgehaltene (vermeintliche) Mängel ihres Oktober-Berichts zu erwidern.
1962. Die Abschiebungsanordung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheides ist hiernach ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Grundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
197Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
198Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Die Einzelrichterin ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Entscheidung zuständig (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
3Der am 10. Februar 2015 gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig, insbesondere hat der Antragsteller die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG eingehalten. Der Bescheid vom 26. Februar 2015 wurde ihm erst am 18. März 2015 entsprechend der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG persönlich zugestellt, weil der Asylantrag inhaltlich nach § 27a AsylVfG abgelehnt wurde. Der Antragsteller hat am 25. März 2015 und damit fristgerecht den Eilantrag bei Gericht gestellt.
7Er ist auch begründet.
8Die vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen,
9vgl. zum Maßstab VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2014 – 8 L 1195/14.A – m.w.N..
10Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus, denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) kann die Einzelrichterin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend feststellen, ob die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta anzuordnen, rechtmäßig ist oder nicht. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind aus den nachfolgenden Gründen vielmehr als offen zu bezeichnen. Eine Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
11Die 13. Kammer des beschließenden Gerichts hat hierzu mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (13 L 2852/14.A) wie folgt ausgeführt:
12„Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
13Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Dagegen ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich i.S.v. § 34a Absatz 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
141. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), welche gemäß ihres Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung findet, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 3. Juli 2014 gestellt.
15Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags.
16Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer MT10938/11) in Malta einen Asylantrag gestellt. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 3. September 2014 hat Malta am 16. September 2014, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
172. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist,
18EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
19Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
20vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.
21Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO – dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu werden,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
23Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
24EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
25Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
26Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
27Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
28Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
29Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
30EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
31Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen.
32Bei der Bewertung der in Malta anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
33vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
34Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Malta dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
35Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
36vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
37Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.
38Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.
39Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
40EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
41Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
42Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
43Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
44Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
45Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.
46Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:
47Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
48vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013 S. 5 ff.
49Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde.
50AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.
51Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
52Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
53vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.
54Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
55Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11.
56Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.“
57Dem schließt sich die Einzelrichterin der beschließenden Kammer an.
58Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
60Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
- 1.
Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage 13 K 8433/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 wird angeordnet.
- 2.
Die Aufhebung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 wird angeordnet. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Antragsteller unverzüglich zu ermöglichen, auf Kosten der Antragsgegnerin in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen.
- 3.
Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. X. aus N. bewilligt.
- 4.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
Gründe:
2A. Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 8433/14.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Oktober 2014 anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
5I. Der Antrag ist zulässig.
61. Insbesondere hat der Antragsteller die Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG gewahrt. Nach der genannten Vorschrift sind Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die fristauslösende Bekanntgabe muss gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 und 4 AsylVfG in Form der Zustellung an den Ausländer selbst erfolgen. Eine solche Zustellung hat hier nicht stattgefunden (a). Auch greift die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG nicht ein (b), weshalb die Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG erst am 8. Dezember 2014, als der Antragsteller den Bundesamtsbescheid tatsächlich erhalten hat, in Lauf gesetzt und durch Eingang des Antrags bei Gericht am 15. Dezember 2014 gewahrt wurde (c).
7a) Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 29. Oktober 2014 sollte dem Antragsteller gemäß § 3 VwZG durch die Post mit Zustellungsurkunde an die dem Bundesamt von der Beigeladenen mitgeteilte Anschrift „X1.----straße 119, P. “ zugestellt werden. Unstreitig ist diese Zustellung jedoch nicht erfolgt. Vielmehr ist die Postsendung mit dem auf der Zustellungsurkunde angekreuzten Vermerk „Adressat unter der angegeben Anschrift nicht zu ermitteln“ an das Bundesamt zurückgelangt.
8b) Der Bescheid gilt auch nicht aufgrund der gesetzlichen Fiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylVfG als zugestellt. Die Vorschrift sieht vor, dass die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt gilt, wenn die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden kann, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt. Voraussetzung für den Eintritt dieser Fiktionswirkung ist jedoch, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist,
9vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 2014 - 13 K 1278/14.A -, juris, Rz. 23 m.w.N.,
10was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes hätte ordnungsgemäß zugestellt werden können, dieses aber zu Unrecht unterblieben ist.
11Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand November 2014, § 10 Rz. 256.
12Hiervon ausgehend greift die Zustellungsfiktion vorliegend nicht ein, weil der Antragsteller im Zeitpunkt des erfolglosen Zustellungsversuchs am 3. November 2014 unter der Anschrift, an die zugestellt werden sollte (X1.----straße 119, P. ) wohnhaft war, eine ordnungsgemäß Zustellung also hätte erfolgen können.
13Etwas anderes folgt nicht aus der Beweiskraft der Postzustellungsurkunde (§§ 173 VwGO, 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist die Postzustellungsurkunde - auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost - eine öffentliche Urkunde mit der sich aus § 418 Abs. 1 ZPO ergebenden vollen Beweiskraft. Diese Beweiskraft erstreckt sich dabei auch darauf, dass der Antragsteller unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war.
14Vgl. VG Düsseldorf , Beschluss vom 2. September 2014 - 13 L 1841/14.A -; VG Trier, Urteil vom 13. November 2013 - 5 K 340/13.TR -, juris, Rz. 20.
15Gemäß § 418 Abs. 2 ZPO ist aber der Beweis der Unrichtigkeit der mit der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen zulässig. Dieser Gegenbeweis erfordert, dass Tatsachen substantiiert vorgetragen werden, die den beurkundeten Sachverhalt widerlegen. Er ist durch qualifiziertes Bestreiten zu führen, indem die in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen nicht nur in Abrede gestellt werden, sondern ihre Unrichtigkeit substantiiert und schlüssig dargelegt wird.
16Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2014 - 13 L 1690/14.A -, juris, Rz. 6; BSG, Beschluss vom 28. September 1998 - B 11 AL 83/98 B -, juris.
17Nach diesen Maßstäben vermag hier das Vorbringen des Antragstellers die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde zu erschüttern und dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass der Inhalt der Urkunde eine unzutreffende Tatsache wiedergibt, soweit es in ihr heißt, der Antragsteller sei am 3. November 2011, dem Tag des Zustellungsversuchs, unter der Anschrift „X1.----straße 119, P. “ nicht zu ermitteln gewesen. Der Antragsteller trägt vor, er habe bis Ende November 2014 unter der genannten Anschrift gewohnt. Dies stimmt überein mit der vom Gericht telefonisch eingeholten Auskunft des Hausmeisters der Gemeinschaftsunterkunft X1.----straße 119, Herrn L1. , der bestätigt hat, dass der Antragsteller bis Ende November in der Unterkunft wohnhaft war; weiter führte Herr L1. aus: Der Antragsteller habe sich regelmäßig nach Post erkundigt; Erkenntnisse darüber, dass er sich tatsächlich nicht in der Unterkunft aufgehalten habe, lägen ihm nicht vor; es sei nicht auszuschließen, dass ein Kollege gegenüber dem Postbediensteten irrtümlich geäußert habe, der Antragsteller sei hier nicht wohnhaft. Soweit die Beigeladene mit Schriftsatz vom 4. Februar 20145 einwendet, Herr L1. sei lediglich als Vertretung in der Unterkunft X1.----straße 119 eingesetzt und zum fraglichen Zeitpunkt dort nicht im Dienst gewesen, schließt dies nicht aus, dass Herr L1. nach dem Tag des Zustellungsversuchs während seiner Vertretungsdienstzeiten entsprechende Wahrnehmungen machen konnte. Dass Herr L1. durchgehend bis Ende November 2014 keinen Dienst in der Unterkunft X1.----straße 119 hatte, behauptet die Beigeladene nicht. Die von der Beigeladenen geschilderte Vorgehensweise der Hausmeister bei Postzustellungen - keine Entgegennahme der Sendungen, sondern Begleitung des Postbediensteten bis zum Zimmer des Asylbewerbers - lässt die nahe liegende Möglichkeit offen, dass der Hausmeister dann, wenn er irrtümlich davon ausgeht, der Asylbewerber wohne nicht in der Unterkunft, dem Postbediensteten eine entsprechende Auskunft gibt und tatsächlich nicht zusammen mit diesem das Zimmer aufsucht, weil dies aus seiner Sicht dann keinen Sinn macht. Durchgreifende Zweifel daran, dass der Antragsteller im Zeitpunkt des Zustellungsversuchs am 3. November 2014 in der Unterkunft X1.----straße wohnhaft war, ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass er bereits zum 15. Oktober 2014 eine neue Wohnung (T.------straße 21, P. ) angemietet hatte. Nach den Angaben der Beigeladenen (siehe den Schriftsatz vom 21. Januar 2015) erfolgte der Einzug in die neue Wohnung erst am 9. Dezember 2014. Dies deckt sich wiederum im Wesentlichen mit der oben wiedergegebenen Auskunft des Hausmeisters L1. . Das weitere Vorbringen der Beigeladenen in deren Schriftsatz vom 21. Januar 2015, telefonische Anfragen seitens eines Mitarbeiters ihrer Ausländerbehörde beim Hausmeister der Unterkunft X1.----straße hätten ergeben, dass der Antragsteller sich „seit einiger Zeit“ dort nicht aufhalte und auch seine in der Unterkunft lagernde Post nicht abhole, lässt sich zwanglos damit in Einklang bringen, dass der Antragsteller, wie dargelegt, Ende November/Anfang Dezember 2014 in die neue Wohnung in der T.------straße umgezogen war. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er sich schon Anfang November 2014 nicht mehr in der Unterkunft X1.----straße aufhielt, obwohl „das reale Einzugsdatum“ (so die Formulierung der Beigeladenen in dem Schriftsatz vom 21. Januar 2015) erst der 9. Dezember 2014 war, lassen sich den bis auf das Umzugsdatum eher vagen Angaben der Beigeladenen nicht entnehmen. Zwar heißt es bereits in einer Email eines Mitarbeiters der Ausländerbehörde an die Flüchtlingsberaterin Frau N1. vom 24. November 2014, es sei nachvollziehbar, dass der Antragsteller kaum Post erhalte, „wenn er sich selten bis gar nicht in seiner Unterkunft aufhält“ (Blatt 52 der Ausländerakten). Auf schriftliche Nachfrage des Gerichts vermochte die Beigeladene aber nicht näher zu konkretisieren, auf welcher tatsächlichen Erkenntnisgrundlage diese Behauptung beruht. Soweit die Beigeladene erstmals mit Schriftsatz vom 4. Februar 2015 - abweichend von ihren bisherigen Angaben - geltend macht, der tatsächliche Umzug sei nicht erst am 9. Dezember 2014, sondern bereits früher erfolgt, wird dies ebenfalls nicht durch hinreichend aussagekräftige Tatsachen untermauert. Die Beigeladene trägt insoweit lediglich vor, dass der Antragsteller am 6. November 2014 bei der Asylbewerberleistungsstelle angegeben habe, den Schlüssel für sein Zimmer in der Unterkunft X1.----straße 119 in der folgenden Woche abgeben zu wollen, und dass er dies dann am 10. November 2014 getan habe. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass - worauf es im Hinblick auf den Zustellungsversuch vom 3. November 2014 allein ankommt - der Antragsteller jedenfalls bis zur Abgabe des Schlüssels am 10. November 2014 sein Zimmer in der Unterkunft X1.----straße 119 nicht aufgegeben hatte, also noch nicht ausgezogen war. Gegen einen früheren Umzug spricht nicht zuletzt auch, dass das an die Anschrift „X1.----straße 119, P. “ gerichtete Schreiben der Ausländerbehörde vom 4. November 2014, mit dem der Antragsteller zur Vorsprache aufgefordert wurde (siehe Seite 38 der Ausländerakten), diesen offenbar erreicht hat, wie sein daraufhin erfolgtes Erscheinen bei der Ausländerbehörde belegt. Ein Postrücklauf ist nicht aktenkundig. Der Umstand, dass sich wohl das Original des Einladungsschreibens vom 4. November 2014 in den Ausländerakten (Blatt 43) befindet, kann zahlreiche Ursachen haben, etwa die, dass der Antragsteller es bei seiner Vorsprache abgegeben hat (worauf hindeutet, dass es der am 11. November 2014 erteilten Duldung nachgeheftet ist).
18c) Lässt sich - wie hier - die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen, gilt es gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs heilt den Zustellungsmangel, fingiert eine wirksame Zustellung und löst den Lauf der Klage- bzw. Antragsfrist aus.
19Vgl. Sadler, VwVG VwZG, 7. Aufl. 2010, VwZG § 8 Rz. 22; Bay.VGH, Urteil vom 4. Juni 2013 ‑ 12 B 13.183 -, juris..
20Hier hat der Antragsteller den Bundesamtsbescheid tatsächlich am 8. Dezember 2014 durch Aushändigung seitens der Ausländerbehörde erhalten, so dass die einwöchige Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG am 15. Dezember 2014 endete. An diesem Tag sind der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die zugehörige Klage bei Gericht eingegangen. Soweit die Beigeladene dem Antragsteller vorwirft, er habe Kenntnis von dem Vorhandensein des Bundesamtsbescheides gehabt, jedoch nichts unternommen, geht dies in zweierlei Hinsicht fehl: Zum einen ist die irgendwie vermittelte Kenntnis des Adressaten vom bloßen Vorhandensein eines Bescheides rechtlich unerheblich; insbesondere ist sie nicht der rechtliche Anknüpfungspunkt für den Beginn der Antragsfrist. Zum anderen hat der Antragsteller durchaus Anstrengungen unternommen, um in den Besitz des Bescheides zu kommen. Bei seiner Vorsprache bei der Ausländerbehörde am 11. November 2014 hat man ihm dort jedoch keine Kopie ausgehändigt, sondern ihn an das Bundesamt verwiesen. Erst auf Intervention der Flüchtlingsberaterin Frau N1. , die der Antragsteller daraufhin um Hilfe bat, erklärte die Ausländerbehörde per Email, der Antragsteller könne sich eine Bescheidkopie abholen.
212. Für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO besteht ferner ein Rechtsschutzinteresse, solange über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung im Hauptsacheverfahren nicht entschieden ist. Dem steht die zwischenzeitlich erfolgte Abschiebung des Antragstellers nicht entgegen, da diese im Wege des Annexverfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO wieder rückgängig gemacht, der status quo ante also wieder hergestellt werden kann (siehe dazu unten).
22Vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 1. Februar 2010 - Au 5 S 10.30014 ‑, juris, Rz. 33; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 14 B 86/02 ‑, juris, Rz. 14.
23II. Der Antrag ist auch begründet. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) stellen sich die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage bei der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung als offen dar. Eine abschließende Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Die Abwägung der widerstreitenden Belange - der Gefährdung der Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des Interesses der Allgemeinheit an der umgehenden Rückführung des Antragstellers nach Malta andererseits - führt bei offenen Erfolgsaussichten zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers. Denn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung hat gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf einen Schutz entsprechend den im Europäischen Unionsrecht vereinbarten Mindeststandards zurückzutreten.
24Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
25Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Jedoch ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
261. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragstellers vom 21. Mai 2014.
27Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des von dem Antragsteller gestellten Asylantrags.
28Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer-Nr. MT11810/13) in Malta einen Asylantrag gestellt. Dies ergibt sich auch aus seinen Angaben bei der Befragung durch das Bundesamt am 21. Mai 2014. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 22. Juli 2014 hat Malta am 4. August 2014, und damit innerhalb der nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von zwei Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen.
292. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer - dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener - Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist.
30Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413.
31Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Art. 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - C-4/11 -, juris, Rz. 37; Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinnen vom 18. April 2013 - C 4/11 -, juris, Rz. 57 f.
33Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber - unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO - dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber dort tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden.
34Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 94.
35Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 86.
37Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, Rz. 6 m.w.N.
39Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
40Vgl. VG Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 23 L 899.14 A -, juris, Rz. 6 m.w.N. und vom 4. August 2014 - 34 L 78.14 A -, juris, Rz. 9.
41Systemische Mängel in diesem Sinne können erst dann angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in einzelnen Fällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
42Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rz. 94.
43Die Regelung in Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem sie die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta mit sich bringen.
44Bei der Bewertung der in Malta bestehenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können).
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12 -, juris, Rz. 130.
46Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehrern zu betrachten, die wie der Antragsteller in Malta bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
47Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et. al. -, juris, Rz. 90 ff.
49Auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung erhebliche Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer - dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener - Aufklärung bedürfen.
50Dabei geht das Gericht bei der vorzunehmenden Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta aus.
51Sowohl Art. 3 EMRK als auch Art. 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
52Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413, Rz. 220 m.w.N.
53Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Art. 3 EMRK. Indes verpflichtet Art. 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
54Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, juris, Rz. 221, und 15. Juli 2002 - 47095/99 -, Rz. 95.
55Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Abs. 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Abs. 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Abs. 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Art. 9 Abs. 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Abs. 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Abs. 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11 AufnahmeRL).
56Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
57Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - A 8 K 345/14 -, juris, Rz. 11; VG Oldenburg, Beschluss vom 23. Juli 2014 ‑ 12 B 1217/14 -, juris, Rz. 27 m.w.N.
58Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende - vorläufige - Feststellungen treffen:
59Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür ist das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), das nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheidet. Danach gelten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Art. 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergeht auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Art. 14 Abs. 2 Immigration Act). Anders sieht es nur - bei einem kleinen Prozentsatz - der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit wird von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung trifft (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern kann. Dabei werden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar ist, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige, zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthält keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Falls über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden ist, erfolgt die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkennt. Abschiebehaft ist ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
60Vgl. zu alledem AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation des UNHCR und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ aus Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ aus Juni 2013 S. 5 ff.
61Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen Maltas keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. So sieht das maltesische Recht keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Art. 25A Immigration Act besteht lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen drei Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gibt es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden ist. Entscheidungen dauern bis zu dreieinhalb Monaten und es wird nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben besteht gemäß Art. 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf ist wenig effektiv, weil das Gericht regelmäßig davon ausgeht, dass die Inhaftierung des Flüchtlings auf der Grundlage des Immigration Act rechtmäßig und eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führen könnten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst sei. Schließlich kann die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Art. 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings wird die Inhaftierung in der Regel für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art dauern Monate, wenn nicht Jahre. Hinzu kommt, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert sind und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten besteht.
62Siehe hierzu AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ aus Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ aus Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 - 55352/12 -, Rz. 108 m.w.N.
63Zu der speziellen - und vorliegend allein maßgeblichen - Situation von Dublin-Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
64Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der - zum Teil mehrere Monate dauernden - Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
65Vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” aus Mai 2014, S. 21 f.
66Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
67Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 - A 8 K 345/14 -, juris, Rz. 11.
68Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.
69B. Ist daher die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, hat auch der auf Rückgängigmachung der Abschiebung gerichtete Annexantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO,
70die Aufhebung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Antragsteller unverzüglich die Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland auf Kosten der Antragsgegnerin zu ermöglichen,
71Erfolg.
72Die Regelung des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO stellt eine prozessuale Grundlage für die Geltendmachung eines Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs in demselben Verfahren, in dem um die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gestritten wurde, zur Verfügung. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO schon vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Sinn der Regelung ist es, zur Erlangung eines im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes die tatsächliche Situation schon im Rahmen des Eilverfahrens mit der Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen.
73Ein solcher Anspruch setzt unter anderem voraus, dass durch die Vollziehung ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist; er ist insoweit begrenzt, als die Folgenbeseitigung rechtlich und tatsächlich möglich sein muss.
74Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2007 - 18 B 2533/06 -, juris, Rz. 12 f.
75Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Wie sich aus § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ergibt, wonach die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, war die zwangsweise Rückführung des Antragstellers nach Malta rechtswidrig.
76Nach derzeitiger Erkenntnislage ist auch nicht davon auszugehen, dass die Ermöglichung der Wiedereinreise rechtlich oder tatsächlich unmöglich wäre. Insbesondere führt die Abschiebung nicht dazu, dass einer Wiedereinreise die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegenstünden. Abgesehen davon, dass die Wiedereinreise zumindest über die Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG ermöglicht werden kann und die Wirkungen der Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG befristet werden können, stehen die Sperrwirkungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einem im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu verfolgenden Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch dann nicht entgegen, wenn sich in dem Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung nicht abschließend feststellen lässt und eine Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers daran, nicht erst nach erfolgreichem Abschluss des Hauptsacheverfahrens, sondern sogleich wieder nach Deutschland einreisen zu dürfen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer weiteren Fernhaltung des Antragstellers vom Bundesgebiet überwiegt.
77Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2007 - 18 B 2533/06 -, juris, Rz. 25 m.w.N.
78Demnach folgt die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO grundsätzlich denselben Regeln wie die über die Aussetzung; auf die obigen Ausführungen zur Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wird daher verwiesen.
79Da die Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen Erfolg hat, war auch dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattzugeben (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
80Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie etwaige eigene außergerichtliche Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
81Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
82Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 14. Januar 1981 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger.
3Der Kläger reiste nach seinen Angaben im Februar 2014 aus Marokko aus. Am 12. Februar 2014 wurde dem Kläger durch die Auslandsvertretung Maltas in Libyen ein Schengen-Besuchsvisum mit einer Gültigkeitsdauer von 30 Tagen erteilt. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 12. November 2012 ‑ über Italien und die Schweiz ‑ in das Bundesgebiet ein. Er beantragte dort am 26. November 2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
4Das am 16. Dezember 2014 an die Schweiz gerichtete Übernahmeersuchen lehnte diese mit der Begründung ab, dass die maltesischen Behörden der Übernahme des Klägers zugestimmt hätten. Die Beklagte richtete am 26. Januar 2015 ein Übernahmeersuchen an die Republik Malta. Diese stimmte am 5. Februar 2015 der Übernahme des Klägers zu.
5Mit Bescheid vom 10. Februar 2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1.) und ordnete die Abschiebung nach Malta an (Ziffer 2.).
6Am 23. Februar 2015 hat der Kläger Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Asylsystem in Malta leide unter systemischen Mängeln. Daher habe die Bundesrepublik Deutschland ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben.
7Mit Beschluss vom 30. März 2015 (Az.: 7a L 340/15.A) hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2. des Bescheides vom 10. Februar 2015 angeordnet.
8Der Kläger beantragt sinngemäß,
9den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hält systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren in Malta derzeit für nicht gegeben.
13Die Beteiligten haben sich durch Schriftsatz vom 17. April 2015 und durch Generalerklärung vom 26. Januar 2015 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑).
17Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
18Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Diese ist gegen die Entscheidung nach §§ 27a, 34a Asylverfahrensgesetz ‑ AsylVfG ‑ statthaft und zugleich ausreichend, weil die isolierte Aufhebung der Entscheidungen zu Ziffern 1. und 2. des Bescheides zur gesetzlichen Verpflichtung des Bundesamtes führt, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. §§ 31, 24 AsylVfG). Mit der Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2015 ist das Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs beseitigt.
19OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, juris.
20Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG (Ziffer 1.) ist rechtswidrig. Die Zuständigkeit Maltas entfällt gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO, da das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen derzeit systemische Schwachstellen aufweisen. Ob gegebenenfalls ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Verfahrens anstelle Maltas zuständig ist (Italien, Schweiz), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Die Beklagte hat ihre Entscheidung nach § 27a AsylVfG allein auf die Zuständigkeit Maltas gestützt. Darüber hinaus hat die Beklagte bislang auch kein Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren zu Bestimmung eines anderen zuständigen Mitgliedstaats erfolgreich durchgeführt. Daher führt die fehlende Zuständigkeit Maltas zur Rechtswidrigkeit der Ziffer 1) des Bescheids. Eine Prüfung der Zuständigkeit weiterer Mitgliedstaaten (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO) hat im vorliegenden Verfahren nicht zu erfolgen.
22Vgl. VG München, Urteil vom 30. Juli 2014 ‑ M 24 K 14.50321 ‑ juris.
23Die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG (Ziffer 2.) hat ebenfalls keinen Bestand, da die Zuständigkeit Maltas nicht gegeben ist.
24Zur weiteren Begründung wird auf die Gründe des Eilbeschlusses vom 30. März 2015 in dem parallel geführten Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (7a L 340/15.A) Bezug genommen. Eine Änderung der Sachlage, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würde, hat sich seitdem nicht ergeben.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
26Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung ‑ ZPO ‑.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Die Einzelrichterin ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Entscheidung zuständig (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
3Der am 10. Februar 2015 gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig, insbesondere hat der Antragsteller die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG eingehalten. Der Bescheid vom 26. Februar 2015 wurde ihm erst am 18. März 2015 entsprechend der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG persönlich zugestellt, weil der Asylantrag inhaltlich nach § 27a AsylVfG abgelehnt wurde. Der Antragsteller hat am 25. März 2015 und damit fristgerecht den Eilantrag bei Gericht gestellt.
7Er ist auch begründet.
8Die vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen,
9vgl. zum Maßstab VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2014 – 8 L 1195/14.A – m.w.N..
10Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus, denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) kann die Einzelrichterin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend feststellen, ob die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta anzuordnen, rechtmäßig ist oder nicht. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind aus den nachfolgenden Gründen vielmehr als offen zu bezeichnen. Eine Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
11Die 13. Kammer des beschließenden Gerichts hat hierzu mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (13 L 2852/14.A) wie folgt ausgeführt:
12„Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
13Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Dagegen ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich i.S.v. § 34a Absatz 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
141. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), welche gemäß ihres Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung findet, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 3. Juli 2014 gestellt.
15Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags.
16Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer MT10938/11) in Malta einen Asylantrag gestellt. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 3. September 2014 hat Malta am 16. September 2014, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
172. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist,
18EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
19Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
20vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.
21Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO – dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu werden,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
23Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
24EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
25Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
26Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
27Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
28Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
29Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
30EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
31Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen.
32Bei der Bewertung der in Malta anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
33vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
34Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Malta dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
35Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
36vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
37Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.
38Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.
39Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
40EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
41Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
42Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
43Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
44Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
45Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.
46Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:
47Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
48vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013 S. 5 ff.
49Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde.
50AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.
51Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
52Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
53vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.
54Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
55Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11.
56Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.“
57Dem schließt sich die Einzelrichterin der beschließenden Kammer an.
58Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
60Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
1. Dem Kläger wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. aus Bad C. bewilligt.
2. Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage (13 K 8054/14.A) gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2014 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 25. November 2014 sinngemäß bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (13 K 8054/14.A) gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2014 anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig (I.) und begründet (II.).
5I. Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da nach § 34a Absatz 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in seiner durch Artikel 1 Nummer 27 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Absatz 1 AsylVfG hier auch zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsanordnung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 14. November 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Ausweislich der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Postzustellungsurkunde wurde der streitgegenständliche Bescheid dem Antragsteller am 18. November 2014 gemäß §§ 31 Absatz 1 Satz 4, 10 Absatz 5 in Verbindung mit § 180 Zivilprozessordnung durch Einlegen in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten persönlich zugestellt. Die einwöchige Antragsfrist begann demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) und 187 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 19. November 2014 zu laufen und endete gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO und 188 Absatz 1 BGB mit Ablauf des 25. November 2014. Der Antragsteller hat am 25. November 2014 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt und am 2. Dezember – mithin innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 AsylVfG – Klage erhoben.
7II. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
8Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) kann das Gericht bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend feststellen, ob die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta anzuordnen, rechtmäßig ist oder nicht. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind aus den nachfolgenden Gründen vielmehr als offen zu bezeichnen. Eine Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Eine Abwägung der widerstreitenden Belange, nämlich einer Gefährdung der Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des nur zeitlich gefährdeten Abschiebungsinteresses der Antragsgegnerin andererseits, führt aber bei offenem Ausgang der streitigen Frage zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers. Denn jenes Interesse hat gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf einen Schutz entsprechend den im Europäischen Unionssrecht vereinbarten Mindeststandards zurückzutreten.
9Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
10Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Dagegen ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich i.S.v. § 34a Absatz 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
111. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), welche gemäß ihres Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung findet, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 3. Juli 2014 gestellt.
12Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags.
13Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer MT10938/11) in Malta einen Asylantrag gestellt. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 3. September 2014 hat Malta am 16. September 2014, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
142. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist,
15EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
16Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
17vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.
18Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO – dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu werden,
19EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
20Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
22Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
23Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
24Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
25Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
26Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
27EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
28Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen.
29Bei der Bewertung der in Malta anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
30vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
31Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Malta dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
32Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
33vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
34Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.
35Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.
36Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
37EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
38Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
39Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
40Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
41Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
42Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.
43Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:
44Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
45vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013 S. 5 ff.
46Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde.
47AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.
48Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
49Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
50vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.
51Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
52Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11.
53Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.
54Ob darüber hinaus auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG Bedenken bestehen, insbesondere ein Abschiebungshindernis nach § 60 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Verbindung mit Artikel 8 EMRK bzw. § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Artikel 6 Grundgesetz (GG) und Artikel 8 EMRK besteht, kann daher im Ergebnis – jedenfalls im summarischen Eilverfahren – dahingestellt bleiben.
55Da die Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen Aussicht auf Erfolg bietet, war auch dem Prozesskostenhilfeantrag stattzugeben (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung – ZPO).
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
57Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 14. Januar 1981 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger.
3Der Kläger reiste nach seinen Angaben im Februar 2014 aus Marokko aus. Am 12. Februar 2014 wurde dem Kläger durch die Auslandsvertretung Maltas in Libyen ein Schengen-Besuchsvisum mit einer Gültigkeitsdauer von 30 Tagen erteilt. Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 12. November 2012 ‑ über Italien und die Schweiz ‑ in das Bundesgebiet ein. Er beantragte dort am 26. November 2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
4Das am 16. Dezember 2014 an die Schweiz gerichtete Übernahmeersuchen lehnte diese mit der Begründung ab, dass die maltesischen Behörden der Übernahme des Klägers zugestimmt hätten. Die Beklagte richtete am 26. Januar 2015 ein Übernahmeersuchen an die Republik Malta. Diese stimmte am 5. Februar 2015 der Übernahme des Klägers zu.
5Mit Bescheid vom 10. Februar 2015 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers als unzulässig ab (Ziffer 1.) und ordnete die Abschiebung nach Malta an (Ziffer 2.).
6Am 23. Februar 2015 hat der Kläger Klage erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Asylsystem in Malta leide unter systemischen Mängeln. Daher habe die Bundesrepublik Deutschland ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben.
7Mit Beschluss vom 30. März 2015 (Az.: 7a L 340/15.A) hat die Kammer die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2. des Bescheides vom 10. Februar 2015 angeordnet.
8Der Kläger beantragt sinngemäß,
9den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hält systemische Mängel im Asyl- und Aufnahmeverfahren in Malta derzeit für nicht gegeben.
13Die Beteiligten haben sich durch Schriftsatz vom 17. April 2015 und durch Generalerklärung vom 26. Januar 2015 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
16Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑).
17Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
18Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Diese ist gegen die Entscheidung nach §§ 27a, 34a Asylverfahrensgesetz ‑ AsylVfG ‑ statthaft und zugleich ausreichend, weil die isolierte Aufhebung der Entscheidungen zu Ziffern 1. und 2. des Bescheides zur gesetzlichen Verpflichtung des Bundesamtes führt, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. §§ 31, 24 AsylVfG). Mit der Aufhebung des Bescheides vom 10. Februar 2015 ist das Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylgesuchs beseitigt.
19OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, juris.
20Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG (Ziffer 1.) ist rechtswidrig. Die Zuständigkeit Maltas entfällt gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO, da das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen derzeit systemische Schwachstellen aufweisen. Ob gegebenenfalls ein anderer Mitgliedstaat für die Durchführung des Verfahrens anstelle Maltas zuständig ist (Italien, Schweiz), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Die Beklagte hat ihre Entscheidung nach § 27a AsylVfG allein auf die Zuständigkeit Maltas gestützt. Darüber hinaus hat die Beklagte bislang auch kein Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren zu Bestimmung eines anderen zuständigen Mitgliedstaats erfolgreich durchgeführt. Daher führt die fehlende Zuständigkeit Maltas zur Rechtswidrigkeit der Ziffer 1) des Bescheids. Eine Prüfung der Zuständigkeit weiterer Mitgliedstaaten (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin-III-VO) hat im vorliegenden Verfahren nicht zu erfolgen.
22Vgl. VG München, Urteil vom 30. Juli 2014 ‑ M 24 K 14.50321 ‑ juris.
23Die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG (Ziffer 2.) hat ebenfalls keinen Bestand, da die Zuständigkeit Maltas nicht gegeben ist.
24Zur weiteren Begründung wird auf die Gründe des Eilbeschlusses vom 30. März 2015 in dem parallel geführten Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (7a L 340/15.A) Bezug genommen. Eine Änderung der Sachlage, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würde, hat sich seitdem nicht ergeben.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
26Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung ‑ ZPO ‑.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Die Einzelrichterin ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes für die Entscheidung zuständig (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG).
3Der am 10. Februar 2015 gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2400/15.A hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Februar 2015 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig, insbesondere hat der Antragsteller die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG eingehalten. Der Bescheid vom 26. Februar 2015 wurde ihm erst am 18. März 2015 entsprechend der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG persönlich zugestellt, weil der Asylantrag inhaltlich nach § 27a AsylVfG abgelehnt wurde. Der Antragsteller hat am 25. März 2015 und damit fristgerecht den Eilantrag bei Gericht gestellt.
7Er ist auch begründet.
8Die vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich - nicht ausschließlich - an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen,
9vgl. zum Maßstab VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. August 2014 – 8 L 1195/14.A – m.w.N..
10Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Lasten der Antragsgegnerin aus, denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) kann die Einzelrichterin bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend feststellen, ob die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta anzuordnen, rechtmäßig ist oder nicht. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind aus den nachfolgenden Gründen vielmehr als offen zu bezeichnen. Eine Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
11Die 13. Kammer des beschließenden Gerichts hat hierzu mit Beschluss vom 2. Februar 2015 (13 L 2852/14.A) wie folgt ausgeführt:
12„Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
13Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Dagegen ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich i.S.v. § 34a Absatz 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
141. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), welche gemäß ihres Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung findet, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 3. Juli 2014 gestellt.
15Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags.
16Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer MT10938/11) in Malta einen Asylantrag gestellt. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 3. September 2014 hat Malta am 16. September 2014, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
172. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist,
18EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
19Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
20vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.
21Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO – dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu werden,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
23Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
24EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
25Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
26Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
27Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
28Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
29Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
30EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
31Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen.
32Bei der Bewertung der in Malta anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
33vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
34Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Malta dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
35Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
36vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
37Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.
38Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.
39Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
40EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
41Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
42Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
43Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
44Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
45Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.
46Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:
47Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
48vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013 S. 5 ff.
49Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde.
50AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.
51Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
52Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
53vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.
54Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
55Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11.
56Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.“
57Dem schließt sich die Einzelrichterin der beschließenden Kammer an.
58Vor diesem Hintergrund überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
60Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
1. Dem Kläger wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I. aus Bad C. bewilligt.
2. Die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage (13 K 8054/14.A) gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2014 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 25. November 2014 sinngemäß bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (13 K 8054/14.A) gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2014 anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig (I.) und begründet (II.).
5I. Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da nach § 34a Absatz 2 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in seiner durch Artikel 1 Nummer 27 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474, geänderten und nach § 77 Absatz 1 AsylVfG hier auch zu beachtenden Fassung solche Eilanträge gegen die Abschiebungsanordnung nunmehr zugelassen sind und der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Satz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 14. November 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Ausweislich der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Postzustellungsurkunde wurde der streitgegenständliche Bescheid dem Antragsteller am 18. November 2014 gemäß §§ 31 Absatz 1 Satz 4, 10 Absatz 5 in Verbindung mit § 180 Zivilprozessordnung durch Einlegen in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten persönlich zugestellt. Die einwöchige Antragsfrist begann demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) und 187 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 19. November 2014 zu laufen und endete gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO und 188 Absatz 1 BGB mit Ablauf des 25. November 2014. Der Antragsteller hat am 25. November 2014 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt und am 2. Dezember – mithin innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist des § 74 AsylVfG – Klage erhoben.
7II. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
8Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) kann das Gericht bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend feststellen, ob die angegriffene Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abzulehnen und gemäß § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG seine Abschiebung nach Malta anzuordnen, rechtmäßig ist oder nicht. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind aus den nachfolgenden Gründen vielmehr als offen zu bezeichnen. Eine Klärung muss insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Eine Abwägung der widerstreitenden Belange, nämlich einer Gefährdung der Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des nur zeitlich gefährdeten Abschiebungsinteresses der Antragsgegnerin andererseits, führt aber bei offenem Ausgang der streitigen Frage zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers. Denn jenes Interesse hat gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf einen Schutz entsprechend den im Europäischen Unionssrecht vereinbarten Mindeststandards zurückzutreten.
9Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt, wenn der Antragsteller in einen nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
10Zwar ist die Antragsgegnerin zutreffend davon ausgegangen, dass Malta grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Dagegen ist derzeit als offen anzusehen, ob der Antragsteller deshalb nicht in den an sich zuständigen Mitgliedstaat Malta abgeschoben werden darf, die Abschiebung also rechtlich unmöglich i.S.v. § 34a Absatz 1 Satz 1 a.E. AsylVfG ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Malta ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. Artikel 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausgesetzt zu werden (2.).
111. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), welche gemäß ihres Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung findet, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden. Der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 3. Juli 2014 gestellt.
12Nach den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO ist Malta der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Antragsteller gestellten Asylantrags.
13Der Antragsteller hat ausweislich der Meldung aus der Eurodac-Datenbank (Treffer MT10938/11) in Malta einen Asylantrag gestellt. Auf das vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers vom 3. September 2014 hat Malta am 16. September 2014, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für den Asylantrag des Antragstellers erklärt. Malta ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
142. Allerdings bedarf es vorliegend weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung, ob die Antragsgegnerin deshalb an der Überstellung des Antragstellers nach Malta gehindert ist, weil das maltesische Asylsystem systemische Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aufweist,
15EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C/411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413.
16Zwar besteht kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland. Denn die Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung des Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 ff. Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
17vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.
18Eine Rückführung von Asylbewerbern in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens ist aber – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO – dann unzulässig, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu werden,
19EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
20Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
21EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
22Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
23Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
24Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
25Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
26Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
27EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
28Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO hat diese Rechtsprechung normativ übernommen, indem er die Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat für unmöglich erklärt, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen.
29Bei der Bewertung der in Malta anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
30vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
31Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Antragsteller vor der Ausreise aus Malta dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben.
32Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
33vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
34Auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden sowie sonstiger veröffentlichter und leicht zugänglicher Erkenntnisse ergeben sich bei der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung Anhaltspunkte für mit europäischem Recht nicht in Einklang stehende Aufnahmebedingungen in Malta, die weiterer – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – Aufklärung bedürfen.
35Dabei geht das Gericht bei der Bewertung der aktuellen Erkenntnismittel von den sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebenden Maßstäben für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta aus.
36Sowohl Artikel 3 EMRK als auch Artikel 4 EU-GR-Charta verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
37EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
38Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Artikels 3 EMRK. Indes verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
39Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
40Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
41Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht.
42Zu der zusätzlichen Annahme unzureichender Haftbedingungen vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11; Verwaltungsgericht Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 23. Juli 2014 – 12 B 1217/14 –, juris, Rn. 27 m.w.N.
43Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen:
44Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert. Rechtsgrundlage hierfür sei das Migrationsgesetz Maltas (Immigration Act, Chapter 217 of the Laws of Malta, im Folgenden: „Immigration Act“), welches nicht zwischen Migranten und Flüchtlingen, die um internationalen Schutz nachsuchen, bzw. Asylbewerbern unterscheide. Danach gölten alle irregulär Eingereisten („prohibited immigrant“ i.S.v. Artikel 5 Immigration Act) als Personen ohne Einreise- bzw. Aufenthaltsbefugnis. Ihnen gegenüber ergehe auf der weiteren Grundlage der Verwaltungsvorschrift „Policy Documents 2005“ eine Zugangsverweigerungs- oder Ausweisungsverfügung mit Haftanordnung von unbestimmter Dauer (vgl. Artikel 14 Absatz 2 Immigration Act). Anders sehe es nur – bei einem kleinen Prozentsatz – der Ausländer aus, die Asyl beantragen, bevor sie von der Ausländerbehörde wegen illegaler Einreise bzw. illegalem Aufenthalt festgenommen werden. Insoweit werde von einer Inhaftierung bis zum Vorliegen der Entscheidung über ihren Asylantrag abgesehen. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt.
45vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 49 f.; Gemeinsame Publikation UNHCRs und des Europäischen Parlaments „know the facts“ vom 9. April 2014, S. 8; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 4 ff.; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013 S. 5 ff.
46Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten. Das maltesische Recht sehe keine automatische gerichtliche Überprüfung der Haft vor. Gemäß Artikel 25A Immigration Act bestehe lediglich die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Abschiebungsanordnung einzulegen. Eine solche ist binnen 3 Tagen seit der Ausstellung der Abschiebungsanordnung bei der Beschwerdeinstanz, bestehend aus einem Anwalt, einer in Einwanderungsfragen versierten Person und einer dritten Person, einzulegen. In der Praxis gebe es keine Frist, innerhalb derer über die Beschwerde zu entscheiden sei. Entscheidungen hätten bis zu dreieinhalb Monaten gedauert und es werde nur in Ausnahmefällen die Haftanordnung aufgehoben. Daneben bestehe gemäß Artikel 409A des maltesischen Strafgesetzbuchs („Criminal Code“ von 1854, Chapter 9 of Laws of Malta) die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung vor dem Amtsgericht („Court of Magistrates“) anzufechten. Aber auch dieser Rechtsbehelf sei wenig effektiv, weil das Gericht davon ausgehe, dass die Inhaftierung auf Grundlage des Immigration Act rechtmäßig sei. Nach Auffassung des Gerichts sei eine weitergehende Überprüfung hinsichtlich anderer Umstände (wie zum Beispiel die Grundrechte), die zur Rechtswidrigkeit der Inhaftierung führten, nicht vom Prüfungsumfang erfasst. Schließlich könne die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung auch im Hinblick auf Artikel 34 der maltesischen Verfassung angefochten werden. Allerdings werde die Inhaftierung für erforderlich gehalten, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten. Gerichtsverfahren dieser Art würde Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Hinzu komme, dass Asylsuchende von den bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht hinreichend informiert seien und kein ausreichender Zugang zu Rechtsanwälten bestünde.
47AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 55 ff.; Global Detention Project „Immigration Detention in Malta“ vom Januar 2014, S. 7; UNHCR „UNHCR`s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18. September 2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS) „Protection Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013, S. 5 f.; Vgl. EGMR, Urteil vom 9. Dezember 2013 – 55352/12 –, Rn. 108 m.w.N.
48Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin- Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor:
49Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert.
50vgl. AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Malta” vom Mai 2014, S. 21 f.
51Dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit die strafrechtliche Inhaftierung aufgrund einer illegalen Ausreise aus Malta die Annahme von systemischen Mängeln des Asylverfahrens zu begründen vermag bzw. inwieweit Dublin-Rückkehrer stattdessen infolge der Versetzung in den Stand vor ihrer Ausreise wegen illegaler Einreise inhaftiert werden.
52Vgl. insoweit VG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Oktober 2014 – A 8 K 345/14 –, juris, Rn. 11.
53Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.
54Ob darüber hinaus auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG Bedenken bestehen, insbesondere ein Abschiebungshindernis nach § 60 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Verbindung mit Artikel 8 EMRK bzw. § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Artikel 6 Grundgesetz (GG) und Artikel 8 EMRK besteht, kann daher im Ergebnis – jedenfalls im summarischen Eilverfahren – dahingestellt bleiben.
55Da die Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen Aussicht auf Erfolg bietet, war auch dem Prozesskostenhilfeantrag stattzugeben (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung – ZPO).
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
57Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
1. Der Beschluss der Kammer vom 13.08.2014 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 1 K 1722/14.A gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14.07.2014 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3den Beschluss der Kammer vom 13.08.2014 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage (1 K 1722/14.A) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 14.07.2014 anzuordnen, soweit in Ziffer 2. des Bescheides die Abschiebung nach Malta angeordnet wird,
4ist zulässig und begründet.
5Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
6Im vorliegenden Verfahren ist § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO anwendbar. Auf Grund des Schriftsatzes des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 27.08.2014 sieht die Kammer die Rechtslage nunmehr anders als im Beschluss vom 13.08.2014.
7Der Antrag ist entgegen der Auffassung im Beschluss vom 13.08.2014 begründet. Das öffentliche Vollzugsinteresse an der sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnung überwiegt bei einer an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientierten Abwägung das Interesse des Antragstellers am vorläufigen Verbleib im Bundesgebiet. Nach summarischer Prüfung spricht nämlich überwiegendes dafür, dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist.
8Nach erneuter Auswertung der vorliegenden Erkenntnismittel und der zur Problematik der Rückführung von Asylbewerbern nach Malta ergangenen Rechtsprechung liegen hinreichende Erkenntnisse dazu vor, dass das maltesische Asylverfahren europarechtlichen Vorgaben grundsätzlich nicht genügt und dem Antragsteller deshalb ernsthaft Gefahren i. S. v. Art. 4 EuGrCh drohen.
9Die Haftpraxis und die Haftbedingungen bezüglich Migranten und damit auch Asylbewerbern gegenüber stehen nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht. Hinsichtlich der Inhaftierung von Asylbewerbern sind in der Art. 8 bis 11 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahmerichtlinie, ABl. L 180 S. 96), Mindeststandards festgelegt. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Art. 8 Abs. 3, vgl. auch Art. 31 Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention, Art. 5 EMRK). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Art. 8 Abs. 3 bestehen, angeordnet werden (Art. 9 Abs. 1 Satz 1). Die Haftanordnung ist zu begründen (Art. 9 Abs. 2); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Art. 9 Abs. 3). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Art. 9 Abs. 6). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Art. 9 Abs. 5). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Art. 10 Abs. 1). Sie haben ein Recht auf Zugang zu frischer Luft (Art. 10 Abs. 2) sowie auf Besuch durch Mitarbeiter des UNHCR, Rechtsbeiständen, Beratern und Familienangehörigen (Art. 10 Abs. 3 und 4). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Art. 11).
10Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln genügt das in Malta durchgeführte Asylverfahren gegen die geschilderten europarechtlichen Standards nicht nur im Einzelfall. So wird zur Haftpraxis berichtet, dass alle Flüchtlinge routinemäßig in sog. Detention Centers inhaftiert würden (AIDA, Asylum Information Database, „National Country Report Malta“ vom Dezember 2013; UNHCR „UNHCR’s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18.09.2013; Jesuits Refugee Service Europe (JRS), „Protestion Interrupted, National Report Malta“ vom Juni 2013; UNHCR, „Universal Periodic Review Malta“ vom März 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Auch wenn zur Begründung an die illegale Einreise angeknüpft werde, so seien davon faktisch alle Schutzsuchenden betroffen. Auf besondere Schutzbedürftigkeit werde nur geachtet, wenn und soweit diese offensichtlich sei. Im Übrigen müsse diese in einem besonderen Verfahren festgestellt werden, was – je nach Offensichtlichkeit – mehr oder weniger lange dauern könne. Die Zustände in den Detention Centers hätten sich in den letzten Jahren zwar (teilweise) verbessert. In vielen Bereichen sei die Versorgung der Grundbedürfnisse jedoch noch lückenhaft und vor allem bei der immer wieder vorkommenden Überbelegung inakzeptabel (vgl. auch Aden Ahmed gegen Malta, Entscheidung des EGMR vom 23.07.2013, Nr. 55352/12, HUDOC). Insbesondere sei der Zugang zu medizinischer Versorgung absolut ungenügend (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Auch sei keine effektive Möglichkeit gegeben, eine Haftüberprüfung zu erreichen (UNHCR „UNHCR’s Position on the Detention of Asylum-seekers in Malta“ vom 18.09.2013). Das einschlägige Migrationsgesetz enthalte auch keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Die Freilassung von Asylbewerbern erfolge in der Regel auf Grundlage einer Verwaltungsbestimmung nach einem Jahr, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht über den Asylantrag entschieden worden sei. Die Unterbringung erfolge dann in sog. Open Detention Centers. Die Zustände dort werden ebenfalls als prekär beschrieben (vgl. im Einzelnen Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010). Inhaftierung von unbestimmter Dauer des anschließenden Verfahrens treffe grundsätzlich auch Dublin-Rückkehrer, weil sie entweder in den Stand vor ihrer Ausreise – also in aller Regel als illegal Eingereiste – versetzt würden oder sogar wegen Flucht aus der Haft in Malta wegen illegaler Ausreise zur Strafhaft verurteilt würden (so z. B. im Fall Aden Ahmed gegen Malta, Entscheidung des EGMR vom 23.07.2013, Nr. 55352/12, HUDOC). Zusätzlich würde die Situation von Dublin-Rückkehrern dadurch erschwert, dass der monatliche Unterstützungsbeitrag von regulär ca. 130,00 Euro auf ca. 80,00 Euro gekürzt werde, womit sich eine Person maximal „so gerade ernähren“ könne (Auskunft der Deutschen Botschaft Valletta vom 02.02.2012). Dies wiege umso schwerer, weil Asylsuchende die Kosten für die Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen und Medikamenten ‑ so solche überhaupt erhältlich seien – teilweise selbst tragen müssten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Malta: Aktuelle Situation für Verletzliche, September 2010).
11Vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 08.10.2014 – A 8 K 345/14 – bei juris – im Ergebnis ebenso: VG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2014 – 12 B 1217/14 – bei juris.
12Es spricht viel dafür, dass es sich bei den geschilderten Haftbedingungen nicht nur um Einzelfälle handelt, die Schutzsuchende vereinzelt oder zufällig treffen. Angesichts dieser Erkenntnislage kann von der Vermutung, dass den Asylsuchenden in Malta eine Behandlung zukommt, die den Erfordernissen der Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht, nicht mehr ohne Weiteres ausgegangen werden, weil hinreichende Mängel des Aufnahmeverfahrens und seiner Aufnahmebedingungen vorliegen.
13Vor diesem Hintergrund überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Bliebe diesem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage versagt, wäre er der möglichen Gefahr ausgesetzt, über einen längeren Zeitraum lediglich infolge seines Status als Asylsuchender inhaftiert zu werden und unzumutbaren Haftbedingungen ausgesetzt zu sein, ohne dass ihm eine effektive Beschwerde-möglichkeit zur Verfügung stünde. Diese Beeinträchtigungen des Antragstellers wiegen schwerer als der Aufschub oder auch der Ausfall der Durchsetzung einer Überstellung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat. Die grundsätzliche Wirk-samkeit und Effektivität des gemeinsamen Europäischen Asylsystems wird durch eine sich im Nachhinein als falsch herausstellende Unterbindung einer Überstellung im Einzelfall nicht in Frage gestellt, zumal die Dublin-Verordnungen ein Recht zum jederzeitigen Selbsteintritt der Mitgliedstaaten vorsehen und eine gemeinschafts-rechtliche Verpflichtung zur Überstellung nicht besteht.
14Vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2014 – 12 B 1217/14 – bei juris.
15Daher war dem Antrag des Antragstellers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
16Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.