Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 08. Okt. 2007 - A 11 K 300/07

bei uns veröffentlicht am08.10.2007

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 01.03.2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft und eines Abschiebungsverbots hinsichtlich der Türkei.
Der am ... 1960 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 03.01.1997 in das Bundesgebiet ein. Am 09.01.1997 beantragte er die Gewährung von Asyl. Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung in Reutlingen am 15.01.1997 trug der Kläger u. a. vor, er sei von Beruf Bauzeichner. Diesen Beruf habe er seit 1988 nicht mehr ausgeübt, sondern als Arbeiter auf dem Bau gearbeitet. Seine letzte Tätigkeit sei die Montage von Satellitenschüsseln gewesen. Seit Ende 1991 habe er in Istanbul gewohnt. 1988 sei er zu einer 10-jährigen Gefängnisstrafe wegen angeblicher Mitgliedschaft in der KAWA verurteilt worden. 1991 habe man ihn auf Bewährung und mit Auflagen entlassen. Dann sei er nach Istanbul gezogen und dort Mitglied der HEP/DEP geworden. Seine letzte Funktion innerhalb dieser Partei, die 1994 den Namen HADEP angenommen habe, sei die eines Vorstandsmitglieds für den Bezirk Istanbul-Kadiköy gewesen. 1994 sei er in dieses Gremium gewählt worden. Seitdem habe man ihn in anonymen Anrufen aufgefordert, die Partei zu verlassen und ihn mit dem Tod bedroht. Mitte Dezember 1996 sei er von Polizisten zu Hause abgeholt worden. Unterwegs habe das Auto auf freiem Gelände angehalten. Von den Polizisten sei er mit dem Tod bedroht worden. Sie hätten ihn befragt, wer innerhalb der Partei der PKK nahestehe. Er habe geantwortet, diesbezüglich keine Informationen zu haben. Die Polizisten hätten dann ihre Waffen durchgeladen. Anschließend hätten sie ihn vor die Alternative gestellt, jetzt zu sterben oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Um sein Leben zu retten, habe er eine Zusammenarbeit zugesagt. Die Polizisten hätten ihn daraufhin laufen lassen. Nach Rückkehr zu Hause habe er die Sache mit seiner Ehefrau besprochen. Sie seien zu dem Entschluss gekommen, dass er die Türkei verlassen müsse. Aufgrund seiner Flucht aus der Türkei sei nunmehr seine Ehefrau stark gefährdet. Den Behörden in Istanbul sei seine politische Mitgliedschaft bekannt gewesen, da die Namensliste der Vorstandsmitglieder der HADEP an die zuständigen Sicherheitsstellen des jeweiligen Stadtbezirkes gemeldet werden müsse. Er gehe nicht davon aus, dass derzeit offiziell in der Türkei nach ihm gefahndet werde, denn ein Vergehen habe er nicht begangen. Die Nichteinhaltung seiner Zusage an die Sicherheitskräfte sei kein Straftatbestand. Wenn er in die Türkei zurückkehre, müsse er damit rechnen, getötet zu werden, da ihm sein Gewissen verbiete, mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten.
Mit Bescheid vom 20.02.1997 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte gleichzeitig fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei und das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen, sonstige Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG jedoch nicht vorliegen.
Mit Schreiben vom 23.02.1999 teilte die Landeshauptstadt Stuttgart dem Bundesamt mit, im Asylverfahren des Klägers seien verschiedene Widersprüchlichkeiten festgestellt worden. Der Schwager des Klägers, Herr H. K. habe mitgeteilt, dass der Kläger schon immer in Istanbul gelebt habe. Seit seiner Heirat habe er ein Möbelgeschäft betrieben. Demgegenüber habe der Kläger im Asylverfahren angegeben, erst seit Ende 1991 in Istanbul zu leben und auch bezüglich seiner beruflichen Tätigkeit habe er andere Angaben gemacht.
Das Auswärtige Amt teilte in Beantwortung einer Anfrage des Bundesamtes vom 24.06.1999 mit Schreiben vom 28.02.2000 mit, es habe Nachforschungen beim HADEP-Büro des Bezirks Istanbul/Kadiköy und dessen jetzigen Vorstand angestellt. Dort habe nicht bestätigt werden können, dass der Kläger in den Jahren 1994 bis 1996 Mitglied des Vorstandes der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen sei; der Kläger sei nicht einmal langjährigen Mitarbeitern mit Namen bekannt gewesen. Ob der Kläger in Istanbul gelebt und welchen Beruf er ausgeübt habe, könne aufgrund des nicht funktionierenden Meldewesens in der Türkei nicht festgestellt werden.
Am 22.03.2000 hat das Bundesamt ein Rücknahmeverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 18.08.2000 wurde der Kläger im Rahmen des Rücknahmeverfahrens angehört. Mit Schreiben vom 16.10.2000 trug der Kläger vor, die Angaben des Herrn K. gegenüber der deutschen Botschaft widersprächen nicht seinen eigenen Angaben im Asylverfahren. Er habe Herrn K. erst im Jahre 1994/95 kennengelernt. Entgegen dessen Vermutung habe er nicht schon immer in Istanbul gelebt.
Mit Bescheid vom 01.03.2007 nahm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die mit Bescheid vom 20.02.1997 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie die Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegt, zurück und stellte gleichzeitig fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG habe auf den Angaben des Klägers beruht, dass ihm wegen seiner HADEP-Mitgliedschaft und seiner Tätigkeit im HADEP-Vorstand des Bezirks Istanbul-Kadiköy von 1994 bis 1996 politische Verfolgung drohe. Nachforschungen des Auswärtigen Amtes bei dem HADEP-Büro des Bezirks Istanbul-Kadiköy und dessen jetzigem Vorstand hätten diese Angaben jedoch nicht bestätigen können. Dort sei der Kläger nicht einmal langjährigen Mitarbeitern mit Namen bekannt. Die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, sei somit aufgrund unrichtiger Angaben getroffen worden. Sie sei gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zurückzunehmen. Aus denselben Gründen sei auch ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei nicht gegeben. Die entsprechende Feststellung im Bescheid vom 20.02.1997 sei analog § 73 Abs. 3 AsylVerfG zurückzunehmen. Da dem Kläger in der Türkei keine staatliche politische Verfolgung drohe, sei eine positive Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu treffen.
Am 19.03.2007 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, das Rücknahmeverfahren sei im April 2000 eingeleitet worden. Erst nach Ablauf von nahezu sieben Jahren sei eine Entscheidung getroffen worden. Hierin liege ein Verstoß gegen § 73 Abs. 2 a i.V.m. Abs. 2 AsylVfG. Die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.02.2000 bestätige gerade nicht, dass seine früheren Angaben unwahr seien. Die befragten Personen hätten lediglich nicht bestätigen können, dass er in den Jahren 1994 bis 1996 Vorstandsmitglied der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen sei. Niemand habe jedoch positiv bestätigt, dass er nicht Mitglied des Vorstands gewesen sei. In einer noch in seinem Besitz befindlichen notariell beglaubigten Protokollabschrift einer Vorstandssitzung der HADEP des Bezirks Istanbul/Kadiköy vom 29.02.1995 werde er als Vorstandsmitglied genannt.
Der Kläger beantragt,
10 
den Bescheid der Beklagten vom 01.03.2007 aufzuheben;
11 
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
15 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
17 
Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Abzustellen ist deshalb auf § 73 AsylVfG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Danach ist gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG die Anerkennung als Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. Diese Bestimmung ist auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entsprechend anzuwenden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
18 
Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenden Auffassung des Bundesamtes hat der Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht aufgrund unrichtiger Angaben zuerkannt erhalten. Der Bescheid vom 20.02.1997 enthält lediglich die Aussage, dass aufgrund des vom Kläger geschilderten Sachverhaltes und der vorliegenden Erkenntnisse davon auszugehen sei, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen habe. Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung in Reutlingen am 15.01.1997 hat der Kläger seine Verfolgungsfurcht aber sowohl auf die Bedrohung wegen seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der HADEP als auch auf die Nichteinhaltung seiner Zusage zur Zusammenarbeit mit der Polizei gestützt. Dass das Vorbringen des Klägers, ihm drohe eine konkrete Gefahr wegen seiner Verweigerung zur Zusammenarbeit mit der Polizei, unrichtig war, macht das Bundesamt selbst nicht geltend. Damit ist bereits zweifelhaft, ob die vom Bundesamt geltend gemachten unrichtigen Angaben (die sich auf den weiteren Fluchtgrund bezogen) für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft überhaupt ursächlich waren. Selbst wenn aber die Angaben des Klägers zu seiner Vorstandstätigkeit innerhalb der HADEP auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (auch) Einfluss hatten, so liegen diesbezüglich entgegen dem Vorbringen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid keine unrichtigen Angaben des Klägers vor. Das Bundesamt stützt sich maßgeblich auf eine von ihr eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.02.2000, wonach bei Nachforschungen beim HADEP-Büro des Bezirk Istanbul/Kadiköy nicht habe bestätigt werden können, dass der Kläger in den Jahren 1994 bis 1996 Mitglied des Vorstandes der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen sei; der Kläger sei nicht einmal langjährigen Mitarbeitern mit Namen bekannt gewesen. Diese Auskunft legt im Kontext zwar nahe, dass der Kläger in den Jahren 1994 bis 1996 kein Mitglied des Vorstandes der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen ist. Tatsächlich wird mit der Aussage des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 28.02.2000 jedoch lediglich mitgeteilt, dass die bei den Nachforschungen befragten Personen den Kläger nicht als Vorstandsmitglied in den Jahren 1994 bis 1996 identifizieren konnten. Die auch in vielen anderen Auskünften des Auswärtigen Amtes verwendete Formulierung „Es kann nicht bestätigt werden“ interpretiert das Bundesamt auch im vorliegenden Fall irrig dahin, das Gegenteil sei erwiesen. Mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.02.2000 kann das Bundesamt somit der ihr obliegenden Nachweispflicht, dass der Bescheid vom 20.02.1997 auf unrichtigen oder verschwiegenen Angaben beruht, nicht genügen. Durch Vorlage einer notariell beglaubigten Protokollabschrift einer Vorstandssitzung der HADEP des Bezirks Istanbul/Kadiköy vom 29.01.1995, in der der Kläger als Vorstandsmitglied genannt wird, hat der Kläger, obwohl die Darlegungs- und Beweislast beim Bundesamt liegt, seinerseits nachgewiesen, dass seine Angaben bei der Anhörung am 15.01.1997 nicht unrichtig waren. Das Bundesamt hat somit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Unrecht zurückgenommen.
19 
Der Aufhebungsbescheid lässt sich auch nicht als Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufrecht erhalten. Unabhängig von der behördlichen Begründung ist das Gericht zur Prüfung verpflichtet, ob der angefochtene Rücknahmebescheid sich als Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG aufrecht erhalten lässt (vgl. BVerwG, Urt. vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302).
20 
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind - vorbehaltlich des Satzes 3 - die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG wird Art. 11 Abs. 1 lit. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in nationales Recht umgesetzt; diese Regelung entspricht inhaltlich der „Beendigungs-„ oder „Wegfall- der - Umstände- Klausel“ in Art. 1 C Nr. 5 S. 1 GFK. Mit der Formulierung „Wegfall der Umstände“ ist eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse gemeint (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005, BVerwGE 124, 276 = NVwZ 2006, 707). Unter „Schutz“ ist ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Allgemeine Gefahren (z. B. aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) werden von § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht umfasst (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005 a.a.O.).
21 
Ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt somit im Regelfall nur in Betracht, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005 a.a.O. und Urteil vom 18.07.2006, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420).
22 
Maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, ist der Zeitpunkt des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils. Nur wenn das Bundesamt die Anerkennung von sich aus ausgesprochen hat, kommt es im Widerrufsverfahren darauf an, ob sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheids erheblich geändert haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003, BVerwGE 118, 174).
23 
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Seit dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 20.02.1997 sind keine Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse in der Weise eingetreten, dass Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.
24 
Dem Kläger wurde die Flüchtlingseigenschaft offensichtlich zuerkannt, da ihm aufgrund seiner Vorstandstätigkeit für die HADEP und aufgrund seiner Weigerung zur Spitzeltätigkeit für die Polizei politische Verfolgung drohe.
25 
Auch wenn die Türkei hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte erhebliche Fortschritte gemacht hat, sind im Hinblick auf rechtsstaatliche Strukturen und die Einhaltung der Menschenrechte nach wie vor erhebliche Defizite in der tatsächlichen Umsetzung der Reformen zu verzeichnen.
26 
Ein allgemeiner gesellschaftlicher Bewusstseinswandel und eine praktische Umsetzung der Reformen in der Türkei ist noch nicht in einer Weise erfolgt, die es rechtfertigen könnte, von einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage - auch im Hinblick auf das Verhalten der Sicherheitsorgane - auszugehen. Trotz der von der türkischen Regierung proklamierten „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Folter und menschenrechtswidrigen Maßnahmen in Polizeihaft kommt es nach wie vor zu Folter und Misshandlungen durch staatliche Kräfte, insbesondere in den ersten Tagen des Polizeigewahrsams, ohne dass es dem türkischen Staat bislang gelungen ist, dies wirksam zu unterbinden (vgl. Kaya, Gutachten vom 10.09.2005 an VG Magdeburg und vom 08.08.2005 an VG Sigmaringen; Oberdiek, Gutachten vom 02.08.2005 an VG Sigmaringen; Aydin, Gutachten vom 25.06.2005 an VG Sigmaringen; ai, Stellungnahme vom 20.09.2005 an VG Sigmaringen; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Zur aktuellen Situation - Mai 2006). Selbst das Auswärtige Amt weist in seinem Lagebericht vom 11.01.2007 darauf hin, dass es noch nicht gelungen sei, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden. Der EU-Fortschrittsbericht der Kommission vom 09.11.2006 attestiert der Türkei zwar Fortschritte auch im Bereich der Justiz und der Menschenrechte. Die Türkei müsse aber in einigen Bereichen die Menschenrechtslage wesentlich verbessern. Noch immer werde - insbesondere außerhalb regulärer Haft - in der Türkei gefoltert. Die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte besonders in den Kurdengebieten werde nach wie vor nicht europäischen Maßstäben gerecht.
27 
Zwar ist seit Jahren kein Fall mehr bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde (vgl. AA, Lagebericht vom 11.01.2007). Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass Personen, auf die ein entsprechender Verdacht gefallen ist, nach wie vor im Innern der Türkei einer Folter in Form von physischen und psychischen Zwängen unterzogen werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 23.02.2006; Taylan, Gutachten vom 29.05.2006 an VG Wiesbaden; Kaya, Gutachten vom 10.09.2005 an VG Magdeburg). Insoweit hat sich die Sachlage gegenüber den Verhältnissen zur Zeit der Rechtskraft des Anerkennungsbescheids vom 20.02.1997 nicht wesentlich geändert. Nach wie vor ist kein Schutz vor faktischen Übergriffen menschenrechtswidriger Prägung in der Türkei gegeben.
28 
In der Rechtsprechung wird weiter nahezu einhellig die Einschätzung vertreten, dass Folter in der Türkei noch so weit verbreitet ist, dass von einer systematischen, dem türkischen Staat zurechenbaren Praxis, nicht lediglich von Exzesstaten einzelner Angehöriger der Sicherheitskräfte auszugehen ist (vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.05.2004 - 8 A 3852/03.A - Juris = Asylmagazin 10/2004, 30 und Urt. v. 19.04.2005 - 8 A 273/04.A - Juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 12.03.2004 - 10 A 11952/03 - Juris - = Asylmagazin 7-8/2004, 27; OVG Weimar, Urt. v. 18.03.2005 - 3 KO 611/99 -, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 29.11.2004 - 3 L 66/00 -, Asylmagazin 1-2/2005, 32; OVG Saarland, Urt. v. 01.12.2004 - 2 R 23/03 -, Asylmagazin 4/2005, 30; OVG Bautzen, Urt. v. 19.01.2006 - A 3 B 304/03 -; VG Berlin, Urt. v. 01.03.2006, Asylmagazin 7-8/2006, 37; VG Frankfurt, Urt. v. 02.03.2006, Asylmagazin 6/2006, 20; VG Weimar, Urt. v. 30.06.2005 - 2 K 20643/04 -; VG Düsseldorf, Urt. v. 16.06.2006 - 26 K 1747/06 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 24.08.2006 - 4 K 1784/06.A - juris - und Urteil vom 24.01.2007 - 20 K 4697/05.A - juris -; VG Ansbach, Urteil vom 06.03.2007, AuAS 2007, 141; VG Münster, Urteil vom 08.03.2007 - 3 K 2492/05.A - juris -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2005 - 2 K 1611/04 -). Die neuerliche Zunahme von Spannungen im Südosten der Türkei hat im Übrigen dazu geführt, dass das türkische Parlament am 29.06.2006 das Anti-Terror-Gesetz verschärft hat. Danach werden mehr Taten als bisher als terroristisch eingestuft und Festgenommene erhalten später als bisher Zugang zu einem Anwalt. Die Gesetzesänderung erweitert weiter die Erlaubnis zum Schusswaffengebrauch, die Möglichkeit, Presseorgane zu verbieten sowie die Rechte von Verteidigern einzuschränken (vgl. hierzu VG Minden, Urteil v. 28.07.2006 - 8 K 275/06.A - Juris -; VG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2006 - 4 K 5335/06.A - Juris -, jew. m.w.N.). Außerdem wurde die Verschärfung der Strafbarkeit bei Folter und Misshandlung faktisch revidiert (vgl. ai, Stellungnahme v. 29.10.2006 an VG Ansbach).
29 
Nach allem ist noch keine dauerhafte Veränderung der Lage in der Türkei eingetreten, so dass die Voraussetzungen für die seinerzeit erfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht weggefallen sind. Damit lässt sich der Aufhebungsbescheid nicht als Widerruf der Flüchtlingseigenschaft aufrechterhalten.
30 
Auch Ziffern 2 und 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 01.03.2007 sind aufzuheben. Die Feststellung im Bescheid vom 20.02.1997, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegt, ist nach den obigen Ausführungen nicht fehlerhaft, so dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieser Entscheidung nach § 73 Abs. 3 AsylVfG nicht vorliegen. Die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung lässt die negative Feststellung des Bundesamtes zu § 60 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 3 des Bescheids vom 01.03.2007 angesichts des Eventualverhältnisses gegenstandslos werden, so dass auch dieser Teil der Aufhebung unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. vom 26.06.2002, NVwZ 2003, 356).
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

 
16 
Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
17 
Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Abzustellen ist deshalb auf § 73 AsylVfG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Danach ist gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG die Anerkennung als Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. Diese Bestimmung ist auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entsprechend anzuwenden (§ 73 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
18 
Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenden Auffassung des Bundesamtes hat der Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht aufgrund unrichtiger Angaben zuerkannt erhalten. Der Bescheid vom 20.02.1997 enthält lediglich die Aussage, dass aufgrund des vom Kläger geschilderten Sachverhaltes und der vorliegenden Erkenntnisse davon auszugehen sei, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Verfolgungsmaßnahmen i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen habe. Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung in Reutlingen am 15.01.1997 hat der Kläger seine Verfolgungsfurcht aber sowohl auf die Bedrohung wegen seiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der HADEP als auch auf die Nichteinhaltung seiner Zusage zur Zusammenarbeit mit der Polizei gestützt. Dass das Vorbringen des Klägers, ihm drohe eine konkrete Gefahr wegen seiner Verweigerung zur Zusammenarbeit mit der Polizei, unrichtig war, macht das Bundesamt selbst nicht geltend. Damit ist bereits zweifelhaft, ob die vom Bundesamt geltend gemachten unrichtigen Angaben (die sich auf den weiteren Fluchtgrund bezogen) für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft überhaupt ursächlich waren. Selbst wenn aber die Angaben des Klägers zu seiner Vorstandstätigkeit innerhalb der HADEP auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (auch) Einfluss hatten, so liegen diesbezüglich entgegen dem Vorbringen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid keine unrichtigen Angaben des Klägers vor. Das Bundesamt stützt sich maßgeblich auf eine von ihr eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.02.2000, wonach bei Nachforschungen beim HADEP-Büro des Bezirk Istanbul/Kadiköy nicht habe bestätigt werden können, dass der Kläger in den Jahren 1994 bis 1996 Mitglied des Vorstandes der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen sei; der Kläger sei nicht einmal langjährigen Mitarbeitern mit Namen bekannt gewesen. Diese Auskunft legt im Kontext zwar nahe, dass der Kläger in den Jahren 1994 bis 1996 kein Mitglied des Vorstandes der HADEP für den Bezirk Istanbul/Kadiköy gewesen ist. Tatsächlich wird mit der Aussage des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 28.02.2000 jedoch lediglich mitgeteilt, dass die bei den Nachforschungen befragten Personen den Kläger nicht als Vorstandsmitglied in den Jahren 1994 bis 1996 identifizieren konnten. Die auch in vielen anderen Auskünften des Auswärtigen Amtes verwendete Formulierung „Es kann nicht bestätigt werden“ interpretiert das Bundesamt auch im vorliegenden Fall irrig dahin, das Gegenteil sei erwiesen. Mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28.02.2000 kann das Bundesamt somit der ihr obliegenden Nachweispflicht, dass der Bescheid vom 20.02.1997 auf unrichtigen oder verschwiegenen Angaben beruht, nicht genügen. Durch Vorlage einer notariell beglaubigten Protokollabschrift einer Vorstandssitzung der HADEP des Bezirks Istanbul/Kadiköy vom 29.01.1995, in der der Kläger als Vorstandsmitglied genannt wird, hat der Kläger, obwohl die Darlegungs- und Beweislast beim Bundesamt liegt, seinerseits nachgewiesen, dass seine Angaben bei der Anhörung am 15.01.1997 nicht unrichtig waren. Das Bundesamt hat somit die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Unrecht zurückgenommen.
19 
Der Aufhebungsbescheid lässt sich auch nicht als Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufrecht erhalten. Unabhängig von der behördlichen Begründung ist das Gericht zur Prüfung verpflichtet, ob der angefochtene Rücknahmebescheid sich als Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG aufrecht erhalten lässt (vgl. BVerwG, Urt. vom 24.11.1998, BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302).
20 
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind - vorbehaltlich des Satzes 3 - die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG wird Art. 11 Abs. 1 lit. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in nationales Recht umgesetzt; diese Regelung entspricht inhaltlich der „Beendigungs-„ oder „Wegfall- der - Umstände- Klausel“ in Art. 1 C Nr. 5 S. 1 GFK. Mit der Formulierung „Wegfall der Umstände“ ist eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse gemeint (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005, BVerwGE 124, 276 = NVwZ 2006, 707). Unter „Schutz“ ist ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Allgemeine Gefahren (z. B. aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) werden von § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nicht umfasst (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005 a.a.O.).
21 
Ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt somit im Regelfall nur in Betracht, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (vgl. BVerwG, Urt. vom 01.11.2005 a.a.O. und Urteil vom 18.07.2006, BVerwGE 126, 243 = NVwZ 2006, 1420).
22 
Maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asyl- und Flüchtlingsanerkennungen, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, ist der Zeitpunkt des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils. Nur wenn das Bundesamt die Anerkennung von sich aus ausgesprochen hat, kommt es im Widerrufsverfahren darauf an, ob sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheids erheblich geändert haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.05.2003, BVerwGE 118, 174).
23 
Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Seit dem bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 20.02.1997 sind keine Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse in der Weise eingetreten, dass Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können.
24 
Dem Kläger wurde die Flüchtlingseigenschaft offensichtlich zuerkannt, da ihm aufgrund seiner Vorstandstätigkeit für die HADEP und aufgrund seiner Weigerung zur Spitzeltätigkeit für die Polizei politische Verfolgung drohe.
25 
Auch wenn die Türkei hinsichtlich der Wahrung der Menschenrechte erhebliche Fortschritte gemacht hat, sind im Hinblick auf rechtsstaatliche Strukturen und die Einhaltung der Menschenrechte nach wie vor erhebliche Defizite in der tatsächlichen Umsetzung der Reformen zu verzeichnen.
26 
Ein allgemeiner gesellschaftlicher Bewusstseinswandel und eine praktische Umsetzung der Reformen in der Türkei ist noch nicht in einer Weise erfolgt, die es rechtfertigen könnte, von einer nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage - auch im Hinblick auf das Verhalten der Sicherheitsorgane - auszugehen. Trotz der von der türkischen Regierung proklamierten „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Folter und menschenrechtswidrigen Maßnahmen in Polizeihaft kommt es nach wie vor zu Folter und Misshandlungen durch staatliche Kräfte, insbesondere in den ersten Tagen des Polizeigewahrsams, ohne dass es dem türkischen Staat bislang gelungen ist, dies wirksam zu unterbinden (vgl. Kaya, Gutachten vom 10.09.2005 an VG Magdeburg und vom 08.08.2005 an VG Sigmaringen; Oberdiek, Gutachten vom 02.08.2005 an VG Sigmaringen; Aydin, Gutachten vom 25.06.2005 an VG Sigmaringen; ai, Stellungnahme vom 20.09.2005 an VG Sigmaringen; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Zur aktuellen Situation - Mai 2006). Selbst das Auswärtige Amt weist in seinem Lagebericht vom 11.01.2007 darauf hin, dass es noch nicht gelungen sei, Folter und Misshandlungen vollständig zu unterbinden. Der EU-Fortschrittsbericht der Kommission vom 09.11.2006 attestiert der Türkei zwar Fortschritte auch im Bereich der Justiz und der Menschenrechte. Die Türkei müsse aber in einigen Bereichen die Menschenrechtslage wesentlich verbessern. Noch immer werde - insbesondere außerhalb regulärer Haft - in der Türkei gefoltert. Die Einhaltung der Menschen- und Minderheitenrechte besonders in den Kurdengebieten werde nach wie vor nicht europäischen Maßstäben gerecht.
27 
Zwar ist seit Jahren kein Fall mehr bekannt geworden, in dem ein in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde (vgl. AA, Lagebericht vom 11.01.2007). Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass Personen, auf die ein entsprechender Verdacht gefallen ist, nach wie vor im Innern der Türkei einer Folter in Form von physischen und psychischen Zwängen unterzogen werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Gutachten vom 23.02.2006; Taylan, Gutachten vom 29.05.2006 an VG Wiesbaden; Kaya, Gutachten vom 10.09.2005 an VG Magdeburg). Insoweit hat sich die Sachlage gegenüber den Verhältnissen zur Zeit der Rechtskraft des Anerkennungsbescheids vom 20.02.1997 nicht wesentlich geändert. Nach wie vor ist kein Schutz vor faktischen Übergriffen menschenrechtswidriger Prägung in der Türkei gegeben.
28 
In der Rechtsprechung wird weiter nahezu einhellig die Einschätzung vertreten, dass Folter in der Türkei noch so weit verbreitet ist, dass von einer systematischen, dem türkischen Staat zurechenbaren Praxis, nicht lediglich von Exzesstaten einzelner Angehöriger der Sicherheitskräfte auszugehen ist (vgl. OVG Münster, Urt. v. 26.05.2004 - 8 A 3852/03.A - Juris = Asylmagazin 10/2004, 30 und Urt. v. 19.04.2005 - 8 A 273/04.A - Juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 12.03.2004 - 10 A 11952/03 - Juris - = Asylmagazin 7-8/2004, 27; OVG Weimar, Urt. v. 18.03.2005 - 3 KO 611/99 -, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 29.11.2004 - 3 L 66/00 -, Asylmagazin 1-2/2005, 32; OVG Saarland, Urt. v. 01.12.2004 - 2 R 23/03 -, Asylmagazin 4/2005, 30; OVG Bautzen, Urt. v. 19.01.2006 - A 3 B 304/03 -; VG Berlin, Urt. v. 01.03.2006, Asylmagazin 7-8/2006, 37; VG Frankfurt, Urt. v. 02.03.2006, Asylmagazin 6/2006, 20; VG Weimar, Urt. v. 30.06.2005 - 2 K 20643/04 -; VG Düsseldorf, Urt. v. 16.06.2006 - 26 K 1747/06 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 24.08.2006 - 4 K 1784/06.A - juris - und Urteil vom 24.01.2007 - 20 K 4697/05.A - juris -; VG Ansbach, Urteil vom 06.03.2007, AuAS 2007, 141; VG Münster, Urteil vom 08.03.2007 - 3 K 2492/05.A - juris -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2005 - 2 K 1611/04 -). Die neuerliche Zunahme von Spannungen im Südosten der Türkei hat im Übrigen dazu geführt, dass das türkische Parlament am 29.06.2006 das Anti-Terror-Gesetz verschärft hat. Danach werden mehr Taten als bisher als terroristisch eingestuft und Festgenommene erhalten später als bisher Zugang zu einem Anwalt. Die Gesetzesänderung erweitert weiter die Erlaubnis zum Schusswaffengebrauch, die Möglichkeit, Presseorgane zu verbieten sowie die Rechte von Verteidigern einzuschränken (vgl. hierzu VG Minden, Urteil v. 28.07.2006 - 8 K 275/06.A - Juris -; VG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2006 - 4 K 5335/06.A - Juris -, jew. m.w.N.). Außerdem wurde die Verschärfung der Strafbarkeit bei Folter und Misshandlung faktisch revidiert (vgl. ai, Stellungnahme v. 29.10.2006 an VG Ansbach).
29 
Nach allem ist noch keine dauerhafte Veränderung der Lage in der Türkei eingetreten, so dass die Voraussetzungen für die seinerzeit erfolgte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht weggefallen sind. Damit lässt sich der Aufhebungsbescheid nicht als Widerruf der Flüchtlingseigenschaft aufrechterhalten.
30 
Auch Ziffern 2 und 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 01.03.2007 sind aufzuheben. Die Feststellung im Bescheid vom 20.02.1997, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegt, ist nach den obigen Ausführungen nicht fehlerhaft, so dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme dieser Entscheidung nach § 73 Abs. 3 AsylVfG nicht vorliegen. Die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung lässt die negative Feststellung des Bundesamtes zu § 60 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 3 des Bescheids vom 01.03.2007 angesichts des Eventualverhältnisses gegenstandslos werden, so dass auch dieser Teil der Aufhebung unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. vom 26.06.2002, NVwZ 2003, 356).
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 08. Okt. 2007 - A 11 K 300/07

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 08. Okt. 2007 - A 11 K 300/07

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG
Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 08. Okt. 2007 - A 11 K 300/07 zitiert 3 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 16. Mai 2012 - 11 S 2328/11

bei uns veröffentlicht am 16.05.2012

Tenor Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2011 - 11 K 2967/10 - ist unwirksam, soweit damit di

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.