Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 08. Sept. 2016 - W 2 K 16.30639
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die am ... 1978 in Beit Adin/Syrien geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Klägerin, eine syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am
Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. April 2016 gab sie an, sie habe religiös geheiratet. Die Ehe sei jedoch wegen der unruhigen Lage in Syrien nicht staatlich bestätigt worden. Sie habe Syrien vor zwei Jahren, gleich nach der Eheschließung, mit ihrem „Ehemann“ verlassen und sich zunächst zwei Jahre in der Türkei aufgehalten. Sie sei Frisörin. Ihr persönlich sei in Syrien nichts passiert. Sie sei wegen des Bürgerkriegs aus Syrien geflüchtet. Es herrsche Gewalt und Terror.
Mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom
Die Klägerin lässt beantragen,
die Beklagte unter Abänderung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
Der Rechtstreit wurde mit Beschluss vom 14. Juni 2016
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte (inkl. der Befragung des „Ehemannes“ bzw. Lebenspartners der Klägerin) sowie auf die in das Verfahren einbezogene Erkenntnismittelliste Bezug genommen.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben der Klägerbevollmächtigten vom 1. September 2016 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 mit Ergänzung vom 24. März 2016 vor.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz Asylgesetz (AsylG) i. d. F. d Bek. vom 2. September 2008 (BGBl. I 2008, 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom
Die Klage ist zu diesem Zeitpunkt sowohl zulässig, als auch begründet.
Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie befindet sich nach Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen ihrer vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens.
Zwar hat sie Syrien - auch nach eigenem Vortrag - ohne individuelle Vorverfolgung verlassen, jedoch droht ihr nach Überzeugung des Gerichts nach einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch den syrischen Staat. Gem. § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat.
Das Gericht geht davon aus, dass der syrische Staat auch gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags in Verbindung mit einem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Ausdruck einer regimekritischen Gesinnung sieht und zum Anknüpfungspunkt für Festnahme und Folter nimmt. In Übereinstimmung mit beachtlichen Teilen der Rechtsprechung (vgl. statt vieler: VG Trier, U. v. 16.6.2016, Az. 1 K 1576/16.TR - juris; VG Köln, U. v. 23.6.2016, Az. 20 K 1599/16.A - juris; VG Regensburg, U. v. 29.6.2016, Az. RO 11 K 16.30707 - juris; VG Düsseldorf, GB
Zwar liegen seit dem generellen Abschiebestopp im April 2011 keine aktuellen Fallbeispiele von Rücküberstellungen aus westlichen Ländern vor. Allerdings weist das Auswärtige Amt (Auskunft der Botschaft Beirut an das Bundesamt vom 3.2.2016) darauf hin, dass Syrien-Rückkehrer befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Da Flüchtlinge, die aus den Nachbarländern zurückkehren, nicht vergleichbar sind mit Rückkehrern aus westlichen Ländern (so auch VG Regensburg, a. a. O.), lässt sich daraus nicht folgern, dass das Regime seine Praxis der geheimdienstlichen Überwachung und Befragung von rückkehrenden Asylbewerbern aufgegeben habe. Es besteht kein Anlass für die Annahme, dass sich der Umgang des syrischen Regimes mit Personen, die sich durch einen Asylantrag und einen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland tatsächlich oder vermeintlich einer regimekritischen Haltung verdächtig gemacht haben, etwas geändert hätte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst (vgl. statt vieler: VG Köln, U. v. 26.6.2016, Az. 20 K 4130/13.A - juris). Zur Überzeugung des Gerichts ist der syrische Staat nach wie vor darauf ausgerichtet, alle Lebensbereiche seiner Staatsangehörigen totalitär zu durchdringen und jede als regimekritisch gewertete Handlung oder Gesinnung durch Inhaftierung und Folter bereits im Keim zu ersticken (vgl. dazu ausführlich: OVG Sachsen-Anhalt, U. v. 18.7.2012, Az. 3 L 147/12 - juris).
So knüpft die obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte bei der Rückkehr auch dann an die unterstellte politische Überzeugung an, wenn die Befragung sich nicht (nur) auf die eigene Haltung bezieht, sondern unter anderem der allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene dient (vgl. VG Regensburg, U. v. 29.6.2016, a. a. O. unter Verweis auf VG Köln, U. v. 22.5.2014, Az. 20 K 3152/13.A). Damit verbunden ist die Gefahr von Verfolgungshandlungen in Form von Festnahme und Folterung, wie sie beispielsweise von Amnesty International („It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons“, August 2016) detailliert dokumentiert sind. Selbst bei einer routinemäßigen Befragung zur allgemeinen Informationsgewinnung ohne individuelle Verdachtsmomente besteht - zur Überzeugung des Gerichts - die erhebliche Gefahr von Folter (vgl. Amnesty International, a. a. O.).
Diese - auch von der Beklagten bis vor kurzem in ständiger Entscheidungspraxis geteilte Einschätzung - ist auch nicht durch die bürgerkriegsbedingte Destabilisierung des syrischen Regimes oder die massenhafte Ausstellung von Pässen seit Januar 2015 erschüttert. Zwar ist auf Beschluss von Präsident Assad für eine Passausstellung keine Bescheinigung des syrischen Geheimdienstes („Muhabarat“) mehr erforderlich (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 19.4.2016, Gz. 508-9-516.80/48699). Wie insbesondere das VG Regensburg (a. a. O.) unter Verweis auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes (Botschaft Beirut) an das Bundesamt vom 3.2.2016 überzeugend ausführt, ist die geänderte Ausstellungspraxis wohl überwiegend finanziell motiviert und lässt keinen Rückschluss auf eine „liberale Haltung“ des Regimes gegenüber Rückkehrern aus dem westlichen Ausland zu.
Auch liegen keine Erkenntnisse vor, aus denen zuverlässig geschlossen werden kann, dass das syrische Regime zu Verfolgungshandlungen gegenüber Rückkehrern aus Kapazitätsgründen nicht mehr in der Lage wäre (so aber z. B. OVG NRW, B. v. 7.5.2013 - 14 A 1008/13.A). Zwar mag das Regime um das politische und physische Überleben kämpfen und die Kontrolle über erhebliche Landesteile verloren haben (so die Begründung des OVG NRW, a. a. O.), jedoch bedarf es für eine obligatorische Befragung von Rückkehrern keiner weitergehenden Ressourcen als sie das Assad-Regime derzeit jedenfalls noch hat (so auch VG Regensburg, U. v. 29.6., RN 11 K 16.30666 -.juris). Denn eine (unterstellte) Rückführung würde seitens des rückführenden Staates immer in Abstimmung mit den Behörden des aufnehmenden, d. h. des syrischen Staates erfolgen. Organisatorisch wären für eine obligatorische Befragung und der damit verbundenen Foltergefahr der abgelehnten Asylbewerber aus dem westlichen Ausland also lediglich die Kontrolle über den internationalen Flughafen in Damaskus sowie dort angesiedelte Mitarbeiter und Gefängnisse notwendig. Ob es in dieser Situation für das Assad-Regime „sinnvoller“ wäre, die vorhandenen Ressourcen anders einzusetzen, ist reine Spekulation und wird weder durch die ins Verfahren einbezogenen Erkenntnisquellen gestützt, noch lässt die allgemeine Berichterstattung zuverlässig auf solche Liberalisierungstendenzen schließen. So geht auch das VG Regensburg (a. a. O.) nicht davon aus, dass die syrische Regierung angesichts der Zuspitzung der Situation in Syrien und des Überlebenskampfes des Assad-Regimes den Verfolgungsdruck auf aus dem westlichen Ausland zurückkehrende Staatsangehörige mildert oder gar aufgibt.
Im Fall der Klägerin, kommt hinzu, dass das syrische Regime ein gesteigertes Interesse daran haben könnte, von ihr Informationen zu gewinnen. Denn sie hat vor ihrer Flucht in einem vom IS besetzten Gebiet gelebt, ist kurdischer Volkszugehörigkeit und nach religiösem Brauch mit einem potentiell wehrdiensttauglichen Syrier verheiratet, der ebenfalls mit ihr geflohen ist. Diese Faktoren erhöhen für sie nochmals das Risiko im Fall einer Rückkehr ins Visier einer mit Folter verbundenen geheimdienstlichen Befragung zu geraten, um von ihr Informationen über das IS-Kalifat, die als regimekritische kurdische Exilantenszene oder zu Rekrutierungszwecken den Verbleib ihres Lebensgefährten abzuschöpfen. Da sie sich nach Überzeugung des Gerichts für die syrische Regierung bereits durch ihre Flucht ins westliche Ausland verbunden mit der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt einer mit der regimekritischen Haltung verdächtig gemacht hat, hätte sie bei einer Rückkehr jedenfalls mit einer Befragung mit entsprechender Foltergefahr zu rechnen.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht der Klägerin nicht zur Verfügung, da sie bei einer Einreise über den Flughafen Damaskus keinen (möglicherweise) sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG.
Die Klägerin erfüllt damit die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihrer Klage ist stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.
(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.1972 in Homs/Syrien geborene Kläger zu 1), seine am 00.00.1978 in Homs geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), und ihre in den Jahren 1999, 2002, 2006 und 2007 in Homs geborenen gemeinsamen Kinder, die Kläger zu 3) bis 6), sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten im April 2015 in die Bundesrepublik ein und meldeten sich am 14.04.2015 als Asylsuchende.
3Am 09.03.2016 haben die Kläger persönlich bei der Rechtsantragstelle des Gerichts Untätigkeitsklage erhoben, da sie seit der Erstmeldung keine weitere Nachricht von der Beklagten erhalten hätten.
4Am 22.03.2016 stellten die Kläger nach Aktenlage formelle Asylanträge bei der Beklagten. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 07.04.2016 trug der Kläger zu 1) zur Begründung vor, er sei Angestellter einer italienischen Ölfirma gewesen. Ihre wirtschaftliche Situation sei sehr gut gewesen. Er habe Syrien 2013 verlassen, da er 5 Tage gefangen gewesen sei. Man habe die Namen vertauscht und eigentlich einen anderen Mann gesucht. Er habe Probleme gehabt, weil auf seinem Ausweis „Homs C. P. “ stehe. Er komme aus einem Ort, in dem viele gegen die Regierung kämpfen. Deshalb habe er Angst. Er habe kein Haus mehr, er wolle ein ganz normales Leben führen. Die Anhörung des Klägers zu 1) dauerte 25 Minuten. Die Klägerin zu 2) erklärte ergänzend, es habe nur Krieg gegeben. Fast dreimal sei bei ihnen in der Nähe bombardiert worden, sie habe große Angst gehabt. Ihre kleine Tochter habe durch den Krieg Verbrennungen erlitten. Die Anhörung der Klägerin zu 2) dauerte 40 Minuten.
5Mit Bescheid vom 22.04.2016 wurde den Klägern der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt, im Übrigen wurde der Asylantrag abgelehnt. Der Bescheid wurde am 27.04.2016 an die Kläger versandt.
6Am 11.05.2016 haben die Kläger – vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte - hiergegen Klage erhoben, mit der sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehren (20 K 4467/16.A). Zur Begründung führen sie ergänzend aus, sie seien unabhängig von einer Vorverfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt in Deutschland bedroht. Ihr Verhalten werde vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung aufgefasst.
7Durch Beschluss vom 19.05.2016 sind die Verfahren 20 K 4467/16.A und 20 K 1599/16.A zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
8Die Kläger beantragen,
9die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 22.04.2016 zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist zulässig und begründet.
15Die Kläger haben einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 22.04.2016 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
17Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Kläger die Voraussetzungen des § 3 AsylG vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht der Kläger vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der Asylantragstellung, des Aufenthalts im westlichen Ausland sowie ihrer Herkunft aus Homs begründet ist.
18Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit Jahren der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form von menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
19Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
20Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
21Vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –
22Juris.
23Die Gefährdung der Kläger knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihnen vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
24Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 - und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 – 3 N 91.13 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 – 2 L 16/13 -.
25Soweit der hier streitgegenständliche Bescheid in Abweichung von der bisherigen Entscheidungspraxis der Beklagten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnt, entbehrt er jeder nachvollziehbaren Begründung und erschöpft sich in der Behauptung, es sei „derzeit nicht zu erwarten, dass Rückkehrer nach Syrien ausschließlich wegen des vorangegangenen Auslandsaufenthaltes Übergriffe bzw. Sanktionen zu erwarten“ hätten. Irgendwelche Quellen, die diese Neubewertung stützen, werden nicht genannt und sind dem Gericht auch nicht bekannt. Aus Parallelverfahren ist dem Gericht bekannt, dass die Beklagte zur Begründung ihrer geänderten Entscheidungspraxis gelegentlich auf eine neue Passpraxis Syriens abstellt, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll. Abgesehen davon, dass es sich bei vielen dieser Pässe um im Ausland ausgestellte Proxy-Pässe handeln dürfte und die Motive für die geänderte Passpraxis nicht zuletzt in finanziellen Erwägungen liegen, ist nach Auffassung des Gerichts irgendein Zusammenhang zwischen syrischer Passpraxis und Rückkehrgefährdung ohnehin nicht gegeben und rein spekulativ. Angesichts der ungebremsten Eskalation der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ist für das Gericht auch nicht im Ansatz erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte. Das Gegenteil ist anzunehmen.
26Unabhängig von den Verfolgungsgefahren für Rückkehrer drohen syrischen Staatsangehörigen bzw. Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien aber auch aus anderen Gründen systematische Verfolgung in Anknüpfung an Konventionsmerkmale. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. „Islamische Staat“ und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern. Dabei besteht eine Besonderheit des Konflikts darin, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung oder Zugehörigkeit unterstellen. Im Zuge dieser extensiven Anwendung von Sippenhaft sind Zivilisten bereits aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, gezielten Verfolgungshandlungen durch Regierungskräfte im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen ausgesetzt, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen, und sie laufen ernsthaft Gefahr, Opfer zielgerichteter Gewaltanwendung wie Massenhinrichtungen und Massaker zu werden. In gleicher Weise und mit derselben Brutalität gehen bewaffnete oppositionelle Gruppen vorsätzlich gegen Zivilpersonen vor aufgrund deren tatsächlicher oder vermeintlicher Unterstützung des Regimes oder einer sonstigen gegnerischen Konfliktpartei und ihrer ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit. Entsprechend hat UNHCR wiederholt darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich ist, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen.
27Vgl. zuletzt: UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, Stand November 2015.
28Auch jüngst veröffentlichte Untersuchungen der Vereinten Nationen bestätigen, dass in Syrien neben der allgegenwärtigen Gefahr für die Zivilbevölkerung, durch willkürliche Gewalt im Rahmen des dortigen bewaffneten Konflikts Schaden an Leib und Leben zu nehmen, gezielte Verfolgungshandlungen sowohl durch das syrische Regime als auch durch bewaffnete oppositionelle Gruppen, allen voran die Al Nusra-Front und der sog. Islamische Staat, an der Tagesordnung sind. Zehntausende wurden und werden in Gefängnissen und Haftzentren des Regimes gefoltert, misshandelt und getötet und anderen Formen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wie Verschwindenlassen, sexuelle Gewalt oder Belagerungen und Aushungern ganzer Städte und Dörfer. Diese gezielten Verfolgungshandlungen knüpfen regelmäßig an einen oder mehrere der Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention an, von der Religionszugehörigkeit, über die ethnische Zugehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wie das Geschlecht, die sexuelle Identität oder bestimmte Berufsgruppen bis hin zu der tatsächlichen oder den Opfern von den verschiedenen Verfolgungsakteuren zugeschriebenen politischen Überzeugung.
29Vgl. UN-Menschenrechtsrat, „Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 11.02.2016 und Bericht vom 03.02.2016 „ Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic“.
30Die bisher von der Beklagten ihren Entscheidungen über die Asylbegehren von Syrern zugrunde gelegte Annahme, dass Syrern generell Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht, ist demnach unverändert aktuell und begründet weiterhin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
31Zu berücksichtigen ist hier zudem, dass die Kläger aus Homs stammen. In Homs hat der Aufstand gegen das syrische Regime seinen Anfang genommen. Die Stadt gilt als „Hauptstadt der Revolution“ und war einer jahrelangen Belagerung durch Regierungskräfte ausgesetzt, die erst in jüngster Zeit beendet zu sein scheint.
32Vgl. spiegel online vom 09.12.2015: Hunderte Rebellen ziehen sich aus Homs zurück – http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-hunderte-rebellen-ziehen-sich-aus-homs-zurueck-a-1066904.html; Süddeutsche Zeitung online vom 09.12.2015, Deal mit Assad - Syrische Rebellen verlassen Homs - http://www.sueddeutsche.de/politik/buergerkrieg-deal-mit-assad-syrische-rebellen-verlassen-homs-1.2774406
33Die von den Klägern bereits in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt dargelegte Gefährdung wegen ihrer Herkunft aus Homs und der ihnen infolgedessen zugeschriebenen Regimegegnerschaft ist daher zutreffend und aufgrund der gegenwärtigen Situation in Syrien auch ausreichend zur Darlegung der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft. Zu weiteren Darlegungen im Rahmen der persönlichen Anhörung bei der Beklagten bestand daher kein Anlass. Dazu bestand nach Aktenlage im Übrigen auch keine Gelegenheit, wenn die Zeitspanne von lediglich 25 Minuten (Anhörung des Klägers zu 1) bzw. 40 Minuten (Anhörung der Klägerin zu 2) für die gesamte Anhörung einschließlich notwendiger Belehrungen und erforderlicher Übersetzungen in Rechnung gestellt wird. Die Ermittlung der Verhältnisse in dem Herkunftsland unterliegt zudem dem Amtsermittlungsgrundsatz und deren Kenntnis durch Anhörer und Entscheider des Bundesamtes darf von den Asylsuchenden ohne weiteres vorausgesetzt werden.
34Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der nach seinen Angaben am ...1991 geborene Kläger gibt an, syrischer Staatsangehöriger arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit zu sein. Er brachte in der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 1. April 2016 vor, in Syrien zuletzt in Damaskus, Stadtteil D., ... gelebt zu haben. Er verließ sein Heimatland am 15. September 2015, reiste ca. am 3. Oktober 2015 auf dem Landweg in Deutschland ein und stellte nach den Angaben im Behördenakt am 14. März 2016 einen Asylantrag.
In der Anhörung brachte er u. a. vor, dass es zwei Armeen gebe. Die eine sei für Assad. Ein freies Militär sei gegen Assad. Das freie Militär habe seinen Stadtteil besetzt gehabt. Dieses habe gegen das Assad-Militär gekämpft. Deswegen habe man nicht mehr rausgehen können. Alle Geschäfte seien geschlossen gewesen. Man habe nicht mehr einkaufen können. Dieses freie Militär sei zu ihm gekommen und hätte gewollt, dass er ihnen beitrete. Diese seien auch untereinander getrennt. Es gebe viele verschiedene Anführer und alle wollten, dass er mitkämpfe. Jeder Anführer wolle viele Soldaten. Alle zwei, drei Tage seien diese zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, ob er ihnen beitrete. Diese zerstrittenen Gruppen würden „Loak Alislam“ und „Tahreer Alscham“ heißen. Wenn er in einen anderen Stadtteil gehe, werde er vom Baschar Militär entführt, damit er in dieses eintrete. Normalerweise müsse man zwei Jahre Wehrdienst machen. Da er eine Ausbildung gemacht habe, sei er nicht mit 18 Jahren eingezogen worden. Aber 2013 sei ihm gesagt worden, dass er eingezogen werden solle. Aber er sei geflohen. Er habe in D. gewohnt. Dort herrsche nicht das Assad-Militär. Also hätten sie ihn dort nicht entführen können. Normalerweise habe man ein Wehrbuch. Dort stehe das Datum und wenn dieses erreicht sei, müsse man sich melden.
Im September 2015 sei er zum ersten Mal von diesen zerstrittenen Gruppen gefragt worden. Auf Nachfrage erklärte der Kläger, dass sie nicht alle zwei bis drei Tage gekommen seien. Aber er habe sich entscheiden müssen. Er sei lieber geflohen. Die Leute kämen nicht direkt zu einem. Man müsse sich entscheiden. Er hätte sich bald entscheiden müssen. Die Leute in seinem Viertel hätten gewusst, dass er sich noch nicht entschieden habe. Er sei davon ausgegangen, dass er bald gefragt werde und sei deshalb vorsichtshalber geflohen. Wenn er sich geweigert hätte, wäre er mit Gewalt dazu gezwungen oder entführt worden. Einer seiner Brüder sei 18 Jahre alt und studiere in Damaskus. Seine Einberufung sei immer wieder verschoben worden. Sein anderer Bruder sei 27 Jahre alt und verheiratet. Er sei nicht so interessant wie der Kläger. Irgendwann werde es ihnen gehen wie ihm. Dann müssten sie auch fliehen. Bei einer Rückkehr nach Syrien befürchte er, entführt zu werden. Oder er müsse zum Militär gehen oder werde getötet. Die allgemeine Situation in Syrien sei schlecht. Man könne dort nicht leben. Auch wenn er allein geflohen sei, heiße das nicht, dass seine Familie dort glücklich sei.
Das Bundesamt erkannte dem Kläger mit Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom 21. April 2016, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg
Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Kläger Syrien verlassen habe, um sich dem Militärdienst und der Rekrutierung durch kämpferische Gruppen zu entziehen. Er sei mit dem Schiff über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Er habe sein Land aber auch wegen der Kriegsführung verlassen. Insoweit werde er noch Fotos der Situation seiner Heimatstadt nachreichen. Er habe vorgetragen, dass er Angst gehabt habe, in die Kriegsführung mit einbezogen zu werden. Näheres hierzu werde noch vorgetragen.
Der Kläger sei seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen. Er sei allerdings desertiert und habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Stationiert sei er in der Stadt D2. gewesen. Seine Eltern hätten in der Stadt A. gewohnt. Dort sei er dann auch gesucht worden und die Eltern hätten Nachteile erlitten, weil es in Fällen dieser Art üblich sei, das Eigentum zu beschlagnahmen. Die Eltern hätten ihr Haus verloren. Der Kläger habe Zuflucht bei seinem Großvater gesucht. Dies sei in der Stadt A2... gewesen, die mittlerweile in Schutt und Asche liege. Bis zu dem Termin werde der Kläger den Pass erhalten, der ihn als Mitglied der syrischen Armee ausweise.
Der Kläger lässt beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und den Bescheid vom 6. April 2015 (richtig: 2016) in Nr. 2 insoweit aufzuheben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Asylakten und die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Der Gerichtsakt im Verfahren RO 1 K 16.30671 wurde beigezogen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Diese ist ihm zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihm jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe hat er weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Das Vorbringen des Klägers ist zu unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich, um eine Vorverfolgung glaubhaft machen zu können. Er vermochte nicht widerspruchsfrei darzulegen, wann und unter welchen Umständen er sich zu einer Mitwirkung bei dem „freien Militär“ entschließen hätte müssen. Zunächst behauptete er, dass diese alle zwei, drei Tage zu ihm gekommen seien. Auf Nachfrage erklärte er dagegen, dass sie nicht zu ihm gekommen seien, er sich aber bald hätte entscheiden müssen. Letztlich brachte er vor, dass die allgemeine Situation in Syrien schlecht sei und man dort nicht leben könne. Relevante Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG legte er damit jedoch nicht dar.
Das Vorbringen des Klägers weist außerdem unglaubwürdige Steigerungen auf. Erst in der zweiten Klagebegründung ließ er vorbringen, dass er seit 2011 Mitglied der syrischen Armee gewesen und desertiert sei. Er habe sich drei Jahre innerhalb Syriens versteckt. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung soll er sogar in Dunkelhaft gefangen gehalten und gefoltert worden sein. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er dieses Geschehen bereits in seiner Anhörung beim Bundesamt von sich aus schildert. Warum dies nicht geschah, konnte er nicht nachvollziehbar erklären. Sein Hinweis auf eine mögliche Kenntniserlangung durch den syrischen Geheimdienst ist weder glaubwürdig noch nachvollziehbar.
2. Dem Kläger droht jedoch bei einer Rückkehr in seine Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung des Klägers bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen kann, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter des Klägers, aus. Dieser ist ein junger sunnitischer Mann im wehrfähigen Alter. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden wird, weil er die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht wird widerlegen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Gerichtsbescheides vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 0.0.1998 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 19. August 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 15. September 2015 einen Asylantrag.
3Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erklärte der Kläger im Wesentlichen, sein Heimatland wegen des dort herrschenden Krieges und der Befürchtung, zum Wehrdienst einberufen zu werden, verlassen zu haben.
4Mit Bescheid vom 8. Juni 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutz zu. Im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab.
5Gegen diese Ablehnung hat der Kläger am 21. Juni 2016 die vorliegende Klage erhoben.
6Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 8. Juni 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.
11Entscheidungsgründe:
12Das Gericht entscheidet nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO).
13Die zulässige Klage ist begründet.
14Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
15Nach § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a - d AsylG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.
16Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 AsylG vor.
17Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung begründet ist.
18Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung beinhaltet. Rückkehrer nach Syrien unterliegen – angesichts des ihnen gegenüber weit verbreiteten und wahllosen Einsatzes der Folter durch den syrischen Staat – allgemein der Gefahr, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden, die zum Ziel hat, etwaiges Wissen über die hiesige Exilszene „abzuschöpfen“.
19Vgl. z. B. OVG NRW, Beschluss vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10.A -, juris, dort insbesondere Rn. 28 ff. unter Auswertung der auch dem erkennenden Gericht vorliegenden Quellen: „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage des Auswärtigen Amtes vom 27. September 2010“ (S.16) und Berichte von Amnesty International: „Deadly Detention …“ von August 2011 und „Syria: End Human Rights Violations in Syria“ von Oktober 2011 (s. Erkenntnisliste); s. a. Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A -, juris, dort insbesondere Rn. 13 ff.
20Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat die illegale Ausreise, den Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
21Vgl. u. a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris, VG Köln, Urteil vom 22. Mai 2014 - 20 K 3152/13.A - juris.
22Die Gefährdung des Klägers knüpft dabei jedenfalls auch an eine bei ihm vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
23Vgl. hierzu u. a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 - und vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris; VGH Hessen, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A. , juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - 3 N 91.13 -, juris; VG Köln, Urteil vom 18. Juni 2015 - 20 K 4052/14.A, juris; VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 26. September 2014 - 3 K 1489/13.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RN 11 K 16.30723 -, juris; VG Gießen, Gerichtsbescheid vom 17. Juli 2014 - 2 K 3472/12.GI.A -, juris; VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - M 22 K 14.30752 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 21. November 2013 - 9 K 1844/13.A -, juris; VG Kassel, Urteil vom 2. Juli 2013 - 5 K 200/13.KS.A -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris; a. A. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2012 sowie zuletzt Beschluss vom 13. Februar 2014, jeweils a. a. O.
24Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem Kläger nicht zur Verfügung, da er bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen für ihn verfolgungsfreien Landesteil sicher und legal erreichen könnte, vgl. § 3 e Abs. 1 AsylG.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 83 b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 ZPO.
26Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 26.06.2013 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach seinen Angaben am 14.02.2013 auf dem Landweg in die Bundesrepublik ein und stellte am 21.02.2013 einen Asylantrag.
3Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 02.05.2013 erklärte der Kläger, er habe sich nicht politisch in Syrien betätigt. Er sei wegen der allgemeinen Situation in Syrien, wegen des Kriegszustandes ausgereist.
4Mit Bescheid vom 26.06.2013 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen. Zugleich wurde festgestellt, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt. Der Bescheid wurde am 03.07.2013 als Einschreiben zur Post gegeben.
5Am 09.07.2013 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung nimmt er auf seine Angaben im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt Bezug.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 26.06.2013 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
11Die Klage ist zulässig und begründet.
12Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 26.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
13Nach § 3 AsylVfG idF der Änderung vom 28.08.2013 (BGBl v. 28.08.2013) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
14Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 AsylVfG vor.
15Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn auch unabhängig davon ist das Gericht davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung sowie des Aufenthalts im westlichen Ausland begründet ist.
16Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
17Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
18Diese Einschätzung liegt auch der Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG für den Kläger durch den hier – teilweise – im Übrigen noch streitigen Bescheid zugrunde.
19Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
20vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 – Juris.
21Die Gefährdung des Klägers knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihm vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
22Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 - und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 – 3 N 91.13 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 – 2 L 16/13; a.A. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A – sowie zuletzt Beschluss vom 13.02.2014 – 14 A 215/14.A -.
23Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Tatbestand
- 1
Der 1979 in A./Syrien geborene Kläger ist nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehöriger, muslimischen Glaubens und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seinen Schilderungen reiste er am 30. November 2010 aus der Türkei kommend auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
- 2
Am 14. Januar 2011 wurde der Kläger vom Bundesamt zu seinem Asylbegehren angehört. Zur Begründung gab er an: Er sei ungefähr von 2001 bis 2007 inhaftiert gewesen. Aufgrund einer Bürgschaft sei er freigelassen worden. Er sei Sympathisant der Kurdischen Volksunion gewesen. Im Rahmen der Vorbereitung des Newroz-Festes am 21. März 2010 habe man sich versammelt. Daraus sei eine Demonstration entstanden. Irgendwann habe man begonnen, Leute zu verhaften. Er sei geflüchtet und habe sich bei seinem Cousin versteckt. Er habe dann erfahren, dass sein Bruder verhaftet worden sei. Es sei ihm klar geworden, dass dies erfolgt sei, weil man in Wirklichkeit seiner habhaft werden wollte. Er habe sich sechs Monate bei seinem Cousin versteckt und dann seine Ausreise organisieren lassen.
- 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 23. März 2011 ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen eines Monats nach Rechtskraft der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde er nach Syrien abgeschoben. Der Kläger könnte auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung ist ausgeführt, der Kläger könnte kein Asyl beanspruchen, weil davon auszugehen sei, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat eingereist sei. Der Kläger hätte ein individuelles Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Auch die illegale Ausreise bzw. die Asylantragstellung im Ausland führe nicht zu einer politischen Verfolgung. Mangels einer politischen Verfolgung könne er daher nicht die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft beanspruchen. Auch Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
- 4
Am 5. April 2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben. Zur Begründung berief er sich auf die aktuelle politische Situation in Syrien. Ferner sei bei ihm im Jahr 2011 eine kryptogene Epilepsie und der Verdacht auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt worden.
- 5
Der Kläger hat beantragt,
- 6
unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2011 festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
- 7
Die Beklagte hat beantragt,
- 8
die Klage abzuweisen.
- 9
Mit Gerichtsbescheid vom 23. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2011 verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG für den Kläger vorliegen.
- 10
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, dass das Verwaltungsgericht für seine tragende Argumentation hinsichtlich der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft keine Referenzfälle benannt habe. Sie hat sich im Verlauf des Berufungsverfahrens verpflichtet festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG im Hinblick auf den Kläger vorliegt.
- 11
Die Beklagte beantragt,
- 12
die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. April 2012 abzuweisen.
- 13
Der Kläger beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
- 17
Maßgeblich für die Beurteilung, ob dem Kläger der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen ist, sind § 3 Abs. 1 und 4 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) sowie § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2012, BGBl. I S. 1224).
- 18
Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung dieses Abkommens ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
- 19
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, Art. 4 Abs. 4 und Art. 7 bis 10 derRichtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend QRL) des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wie nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist auch unionsrechtlich eine Verfolgungshandlung für die Flüchtlingsanerkennung nur dann von Bedeutung, wenn sie an einen der in Art. 10 QRL genannten Verfolgungsgründe anknüpft (Art. 9 Abs. 3 QRL). Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 QRL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (Art. 10 Abs. 1 lit. e QRL). Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe reicht es aus, wenn diese Merkmale dem Antragsteller von seinem Verfolger lediglich zugeschrieben werden (Art. 10 Abs. 2 QRL). Die Qualifikationsrichtlinie hat sich insofern an dem aus dem angloamerikanischen Rechtsraum bekannten Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“ orientiert, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, § 15 Rdnr. 26; Nachweise aus der Rechtsprechung bei UNHCR, „Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, 2001, Fußnote 54 zu Rdnr. 25). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht des Art. 16a GG kann eine politische Verfolgung dann vorliegen, wenn staatliche Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dienen diese Maßnahmen der Ausforschung der Verhältnisse des Dritten, so kann ihnen die Asylerheblichkeit nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet (BVerfG, Beschl. v. 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, juris).
- 20
Als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A GFK gelten nach Art. 9 Abs. 1 QRL Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter lit. a) beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).
- 21
Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird, Art. 4 Abs. 4 QRL. Art. 4 Abs. 4 QRL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht. Die Qualifikationsrichtlinie modifiziert diese - asylrechtliche - Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4. Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab bleibt unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 QRL erlitten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 5.09 -, NVwZ 2011, 51; EuGH, Urteil v. 02.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - Abdulla -, NVwZ 2010, 505). Der in dem Tatbestandsmerkmal „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ des Art. 2 lit. e QRL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Urt. v. 28.02.2008 - Nr. 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O).Art. 4 Abs. 4 QRL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urt. v. 02.03.2010, a. a. O.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a. a. O.).
- 22
Nach der Überzeugung des Senates ist der Kläger nicht im oben dargestellten Sinne vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Der die Flüchtlingsanerkennung Begehrende hat aufgrund seiner Mitwirkungspflicht seine Gründe für eine politische Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die drohende Verfolgung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701). Daher hat sich das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Schutzsuchenden behaupteten Sachverhalts zu verschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658). Für diese Überzeugungsbildung ist wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich ein Schutzsuchender bezüglich der Vorgänge in seinem Heimatland regelmäßig befindet, nicht die volle Beweiserhebung notwendig, sondern die Glaubhaftmachung ausreichend.
- 23
Der Kläger hat keine Vorverfolgung glaubhaft gemacht, da er unter Berücksichtigung und Würdigung seines gesamten Vorbringens bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und dem erkennenden Senat keinen zusammenhängenden, in sich schlüssigen, im Wesentlichen widerspruchsfrei geschilderten Sachverhalt vorgetragen hat. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als wesentliches fluchtauslösendes Motiv die Verhaftung seines Bruders geschildert, aus der er den Schluss gezogen haben will, dass der syrische Staat auch seiner Person habhaft werden wolle. Diesen Umstand hat der Kläger bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung zu den Gründen seiner Ausreise nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat er nunmehr bei seiner Anhörung vor dem Senat als maßgeblich ausgeführt, dass er aufgrund des Umstandes, dass er bei der anlässlich des Newroz-Festes durchgeführten Versammlung fotografiert worden sei, sich zur Ausreise entschlossen habe. Die Leute, die dort festgenommen worden seien, seien auch nach Jahren nicht mehr zurückgekehrt. Er habe befürchtet, dass ihm Gleiches widerfahre. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hatte er eine mögliche Gefährdung wegen der Fertigung von Bildaufnahmen der Demonstration nicht erwähnt.
- 24
Unabhängig von einer Vorverfolgung muss aufgrund der aktuellen Situation in Syrien jedoch davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung im vorgenannten Sinne bedroht ist. Der Kläger ist wegen seiner illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und seinem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland von einer Verfolgung bedroht, wobei hinsichtlich der Personen, die die genannten Merkmale erfüllen, von einer drohenden „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ auszugehen ist. Der Senat geht davon aus, dass diese Handlungen ungeachtet einer oppositionellen Haltung des Einzelnen bei Vorliegen der zuvor genannten Kriterien vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst werden und der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
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Die Vielfalt möglicher Verfolgungsgefährdungen verbietet es, die Zugehörigkeit zu einer gefährdeten Gruppe unberücksichtigt zu lassen, weil die Gefährdung unterhalb der Schwelle der Gruppenverfolgung liegt. Denn die Gefahr politischer Verfolgung, die sich für jemanden daraus ergibt, dass Dritte wegen eines Merkmals verfolgt werden, das auch er aufweist, kann von verschiedener Art sein: Der Verfolger kann von individuellen Merkmalen gänzlich absehen, seine Verfolgung vielmehr ausschließlich gegen die durch das gemeinsame Merkmal gekennzeichnete Gruppe als solche und damit grundsätzlich gegen alle Gruppenmitglieder betreiben. Dann handelt es sich um eine in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, NVwZ 2009, 1237 m. w. N.) als Gruppenverfolgung bezeichnetes Verfolgungsgeschehen. Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, kann für den Verfolger aber auch nur ein Element in seinem Feindbild darstellen, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist dann ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind. Löst die Zugehörigkeit zum Kreis der Vertreter einer bestimmten politischen Richtung, wie hier, nicht bei jedem Gruppenangehörigen unterschiedslos und ungeachtet sonstiger individueller Besonderheiten, sondern nur nach Maßgabe weiterer individueller Eigentümlichkeiten die Verfolgung des Einzelnen aus, so kann hiernach eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vorliegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.02.1996 - 9 B 14.96 -, DVBl 1996, 623 m. w. N.).
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Die Verfolgungsgefahr ist auch nicht unbeachtlich, weil sie (auch) auf dem eigenen Nachfluchtverhalten des Klägers beruht. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann eine Bedrohung nach § 60 Abs. 1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 QRL, der mit § 28 Abs. 1a AsylVfG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylVfG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss eines Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, NVwZ 2009, 730).
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Die dem Senat vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnisse rechtfertigen den Schluss, dass für den Kläger aufgrund des Nachfluchtgeschehens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr nach Syrien besteht. Dieser Schluss rechtfertigt sich aus mehreren Gründen, nämlich der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste, die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 sowie dem Umgang der syrischen Behörden in Syrien insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
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Amnesty international (vgl. zum Nachfolgenden: Bericht „Menschenrechtskrise in Syrien erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“ vom 14. März 2012) und der kurdische Informationsdienst KURDWATCH haben eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen seit 2009 abgelehnte syrische Asylbewerber nach ihrer Abschiebung (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt unter erheblicher Foltergefahr von den Geheimdiensten inhaftiert wurden.
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Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.
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Ein weiterer Fall ist der am 1. September 2009 von deutschen Behörden nach Syrien abgeschobene abgelehnte kurdische Asylbewerber Khalid Kandschu. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei der Vorsprache beim Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Im Rahmen seiner Verhöre wurden ihm auch Angaben aus seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgehalten (KURDWATCH, Meldung vom 29.08.2010). Gegen Kandschu wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kandschu vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn vor dem Militärgericht wurde fortgesetzt. Er wurde in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer geringfügigen Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kandschu wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt.
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Amnesty international hat ferner den Fall des syrischen Kurden Abd al-Karim Hussein dokumentiert, der im August 2010 aus Norwegen abgeschoben wurde. Er wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation, die auf die Situation der kurdischen Minderheit in Syrien aufmerksam macht. Der an Diabetes erkrankte Hussein war zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus inhaftiert. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasst hat.
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Nach einem weiteren von KURDWATCH dokumentierten Fall hatte die Ausländerbehörde Essen am 27. Juli 2010 eine sechsköpfige Familie nach Damaskus abschieben lassen. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Ihre Eltern hatten in Deutschland Asyl beantragt und dabei eine falsche Identität angegeben. Ursprünglich hatten sie behauptet, aus dem Libanon zu stammen und erst später ihre syrische Staatsangehörigkeit offenbart. Anscheinend wurden Hamza und Khalid Hasan festgenommen, da sie in Deutschland straffällig geworden waren. Unklar blieb, wer die syrischen Sicherheitskräfte über ihre Straffälligkeit informiert hat. Am 24. August 2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen worden. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten - von welchen Sicherheitsorganen war für den in der Bundesrepublik geborenen Kurden nicht ersichtlich. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Tatsächlich, so Hasan, sei die Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden. Darüber hinaus sei ihm, ebenfalls unter Verweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten, zu Unrecht Drogenabhängigkeit vorgeworfen worden (KURDWATCH, Meldung vom 7. September 2010).
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Nach seiner Abschiebung aus Dänemark wurde der staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato am 15. November 2010 auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (KURDWATCH, Meldung vom 21. November 2010).
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Mitglieder des Direktorats für politische Sicherheit in Syrien hatten am 4. Dezember 2010 Dschuan Yusuf Muhammad vorgeladen und festgenommen. Nach seiner Abschiebung aus Zypern im Juni 2010 hatte er am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben müssen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (KURDWATCH, Meldung vom 17.12.2010)
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Die Ausländerbehörde Hildesheim hatte am 1. Februar 2011 die registrierten Staatenlosen Badr Naso und seinen Sohn Anwar Naso nach Syrien abschieben lassen. Badr und Anwar Naso wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Damaskus festgenommen und der Auswanderungs- und Passbehörde überstellt. Anwar Naso wurde vorgeworfen, unrichtige Angaben zu seinem Alter gemacht zu haben. Er wurde bei der Auswanderungs- und Passbehörde festgehalten, wo er auf eine Identitätsbescheinigung aus Al-Hassake warten musste. Sein Vater wurde zunächst dem Direktorat für politische Sicherheit vorgeführt und dort verhört. Badr Naso wurde am 13. Februar 2011, sein Sohn am 3. März 2011 freigelassen (KURDWATCH, Meldungen vom 13.02.2011, 26.02.2011 und 15.03.2011).
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Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, da es sich bei ihm nicht um einen syrischen Staatsangehörigen handele. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich bei ihm um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so Abdullah gegenüber KURDWATCH, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (KURDWATCH, Meldung vom 29.03.2011).
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Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13. April 2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Er war am 12. April 2011 in Lebach festgenommen worden, als er bei der dortigen Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20. April 2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (KURDWATCH, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).
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Ein weiteres gefahrbegründendes Moment besteht in dem Umstand, dass syrische Geheimdienste mit ihren Verbindungen zur syrischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland über ein Agentennetz verfügen, mit dem die im Ausland lebenden Syrerinnen und Syrer flächendeckend überwacht werden. Seit Beginn des „arabischen Frühlings“ hat sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes die Aktivität des syrischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik Deutschland intensiviert. In der syrischen Botschaft in Berlin, die auch als Legalresidentur für Spionageaktivitäten fungiere, seien hauptamtlich abgetarnte Nachrichtendienstler beschäftigt, die ein Agentennetz in Deutschland führen. Bei der Anwerbung von neuen Agenten würden auch Repressalien angewandt. In Syrien lebende Angehörige könnten dabei auch als Druckmittel missbraucht werden (Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 15. Februar 2012 zum Thema „Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes in Berlin“, Seite 4 f.). Anfang Februar 2012 hat die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen, die ihm Verdacht stehen, an Einschüchterungsversuchen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein. Ebenfalls Anfang Februar 2012 sind ein Deutsch-Libanese und ein syrischer Staatsangehöriger unter dem Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (§ 99 StGB) für die Arabische Republik Syrien aufgrund vom Bundesgerichtshof erlassener Haftbefehle in Untersuchungshaft genommen worden. Die beiden sollen intensiv an der Ausforschung Oppositioneller beteiligt gewesen sein. Bei Demonstrationen hätten sie Teilnehmer fotografiert sowie Bilder und andere Informationen nach Damaskus weitergeleitet (vgl. Zeit Online vom 09.02.2012: „Deutschland weist vier syrische Diplomaten aus“; Tagesspiegel vom 09.02.2012: „Mutmaßliche Spione forschten Syrer in Berlin aus“; Zeit Online vom 10.02.2012: „Worauf die Syrer in Deutschland hoffen“; FAZ vom 11.02.2012: „Assad sieht dich - Syrische Spione in Berlin“ und Abgeordnetenhaus Berlin,“; zur fortdauernden Beobachtung der syrischen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland: Dradio.de, Transkript eines Radioberichts vom 05.06.2012: „Warten im Niemandsland - Die syrische Opposition im Exil“). Hieran anschließend hat unter anderem das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt mit Erlass vom 16. Februar 2012 die Ausländerbehörden aufgefordert, keinen Kontakt mehr mit syrischen Stellen zwecks Feststellung der Identität bzw. der Staatsangehörigkeit bei aus Syrien stammenden Ausländern aufzunehmen.
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Diese Einschätzung deutscher amtlicher Stellen über die umfassende Überwachung von im Ausland lebenden syrischen Staatsangehörigen durch im Ausland operierende syrische Geheimdienste deckt sich mit den Erkenntnissen von amnesty international. Im Ausland lebende Syrer werden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. In einigen Fällen von im Ausland politisch aktiven Syrern wurden auch die in Syrien lebenden Familienangehörigen unter Druck gesetzt (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 17.02.2012, S. 10).
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In einem Bericht von Anfang Oktober 2011 hat amnesty international exemplarisch 30 Fälle in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert („The long reach of the Mukhabaraat - violence and harassment against Syrians abroad and their relatives back home“), welche eine umfassende und systematische Überwachung der im Ausland lebenden Syrer belegen. Bereits objektiv vergleichsweise geringfügige Anlässe lösen Maßnahmen der syrischen staatlichen Stellen aus, welche sich auch gegen Familienangehörige in Syrien richten.
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So rief die in Chile lebende Syrerin Naima Darwish am 25. Februar 2011 auf ihrer Facebook-Seite zu einer Protestveranstaltung vor der syrischen Botschaft in Santiago auf. Nur zwei Stunden später erreichten sie Anrufe von Freunden, welche sie darüber unterrichteten, dass die syrische Botschaft versuche, ihre Telefonnummer in Erfahrung zu bringen. Zwei Tage nach dem Aufruf erhielt sie einen Anruf eines Botschaftsangehörigen, welcher sie aufforderte, in die Botschaft zu kommen. Nach dem dies durch Darwish abgelehnt wurde, fand ein Treffen außerhalb der Botschaft statt. Auf diesem Treffen wurde sie beleidigt und ihr damit gedroht, dass sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren könne, wenn sie die oppositionellen Tätigkeiten fortsetze.
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Ferner wurde der Bruder des in Spanien lebenden Syrers Imad Mouhalhel, Aladdin, im Juli 2011 für vier Tage in Syrien inhaftiert. Nachdem Aladdin Mouhalhel offenbar gefoltert worden war, wurden ihm Fotos und Videos von Protesten vor der syrischen Botschaft in Spanien gezeigt und er wurde aufgefordert, seinen Bruder Imad unter den Teilnehmern der Demonstration zu identifizieren. Am 29. August 2011 wurde Aladdin erneut verhaftet und offenbar gezwungen, seinen Bruder Imad anzurufen und ihn aufzufordern, nicht mehr an den Protesten teilzunehmen. Imad und seine Familie haben seitdem kein Lebenszeichen von Aladdin erhalten.
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Malek Jandali, ein 38-jähriger Komponist und Pianist, war im Juli 2011 bei einer reformorientierten Versammlung vor dem Weißen Haus in Washington aufgetreten. Wenige Tage später wurden seine 66-jährige Mutter und sein 73 Jahre alter Vater in ihrem Haus in Homs von Sicherheitskräften angegriffen. Malek Jandali berichtete amnesty international, dass seine Eltern geschlagen und ins Badezimmer eingesperrt wurden, während ihre Wohnung von Agenten durchsucht und geplündert wurde. Man sagte ihnen, dies sei die Strafe dafür, dass sich ihr Sohn über die syrische Regierung lustig gemacht habe. Nach diesem Vorfall flüchteten seine Eltern aus Syrien.
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Einige Familien in Syrien wurden offenbar auch dazu gezwungen, ihre im Ausland lebenden Familienangehörigen öffentlich zu verleugnen. So wurde der Bruder der in Deutschland lebenden Sondos Sulaiman, die im Juni 2011 in einem Video bei YouTube zum Widerstand gegen den syrischen Präsidenten aufrief, im syrischen Staatsfernsehen gezeigt, wie er ihr Video denunzierte und sich abfällig über seine Schwester äußerte. Sondos Sulaiman ist davon überzeugt, dass ihr Bruder zu diesem Fernseh-Auftritt gezwungen wurde. Ihr war es seitdem nicht möglich, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen, um herauszufinden, was mit ihnen, insbesondere mit ihrem Bruder, passiert ist.
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Ein weiteres gefahrbegründendes Element liegt in der innenpolitischen Eskalation der Lage in Syrien seit dem Frühjahr 2011. Ganz allgemein können die Ereignisse des „Arabischen Frühlings“ in anderen Ländern der Region als Anlass für die Demonstrationen in Syrien genannt werden (zur nachfolgend dargestellten Entwicklung in Syrien von Januar 2011 bis Januar 2012: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, „Syrien“, Januar 2012).
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Am 17. März 2011 kam es erstmals zu schweren Zusammenstößen in der südsyrischen Stadt Daraa. Die Sicherheitskräfte gingen z. T. gewaltsam (mit scharfer Munition und Tränengas) gegen die Demonstrierenden vor und töteten dabei in Daraa mehrere Demonstranten. Die Demonstranten hatten u. a. ein Ende des Ausnahmezustandes, mehr Freiheiten, die Entlassung politischer Gefangener und eine Bekämpfung der Korruption gefordert. Tausende demonstrierten auch an den Folgetagen. Die Unruhen verbreiteten sich, auch aufgrund der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Demonstrationen, in der Folgezeit landesweit (u. a. in Damaskus, Homs, Aleppo, Deir al-Zor, Banjas und anderen Städten), wobei die Stadt Daraa zunächst zum Brennpunkt der Unruhen wurde. Die Regierung reagierte auf die Demonstrationen auf der einen Seite mit brutaler Gewalt, versuchte auf der anderen Seite aber auch konziliante Töne anzuschlagen. Am 20. März 2011 wurden z. B. 15 inhaftierte Kinder freigelassen. Präsident Assad entließ auch den Gouverneur der Provinz Daraa wegen „krasser Fehler beim Umgang mit Protesten in der Region“. In der Folgezeit breiteten sich die Demonstrationen im ganzen Land aus (im Süden, in Damaskus, in der Hafenstadt Latakia, Tafas und in Homs), wobei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten kam, bei denen es Tote und Verletzte gab. Die Protestbewegung, die sich auch mit Hilfe des Internetnetzwerkes Facebook organisierte, forderte u. a. demokratische Reformen, Aufhebung des Ausnahmezustandes, Achtung der Menschenrechte und freie Meinungsäußerung. Zahlreiche Verhaftungen wurden durchgeführt. Als Reaktion auf die landesweiten Unruhen wurden z. T. Reformen versprochen und das Kabinett des Ministerpräsidenten Naji Otri trat am 29. März 2011 zurück. Am 3. April 2011 beauftragte Präsident Assad den bisherigen Agrarminister, Adel Safar, mit der Bildung einer neuen Regierung. Um den Kurden in der gespannten Situation entgegen zu kommen, entschied Präsident Assad am 7. April 2011 mit Dekret 49/2011, dass die im Ausländerregister der Provinz Hassake eingetragenen Ausländer (ajanib) die Staatsbürgerschaft Syriens erhalten. Am 19. April 2011 beschloss die syrische Regierung die Aufhebung der seit 1963 geltenden Notstandsgesetze. Auch das Staatssicherheitsgericht wurde abgeschafft und ein Gesetz beschlossen, das friedliche Demonstrationen erlaubt.
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Trotz dieser Zugeständnisse gingen die Demonstrationen jedoch weiter und weiteten sich u. a. auch auf die Provinz Idlib und auf den kurdisch geprägten Nordosten aus. Den Druck auf die Opposition in Syrien lockerte die Führung in Damaskus nicht. Auch das gewaltsame Vorgehen des Regimes und seine Repressionsmaßnahmen hielten an. Im April 2011 verschärfte die syrische Regierung mit einem großen Militäreinsatz erneut ihr Vorgehen gegen Regimegegner.
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Armeeeinheiten stürmten am 25. April 2011 Daraa, wobei Artillerie und Scharfschützen beteiligt waren. Elektrizität und alle Kommunikationsmöglichkeiten in der Stadt wurden unterbrochen, die Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt, dass Heckenschützen das Feuer auf jeden eröffneten, der versuchte sein Haus zu verlassen. Auch im Mai 2011 gingen die Proteste weiter, obwohl die größeren Städte und Protesthochburgen Banjas, Daraa und Homs abgeriegelt, Moscheen besetzt und zentrale Plätze abgesperrt worden waren. Die Armee weitete ihre Operationen entlang der Küstenlinie aus, Truppen zogen sich außer in den bereits genannten Städten z. B. auch in Hama oder in kleineren Dörfern zusammen. Kontrollstellen wurden eingerichtet, Strom, Wasser und Telefonleitungen wurden immer wieder abgeschaltet. Auch Mobiltelefone, Festnetz und Internet wurden sporadisch blockiert. Nachdem zunächst hauptsächlich am Freitagabend protestiert worden war, wurden die Demonstrationen auch auf andere Tage nach Sonnenuntergang verlegt. Mitte Mai 2011 kreisten schwer bewaffnete Sicherheitskräfte die Kleinstadt Tell Kalakh in der Nähe der libanesischen Grenze ein. Aus Angst versuchten viele Menschen in Richtung Libanon zu fliehen, darunter Familien, wobei sie von syrischen Kräften beschossen und zum Teil tödlich getroffen wurden. Ende Mai 2011 trat nach einem Erlass Assads eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen in Kraft, darunter auch für Angehörige der Muslimbruderschaft. Auch im Juni 2011 hielten die Unruhen und ihre gewaltsame Bekämpfung an. Während der ersten drei Monate der Proteste sollen mehr als 1.300 Personen getötet und ca. 10.000 - 12.000 verhaftet worden sein.
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Mitte Juni 2011 führte die syrische Armee Razzien in den grenznahen Dörfern durch und begann mit der Abriegelung von grenznahen Gebieten, um das Absetzen weiterer Flüchtlinge in die Türkei zu verhindern.
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In seiner dritten Rede an die Nation während der Krise schlug Präsident Assad am 20. Juni 2011 einen „nationalen Dialog“ vor und versprach Änderungen der Verfassung, ein neues Wahl- und Mehrparteiengesetz sowie Schritte gegen die Korruption. Die Aktivisten lehnten einen Dialog „mit Mördern“ ab, die Unruhen in Homs, Hama und Latakia, aber auch in den Vororten von Damaskus gingen weiter. An der Universität in Aleppo wurden mehr als 200 Studenten festgenommen. Angehörige des militärischen Geheimdienstes kontrollierten die Straßen. Der syrische Präsident setzte im Juni 2011 auch eine Generalamnestie in Kraft, die für alle vor dem 20. Juni begangenen Straftaten gelten sollte, so die amtliche syrische Nachrichtenagentur Sana. Streitkräfte des syrischen Regimes rückten am 23. Juni 2011 in Khirbet al-Jouz ein und weiter in Richtung der syrischen Grenzdörfer vor. Soldaten und Angehörige der Schabihha-Miliz sollen mit Namenslisten durch das Dorf gegangen und Häuser von Anti-Regime-Aktivisten zerstört haben. Als Anführer der Schabihha-Milizen gelten die Cousins des Präsidenten Assad, Fawaz und Munhir Assad; aus diesem Grund gehörten sie zu den ersten Regimeangehörigen, die von der Europäischen Union im Frühjahr 2011 mit Sanktionen belegt wurden. Die Miliz wird meist im „Windschatten“ der Streitkräfte aktiv; wenn ein Ort durch das Militär unterworfen wurde, plündert und mordet die Schabihha-Miliz im Anschluss daran. Sie richtet auch die Soldaten hin, die sich weigerten, auf die eigenen Bürger zu schießen. Sie rekrutieren sich aus Angehörigen der alawitischen Glaubensgemeinschaft.
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Am 30. Juni /1. Juli 2011 wurden erstmals aus Aleppo größere Proteste gemeldet, an denen über 1.000 Demonstranten teilgenommen haben sollen. Es kam zu zahlreichen Festnahmen. Am 01. Juli 2011 sollen sich in Hama bis zu 300.000 oder sogar 500.000 Demonstranten getroffen haben. Die Sicherheitskräfte griffen zunächst nicht an, sondern beschränkten sich darauf, Checkpoints zu errichten und die Zugänge zur Stadt zu kontrollieren. Am 04. Juli 2011 kamen 30 Busse mit regimetreuen Milizionären, die 250 Menschen verhaftet und drei erschossen haben sollen; Panzer bildeten einen Belagerungsring um die Stadt. Präsident Assad erließ weitere personelle Maßnahmen, so entließ er am 2. Juli 2011 den Gouverneur der Provinz Hama, nachdem bereits die Gouverneure in den Provinzen Daraa und Homs hatten gehen müssen. Am 08. Juli 2011 demonstrierten in mehreren Städten Syriens (u.a. in Hama und Damaskus) erneut Hunderttausende, wobei mindestens 15 Personen erschossen worden sein sollen, rund 200 Menschen sollen an dem Wochenende verhaftet worden sein.
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Am 22. Juli 2011 und dem nachfolgenden Wochenende setzten sich die Demonstrationen fort; in Damaskus, Homs und Hama gingen Hunderttausende auf die Straße und wurden von den Truppen bekämpft. In Damaskus soll die Armee in einigen Stadtteilen Straßensperren errichtet haben, Hunderte sollen festgenommen worden sein. In Hama sollen 650.000 Menschen demonstriert haben, in Deir al-Zor ca. eine halbe Million, auch in Latakia, Homs, Daraa, Vororten von Damaskus und in zahlreichen kurdischen Orten sollen große Proteste stattgefunden haben. In Homs sollen vom 18. Juli bis 23. Juli 2011 durch Beschuss von Wohnvierteln und Scharfschützen auf den Dächern mindestens 50 Personen getötet worden sein. Auch in den Kurdengebieten soll es Auseinandersetzungen gegeben haben. Präsident Assad kündigte ein Mehrparteiensystem an, die Parteiprogramme dürften jedoch keine Sonderstellung einzelner Religionsgruppen oder Ethnien beinhalten.
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Nachdem die Stadt fast einen Monat belagert worden war, begannen am Morgen des 31. Juli 2011 syrische Truppen mit einer Militäroffensive gegen die Stadt Hama. Spezialisten kappten zunächst die Strom- und Wasserversorgung, danach sollen Panzer in Wohngebieten und Scharfschützen auf Dächern nach Augenzeugenberichten auf alles gefeuert haben, was sich bewegte. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Angriffen mit Panzern, u. a. in Harak, in der südlichen Provinz Daraa, in Deir al-Zor und einem Vorort von Damaskus, landesweit soll es mindestens 140 Tote gegeben haben. Der syrische Präsident Assad verteidigte das Vorgehen als Reaktion auf eine Verschwörung mit dem Ziel der Zerschlagung Syriens.
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Die syrische Regierung erließ laut Meldung vom 25. Juli 2011 ein neues Parteiengesetz, das die freie Gründung von politischen Parteien gestattet, wenn sie sich nicht auf konfessioneller, ethnischer, clanmäßiger, regionaler oder berufsständischer Grundlage befinden. Neue Parteien, die mindestens 1.000 Mitglieder haben müssen, müssen die geltende Verfassung (und damit die „führende Rolle“ der Baath-Partei) respektieren und die Gründung muss von einem Komitee des Justizministeriums genehmigt werden. Auch Wahlgesetze wurden im August 2011 in Kraft gesetzt. Die Opposition lehnte die Gesetze jedoch ab und forderte weiterhin den Rücktritt des Präsidenten und echte politische Reformen in Syrien. Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan am 01. August 2011 verstärkte der syrische Präsident die Offensive gegen Regimegegner, wobei es täglich zu weiteren Demonstrationen kam, in deren Verlauf es jeweils zu zahlreichen Todesopfern kam. Am 14. August 2011 griffen syrische Sicherheitskräfte von Kanonenbooten aus mehrere Bezirke der Stadt Latakia an, gleichzeitig stürmten Bodentruppen einige Viertel der Stadt. Mindestens 26 Zivilisten sollen dabei nach Angaben der Syrischen Nationalen Organisation für Menschenrechte getötet worden sein, darunter eine Zweijährige. Angegriffen wurde auch ein Viertel mit einem palästinensischen Flüchtlingslager, aus dem Tausende flohen. Am 20. August 2011 rückte die syrische Armee erneut in Homs ein, obwohl der syrische Präsident dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gegenüber am 18. August 2011 versichert hatte, die Militäroffensive sei beendet. Am 21. August 2011 lehnte Präsident Assad Rücktrittsforderungen ab und warnte vor einer ausländischen Intervention. Er kündigte eine Verfassungsreform und Neuwahlen im Februar 2012 an.
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Nach UN-Informationen sollen seit Beginn der Proteste gegen das Assad-Regime im März bis Anfang September 2011 2.600 Menschen getötet worden sein, die meisten von ihnen friedliche Demonstranten. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sollen außerdem mehr als 70.000 Menschen festgenommen worden sein, von denen zum damaligen Zeitpunkt noch 15.000 in Haft gewesen seien.
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Nach der Ermordung des bekannten kurdischen Oppositionspolitikers Mishaal Tammo am 7. Oktober 2011 nahmen an seinem Trauerzug am 08. Oktober 2011 in Qamishli ca. 50.000 Personen teil, so viele wie nie zuvor in den kurdischen Regionen in Syrien. Syrische Sicherheitskräfte sollen in die Menge gefeuert haben, mindestens zwei Personen sollen getötet worden sein. Für die Ermordung Tammos wurde von Beobachtern das syrische Regime verantwortlich gemacht. Aufgrund der Ermordung Tammos wurden am Wochenende (08.10./09.10.2011) syrische Botschaften im Ausland angegriffen, u.a. in London, Berlin und Wien, wobei erheblicher Sachschaden entstand. Auch die syrische UNO-Mission in Genf wurde am 08. Oktober 2011 von kurdischen Syrern attackiert, es kam zu fünf Festnahmen. In Berlin stürmten rund 30 Demonstranten die Botschaft, in Wien wurden elf Personen festgenommen. Auch das Gebäude des syrischen Honorarkonsulats in Hamburg wurde in der Nacht zum 09. Oktober 2011 von 30 Regimegegnern gestürmt.
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Am 27. Oktober 2011 begann die syrische Armee damit, an der Grenze zum Libanon in der Provinz Homs und in mindestens einem weiteren Landesteil Minen zu verlegen. Die syrischen Behörden gaben an, den Waffenschmuggel aus dem Libanon damit eindämmen zu wollen, während es auch als Zeichen dafür gewertet werden kann, dass die syrische Regierung verhindern wollte, dass der Libanon ein Rückzugsgebiet für die syrische Opposition wird. Obwohl die syrische Regierung dem Friedensplan der Arabischen Liga, der u. a. den Rückzug des Militärs aus den syrischen Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen vorsieht, am 2. November 2011 zugestimmt hatte, wurde von den syrischen Truppen weiterhin mit Gewalt gegen Aktivisten vorgegangen. Soldaten feuerten auf Gläubige, die zu Beginn des Opferfestes die Moscheen verließen, um gegen das syrische Regime zu protestieren. Besonders betroffen war der Norden des Landes.
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Nach der Zustimmung Syriens zum Friedensplan der Arabischen Liga am 2. November 2011 verschärfte das Regime sein Vorgehen gegen die Demonstranten. Im Anschluss sollen innerhalb von zwei Wochen mehr als 250 Menschen getötet worden sein, allein in Homs über 104. Es wurde befürchtet, dass der November 2011 zum „blutigsten Monat“ seit Beginn der Proteste im März werden könnte. Die Anzahl der bei den Unruhen Getöteten soll Anfang November nach Schätzungen der Vereinten Nationen bei mehr als 3.500 Personen gelegen haben. Am 2. Dezember 2011 untersagte die syrische Regierung den Bürgern die Nutzung von iPhone-Mobiltelefonen, um zu verhindern, dass Videos ins Internet gestellt werden.
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Ein Aufruf zum Generalstreik am 11. Dezember 2011, mit dem die Opposition in Syrien den Druck auf das Regime verstärken wollte, soll in vielen Städten befolgt worden sein, u. a. blieben in den Provinzen Daraa und Idlib und in den Städten Homs und Harasta viele Geschäfte geschlossen. Es soll Gefechte in Idlib und Daraa gegeben haben. Die Opposition forderte auch zu einem Boykott der für den 12. Dezember 2011 geplanten Kommunalwahlen auf. Am 12. Dezember 2011 gab die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Pillay an, dass durch das gewaltsame Vorgehen der syrischen Regierung die Zahl der ums Leben gekommenen Personen auf mehr als 5.000, darunter mindestens 300 Kinder, angewachsen sei.
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Bei zwei Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Damaskus wurden am 23.Dezember 2011 nach offiziellen Angaben 44 Menschen getötet und 166 verletzt. Die Sicherheitskräfte begannen mit einer groß angelegten Suche nach den Tätern. Es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Die Regierung erklärte, dass es sich bei den Unruhen im Land nicht um einen Volksaufstand, sondern um das Werk von Terroristen handele.
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Die Arabische Liga entsandte eine erste offizielle Beobachtermission mit zunächst mehr als 50 Beobachtern am 26. Dezember 2011 nach Syrien.
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In einer Rede am 10. Januar 2012 stellte der syrische Präsident Assad erneut Reformen in Aussicht, u. a. kündigte er für März ein Referendum über eine neue Verfassung an, und führte die Proteste im Land auf eine „internationale Verschwörung“ und auf ausländische Einmischung zurück. Er kritisierte auch die Arabische Liga und die Golfstaaten. Nach dem öffentlichen Auftritt Assads nahmen die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Regimegegnern zu. Am 15. Januar 2012 erließ Präsident Assad eine Generalamnestie für die seit Beginn der Protestwelle begangenen Straftaten, von der friedliche Demonstranten, inhaftierte Besitzer nicht registrierter Waffen, diejenigen, die ihre Waffen bis Ende Januar abgeben, und Deserteure betroffen sein sollen, die sich bis Ende Januar selbst stellen.
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Ende Januar 2012 unterbrach die Arabische Liga nach etwas über einem Monat ihre Beobachtermission in Syrien, deren erklärtes Ziel die Beendigung der Gewalt im Land war. Mitglieder der Mission gaben unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Syrien ab, einige beendeten ihre Teilnahme sogar vorzeitig (Zeit Online vom 30.01.2012).
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Ein weiterer Versuch, im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Verurteilung der Gewalt in Syrien zu verabschieden, scheiterte bei der Abstimmung am 4. Februar 2012 am Veto Russlands und Chinas. Der Resolutionsentwurf war zuvor schon abgeschwächt worden, um ein Veto zu verhindern. Westliche Staaten und der oppositionelle Syrische Nationalrat verurteilten das Verhalten der beiden Vetomächte scharf (Zeit Online vom 04.02.2012).
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Der 4. Februar 2012 wurde zudem zu einem der bisher blutigsten Tage in Syrien, als die syrische Armee die Stadt Homs bombardierte. Nach verschiedenen Angaben von Aktivisten wurden dabei 55 – 200 Menschen getötet. Seit dem 4. Februar 2012 befand sich die Stadt unter kontinuierlicher Bombardierung (Zeit Online vom 08.02.2012).
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Nach der ersten Beobachtermission der Arabischen Liga trat deren Leiter General al-Dabi am 12. Februar 2012 zurück. In seinen Berichten über die Arbeit der Beobachter in Syrien hatte er die erfolgreiche Mitarbeit der syrischen Behörden gelobt und darauf verwiesen, dass bewaffnete Extremisten und Söldner gegen die syrischen Militärs vorgingen (Zeit Online vom 12.02.2012).
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Am 15. Februar 2012 kündigte die syrische Regierung ein Verfassungsreferendum für den 26. Februar 2012 an. Die neue Verfassung solle die Gründung von Parteien vereinfachen. Gleichzeitig bombardierte die Regierung nach Angaben von Oppositionellen die Stadt Homs. In Damaskus kam es am 18. Februar 2012 zu einer großen Demonstration, die sich aus einem Begräbnis von Toten des Vortages entwickelte. Es handelte sich um eine der größten Demonstrationen in Damaskus seit Beginn des Aufstandes. Auch diese Demonstration wurde durch Sicherheitskräfte beschossen (Zeit Online vom 19.02.2012).
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Am 24. Februar 2012 wurde bekanntgegeben, dass der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde, der zwischen den Oppositionellen und der Regierung vermitteln soll. Am selben Tag erhielten Nothelfer des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds erstmals Zugang nach Homs, um Verletzte sowie Frauen und Kinder zu versorgen bzw. zu evakuieren. Die Rettungseinsätze wurden am 26. Februar 2012 - nach erfolglosen Verhandlungen über einen sicheren Korridor zur Evakuierung von Verletzten aus Homs - wieder eingestellt (Zeit Online vom 29.02.2012).
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Das nur 10 Tage zuvor angekündigte Referendum über eine neue Verfassung fand am 26. Februar 2012 statt. Die Opposition hatte zuvor zum Boykott des Referendums aufgerufen (Zeit Online vom 27.02.2012).
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Erstmals wurden auch Flüchtlinge auf türkischen Boden nahe der Grenze von syrischen Soldaten getötet (Zeit Online vom 09.04.2012). Am 21. April 2012 sprach sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Resolution 2043 einstimmig dafür aus, die Zahl der Beobachter von 30 auf 300 zu erhöhen. Diese sollten jedoch erst nach Syrien reisen, wenn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Waffenruhe als hinreichend stabil bewertet. Bei den Beobachtern im Rahmen der United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS) handelt es sich durchweg um unbewaffnete Soldaten, die den Waffenstillstand zwischen den Truppen Assads und den Oppositionellen überwachen sollen. Zuvor hatten in der ersten Feuerpause seit mehreren Wochen internationale Beobachter die Stadt Homs besucht (Zeit Online vom 21.04.2012).
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Ungeachtet der Entsendung der UN-Beobachter kam es zu Bombenanschlägen in Aleppo und Damaskus. Bei einer Doppelexplosion in der Hauptstadt Damaskus starben am 10. Mai 2012 70 Menschen. Es war der schwerste Anschlag seit dem Ausbruch der Proteste im März 2011 (Zeit Online vom 10.05.2012).
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Nachdem es am 25. Mai 2012 zunächst zu Schusswechseln zwischen Regierungstruppen und Aufständischen gekommen war, beschossen die Truppen des Regimes die Siedlung Taldo bei Hula in der Provinz Homs mit Artillerie. UN-Beobachter bestätigten den Tod von 116 Menschen, darunter mindestens 32 Kinder, sowie die Zahl von etwa 300 Verletzten. Syriens Regierung wies Beschuldigungen zurück, dass das Massaker von der Armee verübt worden sei. Das syrische Außenministerium gab an, „Hunderte von Kämpfern“ hätten angegriffen und dabei „schwere Waffen wie Granatwerfer, Maschinengewehre und Panzerabwehrraketen verwendet, die seit Neuestem in der Konfrontation mit den staatlichen Sicherheitskräften eingesetzt“ würden (Zeit Online vom 26.05. und 28.05.2012).
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Am 29. Mai 2012 wiesen mehrere Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und die Vereinigten Staaten den jeweils ranghöchsten syrischen Diplomaten aus Protest gegen das Massaker in Hula aus (Zeit Online vom 29.05.2012).
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Am 3. Juni 2012 sprach Assad erstmals nach dem Massaker von Hula vor dem syrischen Parlament. Er sagte Syrien befinde sich in einem echten Krieg und er würde die „Schlacht gegen Terroristen“ fortsetzen. Als Reaktion auf die Ausweisung syrischer Diplomaten aus zahlreichen Staaten Ende Mai wurden zahlreiche westliche Diplomaten am 5. Juni 2012 des Landes verwiesen (Zeit Online vom 03.06 und 05.06.2012).
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Am 7. Juni 2012 berichteten Oppositionsgruppen über ein Massaker im Dorf Al-Kobir welches sich in der Provinz Hama befindet. UN-Beobachter, die sich auf dem Weg nach Al-Kobir befanden, wurde die Weiterfahrt seitens der Regierungstruppen untersagt. Berichten zufolge gerieten sie unter Beschuss (Zeit Online vom 07.06.2012). Aufgrund der anhaltenden Gewalt wurde die UN-Beobachtermission am 16. Juni 2012 ausgesetzt (Zeit Online vom 16.06.2012).
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Anfang Juli 2012 hat der syrische Präsident neue sog. Anti-Terror-Gesetze erlassen. Gründer oder Führer einer terroristischen Vereinigung müssen demnach mit bis zu 20 Jahren Zwangsarbeit rechnen. Die Strafe könne aber noch härter ausfallen, sollte es das Ziel sein, die Regierung oder die Staatsform zu ändern, hieß es. Mitgliedern einer Terrorgruppe drohen bis zu sieben Jahre Haft. Werden bei den begangenen Taten Menschen verletzt oder getötet, kann zudem die Todesstrafe verhängt werden. Die Unterstützung von Terrorgruppen mit Geld, Waffen oder Kommunikationsmitteln kann mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft werden (Zeit Online vom 02.07.2012).
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Ein weiteres, eine Verfolgungsgefahr begründendes Moment ist darin zu sehen, dass die syrischen Behörden insbesondere seit Beginn des Jahres 2012 vergleichsweise geringfügige Umstände ausreichen lassen, damit ein Betroffener in den Verdacht einer oppositionellen Haltung gerät und damit der reellen Gefahr von Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des Artikel 9 QRL ausgesetzt ist.
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So heißt es schon in dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Februar 2012, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt haben, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition werden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr werden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft, d.h. Sicherheitskräfte und Schabihha-Milizen gehen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig werden auch Scharfschützen eingesetzt, die wahllos auf Menschen schießen. Glaubhaften Informationen syrischer Menschenrechtsverteidiger zufolge komme es auch zur Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. In den letzten Monaten haben zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches zu ihrem eigenen Schutz auf legalem oder illegalem Weg auf Grund der Bedrohungslage Syrien verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen werden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 wurde ein neues Mediengesetz erlassen, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch habe sich nach Auffassung des Auswärtigen Amtes die Pressefreiheit jedoch nicht verbessert. Der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit habe sich in den letzten Monaten vielmehr stark verringert: Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchen, werden verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (von Februar 2012 an gerechnet) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden. Internetnutzung wird mit ausgefeilter Software überwacht und reguliert. In Regionen und Stadtteilen, in denen Operationen von Sicherheit und Militär liefen, werden Internet- und Telekommunikationsverbindungen oft tagelang abgestellt. In dem Lagebericht wird ausgeführt, dass obwohl die syrische Verfassung und das syrische Strafrecht Folter verbiete und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 ratifiziert hat, Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwenden. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, sind ebenfalls einem hohen Folterrisiko ausgesetzt. Seit März 2011 sind zahlreiche Fälle von Tötungen im Gewahrsam der Sicherheitsdienste belegt. Offizielle Angaben zu Todesfällen in Folge von Gewaltanwendung in syrischen Haftanstalten gibt es nicht. Es bestehen nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes keine Möglichkeiten einer effektiven strafrechtlichen Verfolgung von Folter oder anderen kriminellen Handlungen durch Sicherheitskräfte. Bereits vor März 2011 habe es Hinweise dafür gegeben, dass Personen, die sich über die Behandlung durch Sicherheitskräfte beschwerten, Gefahr liefen, dafür strafrechtlich verfolgt zu werden. Vieles deutet nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Schabihha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten.
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Amnesty international hat in dem Bericht vom 14. Juni 2012 („Deadly Reprisals: Deliberate killings and other abuses by Syria´s armed forces“) nicht nur die zunehmend massiver werdende Anwendung von militärischer Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, sondern auch bestimmte Muster von politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen geschildert. Die Maßnahmen der syrischen Armee und der regimetreuen Milizen richten sich in erster Linie gegen Ortschaften, in denen aus Sicht der Regierung oppositionelle Personen leben oder dies nur vermutet wird. Die Aktionen beginnen in der Regel so, dass zunächst mit Artillerie und Gewehrfeuer in die Orte geschossen wird. Ist aus Sicht der Regierungseinheiten nicht mehr mit nennenswertem Widerstand zu rechnen, gehen reguläre Soldaten und Milizionäre von Haus zu Haus, brennen die Häuser nieder und töten häufig wahllos die Einwohner. Nach Einschätzung der Regierungstruppen ist allein der Umstand, dass Personen in einem Ort leben, in denen Oppositionelle vermutet werden, Grund für eine willkürliche Verhaftung oder Ermordung (S. 9 und 11 f. des Berichts). Anlass für Verhaftung und Ermordung kann auch das Tragen von Kleidungsstücken sein, welche aus Sicht der Regierungseinheiten bevorzugt von den bewaffneten Oppositionsgruppen getragen werden (Bericht, S. 17).
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Auch in dem Bericht des United Nations High Commissioner for Human Rights (Bericht zur Lage in Syrien vom 24. Mai 2012) wird geschildert, dass Anknüpfungspunkt für eine auf der Vermutung der oppositionellen Haltung beruhende Verhaftung, Folter und Bestrafung bereits der Umstand sein kann, dass eine Person in unmittelbarer Nachbarschaft oder in einem Ort lebt, in dem sich Personen aufhalten sollen, die gegen die syrische Regierung eingestellt sind (dort Randziffer 10). Ferner wird in dem Bericht der Fall eines Mannes geschildert, der allein aufgrund des Umstandes, dass er eine größere Menge Geld besaß, unter dem Verdacht der oppositionellen Haltung und des Waffenschmuggels zugunsten der bewaffneten Rebellengruppierungen festgenommen und gefoltert wurde (dort Randziffer 13).
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Human Rights Watch schildert bereits in seinem im Dezember 2011 erschienenen Bericht „By all means necessary!“ die Verhaftung und Folter von Rechtsanwälten und Journalisten, welche die Proteste unterstützen, aber auch von Ärzten und Pflegepersonal, welche verdächtigt wurden, verletzte Demonstrationen in Privathäusern oder provisorischen Feldlazaretten versorgt zu haben (Bericht S. 16 und 51). Ausreichend für eine Verhaftung und anschließende Foltermaßnahmen in der Region Hama waren bereits „verdächtige Blicke“ und „freche“ Antworten gegenüber Soldaten (Bericht S. 45).
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In dem im Juli 2012 erschienenen Bericht von Human Rights Watch „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen ausgeführt, dass Ziel der Folter in den z. T. provisorischen Hafteinrichtungen der staatlichen Stellen nicht die Gewinnung von Informationen, sondern die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch in diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen von Inhaftierten geschildert, welche jeweils Foltermaßnahmen nach sich gezogen haben. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, welcher in einem Verhör die bei den Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin Elektroschocks erhielt. Diese Maßnahme wurde erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer, sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.
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Der Senat geht bei einer Gesamtschau davon aus, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt.
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Der Auffassung der Beklagten, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer politischen Verfolgung allein wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Aufenthalts im Ausland könne bei der erforderlichen Anwendung der anzuwendenden Maßstäbe mangels Referenzfällen nicht festgestellt werden, berücksichtigt nicht hinreichend die aktuelle Situation seit Erlass des Abschiebungsstopps im Frühjahr 2011. Wenn Asylsuchende abgeschoben würden, wäre tatsächlich die Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Syrien allein anknüpfend an die vorgenannten Aspekte nach den oben dargestellten Kriterien für die Feststellung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Die Beklagte selbst hat jedoch in Reaktion auf die eskalierende Lage in Syrien die Möglichkeit der Feststellung solcher Referenzfälle verhindert, indem sie mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28. April 2011 an die Länderinnenverwaltungen geraten hat, von Abschiebungen nach Syrien vorläufig abzusehen. Sonstige Erkenntnismöglichkeiten zur Frage der Behandlung von Rückkehrern durch Auskünfte anderer Stellen sieht die Beklagte offenkundig auch nicht. Ebenso bestätigt das Auswärtige Amt, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorliegen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg vom 02.11.2011). Die Gefahrendichte ist also nicht mangels hinreichender Referenzfälle zu verneinen, vielmehr kann sie nur nicht durch Referenzfälle nachgewiesen werden, weil die deutschen wie auch andere europäische Behörden Abschiebungen nach Syrien zur Zeit nicht vornehmen (so ausdrücklich zur Gefahr der Folter im Rahmen von Verhören: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, juris). Der Senat hat daher auf der Basis der vorgenannten Erkenntnisse und allgemeinkundigen Tatsachen festgestellt, dass eine flüchtlingsrechtlich relevante Gefahrendichte gegeben ist und insofern die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung für den Kläger besteht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 VwGO) sind nicht gegeben.
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 1) und 2) die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Der Kläger zu 3) trägt die Kosten seines Verfahrens, im Übrigen trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger, syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ...1981 geborene Kläger zu 1), die am ...1991 geborene Klägerin zu 2) und der am ...2014 geborene Kläger zu 3) reisten nach eigenen Angaben am
Im Übrigen wird auf die aufgenommenen Niederschriften Bezug genommen.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt)
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 21.4.2016 erhoben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, die Kläger seien von Mitbewohnern in H., die Anhänger des Regimes von Staatschef Assad gewesen seien, bedroht und zur Flucht aufgefordert worden. Des Weiteren habe eine konkrete Gefahr durch die syrische Armee bestanden, die H. belagert und beschossen habe. Aus diesen Gründen seien die Kläger aus Syrien geflohen. Unabhängig von einer etwaigen Vorverfolgung und sonstigen Vorfluchtgründen sei aufgrund der innenpolitischen Situation in Syrien den Klägern die Flüchtlingseigenschaft wegen beachtlicher Nachfluchtgründe zuzuerkennen. Syrischen Staatsangehörigen drohten wegen illegaler Ausreise aus ihrem Heimatland, der Asylantragstellung und ihrem längerfristigen Aufenthalt im westlichen Ausland bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an eine tatsächliche oder vermutete politische Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen (Einzelverfolgung nach Gruppenmerkmalen), da die genannten Handlungen vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung aufgefasst würden.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid der Beklagten
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid,
die Klage abzuweisen.
Mit Schriftsätzen vom
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Gründe
Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO. Die Kläger verzichteten mit Schriftsätzen ihrer Bevollmächtigten vom
Die zulässige Klage der Kläger zu 1) und 2) ist begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt die Kläger zu 1) und 2) in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Diese haben im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Die zulässige Klage des Klägers zu 3) ist dagegen unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist hinsichtlich des Klägers zu 3) rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten. Dem Kläger zu 3) steht im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
I.
Die Klage der Kläger zu 1) und 2) ist begründet.
Die Kläger zu 1) und 2) haben Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie sich nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen ihrer vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befinden, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Sie haben Syrien zwar nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihnen jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter folgenden Voraussetzungen vor (BVerwG
„Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50% Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50% für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert
1. Die Kläger zu 1) und 2) sind zwar nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
Eine Verfolgung durch den syrischen Staat und/oder durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG wegen eines der oben genannten Gründe haben sie weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG
Die Kläger trugen lediglich vor, sie hätten Syrien wegen des Krieges verlassen. Sie seien von Mitbewohnern in H. bedroht und zur Flucht aufgefordert worden. Ihr Wohnort sei bombardiert worden, es habe Häuserkämpfe gegeben, auch ihr Familienhaus sei verbrannt. Es sei gefährlich, auf den Straßen zu laufen, man wisse nicht, ob einen eine Bombe treffe. Wenn sie in Syrien geblieben wären, wäre der Kläger zu 1) zum Militär eingezogen worden; er wolle aber nicht kämpfen.
Eine politische Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG wurde damit nicht schlüssig dargelegt. Die Kläger haben wegen des Krieges in Syrien ihr Heimatland verlassen. Sie gaben selbst an, weder mit der Regierung noch mit der Opposition etwas zu tun gehabt zu haben. Gegen die Kläger gerichtete Verfolgungshandlungen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sind ihrem Vorbringen nicht zu entnehmen.
2. Den Klägern zu 1) und 2) droht jedoch bei einer Rückkehr in ihre Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
a. Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen davon aus, dass der syrische Staat gegenwärtig das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (so auch z. B. VG Köln
Diese Beurteilung rechtfertigt sich nach wie vor aus der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebestopps im April 2011 aus Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, der umfassenden Beobachtung syrischer Staatsangehöriger im Ausland durch die syrischen Geheimdienste, der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit dem März 2011 und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus ihrer Sicht verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (vgl. VG Augsburg
Hinsichtlich der Behandlung der aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen fehlt es zwar für die letzten Jahre an belastbaren Zahlen der Rückkehrer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011/2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge abgeschoben wurden. Bis vor kurzer Zeit entsprach es der Praxis der Beklagten, syrischen Flüchtlingen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen, so dass keine Abschiebungen erfolgten. Dies gilt auch im Hinblick auf die mittlerweile stärker verbreitete Entscheidungspraxis der Beklagten, Syrern nur noch den subsidiären Schutzstatus zu gewähren. Die Beurteilung der im Falle einer Rückkehr drohenden Verfolgung und ihres Charakters kann daher nach wie vor nur im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Meiningen
b. Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas entscheidend zum Besseren geändert hat. Die Beklagte ist weder in dem streitgegenständlichen Bescheid noch im gerichtlichen Verfahren auf eine - mögliche - Gefährdung der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien eingegangen. Eine (vertiefte) Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation in Syrien fehlt. Stichhaltige Argumente, die zur Überzeugung des Gerichts eine - teilweise - Abkehr von der bisherigen Entscheidungspraxis der grundsätzlichen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den in den vergangenen Monaten zunehmenden Übergang auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht.
Die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen hat nicht zur Folge, dass der einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg entwickelten Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen Mitteln zu begegnen ist. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Stuttgart
Hinzu kommt, dass die Situation der Flüchtlinge, die in die Nachbarländer Syriens geflohen sind, nicht mit der von aus dem westlichen Ausland und Deutschland zurückgeführten Syrern vergleichbar ist, die bereits zahlenmäßig deutlich in der Minderzahl sind. Bei einer Rückführung letzterer über den von den syrischen Regierungskräften kontrollierten Flughafen in Damaskus bedarf es für eine Befragung mit der Gefahr anschließender Folterung durch Mitarbeiter der verschiedenen Geheimdienste keiner großen Ressourcen (vgl. VG Hannover
Diese Einschätzung wird durch die aktuellen Erkenntnisquellen bestätigt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht möglich, seine Lageberichte, wie üblich, in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren. Der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien datiert vom 27. September 2010, also vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen. Seitdem hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft AA an BAMF vom 8.3.2012).
Zwar lägen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse dazu vor, dass ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Rückkehrer nach Syrien Übergriffe/Sanktionen zu erleiden hätten. Allerdings seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien (vgl. Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016). Dies stehe überwiegend im Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Nach einer nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes verlässlichen Studie des „Danish Immigration Service“ vom September 2015 würden desertierten Syrern Militärtribunale, Folter, lebenslange Haft oder Hinrichtung drohen. Werde der Deserteur mit Oppositionsgruppierungen in Verbindung gebracht, bestehe laut dieser Studie für die Familie das Risiko von Sippenhaft. Bezüglich der Motivation zur vermehrten Ausstellung syrischer Pässe durch Stellen innerhalb Syriens, aber auch durch die syrischen Auslandsvertretungen, weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass sich die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert habe. Hierauf würden damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit Russland und dem Iran, die steigende Inflation, der Verfall der Infrastruktur, sowie der Verlust von Wirtschaftsräumen hindeuten. Es sei zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen syrischen Staatshaushalt zugute kämen.
Wie sich den „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ (3. aktualisierte Fassung) vom Oktober 2014 entnehmen lässt, hat sich die Lage in Syrien seit der zweiten aktualisierten Fassung vom Oktober 2013 im Hinblick auf Sicherheit, Menschenrechte, Vertreibung und Bedarf an humanitärer Hilfe weiter verschlechtert. Fast alle Teile des Landes seien zum jetzigen Zeitpunkt in Gewalt verstrickt, wobei die Gewalthandlungen zwischen verschiedenen Akteuren mit teilweise überlappenden Konflikten ausgetragen und durch die Beteiligung ausländischer Kämpfer auf allen Seiten verschärft würden. Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und einer Vielzahl bewaffneter oppositioneller Gruppen würden unvermindert fortgesetzt.
Die aktuellen UNHCR-Erwägungen vom November 2015 (4. aktualisierte Fassung) führen aus, dass der Konflikt mit unverminderter Intensität fortgesetzt werde. Er sei mit verheerenden Konsequenzen für die syrische Bevölkerung, einschließlich einer steigenden Zahl ziviler Opfer, interner und externer Vertreibung in großem Maßstab und einer humanitären Krise von bislang unbekanntem Ausmaß verbunden. Die meisten Hauptstädte der Gouvernements (ausgenommen Raqqa und Idlib) einschließlich der Hauptstadt Damaskus sowie die Küstengebiete der Gouvernements Latakia und Tartus stünden weiterhin unter der teilweisen oder vollständigen Kontrolle der syrischen Streitkräfte. Diese hätten jedoch Berichten zufolge im Laufe des vergangenen Jahres strategisch wichtige Standorte und militärische Stellungen in einigen Gouvernements verloren. In jüngerer Zeit hätten Berichten zufolge Regierungskräfte mit zunehmender Unterstützung von Verbündeten aus dem Ausland eine größere Militäroffensive an mehreren Fronten gestartet, um verlorene Gebiete zurückzuerobern.
Nach Einschätzung des UNHCR sei es wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllten, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK hätten. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Im Lichte der immer schwierigeren Sicherheits- und Menschenrechtslage und humanitären Situation in Syrien und einer fehlenden politischen Lösung zum jetzigen Zeitpunkt begrüße der UNHCR die Tatsache, dass viele Regierungen Maßnahmen ergriffen hätten, um die zwangsweise Rückführung von syrischen Staatsangehörigen oder Personen mit gewöhnlichen Aufenthaltsort in Syrien auszusetzen, einschließlich solcher Personen, deren Asylanträge abgelehnt worden seien. Derartige Maßnahmen sollten bis auf weiteres aufrechterhalten werden.
Das Gericht teilt die Einschätzung des UNHCR, dass sich die Lage in Syrien im Vergleich zu den Jahren 2012/2013 verschlechtert hat. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11), auch wenn das Gericht an die rechtliche Beurteilung des UNHCR nicht gebunden ist.
Nach den Erkenntnissen von Amnesty International halten die staatlichen Sicherheitskräfte nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft (vgl. Amnesty Report 2016). Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, seien „verschwunden“ geblieben. Unter ihnen hätten sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden seien, befunden. Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste seien auch im Jahr 2015 weit verbreitet gewesen und würden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen im Gewahrsam geführt habe. Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, seien von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen worden. Viele von ihnen hätten lange Zeiträume in Untersuchungshaft verbracht, wo sie gefoltert oder anderweitig misshandelt worden seien. Nach der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. April 2015 wurden die von Baschar al Assad erlassenen Amnestien nur mangelhaft und willkürlich umgesetzt.
c. Das Gericht teilt nicht die Auffassung, dass unverfolgt ausgereiste Rückkehrer nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr politisch verfolgt werden (so aber z. B. VG Düsseldorf
d. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht den Klägern zu 1) und 2) nicht zur Verfügung, da sie bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen können, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
e. Schließlich scheidet die Flüchtlingsanerkennung auch nicht aus anderen Gründen, wie z. B. dem Alter der Kläger zu 1) und 2), aus. Es besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Rückkehr nach Syrien staatliche Verfolgung erleiden werden, weil sie die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden nicht widerlegen werden können.
II.
Dem Kläger zu 3) steht dagegen kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
a. Der Kläger zu 3) wurde erst nach der Ausreise seiner Eltern aus Syrien geboren. Er ist demnach nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist.
b. Auch droht dem Kläger zu 3) bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung. Bei dem Kläger zu 3) handelt es sich um ein - im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - 21 Monate altes Kleinkind. Da der Kläger aufgrund seines geringen Alters noch nicht in der Lage ist, eine politische Überzeugung zu bilden, kann bei ihm - anders als bei den Klägern zu 1) und 2) - nicht angenommen werden, dass sein Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst wird und er wegen einer vermuteten politischen Überzeugung im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen hat.
c. Der Kläger zu 3) hat derzeit auch keinen Anspruch auf internationalen Schutz für Familienangehörige gemäß § 26 Abs. 5 AsylG, da dieser voraussetzt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei seinen Eltern unanfechtbar ist. Die im vorliegenden Urteil ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Klägern zu 1) und 2) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist jedoch noch nicht unanfechtbar. Sobald die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten der Kläger zu 1) und 2) unanfechtbar geworden ist, kann der Kläger zu 3) einen auf § 26 Abs. 5 AsylG gestützten Folgeantrag stellen, sofern ihm die Flüchtlingseigenschaft dann nicht ohnehin von Amts wegen zuerkannt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 ff ZPO.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.
(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er
- 1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und - 2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.