Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2015 - W 4 K 15.441

bei uns veröffentlicht am10.11.2015

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg

Nr. W 4 K 15.441

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 10. November 2015

4. Kammer

Sachgebiets-Nr: 920

Hauptpunkte:

Nutzungsuntersagung eines bordellartigen Betriebs; erneute Zwangsgeldandrohung; nicht bestandskräftiger Grundverwaltungsakt;

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: ...

gegen

Stadt Sch.,

vertreten durch den Oberbürgermeister, M. ..., Sch.,

- Beklagte -

beteiligt:

Regierung von ..., Vertreter des öffentlichen Interesses, W,,

wegen Nutzungsuntersagung,

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, 4. Kammer, durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Strobel, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Hetzel, den Richter Kreiselmeier, den ehrenamtlichen Richter St., den ehrenamtlichen Richter K. aufgrund mündlicher Verhandlung am 10. November 2015

folgendes Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

1.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ...07 der Gemarkung Sch. (D. Straße 10). Es liegen mehrere Gewerbeanmeldungen vor, u. a. eine Gewerbeanmeldung vom 12. Juni 2014 für den Betrieb von Wellnesseinrichtungen und gewerbliche Zimmervermietung, zuletzt eine Gewerbeanmeldung vom 1. April 2015 für einen Massagesalon. Das Gewerbe an dieser Adresse wurde im Internet unter anderem beworben mit „Haus L. - Bordell- und Escortservice in Sch.“, zuletzt mit „Massage L.

Mit Bescheid vom 13. November 2014, geändert durch Bescheid vom 18. Dezember 2014, untersagte die Beklagte der Klägerin die Nutzung des Wohnhauses auf dem Grundstück D. Straße 10, Fl.Nr. ...07, Gemarkung Sch., zum Zwecke der Prostitution; sie sei innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung des Bescheids aufzugeben (Nr. I des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nr. I des Bescheids wurde angeordnet (Nr. II des Bescheids). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR angedroht (Nr. III des Bescheids).

Gegen diese Bescheide ließ die Klägerin Klage erheben (Az. W 4 K 14.1300). Der gleichzeitig gestellte Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. Januar 2015 (Az. W 4 S 14.1301) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. April 2015 (Az. 9 CS 15.394) zurück. Wegen der Begründung wird auf die Beschlüsse vom 29. Januar 2015 und 7. April 2015 verwiesen.

Auf Anfrage der Beklagten zu einer möglichen Einstellung des Bordellbetriebs erfolgten am 15. April 2015 und am 24. April 2015 Kontrollen durch Beamte der Kriminalinspektion Sch. Beide Male wurden nach Aussage der Beamten eine Hausdame sowie zwei Prostituierte im Anwesen D. Straße 10, Sch., angetroffen.

2. Mit Bescheid vom 15. April 2015 drohte die Beklagte der Klägerin ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 30.000,00 EUR an, falls die Klägerin der unter Ziffer I des Bescheids der Stadt Sch. vom 13. November 2014, geändert durch Bescheid der Stadt vom 18. Dezember 2014, enthaltenen Pflicht zur Aufgabe der Nutzung des Anwesens D. Straße 10 in Sch. nicht innerhalb von zwei Tagen nach Zustellung des Bescheids nachkomme. Zur Begründung des Bescheids wurde geltend gemacht, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der zwangsgeldbewehrten Nutzungsuntersagung zu Recht erfolgt sei, so dass die beanstandete Nutzung unverzüglich aufzugeben sei. Eine am 15. April 2015 erfolgte Kontrolle durch die Beklagte habe ergeben, dass der Nutzungsuntersagung nicht Folge geleistet worden sei. Die erneute Androhung eines Zwangsgelds sei zulässig und geboten, da die vorausgegangene Zwangsgeldandrohung erfolglos geblieben sei (Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG). Die Stadt sei nicht gehalten, bei Anordnung eines weiteren Zwangsgelds bis zur Beitreibung des bereits fällig gewordenen Zwangsgelds zuzuwarten.

Der durch Einschreiben gegen Rückschein an die Klägerin unter ihrer Adresse in der Schweiz gesendete Bescheid wurde von der Klägerin nicht abgeholt und zurückgesendet. Ein nicht unterschriebener Abdruck des Bescheids vom 15. April 2015 wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 18. April 2015 zugestellt, ein unterzeichneter Bescheid gleichen Inhalts vom 15. April 2015 am 29. April 2015. Der im vorliegenden Verfahren Prozessbevollmächtigte machte daraufhin geltend, für die Klägerin nicht zustellungsbevollmächtigt zur Entgegennahme des Bescheids zu sein. Darüber hinaus wurde der streitgegenständliche Bescheid Herrn G. S. als mutmaßlichem Vorstand der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt.

3. Am 15. Mai 2015 ließ die Klägerin Klage erheben und beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2015, zugestellt am 18. April 2015, sowie

den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2015, zugestellt am 29. April 2015, aufzuheben.

Zur Begründung der Klage verwies der Bevollmächtigte der Klägerin auf den Sachvortrag in den Verwaltungsstreitsachen W 4 K 14.1300 und W 4 S 14.1301. Dort hatte er ausgeführt, dass die ausgesprochene Nutzungsuntersagung rechtswidrig erfolgt sei und daher aufzuheben sei. Im gegenständlichen Anwesen werde seit mehr als zehn Jahren der Prostitution nachgegangen. Vor über zehn Jahren sei eine ordnungsgemäße Gewerbeanmeldung erfolgt. Seitdem sei das Anwesen regelmäßig auch von Polizeibeamten der Stadt Sch. kontrolliert worden. Der jeweilige Betreiber des Anwesens habe nicht unerhebliche Steuerzahlungen geleistet. Zu Beanstandungen des Betriebs, etwa im Hinblick auf den Vorwurf des Menschenhandels oder ähnlicher milieutypischer Delikte sei es niemals gekommen. Der angegriffene Bescheid sei allein mit formelhaften Begründungen versehen. Konkrete Darlegungen der angeblichen erheblichen bodenrechtlichen Spannungen seien nicht erfolgt. Es komme auch nicht zu Beeinträchtigungen der Wohnruhe etwa durch milieutypische Straftaten oder Ähnliches. Ferner sei die Nutzungsuntersagung nicht sachgerecht und entspreche auch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bezüglich einer etwaigen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme habe die Beklagte substantiiert nichts vorgebracht, insbesondere zu der Intensität der Belastung der Nachbarschaft im konkreten Fall. Schließlich habe die Klägerin den Bordellbetrieb mit Wirkung zum 31. März 2015 abgemeldet. Es werde nunmehr ein baurechtlich zulässiger Massagesalon betrieben.

4. Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei jedenfalls unbegründet, da nach der Fälligkeit des in der Nutzungsuntersagung vom 13. November 2014 angedrohten Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 EUR ein weiteres Zwangsgeld habe angedroht werden können. Ausschlaggebend sei, dass die Bordellnutzung auf dem Grundstück D. Straße 10 fortgeführt werde. Im Hinblick auf angeordnete sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung werde die Fristsetzung als angemessen und verhältnismäßig erachtet.

Im Übrigen bedürfe es angesichts der fehlenden Vollmacht der Bevollmächtigten der Klägerin zur Entgegennahme des Bescheids vom 15. April 2015 der Klärung, ob die Klageerhebung überhaupt zulässig sei. Eine Bevollmächtigung der Prozessvertreter der Klägerin im vorliegenden Verfahren sei nicht nachgewiesen. Es sei daher keine ordnungsgemäße Klageerhebung erfolgt, weswegen die Klage als unzulässig abzuweisen sei.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte hierzu geltend, es sei eine wirksame Vollmacht des Geschäftsführers der Klägerin vorgelegt worden. Es handele sich hierbei um den Geschäftsführer S. L., der die ursprüngliche Gewerbeanmeldung vorgenommen habe. Diese liege der Beklagten ebenso wie eine Kopie des Ausweises von Herrn L. vor.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist auf die Aufhebung des Bescheids vom 15. April 2015 gerichtet, mit dem die Beklagte erneut ein Zwangsgeld für den Fall androht, dass die Klägerin der unter Ziffer I des Bescheids vom 13. November 2014 (geändert durch Bescheid vom 18. Dezember 2014) enthaltenen Pflicht zur Aufgabe der Nutzung des streitgegenständlichen Anwesens zu Zwecken der Prostitution nicht nachkommt.

I.

Die Anfechtungsklage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die gegen Ziff. I. des Bescheides vom 15. April 2015 und die darin enthaltene erneute Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 30.000,00 EUR erhobene Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, da die Zwangsgeldandrohung gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 2 VwZVG einen aufschiebend bedingten Leistungsbescheid im Sinne des Art. 23 Abs. 1 VwZVG darstellt und gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG hiergegen dieselben förmlichen Rechtsbehelfe gegeben sind, die gegen den Grundverwaltungsakt zulässig sind.

Die Klage wurde entgegen der Ansicht der Beklagten auch ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerin wurde gemäß § 67 Abs. 2 VwGO durch einen Rechtsanwalt vertreten. Prozesshandlungen konnten von diesem wirksam vorgenommen werden. Die Vollmacht ist als Prozessvollmacht zur Entstehung gelangt, da der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eine den Vorgaben der §§ 81 ff. ZPO entsprechende Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten eingereicht hat (§ 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO). Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO kann die Vollmacht jedenfalls bis zum Ergehen des Urteils nachgereicht werden (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 67 Rn. 49). Der Klägerbevollmächtigte hat neben einer Originalvollmacht eine Bestätigung des Verwaltungsrats der Klägerin, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, zu den Gerichtsakten gegeben, in welcher ausgeführt wird, dass Herr S. L., der die Prozessvollmacht unterzeichnet hat, für die Klägerin als Geschäftsführer tätig ist und ermächtigt ist, die Gesellschaft vor Gericht zu vertreten. Eine Zusammenschau dieser Dokumente verdeutlicht nach Ansicht der Kammer hinreichend, dass Herr S. L. für die Klägerin im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren vertretungsbefugt ist und demgemäß die Prozessvollmacht unterzeichnen konnte. Ob die vom Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 25. November 2015 vorgelegte Originalvollmacht, welche vom Verwaltungsrat der Klägerin, besetzt durch das einzige Mitglied, Herrn J. B. (vgl. Internet-Auszug - Handelsregister des Kantons Obwalden, Bl. 14 und 15 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 14.1300), unterzeichnet ist, nach Ergehen des Urteils Beachtung findet, kann daher dahinstehen (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, § 67 Rn. 49 f.).

2. Die insoweit zulässige Anfechtungsklage ist jedoch in der Sache nicht begründet, da die erneute Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 15. April 2015 rechtmäßig ist und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

2.1. Der Bescheid vom 15. April 2015 ist ordnungsgemäß zugestellt und damit gemäß Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG infolge der Bekanntgabe wirksam geworden, was von der Klägerin im Übrigen nicht bestritten wird. Die Beklagte hat den streitgegenständlichen Bescheid an die Klägerin persönlich, die Prozessbevollmächtigten im Parallelverfahren W 4 K 14.1300 sowie an den „Vorstand“ der Klägerin, Herrn G. S., zugestellt. Beachtlich ist hierbei die Zustellung an die Klägerin, die gemäß Art. 4 Abs. 1 Alt. 2 VwZVG mittels Einschreiben mit Rückschein durchgeführt wurde. Zwar ergibt sich aus der Behördenakte (Bl. 21 f.), dass die Klägerin das Einschreiben in der Schweiz nicht abgeholt hat, woraufhin es zurückgesendet wurde. Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles könnte sich die Klägerin allerdings nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch nicht auf den Zustellungsmangel berufen. Im Bereich des Kündigungsschutzes hat das Bundesarbeitsgericht die Voraussetzungen an eine Zugangsvereitelung präzisiert. Entsprechend kann vorliegend argumentiert werden. Das Bundesarbeitsgericht (U.v. 26.3.2015 - 2 AZR 483/14 - juris Rn. 21) führt u. a. aus: „Verhindert der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen. Lehnt der Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste.“ Diese Grundsätze einer treuwidrigen Zugangsvereitelung finden auch im Verwaltungsrecht Anwendung (vgl. etwa BVerwG, B.v. 22.4.2004 - 6 B 8/04 - juris Rn. 4 m. w. N.; VG München, B.v. 27.1.1999 - M 4 S 99.166 - juris Rn. 45; OVG Magdeburg, B.v. 29.6.2009 - 3 L 18/08). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt hierzu explizit aus, dass sich im Einzelfall aus einer besonderen Rechtsbeziehung zwischen dem Erklärenden und dem Adressaten ergeben kann, dass dieser sich zum Empfang von Erklärungen bereithalten und bei einem schuldhaften Verstoß gegen jene Vorsorgepflicht nach den Rechtsgrundsätzen der §§ 162, 242 BGB so behandeln lassen muss, als sei ihm die Erklärung wie im Fall seines pflichtgemäßen Verhaltens zugegangen(U.v. 22.1.2009 - 4 B 08.1591 - juris Rn. 37).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muss die Klägerin im vorliegenden Einzelfall die Zustellung gegen sich gelten lassen. Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, tritt in behördlichen Angelegenheiten, u. a. bei der Beklagten, unter Hinzuziehung verschiedener Vertreter auf. So handelte im Rahmen der Gewerbeanmeldung bzw. Gewerbeabmeldung Herr G. S. als gesetzlicher Vertreter der Klägerin (vgl. Bl. 16 und 17 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 14.1300 sowie Gerichtsakte im Verfahren W 4 K 14.1300, Bl. 77). In diesem Zusammenhang wurde die Klägerin aber auch von Herrn S. L. vertreten, der im vorliegenden Verfahren die Prozessvollmacht für die Klägerin erteilt hat. Herr L. hat wiederum die Rechtsanwälte als Bevollmächtigte im gewerberechtlichen Verfahren bestellt, die die Klägerin im gerichtlichen Verfahren vertreten (vgl. Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 14.1300, Bl. 23). Es liegt daher eine Konstellation vor, nach der die Klägerin in Verwaltungsverfahren zwar unter Zuhilfenahme von vertretungsberechtigten Personen auftritt, jedoch kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird. Dies allein rechtfertigt zwar nicht die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben. Zulasten der Klägerin ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Vorfeld des streitgegenständlichen Bescheids die Beklagte bereits mit Bescheid vom 13. November 2014 eine Nutzungsuntersagung bezüglich des Anwesens der Klägerin für Zwecke der Prostitution ausgesprochen hat, eine Zwangsgeldandrohung im Raum stand, die sofortige Vollziehung angeordnet war und zudem ein gerichtliches Verfahren (vgl. W 4 K 14.1300 und W 4 S 14.1301) anhängig war. Die Klägerin musste folglich damit rechnen, dass im laufenden Verwaltungsverfahren weitere Anordnungen oder Mitteilungen der Behörden der Beklagten ergehen. Durch die fehlende Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten und die Verhinderung von Zustellungen an ihrem Sitz in der Schweiz hat sie daher den Zugang von Dokumenten im Verwaltungsverfahren treuwidrig vereitelt.

Darüber hinaus ist aber auch die Zustellung an Herrn G. S. beachtlich. Herr G. S. hat - wie bereits dargestellt - als gesetzlicher Vertreter der Klägerin eine Gewerbean- bzw. -abmeldung vorgenommen, zuletzt am 31. März 2015 (vgl. Gerichtsakte im Verfahren W 4 K 14.1300, Bl. 77). Eine Zustellung war daher gemäß Art. 7 Abs. 2 und 3 VwZVG an ihn möglich. Zugestellt wurde ausweislich der vorgelegten Behördenakte (Bl. 18) mit Postzustellungsurkunde gemäß Art. 3 VwZVG. Etwaige Fehler betreffend den Nachweis der Zustellung sind nach Art. 9 VwZVG jedenfalls geheilt, da sich einem Schreiben seiner Rechtsanwälte in der Behördenakte (Bl. 20) entnehmen lässt, dass Herr G. S. das Schreiben der Beklagten vom 6. Mai 2015 mit dem streitgegenständlichen Bescheid tatsächlich erhalten hat.

2.2. Der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Anfechtungsklage ist vorliegend nicht nach Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG auf Rechtsverletzungen durch die erneute Androhung eines Zwangsgelds beschränkt. Zwar ist die erneute Androhung nicht mit dem Grundverwaltungsakt - hier der Nutzungsuntersagung vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 - verbunden. Jedoch ist der Grundverwaltungsakt aufgrund der hiergegen erhobenen Klage (Az. W 4 K 14.1300) nicht unanfechtbar geworden, so dass die Klägerin im Rahmen der gegen die erneute Zwangsgeldandrohung erhobenen Anfechtungsklage neben der Rechtswidrigkeit der Androhung auch die Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung rügen kann.

2.3. Die Nutzungsuntersagung ist jedoch rechtmäßig. Insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des gleichfalls am 10. November 2015 erlassenen Urteils im Verfahren W 4 K 14.1300 verwiesen.

3. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine erneute Zwangsgeldandrohung vor.

3.1. Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen sind gegeben, da das Zwangsgeld aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Grundverwaltungsakt fällig war. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Grundverwaltungsakt „Nutzungsuntersagung“ wurde zuletzt vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. April 2015 (Az. 9 CS 15.394) abgelehnt.

3.2. Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen sind verwirklicht. Gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG können Zwangsmittel so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist. Gemäß Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG ist eine erneute Androhung eines Zwangsmittels erst dann zulässig, wenn die vorausgegangene Androhung des Zwangsmittels erfolglos geblieben ist. Diese Voraussetzungen lagen hier aufgrund der Fortführung des streitgegenständlichen bordellartigen Betriebs vor.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass das Gewerbe mit Ablauf des 31. März 2015 abgemeldet worden sei, bleibt dies für die rechtliche Bewertung der erneuten Zwangsgeldandrohung außer Betracht. Zwar ist es zutreffend, dass eine Abmeldung des Gewerbes „Betrieb und Beratung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen, gewerbliche Zimmervermietung“ am 31. März 2015 erfolgt ist (vgl. Bl. 77 der Gerichtsakte). Jedoch wurde zum 1. April 2015 ein „Massagesalon“ angemeldet. Polizeikontrollen nach dem 31. März 2015, am 15. und 24. April 2015, haben ergeben, dass sich der Betrieb unverändert darstellt. Es seien beide Male eine Hausdame und mehrere Prostituierte angetroffen worden (vgl. Bl. 11 der Behördenakte). Auch der Internetauftritt „Massage L.“ (abgerufen am 22. Mai 2015 von der Beklagten, vgl. Heftung der Beklagten im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren, sowie von der Kammer am 21. Oktober 2015) bezeugt, dass auch nach dem 31. März 2015 die Räumlichkeiten im streitgegenständlichen Anwesen zu Zwecken der Prostitution genutzt werden.

Es liegt daher ein Verstoß gegen die sofort vollziehbare Verpflichtung aus dem Bescheid vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 vor. Darüber hinaus bedarf es nicht der Fälligstellung und Beitreibung des ersten Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 EUR, da es gemäß Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG auf die Erfolglosigkeit der vorausgegangenen Androhung des Zwangsmittels ankommt und nicht auf dessen Anwendung.

3.3. Die erneute Zwangsgeldandrohung begegnet auch im Hinblick auf ihre Höhe von 30.000,00 EUR keinen rechtlichen Bedenken. Sie hält sich im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG, wonach das Zwangsgeld mindestens 15,00 EUR und höchstens 50.000,00 EUR beträgt. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Fortführung des Betriebes für die Klägerin ist das erneut angedrohte Zwangsgeld nicht unverhältnismäßig. Art. 31 Abs. 2 Sätze 2 und 4 VwZVG geben vor, dass das Zwangsgeld das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterbleiben der Handlung hat, erreichen soll, wobei das wirtschaftliche Interesse nach pflichtgemäßem Ermessen zu schätzen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Zwangsgeldandrohung nicht primär eine Geldzahlungspflicht für den Adressaten begründet, sondern den Adressaten einer öffentlich-rechtlich angeordneten Pflicht zur Beachtung und Einhaltung dieser Pflicht anhalten soll. Ob insoweit die Zwangsgeldandrohung in eine Zahlungsverpflichtung umschlägt, hängt allein vom selbstbestimmten Verhalten des Adressaten ab. Nachdem die Klägerin sich von einem Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR zur Durchsetzung der Nutzungsuntersagungsverfügung offenbar nicht hat beeindrucken lassen, ist es nachvollziehbar und angemessen, dass das erneute Zwangsgeld in Höhe von 30.000,00 EUR angedroht wurde.

II.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge gemäß § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

schriftlich zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach,

einzureichen.

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 15.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 1.7.1 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Demnach ist bei der Androhung von Zwangsmitteln der Streitwertbestimmung die Hälfte des festgesetzten Zwangsgelds zugrunde zu legen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.

Für die Streitwertbeschwerde besteht kein Vertretungszwang.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2015 - W 4 K 15.441

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

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(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen. (2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaate

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 162 Verhinderung oder Herbeiführung des Bedingungseintritts


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Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2015 - W 4 K 14.1300

bei uns veröffentlicht am 10.11.2015

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg Aktenzeichen: W 4 K 14.1300 Im Namen des Volkes Urteil 10. November 2015 4. Kammer Sachgebiets-Nr: 920 Hauptpunkte: Nutzungsuntersagung; bordellartiger Betrie

Bundesarbeitsgericht Versäumnisurteil, 26. März 2015 - 2 AZR 483/14

bei uns veröffentlicht am 26.03.2015

Tenor 1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. Februar 2014 - 8 Sa 68/13 - aufgehoben.
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Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2015 - W 4 K 15.441

bei uns veröffentlicht am 10.11.2015

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg Nr. W 4 K 15.441 Im Namen des Volkes Urteil vom 10. November 2015 4. Kammer Sachgebiets-Nr: 920 Hauptpunkte: Nutzungsuntersagung eines bordellartigen B

Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 10. Nov. 2015 - W 4 K 14.1300

bei uns veröffentlicht am 10.11.2015

Gründe Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg Aktenzeichen: W 4 K 14.1300 Im Namen des Volkes Urteil 10. November 2015 4. Kammer Sachgebiets-Nr: 920 Hauptpunkte: Nutzungsuntersagung; bordellartiger Betrie

Referenzen

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg

Aktenzeichen: W 4 K 14.1300

Im Namen des Volkes

Urteil

10. November 2015

4. Kammer

Sachgebiets-Nr: 920

Hauptpunkte: Nutzungsuntersagung; bordellartiger Betrieb; keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit;

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: ...

gegen

Stadt Schweinfurt,

vertreten durch den Oberbürgermeister, Markt 1, 97421 Schweinfurt,

- Beklagte -

beteiligt: Regierung von Unterfranken, Vertreter des öffentlichen Interesses, 97064 Würzburg,

wegen Nutzungsuntersagung,

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, 4. Kammer, durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Strobel, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Hetzel, den Richter Kreiselmeier, den ehrenamtlichen Richter Stich, den ehrenamtlichen Richter Kunkel aufgrund mündlicher Verhandlung am 10. November 2015 folgendes

Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

1. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ...07 der Gemarkung Schweinfurt (D... Straße 10). Für das Gebäude auf dem Grundstück existiert eine Baugenehmigung für ein Wohnhaus aus dem Jahr 1925. Ein Wohnhausanbau sowie der Ausbau des Dachgeschosses wurden in den Jahren 1970 und 1976 genehmigt. Es liegen mehrere Gewerbeanmeldungen vor, u. a. eine Gewerbeanmeldung vom 12. Juni 2014 für den Betrieb von Wellnesseinrichtungen und gewerbliche Zimmervermietung, zuletzt eine Gewerbeanmeldung vom 1. April 2015 für einen Massagesalon. Das Gewerbe an dieser Adresse wird im Internet zuletzt mit „Massage L...“ beworben.

Beim Amt für öffentliche Ordnung der Beklagten waren zwei Anzeigen einer Nachbarin wegen Störungen durch den Betrieb des Bordells „L...“ vom 21. August 2013 und vom 12. August 2014 eingegangen. Diese bezogen sich vor allem auf den Lärm durch wartende Gäste im Außenbereich sowie auf eine Verunreinigung des Außenbereichs.

Die Beklagte forderte Herrn G... S..., für den eine Gewerbeanmeldung vom 1. Juli 2013 für die Betriebsstätte vorlag und der in der Gewerbeanmeldung vom 1. Juli 2013 als gesetzlicher Vertreter der Klägerin ausgewiesen war, mit Schreiben vom 29. April 2014 auf, die bordellartige Nutzung des Wohnhauses bis spätestens 2. Juni 2014 zu beenden und die Beendigung schriftlich mitzuteilen. Für den Fall der Nichtbeachtung wurde eine Nutzungsuntersagung durch förmlichen Bescheid und eine Zwangsgeldandrohung angekündigt.

2. Mit Bescheid vom 13. November 2014 untersagte die Beklagte der Klägerin die Nutzung des Wohnhauses auf dem Grundstück D... Straße 10, Fl.Nr. ...07, Gemarkung Schweinfurt, zum Zwecke der Prostitution; die Nutzung sei innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung des Bescheids aufzugeben (Nr. I des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nr. I des Bescheids wurde angeordnet (Nr. II des Bescheids). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR angedroht (Nr. III des Bescheids).

Zur Begründung des Bescheids führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Nutzung nach Art. 76 Satz 2 BayBO untersagt werden könne. Das verfahrensgegenständliche Gebäude sei im Jahr 1925 als Wohnhaus mit einer Wohneinheit baurechtlich genehmigt worden. In den Jahren 1970 und 1976 seien Genehmigungen für einen Wohnhausanbau in südlicher Richtung sowie den Ausbau des Dachgeschosses erfolgt. Dadurch dass das Anwesen nunmehr für Zwecke der Prostitution genutzt werde, liege baurechtlich eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor. Hieraus folge, dass die beanstandete Nutzung allein schon wegen fehlender Genehmigung formell rechtswidrig sei und bereits deshalb eine Nutzungsuntersagung in Betracht komme. Die Ausübung der Prostitution auf dem Grundstück sei auch materiellrechtlich rechtswidrig. Eine nachträgliche Genehmigung scheide aus. Ausschlaggebend seien hierfür Gründe des Bauplanungsrechts. Das Anwesen befinde sich im Geltungsbereich des im Jahr 1976 in Kraft getretenen rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. N 11 + 12 in einem Gebiet, das i. S. d. § 4 BauNVO (1968) als allgemeines Wohngebiet festgesetzt worden sei. Die Nutzung des Wohnhauses für Zwecke der Prostitution widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans und sei damit unzulässig. Die Anordnung der Nutzungsuntersagung liege im pflichtgemäßen Ermessen der Stadt. Das öffentliche Interesse erfordere es grundsätzlich, gegen baurechtswidrige Zustände einzuschreiten, um die Einhaltung der Rechtsordnung zu sichern. Das private Interesse der Eigentümerin am Fortbestand der baurechtswidrigen Nutzung wiege gegenüber dem öffentlichen Interesse geringer. Zu berücksichtigen sei schließlich auch gewesen, dass eine nachträgliche Genehmigung der rechtswidrigen Nutzung ausscheide. Eine Befreiung von der bauplanungsrechtlich festgesetzten Art der baulichen Nutzung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheide aus, da diese die Grundsätze der Planung berühren würde, städtebaulich nicht vertretbar und auch mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar sei. Die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung werde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet. Das öffentliche Interesse an der Anordnung liege vor, da bei einer Fortsetzung der Prostitution auf dem Grundstück mit einer nachhaltigen Störung des Wohngebiets, vor allem des Wohnfriedens, zu rechnen sei. Im Übrigen wäre eine Fortsetzung der rechtswidrigen Nutzung bei Einlegen eines Rechtsbehelfs mit einem ordnungsgemäßen Vollzug der Baugesetze nicht vereinbar. Das Interesse der Stadt Schweinfurt an der Wiederherstellung der Wohnruhe im Wohngebiet sei schwerwiegend und dulde keinen zeitlichen Verzug. Das Rechtsschutzinteresse der Grundstückseigentümerin müsse deshalb dem öffentlichen Interesse gegenüber zurücktreten. Etwaige finanzielle Verluste, die aufgrund der Nutzungsuntersagung erwachsen würden, seien nicht zu berücksichtigen, da diese lediglich auf der rechtswidrigen Nutzung beruhten und somit allein in der Verantwortungssphäre der Grundstückseigentümerin lägen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 wurde der Bescheid vom 13. November 2014 zur Nutzungsuntersagung hinsichtlich der materiellrechtlichen Begründung in Ziffer II geändert. Zur Begründung des Bescheids vom 18. Dezember 2014 wurde ausgeführt, dass sich das Anwesen D... Straße 10 nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 30 BauGB befinde, sondern innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile. Die Zulässigkeit des Vorhabens sei somit nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB zu beurteilen. Die Eigenart der näheren Umgebung des Anwesens entspreche einem allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) gemäß § 34 Abs. 2 BauGB. Die Nutzung der verfahrensgegenständlichen Doppelhaushälfte für Zwecke der Prostitution sei - unabhängig davon, ob von Wohnungsprostitution, einem bordellartigen Betrieb oder einem Bordell auszugehen sei - bauplanungsrechtlich in einem bei weitem überwiegend durch Wohnen geprägten Gebiet nicht zulässig. Die Voraussetzungen für eine Befreiung i. S. d. § 31 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 34 Abs. 2 2. Halbs. BauGB seien nicht gegeben. Die Nutzung von Gebäuden zum Zwecke der Prostitution, insbesondere Bordellen und bordellartigen Betrieben, führe in Wohngebieten regelmäßig zu bodenrechtlich beachtlichen Spannungen und beeinträchtige dort die vorhandene Wohnruhe erheblich, weil sich eine bauplanungsrechtlich relevante Verschlechterung, Störung oder Belastung der vorhandenen städtebaulichen Situation ergebe. Auch sei sie gegenüber der legalen Wohnnutzung, dem Wohnumfeld und allem, was für die Wohnqualität von Bedeutung sei, in höchstem Maße rücksichtslos. Bei der streitgegenständlichen Nutzung auf dem Grundstück D... Straße 10 komme dies auch durch die eindeutige Beleuchtung von Fenstern, die auf die gerügte Nutzung gezielt hinweisen solle, besonders zum Ausdruck.

3. Am 15. Dezember 2014 erhob die Klägerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg Klage und beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2014 aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2015 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin darüber hinaus,

auch den Bescheid vom 18. Dezember 2014 aufzuheben.

Die Klägerin begründete ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die ausgesprochene Nutzungsuntersagung rechtswidrig erfolgt sei und daher aufzuheben sei. Im gegenständlichen Anwesen werde seit mehr als zehn Jahren der Prostitution nachgegangen. Vor über zehn Jahren sei eine ordnungsgemäße Gewerbeanmeldung erfolgt. Seitdem sei das Anwesen regelmäßig auch von Polizeibeamten der Stadt Schweinfurt kontrolliert worden. Der jeweilige Betreiber des Anwesens habe nicht unerhebliche Steuerzahlungen geleistet. Zu Beanstandungen des Betriebs, etwa im Hinblick auf den Vorwurf des Menschenhandels oder ähnlicher milieutypischer Delikte sei es niemals gekommen. Der angegriffene Bescheid sei allein mit formelhaften Begründungen versehen. Konkrete Darlegungen der angeblichen erheblichen bodenrechtlichen Spannungen seien nicht erfolgt. Auch müsse sich die Beklagte fragen lassen, weshalb sie sich in Ansehung dieser angeblichen erheblichen bodenrechtlichen Spannungen in Kenntnis des Vorhandenseins des bordellartigen Betriebes über zehn Jahre Zeit gelassen habe, um dessen Nutzung zu untersagen. Gleiches gelte für die angeblichen Beeinträchtigungen der vorhandenen Wohnruhe. Dass es tatsächlich zu Beeinträchtigungen gekommen sei, werde von der Beklagten nicht behauptet. Tatsächlich komme es auch nicht zu Beeinträchtigungen der Wohnruhe etwa durch milieutypische Straftaten oder Ähnliches. Der Klägerin sei von milieutypischen Straftaten oder Anwohnerbelästigungen bislang nichts bekannt geworden. Ferner sei die Nutzungsuntersagung nicht sachgerecht und entspreche auch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beklagte verschweige, dass sie ausschließlich gegen den streitgegenständlichen Betrieb der Klägerin vorgehe. Tatsächlich dürfte eine pflichtgemäße Ermessensausübung gebieten, dass die Beklagte auch gegen weitere in Wohngebieten ansässige bordellartige Betriebe Nutzungsuntersagungen ausspreche. Tatsächlich tue dies die Beklagte jedoch nicht. Der Gesetzgeber habe mit Schaffung des Prostitutionsgesetzes, welches zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten sei, die Prostitution vom Makel der Sittenwidrigkeit befreit. Wenn aber der Gesetzgeber die Prostitution vom Stigma der Sittenwidrigkeit befreie, so sei nicht ersichtlich, weshalb ein bordellartiger Betrieb baurechtlich anders als eine Schank- oder Speisewirtschaft, ein nichtstörender Handwerksbetrieb oder eine Anlage, welche sozialen und sportlichen Zwecken diene, behandelt werden solle. Soweit man die Ausübung der Prostitution als freien Beruf i. S. d. § 13 BauNVO erachte, wäre sie grundsätzlich in reinen und in allgemeinen Wohngebieten in Räumen und in den Baugebieten nach den §§ 4a bis 9 BauNVO auch in Gebäuden zulässig. Die Prostitutionsausübung genieße als Beruf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Die Prostitution sei, soweit sie selbstständig und weisungsunabhängig ausgeübt werde, als freiberufliche Tätigkeit i. S. d. § 13 BauNVO einzuordnen. Dieses Ergebnis werde auch dadurch gestützt, dass hinsichtlich der Wohnartigkeit der Prostitutionsausübung kein Unterschied erkennbar sei zu den Tätigkeiten eines Masseurs oder eines Fußpflegers, welche als dem Freiberuf ähnliche Berufe gewertet würden. Bezüglich einer etwaigen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme habe die Beklagte substantiiert nichts vorgebracht, insbesondere zu der Intensität der Belastung der Nachbarschaft im konkreten Fall. Schließlich habe die Klägerin den Bordellbetrieb mit Wirkung zum 31. März 2015 abgemeldet. Es werde nunmehr ein baurechtlich zulässiger Massagesalon betrieben.

4. Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verwies auf ihr Vorbringen in der Verwaltungsstreitsache W 4 S 14.1301. Zur Begründung hatte die Beklagte dort ausgeführt, hinsichtlich der angezweifelten „bodenrechtlich beachtlichen Spannungen“ sei anzumerken, dass es sich hier um eine typischerweise wohnunverträgliche Nutzung handele, die in einem Gebiet, das überwiegend Wohnzwecken diene, entsprechende Störungen auslöse. Verstärkt würden diese durch die eindeutige Fensterbeleuchtung, die vor allem nachts ihre Wirkung nicht verfehle. Auch seien von den Anwohnern aus der Nachbarschaft Störungen beklagt und wiederholt dem Amt für öffentliche Ordnung der Stadt vorgetragen worden (siehe Heftung 1 Bl. 23a und 23b). Die Behauptung des Prozessbevollmächtigten, dass die Stadt ausschließlich gegen den streitgegenständlichen Betrieb der Klägerin vorgehe, sei nicht zutreffend. Die Stadt greife Nutzungen zum Zwecke der Prostitution in Wohngebieten auf und schreite bauaufsichtlich ein. Im Jahr 2014 sei die Stadt gegen eine entsprechende Nutzung ca. 100 m südlich des streitgegenständlichen Grundstücks vorgegangen und habe eine Nutzungsuntersagung verfügt. Die vorgetragenen Zweifel an der rechtmäßigen Ermessensausübung gingen somit ins Leere. Anhaltspunkte, die für die Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung sprächen, seien somit nicht gegeben.

Die Beklagte führte zudem aus, dass eine Bevollmächtigung der Prozessvertreter der Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht nachgewiesen sei. Es sei daher keine ordnungsgemäße Klageerhebung erfolgt, weswegen die Klage als unzulässig abzuweisen sei.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte hierzu geltend, es sei eine wirksame Vollmacht des Geschäftsführers der Klägerin vorgelegt worden. Es handele sich hierbei um den Geschäftsführer S... L..., der die ursprüngliche Gewerbeanmeldung vorgenommen habe. Diese liege der Beklagten ebenso wie eine Kopie des Ausweises von Herrn L... vor.

5. Mit Beschluss vom 29. Januar 2015 lehnte die Kammer den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (W 4 S 14.1301) ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München mit Beschluss vom 7. April 2015 (9 CS 15.394) zurück. Wegen der Begründung wird auf die Beschlüsse vom 29. Januar 2015 und 7. April 2015 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Klage wurde entgegen der Ansicht der Beklagten ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerin wurde gemäß § 67 Abs. 2 VwGO durch einen Rechtsanwalt vertreten. Prozesshandlungen konnten von diesem wirksam vorgenommen werden. Die Vollmacht ist als Prozessvollmacht zur Entstehung gelangt, da der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eine den Vorgaben der §§ 81 ff. ZPO entsprechende Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten eingereicht hat (§ 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO). Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO kann die Vollmacht nachträglich vorgelegt werden, jedenfalls bis zum Ergehen des Urteils (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 67 Rn. 49). Der Klägerbevollmächtigte hat neben einer Originalvollmacht eine Bestätigung des Verwaltungsrats der Klägerin, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, zu den Gerichtsakten gegeben, in welcher ausgeführt wird, dass Herr S... L... für die Klägerin als Geschäftsführer tätig ist und ermächtigt ist, die Gesellschaft vor Gericht zu vertreten. Eine Zusammenschau dieser Dokumente verdeutlicht nach Ansicht der Kammer hinreichend, dass Herr S... L... für die Klägerin im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren vertretungsbefugt ist und die Prozessvollmacht unterzeichnen konnte. Ob die vom Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 25. November 2015 vorgelegte Originalvollmacht, welche vom Verwaltungsrat der Klägerin, besetzt durch das einzige Mitglied, Herrn J... B... (vgl. Internet-Auszug - Handelsregister des Kantons O..., Bl. 14 und 15 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 14.1300), unterzeichnet ist, nach Ergehen des Urteils Beachtung findet, kann daher dahinstehen (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, § 67 Rn. 49 f.).

2. Die Klage ist unbegründet, da die Untersagungsverfügung in der Sache nicht zu beanstanden ist. Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften genutzt werden.

2.1 Die untersagte Nutzung ist formell baurechtswidrig, weil es sich im vorliegenden Fall bei der Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes zum Zwecke der Prostitutionsausübung um eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt und die erforderliche Genehmigung nicht vorliegt.

Aus den Baugenehmigungen für das Grundstück Fl.Nr. ...07 der Gemarkung Schweinfurt (D... Straße 10) vom 9. Juli 1925, vom 7. August 1970 und vom 2. November 1976 ergibt sich, dass ausschließlich eine Wohnnutzung genehmigt ist.

Die tatsächlich vorliegende Nutzung ist baurechtlich als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb und nicht als sog. Wohnungsprostitution zu qualifizieren. Wohnungsprostitution setzt voraus, dass die Prostituierten in der Wohnung, in der sie ihr Gewerbe ausüben, auch wohnen und zwar über einen längeren Zeitraum als nur wenige Wochen oder Monate; die gewerbliche Nutzung darf nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung treten und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht das Gepräge geben (vgl. BayVGH, B.v. 19.05.1999, Az. 26 ZB 99.770; BayVGH, B.v. 16.05.2008, Az. 9 ZB 07.3224; OVG Koblenz, U.v. 23.06.2010, Az. 8 A 10559/10; VGH Mannheim, U.v. 24.07.2002, Az. 5 S 149/01; OVG Münster, B.v. 10.09.2010, Az. 7 A 1057/10 jeweils m. w. N. - juris). Von einer Wohnungsprostitution kann auch dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ein Gebäude ausschließlich von Prostituierten (und gegebenenfalls einer „Betriebsleiterin“) bewohnt und gewerblich genutzt wird (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.05.1999, Az. 26 ZB 99.770 - juris). Unabhängig, ob diese Voraussetzung vorliegt, wovon nach dem Vorbringen der Klägerin auszugehen ist, kann von einer nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tretenden Nutzung vorliegend schon angesichts des Umstands, dass das Gebäude aufgrund der Beleuchtung der Fenster vor allem im ersten Stockwerk als Prostitutionsgewerbe in Erscheinung tritt, nicht die Rede sein. Für die Nutzungsänderung der genehmigten Wohnnutzung in eine bordellartige Nutzung fehlt es aber an der erforderlichen baurechtlichen Genehmigung.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass das Gewerbe mit Ablauf des 31. März 2015 abgemeldet worden sei, ist das für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Zwar ist es zutreffend, dass eine Abmeldung des Gewerbes „Betrieb und Beratung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen, gewerbliche Zimmervermietung“ am 31. März 2015 erfolgt ist (vgl. Bl. 77 der Gerichtsakte). Jedoch wurde zum 1. April 2015 ein „Massagesalon“ angemeldet. Polizeikontrollen nach dem 31. März 2015, am 15. und 24. April 2015, haben ergeben, dass sich der Betrieb unverändert darstellt. Es seien beide Male eine Hausdame und mehrere Prostituierte angetroffen worden (vgl. Bl. 11 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 15.441). Auch der Internetauftritt „Massage L...“ (abgerufen am 22. Mai 2015 von der Beklagten, vgl. Heftung der Beklagten im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren, sowie von der Kammer am 21. Oktober 2015) bezeugt, dass auch nach dem 31. März 2015 die Räumlichkeiten im streitgegenständlichen Anwesen zu Zwecken der Prostitution genutzt werden. Die gewerberechtliche Situation hat auf die baurechtliche Beurteilung des Sachverhalts im Übrigen keinen Einfluss. Insofern handelt es sich um zwei unabhängig voneinander bestehende Rechtskreise.

Allein der Verstoß gegen das formelle Baurecht rechtfertigt regelmäßig bereits den Erlass der Nutzungsuntersagung. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Vereinbarkeit eines bestimmten Vorhabens bzw. einer bestimmten Nutzung mit dem öffentlichen Baurecht vor dessen tatsächlicher Realisierung in einem geordneten Genehmigungsverfahren geprüft wird und außerdem vermieden wird, dass sich derjenige, der eine ungenehmigte Nutzung aufnimmt, ungerechtfertigte Vorteile gegenüber gesetzestreuen Bürgern verschafft.

2.2 Eine formell rechtswidrige Nutzung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist oder die Nutzung von Wohnraum untersagt wird, der für die Bewohner den alleinigen Mittelpunkt ihrer privaten Existenz bildet (vgl. BayVGH, U.v. 05.12.2005, Az. 1 B 03.2608; BayVGH, B.v. 16.05.2008, Az. 9 ZB 07.3224 - juris). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Es wird nicht die Nutzung von Wohnraum untersagt. Darüber hinaus ist die Nutzung des fraglichen Gebäudes (auch) zur Ausübung der Prostitution nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das gilt unabhängig davon, ob die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO) oder einem faktischen Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO) entspricht. § 13 BauNVO bleibt hierbei außer Betracht, da es sich bei der Tätigkeit von Prostituierten nicht um eine freiberufliche oder um eine gleichgestellte Tätigkeit handelt (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 13 Rn. 4.32 mit Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.1984 - 4 C 65.80, BVerwGE 68, 324). Ein Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB existiert für das Gebiet, in dem das Grundstück liegt, nicht, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 bzw. Abs. 1 BauGB richtet.

a) Bordellartige Betriebe (zum Begriff vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 2.1) sind - unabhängig davon, ob sie als sonstiger Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte einzuordnen sind (offen gelassen vom BVerwG im Urteil vom 12.9.2013, Az. 4 C 8.12, Rn. 14 - juris; vgl. zum Streitstand Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Abs. 3 Rn. 23.7) - im allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO grundsätzlich unzulässig. Sie können insbesondere nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als sonstige nichtstörende Gewerbebetriebe zugelassen werden. Das folgt aus der prinzipiellen Unvereinbarkeit solcher Betriebe mit den dem planungsrechtlichen Begriff des Wohnens und des Wohngebietes zugrunde liegenden städtebaulichen Ordnungszielen (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.63).

Die von der streitgegenständlichen Nutzung bei der gebotenen typisierenden Betrachtung ausgehenden Störungen des Wohnens in einem planungsrechtlich dem Wohnen dienenden Gebiet bestehen nicht nur vordergründig in einer Beeinträchtigung der Wohnruhe, etwa durch verstärkten Kraftfahrzeugverkehr oder lautstarke Auseinandersetzungen, sondern ganz allgemein in den negativen „milieubedingten“ Auswirkungen derartiger Einrichtungen auf das - das Wohnumfeld in dem betreffenden Gebiet prägende - soziale Klima (OVG Berlin, B.v. 09.04.2003, Az. 2 S 5.03 - juris; hierzu auch Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL August 2015, § 4 BauNVO Rn. 120; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.69;).

b) Des Weiteren besteht in der Judikatur Übereinstimmung darin, dass ein Bordell bzw. bordellartiger Betrieb in einem Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO regelmäßig unzulässig ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 34 m. w. N.). Es handelt sich wegen ihrer Wirkungen auf die Nachbarschaft („milieubedingte Unruhe“) typischerweise um Gewerbebetriebe bzw. Vergnügungsstätten, die das Wohnen wesentlich stören (vgl. BVerwG, U.v. 12.09.2013, Az. 4 C 8.12, Rn. 14 - juris; BayVGH, B.v. 10.06.2010, Az. 1 ZB 09.1971, Rn. 20 - juris m. w. N.). Diese Nutzung verträgt sich aus Gründen des Jugendschutzes, aber auch wegen der mit derartigen Einrichtungen zu befürchtenden Belästigungen und des zu befürchtenden Trading-Down-Effekts grundsätzlich nicht mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung (HessVGH, B.v. 30.04.2009, Az. 3 A 1284/08 - juris). Auf die Frage der konkreten Belästigung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (VGH Mannheim, B.v. 13.02.1998, Az. 5 s 2570/96 - juris).

An dieser Beurteilung hat sich durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, S. 3983) nichts geändert. Auch wenn dieses Gesetz - über die dort getroffenen zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen hinausgehend - zu einer anderen sozialethischen Bewertung der Prostitution beitragen sollte, hat dies auf die bodenrechtliche Beurteilung solcher Betriebe keine Auswirkungen (vgl. BayVGH, B.v. 10.06.2010, Az. 1 ZB 09.1971 und B.v. 13.02.2008, Az. 15 ZB 07.2200 - juris). Eine Ausstrahlungswirkung des Gesetzes besteht nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht für das Bauplanungsrecht, welches sozialethisch neutral ist (m. w. N. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.62).

c) Das Vorhaben wäre selbst dann nicht offensichtlich genehmigungsfähig, wenn sich seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB richtet, weil die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks als Gemengelage einzustufen ist. Auch eine den Rahmen wahrende Nutzung fügt sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ein, wenn sie die gebotene Rücksichtnahme auf die sonstige, vor allem auf die in der unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt. Dass das Vorhaben aus diesem Grund unzulässig ist, lässt sich im Hinblick auf die in den angrenzenden Grundstücken vorhandene Wohnnutzung nicht von vornherein ausschließen, wie vor allem auch die Beschwerden der Nachbarschaft zeigen. Durch den bordellartigen Betrieb werden möglicherweise bodenrechtlich beachtliche Spannungen hervorgerufen, die den Betroffenen nicht zugemutet werden können (vgl. hierzu Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL. August 2015, § 34 Rn. 53).

Im Ergebnis fehlt es daher jedenfalls an einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens.

2.3 Die Anordnung der Nutzungsuntersagung konnte zu Recht gegen die Klägerin als Eigentümerin des Grundstücks gerichtet werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 S. 2 LStVG).

2.4 Art. 76 Satz 2 BayBO räumt der Beklagten ein Ermessen bezüglich der Frage ein, ob sie gegen die baurechtswidrigen Zustände einschreitet. Diese Ermessensausübung ist vom Gericht nach Maßgabe des § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbar.

Danach ist die Ermessensausübung im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Insbesondere konnte die Beklagte dem öffentlichen Interesse an baurechtlich rechtmäßigen Zuständen und an der Auflösung von bestehenden Spannungen (milieubedingte Unruhe) ein höheres Gewicht beimessen als dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin an der Beibehaltung des bordellartigen Betriebs.

Die Nutzungsuntersagungsanordnung ist auch nicht aufgrund eines der Klägerin zukommenden Vertrauensschutzes unverhältnismäßig.

Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, auf die Einhaltung der öffentlichrechtlichen Vorschriften zu achten, kann nicht verwirkt werden. Das schlichte Unterlassen bauaufsichtlichen Einschreitens (passive Duldung) kann den Erlass einer Nutzungsuntersagungsanordnung ohne das Hinzutreten besonderer, einzelfallbedingter Umstände nicht hindern. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof betont im Beschluss vom 7. April 2015 (Az. 9 CS 15.394, Rn. 14) nochmals explizit, dass die bloße Untätigkeit keinen rechtlich bedeutsamen Erklärungswert hat. Wenn eine bauliche Anlage über einen langen Zeitraum hinweg rechtswidrig genutzt worden ist, ohne dass die Bauaufsichtsbehörde eine Veranlassung zum Einschreiten gesehen hat, können sich allenfalls gesteigerte Anforderungen an die Ermessensbetätigung und deren Begründung ergeben. Die ermessensfehlerfreie Anordnung einer Nutzungsuntersagung kann allenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn die Bauaufsichtsbehörde durch vorausgegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Betroffenen geschaffen hat. Das kann durch eine förmliche Duldung erfolgen im Sinne einer Zusage nach Art. 38 BayVwVfG, eine bauaufsichtliche Maßnahme nicht zu erlassen, die zu ihrer Wirksamkeit aber der Schriftform bedarf. In Betracht kommt jedoch auch ein über die bloße Untätigkeit hinausgehendes besonderes Verhalten der Behörde, aufgrund dessen der Betroffene zu der Annahme berechtigt ist, dass die Behörde von der Befugnis zur Nutzungsuntersagung keinen Gebrauch mehr machen will (vgl. BayVGH, U.v. 17.06.1998, Az. 2 B 97.171; BayVGH, B.v. 13.04.2000, Az. 2 ZB 00.723 - jeweils juris; Decker in: Simon/Busse, BayBO, Stand Nov. 2014, Bd. I, Art. 76 Rn. 305).

Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin ein die Nutzungsuntersagung hindernder Vertrauensschutz nicht zu.

Soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte müsse seit langem Kenntnis von der ausgeübten gewerblichen Nutzung gehabt haben, reicht dies für die Begründung eines Vertrauenstatbestandes nicht aus. Die Klägerin hat hierzu auch keinerlei Nachweise vorgelegt, die irgendwelche Anhaltspunkte dafür bieten könnten, dass die Beklagte positive Kenntnis von der langjährigen Ausübung der Prostitution auf dem Grundstück hatte. Auch muss sich die Baubehörde etwaiges polizeiliches Wissen und Tätigwerden nicht zurechnen lassen. Gleiches gilt für die Anmeldung eines Gewerbes. Entscheidend ist aber, dass die Beklagte zeitnah zu den Nachbarbeschwerden, die in der Behördenakte dokumentiert sind (vgl. Heftung 1, S. 23a und 23b), das bauaufsichtliche Verfahren eingeleitet hat und die Klägerin aufgefordert hat, innerhalb einer angemessenen Frist die nicht genehmigte bzw. nicht genehmigungsfähige Nutzung einzustellen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang geltend macht, sie habe keinen Zugang zu der Behördenakte gehabt, ist hierin kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu erkennen (Art. 103 Abs. 2 GG), da es dem Bevollmächtigten der Klägerin jederzeit möglich ist, von seinem Recht auf Akteneinsicht (§ 100 Abs. 1 VwGO) Gebrauch zu machen. Dies ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht geschehen.

Unverhältnismäßig ist schließlich auch nicht die sechswöchige Frist zur Erfüllung der Verpflichtung, die baurechtswidrige Nutzung aufzugeben. Es ist der Klägerin zuzumuten, innerhalb dieser Frist die Schritte durchzuführen, die zu einer Unterbindung der baurechtswidrigen Nutzung zu veranlassen sind (z. B. Kündigung oder Räumung).

3. Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden. Das Zwangsgeld soll gemäß Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterlassen der Handlung hat, erreichen. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, so kann die Behörde das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen nach pflichtgemäßem Ermessen schätzen (Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG). Anhaltspunkte für einen Verstoß hiergegen liegen nicht vor und wurden auch nicht geltend gemacht.

4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Hausanschrift in München:Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen.

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5.wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.

Für die Streitwertbeschwerde besteht kein Vertretungszwang.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte und zwangsgeldbewehrte Verfügung der Antragsgegnerin vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014, womit ihr nach Nachbarbeschwerden als Eigentümerin untersagt wurde, das für Wohnzwecke genehmigte Gebäude auf dem Grundstück D... Straße ..., FlNr. 6907 Gemarkung Schweinfurt für Zwecke der Prostitution zu nutzen.

Die Antragstellerin hat gegen die Bescheide Klage erhoben. Ferner hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Januar 2015 abgelehnt. Die untersagte Nutzung sei formell baurechtswidrig, da für das Grundstück FlNr. 6907 Gemarkung Schweinfurt nach den vorliegenden Baugenehmigungen ausschließlich eine Wohnnutzung genehmigt sei, während die tatsächliche Nutzung als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb zu qualifizieren sei. Allein der Verstoß gegen das formelle Baurecht rechtfertige regelmäßig den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Unabhängig davon, ob die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet oder einem faktischen Mischgebiet entspreche, sei die Nutzung des Gebäudes zur Ausübung der Prostitution nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 ändere daran nichts. Bei der Tätigkeit von Prostituierten handle es sich nicht um eine freiberufliche Tätigkeit. Ein die Nutzungsuntersagung hindernder Vertrauensschutz stehe der Antragstellerin nicht zu.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Die Nachbarbeschwerden vom 21. August 2013 und vom 12. August 2014 seien der Antragstellerin nicht bekannt. Beim Betrieb der Antragstellerin handele es sich nicht um einen bordellartigen Betrieb im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Von außen sei das Anwesen überhaupt nicht als Bordell zu erkennen. Milieutypische Merkmale wie auffällige Leuchtreklame oder rote Lichter seien nicht vorhanden. Vom Anwesen der Antragstellerin gehe keine Störung der umgebenden Mischgebietsnutzung aus. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Tätigkeit der Antragstellerin unverzüglich beendet werden müsse, obwohl diese der Antragsgegnerin seit über zehn Jahren bekannt sei.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. Januar 2015 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Stadt Schweinfurt vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerdebegründung beinhalte keinen Antrag i. S. d. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Die untersagte Nutzung sei mangels entsprechender Baugenehmigung formell illegal. Es stehe außer Zweifel, dass sie auch materiell unzulässig sei. Selbst wenn hier von einem Mischgebiet auszugehen sei, erzeuge der Bordellbetrieb typischerweise Störungen, die gebietsunverträglich seien. Wie sich aus der dem Verwaltungsgericht zugeleiteten Fotoserie ergebe, könne von dem von der Antragstellerin behaupteten diskreten Erscheinungsbild des Hauses „La Playa“ keine Rede sein. Gründe oder Anhaltspunkte, die für eine Duldung oder ein dauerhaftes Nichteinschreiten der Antragsgegnerin nach § 76 BayBO sprächen, seien nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdebegründung der Antragstellerin entgegen der Regelung des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO keinen bestimmten Antrag enthält. Der Beschwerdeantrag braucht aber nicht ausdrücklich als solcher gestellt zu sein; er kann sich auch aus den Beschwerdegründen ergeben (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 21). Diesen lässt sich hier mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen, mit welchem Umfang und mit welchem Ziel die Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch die Antragstellerin angefochten wird.

2. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die im Wohnhaus der Antragstellerin ausgeübte Prostitution baurechtlich keine Wohnungsprostitution im Sinne der Rechtsprechung darstellt, sondern als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb zu qualifizieren ist. Die Nutzung zu Zwecken der Prostitution präge das Gebäude, von einer wohnähnlichen Erscheinung der Nutzung könne nicht die Rede sein. Dem wird im Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegengetreten. Entgegen diesem Vorbringen kann keine Rede davon sein, dass das Anwesen D... Straße ... von außen überhaupt nicht als Bordell zu erkennen ist. Wie vielmehr aus der von der Antragsgegnerin dem Verwaltungsgericht vorgelegten Fotoserie ersichtlich wird und worauf auch das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, tritt das Gebäude aufgrund der Beleuchtung der Fenster vor allem im ersten Stockwerk eindeutig als bordellartiger Betrieb in Erscheinung (vgl. Fotos Nrn. 1, 2, 2 A, 2 B und 3 der Fotoserie v. 18.12.2014).

Soweit die Antragstellerin vorbringt, im Rahmen der typischen Nutzung eines hier vorliegenden faktischen Mischgebiets sei zu klären, ob eine Störung vom Anwesen ausgeht, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein bordellartiger Betrieb - unabhängig davon, ob er als sonstiger Gewerbebetrieb i. S. d. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO oder als Vergnügungsstätte i. S. d. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO einzuordnen ist - mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung unverträglich ist (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 4 C 8/12 - juris Rn. 14; BayVGH, B. v. 16.5.2008 -9 ZB 07.3224 - juris Rn. 7; B. v. 26.9.2014 - 15 ZB 13.656 - juris Rn. 6, B. v. 10.6.2010 -1 ZB 09.1971 - juris Rn. 20).

Soweit im Beschwerdevorbringen lediglich der erstinstanzliche Vortrag der Antragstellerin wiederholt wird, die Antragsgegnerin habe seit langem Kenntnis von der Ausübung der Prostitution gehabt, fehlt es an der notwendigen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat insoweit darauf abgestellt, dass die Antragstellerin keinerlei Nachweise vorgelegt habe, die irgendwelche Anhaltspunkte für eine solche positive Kenntnis der Antragsgegnerin bieten könnten. Weder müsse sich die Bauaufsichtsbehörde etwaiges polizeiliches Wissen und Tätigwerden zurechnen lassen noch erfolgte Gewerbeanmeldungen. Solche Nachweise werden auch im Beschwerdevorbringen nicht vorgelegt. Eine bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde ist im Übrigen nicht geeignet, ein für die Ausübung des Verwaltungsermessens beachtliches Vertrauen darin zu begründen, gegen eine baurechtswidrige Anlage werde auch künftig nicht eingeschritten. Einen rechtlichen bedeutsamen Erklärungswert hat diese bloße Untätigkeit nicht (vgl. BayVGH, B. v. 14.8.2013 - 15 ZB 13.201 - juris Rn. 12 m. w. N.).

Mangels festgestellter Duldung eines illegalen Zustands mit Wissen und Wollen der Bauaufsichtsbehörde über einen längeren Zeitraum bedurfte es hier auch nicht eines besonderen Dringlichkeitsinteresses für die Anordnung des Sofortvollzugs durch die Antragsgegnerin. Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung in der Regel gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO vorliegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.8.2012 - 15 CS 12.130 - juris Rn. 13; B. v. 2.11.2011 - 2 CS 11.1558 - juris Rn. 3 m. w. N.).

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 13. Februar 2014 - 8 Sa 68/13 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der Schuldnerin seit März 2011 als Altenpflegerin beschäftigt. Am 22. Oktober 2012 fand im Büro der Gesellschafterinnen der Schuldnerin ein Gespräch mit der Klägerin statt. Die ebenfalls anwesende vormalige Prozessbevollmächtigte der Schuldnerin erklärte der Klägerin, sie werde eine betriebsbedingte Kündigung erhalten. Die Klägerin gab an, damit nicht einverstanden zu sein. Der weitere Inhalt der Besprechung war zwischen den Parteien streitig.

3

Am Vormittag des 24. Oktober 2012 fand die Klägerin ein Schreiben der Schuldnerin vom 22. Oktober 2012 in ihrem Hausbriefkasten vor, mit welchem diese das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. November 2012 kündigte.

4

Die Klägerin hat gegen die Kündigung die vorliegende Klage erhoben. Sie ist am 14. November 2012 beim Arbeitsgericht eingegangen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Sie hat behauptet, für den Betrieb der Schuldnerin komme das Kündigungsschutzgesetz zur Anwendung. Sie habe nicht damit gerechnet, dass sie im Rahmen der Besprechung am 22. Oktober 2012 eine Kündigung erhalten würde.

5

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 22. Oktober 2012 nicht aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.

6

Die Schuldnerin hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Klagefrist nicht gewahrt. Zudem finde das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Die Schuldnerin hat behauptet, ihre vormalige Prozessbevollmächtigte habe der Klägerin bereits während des Gesprächs am 22. Oktober 2012 die schriftliche Kündigungserklärung „hingehalten“. Die Klägerin habe sich geweigert, diese entgegenzunehmen, und habe das Büro verlassen, ohne das Kündigungsschreiben mitzunehmen. Am Nachmittag desselben Tages hätten ihr Pflegedienstleiter und ein Auszubildender die Klägerin unter ihrer Wohnanschrift aufgesucht. Diese habe die Haustür zunächst nicht geöffnet. Schließlich sei sie den beiden Mitarbeitern in Dienstkleidung entgegengekommen. Auf deren Hinweis, sie wollten ihr einen Brief übergeben, habe sie erklärt, keine Zeit zu haben, und habe das Haus verlassen. Die Mitarbeiter hätten das Kündigungsschreiben daraufhin in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen.

7

Die Klägerin hat erwidert, die beiden Mitarbeiter hätten sie nicht am 22. Oktober 2012, sondern erst am Nachmittag des 23. Oktober 2012 aufgesucht. Sie hätten lediglich erklärt, sie sprechen zu wollen. Von einem Brief sei nicht die Rede gewesen. Sie sei in Eile gewesen, weil sie um 17:00 Uhr einen Termin bei ihrem Prozessbevollmächtigten gehabt habe.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1. Mai 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt. Mit seiner Revision begehrt dieser die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

9

Für die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht niemand erschienen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Die (Un-)Wirksamkeit der Kündigung vom 22. Oktober 2012 steht noch nicht fest.

11

A. Die Revision ist zulässig. Sie ist fristgerecht eingelegt und begründet worden.

12

I. Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG beträgt die Frist für die Einlegung der Revision einen, die Frist für ihre Begründung zwei Monate. Beide Fristen beginnen gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

13

II. Der Beklagte hat mit einem am 14. Juli 2014 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt. Eine wirksame Zustellung des Berufungsurteils war zuvor nicht erfolgt. Seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 1. Mai 2014 war das Verfahren gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Zustellungen nach Eintritt der Unterbrechung sind gegenüber den Parteien unwirksam (vgl. BGH 29. März 1990 - III ZB 39/89 - BGHZ 111, 104). Sie sind nicht geeignet, Rechtsmittelfristen in Gang zu setzen. Diese beginnen vor Aufnahme des Rechtsstreits nach § 249 Abs. 1, § 250 ZPO nicht zu laufen(vgl. Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 249 Rn. 2). Eine Aufnahme ist hier durch den Beklagten - konkludent - erst mit Einlegung der Revision erklärt worden (zu dieser Möglichkeit vgl. BGH 29. März 1990 - III ZB 39/89 - aaO). Zu diesem Zeitpunkt war eine Zustellung des Urteils an den Beklagten zwar noch nicht erfolgt. Die Revision kann jedoch nach Verkündung des Berufungsurteils auch schon vor dessen Zustellung eingelegt werden (BAG 6. November 2003 - 2 AZR 631/02 - zu B I der Gründe).

14

III. Die Frist zur Begründung der Revision begann keinesfalls vor der Aufnahme des Rechtsstreits. Diese erfolgte durch Zustellung der Revisionsschrift am 22. Juli 2014. Nachdem die Frist auf Antrag des Beklagten bis zum 22. Oktober 2014 „verlängert“ worden war, wurde die Revision mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet. Auch dies ist bereits vor Zustellung des Berufungsurteils möglich (BAG 6. März 2003 - 2 AZR 596/02 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 105, 200). Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die am 15. Juli 2014 - nach Einlegung der Revision, aber vor deren Zustellung - erfolgte Urteilszustellung an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten wirksam war.

15

B. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.

16

I. Eine Kündigungsschutzklage ist unbegründet, wenn sie verspätet erhoben wurde. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen nicht die Annahme, die Klägerin habe rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage gegen die Kündigung vom 22. Oktober 2012 eingereicht.

17

1. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, eine schriftliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam, muss er gemäß § 4 Satz 1 KSchG innerhalb von drei Wochen nach ihrem Zugang Klage auf die Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch sie nicht aufgelöst worden ist. Wird die Unwirksamkeit der Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, gilt diese gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Eine verspätet erhobene Kündigungsschutzklage ist als unbegründet abzuweisen (BAG 18. Dezember 2014 - 2 AZR 163/14 - Rn. 16; 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 26, BAGE 146, 161).

18

2. Die Kündigungsschutzklage ist am Mittwoch, dem 14. November 2012 beim Arbeitsgericht eingegangen. Selbst unterstellt, sie sei der Schuldnerin alsbald iSv. § 167 ZPO zugestellt worden, ist gemäß § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG nur dann gewahrt, wenn die Kündigung der Klägerin nicht bereits vor Mittwoch, dem 24. Oktober 2012 zugegangen ist. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dies sei nicht der Fall, wird von seinen Feststellungen nicht getragen.

19

a) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin einen Zugang des Kündigungsschreibens bereits am Vormittag des 22. Oktober 2012 gegen sich gelten lassen muss.

20

aa) Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Anwesenden zu - und wird damit entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam -, wenn sie durch Übergabe in den Herrschaftsbereich des Empfängers gelangt(st. Rspr., zuletzt BAG 4. November 2004 - 2 AZR 17/04 - zu B I 2 a der Gründe mwN). Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger die Verfügungsgewalt über das Schriftstück dauerhaft erlangt (BAG 4. November 2004 - 2 AZR 17/04 - zu B I 2 b der Gründe; 7. Januar 2004 - 2 AZR 388/03 -). Es genügt die Aushändigung und Übergabe, so dass er in der Lage ist, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BAG 4. November 2004 - 2 AZR 17/04 - zu B I 2 c der Gründe mwN). Das Schreiben muss so in seine tatsächliche Verfügungsgewalt gelangen, dass für ihn die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht (für einen Zugang unter Abwesenden vgl. BAG 11. November 1992 - 2 AZR 328/92 - zu III 1 der Gründe). Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist daher auch dann bewirkt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht und, falls er die Entgegennahme ablehnt, so in seiner unmittelbaren Nähe abgelegt wird, dass er es ohne Weiteres an sich nehmen und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen kann. Es geht dagegen nicht zu, wenn es dem Empfänger zum Zwecke der Übergabe zwar angereicht, aber von dem Erklärenden oder Überbringer wieder an sich genommen wird, weil der Empfänger die Annahme abgelehnt hat. In diesem Fall ist das Schreiben zu keinem Zeitpunkt in dessen tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt.

21

bb) Verhindert der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat (BAG 18. Februar 1977 - 2 AZR 770/75 - zu A II 3 d der Gründe; vgl. auch BGH 13. Juni 1952 - I ZR 158/51 -). Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen (vgl. BAG 22. September 2005 - 2 AZR 366/04 - zu II 2 a der Gründe). Lehnt der Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste(BAG 11. November 1992 - 2 AZR 328/92 - zu III 4 der Gründe; 27. Juni 1985 - 2 AZR 425/84 - zu II 2 b der Gründe; BGH 26. November 1997 - VIII ZR 22/97 - zu II 2 a der Gründe, BGHZ 137, 205; 27. Oktober 1982 - V ZR 24/82 - zu B der Gründe mwN). Voraussetzung dafür, dass der Adressat eine Erklärung als früher zugegangen gegen sich gelten lassen muss, ist es, dass der Erklärende seinerseits alles Zumutbare dafür getan hat, dass seine Erklärung den Adressaten erreicht (BAG 22. September 2005 - 2 AZR 366/04 - zu II 2 a der Gründe; 27. Juni 1985 - 2 AZR 425/84 - zu II 2 b der Gründe).

22

cc) Danach ist es auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Klägerin die Kündigung vom 22. Oktober 2012 bereits am Vormittag desselben Tages tatsächlich zugegangen ist oder sie sich doch nach Treu und Glauben so behandeln lassen muss, als sei zu diesem Zeitpunkt der Zugang erfolgt.

23

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, selbst wenn man den Sachvortrag der Schuldnerin als wahr unterstelle, genüge ihre Behauptung, die Klägerin habe das Kündigungsschreiben nicht entgegengenommen, nicht, um eine Zugangsvereitelung darzulegen. Die Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, dass ihr schon bei der ersten Besprechung nach dem Ende des vorangegangenen Rechtsstreits eine weitere Kündigung übergeben werde. Die Reaktion der Klägerin sei als der laienhafte Versuch zu bewerten, sich gegen die Kündigung zu wehren. Eine treuwidrige Zugangsvereitelung liege auch deshalb nicht vor, weil es für die Schuldnerin unschwer möglich gewesen sei, den Zugang der Kündigung auf anderem Wege zeitnah zu bewirken. Die Klägerin habe keine Maßnahmen ergriffen, um etwa den Zugang eines Briefes an ihrer Hausanschrift zu verhindern.

24

(2) Diese Würdigung hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob das Kündigungsschreiben der Klägerin nicht womöglich schon während des Gesprächs am Vormittag des 22. Oktober 2012 zugegangen ist. Das ist nach dem Vorbringen der Schuldnerin nicht ausgeschlossen. Dieses Vorbringen als wahr unterstellt, hat das Berufungsgericht zudem eine treuwidrige Zugangsverzögerung durch das Verhalten der Klägerin zu Unrecht verneint.

25

(a) Nach dem Vortrag der Schuldnerin kann das Kündigungsschreiben der Klägerin bereits während des Gesprächs am Vormittag des 22. Oktober 2012 im Rechtssinne zugegangen sein. Zwar hat die Schuldnerin nicht behauptet, es sei der Klägerin bei dieser Gelegenheit so übergeben worden, dass sie es zumindest kurz in Händen gehalten habe. Auch hat die Schuldnerin nicht eindeutig vorgetragen, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben mit dem erkennbaren Ziel, es ihr auszuhändigen, angereicht und anschließend vor ihr auf den Tisch gelegt worden. Die Formulierung, das Schreiben sei der Klägerin „hingehalten“ worden, lässt darauf nicht zweifelsfrei schließen. Sie kann ebenso gut bedeuten, das Schriftstück sei der Klägerin gezeigt worden. Es bleibt zudem unklar, was genau anschließend mit dem Schreiben geschehen ist. Umgekehrt ist nicht ausgeschlossen, dass die Schuldnerin ihr Vorbringen in der Weise verstanden wissen will, das Kündigungsschreiben sei der Klägerin sehr wohl zum Zwecke der Übergabe gereicht worden und diese habe bereits tatsächliche Verfügungsgewalt besessen, als sie das Büro verlassen habe. So hat sie im Schriftsatz vom 31. Mai 2013 ausgeführt, die Klägerin habe das Kündigungsschreiben „nicht mitgenommen“, was bedeuten kann, dass sie bereits darüber habe verfügen können. Dafür sprechen auch die mit der Berufungserwiderung vorgelegten Aktennotizen, in denen festgehalten ist „[Die Klägerin] ist aufgestanden und schnell rausgegangen ohne die Kündigung mitzunehmen, Kündigung wurde überreicht“ bzw. „Kündigung überreicht & [die Klägerin] lässt diese liegen & verlässt den Raum“.

26

(b) Ist das Vorbringen der Schuldnerin dagegen so zu verstehen, dass die Klägerin das Büro zu einem Zeitpunkt verlassen habe, als ihr das Kündigungsschreiben noch erfolglos „hingehalten“ worden sei, wäre es ihr zwar noch nicht zugegangen, in ihrem Verhalten könnte aber eine treuwidrige Zugangsverzögerung liegen. Sie müsste dann die Kündigung ebenfalls als am 22. Oktober 2012 zugegangen gegen sich gelten lassen.

27

(aa) Voraussetzung dafür ist, dass die Schuldnerin mit der Behauptung, das Schreiben sei der Klägerin „hingehalten“ worden, nicht nur vortragen will, man habe es ihr gezeigt - etwa um die Ankündigung zu unterstreichen, sie werde demnächst eine weitere Kündigung erhalten -, sondern behaupten will, es sei ihr zu dem erkennbaren Zwecke der Übergabe angereicht worden. Anderenfalls hätte sich die Klägerin nicht veranlasst sehen müssen, es entgegenzunehmen. Damit wiederum schiede auch eine treuwidrige Annahmeverweigerung grundsätzlich aus.

28

(bb) Geht der Vortrag der Schuldnerin dahin, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben zum Zwecke der Übergabe angereicht worden, läge in dem Verhalten der Klägerin eine treuwidrige Zugangsverzögerung, es sei denn, diese hätte den Umständen nach annehmen dürfen, die für die Schuldnerin handelnden Personen akzeptierten ihre Weigerung, das Kündigungsschreiben entgegenzunehmen.

29

(cc) Einer Zugangsvereitelung stünde nicht entgegen, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben zeitnah auch an ihrer Wohnanschrift hätte zugestellt werden können. An der Vereitelung eines Zugangs während der Besprechung am 22. Oktober 2012 änderte sich dadurch nichts. Es kommt allein darauf an, ob die Klägerin nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet war, unter den gegebenen Umständen ein Kündigungsschreiben entgegenzunehmen, welches ihr eine Vertreterin der Arbeitgeberin zum Zwecke der Übergabe reichte. Dies ist zu bejahen. Ein Arbeitnehmer muss regelmäßig damit rechnen, dass ihm anlässlich einer im Betrieb stattfindenden Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend sein Arbeitsverhältnis übermittelt werden. Der Betrieb ist typischerweise der Ort, an dem das Arbeitsverhältnis berührende Fragen besprochen und geregelt werden (BAG 27. November 2003 - 2 AZR 135/03 - zu B II 3 b cc (3) iVm. B II 3 b der Gründe, BAGE 109, 22). Ob tatsächlich mit einer Kündigung zu rechnen war, ist nicht entscheidend. Hier war der Klägerin nach dem Vorbringen der Schuldnerin aber sogar unmittelbar vor dem behaupteten Übergabeversuch ausdrücklich angekündigt worden, sie solle eine Kündigung erhalten. Ein berechtigter Grund, die Annahme des Schriftstücks in dieser Situation zu verweigern, ist weder vorgetragen noch objektiv ersichtlich. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es unerheblich, ob sich die Klägerin laienhaft gegen die Kündigung hat wehren wollen. Gerade darin läge eine ungerechtfertigte Annahmeverweigerung. Auf ein Verschulden des Adressaten kommt es nicht an (BAG 18. Februar 1977 - 2 AZR 770/75 - zu A II 3 d der Gründe; vgl. auch BGH 13. Juni 1952 - I ZR 158/51 -). Von Bedeutung ist allein, ob objektiv ein Verstoß gegen Treu und Glauben gegeben ist. Das ist hier nach dem Vorbringen der Schuldnerin nicht auszuschließen. Ein Arbeitgeber darf darauf vertrauen, einem Arbeitnehmer während einer Besprechung im Betrieb eine schriftliche Willenserklärung in Bezug auf das Arbeitsverhältnis übermitteln zu können. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf Seiten des Arbeitnehmers als Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 241 Abs. 2 BGB gebietet es, die Entgegennahme nicht grundlos zu verweigern. Dies gilt schon deshalb, weil es dem Arbeitgeber auf einen Zugang zu diesem Zeitpunkt ankommen kann. Ob die auszuhändigende Erklärung tatsächlich fristgebunden und dem Arbeitnehmer dies bewusst ist, ist nicht ausschlaggebend. Dies steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Senats vom 7. November 2002 (- 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277). Zwar sollte in dem ihr zugrunde liegenden Fall erkennbar eine Kündigung zugestellt werden, die eine Frist wahren musste. Das bedeutet aber nicht, eine treuwidrige Zugangsvereitelung komme nur unter dieser Voraussetzung in Betracht.

30

(c) Nach dem Vorbringen der Schuldnerin ist nicht ausgeschlossen, dass sie alles Zumutbare dafür getan hatte, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben noch während des Gesprächs am 22. Oktober 2012 zugehen konnte. Voraussetzung ist, dass ihr Vorbringen dahingehend zu verstehen ist, ihre Vertreterin habe das Kündigungsschreiben zur Übergabe parat gehalten und versucht, es der Klägerin auszuhändigen, diese habe die Entgegennahme jedoch verweigert und das Büro verlassen. Die Klägerin hätte dann die persönliche Übergabe im Betrieb grundlos vereitelt. Die spätere Zustellung an ihrer Wohnanschrift wäre allein durch ihr Verhalten erforderlich geworden.

31

(d) Eine treuwidrige Zugangsvereitelung wäre nicht deshalb zu verneinen, weil das fragliche Verhalten der Klägerin nicht über einen gewissen Zeitraum andauerte. Die vom Landesarbeitsgericht herangezogene Entscheidung des Senats vom 22. September 2005 (- 2 AZR 366/04 -) betraf eine andere Konstellation. Der Arbeitnehmer hatte dem Arbeitgeber seine gültige Wohnanschrift nicht mitgeteilt. Darin liegt ein anderer Pflichtenverstoß als in der Weigerung, ein Kündigungsschreiben im Betrieb persönlich entgegenzunehmen.

32

b) Nach den bisherigen Feststellungen ist ferner nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin einen Zugang des Kündigungsschreibens jedenfalls am Nachmittag des 22. oder 23. Oktober 2012 gegen sich gelten lassen muss.

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Verhalten der Klägerin am Nachmittag des 23. Oktober 2012 stelle keine Zugangsvereitelung dar. Selbst wenn man zugunsten der Schuldnerin unterstelle, ihre Boten hätten der Klägerin mitgeteilt, sie wollten ihr eine Kündigung übergeben, sei diese nicht verpflichtet gewesen, das Schriftstück sogleich zur Kenntnis zu nehmen. Sie sei auf dem Weg zu einem Anwaltstermin gewesen. Im Übrigen sei ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit nicht verpflichtet, zu jeder Minute für die Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers zur Verfügung zu stehen.

34

bb) Auch diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist nicht ohne Rechtsfehler.

35

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Mitarbeiter der Schuldnerin hätten die Hausanschrift der Klägerin am 23. Oktober 2012 aufgesucht. Demgegenüber hatte die Schuldnerin behauptet, dies und der anschließende Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten der Klägerin hätten sich bereits am Nachmittag des 22. Oktober 2012 ereignet. Zwar hat sie im Berufungsverfahren gemeint, soweit in der Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts vom 22. Oktober 2012 die Rede sei, müsse es sich um einen Schreibfehler handeln. Dies lässt aber nicht zweifelsfrei den Schluss zu, sie habe ihr tatsächliches Vorbringen entsprechend korrigieren wollen. Ebenso gut kann es sich um eine ihrem eigenen Tatsachenvortrag widersprechende irrtümliche Äußerung einer Rechtsansicht gehandelt haben. Dies konnte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht geklärt werden. Wäre das Kündigungsschreiben bereits am Nachmitttag des 22. Oktober 2012 in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen worden, wäre es ihr - unabhängig davon, ob noch an diesem Tag mit seiner Kenntnisnahme zu rechnen war - spätestens am 23. Oktober 2012 im Rechtssinne zugegangen.

36

(2) Selbst wenn die Boten die Hausanschrift der Klägerin - wie von dieser behauptet - erst am Nachmittag des 23. Oktober 2012 aufgesucht haben sollten, wäre ihr die Kündigung nach dem Vorbringen der Schuldnerin noch an diesem Tag iSd. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen.

37

(a) Eine verkörperte Willenserklärung geht unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen(BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21; 11. November 1992 - 2 AZR 328/92 -  zu III 1 der Gründe; 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - zu I 1 der Gründe, BAGE 58, 9; BGH 11. April 2002 - I ZR 306/99 - zu II der Gründe). Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21; Palandt/Ellenberger 74. Aufl. § 130 BGB Rn. 5). Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21; 8. Dezember 1983 - 2 AZR 337/82 - zu B II 2 a der Gründe; BGH 3. November 1976 - VIII ZR 140/75 - zu 2 b aa der Gründe, BGHZ 67, 271; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 5; Staudinger/Dilcher BGB § 130 Rn. 21). So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21; vgl. auch 8. Dezember 1983 - 2 AZR 337/82 - zu B II 2 a der Gründe; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 6; Reichold in jurisPK-BGB 5. Aufl. § 130 Rn. 12). Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21; vgl. auch BGH 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 - zu II 2 b der Gründe; Palandt/Ellenberger § 130 BGB Rn. 6). Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 22; 11. November 1992 - 2 AZR 328/92 - zu III 1 der Gründe; 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - zu I 1 der Gründe, aaO; BGH 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 - zu II 2 b der Gründe). Den Empfänger trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche - allein in seiner Person liegenden - Gründe nicht ausgeschlossen (BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 22; BGH 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 - zu II 2 b der Gründe).

38

(b) Danach ist das Kündigungsschreiben der Klägerin - das Vorbringen der Schuldnerin zum Verlauf der Zustellung an der Hausanschrift als wahr unterstellt - noch am 23. Oktober 2012 zugegangen, selbst wenn es erst an diesem Nachmittag in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Zwar folgt dies nicht daraus, dass die Klägerin den Zugang - erneut - verzögert hätte. Die Schuldnerin hat nicht behauptet, der Klägerin sei das Kündigungsschreiben von ihren Mitarbeitern zum Zwecke der Übergabe angereicht worden. Eine treuwidrige Annahmeverweigerung ist damit nicht ersichtlich. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit für die Entgegennahme von Erklärungen des Arbeitgebers jederzeit zur Verfügung zu stehen hat. Die Schuldnerin hat aber vorgetragen, ihre Boten hätten die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie ihr einen Brief übergeben wollten. Die Klägerin habe daraufhin erklärt, keine Zeit zu haben. Sollte dies zutreffen, wäre das Kündigungsschreiben der Klägerin noch an diesem Tag zugegangen. Die Klägerin musste nach dem betreffenden Hinweis davon ausgehen, dass die Boten das Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten einwürfen und es damit in ihren Herrschaftsbereich gelangt wäre. Unter gewöhnlichen Verhältnissen bestand damit für sie die Möglichkeit, von dem Schreiben noch an diesem Tag Kenntnis zu nehmen. Anders als dann, wenn ein Brief ohne Wissen des Adressaten erst nach den üblichen Postzustellzeiten in dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist mit der Kenntnisnahme eines Schreibens, von dem der Adressat weiß oder annehmen muss, dass es gegen 17:00 Uhr eingeworfen wurde, unter gewöhnlichen Verhältnissen noch am selben Tag zu rechnen. Ob die Klägerin dazu angesichts ihrer Termine tatsächlich in der Lage war, ist nicht entscheidend. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Schuldnerin Kenntnis von diesen Terminen hatte, ob ihr die Kenntnis ihrer Mitarbeiter zuzurechnen wäre oder ob die Klägerin ihr gegenüber verpflichtet war, das Schreiben sogleich zur Kenntnis zu nehmen.

39

II. Ob die Kündigung vom 22. Oktober 2012 das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat, steht noch nicht fest. Zur Klärung war die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

40

1. Bei der neuen Verhandlung wird das Landesarbeitsgericht, gegebenenfalls nach Erhebung der angebotenen Beweise, die notwendigen Feststellungen zu treffen haben. Dem Beklagten wird Gelegenheit zu geben sein, das Vorbringen der Schuldnerin zum konkreten Verlauf eines möglichen Versuchs der Übergabe eines Kündigungsschreibens und einer Verweigerung von dessen Annahme durch die Klägerin am Vormittag des 22. Oktober 2012 sowie zum Datum der Zustellung des Kündigungsschreibens an der Hausanschrift der Klägerin klarzustellen.

41

2. Sollte ein Zugang oder eine treuwidrige Zugangsvereitelung am Vormittag des 22. Oktober 2012 nachgewiesen werden oder sollte sich das Vorbringen der Schuldnerin als wahr erweisen, das Kündigungsschreiben sei am Nachmittag des 22. Oktober 2012 oder am 23. Oktober 2012 nach vorheriger Ankündigung, es solle ein Brief übergeben werden, eingeworfen worden, gälte die Kündigung gemäß § 7 KSchG von Anfang an als rechtswirksam. Die Klägerin hätte ihre Unwirksamkeit nicht innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend gemacht.

42

3. Sollten sich die Behauptungen der Schuldnerin zur Besprechung am 22. Oktober 2012 und zum Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin nicht als zutreffend erweisen, wäre die Klage rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhoben. In diesem Fall ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht sozial gerechtfertigt, nicht zu beanstanden. Der Beklagte erhebt insoweit auch keine Einwände.

Rechtsbehelfsbelehrung

43

Gegen dieses Versäumnisurteil kann die Klägerin innerhalb einer Frist von zwei Wochen seit Zustellung Einspruch beim

Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuß-Platz 1, 99084 Erfurt,

einlegen.

44

Der Einspruch muss von einem Rechtsanwalt, dem Vertreter einer Gewerkschaft oder eines Zusammenschlusses von Gewerkschaften mit der Befähigung zum Richteramt oder dem Vertreter einer juristischen Person gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 ArbGG mit der Befähigung zum Richteramt unterzeichnet sein.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Alex    

        

    Wolf    

                 

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert, so gilt die Bedingung als eingetreten.

(2) Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt, so gilt der Eintritt als nicht erfolgt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg

Aktenzeichen: W 4 K 14.1300

Im Namen des Volkes

Urteil

10. November 2015

4. Kammer

Sachgebiets-Nr: 920

Hauptpunkte: Nutzungsuntersagung; bordellartiger Betrieb; keine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit;

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: ...

gegen

Stadt Schweinfurt,

vertreten durch den Oberbürgermeister, Markt 1, 97421 Schweinfurt,

- Beklagte -

beteiligt: Regierung von Unterfranken, Vertreter des öffentlichen Interesses, 97064 Würzburg,

wegen Nutzungsuntersagung,

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, 4. Kammer, durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Strobel, die Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Hetzel, den Richter Kreiselmeier, den ehrenamtlichen Richter Stich, den ehrenamtlichen Richter Kunkel aufgrund mündlicher Verhandlung am 10. November 2015 folgendes

Urteil:

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

1. Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ...07 der Gemarkung Schweinfurt (D... Straße 10). Für das Gebäude auf dem Grundstück existiert eine Baugenehmigung für ein Wohnhaus aus dem Jahr 1925. Ein Wohnhausanbau sowie der Ausbau des Dachgeschosses wurden in den Jahren 1970 und 1976 genehmigt. Es liegen mehrere Gewerbeanmeldungen vor, u. a. eine Gewerbeanmeldung vom 12. Juni 2014 für den Betrieb von Wellnesseinrichtungen und gewerbliche Zimmervermietung, zuletzt eine Gewerbeanmeldung vom 1. April 2015 für einen Massagesalon. Das Gewerbe an dieser Adresse wird im Internet zuletzt mit „Massage L...“ beworben.

Beim Amt für öffentliche Ordnung der Beklagten waren zwei Anzeigen einer Nachbarin wegen Störungen durch den Betrieb des Bordells „L...“ vom 21. August 2013 und vom 12. August 2014 eingegangen. Diese bezogen sich vor allem auf den Lärm durch wartende Gäste im Außenbereich sowie auf eine Verunreinigung des Außenbereichs.

Die Beklagte forderte Herrn G... S..., für den eine Gewerbeanmeldung vom 1. Juli 2013 für die Betriebsstätte vorlag und der in der Gewerbeanmeldung vom 1. Juli 2013 als gesetzlicher Vertreter der Klägerin ausgewiesen war, mit Schreiben vom 29. April 2014 auf, die bordellartige Nutzung des Wohnhauses bis spätestens 2. Juni 2014 zu beenden und die Beendigung schriftlich mitzuteilen. Für den Fall der Nichtbeachtung wurde eine Nutzungsuntersagung durch förmlichen Bescheid und eine Zwangsgeldandrohung angekündigt.

2. Mit Bescheid vom 13. November 2014 untersagte die Beklagte der Klägerin die Nutzung des Wohnhauses auf dem Grundstück D... Straße 10, Fl.Nr. ...07, Gemarkung Schweinfurt, zum Zwecke der Prostitution; die Nutzung sei innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung des Bescheids aufzugeben (Nr. I des Bescheids). Die sofortige Vollziehung der Nr. I des Bescheids wurde angeordnet (Nr. II des Bescheids). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer I des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR angedroht (Nr. III des Bescheids).

Zur Begründung des Bescheids führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass die Nutzung nach Art. 76 Satz 2 BayBO untersagt werden könne. Das verfahrensgegenständliche Gebäude sei im Jahr 1925 als Wohnhaus mit einer Wohneinheit baurechtlich genehmigt worden. In den Jahren 1970 und 1976 seien Genehmigungen für einen Wohnhausanbau in südlicher Richtung sowie den Ausbau des Dachgeschosses erfolgt. Dadurch dass das Anwesen nunmehr für Zwecke der Prostitution genutzt werde, liege baurechtlich eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor. Hieraus folge, dass die beanstandete Nutzung allein schon wegen fehlender Genehmigung formell rechtswidrig sei und bereits deshalb eine Nutzungsuntersagung in Betracht komme. Die Ausübung der Prostitution auf dem Grundstück sei auch materiellrechtlich rechtswidrig. Eine nachträgliche Genehmigung scheide aus. Ausschlaggebend seien hierfür Gründe des Bauplanungsrechts. Das Anwesen befinde sich im Geltungsbereich des im Jahr 1976 in Kraft getretenen rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. N 11 + 12 in einem Gebiet, das i. S. d. § 4 BauNVO (1968) als allgemeines Wohngebiet festgesetzt worden sei. Die Nutzung des Wohnhauses für Zwecke der Prostitution widerspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans und sei damit unzulässig. Die Anordnung der Nutzungsuntersagung liege im pflichtgemäßen Ermessen der Stadt. Das öffentliche Interesse erfordere es grundsätzlich, gegen baurechtswidrige Zustände einzuschreiten, um die Einhaltung der Rechtsordnung zu sichern. Das private Interesse der Eigentümerin am Fortbestand der baurechtswidrigen Nutzung wiege gegenüber dem öffentlichen Interesse geringer. Zu berücksichtigen sei schließlich auch gewesen, dass eine nachträgliche Genehmigung der rechtswidrigen Nutzung ausscheide. Eine Befreiung von der bauplanungsrechtlich festgesetzten Art der baulichen Nutzung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheide aus, da diese die Grundsätze der Planung berühren würde, städtebaulich nicht vertretbar und auch mit den öffentlichen Belangen nicht vereinbar sei. Die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung werde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet. Das öffentliche Interesse an der Anordnung liege vor, da bei einer Fortsetzung der Prostitution auf dem Grundstück mit einer nachhaltigen Störung des Wohngebiets, vor allem des Wohnfriedens, zu rechnen sei. Im Übrigen wäre eine Fortsetzung der rechtswidrigen Nutzung bei Einlegen eines Rechtsbehelfs mit einem ordnungsgemäßen Vollzug der Baugesetze nicht vereinbar. Das Interesse der Stadt Schweinfurt an der Wiederherstellung der Wohnruhe im Wohngebiet sei schwerwiegend und dulde keinen zeitlichen Verzug. Das Rechtsschutzinteresse der Grundstückseigentümerin müsse deshalb dem öffentlichen Interesse gegenüber zurücktreten. Etwaige finanzielle Verluste, die aufgrund der Nutzungsuntersagung erwachsen würden, seien nicht zu berücksichtigen, da diese lediglich auf der rechtswidrigen Nutzung beruhten und somit allein in der Verantwortungssphäre der Grundstückseigentümerin lägen.

Mit Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 2014 wurde der Bescheid vom 13. November 2014 zur Nutzungsuntersagung hinsichtlich der materiellrechtlichen Begründung in Ziffer II geändert. Zur Begründung des Bescheids vom 18. Dezember 2014 wurde ausgeführt, dass sich das Anwesen D... Straße 10 nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans nach § 30 BauGB befinde, sondern innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile. Die Zulässigkeit des Vorhabens sei somit nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB zu beurteilen. Die Eigenart der näheren Umgebung des Anwesens entspreche einem allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) gemäß § 34 Abs. 2 BauGB. Die Nutzung der verfahrensgegenständlichen Doppelhaushälfte für Zwecke der Prostitution sei - unabhängig davon, ob von Wohnungsprostitution, einem bordellartigen Betrieb oder einem Bordell auszugehen sei - bauplanungsrechtlich in einem bei weitem überwiegend durch Wohnen geprägten Gebiet nicht zulässig. Die Voraussetzungen für eine Befreiung i. S. d. § 31 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 34 Abs. 2 2. Halbs. BauGB seien nicht gegeben. Die Nutzung von Gebäuden zum Zwecke der Prostitution, insbesondere Bordellen und bordellartigen Betrieben, führe in Wohngebieten regelmäßig zu bodenrechtlich beachtlichen Spannungen und beeinträchtige dort die vorhandene Wohnruhe erheblich, weil sich eine bauplanungsrechtlich relevante Verschlechterung, Störung oder Belastung der vorhandenen städtebaulichen Situation ergebe. Auch sei sie gegenüber der legalen Wohnnutzung, dem Wohnumfeld und allem, was für die Wohnqualität von Bedeutung sei, in höchstem Maße rücksichtslos. Bei der streitgegenständlichen Nutzung auf dem Grundstück D... Straße 10 komme dies auch durch die eindeutige Beleuchtung von Fenstern, die auf die gerügte Nutzung gezielt hinweisen solle, besonders zum Ausdruck.

3. Am 15. Dezember 2014 erhob die Klägerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg Klage und beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2014 aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2015 beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin darüber hinaus,

auch den Bescheid vom 18. Dezember 2014 aufzuheben.

Die Klägerin begründete ihre Klage im Wesentlichen damit, dass die ausgesprochene Nutzungsuntersagung rechtswidrig erfolgt sei und daher aufzuheben sei. Im gegenständlichen Anwesen werde seit mehr als zehn Jahren der Prostitution nachgegangen. Vor über zehn Jahren sei eine ordnungsgemäße Gewerbeanmeldung erfolgt. Seitdem sei das Anwesen regelmäßig auch von Polizeibeamten der Stadt Schweinfurt kontrolliert worden. Der jeweilige Betreiber des Anwesens habe nicht unerhebliche Steuerzahlungen geleistet. Zu Beanstandungen des Betriebs, etwa im Hinblick auf den Vorwurf des Menschenhandels oder ähnlicher milieutypischer Delikte sei es niemals gekommen. Der angegriffene Bescheid sei allein mit formelhaften Begründungen versehen. Konkrete Darlegungen der angeblichen erheblichen bodenrechtlichen Spannungen seien nicht erfolgt. Auch müsse sich die Beklagte fragen lassen, weshalb sie sich in Ansehung dieser angeblichen erheblichen bodenrechtlichen Spannungen in Kenntnis des Vorhandenseins des bordellartigen Betriebes über zehn Jahre Zeit gelassen habe, um dessen Nutzung zu untersagen. Gleiches gelte für die angeblichen Beeinträchtigungen der vorhandenen Wohnruhe. Dass es tatsächlich zu Beeinträchtigungen gekommen sei, werde von der Beklagten nicht behauptet. Tatsächlich komme es auch nicht zu Beeinträchtigungen der Wohnruhe etwa durch milieutypische Straftaten oder Ähnliches. Der Klägerin sei von milieutypischen Straftaten oder Anwohnerbelästigungen bislang nichts bekannt geworden. Ferner sei die Nutzungsuntersagung nicht sachgerecht und entspreche auch nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Beklagte verschweige, dass sie ausschließlich gegen den streitgegenständlichen Betrieb der Klägerin vorgehe. Tatsächlich dürfte eine pflichtgemäße Ermessensausübung gebieten, dass die Beklagte auch gegen weitere in Wohngebieten ansässige bordellartige Betriebe Nutzungsuntersagungen ausspreche. Tatsächlich tue dies die Beklagte jedoch nicht. Der Gesetzgeber habe mit Schaffung des Prostitutionsgesetzes, welches zum 1. Januar 2002 in Kraft getreten sei, die Prostitution vom Makel der Sittenwidrigkeit befreit. Wenn aber der Gesetzgeber die Prostitution vom Stigma der Sittenwidrigkeit befreie, so sei nicht ersichtlich, weshalb ein bordellartiger Betrieb baurechtlich anders als eine Schank- oder Speisewirtschaft, ein nichtstörender Handwerksbetrieb oder eine Anlage, welche sozialen und sportlichen Zwecken diene, behandelt werden solle. Soweit man die Ausübung der Prostitution als freien Beruf i. S. d. § 13 BauNVO erachte, wäre sie grundsätzlich in reinen und in allgemeinen Wohngebieten in Räumen und in den Baugebieten nach den §§ 4a bis 9 BauNVO auch in Gebäuden zulässig. Die Prostitutionsausübung genieße als Beruf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Die Prostitution sei, soweit sie selbstständig und weisungsunabhängig ausgeübt werde, als freiberufliche Tätigkeit i. S. d. § 13 BauNVO einzuordnen. Dieses Ergebnis werde auch dadurch gestützt, dass hinsichtlich der Wohnartigkeit der Prostitutionsausübung kein Unterschied erkennbar sei zu den Tätigkeiten eines Masseurs oder eines Fußpflegers, welche als dem Freiberuf ähnliche Berufe gewertet würden. Bezüglich einer etwaigen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme habe die Beklagte substantiiert nichts vorgebracht, insbesondere zu der Intensität der Belastung der Nachbarschaft im konkreten Fall. Schließlich habe die Klägerin den Bordellbetrieb mit Wirkung zum 31. März 2015 abgemeldet. Es werde nunmehr ein baurechtlich zulässiger Massagesalon betrieben.

4. Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verwies auf ihr Vorbringen in der Verwaltungsstreitsache W 4 S 14.1301. Zur Begründung hatte die Beklagte dort ausgeführt, hinsichtlich der angezweifelten „bodenrechtlich beachtlichen Spannungen“ sei anzumerken, dass es sich hier um eine typischerweise wohnunverträgliche Nutzung handele, die in einem Gebiet, das überwiegend Wohnzwecken diene, entsprechende Störungen auslöse. Verstärkt würden diese durch die eindeutige Fensterbeleuchtung, die vor allem nachts ihre Wirkung nicht verfehle. Auch seien von den Anwohnern aus der Nachbarschaft Störungen beklagt und wiederholt dem Amt für öffentliche Ordnung der Stadt vorgetragen worden (siehe Heftung 1 Bl. 23a und 23b). Die Behauptung des Prozessbevollmächtigten, dass die Stadt ausschließlich gegen den streitgegenständlichen Betrieb der Klägerin vorgehe, sei nicht zutreffend. Die Stadt greife Nutzungen zum Zwecke der Prostitution in Wohngebieten auf und schreite bauaufsichtlich ein. Im Jahr 2014 sei die Stadt gegen eine entsprechende Nutzung ca. 100 m südlich des streitgegenständlichen Grundstücks vorgegangen und habe eine Nutzungsuntersagung verfügt. Die vorgetragenen Zweifel an der rechtmäßigen Ermessensausübung gingen somit ins Leere. Anhaltspunkte, die für die Rechtswidrigkeit der Nutzungsuntersagung sprächen, seien somit nicht gegeben.

Die Beklagte führte zudem aus, dass eine Bevollmächtigung der Prozessvertreter der Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht nachgewiesen sei. Es sei daher keine ordnungsgemäße Klageerhebung erfolgt, weswegen die Klage als unzulässig abzuweisen sei.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin machte hierzu geltend, es sei eine wirksame Vollmacht des Geschäftsführers der Klägerin vorgelegt worden. Es handele sich hierbei um den Geschäftsführer S... L..., der die ursprüngliche Gewerbeanmeldung vorgenommen habe. Diese liege der Beklagten ebenso wie eine Kopie des Ausweises von Herrn L... vor.

5. Mit Beschluss vom 29. Januar 2015 lehnte die Kammer den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (W 4 S 14.1301) ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München mit Beschluss vom 7. April 2015 (9 CS 15.394) zurück. Wegen der Begründung wird auf die Beschlüsse vom 29. Januar 2015 und 7. April 2015 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Die Klage wurde entgegen der Ansicht der Beklagten ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerin wurde gemäß § 67 Abs. 2 VwGO durch einen Rechtsanwalt vertreten. Prozesshandlungen konnten von diesem wirksam vorgenommen werden. Die Vollmacht ist als Prozessvollmacht zur Entstehung gelangt, da der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung eine den Vorgaben der §§ 81 ff. ZPO entsprechende Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten eingereicht hat (§ 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO). Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO kann die Vollmacht nachträglich vorgelegt werden, jedenfalls bis zum Ergehen des Urteils (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 67 Rn. 49). Der Klägerbevollmächtigte hat neben einer Originalvollmacht eine Bestätigung des Verwaltungsrats der Klägerin, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, zu den Gerichtsakten gegeben, in welcher ausgeführt wird, dass Herr S... L... für die Klägerin als Geschäftsführer tätig ist und ermächtigt ist, die Gesellschaft vor Gericht zu vertreten. Eine Zusammenschau dieser Dokumente verdeutlicht nach Ansicht der Kammer hinreichend, dass Herr S... L... für die Klägerin im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren vertretungsbefugt ist und die Prozessvollmacht unterzeichnen konnte. Ob die vom Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 25. November 2015 vorgelegte Originalvollmacht, welche vom Verwaltungsrat der Klägerin, besetzt durch das einzige Mitglied, Herrn J... B... (vgl. Internet-Auszug - Handelsregister des Kantons O..., Bl. 14 und 15 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 14.1300), unterzeichnet ist, nach Ergehen des Urteils Beachtung findet, kann daher dahinstehen (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, § 67 Rn. 49 f.).

2. Die Klage ist unbegründet, da die Untersagungsverfügung in der Sache nicht zu beanstanden ist. Nach Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften genutzt werden.

2.1 Die untersagte Nutzung ist formell baurechtswidrig, weil es sich im vorliegenden Fall bei der Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes zum Zwecke der Prostitutionsausübung um eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung handelt und die erforderliche Genehmigung nicht vorliegt.

Aus den Baugenehmigungen für das Grundstück Fl.Nr. ...07 der Gemarkung Schweinfurt (D... Straße 10) vom 9. Juli 1925, vom 7. August 1970 und vom 2. November 1976 ergibt sich, dass ausschließlich eine Wohnnutzung genehmigt ist.

Die tatsächlich vorliegende Nutzung ist baurechtlich als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb und nicht als sog. Wohnungsprostitution zu qualifizieren. Wohnungsprostitution setzt voraus, dass die Prostituierten in der Wohnung, in der sie ihr Gewerbe ausüben, auch wohnen und zwar über einen längeren Zeitraum als nur wenige Wochen oder Monate; die gewerbliche Nutzung darf nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung treten und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht das Gepräge geben (vgl. BayVGH, B.v. 19.05.1999, Az. 26 ZB 99.770; BayVGH, B.v. 16.05.2008, Az. 9 ZB 07.3224; OVG Koblenz, U.v. 23.06.2010, Az. 8 A 10559/10; VGH Mannheim, U.v. 24.07.2002, Az. 5 S 149/01; OVG Münster, B.v. 10.09.2010, Az. 7 A 1057/10 jeweils m. w. N. - juris). Von einer Wohnungsprostitution kann auch dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ein Gebäude ausschließlich von Prostituierten (und gegebenenfalls einer „Betriebsleiterin“) bewohnt und gewerblich genutzt wird (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.05.1999, Az. 26 ZB 99.770 - juris). Unabhängig, ob diese Voraussetzung vorliegt, wovon nach dem Vorbringen der Klägerin auszugehen ist, kann von einer nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tretenden Nutzung vorliegend schon angesichts des Umstands, dass das Gebäude aufgrund der Beleuchtung der Fenster vor allem im ersten Stockwerk als Prostitutionsgewerbe in Erscheinung tritt, nicht die Rede sein. Für die Nutzungsänderung der genehmigten Wohnnutzung in eine bordellartige Nutzung fehlt es aber an der erforderlichen baurechtlichen Genehmigung.

Soweit der Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass das Gewerbe mit Ablauf des 31. März 2015 abgemeldet worden sei, ist das für die rechtliche Bewertung ohne Belang. Zwar ist es zutreffend, dass eine Abmeldung des Gewerbes „Betrieb und Beratung von Fitness- und Wellnesseinrichtungen, gewerbliche Zimmervermietung“ am 31. März 2015 erfolgt ist (vgl. Bl. 77 der Gerichtsakte). Jedoch wurde zum 1. April 2015 ein „Massagesalon“ angemeldet. Polizeikontrollen nach dem 31. März 2015, am 15. und 24. April 2015, haben ergeben, dass sich der Betrieb unverändert darstellt. Es seien beide Male eine Hausdame und mehrere Prostituierte angetroffen worden (vgl. Bl. 11 der Behördenakte im Parallelverfahren W 4 K 15.441). Auch der Internetauftritt „Massage L...“ (abgerufen am 22. Mai 2015 von der Beklagten, vgl. Heftung der Beklagten im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren, sowie von der Kammer am 21. Oktober 2015) bezeugt, dass auch nach dem 31. März 2015 die Räumlichkeiten im streitgegenständlichen Anwesen zu Zwecken der Prostitution genutzt werden. Die gewerberechtliche Situation hat auf die baurechtliche Beurteilung des Sachverhalts im Übrigen keinen Einfluss. Insofern handelt es sich um zwei unabhängig voneinander bestehende Rechtskreise.

Allein der Verstoß gegen das formelle Baurecht rechtfertigt regelmäßig bereits den Erlass der Nutzungsuntersagung. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Vereinbarkeit eines bestimmten Vorhabens bzw. einer bestimmten Nutzung mit dem öffentlichen Baurecht vor dessen tatsächlicher Realisierung in einem geordneten Genehmigungsverfahren geprüft wird und außerdem vermieden wird, dass sich derjenige, der eine ungenehmigte Nutzung aufnimmt, ungerechtfertigte Vorteile gegenüber gesetzestreuen Bürgern verschafft.

2.2 Eine formell rechtswidrige Nutzung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist oder die Nutzung von Wohnraum untersagt wird, der für die Bewohner den alleinigen Mittelpunkt ihrer privaten Existenz bildet (vgl. BayVGH, U.v. 05.12.2005, Az. 1 B 03.2608; BayVGH, B.v. 16.05.2008, Az. 9 ZB 07.3224 - juris). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Es wird nicht die Nutzung von Wohnraum untersagt. Darüber hinaus ist die Nutzung des fraglichen Gebäudes (auch) zur Ausübung der Prostitution nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das gilt unabhängig davon, ob die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO) oder einem faktischen Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO) entspricht. § 13 BauNVO bleibt hierbei außer Betracht, da es sich bei der Tätigkeit von Prostituierten nicht um eine freiberufliche oder um eine gleichgestellte Tätigkeit handelt (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 13 Rn. 4.32 mit Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.01.1984 - 4 C 65.80, BVerwGE 68, 324). Ein Bebauungsplan nach § 30 Abs. 1 BauGB existiert für das Gebiet, in dem das Grundstück liegt, nicht, so dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 2 bzw. Abs. 1 BauGB richtet.

a) Bordellartige Betriebe (zum Begriff vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 6 Rn. 2.1) sind - unabhängig davon, ob sie als sonstiger Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte einzuordnen sind (offen gelassen vom BVerwG im Urteil vom 12.9.2013, Az. 4 C 8.12, Rn. 14 - juris; vgl. zum Streitstand Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4a Abs. 3 Rn. 23.7) - im allgemeinen Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO grundsätzlich unzulässig. Sie können insbesondere nicht gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO als sonstige nichtstörende Gewerbebetriebe zugelassen werden. Das folgt aus der prinzipiellen Unvereinbarkeit solcher Betriebe mit den dem planungsrechtlichen Begriff des Wohnens und des Wohngebietes zugrunde liegenden städtebaulichen Ordnungszielen (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.63).

Die von der streitgegenständlichen Nutzung bei der gebotenen typisierenden Betrachtung ausgehenden Störungen des Wohnens in einem planungsrechtlich dem Wohnen dienenden Gebiet bestehen nicht nur vordergründig in einer Beeinträchtigung der Wohnruhe, etwa durch verstärkten Kraftfahrzeugverkehr oder lautstarke Auseinandersetzungen, sondern ganz allgemein in den negativen „milieubedingten“ Auswirkungen derartiger Einrichtungen auf das - das Wohnumfeld in dem betreffenden Gebiet prägende - soziale Klima (OVG Berlin, B.v. 09.04.2003, Az. 2 S 5.03 - juris; hierzu auch Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL August 2015, § 4 BauNVO Rn. 120; Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.69;).

b) Des Weiteren besteht in der Judikatur Übereinstimmung darin, dass ein Bordell bzw. bordellartiger Betrieb in einem Mischgebiet im Sinne des § 6 BauNVO regelmäßig unzulässig ist (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 6 BauNVO Rn. 34 m. w. N.). Es handelt sich wegen ihrer Wirkungen auf die Nachbarschaft („milieubedingte Unruhe“) typischerweise um Gewerbebetriebe bzw. Vergnügungsstätten, die das Wohnen wesentlich stören (vgl. BVerwG, U.v. 12.09.2013, Az. 4 C 8.12, Rn. 14 - juris; BayVGH, B.v. 10.06.2010, Az. 1 ZB 09.1971, Rn. 20 - juris m. w. N.). Diese Nutzung verträgt sich aus Gründen des Jugendschutzes, aber auch wegen der mit derartigen Einrichtungen zu befürchtenden Belästigungen und des zu befürchtenden Trading-Down-Effekts grundsätzlich nicht mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung (HessVGH, B.v. 30.04.2009, Az. 3 A 1284/08 - juris). Auf die Frage der konkreten Belästigung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (VGH Mannheim, B.v. 13.02.1998, Az. 5 s 2570/96 - juris).

An dieser Beurteilung hat sich durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, S. 3983) nichts geändert. Auch wenn dieses Gesetz - über die dort getroffenen zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen hinausgehend - zu einer anderen sozialethischen Bewertung der Prostitution beitragen sollte, hat dies auf die bodenrechtliche Beurteilung solcher Betriebe keine Auswirkungen (vgl. BayVGH, B.v. 10.06.2010, Az. 1 ZB 09.1971 und B.v. 13.02.2008, Az. 15 ZB 07.2200 - juris). Eine Ausstrahlungswirkung des Gesetzes besteht nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht für das Bauplanungsrecht, welches sozialethisch neutral ist (m. w. N. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 Abs. 3 Rn. 9.62).

c) Das Vorhaben wäre selbst dann nicht offensichtlich genehmigungsfähig, wenn sich seine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB richtet, weil die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks als Gemengelage einzustufen ist. Auch eine den Rahmen wahrende Nutzung fügt sich nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ein, wenn sie die gebotene Rücksichtnahme auf die sonstige, vor allem auf die in der unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung vermissen lässt. Dass das Vorhaben aus diesem Grund unzulässig ist, lässt sich im Hinblick auf die in den angrenzenden Grundstücken vorhandene Wohnnutzung nicht von vornherein ausschließen, wie vor allem auch die Beschwerden der Nachbarschaft zeigen. Durch den bordellartigen Betrieb werden möglicherweise bodenrechtlich beachtliche Spannungen hervorgerufen, die den Betroffenen nicht zugemutet werden können (vgl. hierzu Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL. August 2015, § 34 Rn. 53).

Im Ergebnis fehlt es daher jedenfalls an einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens.

2.3 Die Anordnung der Nutzungsuntersagung konnte zu Recht gegen die Klägerin als Eigentümerin des Grundstücks gerichtet werden (vgl. Art. 9 Abs. 2 S. 2 LStVG).

2.4 Art. 76 Satz 2 BayBO räumt der Beklagten ein Ermessen bezüglich der Frage ein, ob sie gegen die baurechtswidrigen Zustände einschreitet. Diese Ermessensausübung ist vom Gericht nach Maßgabe des § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbar.

Danach ist die Ermessensausübung im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Insbesondere konnte die Beklagte dem öffentlichen Interesse an baurechtlich rechtmäßigen Zuständen und an der Auflösung von bestehenden Spannungen (milieubedingte Unruhe) ein höheres Gewicht beimessen als dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin an der Beibehaltung des bordellartigen Betriebs.

Die Nutzungsuntersagungsanordnung ist auch nicht aufgrund eines der Klägerin zukommenden Vertrauensschutzes unverhältnismäßig.

Die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, auf die Einhaltung der öffentlichrechtlichen Vorschriften zu achten, kann nicht verwirkt werden. Das schlichte Unterlassen bauaufsichtlichen Einschreitens (passive Duldung) kann den Erlass einer Nutzungsuntersagungsanordnung ohne das Hinzutreten besonderer, einzelfallbedingter Umstände nicht hindern. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof betont im Beschluss vom 7. April 2015 (Az. 9 CS 15.394, Rn. 14) nochmals explizit, dass die bloße Untätigkeit keinen rechtlich bedeutsamen Erklärungswert hat. Wenn eine bauliche Anlage über einen langen Zeitraum hinweg rechtswidrig genutzt worden ist, ohne dass die Bauaufsichtsbehörde eine Veranlassung zum Einschreiten gesehen hat, können sich allenfalls gesteigerte Anforderungen an die Ermessensbetätigung und deren Begründung ergeben. Die ermessensfehlerfreie Anordnung einer Nutzungsuntersagung kann allenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn die Bauaufsichtsbehörde durch vorausgegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand zugunsten des Betroffenen geschaffen hat. Das kann durch eine förmliche Duldung erfolgen im Sinne einer Zusage nach Art. 38 BayVwVfG, eine bauaufsichtliche Maßnahme nicht zu erlassen, die zu ihrer Wirksamkeit aber der Schriftform bedarf. In Betracht kommt jedoch auch ein über die bloße Untätigkeit hinausgehendes besonderes Verhalten der Behörde, aufgrund dessen der Betroffene zu der Annahme berechtigt ist, dass die Behörde von der Befugnis zur Nutzungsuntersagung keinen Gebrauch mehr machen will (vgl. BayVGH, U.v. 17.06.1998, Az. 2 B 97.171; BayVGH, B.v. 13.04.2000, Az. 2 ZB 00.723 - jeweils juris; Decker in: Simon/Busse, BayBO, Stand Nov. 2014, Bd. I, Art. 76 Rn. 305).

Nach diesen Grundsätzen steht der Klägerin ein die Nutzungsuntersagung hindernder Vertrauensschutz nicht zu.

Soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte müsse seit langem Kenntnis von der ausgeübten gewerblichen Nutzung gehabt haben, reicht dies für die Begründung eines Vertrauenstatbestandes nicht aus. Die Klägerin hat hierzu auch keinerlei Nachweise vorgelegt, die irgendwelche Anhaltspunkte dafür bieten könnten, dass die Beklagte positive Kenntnis von der langjährigen Ausübung der Prostitution auf dem Grundstück hatte. Auch muss sich die Baubehörde etwaiges polizeiliches Wissen und Tätigwerden nicht zurechnen lassen. Gleiches gilt für die Anmeldung eines Gewerbes. Entscheidend ist aber, dass die Beklagte zeitnah zu den Nachbarbeschwerden, die in der Behördenakte dokumentiert sind (vgl. Heftung 1, S. 23a und 23b), das bauaufsichtliche Verfahren eingeleitet hat und die Klägerin aufgefordert hat, innerhalb einer angemessenen Frist die nicht genehmigte bzw. nicht genehmigungsfähige Nutzung einzustellen. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang geltend macht, sie habe keinen Zugang zu der Behördenakte gehabt, ist hierin kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu erkennen (Art. 103 Abs. 2 GG), da es dem Bevollmächtigten der Klägerin jederzeit möglich ist, von seinem Recht auf Akteneinsicht (§ 100 Abs. 1 VwGO) Gebrauch zu machen. Dies ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht geschehen.

Unverhältnismäßig ist schließlich auch nicht die sechswöchige Frist zur Erfüllung der Verpflichtung, die baurechtswidrige Nutzung aufzugeben. Es ist der Klägerin zuzumuten, innerhalb dieser Frist die Schritte durchzuführen, die zu einer Unterbindung der baurechtswidrigen Nutzung zu veranlassen sind (z. B. Kündigung oder Räumung).

3. Die Zwangsgeldandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 VwZVG. Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden. Das Zwangsgeld soll gemäß Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG das wirtschaftliche Interesse, das der Pflichtige an der Vornahme oder am Unterlassen der Handlung hat, erreichen. Liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, so kann die Behörde das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen nach pflichtgemäßem Ermessen schätzen (Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG). Anhaltspunkte für einen Verstoß hiergegen liegen nicht vor und wurden auch nicht geltend gemacht.

4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Hausanschrift in München:Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen.

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

5.wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Empfehlungen in Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.

Für die Streitwertbeschwerde besteht kein Vertretungszwang.

Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte und zwangsgeldbewehrte Verfügung der Antragsgegnerin vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014, womit ihr nach Nachbarbeschwerden als Eigentümerin untersagt wurde, das für Wohnzwecke genehmigte Gebäude auf dem Grundstück D... Straße ..., FlNr. 6907 Gemarkung Schweinfurt für Zwecke der Prostitution zu nutzen.

Die Antragstellerin hat gegen die Bescheide Klage erhoben. Ferner hat sie beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Januar 2015 abgelehnt. Die untersagte Nutzung sei formell baurechtswidrig, da für das Grundstück FlNr. 6907 Gemarkung Schweinfurt nach den vorliegenden Baugenehmigungen ausschließlich eine Wohnnutzung genehmigt sei, während die tatsächliche Nutzung als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb zu qualifizieren sei. Allein der Verstoß gegen das formelle Baurecht rechtfertige regelmäßig den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Unabhängig davon, ob die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet oder einem faktischen Mischgebiet entspreche, sei die Nutzung des Gebäudes zur Ausübung der Prostitution nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 ändere daran nichts. Bei der Tätigkeit von Prostituierten handle es sich nicht um eine freiberufliche Tätigkeit. Ein die Nutzungsuntersagung hindernder Vertrauensschutz stehe der Antragstellerin nicht zu.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Die Nachbarbeschwerden vom 21. August 2013 und vom 12. August 2014 seien der Antragstellerin nicht bekannt. Beim Betrieb der Antragstellerin handele es sich nicht um einen bordellartigen Betrieb im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Von außen sei das Anwesen überhaupt nicht als Bordell zu erkennen. Milieutypische Merkmale wie auffällige Leuchtreklame oder rote Lichter seien nicht vorhanden. Vom Anwesen der Antragstellerin gehe keine Störung der umgebenden Mischgebietsnutzung aus. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Tätigkeit der Antragstellerin unverzüglich beendet werden müsse, obwohl diese der Antragsgegnerin seit über zehn Jahren bekannt sei.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 29. Januar 2015 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Stadt Schweinfurt vom 13. November 2014 i. d. F. des Bescheids vom 18. Dezember 2014 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beschwerdebegründung beinhalte keinen Antrag i. S. d. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Die untersagte Nutzung sei mangels entsprechender Baugenehmigung formell illegal. Es stehe außer Zweifel, dass sie auch materiell unzulässig sei. Selbst wenn hier von einem Mischgebiet auszugehen sei, erzeuge der Bordellbetrieb typischerweise Störungen, die gebietsunverträglich seien. Wie sich aus der dem Verwaltungsgericht zugeleiteten Fotoserie ergebe, könne von dem von der Antragstellerin behaupteten diskreten Erscheinungsbild des Hauses „La Playa“ keine Rede sein. Gründe oder Anhaltspunkte, die für eine Duldung oder ein dauerhaftes Nichteinschreiten der Antragsgegnerin nach § 76 BayBO sprächen, seien nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1. Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdebegründung der Antragstellerin entgegen der Regelung des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO keinen bestimmten Antrag enthält. Der Beschwerdeantrag braucht aber nicht ausdrücklich als solcher gestellt zu sein; er kann sich auch aus den Beschwerdegründen ergeben (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 21). Diesen lässt sich hier mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen, mit welchem Umfang und mit welchem Ziel die Entscheidung des Verwaltungsgerichts durch die Antragstellerin angefochten wird.

2. Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass die im Wohnhaus der Antragstellerin ausgeübte Prostitution baurechtlich keine Wohnungsprostitution im Sinne der Rechtsprechung darstellt, sondern als Bordell bzw. bordellartiger Betrieb zu qualifizieren ist. Die Nutzung zu Zwecken der Prostitution präge das Gebäude, von einer wohnähnlichen Erscheinung der Nutzung könne nicht die Rede sein. Dem wird im Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegengetreten. Entgegen diesem Vorbringen kann keine Rede davon sein, dass das Anwesen D... Straße ... von außen überhaupt nicht als Bordell zu erkennen ist. Wie vielmehr aus der von der Antragsgegnerin dem Verwaltungsgericht vorgelegten Fotoserie ersichtlich wird und worauf auch das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, tritt das Gebäude aufgrund der Beleuchtung der Fenster vor allem im ersten Stockwerk eindeutig als bordellartiger Betrieb in Erscheinung (vgl. Fotos Nrn. 1, 2, 2 A, 2 B und 3 der Fotoserie v. 18.12.2014).

Soweit die Antragstellerin vorbringt, im Rahmen der typischen Nutzung eines hier vorliegenden faktischen Mischgebiets sei zu klären, ob eine Störung vom Anwesen ausgeht, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass ein bordellartiger Betrieb - unabhängig davon, ob er als sonstiger Gewerbebetrieb i. S. d. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO oder als Vergnügungsstätte i. S. d. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO einzuordnen ist - mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung unverträglich ist (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 12.9.2013 - 4 C 8/12 - juris Rn. 14; BayVGH, B. v. 16.5.2008 -9 ZB 07.3224 - juris Rn. 7; B. v. 26.9.2014 - 15 ZB 13.656 - juris Rn. 6, B. v. 10.6.2010 -1 ZB 09.1971 - juris Rn. 20).

Soweit im Beschwerdevorbringen lediglich der erstinstanzliche Vortrag der Antragstellerin wiederholt wird, die Antragsgegnerin habe seit langem Kenntnis von der Ausübung der Prostitution gehabt, fehlt es an der notwendigen Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat insoweit darauf abgestellt, dass die Antragstellerin keinerlei Nachweise vorgelegt habe, die irgendwelche Anhaltspunkte für eine solche positive Kenntnis der Antragsgegnerin bieten könnten. Weder müsse sich die Bauaufsichtsbehörde etwaiges polizeiliches Wissen und Tätigwerden zurechnen lassen noch erfolgte Gewerbeanmeldungen. Solche Nachweise werden auch im Beschwerdevorbringen nicht vorgelegt. Eine bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde ist im Übrigen nicht geeignet, ein für die Ausübung des Verwaltungsermessens beachtliches Vertrauen darin zu begründen, gegen eine baurechtswidrige Anlage werde auch künftig nicht eingeschritten. Einen rechtlichen bedeutsamen Erklärungswert hat diese bloße Untätigkeit nicht (vgl. BayVGH, B. v. 14.8.2013 - 15 ZB 13.201 - juris Rn. 12 m. w. N.).

Mangels festgestellter Duldung eines illegalen Zustands mit Wissen und Wollen der Bauaufsichtsbehörde über einen längeren Zeitraum bedurfte es hier auch nicht eines besonderen Dringlichkeitsinteresses für die Anordnung des Sofortvollzugs durch die Antragsgegnerin. Vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung in der Regel gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO vorliegen (vgl. BayVGH, B. v. 23.8.2012 - 15 CS 12.130 - juris Rn. 13; B. v. 2.11.2011 - 2 CS 11.1558 - juris Rn. 3 m. w. N.).

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.