Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Nov. 2017 - W 8 K 17.31790

bei uns veröffentlicht am13.11.2017

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 14. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. Juli 2016 einen Asylantrag. Zur Begründung des Asylantrages gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe an Veranstaltungen der Gruppe „Erfan-e Halgheh“ teilgenommen. In Deutschland habe der Kläger an einer Demonstration zur Freilassung des Gründers dieser Gruppe teilgenommen.

Mit Bescheid vom 10. April 2017 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Dem Sachvortrag des Klägers sei nicht zu entnehmen, dass gegen ihn gerichtete Maßnahmen des iranischen Staates mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Seine Betätigung für „Erfan-e Halgheh“ sei nur sehr gering gewesen. Auch seine Tochter sei keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Die Teilnahme an einer Demonstration als untergeordnete exilpolitische Betätigung führe nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung.

Am 24. April 2017 ließ der Kläger gegen den streitgegenständlichen Bescheid Klage erheben, ohne seine Klage näher zu begründen.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26. April 2017 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.

Mit Beschluss vom 15. September 2017 lehnte das Gericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Prozessbevollmächtigten ab.

In der mündlichen Verhandlung am 13. November 2017 ließ der Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. April 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

hilfsweise dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Das Gericht ist insbesondere nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).

Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).

Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht. Weiter stützt er seine Verfolgungsfurcht im Wesentlichen auf Vermutungen und Spekulationen. Des Weiteren sprechen die vorliegenden Erkenntnisse sachverständiger Stellen gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr.

Der Kläger hat schon selbst angegeben, den Iran tatsächlich unverfolgt verlassen zu haben. Soweit er nunmehr mit Bezug auf seine Aktivitäten im Zusammenhang mit der religiösen Gemeinschaft Erfan-e Halgheh (Lehre von der interuniversalen Mystik) vorbringt, er befürchte bei einer Rückkehr Verfolgung, hat er sein Vorbringen nicht substanziiert. Vielmehr hat er bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren dazu keinerlei Klagebegründung vorgebracht und auch anschließend nur spärliche Angaben gemacht. Der Kläger stützt seine Verfolgungsfurcht nur auf Vermutungen und Spekulationen, da weitere mit Tatsachen untermauerte Angaben zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen fehlen. Er erklärte lediglich, ein- bis zweimal sei jemand bei seiner Frau gewesen sowohl wegen ihm als auch wegen seiner Tochter. Nähere Erläuterungen gab er nicht. Insbesondere berichtete er nichts von irgendwelchen schriftlichen Unterlagen. Er erwähnte nur, dass er keinen Kontakt zu seiner Tochter habe. Von eventuellen, auch gerade aktuellen staatlichen Verfolgungsmaßnahmen gegen seine Person, geschweige denn von diesbezüglichen schriftlichen konkreten Dokumenten, die sein Vorbringen belegen könnten und die er auch dem Gericht vorlegen könnte, berichtete der Kläger nichts. Es erscheint lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb weitere konkrete Erkundigungen eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehenden Verfolgungsgefahr für ihn hindeuten. Gerade wenn jemand verfolgt wird – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet –, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In diese Richtung ist nichts Substanzielles vorgetragen. Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens der staatlichen Behörden im Iran erfolgt sind und auch bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Des Weiteren sprechen die vorliegenden Erkenntnisse sachkundiger Stellen gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr. Selbst wenn nach der Erkenntnislage Atheisten, insbesondere Personen, deren Haltung von der offiziellen Interpretation des schiitischen Islam abweicht, Gefahr laufen, strafrechtlich verfolgt, inhaftiert und hingerichtet zu werden, und auch der Gründer der religiösen Gemeinschaft Herr Dr. Ali Taheri seit mehreren Jahren inhaftiert und im Iran zum Tode verurteilt ist (vgl. Amnesty International, Urgent Action vom 1.9.2017; Amnesty International, Report 2016; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.12.2016 zu Iran: Verfolgung von Mitgliedern in der Gruppe Erfan-e Halgheh [Interuniversalismus]; Accord, Anfrage-Beantwortung zu Iran vom 25.3.2015, Rechtslage für Atheistinnen; Strafbarkeit bzw. Bestrafung vom Abfall für Islam), besteht nicht für alle Mitglieder der Gemeinschaft Erfan-e Halghe (Lehre der interuniversalen Mystik) gleichermaßen eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr.

Das Auswärtige Amt hat in einer Stellungnahme vom 18. März 2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (vgl. auch schon Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 11.12.2013 an das Schleswig-Holsteinische VG) ausdrücklich ausgeführt, dass die Vereinigung, der der Kläger angehört, als Abfall vom Islam angesehen werde und sich der Gründer seit 4. Mai 2011 im Gefängnis befinde. Neben Mohammed Ali Taheri seien auch weitere Angehörige der Bewegung, die sich in der Führungshierarchie von einfachen Mitgliedern abheben, festgenommen worden. Das Auswärtige Amt betont aber ausdrücklich, eine Nachfrage bei den Europäischen Vertretungen in Teheran habe ergeben, dass aktuell auch bei diesen eine Gefährdungslage für einfache Mitglieder der Bewegung als nicht gegeben angenommen werde. Erst eine exponierte Stellung führe möglicherweise zu einer staatlichen Reglementierung oder gar Einleitung eines Strafverfahrens. Diese Auskunft leuchtet auch ein, wenn man davon ausgeht, dass die Gemeinschaft laut Angabe des Auswärtigen Amtes auf eine Mitgliedzahl von 300.000 Menschen geschätzt wird. Bei dieser Größenordnung müssten sich Erkenntnisse über Maßnahmen allein aufgrund der Mitgliedschaft in dieser Gemeinschaft oder der Teilnahme an Kursen in erheblicher Dimension in den vorliegenden Quellen niederschlagen. Daran fehlt es. Der Kläger ist nur einfaches Mitglied gewesen. Er hat keine exponierte Stellung in seiner religiösen Gemeinschaft gehabt. Zudem würde nach der zitierten Auskunft des Auswärtigen Amtes selbst eine exponierte Stellung nur „möglicherweise“ zu staatlichen Maßnahmen führen, wäre aber nicht zwangsläufig beachtlich wahrscheinlich. Die schlichte gegenteilige Behauptung der Klägerseite wurde nicht nachvollziehbar belegt und rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. BayVGH, Be.v. 10.10.2017 – 14 ZB 15.30233 und 14 ZB 15.30234 – nicht veröffentlicht). Auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.12.2016 zu Iran: Verfolgung von Mitgliedern in der Gruppe Erfan-e Halgheh [Interuniversalismus]) ist nur zu entnehmen, dass auch Anhänger dieser Vereinigung Maßnahmen ausgesetzt waren, wobei es sich offenkundig um Aktivisten gehandelt hat, die ins Blickfeld der iranischen Sicherheitsbehörde geraten sind, etwa durch Protestaktionen im Iran zur Unterstützung des Gründers dieser Gruppierung.

Gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr, konkret in der Person des Klägers spricht weiter, dass er in Deutschland nur an einer vereinzelt gebliebenen Demonstration einer kleinen Gruppe der Erfan-e Halgheh am 5. November 2016 in Hamburg teilgenommen hat. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger in dem Zusammenhang selbst eingeräumt, er habe nicht an weiteren Demonstrationen teilgenommen, weil er sich auf seine Kurse für die Bahá’í konzentriere. Hätte er sich nicht für die Bahá’í interessiert, hätte er die Demonstrationen fortgesetzt. Insofern ist der Kläger offenbar mittlerweile schon selbst von Aktivitäten im Rahmen der religiösen Gruppierung Erfan-e Halgheh abgerückt.

Die Situation der Mitglieder bzw. Anhänger der Gemeinschaft Erfan-e Halghe ist nach der bestehenden Erkenntnislage gerade nicht mit der Verfolgungsquantität und Verfolgungsintensität etwa betreffend die Anhänger der Religionsgemeinschaft der Bahá’í oder die konvertierten Christen im Iran vergleichbar.

Zusammenfassend ist das Gericht nach dem Gesamtbild, wie es sich dem Gericht aufgrund der Angaben des Kläger im behördlichen Verfahren und im Gerichtsverfahren unter Einbeziehung der vorgelegten bzw. sonst zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen darstellt, gerade auch nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund des von ihm geschilderten Vorfluchtschicksals im Zusammenhang mit Erfan-e Halgheh eine (politische) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder heute noch droht.

Das Gericht ist des Weiteren nicht davon überzeugt, dass für den Kläger eine ernsthafte Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Nachfluchtaktivitäten droht. Die als Nachfluchtgründe geltend gemachten Aktivitäten bewegen sich insgesamt betrachtet noch auf einen niedrigen oppositionellen Niveau, so dass nach Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger in Deutschland derart nach Außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welche auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates besteht.

Was die Aktivitäten für die Gemeinschaft Erfan-e Halghe anbelangt, hat der Kläger – wie ausgeführt – keine großen Aktivitäten in Deutschland entfaltet. Er hat nur an einer einzelnen Demonstration teilgenommen und sich wegen seines Interesses für die Bahá’í nicht um weitere Aktivitäten bemüht.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. nur Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 8.12.2016, Stand: Oktober 2016; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 22.5.2017) gilt für alle exilpolitischen Aktivitäten, dass eine Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten nur dann anzunehmen ist, wenn ein iranischer Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein Gesamtverhalten ihn den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran hineinwirkenden Gegner erscheinen lässt. Untergeordnete Handlungen genügen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 14 ZB 17.30370 – nicht veröffentlicht; B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 13.30084 – juris sowie ebenso zuletzt etwa VG Würzburg, B.v. 30.10.2017 – W 8 K 17.32061 – juris; U.v. 26.8.2015 – W 6 K 15.30206 – juris; U.v. 19.12.2012 – W 6 K 12.30171 – juris jeweils m.w.N.). Eine einmalige Teilnahme an einer Demonstration genügt für die Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr danach bei weitem nicht.

Unabhängig davon hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund seines Kontakts und den Aktivitäten im Zusammenhang mit der Religionsgemeinschaft der Bahá’í. Eine Konversion zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í ist jedenfalls nach Überzeugung des Gerichts noch nicht vollzogen.

Zwar besteht aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, im Iran für Mitglieder der Bahá’í eine beachtliche Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Iran. Dies gilt erst recht für Konvertiten, die vom Islam zu den Bahá’í konvertiert sind (vgl. VG Würzburg, U.v. 21.10.2015 – W 6 K 15.30149 – juris; Ue.v. 15.02.2013 – W 6 K 12.30204 und W 6 K 12.30216 – juris – m.w.N.).

Gleichwohl war dem Kläger im vorliegenden Verfahren die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Denn aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei dessen Rückkehr in den Iran, da sich der Kläger (noch nicht) aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar endgültig vom Islam abgewandt und ernsthaft und auf Dauer den Glauben der Bahá’í angenommen haben. Das Gericht ist weiter nicht davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung jetzt schon das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben in Gemeinschaft mit anderen öffentlich auszuüben und dass er ihn auch tatsächlich öffentlich ausübt. Insbesondere ist auch nicht zu erwarten, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Das Gericht hat jedenfalls bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht die Überzeugung vom Vorliegen einer vollzogenen Religionskonversion und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Iran.

Gegen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft spricht, dass sich der Kläger nach Überzeugung des Gerichts zwar auf dem Weg vom Islam hin zu den Bahá’í befindet. Aber der Schritt ist noch nicht endgültig vollzogen.

Der Kläger hat weder gegenüber dem Bundesamt noch zunächst im Klageverfahren Diesbezügliches vorgetragen, obwohl er von Rechts wegen gehalten war binnen Monatsfrist seine Klagegründe vorzubringen, wie ihm auch in der Rechtsbehelfsbelehrung:des streitgegenständlichen Bescheides mitgeteilt worden war. Des Weiteren hatte das Gericht dem Kläger über seine Anwältin mit Schreiben vom 12. September 2017 ausdrücklich aufgegeben sämtliche zur Klagebegründung dienenden Erklärungen und Beweismittel und etwaigen weiteren Tatsachenvortrag bis 29. Oktober 2017 vorzubringen bzw. vorzulegen und dabei auf die Vorschrift des § 87b Abs. 3 VwGO hingewiesen. Der Einwand der Klägerbevollmächtigten, dass sie das Verfahren erst später übernommen habe, verfängt nicht, weil sie zu dem Zeitpunkt der gerichtlichen Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO schon das Mandat innehatte. Auch der Umstand, dass der Kläger ihr erst eine Woche vor der mündlichen Verhandlung über seine Aktivitäten mit den Bahá’í berichtet habe, entschuldigt nicht. Denn es obliegt der Klägerbevollmächtigten, rechtzeitig innerhalb der gesetzten Frist (hier bis 29.10.2017) Kontakt mit dem Kläger aufzunehmen und sich um den Erhalt der erforderlichen Informationen zu bemühen. Dazu hatte sie über sechs Wochen Zeit.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung am 13. November 2017 brachte der Kläger vor, Kurse der Bahá’í zu besuchen. Das Vorbringen ist eindeutig als verspätet zurückzuweisen, insbesondere sind aufgrund dessen keine weiteren Ermittlungen veranlasst.

Abgesehen davon ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger den Abfall vom Islam und die Hinwendung zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í schon endgültig vollzogen hat. So gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, dass er seit 4. August 2017, also erst seit gut drei Monaten, die Kurse besuche. Bislang habe er sieben bis acht Kurse besucht. Die gesamte Kursdauer betrage etwa ein Jahr. Als Beweggrund gab der Kläger dazu an, die Kurse hätten Ähnlichkeiten mit den Kursen der Vereinigung, die er im Iran besucht habe. Er habe sich deshalb entschieden, diese Kurse zu besuchen. Die Klägerbevollmächtigte erläuterte dazu weiter, dass der Kläger aufgrund seiner psychischen Probleme die Kurse besucht habe. Grund sei auch gewesen, dass sowohl die Schwestern als auch die Eltern des Klägers zu den Bahá’í konvertiert seien. Über diese sei der Kläger dann den Bahá’í nähergetreten und sei zu den Bahá’í gewechselt.

Der Kläger substanziierte indes trotz gerichtlicher Nachfrage nicht seine religiösen Beweggründe für die Abwendung vom Islam und die Hinwendung gerade zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í sowie die für ihn wesentlichen Unterschiede. Darüber hinaus offenbarte der Kläger keine weitergehenden Glaubenskenntnisse der religiösen Gemeinschaft der Bahá’í, etwa wie die Schriften des Bahá’u’I´láh sowie Feiertage oder den Kalender oder etwaige Gebote oder Verbote sowie Gebete. Der Kläger gab an, lediglich die Kurse besucht zu haben. Dass er an Andachten oder sonstigen Veranstaltungen der Bahá’í teilgenommen hat, hat der Kläger nicht berichtet. Voraussetzung für die Konversion ist indes die Akzeptanz Bahá’u’l’láhs als Manifestation Gottes, der Wunsch nach seiner Lehre zu leben und der Bahá’í-Gemeinde anzugehören. Dass diese Voraussetzungen (jetzt schon) beim Kläger vorliegen, hat er nicht hinreichend substanziiert.

Das Gericht hatte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren den Eindruck, dass der Kläger letztlich nicht aus eigenem Entschluss, sondern mehr oder weniger gedrängt durch seine Eltern bzw. Schwestern zu den Kursen der Bahá’í gegangen ist, auch um seine psychischen Probleme in den Griff zu bekommen. Der Kläger hat zudem einerseits zwar erklärt, er sei schon Bahá’í. Andererseits merkte er in der mündlichen Verhandlung selbst an, dass er sich noch auf dem Weg befinde und das Ziel noch nicht erreicht habe. So erklärte er bei der Frage nach einer Aufnahmeprüfung, man müsse erst die Kurse besuchen, dann werde festgestellt, ob man tatsächlich von dieser Religion angezogen werde. Er habe sich auf die Bahá’í-Kurse konzentriert, um die Konversion zu den Bahá’ís zu erreichen. Man müsse an den Kursen teilnehmen, bis man das Ziel erreicht habe. Die Kurse hätten erst begonnen. Er kenne sich noch nicht so gut aus. Er sei noch nicht so weit.

Der Kläger erklärte zwar, dass es bei den Bahá’í Friede, Liebe und Freundschaft gebe und keine Lügen. In den Kursen finde er die innere Ruhe. Man könne bei den Bahá’í jederzeit mit Gott reden. Am meisten fasziniere ihn die Einheit. Es gebe Solidarität, Emanzipation, Mann und Frau seien gleich, alles gehe in Frieden von Statten. Es gehe bei den Bahá’í um Gerechtigkeit und Frieden. Es gebe Bahá’u’l’láh, Bab sowie Abdul-Bahar. Dies seien Großscheichs. Aber er habe die Bücher von Bahá’u’l’láh nicht gelesen, sondern nur Bücher im Rahmen der Kurse. Feiertage bei den Bahá’í kenne er nicht. Er kenne auch nicht den Kalender und wisse auch nicht, ob man fasten müsse.

Das Gericht hat nachdem nicht den Eindruck, dass der Kläger schon die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Islam und seinem neuen Glauben verinnerlicht hat. Der Kläger ließ sich nicht näher zu den Lehren des Bahá’u’l’láh aus und kannte auch nicht etwa die wichtigsten Glaubensgrundsätze der Bahá’í. Er wusste nicht, dass der Kalender der Bahá’í aus 19 Monaten zu je 19 Tagen sowie aus vier bzw. fünf weiteren Tagen besteht. Er kannte nicht die Veranstaltungen, die alle 19 Tage stattfinden. Er konkretisierte nicht die Ge- und Verbote sowie die verschiedenen Gebete, großes, mittelgroßes, kleines Gebet. Auch die Feiertage waren ihm fremd. Der Kläger wusste nichts von üblichen Riten seiner Glaubensgemeinschaft in seinem Alltag. Bislang fehlen grundlegende Glaubenskenntnissen und ein eindeutiges und überzeugendes Bekenntnis zum Glauben der Bahá’í. Das Gericht hat vielmehr den Eindruck, dass dem Kläger die Teilnahme an den Kursen primär aus persönlichen und auch psychischen Gründen zurzeit guttut.

Des Weiteren hat das Gericht Bedenken, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran seinen eventuellen Glauben an die Religionsgemeinschaft der Bahá’í einem identitätsprägenden Bedürfnis entsprechend öffentlich ausüben würde. Der Kläger verwies insbesondere darauf, dass es bei seinen Eltern nicht sehr einfach gewesen sei. Sie hätten auch dort alles nur konspirativ durchgeführt.

Der Kläger ließ auch keinerlei Belege seiner neuen Religionsgemeinschaft der Bahá’í vorlegen, die seine Konversion bestätigen könnten. Erheblich gegen eine bereits vollzogene Konversion spricht auch die bislang fehlende Aufnahme in die Religionsgemeinschaft der Bahá’í. Das Aufnahmegespräch stellt als zentrales Element der Religionsgemeinschaft der Bahá’í gerade bei Ausländern aus dem Iran dar.

Denn nach der Auskunft des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2011 wird beim Aufnahmegesuch jeder Fall einzeln sorgfältig geprüft. Dabei werden in einem persönlichen Gespräch zwischen zwei Beauftragten und den Bewerbern versucht, die Person kennenzulernen und ihre Motive einzuschätzen. So werde in Erfahrung gebracht, wie und wo die Person den Bahá’í-Glauben kennengelernt habe, wie die Lebensumstände und der Aufenthaltsstatus seien und ob über einen längeren Zeitraum hinweg das Interesse am Glauben deutlich geworden sei, ob Kenntnisse über den Glauben vorhanden seien und eine regelmäßige Teilnahme an den Bahá’í-Aktivitäten vorliege. Ziel sei es ohnehin, sich ein Bild von der Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit des Verhaltens zu machen. So würden auch Einkünfte vor Ort eingeholt. Eine Aufnahme in die Gemeinde erfolge nur, wenn keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung bestünden und der Nationale Geistige Rat sich von der Aufrichtigkeit der Motive habe überzeugen können. Es müsse deutlich sein, dass Beweggrund ausschließlich die Anerkennung des Bahá’u’lláhs sei. Andere Beweggründe würden nicht akzeptiert. Wo dies nicht eindeutig der Fall sei, seien Anträge auf Aufnahme in die Gemeinde abgelehnt oder zur erneuten Prüfung nach mehreren Monaten zurückgestellt worden (vgl. auch Auskunft des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland vom 5.9.2012 an das VG Regensburg).

Das Vorstehende hat der Sekretär des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland bei einer Zeugenaussage am 15. Februar 2013 im Verfahren W 6 K 12.30204, auf die Bezug genommen wird, ausdrücklich bestätigt. Der Zeuge wies darauf hin, dass es bei der Aufnahme von Bewerbern in der Religionsgemeinschaft der Bahá’í Besonderheiten gebe für Personen, etwa aus Ländern wie dem Iran, in dem Verfolgung herrsche. Deshalb würden bei diesen Personen die Aufnahmevoraussetzungen besonders geprüft. Gerade auch um Missbrauch vorzubeugen, gehe es bei der Aufnahmeprüfung darum, die Aufrichtigkeit der Beweggründe festzustellen und zu prüfen, ob sich die innere Glaubensüberzeugung manifestiert habe. Es gehe auch darum, andere Absichten auszuschließen. Um Missbrauch von Bewerbern mit asyltaktischen Motiven auszuschließen, würden sie prüfen, ob der Bewerber Bahá’í sei. Bei Zweifeln würden die Bahá’í die Aufnahme zurückstellen und den Bewerber bitten, sich nach sechs Monaten nochmals zu melden. Sie würden regelmäßig Bewerber ablehnen, auch zum zweiten Mal, von denen sie nicht überzeugt seien, dass sie aufrichtige Bahá’í seien. Letzteres deckt sich mit der Aussage des Klägers zur Aufnahmeprüfung, wonach man erst Kurse besuchen müsse; dann werde festgestellt, ob man tatsächlich von dieser Religion angezogen werde. Ausschlaggebend für eine vollzogene Religionskonversion ist nach alledem jedenfalls nicht allein der Aufnahmewunsch des Betreffenden.

Mangels Aufnahmegespräch und Aufnahme in die Religionsgemeinschaft der Bahá’í fehlt es des Weiteren vor allem auch an einen nach außen getragenen Manifestation einer eventuellen Konversion. Zwar ist aus der Sicht des iranischen Staates bei der Konversion vom Islam zu einer anderen Religionsgemeinschaft nicht auf einzelne förmliche Akte der neuen Religion abzustellen, sondern auf den nach außen getragenen Abfall vom Islam unter Hinwendung zu einer anderen Religion. Jedoch ist grundsätzlich erforderlich, die Lösung vom Islam nach außen zu manifestieren und zu verfestigen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Betreffende sich nachhaltig und auf Dauer sowie nach außen hin erkennbar ernstlich vom moslemischen Glauben abgewandt hat (vgl. HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1389/09.A – Asylmagazin 2010, 120). Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft an das VG Schwerin vom 25. August 2015 ausdrücklich angemerkt, dass Apostasie, der Abfall vom Islam, nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes im Iran erst angenommen wird, wenn der eigentliche Übertritt in eine andere, dem Islam nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft, vorgenommen wird. Daran fehlt es beim Kläger. Solange das Aufnahmegespräch nicht stattgefunden hat und auch keine positive Entscheidung zur Aufnahme seitens der Religionsgemeinschaft der Bahá’í gefallen ist, sieht das Gericht dies als weiteres starkes Indiz an, dass die Religionsgemeinschaft der Bahá’í selbst noch Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Konversion hat. Dafür sprechen die oben zitierten Aussagen des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í. Das Gericht ist nicht der Auffassung, dass die förmliche Aufnahme zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í eine reine Formalie sei. Angesichts der Auskünfte aus den Reihen des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í ist davon auszugehen, dass dieser selbst noch nicht von einer nachhaltigen und endgültigen vollzogenen Konversion und von einer nach außen getragenen Manifestation der Konversion überzeugt ist.

Auch nach der Rechtsprechung (vgl. etwa BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 20.12 – Buchholz 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 15 sowie EuGH, U.v. 5.9.2012 – C 71/11 und C 99/11 – ABl. EU 2012, Nr. C 331, 5 – ZAR 2012, 433) ist für die Annahme einer Verfolgungsgefahr erforderlich, dass für den Kläger eine öffentliche Glaubensbetätigung als zentrales Element seiner religiösen Identität für ihn unverzichtbar ist. Daran hat das Gericht zum gegenwärtigen Zeitpunkt beim Kläger noch durchgreifende Zweifel. Wie ausgeführt, sprechen schon die nur dürftigen bisherigen Angaben zu seinen religiösen Aktivitäten und zu einer öffentlichen Glaubensbetätigung sowie seine fehlenden Glaubenskenntnisse gegen eine Konversion. Der Kläger erweckte nicht den Eindruck, dass er den neuen Glauben schon nachhaltig und endgültig verinnerlicht hat und deshalb bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran als unverzichtbares Element seine neue Glaubensüberzeugung auch öffentlich betätigen müsste. Zurzeit ist nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass zu erwarten sei, dass der Kläger bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran entsprechend des neuen Glaubens der Bahá’í leben und nicht doch zum Islam zurückkehren würde. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht zu erwarten, dass die iranischen Behörden von der Konversion Kenntnis erlangen und darauf repressiv reagieren würden.

Nach alledem erschließt sich für das Gericht nicht, dass der Kläger jetzt schon das Bedürfnis hat, den neuen Glauben der Bahá’í in der Öffentlichkeit zu leben. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger schon zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar endgültig vom islamischen Glauben abgewandt und dem Glauben der Bahá’í angenommen hat. Insbesondere hat das Gericht – wie ebenfalls bereits ausgeführt – noch Zweifel, dass der Hauptbeweggrund zum Wechsel der Bahá’í ausschließlich die Anerkennung Bahá’u’lláhs und seine Lehre ist und nicht andere Beweggründe inmitten stehen, wie der Besuch der Kurse zur Bewältigung der psychischen Probleme des Klägers. Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass er abgesehen von wiederholten Besuchen von Kursen der Bahá’í in Deutschland seine Lebensführung an grundlegenden religiösen Geboten seiner jetzigen Glaubensvorstellung ausgerichtet hat. Vielmehr erscheinen soziale, persönliche und gesundheitliche Gründe nichtreligiöser Art vorzuwiegen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Kläger einen weiteren Asylantrag (Folgeantrag) stellen kann und auch rechtzeitig stellen muss, wenn die Aufnahme in die Religionsgemeinschaft der Bahá’í erfolgt ist und er sich – nicht nur aus opportunistischen, asyltaktischen oder sonstigen Gründen – dem Glauben der Bahá’í endgültig zugewandt hat.

Das Gericht ist des Weiteren auch nicht überzeugt, dass dem Kläger im Übrigen schon jetzt – vor dem Vollzug des Beitritts zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í – allein wegen eines Abfalls vom Islam politische Verfolgung bei einer Rückkehr im Iran drohen würde. Denn wie ausgeführt ist erforderlich ein Glaubenswechsel, wonach sich der Kläger verpflichtet fühlt, eine andere Religion als den Islam öffentlich und in Gemeinschaft mit anderen auszuüben. Erst dann wäre die Gefahr damit verbunden als Konvertit und Apostat erkannt zu werden. Erforderlich wäre beim Kläger ein zwingendes Bedürfnis, ein religiöses oder auch atheistisches Selbstverständnis nach außen mitzuteilen (BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – Asylmagazin 2010, S. 333). Der Kläger hat selbst nicht vorgetragen, dass ein Abfall vom islamischen Glauben derart stattgefunden hat. Der Kläger hat nicht vorgebracht, ein dauerhaft prägendes, zwingendes Bedürfnis zu haben, sein religiöses oder atheistisches Selbstverständnis nach außen mitzuteilen. Dem Gericht drängt sich nach den eher dürftigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung nicht der Eindruck auf, dass sich der Kläger schon endgültig und intensiv mit Glaubensfragen beschäftigt hat, geschweige denn sich endgültig vom Islam in jeder Form abgewandt und sich stattdessen mit einem neuen Glauben intensiv auseinandergesetzt hat. Vielmehr verspricht der Kläger sich bzw. versprechen seine Verwandten sich persönlich Vorteile gerade im Blick auf seine psychischen Probleme durch die Teilnahme an den Kursen. Weiter ist nicht erkennbar, dass sich die Loslösung vom Islam nach außen so manifestiert hat, dass sich der Betreffende nachhaltig und auf Dauer sowie nach außen hin erkennbar ernstlich und endgültig vom moslemischen Glauben abgewandt hat (vgl. dazu auch HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1398/09.A – Asylmagazin 2010, 120).

Nach alledem fehlt es zurzeit an einer Grundlage, die als Basis für die Annahme einer möglichen und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden religiösen Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in den Iran dienen könnte.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Zwar kann es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen; die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Darüber hinaus kommt es jedoch zu keinen staatlichen Repressionen. Keiner westlichen Botschaft ist bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren. Zudem wurde auch kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werden die früheren illegalen Ausreisen legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 8.12.2016, Stand: Oktober 2016). Vorstehendes gilt auch in Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. März 2010 (R.C./Sweden, Nr. 41827/07). Denn die dort entschiedene Fallkonstellation ist nicht mit der hier vorliegenden vergleichbar, weil der Europäische Gerichtshof in jenem Fall seiner Beurteilung eine Vorverfolgung (Demonstrationsteilnahme mit anschließender Verhaftung und Folter) als substanziiert glaubhaft gemacht zugrunde gelegt hat (VGH BW, U.v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13 – juris; SächsOVG, U.v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11 – juris; BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023 – juris; B. v. 21.1.2013 – 14 ZB 12.30456 – juris; OVG NRW, B.v. 16.6.2011 – 13 A 1188/11. A – Asylmagazin 2011, 246; OVG Lüneburg, B.v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10 – AuAS 2011, 174).

Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Nov. 2017 - W 8 K 17.31790

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Nov. 2017 - W 8 K 17.31790

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Nov. 2017 - W 8 K 17.31790 zitiert 14 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 25 Anhörung


(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über W

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 87b


(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit d

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Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 13. Nov. 2017 - W 8 K 17.31790 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen

Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 26. Aug. 2015 - W 6 K 15.30206

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand 1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am ... 1984 gebo

Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 21. Okt. 2015 - W 6 K 15.30149

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Tenor I. Die Nummern 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2013 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. I

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 15. Apr. 2015 - A 3 S 1459/13

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Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. September 2012 - A 11 K 4543/11 - geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden R

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. Juni 2011 - 10 C 25/10

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Apr. 2010 - 10 C 5/09

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Tatbestand 1 Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Verwaltungsgericht München Urteil, 16. Feb. 2018 - M 28 K 16.36048

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Tenor I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 wird in den Nrn. 1. und 3. bis 6 aufgehoben. II. Die Bekl

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

2

Er stellte im Oktober 1992 einen Asylantrag. Nachdem er unbekannt verzogen war, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - den Antrag mit Bescheid vom 8. November 1993 als offensichtlich unbegründet ab. Einen weiteren Asylantrag unter einem Aliasnamen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. September 1993 ab.

3

Im November 1994 wurde der Kläger von den französischen Behörden wegen des Verdachts der Vorbereitung terroristischer Aktionen in Algerien festgenommen. Das Tribunal de Grande Instance de Paris verurteilte ihn am 22. Januar 1999 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren.

4

Nachdem der Kläger im März 2001 aus französischer Haft entlassen worden war, stellte er im Juli 2001 in Deutschland einen Asylfolgeantrag, den er auf die überregionale Berichterstattung über den Strafprozess in Frankreich und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Algerien stützte. Er gab an, nie für eine terroristische Vereinigung aktiv gewesen zu sein; der Prozess in Frankreich sei eine Farce gewesen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Algeriens fest. Angesichts der Berichterstattung über den Strafprozess müsse davon ausgegangen werden, dass der algerische Auslandsgeheimdienst den Prozess beobachtet habe und der Kläger in das Blickfeld algerischer Behörden geraten sei. Bei einer Rückkehr nach Algerien bestehe deshalb die beachtliche Gefahr von Folter und Haft.

5

Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 nahm das Bundesamt den Anerkennungsbescheid vom 15. Oktober 2002 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die Feststellung sei von Anfang an fehlerhaft gewesen, da das Vorliegen der Ausnahmetatbestände in § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 Alt. 3 AuslG verkannt worden sei. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich stehe fest, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Oktober 2006 aufgehoben, da das Bundesamt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt habe.

6

Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein, in dessen Verlauf der Kläger bestritt, dass sich die Verhältnisse in Algerien entscheidungserheblich geändert hätten. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Darüber hinaus stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Durch die im September 2005 per Referendum angenommene "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" sowie die zu deren Umsetzung erlassenen Vorschriften habe Algerien weitgehende Straferlasse für Mitglieder islamistischer Terrorgruppen eingeführt. Die Amnestieregelungen würden konsequent und großzügig umgesetzt und fänden auch nach Ablauf des vorgesehenen Stichtags weiter Anwendung. Der Kläger habe daher im Falle seiner Rückkehr nach Algerien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung zu befürchten.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid durch Urteil vom 20. Mai 2008 aufgehoben, da dem Widerruf bereits die Rechtskraft des Urteils vom 27. Oktober 2006 entgegenstehe. Der angefochtene Widerruf erweise sich im Ergebnis als eine die Rücknahme vom 1. Juni 2005 ersetzende Entscheidung.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Dezember 2009 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar stehe die Rechtskraft des die Rücknahme aufhebenden Urteils dem Widerruf nicht entgegen, denn die Streitgegenstände dieser beiden Verwaltungsakte seien nicht identisch. Dennoch erweise sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht vorlägen. Dieser sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur möglich, wenn der Betroffene wegen zwischenzeitlicher Veränderungen im Heimatstaat vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Er falle nicht unter die Stichtagsregelung der Amnestieregelung; ob die Anwendungspraxis auch den Fall des Klägers erfasse, sei unsicher. Angesichts der weiterhin bestehenden Repressionsstrukturen seien ausreichende Anhaltspunkte für eine allgemeine Liberalisierung in Algerien nicht vorhanden.

9

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von dem abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausgegangen. Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie würde selbst ein Vorverfolgter nur durch die widerlegbare Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie privilegiert. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH sei beim Widerruf eines nicht Vorverfolgten der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

10

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil aus den Gründen der Ausgangsentscheidung. Darüber hinaus macht er geltend, dass einem anerkannten Flüchtling aufgrund seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und des Vertrauens auf seinen gefestigten Status ein größerer Schutz zu gewähren sei als einem Asylbewerber bei der Entscheidung über seine Anerkennung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht den Widerrufsbescheid zu Recht sachlich geprüft und nicht bereits wegen des aus der Rechtskraft folgenden Wiederholungsverbots aufgehoben (1.). Es hat aber der Verfolgungsprognose, die es bei Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gestellt hat, einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt (2.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache weder in positiver noch in negativer Hinsicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

1. Dem Erlass des streitgegenständlichen Widerrufsbescheids steht nicht entgegen, dass die zuvor verfügte Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung im Vorprozess rechtskräftig aufgehoben worden ist. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <257 f.> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 63 und vom 28. Januar 2010 - BVerwG 4 C 6.08 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 99). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (Urteil vom 30. August 1962 - BVerwG 1 C 161.58 - BVerwGE 14, 359 <362> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 4 und Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <213 f.>).

13

In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung wegen Nichtbeachtung zwingender Ausschlussgründe und deren Widerruf wegen Wegfalls der sie begründenden Umstände nicht als inhaltsgleich. Zwar erfolgte die Rücknahme im Fall des Klägers nur mit Wirkung für die Zukunft, so dass die beiden Verwaltungsakte auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet waren (vgl. aus einer anderen Perspektive Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <35>). Aber die den beiden Aufhebungsakten zugrunde liegenden rechtlichen Voraussetzungen und die hierbei zu berücksichtigenden Tatsachen unterscheiden sich: Während die Rücknahme auf einer anderen rechtlichen Beurteilung eines vergangenen Sachverhalts beruht, stützt sich der Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG auf eine nach der Anerkennung eingetretene Sachverhaltsänderung. Daher greift das Wiederholungsverbot im vorliegenden Fall nicht.

14

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - juris Rn. 9; zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen).

16

Der angefochtene Bescheid erweist sich nicht deshalb als rechtswidrig, weil das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung kein Ermessen ausgeübt hat. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 ff.).

17

Das Berufungsurteil ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen und speziell mit Blick auf den der Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

18

a) Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) dahingehend konkretisiert, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67, 76, 78 f.). Dazu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhält. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht - ebenso wie Art. 1 C Nr. 5 GFK - vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66), soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (ebd. Rn. 76). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (so EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

19

Mit Blick auf die Maßstäbe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73).

20

aa) Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Zeit- und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt (vgl. Urteile vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <84> und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <124 f.>).

21

Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Danach setzte der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <281> und vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 18; so auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung). Dieser gegenüber der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgesenkte Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt worden. Er wurde dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen und hat schließlich Eingang in die Widerrufsvoraussetzungen gefunden, soweit nicht eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung geltend gemacht wird, die in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der früheren steht (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 26).

22

Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolgt vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt (Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 20 ff. und vom 7. September 2010 - BVerwG 10 C 11.09 - juris Rn. 15). Das ergibt sich neben dem Wortlaut der zuletzt genannten Vorschrift auch aus der Entstehungsgeschichte, denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Demzufolge gilt unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 ; Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22).

23

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.). Die Richtlinie kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Es spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten hiervon in Widerrufsverfahren nicht nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können. Denn die zwingenden Erlöschensgründe dürften zu den Kernregelungen zählen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind, um das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09, B und D - NVwZ 2011, 285 Rn. 120 zu den Ausschlussgründen). Das kann aber hier dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den oben dargelegten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht hat.

24

bb) Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Senat hat in einem Fall, in dem ein verfolgendes Regime gestürzt worden ist (Irak), bereits entschieden, dass eine Veränderung in der Regel nur dann als dauerhaft angesehen werden kann, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>; Beschluss vom 7. Februar 2008 a.a.O. juris Rn. 37), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 90). Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.

25

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend bei seiner Verfolgungsprognose den Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrunde gelegt. Damit hat es § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verletzt; auf dieser Verletzung beruht die Berufungsentscheidung. Da das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen unter einem - wie dargelegt - rechtlich unzutreffenden Maßstab getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Denn es ist Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung des Betroffenen zugrunde lagen, eine Gefahrenprognose unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu erstellen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.

2

Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.

3

Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.

4

Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

5

Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.

6

Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.

7

Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.

8

Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.

9

Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.

10

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.

13

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 ). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).

14

Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.

15

3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

16

Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.

17

Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.

18

a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

19

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

20

Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.

21

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).

22

Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).

23

Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).

24

b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.

25

Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183 ; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.

26

Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.

27

4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

28

5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.

29

Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan - ) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.

(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und darüber, ob bereits in anderen Staaten oder im Bundesgebiet ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling, auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist.

(2) Der Ausländer hat alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.

(3) Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unberücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entscheidung des Bundesamtes verzögert würde. Der Ausländer ist hierauf und auf § 36 Absatz 4 Satz 3 hinzuweisen.

(4) Bei einem Ausländer, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Einer besonderen Ladung des Ausländers und seines Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer Woche nach der Antragstellung der Termin für die Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungstermin unverzüglich zu verständigen.

(5) Bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.

(6) Die Anhörung ist nicht öffentlich. An ihr können Personen, die sich als Vertreter des Bundes, eines Landes oder des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ausweisen, teilnehmen. Der Ausländer kann sich bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten oder Beistand im Sinne des § 14 des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten lassen. Das Bundesamt kann die Anhörung auch dann durchführen, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand trotz einer mit angemessener Frist erfolgten Ladung nicht an ihr teilnimmt. Satz 4 gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand seine Nichtteilnahme vor Beginn der Anhörung genügend entschuldigt. Anderen Personen kann der Leiter des Bundesamtes oder die von ihm beauftragte Person die Anwesenheit gestatten.

(7) Die Anhörung kann in geeigneten Fällen ausnahmsweise im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen.

(8) Über die Anhörung ist eine Niederschrift aufzunehmen, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Dem Ausländer ist eine Kopie der Niederschrift auszuhändigen oder mit der Entscheidung des Bundesamtes zuzustellen.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 10. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 8. Juni 2016 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrags gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe im Jahr 2012 im Iran eine Frau (die Klägerin des Verfahrens W 8 K 17.31240) kennengelernt und heiraten wollen. Der Bruder der Frau sei dagegen gewesen, weil er seine Schwester mit jemand anders habe verheiraten wollen. Der Bruder habe die Frau bedroht und tätlich angegriffen. Er habe auch gedroht, den Kläger umzubringen. Er habe ihn mit dem Auto angefahren. Er habe zusammen mit der Frau in Deutschland ein gemeinsames Kind.

Mit Bescheid vom 27. April 2017 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, subsidiärer Schutz sei nicht zu gewähren, da interner Schutz im Heimatland möglich sei. Eine endgültige Vermeidung der Gefahrenlage wäre in jeder Großstadt im Iran möglich. Der Kläger fürchte allein den Bruder seiner Lebensgefährtin. Dieser sei Lkw-Fahrer und könne als Privatperson nicht über die Macht und Möglichkeiten verfügen, überall im Iran den Kläger aufzuspüren, um seine Drohungen gegen ihn wahrzumachen.

Am 15. Mai 2017 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,

  • 1.Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2017 (Az.: …*) wird aufgehoben.

  • 2.Die Bundesrepublik Deutschland wird verpflichtet,

dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen;

hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;

hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen;

hilfsweise die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verkürzen.

Zur Begründung ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 im Wesentlichen ausführen: Er sei als Flüchtling anzuerkennen, weil er sich vom Islam losgesagt habe und ihm deshalb im Iran die Todesstrafe drohe. Er habe sich ebenso wie seine Lebensgefährtin vom islamischen Glauben vollständig losgesagt. Hierzu werde eine eidesstattliche Versicherung als Anlage vorgelegt. Außerdem sei der Kläger Mitglied des Zentralrats der Ex-Muslime geworden. Der Kläger habe sich aufgrund seiner erlittenen Unterdrückung sowie der Unterdrückung seiner Lebensgefährtin, die er im Iran nicht habe heiraten können, nachhaltig von den islamischen Glaubensvorstellungen aus innerer Überzeugung entfernt, diese Distanz in seinem täglichen Leben praktiziert und ihm sei aus diesem Grund eine Rückkehr in den Iran nicht zuzumuten. Dies sei auch nach außen erkennbar, weil der Kläger unter keinen Umständen gezwungen werden möchte, an islamischen religiösen Riten teilzunehmen bzw. sich dem islamischen Lebensstil unterzuordnen. Ihr gemeinsamer Sohn sei nicht beschnitten worden. Auf die eidesstattliche Versicherung vom 1. Juni 2017 wird verwiesen.

Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 30. Mai 2017,

die Klage abzuweisen.

Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. Mai 2017 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.

In der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2017 wiederholte der Klägerbevollmächtigte den Klageantrag aus dem Schriftsatz vom 15. Mai 2017. Das Gericht hörte den Kläger – ebenso wie seine Lebensgefährtin, die Klägerin des Verfahrens W 8 K 17.31240 – informatorisch an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakte (einschließlich der Akten der Lebensgefährtin im Verfahren W 8 K 17.31240) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg über die Balkan-Route und damit aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).

Das Gericht ist im Übrigen insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).

Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).

Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.

Dem Kläger drohte nach seinem bisherigen Vorbringen insbesondere keine staatliche Verfolgung seitens der iranischen Behörden. Vielmehr verwies er nur auf die Übergriffe und Drohungen des Bruders seiner Lebensgefährtin. Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2017 erklärte, im Iran sei eine Anzeige gegen ihn erstattet worden mit dem Vorwurf, er habe seine Lebensgefährtin entführt, nach ihm würde staatlicherseits gefahndet, hält das Gericht dieses neue Vorbringen für unsubstanziiert und letztlich unglaubhaft. Über die schlichte Behauptung einer Strafanzeige hinaus wurden von Klägerseite keine näheren Erklärungen dazu abgegeben, insbesondere erfolgte von der Klägerseite keine substanziierten Aussage dazu, ob und inwiefern tatsächlich staatliche Verfolgungshandlungen gegen den Kläger eingeleitet worden sind.

Der Kläger stützt seine Verfolgungsfurcht insoweit nur auf Vermutungen und Spekulationen, da weitere mit Tatsachen untermauerte Angaben des Klägers zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen fehlen. Zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen, insbesondere zu irgendwelchen schriftlichen Unterlagen bzw. Vorladungen oder auch nur Nachfragen staatlicher Organe bei seiner Familie hat der Kläger keine näheren Angaben gemacht, obwohl er nach eigenem Bekunden in Kontakt mit seiner Familie steht. Der Kläger hat nicht von sich aus von weiteren, insbesondere auch aktuellen Verfolgungsmaßnahmen berichtet, geschweige denn von konkreten schriftlichen Dokumenten, die er auch dem Gericht hätte vorlegen können. Es erscheint lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb gegebenenfalls weitere konkretere Erkundigungen eingezogen hat, die auf einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehenden Verfolgungsgefahr für ihn hindeuten. Gerade wenn jemand verfolgt wird – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet –, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In diese Richtung hat der Kläger nichts Substanzielles vorgetragen. Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass gegen den Kläger überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens der staatlichen Behörden im Iran erfolgt sind und auch bei einer Rückkehr nicht drohen.

Das Gericht ist des Weiteren nicht davon überzeugt, dass für den Kläger eine ernsthafte Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Nachfluchtaktivitäten droht. Die als Nachfluchtgründe geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten bewegen sich insgesamt betrachtet noch auf einem sehr niedrigen oppositionellen Niveau, so dass nach Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger in Deutschland derart nach Außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welche auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates besteht.

Nach den vorliegenden Erkenntnissen beobachten iranische Stellen genau die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen. Einer realen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran setzen sich daher solche führende Persönlichkeiten der Oppositionsgruppen aus, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam (z.B. als Redner, Verantwortlicher oder in leitender Funktion) in Erscheinung treten und zum Sturz des Regimes aufrufen. Im Ausland lebende prominente Vertreter vom Iran verbotener Oppositionsgruppen haben im Fall einer Rückkehr mit sofortiger Inhaftierung zu rechnen. Normale Teilnehmer an irankritischen Demonstrationen können bei späteren Besuchen im Iran seitens der Sicherheitsdienste befragt werden, wenn ihre Aktivitäten bekannt sind. Im Fokus stehen vor allem Aktivitäten, die als Angriff auf das politische System empfunden werden und die islamischen Grundsätze in Frage stellen. Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann in den Iran zurückkehren, können von Repressionen bedroht sein (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 24.2.2015, Stand: September 2014 sowie vom 9.12.2015, Stand: November 2015 und vom 8.12.2016, Stand: Oktober 2016; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 22.5.2017).

Auch nach der Rechtsprechung ist – gerade angesichts der großen Anzahl regimekritisch aktiver Exiliraner – maßgeblich für eine Verfolgungsgefahr darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die den Betreffenden nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 14 ZB 10.30114 – Asylmagazin 2011, 17). Demgegenüber ist eine Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten nur anzunehmen, wenn der iranische Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran hineinwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2012 – 14 ZB 12.30263 – juris; B.v. 17.10.2009 – 14 ZB 09.30257 – juris). Selbst für linksextreme Gruppen und deren Unterstützer ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer politischen Verfolgung nur auszugehen, wenn sie nicht lediglich als bloße Mitläufer bei Veranstaltungen dieser Oppositionsgruppe in Erscheinung getreten sind, sondern durch ihr Engagement und durch die von ihr entfalteten Aktivitäten aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sind, sie sich insoweit exponiert haben (OVG Bremen vom 8.11.2010 – 2 A 209/08.A – juris). Dafür reichen Aktivitäten als Demonstrationsteilnehmer nicht aus (SächsOVG, U.v. 9.7.2008 – A 2 B 296/07, Entscheidungen Asyl 9/2008, S. 3). Untergeordnete exilpolitische Aktivitäten führen nicht zu asyl- und abschiebungsrelevanten Repressalien im Iran (OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.9.2009 – OVG 3 B 12.07 – juris). Regimekritische Veröffentlichungen im Internet und sonstigen Medien können ausnahmsweise eine Verfolgungsgefahr begründen, wenn damit zu rechnen ist, dass sie den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden und der Betreffende als überzeugter und besonders aktiver Regimegegner erscheint, der aus Sicht der iranischen Behörden wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für den islamischen Staat nachhaltig zu bekämpfen ist (HessVGH, U.v. 21.9.2011 – 6 A 1005/10.A – EzAR-NF 63 Nr. 4). Erforderlich ist im Regelfall ein exponiertes exilpolitisches Engagement, dass den Betreffenden aus dem Kreis der standardmäßig exilpolitischen Aktiven heraushebt und im iranischen Staat als ernsthaften Regimegegner erscheinen lässt, so dass wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse seitens des iranischen Staates besteht (vgl. OVG NRW, B.v. 16.1.2017 – 13 A 1793/16.A – juris; HessVGH, U.v. 21.9.2011 – 6 A 1005/10.A – EzAR-NF 63 Nr. 4).

Auch nach der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist maßgeblich für eine Verfolgungsgefahr darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die dem Betroffenen nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen, oder nicht. Die Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten ist anzunehmen, wenn ein iranischer Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran hineinwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 14 ZB 17.30370 – nicht veröffentlicht; B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 13.30084 – juris; B.v. 25.1.2013 – 14 ZB 12.30326 – juris; B.v. 15.1.2013 – 14 ZB 12.30220 – juris; B.v. 7.12.2012 – 14 ZB 12.30385 – juris sowie etwa VG Würzburg, U.v. 19.12.2012 – W 6 K 12.30171 – Beck-Online, BeckRS 2013, 45668).

Ausgehend von der Rechtsprechung, die auf der aktuellen Erkenntnislage beruht, begründen die vom Kläger geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten unter Würdigung der Gesamtumstände seines Falles keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr. Der Kläger hat sich nach Überzeugung des Gerichts nicht in einer exponierten Weise exilpolitisch engagiert, die ihn aus dem Kreis der standardmäßigen exilpolitischen Aktiven heraushebt und dem iranischen Staat als ernsthaften Regimegegner erscheinen lässt, so dass wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse seitens des iranischen Staates bestehen würde.

Vor diesem Hintergrund besteht für den Kläger nach derzeitiger Auskunftslage aufgrund des Gesamtbildes seiner exilpolitischen Tätigkeiten keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran. Zu erwähnen ist schon, dass der Kläger lediglich angab er sei Mitglied des Zentralrats der Ex-Muslime, um zu dokumentieren, dass er weg sei vom Islam. Er kenne andere Mitglieder und sie tauschten sich aus. Aber er habe wegen seines Kindes (Schule usw.) keine Zeit für weitere Aktivitäten in dieser Vereinigung.

Die demnach insgesamt äußerst dürftigen Aktivitäten des Klägers (passive Mitgliedschaft, interner Meinungsaustausch) rechtfertigen nicht die Annahme einer begründeten Verfolgungswahrscheinlichkeit, weil selbst die Teilnahme an einzelnen Parteiveranstaltungen nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht ausreicht. Es ist schon nicht ersichtlich, wie die sehr geringen Aktivitäten des Klägers in Deutschland den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden sollten. Zudem scheinen die politischen Aktivitäten des Klägers nicht geeignet, auf die Verhältnisse im Iran ernsthaft einzuwirken und aus der Sicht des iranischen Staates eine Gefahr zu begründen. Nach der vorliegenden Auskunftslage ist es unrealistisch anzunehmen, dass jegliche regimekritische Aktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu persönlichen Konsequenzen führt. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Aktivitäten des Klägers den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt sind und darüber hinaus ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates begründen.

Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Kläger – als Atheist – Mitglied im Zentralrat der Ex-Muslime ist.

Voraussetzungen für die Annahme einer relevanten Verfolgungsgefahr wäre bezogen auf den Zentralrat der Ex-Muslime, dass die iranischen Behörden von der Mitgliedschaft des Klägers im Zentralrat der Ex-Muslime Kenntnis erlangen und weiter auf einen ernsthaften Abfall vom Islam schließen würden, an dem der Betreffende im Fall einer Rückkehr in den Iran festhalten und nach außen kundtun würde (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – Asylmagazin 2010, S. 333). Beim Zentralrat der Ex-Muslime handelt es sich um eine reine Exilorganisation, so dass es auf dessen Tätigkeit die Maßstäbe der Verfolgung bei exiloppositioneller Tätigkeit anwendbar sind. Der Zentralrat der Ex-Muslime verfolgt hauptsächlich politische Ziele, wenn er auch einen religiösen Hintergrund hat. Auch wenn es sich beim Zentralrat der Ex-Muslime nicht um eine politische Partei handelt und es auch um das Recht des Einzelnen geht, eine Religion zu haben oder nicht, so ist der Zentralrat der Ex-Muslime doch ein über Deutschland hinaus europaweit fungierende Interessenvertretung gerade der Menschen, die sich vom Islam abgewandt haben. Zudem geht es nach Überzeugung des Gerichts dem Zentralrat der Ex-Muslime nicht um eine Verbundenheit aufgrund einer gemeinsamen Religionsausübung oder Weltanschauung. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Mitglieder schwerpunktmäßig einer atheistischen Weltanschauung anhängen, ohne schon einer anderen Religion zuzugehören. Die Gemeinsamkeit der Mitglieder der Ex-Muslime liegt darin, sich vom Islam mehr oder weniger endgültig abgewandt zu haben, nicht jedoch gemeinsam sich einer Religion oder Weltanschauung verbunden zu fühlen und diese gemeinsam nach außen zu leben (BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – Asylmagazin 2010, S. 333). Die Aktivitäten des Klägers für den Zentralrat der Ex-Muslime bewegen sich, wie bereits ausgeführt, auf einem sehr niedrigen exilpolitischen Niveau. Der Stellenwert des Klägers im Zentralrat der Ex-Muslime ist nicht mit dem der Vorsitzenden des Zentralrats, die nach Überzeugung des Gerichts bedroht und über die im iranischen Fernsehen berichtet wird, zu vergleichen (vgl. BayVGH, U.v. 4.1.2012 – W 6 K 10.30331 – juris). Vielmehr bleibt seine Funktion als rein passives Mitglied – auch für den iranischen Staat offenkundig und erkennbar – deutlich hinter der der Vorsitzenden zurück.

Das Gericht ist des Weiteren nicht davon überzeugt, dass die iranischen Behörden aufgrund der atheistischen Weltanschauung des Klägers Maßnahmen gegen diesen ergreifen würden. Erforderlich ist ein Glaubenswechsel, wonach sich der Kläger verpflichtet fühlt, eine andere Religion als den Islam öffentlich und in Gemeinschaft mit anderen auszuüben. Erst dann wäre die Gefahr damit verbunden als Konvertit und Apostat erkannt zu werden. Erforderlich wäre beim Kläger ein zwingendes Bedürfnis, ein religiöses oder auch atheistisches Selbstverständnis nach außen mitzuteilen (BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – Asylmagazin 2010, S. 333; VG Regensburg, U.v. 21.8.2012 – RO 4 K 12.30081). Der Kläger hat selbst nicht vorgetragen, dass ein Glaubenswechsel derart stattgefunden hat, dass er sich verpflichtet fühlt, eine andere Religion als den Islam oder seine jetzige Weltanschauung als Atheist öffentlich und in Gemeinschaft mit anderen auszuüben. Der Kläger hat nicht vorgebracht, ein ihn dauerhaft prägendes, zwingendes Bedürfnis zu haben, sein religiöses oder atheistisches Selbstverständnis nach außen mitzuteilen. Der Kläger erklärte zu seinen Beweggründen, er habe keine Lust auf Religion. Er kenne eigentlich nur den Islam, andere Religionen kenne er nicht. Er wolle nicht, dass seine Ehe durch einen Mullah geschlossen werde. Er verwies darauf, dass der Islam einerseits zu einem strengen Glauben auffordere und andererseits Auswüchse wie die Vergewaltigung von Kindern und auch sonstige Straftaten zulasse. Auf Frage des Gerichts, welche Regeln für ihn nun gälten, antwortete der Kläger, als Alternative sollten die Leute gesund leben, nicht lügen und nicht stehlen. Auf weitere Frage des Gerichts, was der Kläger glaube, was mit den Menschen nach dem Tod passiere, erklärt der Kläger: Dies wisse er nicht, er habe keinen Plan. Er habe noch nie von einem gehört, der nach dem Tod zurückgekehrt sei. Wenn jemand sterbe, dann sterbe er. Weiter erklärt der Kläger ausdrücklich er glaube an Gott. Er wisse nicht, was Gott mit ihm nach dem Tod mache. Er wisse nicht, was Gott tue. Gott sei der Schöpfer. Er habe das Leben geschaffen. Jeder habe seinen Glauben, seinen Gott im Herzen. Wenn es Probleme gebe, dann bitte man Gott um Hilfe. Sie hätten ihr Kind bewusst nicht beschneiden lassen. Das Kind solle später selbst entscheiden, was es glauben wolle.

Dem Gericht drängt sich mit diesen eher dürftigen Aussagen der Eindruck auf, der Kläger habe sich zwar von den Praktiken des Islam, wie sie im Iran im Alltag konkret vorherrschten, lösen wollen, sich aber nicht nachhaltig und intensiv mit Glaubensfragen beschäftigt, geschweige denn sich endgültig vom Islam in jeder Form abgewandt und sich stattdessen mit seinem neuen Glauben intensiv auseinandergesetzt. Des Weiteren ist nicht erkennbar, dass sich die Loslösung vom Islam nach außen so manifestiert hat, dass sich der Betreffende nachhaltig und auf Dauer sowie nach außen hin erkennbar ernstlich und endgültig vom moslemischen Glauben abgewandt hat (vgl. dazu auch HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1398/09.A – Asylmagazin 2010, 120). Allein die passive Mitgliedschaft im Zentralrat der Ex-Muslime genügt nicht. Das Auswärtige Amt hat in einer Auskunft an das VG Schwerin vom 25. August 2015 ausdrücklich angemerkt, dass Apostasie, der Abfall vom Islam, nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes im Iran erst angenommen wird, wenn der eigentliche Übertritt in eine andere, dem Islam nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft, vorgenommen wird. Daran fehlt es.

Das Gericht konnte sich insgesamt nicht davon überzeugen, dass eine religiöse Praxis oder eine religiöse Betätigung, die im Iran verfolgt wird, für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass er in Deutschland seine Lebensführung an grundlegenden religiösen Geboten seinen jetzigen Glaubensvorstellungen ausgerichtet hat. Vielmehr verwies er auf nachteilige Auswirkungen des Islams im Alltag. Gründe für eine echte, die Persönlichkeit prägende Gewissensentscheidung für einen Abfall vom Islam konnte er zur Überzeugung des Gerichts aber nicht glaubhaft machen. Vielmehr erscheinen soziale und persönliche Gründe nicht religiöser Art vorzuwiegen. Zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass seine gewandelte Glaubensvorstellung den Kläger derart prägt, dass es für ihn verpflichtendes Bedürfnis ist, dies auch nach außen kundzutun und sein Leben danach auszurichten, so dass er bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran gefährdet wäre, deshalb verfolgt zu werden. Vor diesem Hintergrund fehlt es an einer Grundlage, die als Basis für die Annahme einer möglichen und beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohenden religiösen Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr in den Iran bringen könnte.

Des Weiteren hat das Gericht durchgreifende Zweifel, dass die iranischen Behörden allein aus der Mitgliedschaft des Klägers im Zentralrat der Ex-Muslime und seinen vorgetragenen Aktivitäten auf einen ernsthaften Abfall vom Islam schließen würden, an denen der Betreffende auch im Fall einer Rückkehr in den Iran festhalte und dies auch kundtun würde. Anhaltspunkte hierfür liegen angesichts der realistischen Einschätzung der iranischen Behörden, dass Exilorganisationen häufig, wenn nicht vorwiegend dazu dienen, Nachfluchtgründe zu belegen, nicht vor (BayVGH, B.v. 2.3.2010 – 14 ZB 10.30050 – Asylmagazin 2010, S. 333). Im Übrigen hat die Vorsitzende des Zentralrat der Ex-Muslime in einer mündlichen Verhandlung am 4. Januar 2012 (vgl. VG Würzburg, U.v. 4.1.2012 – W 6 K 10.30331 – juris) selbst keinen einzigen Fall nennen können, in dem zurückgekehrte Mitglieder des Zentralrat der Ex-Muslime im Iran verfolgt worden sind. Selbst wenn im Iran nach der Scharia bzw. dem iranischen Strafrecht formal ein Fall der Apostasie vorliegen mag, ist weiterhin nicht ersichtlich, dass die iranischen Behörden in ihrer Rechtspraxis auf einen ernsthaften Abfall vom Islam schließen würden, an dem der Betreffende auch bei einer Rückkehr festhalten wollte. Nach den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 9.12.2015, Stand: September 2015 und vom 8.12.2016, Stand: Oktober 2016) sind vornehmlich missionierende Konvertiten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, insbesondere evangelikale Christen. Zwar kann Apostasie mit der Todesstrafe bestraft werden, Nicht-Muslime dürfen ihrer religiösen Überzeugungen nicht öffentlich ausdrücken. Im Iran Konvertierte nehmen indes von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten nach außen ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zudem zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin und wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hierfür den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 22.5.2017, S. 49 ff.). Letzteres verhindert erst recht eine Verfolgung.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zudem ausdrücklich ausgesprochen, dass der Zentralrat der Ex-Muslime nicht als (atheistische) Glaubensgemeinschaft anzusehen ist. Die Mitgliedschaft in diesem Verein ist nicht identisch mit einem wirklich stattgefundenen Glaubenswechsel. Es gibt keine Anhaltspunkte für einen Rückschluss iranischer Stellen von der Mitgliedschaft im Zentralrat der Ex-Muslime auf einen ernsthaften Abfall vom Islam und bei Rückkehr in den Iran auf konsequentes Festhalten und auf das nach außen Kundtun. Auch im Zusammenhang mit dem Zentralrat der Ex-Muslime bleibt es bei der Feststellung, dass eine Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten nur angenommen werden kann, wenn die iranischen Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervorgetreten ist und sein Gesamtverhalten ihn den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran einwirkenden Regimegegner erscheinen lässt. Eine Mitgliedschaft im Zentralrat der Ex-Muslime rechtfertigt keine andere Beurteilung als sonstige exilpolitische Aktivitäten (so ausdrücklich BayVGH, B.v. 7.12.2012 – 14 ZB 12.30385 – juris; vgl. auch VGH, B.v. 20.6.2017 – 14 ZB 17.30370 – nicht veröffentlicht).

Selbst wenn eine mögliche Verfolgung des Klägers bei einer potenziellen Rückkehr in den Iran nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht gesamtbetrachtet nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran, da nicht davon auszugehen ist, dass die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt sind oder werden und zusätzlich ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates begründen.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Zwar kann es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen; die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Darüber hinaus kommt es jedoch zu keinen staatlichen Repressionen. Keiner westlichen Botschaft ist bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren. Zudem wurde auch kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werden die früheren illegalen Ausreisen legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 9.12.2015, Stand: November 2015 und vom 8.12.2016, Stand: Oktober 2016). Vorstehendes gilt auch in Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. März 2010 (R.C./Sweden, Nr. 41827/07). Denn die dort entschiedene Fallkonstellation ist nicht mit der hier vorliegenden vergleichbar, weil der Europäische Gerichtshof in jenem Fall seiner Beurteilung eine Vorverfolgung (Demonstrationsteilnahme mit anschließender Verhaftung und Folter) als substanziiert glaubhaft gemacht zugrunde gelegt hat (VGH BW, U.v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13 – juris; SächsOVG, U.v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11 – juris; BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023 – juris; B. v. 21.1.2013 – 14 ZB 12.30456 – juris; OVG NRW, B.v. 16.6.2011 – 13 A 1188/11. A – Asylmagazin 2011, 246; OVG Lüneburg, B.v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10 – AuAS 2011, 174).

Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts auch des Weiteren keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran, weil er eine Beziehung zu einer nicht verheirateten Frau und mit dieser ein uneheliches Kind hat, das er nicht hat beschneiden lassen.

Vorliegend ist weiter nicht ersichtlich, dass in der Person des Klägers bei einer theoretischen Strafverfolgung Anhaltspunkte für einen Malus infolge der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe vorlägen. Der Kläger würde im Prinzip nicht anders bestraft als andere iranische Straftäter bzw. Straftäterinnen in vergleichbarer Lage, wenn der iranische Staat überhaupt die uneheliche Beziehungen bzw. die uneheliche Vaterschaft bekannt werden sollte.

Dem Kläger droht insoweit keine flüchtlingsrelevante politische Verfolgung, weil sich bei dem von ihm vorgebrachten außerehelichen Beziehung jedenfalls um keinen Anknüpfungspunkt für eine politisch motivierte Verfolgung handelt. Eine Strafverfolgung wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs, knüpft insoweit nicht an einen asylrelevanten Verfolgungsgrund an. Vielmehr handelt es sich um repressive Maßnahmen bzw. um eine strafrechtliche Verfolgung wegen eines allgemeinen Straftatbestandes im Iran ohne politische Bedeutung (vgl. NdsOVG, U.v. 24.10.2001 – 5 LB 448/01 – juris; BayVGH, B.v. 28.4.1998 – 19 ZB 98.31801 – juris; U.v. 11.11.1992 – 19 BZ 92.31853 – Streit 1994, 85). Zwar widersprechen die für den außerehelichen Geschlechtsverkehr zu verhängenden Strafen, wie Auspeitschung, Steinigung und Todesstrafe, den hiesigen Moralgrundsätzen und Anforderungen an eine rechtsstaatliche und menschliche Judikatur und Gesellschaft. Die maßgeblichen Vorschriften des islamischen und iranischen Rechts bezwecken indessen die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und den Schutz der öffentlichen Moral und Sitte. Sie knüpfen an ein den islamischen Wertvorstellungen widersprechendes individuelles Verhalten an und folgen einer jahrhundertalten Tradition islamischen Rechts, das noch auf weitere ältere Rechtsquellen aufbaut. Insofern fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der iranische Staat diesen Vorschriften, die nicht vom gegenwärtigen iranischen Regime eingeführt wurden, allgemein in flüchtlingsrelevanter Weise eine politische Gesinnung oder Betätigung ahnden will (sog. Politmalus). Zudem knüpfen diese Strafvorschriften nicht an die eine Person schicksalhaft prägende asylrelevante Eigenschaften an (vgl. auch VG Düsseldorf, U.v. 18.5.2010 – 2 K 1802/09.A – juris; U.v. 2.5.2006 – 2 K 37/06.A – juris; U.v. 15.10.2003 – 5 K 6938/01.A; VG Karlsruhe, U.v. 18.5.2006 – A 6 K 12318/04 – AuAS 2006, 238; VG Würzburg, U.v. 9.10.2002 – W 7 K 02.30595 – juris).

Denn das Flüchtlingsrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden, auch massiven Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben. Aus dem Akt der Strafverfolgung kann nicht geschlossen werden, dass eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts vorliegt. Dem grundsätzlich legitimen staatlichen Rechtsgüterschutz dienende Maßnahmen, wie die Ahndung krimineller Taten ohne politischen Bezug, führen nicht zur Annahme einer politisch motivierten Verfolgung. Solche Maßnahmen können nur dann in eine politische Verfolgung umschlagen, wenn objektive Umstände darauf schließen ließen, dass der Betroffene wegen eines asylerheblichen Merkmals eine härtere als die sonst übliche Bestrafung erleiden würde (vgl. NdsOVG, U.v. 31.5.2016 – 11 LB 53/15 – Asylmagazin 2016, 217; HessVGH, B.v. 27.1.2014 – 3 A 917/13.Z.A – AuAS 2014, 80; vgl. auch BVerfG, B.v. 4.12.2012 – 2 BvR 2954/09 – NVwZ 2013, 500; B.v. 29.4.2009 – 2 BvR 78/08 – NVwZ 2009, 1035).

Die Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die dem Betroffenen nicht wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonst asylerheblichen Merkmals treffen soll, stellt keine flüchtlingsrelevante Verfolgung dar, wenn die Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft (vgl. etwa – bezogen auf Wehrpflicht und die Wehrdienstentziehung – BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – NVwZ 2017, 1204 m.w.N. sowie etwa VG Augsburg, U.v. 27.11.2006 – Au 7 K 05.30480 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 8.11.2005 – 2 K 1497/04.A – juris). Für die Annahme eines Umschlagens eventueller Strafverfolgungsmaßnahmen in eine politische Verfolgung ist im Fall des Klägers nichts ersichtlich. Daraus kann daher auch kein Abschiebungshindernis resultieren.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass den Kläger bei einer möglichen Ahndung auch deshalb keine gravierende Strafe treffen müsste, weil abgesehen von den gegebenenfalls anzunehmenden Beweisschwierigkeiten, der Umstand der Geburt eines nicht ehelichen Kindes kein ausreichender Beweis ist (siehe Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Kassel vom 25.11.2013, Auskunft an das VG Regensburg vom 19.11.2014). Des Weiteren können selbst eventuell verhängte Strafen, etwa Peitschenhiebe, auch in eine Geldstrafe umgewandelt bzw. abgekauft werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 8.12.2016, Stand Oktober 2016, S. 15; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Würzburg vom 9.2.2015; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 22.5.2017, S. 70). Die Umwandlung von Peitschenstrafen in Geldstrafen oder in Geldbußen ist im Iran ziemlich häufig (vgl. GIGA, Auskunft an das VG Bremen vom 29.5.2007), so dass nach der konkreten Rechtspraxis im Iran nicht unbedingt wahrscheinlich ist, dass der Betreffende eine grausame oder unmenschliche Bestrafung tatsächlich erleidet (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 16.9.2009 – OVG 3 B 12.07 – juris).

Auch wenn eine mögliche Verfolgung des Klägers bzw. eine ernsthafte Gefahr bei einer potentiellen Rückkehr in den Iran nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht gesamtbetrachtet nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung oder einer Gefährdung durch staatliche Stellen, zumal der Kläger die Möglichkeit hat, sein Kind sowie gegebenenfalls eine Eheschließung in Deutschland zu legalisieren, wie später noch ausgeführt wird.

Des Weiteren droht dem Kläger auch keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr seitens des Bruders seiner Lebensgefährtin bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran, weil für ihn eine zumutbare inländische Fluchtalternative besteht (vgl. § 3e AsylG), wie auch schon die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. Für den Kläger, sein Kind und seine Lebensgefährtin besteht im Iran eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative; der Kläger kann mit seinem Kind und seiner Lebensgefährtin nach Teheran oder einer anderen Großstadt im Iran ausweichen. Der Kläger muss sich auf einen interne Schutzmöglichkeit in seinem Herkunftsland verweisen lassen.

Soweit von Klägerseite vorgebracht wird, dass wegen fehlender Dokumente ein möglicher Aufenthalt in einer gemeinsamen Unterkunft scheitern könnte, hält das Gericht dies nicht für ein dauerhaftes Hindernis. Vielmehr ist dem Kläger – ebenso seiner Lebensgefährtin – zumutbar, sich die notwendigen Dokumente zu besorgen, die sie gegebenenfalls für eine Eheschließung hier in Deutschland benötigen oder um eine Geburtsurkunde für das Kind zu erlangen. Der Kläger hat ebenso wie seine Lebensgefährtin in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bekundet, heiraten zu wollen. Abgelehnt wurde nur eine religiöse Eheschließung vor dem Imam. Dem Gericht leuchtet nicht ein, dass es dem Kläger nicht möglich sein sollte, etwa ein gültiges Shenasnameh (Geburtsurkunde/Personalausweis) bzw. sonstigen Pass über die iranische Botschaft besorgen zu können. Dem Kläger ist es zumutbar, zur iranischen Botschaft zu gehen und die notwendigen Dokumente zu besorgen und damit die weiteren Formalitäten zu erledigen. Nur am Rande sei erwähnt, dass der Kläger selbst bei einem Kontakt mit der iranischen Botschaft eine zwangsweise Abschiebung aus Deutschland nicht fürchten müsste, weil der iranische Staat grundsätzlich lediglich freiwillige Rückkehrer akzeptiert und nur im Falle freiwilliger Rückkehrer kooperiert (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 8.12.2016, Stand Oktober 2016, S. 5 und S. 16). Mit den notwendigen Nachweisen, wie Eheurkunde und Geburtsurkunde, würde das Kind dann auch im Iran nicht als unehelich angesehen werden (vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das VG Greifswald vom 28.11.2016).

Unter dem Vorzeichen der ohnehin erforderlichen Legalisierung vor einer Rückkehr in den Iran könnte sich der Kläger (mit seinem Kind und seiner Lebensgefährtin bzw. dann seiner Ehefrau) im Iran legal niederlassen, ohne dass der Bruder der Lebensgefährtin herausfinden müsste, wo er sich aufhält. Angesichts der Größe des Irans und der Größe der iranischen Städte, insbesondere Teherans, und der Stellung des Bruders der Lebensgefährtin als Berufskraftfahrer hält es das Gericht nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger befürchten müsste, vom Bruder entdeckt und gefährdet zu werden.

Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am ... 1984 geborener iranischer Staatsangehöriger. Er reiste angeblich am 10. September 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. November 2012 einen Asylantrag. Zur Begründung seines Asylantrags gab der Kläger im Wesentlichen an, er habe im Iran regimekritische Artikel verfasst. Zwei Freunde, die seine Artikel verbreitet hätten, seien festgenommen worden. Seine Wohnung sei durchsucht worden.

Mit Bescheid vom 10. März 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe eine begründete Furcht vor Verfolgung durch die iranischen Behörden nicht glaubhaft gemacht. Der Kläger habe auf Nachfragen zu konkreten Ereignissen keine klaren und nachvollziehbaren Angaben gemacht, die eine ihm drohende politische Verfolgung wahrscheinlich erscheinen ließen.

2. Am 23. März 2015 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,

1. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10. März 2015, zugestellt am 13. März 2015, die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylVfG zuzuerkennen,

2. den Kläger als asylberechtigt im Sinne des Art. 16a GG anzuerkennen,

3. festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus vorliegen,

4. festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz vom „19.05.2015“, eingegangen bei Gericht am 14. Juli 2015, ließ der Kläger zur Klagebegründung vorbringen: Im angefochtenen Bescheid werde der Sachverhalt nicht detailliert angegeben, zudem sei dort ein Missverständnis festzustellen. Der Kläger habe Artikel geschrieben, die fluchtauslösender Grund für ihn gewesen seien. Aus diesem Grund sei er in das Visier des islamischen Regimes gefallen. Seit seiner Ankunft in Deutschland sei der Kläger weiterhin politisch aktiv. Er habe eine Internetseite. Seit seiner Ankunft nehme der Kläger Veröffentlichungen auf dieser Webseite bis heute vor. Der Kläger habe sich nicht in Widersprüche verwickelt. Vielmehr habe der Einzelentscheider die Schließung der Internetseite der Zeitschrift „A.“ mit der Inhaftierung der Freunde verwechselt. Der Vorwurf, er sei zufälliger Weise nicht zu Hause gewesen, sei falsch. Er habe angegeben, dass er zwei Tage vor der Hausdurchsuchung sein Familienhaus verlassen habe, um einen Freund bei Computerarbeiten zu helfen. Der Kläger habe sich im Iran zumindest in einer latenten Gefährdungslage befunden. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland und der Veröffentlichung der den Kernpunkt des islamischen Regimes angreifenden Artikel habe der Kläger den Beweis dafür erbracht, dass er gegen das islamische Regime eingestellt und bei einer Rückkehr in Leib und Leben gefährdet sei. Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes sei die Einschätzung einer Gefährdung des Klägers zu entnehmen. Weiteren Erkenntnisquellen sei zu entnehmen, dass besonders die Aktivitäten oppositioneller Journalisten und Blogger im Internet in den Fokus gerückt seien. Den exilpolitischen Aktivitäten des Klägers sei damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, dass der Kläger bei Rückkehr Gefahren für sein Leib und Leben ausgesetzt werde.

3. Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 26. März 2015

die Klage abzuweisen.

4. Eine zunächst erhobene Untätigkeitsklage stellte das Gericht mit Beschluss vom 31. März 2015 (W 6 K 15.30024) ein.

Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6. Mai 2015 dem Berichterstatter zur Entscheidung.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2015 lehnte das Gericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Prozessbevollmächtigten ab.

In der mündlichen Verhandlung am 26. August 2015 nahm der Klägerbevollmächtigte die Klage auf Aufhebung der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides vom 10. März 2015 und auf Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten zurück. Das Gericht trennte diesen Klageteil ab, führte ihn unter dem Aktenzeichen W 6 K 15.30613 fort und stellte ihn auf Kosten des Klägers ein. Der Klägerbevollmächtigte beantragte sodann,

die Beklagte unter Aufhebung der Nrn. 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. März 2015 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akten der Verfahren W 6 K 15.30024 und W 6 K 15.30613) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.

2. Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylVfG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 - 9 C 21/92 - BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 - 9 C 118/90 - BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 - 9 C 59/91 - Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).

Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylVfG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 106.84 - BVerwGE 71, 180).

3. Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe - zu seinem Vorfluchtschicksal - in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht. Der Kläger hat im Verlauf des Behördenverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, teils in frappierender Weise ungereimte und widersprüchliche Angaben gemacht, die er zum Teil auch noch gesteigert hat. Demgegenüber ließ er eine zweifelsfreie, in sich stimmige Verfolgungsgeschichte vermissen. Weiter stützt er seine Verfolgungsfurcht im Wesentlichen auf Vermutungen und Spekulationen.

Gerade aufgrund Aussageverhaltens des Klägers und seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass der Kläger die von ihm geschilderte Geschichte nicht selbst erlebt hat, sondern dass er ein konstruiertes und ausgedachtes Verfolgungsschicksals ohne eigenen Erlebnishintergrund vorgibt. Anders lassen sich die zahlreichen Widersprüche im Vergleich zu den Angaben beim Bundesamt sowie seine Unfähigkeit, auf Fragen konkret und in Einzelheiten zu antworten, wie es einem Verfolgten, der seine Geschichte wirklich so erlebt hat, ohne weiteres möglich wäre, nicht erklären. Stattdessen gab der Kläger ausweichende Antworten und berief sich wiederholt auf Erinnerungslücken. So bleiben letztlich nicht ausräumbare, durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens zu seinem Vorfluchtschicksal.

So konnte schon aufgrund widersprüchlicher Angaben des Klägers nicht festgestellt werden, welche politischen Aktivitäten er in den Iran als fluchtauslösenden Grund getätigt haben will. Zwar hat er Auszüge aus der Zeitschrift „A.“ vorgelegt. Die Zeitschrift wurde jedoch schon nach dem eigenen Vorbringen des Klägers im Jahr 2010 im Iran eingestellt. Allein aufgrund dessen sind gegen den Kläger bis zu seiner Ausreise im Jahr 2012 keine Maßnahmen ergriffen worden. Das weitere Vorbringen, er sei auch noch in der Zeit nach der Einstellung der Zeitschrift mit regimekritischen Artikeln aktiv gewesen, ist nicht glaubhaft. Abgesehen von den entsprechenden Ungereimtheiten zu deren Verbreitung über seinen Freund M., auf die schon im ablehnenden Bundesamtsbescheid hingewiesen ist, gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, bis kurz vor seiner Ausreise im Jahr 2012 keinen Kontakt mit seinen beiden Freunden gehabt zu haben, obwohl er laut Aussage bei der Bundesamtsanhörung über seinen Freund M. im Zeitraum von 2010 bis 2012 die regimekritischen Artikel publik gemacht haben will. Auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts erklärte der Kläger - wie des Öfteren - pauschal, er könne sich nicht mehr an alles erinnern. Später gab er auf explizite Nachfrage ohne weiteren Kommentar nur an: ja, es sei richtig, dass er vom Jahr 2010 bis 2012 mit einem Freund regimekritische Artikel verfasst habe.

Widersprüchlich sind des Weiteren die Angaben zur Verhaftung seines Freundes H. Im Rahmen der Bundesamtsanhörung erklärte der Kläger ausdrücklich, die Zeitschrift „A.“ sei am 28.12.1388 (19.3.2010) geschlossen worden. Sein Freund H. sei acht Tage zuvor festgenommen worden; der zweite Freund (M.) sei im Jahr 2012 festgenommen worden. Demgegenüber ließ der Kläger im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 19. Mai 2015 vorbringen, die Beklagte habe die Schließung der Internetseite (2010) mit der Inhaftierung der Freunde des Klägers (2012) verwechselt. Davon wiederum abweichend erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, er habe einen Monat vor seiner Ausreise erfahren, dass es zu einer Festnahme von beiden Freunden gekommen sei. Demgegenüber gab er beim Bundesamt an, nach der Schließung der Zeitung hätten sie (der Kläger und sein Freund M.) ein Jahr lang nichts über den Verbleib des Freundes H. erfahren. Auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts, verwies der Kläger schlicht auf Erinnerungslücken.

Gleichermaßen nicht aufklärbar sind die widersprüchlichen Angaben des Klägers zur Verhaftung seines zweiten Freundes M.. Während er beim Bundesamt noch angegeben hatte, nach der Schließung der Zeitung und der Verhaftung des Freundes H. habe er zusammen mit dem zweiten Freund M. regimekritische Aktivitäten betrieben, bestritt er dies zunächst in der mündlichen Verhandlung und gab an, er habe mit keinem seiner beiden Freunde bis kurz vor der Ausreise Kontakt gehabt. Er habe einen Monat vor seiner Ausreise erfahren, dass seine beiden Freunde festgenommen worden seien. Demgegenüber hatte er im Rahmen der Bundesamtsanhörung ausdrücklich angegeben, sein Freund M., sei am 14.2.1391 (3.2.2012) festgenommen worden. Erst auf Vorhalt des Gerichts erklärte der Kläger, er habe mit seinem M. von 2010 bis 2012 regimekritische Artikel verfasst. Er habe mit 19 Jahren angefangen regimekritische Artikel zu schreiben bis zum Jahr 2010. Auch danach habe er gelegentlich etwas gemacht, aber er könne sich nicht mehr daran erinnern.

Weiteren Anlass zu durchgreifenden Zweifeln geben die Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu den angeblich erfolgten Durchsuchungen. Der Kläger wiederholte zwar in der mündlichen Verhandlung, während seiner Abwesenheit von seiner Mutter erfahren zu haben, dass staatliche Sicherheitskräfte im Iran einmal seine Wohnung durchsucht hätten. Auf Vorhalt des Gerichts, er habe bei der Bundesamtsanhörung zwei Durchsuchungen angegeben, erklärte er, es könne sein, aber er könne sich heute nicht mehr daran erinnern. Auf Hinweis des Gerichts, dass der Kläger bei seiner Bundesamtsanhörung angegeben habe, bei der zweiten Durchsuchung sei sein behinderter Bruder mitgenommen worden, entgegnete der Kläger abweichend davon und gesteigert, sein Bruder sei gleich beim ersten Mal mitgenommen worden und auch später noch einmal an einem anderen Tag. Insoweit lässt es der Kläger erneut an einem stimmigen Vorbringen vermissen, welches als Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung dienen könnte.

Der Kläger stützt seine Verfolgungsfurcht zudem nur auf Vermutungen und Spekulationen, da weitere mit Tatsachen untermauerte Angaben des Klägers zu konkreten Verfolgungsmaßnahmen fehlen. Auf Frage des Gerichts nach weiteren Maßnahmen des iranischen Staates gegen ihn erklärte der Kläger, er habe zwar Kontakt mit seiner Mutter, aber seine Mutter habe nicht mit ihm über eventuelle weitere staatliche Maßnahme gesprochen. Sie habe gesagt, weil er Stress bekomme. Weiterhin erklärte der Kläger auf Frage des Gerichts zu möglichen schriftlichen Unterlagen bzw. Vorladungen seitens des iranischen Staates. Die gebe es wohl. Er müsse aber seine Mutter fragen. Er habe sie nicht. Der Kläger hat demnach nicht von sich aus von weiteren, insbesondere auch aktuellen Verfolgungsmaßnahme berichtet, geschweige denn von konkreten schriftlichen Dokumenten, die er auch dem Gericht hätte vorlegen können. Auch über das weitere Schicksal seiner Freunde wusste er nichts. Es erscheint lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht aus eigenem Antrieb weitere konkretere Erkundigungen eingezogen hat, die auf einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehenden Verfolgungsgefahr für ihn hindeuten. Gerade wenn jemand verfolgt wird - und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet -, wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In diese Richtung hat der Kläger nichts Substanzielles vorgetragen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. März 2014 an das VG Würzburg erfolgen von Geheimdienst veranlasste Verhaftungen und Durchsuchungen in der Regel aufgrund von Haftbefehlen und Durchsuchungsbeschlüssen unter anderem der Revolutionsgerichte oder aufgrund schriftlicher Anordnungen der Sicherheitskräfte. Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass gegen den Kläger überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens der staatlichen Behörden im Iran erfolgt sind und auch bei einer Rückkehr nicht drohen. Die ausweichende Antwort, seine Mutter habe Stress vermeiden wollen, er müsse sie gegebenenfalls nochmals fragen, überzeugt nicht.

Zusammenfassend ist das Gericht nach dem Gesamtbild, wie es sich dem Gericht aufgrund der Angaben des Kläger im behördlichen Verfahren und im Gerichtsverfahren unter Einbeziehung der vorgelegten bzw. sonst zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen darstellt, gerade auch nach dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger aufgrund des von ihm geschilderten Vorfluchtschicksals eine (politische) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder heute noch droht.

4. Das Gericht ist des Weiteren nicht davon überzeugt, dass für den Kläger eine ernsthafte Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Nachfluchtaktivitäten droht. Die als Nachfluchtgründe geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten bewegen sich insgesamt betrachtet noch auf einem niedrigen oppositionellen Niveau, so dass nach Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger in Deutschland derart nach Außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, welche auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates besteht.

Hinsichtlich der Verfolgung aufgrund von exilpolitischen Aktivitäten kann zunächst aufgrund der vorliegenden Erkenntnis- und Auskunftslage als gegeben unterstellt werden, dass die exilpolitischen Organisationen im Ausland sowie deren Aktivitäten durch die iranischen Sicherheitsdienste genauestens überwacht werden. Dies ist allgemein bekannt und unstreitig (SFH, Länderanalyse Iran vom 4.4.2006, S. 6 und vom 16.11.2010; amnesty international vom 18.6.2012 an das SächsOVG, S. 1 ff.). Entscheidend für die Frage, ob eine Verfolgungsgefahr vorliegt oder nicht, ist nach übereinstimmenden Auskünften, ob die Aktivitäten dem Geheimdienst bekannt geworden sind, etwa weil der Asylbewerber über die massentypischen und niedrig profilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste hinaus Funktionen wahrgenommen und/oder Aktivitäten entwickelt hat, welche ihn aus der Masse der mit dem Regime im Teheran Unzufriedenen heraushebt und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lässt. Die Indizien hierfür sind Tätigkeiten in herausgehobener Position, öffentliche Aktivitäten, namentliche Kennzeichnung von Publikationen, das in Erscheinung Treten als Organisator von Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen, Dauer, Kontinuität und Intensität der Aktivitäten (vgl. Deutsches Orient-Institut vom 3.2.2006 an das VG Wiesbaden, S. 4; SFH, Länderanalyse Iran vom 4.4.2006, S. 7). Das Deutsche Orient-Institut führt in einer Stellungnahme an das VG Wiesbaden hierzu aus, dass exilpolitische Betätigung nicht besonders verfolgungsrelevant ist, sofern sie nicht an exponierter Stelle und mit ständiger, auch medialer Öffentlichkeitspräsenz verbunden ist (Deutsches Orient-Institut vom 3.2.2006 an das VG Wiesbaden, S. 4; vom 4.1.2006 an VG Münster, S. 4). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe äußerte zwar Bedenken, dass sich mögliche Auswirkungen des Amtsantritts Ahmadinejads zeigen werden (SFH, Länderanalyse Iran vom 4.4.2006, S. 11 ff.). Das Deutsche Orient-Institut weist jedoch in seiner späteren Stellungnahme darauf hin, dass auch nach dem Amtsantritt Ahmadinejads noch von der bisherigen Lage auszugehen und das Verhältnis Irans zu nicht exponierten regimefeindlichen Betätigungen von Iranern in Europa unverändert ist (Deutsches Orient-Institut vom 5.7.2007 an VG Stuttgart, S. 7). Zudem sehen die iranischen Sicherheitsbehörden das Asylverfahren als zulässige Möglichkeit an, einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel in Europa zu erhalten (Deutsches Orient-Institut vom 5.7.2007 an VG Stuttgart, S. 10; vom 3.2.2006 an VG Wiesbaden, S. 4). Sie wissen insofern auch, dass ein solches Verfahren betrieben werden muss und dass als eine Möglichkeit des Betreibens des Verfahrens exilpolitische Aktivitäten aufgenommen werden müssen, um einen Nachfluchtgrund geltend machen zu können (Deutsches Orient-Institut vom 5.7.2006 an VG Stuttgart, S. 10; vom 4.1.2006 an VG Münster, S. 5; Auswärtiges Amt vom 4.4.2007 an HessVGH). Auch wissen die iranischen Behörden genau zu unterscheiden zwischen innerstaatlicher Opposition und exilpolitischer Opposition, so dass ihnen klar ist, dass zwischen exilpolitischen Aktivitäten und iranischer Wirklichkeit kein Zusammenhang besteht (Deutsches Orient-Institut vom 3.2.2006 an VG Wiesbaden, S. 7). Insofern ist es unrealistisch, die untergeordneten standardmäßigen exilpolitischen Aktivitäten mit derselben Härte zu bestrafen, wie sie zu bestrafen wären, wenn sie im Iran stattfinden würden (Deutsches Orient-Institut vom 5.7.2006 an VG Stuttgart, S. 11). Der iranische Geheimdienst als Teil des Staatsapparates ist nicht daran interessiert, den Iranern das „Aufenthaltsrecht in Europa“ kaputt zu machen, sondern interessiert sich nur für oppositionelle Aktivitäten, die die Interessen der islamischen Republik Iran in irgendeiner Weise berühren oder in den Iran hineinwirken können (Deutsches Orient-Institut vom 3.2.2006 an VG Wiesbaden, S. 7).

Die soeben skizzierten Aussagen werden durch die neueren vorliegenden Erkenntnisse bestätigt. So führt etwa das Auswärtige Amt aus, dass iranische Staatsangehörige nach langjährigem Aufenthalt in Westeuropa teilweise befragt werden können, soweit deren exilpolitischen Aktivitäten den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden (vgl. Auswärtiges Amt vom 9.8.2010 an VG Wiesbaden und vom 22.11.2010 an VG Hamburg). Iranische Stellen beobachten genau die im Ausland tätigen Oppositionsgruppen. Einer realen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran setzen sich daher solche führende Persönlichkeiten der Oppositionsgruppen aus, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam (z. B. als Redner, Verantwortlicher oder in leitender Funktion) in Erscheinung treten und zum Sturz des Regimes aufrufen. Im Ausland lebende prominente Vertreter vom Iran verbotener Oppositionsgruppen haben im Fall einer Rückkehr mit sofortiger Inhaftierung zu rechnen. Normale Teilnehmer an irankritischen Demonstrationen können bei späteren Besuchen im Iran seitens der Sicherheitsdienste befragt werden, wenn ihre Aktivitäten bekannt sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 24.2.2015, Stand: September 2014; vgl. auch Deutsches Orient-Institut vom 22.4.2011 an VG Regensburg; SFH, Länderanalyse vom 16.11.2010, S. 7 und 10; amnesty international vom 1.6.2012 an HessVGH und vom 18.6.2012 an SächsOVG; Erlanger Zentrum für Asyl und Recht vom 27.7.2012 an VG Hannover).

Das Auswärtige Amt bestätigt zwar weiter im aktuellen Lagebericht (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 24.2.2015, Stand September 2014) konkret das verstärkte Vorgehen des iranischen Staates gegen oppositionelle Internetaktivitäten. Danach werden Blogger, Hompage-Betreiber und sonstige Netzbürger zunehmend systematisch verfolgt und müssen mit hohen Gefängnisstrafen bis hin zur Todesstrafe rechnen. Praktisch alle oppositionellen Webseiten würden durch die Behörden gefiltert. Verboten seien alle Seiten, deren Inhalt sich gegen die soziale Moral, religiöse Werte und den sozialen Frieden richteten oder die als regierungsfeindlich einzustufen seien. Gleichwohl hält es bei seiner Einschätzung zu den exilpolitischen Tätigkeiten an der Aussage fest, dass sich einer realen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran (nur) solche führenden Persönlichkeiten und Oppositionsgruppen aussetzen, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam in Erscheinung treten und zum Sturz des Regimes aufrufen. Im Ausland lebende prominente Vertreter im Iran verbotener Oppositionsgruppen haben im Fall einer Rückführung mit sofortiger Inhaftierung zu rechnen. Seit Herbst 2009 gebe es verstärkt Hinweise auf gezielte Einschüchterungsmaßnahmen von Oppositionellen im Ausland seitens iranischer Sicherheitsbehörden. Des Weiteren sei zu beobachten, dass Teilnehmer an irankritischen Demonstrationen bei späteren Besuchen im Iran seitens der Sicherheitskräfte zu ihren Aktionen befragt würden. Eine herausgehobene Betätigung ist nach Aussage des Auswärtigen Amt dann anzunehmen, wenn die Aktivitäten über den Rahmen massentypischer exilpolitischer Proteste hinausgehen und im Iran bekannt werden (Auswärtiges Amt vom 24.2.2014 an das VG Würzburg). Nach Auskunft von amnesty international sind die möglichen Folgen politischer Aktivitäten von Asylsuchenden in Deutschland bei deren Rückkehr in den Iran nur schwer vorherzusagen. Falls die exilpolitische Tätigkeit bekannt werde, bestehe jedoch das Risiko, bei einer Rückkehr in den Iran Verfolgungen ausgesetzt zu sein (vgl. amnesty international vom 20.3.2014 an das VG Würzburg). Ähnlich äußerte sich das Deutsche Orientinstitut, dass bei einem Bekanntwerden von Nachfluchtaktivitäten repressive Maßnahme möglich seien, aber nicht zwangsläufig vorkommen müssten (vgl. Deutsches Orientinstitut vom 19.2.2013 an das VG Würzburg). Aus einer kritischen Haltung gegenüber der politischen Situation im Iran eine direkte Gefährdung eines Individuums abzuleiten, wäre eindimensional. Verschiedene Faktoren spielten eine Rolle. Eine eindeutige Aussage über eine mögliche Gefährdungslage sei nicht möglich (vgl. Deutsches Orientinstitut vom 22.8.2011 an das VG Regensburg).

Auch nach der Rechtsprechung ist - gerade angesichts der großen Anzahl regimekritisch aktiver Exiliraner - maßgeblich für eine Verfolgungsgefahr darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die den Betreffenden nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.5.2010 - 14 ZB 10.30114 - Asylmagazin 2011, 17). Demgegenüber ist eine Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten nur anzunehmen, wenn der iranische Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran hineinwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2012 - 14 ZB 12.30263 - juris; B.v. 17.10.2009 - 14 ZB 09.30257 - juris). Selbst für linksextreme Gruppen und deren Unterstützer ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer politischen Verfolgung nur auszugehen, wenn sie nicht lediglich als bloße Mitläufer bei Veranstaltungen dieser Oppositionsgruppe in Erscheinung getreten sind, sondern durch ihr Engagement und durch die von ihr entfalteten Aktivitäten aus der Masse oppositioneller Iraner herausgetreten sind, sie sich insoweit exponiert haben (OVG Bremen vom 8.11.2010 - 2 A 209/08.A - juris). Dafür reichen Aktivitäten als Demonstrationsteilnehmer nicht aus (SächsOVG, U.v. 9.7.2008 - A 2 B 296/07, Entscheidungen Asyl 9/2008, S. 3). Untergeordnete exilpolitische Aktivitäten führen nicht zu asyl- und abschiebungsrelevanten Repressalien im Iran (OVG Berlin-Bbg, U.v. 16.9.2009 - OVG 3 B 12.07 - juris). Regimekritische Veröffentlichungen im Internet und sonstigen Medien können ausnahmsweise eine Verfolgungsgefahr begründen, wenn damit zu rechnen ist, dass sie den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden und der Betreffende als überzeugter und besonders aktiver Regimegegner erscheint, der aus Sicht der iranischen Behörden wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für den islamischen Staat nachhaltig zu bekämpfen ist (HessVGH, U.v. 21.9.2011 - 6 A 1005/10.A - EzAR-NF 63 Nr. 4).

Auch nach der aktuellen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist maßgeblich für eine Verfolgungsgefahr darauf abzustellen, ob die im Asylverfahren geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten als untergeordnete Handlungen eingestuft werden, die dem Betroffenen nicht als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner in Erscheinung treten lassen, oder nicht. Die Gefahr politischer Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten ist anzunehmen, wenn ein iranischer Bürger bei seinen Aktivitäten besonders hervortritt und sein gesamtes Verhalten den iranischen Stellen als ernsthaften, auf die Verhältnisse im Iran hineinwirkenden Regimegegner erscheinen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2013 - 14 ZB 13.30084 - juris; B.v. 25.1.2013 - 14 ZB 12.30326 - juris; B.v. 15.1.2013 - 14 ZB 12.30220 - juris; B.v. 7.12.2012 - 14 ZB 12.30385 - juris; so wie etwa VG Würzburg, U.v. 19.12.2012 - W 6 K 12.30171 - Beck-Online, BeckRS 2013, 45668).

Ausgehend von der Rechtsprechung, die auf der aktuellen Erkenntnislage beruht, begründen die vom Kläger geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten unter Würdigung der Gesamtumstände seines Falles keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr. Der Kläger hat sich nach Überzeugung des Gerichts nicht in einer exponierten Weise exilpolitisch engagiert, die ihn aus dem Kreis der standardmäßigen exilpolitischen Aktiven heraushebt und dem iranischen Staat als ernsthaften Regimegegner erscheinen lässt, so dass wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse seitens des iranischen Staates bestehen würde.

Bei der Einschätzung der Verfolgungswahrscheinlichkeit ist zu dabei zu berücksichtigen, dass die klägerischen Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal weitgehend unglaubhaft sind. Glaubhaft sind nur seine Veröffentlichungen in der Zeitschrift „A.“ bis zum Jahr 2010, die aber keine Verfolgungsmaßnahmen seitens des iranischen Staates nach sich zogen. Die Aktivitäten des Klägers in Deutschland erreichen nicht die erforderliche Qualität, die eine wahrscheinliche Verfolgungsgefahr seitens des iranischen Staates nach sich ziehen würde. So ist schon zweifelhaft, dass der Kläger mit seinen exilpolitischen Aktivitäten, gerade im Internet, den iranischen Behörden und Sicherheitskräften bekannt ist. Selbst wenn die Internetveröffentlichungen dem iranischen Staat bekannt werden sollten, hat der Kläger doch nicht die Stellung als Verantwortlicher oder leitender Funktionsträger mit überörtlicher Bedeutung, die ihn an führender Stelle als Verantwortlichen qualifizieren lässt. Gerade im Vergleich zu einer Vielzahl - auch im Internet - exilpolitisch aktiver Iraner ist der Kläger nicht besonders hervorgetreten. Es ist nicht anzunehmen, dass der iranische Staat ein Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers hat. An die Aktivitäten im Internet ist in gleicher Weise der Maßstab der Herausgehobenheit und Exponiertheit anzulegen, wie er für sonstige exilpolitische Aktivitäten. Untergeordnete exilpolitische Aktivitäten, die nicht geeignet sind, auf die Verhältnisse im Iran ernsthaft einzuwirken und aus der Sicht des Irans eine Gefahr zu begründen, stehen auf einer anderen Qualitätsstufe. Insbesondere hebt sich der Kläger mit seinen Internetauftritten nicht aus der Masse der iranischen Asylbewerber hervor, die ebenfalls im Internet präsent sind. Denn schon die Masse der von iranischen Oppositionellen betriebene Internetportale und Blogs spricht dagegen, für alle gleichermaßen eine Verfolgungsgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Zahl derartiger Internetseiten wird auf 60.000 geschätzt (vgl. HessVGH, U.v. 21.9.2011 - 6 A 1005/10.A - EzAR-NF 63 Nr. 4 unter Bezugnahme auf die Auskunft des Deutschen Orientinstituts vom 21.10.2010 an den HessVGH). Anders als in den soeben zitierten Verfahren des hessischen Verwaltungsgerichtshof setzt sich der Kläger nicht dem ernsthaften Risiko einer politischen Verfolgung im Fall der Rückkehr in sein Heimatland aus, weil er nach eigenem Vorbringen nicht zugleich Kontakte zu oppositionellen iranischen Exilgruppen unterhält, so dass das Verhalten des Betreffenden bei den iranischen Sicherheitsbehörden nicht den Verdacht hervorrufen muss, dass seine Aktivitäten der Organisation oppositioneller Strömungen dienen. Das Deutsche Orientinstitut führt in seiner Auskunft vom 22. Oktober 2010 an den hessischen Verwaltungsgerichtshof aus, dass kritische Äußerungen in Internetartikeln für sich keine Verfolgungsgefahr begründen, sofern keine weiteren Kontakte und organisatorischen Verbindungen zu Oppositionsgruppen vorhanden sind und das Internet auch nicht zur Organisierung oppositioneller Strömungen dient. Vielmehr ist es nach dieser Auskunft unrealistisch, anzunehmen, dass jegliche private unorganisierte letztlich unprofessionelle und gleichwohl regimekritische Verbreitungsaktivitäten zu persönlichen Konsequenzen führen würden (Deutsches Orientinstitut vom 22.10.2010 an den HessVGH, S. 10). Der Kläger hat selbst eingeräumt, keinen Kontakt zu einer politischen Organisation zu haben. Er kenne nur ein bis zwei Leute, die sich für Menschenrechte einsetzten. Auch zu den in Deutschland lebenden Bruder sowie seiner in Deutschland lebenden Cousine, die als Flüchtlinge anerkannt sind, hat der Kläger in dem Zusammenhang keine Verbindung hergestellt. Mangels Sippenhaft im Iran (vgl. Auswärtiges Amt vom 23.7.2015an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) bedeutet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für Verwandte in Deutschland keine Gefahrerhöhung, zumal sich der Kläger zu den Umständen deren Flüchtlingsanerkennung nicht ausgelassen hat.

Auch wenn eine mögliche Verfolgung des Klägers bei einer potenziellen Rückkehr in den Iran nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, besteht nach dieser Auskunftslage und der darauf basierenden Rechtsprechung, insbesondere auch der Obergerichte nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran. Da nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen ist, dass die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt sind oder werden und zusätzlich ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates begründen. Der Kläger hat zudem in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass aufgrund seiner seit 2012 in Deutschland praktizierten Internetaktivitäten keine gegen ihn gerichteten Maßnahmen seitens des iranischen Staates bekannt seien. Weder sei seine Internetseite blockiert oder sonstigen Angriffen (z. B. Droh-E-Mails, vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 24.2.2015, Stand September 2014) ausgesetzt gewesen, noch wusste er aus seinem Kontakt mit seiner Heimat von weiteren, gegen ihn ergriffenen Maßnahmen der iranischen Sicherheitskräfte zu berichten. Hinzu kommt, dass mit der von ihm selbst geschätzten Zahl von etwa mehreren Hundert Zugriffen auf seine Seite seit 2012 bis heute sein Internetauftritt auch nicht übermäßig bekannt und verbreitet scheint. Das Fehlen von Maßnahmen, etwa auch Befragungen von Angehörigen im Iran zu exilpolitischen Aktivitäten, insbesondere Internetaktivitäten (vgl. dazu amnesty international an das VG Würzburg vom 20.3.2014; Deutsches Orientinstitut an das VG Würzburg vom 19.2.2013) ist ein weiteres Indiz dafür, für die fehlende Kenntnis des iranischen Staates von Internetaktivitäten sowie ein fehlendes Verfolgungsinteresse.

Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen ihres Auslandsaufenthalts oder ihrer Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Zwar kann es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen; die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Darüber hinaus kommt es jedoch zu keinen staatlichen Repressionen. Keiner westlichen Botschaft ist bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren. Zudem wurde auch kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Zurzeit gibt es keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werden die früheren illegalen Ausreisen legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt an das VG Würzburg vom 11.12.2013; Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran vom 24.2.2015, Stand: September 2014). Vorstehendes gilt auch in Bezug auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. März 2010 (R.C./Sweden, Nr. 41827/07). Denn die dort entschiedene Fallkonstellation ist nicht mit der hier vorliegenden vergleichbar, weil der Europäische Gerichtshof in jenem Fall seiner Beurteilung eine Vorverfolgung (Demonstrationsteilnahme mit anschließender Verhaftung und Folter) als substanziiert glaubhaft gemacht zugrunde gelegt hat (BayVGH, B.v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris; B. v. 21.1.2013 - 14 ZB 12.30456 - juris; OVG NRW, B.v. 16.6.2011 - 13 A 1188/11. A - Asylmagazin 2011, 246; OVG Lüneburg, B.v. 13.5.2011 - 13 LA 176/10 - AuAS 2011, 174).

5. Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung für die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist.

6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG abzuweisen.

Tenor

I.

Die Nummern 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2013 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1. Die am ... 1989 geborene Klägerin, iranische Staatsangehörige, reiste nach eigenen Angaben am 5. Oktober 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 16. November 2012 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Auf die Niederschrift über die Anhörung am 18. Juli 2013 wird Bezug genommen. Zur Begründung ihres Asylantrages gab die Klägerin im Wesentlichen an, sie sei im Jahr 2005 festgenommen und von Ordnungskräften vergewaltigt worden. Sie sei anschließend tabletten- und rauschgiftsüchtig geworden. Sie habe durch eine Freundin die Bahá’í-Religion kennengelernt. Im Jahr 2012 sei sie erneut festgenommen und für einen Monat inhaftiert worden. Nach ihrer Freilassung habe sie das Land verlassen.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2013 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab. Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von dreißig Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von dreißig Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe ihre begründete Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Vorbringen zu den Geschehnissen, die zu ihrer Ausreise geführt hätten, vermittle nicht den Eindruck, insofern von tatsächlich Erlebtem berichtet zu haben. Die angebliche Hinwendung der Klägerin zur Religion der Bahá’í könne nicht geglaubt werden. Sie habe noch keine weiteren Aktivitäten unternommen und nicht an einem Ruhi-Kurs teilgenommen. Der Bescheid wurde der Klägerin laut Postzustellungsurkunde am 21. Dezember 2013 zugestellt.

2. Am 23. Dezember 2013 ließ die Klägerin Klage erheben. Mit Schriftsatz vom 12. April 2014 ließ die Klägerin die heutige Schreibweise ihres Namens erläutern sowie die Kopie einer Vorladung vorlegen. Außerdem ließ sie weiter vorbringen, sie sei aufgrund ihrer Hinwendung zur Religion der Bahá’í vorverfolgt ausgereist. Die Klägerin sei Anhängerin der Lehre der Bahá’í und vom muslimischen Glauben abgefallen. Eine offizielle Aufnahme als Mitglied durch die Bahá’í-Gemeinschaft in Deutschland sei zwar noch nicht erfolgt. Gleichwohl müsse sie bei einer Rückkehr in den Iran mit Verfolgungshandlungen rechnen. In der Folgezeit ließ die Klägerin weitere Unterlagen vorlegen.

Mit Schriftsatz vom 7. April 2015 ließ die Klägerin weiter ausführen: Sie habe zwischenzeitlich das Aufnahmegespräch bei der Zentrale der Bahá’í in Deutschland gehabt. Allerdings sei noch keine Entscheidung über die offizielle Aufnahme und Bescheinigung der Mitgliedschaft erfolgt bzw. der Klägerin zugegangen. Selbstverständlich lebe die Klägerin aber weiterhin ihren Bahá’í-Glauben. Die Vorladung vom 6.4.1392 bzw. 20.6.2013 sowie eine Übersetzung dieser Vorladung in deutscher Sprache würden zur Vorlage gebracht. Derzeit sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen es der deutschen Botschaft nicht möglich gewesen sei, die Echtheit der Vorladung zu überprüfen. Weiterhin sei die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in Behandlung. Hierzu werde eine Kopie der fachärztlichen Bescheinigung vom 13. Mai 2014 zur Vorlage gebracht.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2015 ließ die Klägerin unter Vorlage verschiedener Unterlagen (Schreiben, Bestätigung, Mitgliedsausweis) mitteilen, dass sie nunmehr offizielles Mitglied der Religionsgemeinschaft der Bahá’í sei.

3. Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 7. Januar 2014,

die Klage abzuweisen.

4. Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20. März 2014 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.

Mit Beschluss vom 24. März 2014 bewilligte das Gericht der Klägerin Prozesskostenhilfe, soweit sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes bzw. die Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt, und ordnete ihr ihren Prozessbevollmächtigten bei. Im Übrigen wurde der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.

In der mündlichen Verhandlung am 30. April 2014 hörte das Gericht die Klägerin informatorisch an. Des Weiteren erließ das Gericht einen Beweisbeschluss zur Einholung einer sachverständigen Auskunft des Auswärtigen Amtes.

Das Auswärtige Amt nahm mit Schreiben vom 9. Februar 2015 zu den Beweisfragen des Gerichts Stellung.

Das Bundeskriminalamt teilte auf Nachfrage des Gerichts mit Schreiben vom 2. März 2015 mit, dass gegen die Klägerin kein internationaler Haftbefehl vorliege und auch in der Vergangenheit nicht vorgelegen habe.

In der mündlichen Verhandlung am 22. April 2015 hörte das Gericht die Klägerin erneut informatorisch an, insbesondere zur Konversion zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í sowie zu ihren psychischen Problemen. Mit Bezug auf eine mögliche psychische Erkrankung, insbesondere eine eventuelle posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), erließ das Gericht einen Beweisbeschluss.

Am 26. August 2015 ging das psychiatrische Gutachten der F. GmbH von Dr. B. vom 24. August 2015 bei Gericht ein, welches zu den im Beweisbeschluss aufgeworfenen Fragen Stellung nahm und eine Gefahr für die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen bei einer Rückkehr in den Iran im Ergebnis verneinte.

In der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2015 nahm die Klägerin die Klage auf Aufhebung der Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides und auf Anerkennung als Asylberechtigte zurück. Das Gericht trennte diesen Klageteil ab und führte unter dem Az. W 6 K 15.30699 fort. Das Gericht stellte das Verfahren W 6 K 15.30699 infolge der Klagerücknahme auf Kosten der Klägerin ein.

Der Klägerbevollmächtigte beantragte,

die Beklagte unter Aufhebung der Nrn. 1 und 3 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2013 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutz zuzuerkennen;

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht hörte die Klägerin informatorisch an. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze samt Anlagen, die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

1. Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat die Klägerin - unabhängig von ihrem Vorfluchtschicksal und von ihren gesundheitlichen Problemen - einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Dezember 2013 ist in seinen Nummern 1 und 3 bis 5 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG. Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid, wie beantragt, insoweit aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.

2. Aufgrund der aktuellen Lage, die sich aus den ins Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für Mitglieder der Bahá’í und insbesondere für Konvertiten die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen.

Das Gericht geht nach den ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen davon aus, dass Mitgliedern der Religion der Bahá’í im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, weil die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Tatsachen und eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. So enthalten schon die Lageberichte des Auswärtigen Amtes der letzten Jahre durchweg die Aussage, dass die Situation der Bahá’í problematisch ist, da diese im Iran diskriminiert werden und Repressionen unterliegen. Auch in den Erkenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Informationszentrum Asyl und Migration) der letzten Jahre werden immer wieder Übergriffe gerade gegen Mitglieder der Bahá’í dokumentiert. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist das Gericht überzeugt, dass Bahá’í mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung bei einer Rückkehr in den Iran droht. Dies gilt erst recht für Konvertiten, die vom Islam zu den Bahá’í konvertiert sind. Denn die Bahá’í gelten als eine vom Islam abgefallene Sekte. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung, die jedenfalls den konvertierten Mitgliedern der Gemeinschaft der Bahá’í die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gewährt (vgl. etwa VG Darmstadt, U.v. 8.7.2014 - 5 K 185/13. DA.A; VG München, U.v. 6.5.2014 - M 2 K 13.31341 - juris; VG Trier, U.v. 21.11.2013 - 2 K 334/13.TR; U.v. 16.5.2013 - 2 K 1011/12.TR; VG Wiesbaden, U.v. 19.11.2013 - 6 K 971/13.WI.A; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2011 - 2 K 4175/10.A - juris; VG Ansbach, U.v. 31.03.2011 - AN 18 K 11.30040; VG Meiningen, U.v. 11.06.2008 - 5 K 20406/04 Me; kritisch VG Darmstadt, U.v. 28.6.2014 - 5 K 1087/12.DA.A - Entscheiderbrief 2014, 4).

Der Einschätzung liegen im Einzelnen die eingeführten Erkenntnisse zur aktuellen Lage im Iran zugrunde. So hat etwa das Auswärtige Amt in seinen Berichten über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran (zuletzt vom 24.2.2015, Stand: September 2014, S. 18 f.; siehe auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 16.3.2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie vom 9.2.2015 an das VG Würzburg) ausdrücklich ausgeführt: Die Situation der Bahá’í ist nach wie vor problematisch. Ihre Mitglieder werden - unter anderem wegen ihrer Nähe zu Israel - diskriminiert. Bahá’í sind starker gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Bahá’í sind von dem Pensions- und Sozialversicherungssystem Irans ausgeschlossen. Kriminalitätsopfer erhalten keine staatliche Kompensation. Beim Zugang für Hochschulen kann die Religion der Bahá’í nicht angekreuzt werden. Bahá’í erhalten keine offizielle Heiratsurkunden. Sie sind explizit von den Regelungen über das Blutgeld ausgenommen. Es gibt immer wieder Berichte sowohl in den staatlichen als auch in oppositionellen Medien über Verhaftungen von Bahá’í oder von Zwangsschließungen von Geschäften sowie von Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen. Weitere Repressionen sind aktuell bis heute dokumentiert. Gerichtsverfahren gegen Führungsmitglieder der Bahá’í sind mit Haftstrafen zu Ende gegangen. Zurzeit sind über 100 Bahá’ís inhaftiert, darunter der gesamte 7-köpfige Vorstand. Augenfällig ist die Benachteiligung im Bildungsbereich. Außerdem werden Friedhöfe überbaut. Zudem drohen Konvertiten im Iran allgemein Verfolgung und Bestrafung bis hin zur Todesstrafe.

Den Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Informationszentrum Asyl und Migration: Lage der Religionsgemeinschaft in ausgewählten islamischen Ländern, August 2011, S. 42) ist zur Situation der Bahá’í Folgendes zu entnehmen: Die Bahá’í stellen mit 0,5% der iranischen Bevölkerung, also ungefähr 330.000 bis 350.000 Personen, die größte religiöse Minderheitsgruppe im Iran dar. Der Bahá’í-Glaube ist die jüngste Weltreligion. Die Situation der Bahá’í bleibt schwierig, da sie im Gegensatz zu Christen, Juden und Zoroastriern nicht zu den neben dem Islam verfassungsmäßig anerkannten Religionsgemeinschaften gehören. Die Bahá’í werden von der iranischen Regierung als vom Islam abgefallene Sekte angesehen. Ihre Mitglieder werden diskriminiert, sind von staatlicher Beschäftigung ausgeschlossen, haben Probleme, in weiterführenden Schulen aufgenommen zu werden, und dürfen ihre Religion nur in privaten Häusern mit nicht mehr als 15 Personen ausüben. Den Bahá’í wird der ungehinderte Zugang zu Universitäten nur gewährt, wenn sie ihre Religion verleugnen. Hatten die staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen die Bahá’í in den letzten Jahren etwas nachgelassen, sind sie gegenwärtig wieder im besonderen Maße der Willkür lokaler Behörden ausgesetzt. Die Bahá’í sind die einzige Minderheit, die direkt in den Strudel der Repressionen infolge der Präsidentenwahl 2009 gerieten. Bahá’í wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Unterstrichen werden diese Aussagen durch die Erkenntnisse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, die jeweils über staatliche Repressionen wie Hausdurchsuchungen und Festnahmen sowie Haftstrafen gegenüber den Bahá’í berichten (vgl. auch Bahá’í-Gemeinde in Deutschland, K.d.ö.R., Vertretung Berlin, Fact Sheet: Menschenrechtslage der Bahá’í im Iran, Stand: Januar 2015; UN, 27. Iran-Resolution vom 19.11.2014; ai, Report 2012, Iran, S. 4 f.; Süddeutsche.de vom 6.3.2013, Verfolgte Bahá’í-Minderheit im Iran; Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland, Zur Verfolgung der Bahá’í im Iran, Stand: Dezember 2013).

Schließlich ist dem Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung zu entnehmen, dass laut einem BBC-Bericht vom 16. Juli 2012 sechs Mitglieder der Bahá’í-Gemeinde in Teheran festgenommen worden sind. Ein Bahá’í war wegen „Mitgliedschaft in der Bahá’í-Gemeinde“ sowie „Teilnahme an einer Versammlung mit der Absicht, die nationale Sicherheit zu stören“ zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Nach der iranischen Revolution 1979 wurden den Bahá’í das Recht, zu studieren und im Staatsdienst zu arbeiten, abgesprochen. Ihnen wurde auch untersagt, sich zu versammeln. Zudem wurden immer wieder Gräber der Bahá’í geschändet. Zurzeit sind mehr als 100 Bahá’í aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit in Haft, darunter sieben Führer. Einem BBC-Bericht zufolge werden zurzeit die Akten von etwa 300 Bahá’í von der Justiz bearbeitet. Zuletzt wurden zahlreiche Verhaftungen, Einschüchterungen, Schmierereien an Hauswänden, Hasspropaganda in den Medien und Moscheen, Zwangsschließungen von Geschäften und die Exmatrikulation von Studenten der iranischen Stadt Semnan dokumentiert, die das Leben der Anhänger der Bahá’í-Religion erheblich erschweren. Zudem hat der iranische Revolutionsführer die Bahá’í geächtet. Die Repressionen treffen sowohl einfache Mitglieder als auch Repräsentanten (Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung 12/2012, S. 8 f., 06/2013, S. 22, 09/2013, S. 9, 10/2013, S. 7, 9/2014, S. 6 und 11/2014, S. 23 sowie 1/2015, S. 6 f.; vgl. auch Bahá’í-Gemeinde in Deutschland, K.d.ö.R., Vertretung Berlin, Fact Sheet: Menschenrechtslage der Bahá’í im Iran, Stand: Januar 2015; UN, 27. Iran-Resolution vom 19.11.2014; Süddeutsche.de vom 6.3.2013, Verfolgte Bahá’í-Minderheit im Iran; Der Nationale Geistige Rat der Bahá’í in Deutschland, Zur Verfolgung der Bahá’í im Iran, Stand: Dezember 2013).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Situation der Bahá’í, die als vom Islam abgefallene Sekte angesehen werden, im Iran von Diskriminierung und Benachteiligung in vielen Bereichen (Schulbildung, Studium, Religionsausübung, gewerbliche Betätigung) bestimmt ist. Die Religionsgemeinschaft der Bahá’í ist im Iran nicht anerkannt und in ihrer Glaubensausübung stark beeinträchtigt. Bahá’í werden im Alltagsleben zum Teil diskriminiert und verfolgt. Auch der Einzelne ist der Willkür von staatlichen Behörden ausgesetzt. Unter Zugrundelegung dieser Erkenntnisse hat die Klägerin wegen ihres Religionswechsels bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit flüchtlingsrelevanter Verfolgung zu rechnen.

3. Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung und des schriftlichen Vorbringens besteht nach Überzeugung des Gerichts für die Klägerin eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da sich die Klägerin aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar vom Islam abgewandt und den Glauben der Bahá’í angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen religiösen Prägung das unbedingte Bedürfnis hat, ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen auszuüben und dass sie ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde Prägung der Klägerin von ihrem neuen Glauben vorliegt und dass sie auch bei einer Rückkehr in den Iran ihren neuen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich die Klägerin bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen der Religionsgemeinschaft der Bahá’í zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben der Klägerin zu ihrer Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - juris; BayVGH, B.v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - NVwZ-RR 2015, 677; NdsOVG, B.v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - juris; VGH BW, B.v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris; OVG NRW, B.v. 11.11.2013 - 13 A 2252/13.A - AuAS 2013, 271).

Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass diese ernsthaft vom Islam zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í konvertiert ist. So legte die Klägerin ein persönliches Bekenntnis zu ihrem neuen Glauben ab. Die Klägerin schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft ihren Weg vom Islam zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í, Inhalte des neuen Glaubens und ihre Aktivitäten in der Religionsgemeinschaft der Bahá’í. Die Schilderungen der Klägerin sind plausibel und in sich schlüssig. Die Klägerin legte verschiedene Unterlagen vor, die ihre Konversion bestätigen.

Besonders erwähnenswert ist die vorgelegte ausdrückliche Bestätigung des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland über die Mitgliedschaft der Klägerin in der Bahá’í-Gemeinde und ihre Aktivitäten. Denn nach der Auskunft des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2011 wird bei einem Aufnahmegesuch jeder Fall einzeln sorgfältig geprüft. Dabei werde in einem persönlichen Gespräch zwischen zwei Beauftragten und dem Bewerber versucht, die Person kennenzulernen und ihre Motive einzuschätzen. So werde in Erfahrung gebracht, wie und wo die Person den Bahá’í-Glauben kennengelernt habe, wie die Lebensumstände und der Aufenthaltsstatus seien oder ob über einen längeren Zeitraum hinweg das Interesse am Glauben deutlich geworden sei, ob Kenntnisse über den Glauben vorhanden seien und eine regelmäßige Teilnahme an den Bahá’í-Aktivitäten vorliege. Ziel sei es weiterhin, sich ein Bild von der Aufrichtigkeit und Rechtschaffenheit des Verhaltens zu machen. So würden Einkünfte vor Ort eingeholt. Eine Aufnahme in die Gemeinde erfolge nur dann, wenn keinerlei Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung bestünden und der Nationale Geistige Rat sich von der Aufrichtigkeit der Motive habe überzeugen können. Es müsse deutlich erkennbar sein, dass der Beweggrund ausschließlich die Anerkennung des Bahá’u’lláhs sei. Andere Beweggründe würden nicht akzeptiert. Wo dies nicht eindeutig der Fall sei, seien Anträge auf Aufnahme in die Gemeinde abgelehnt oder zur erneuten Prüfung nach mehreren Monaten zurückgestellt worden (vgl. auch Auskunft des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland vom 05.09.2012 an das VG Regensburg).

Das Vorstehende hat der Sekretär des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland bei einer Zeugenaussage am 15. Februar 2013 im Verfahren W 6 K 12.30204, auf die Bezug genommen wird, ausdrücklich bestätigt. So erklärte der Zeuge zunächst in Bezug auf eine gegenläufige Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2012 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wonach die Aufnahme bei den Bahá’í nicht durch Beitritt, sondern durch Geburt erfolge, es gelte das Gegenteil. Vielmehr sollten die Bahá’í frei nach ihrer inneren Glaubensüberzeugung entscheiden. Deshalb gebe es bei ihnen auch den Grundsatz, dass Kinder und Jugendliche mit 15 Jahren ihren Glauben bestätigen müssten. Der Zeuge wies weiter darauf hin, dass es bei der Aufnahme von Bewerbern in die Religionsgemeinschaft der Bahá’í Besonderheiten gebe für Personen etwa aus Ländern wie dem Iran, in dem Verfolgung herrsche. Deshalb würden bei diesen Personen die Aufnahmevoraussetzungen besonders geprüft. Eine Voraussetzung für den Glauben der Bahá’í sei der Glaube an Bahá’u’lláh. Erforderlich sei der Glaube an Bahá’u’lláh als Religionsstifter und als Gottesbote, aber auch der Glauben an seine Schriften als Grundlage. Es gehe um eine innere Überzeugung. Deshalb sei es weltweit (nicht nur in Deutschland) so, dass die Aufrichtigkeit des Glaubens geprüft werde. Der Glaube habe weniger mit Wissen zu tun, sondern es gehe um die Aufrichtigkeit. Gerade auch um Missbrauch vorzubeugen, gehe es bei der Aufnahmeprüfung darum, die Aufrichtigkeit der Beweggründe festzustellen und ob sich die innere Glaubensüberzeugung manifestiert habe. Es gehe auch darum, andere Absichten auszuschließen. Ihr höchstes Gremium habe für die Aufnahmeprüfung religionsinterne Direktiven aufgestellt. Verschiedene zu berücksichtigende Faktoren seien benannt wie etwa: Aufrichtige Lebensführung, anhaltendes Interesse am Glauben, die Art und das Engagement in der Gemeinde und dergleichen. Es gehe darum, die Spreu vom Weizen zu trennen. Zwei Personen würden die Aufnahmeprüfung durchführen. Der Zeuge betonte wiederholt, dass es bei ihrer Aufnahmeprüfung weniger um konkretes Wissen gehe, sondern mehr um die Aufrichtigkeit. Es gehe darum, besser abzuschätzen, wie der Betreffende zum Glauben gekommen sei, woher er komme und wie er mit dem Glauben umgehe. Es erfolge eine Einzelfallprüfung. Zudem würden auch Informationen eingeholt. Feste Vorgaben, auch zeitlicher Art, gebe es allerdings nicht. Es gebe keine festen Kriterien, die erfüllt sein müssten. Genauso wenig sei es Voraussetzung, an konkreten Aktivitäten teilzunehmen. Entscheidend sei das Gesamtbild. Der Zeuge betonte ausdrücklich, dass die Auskunft des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í vom 16. November 2011 an das Bundesamt im Grundsatz weiterhin Gültigkeit habe. Allerdings befänden sie sich in einem Lernprozess. Sie wollten noch besser werden. Sie seien in ihrer Verfahrensweise bei der Aufnahmeprüfung nicht lockerer geworden, sondern hielten sich vielmehr an die Vorgaben ihres höchsten Gremiums, um Vorkehrungen gegen Missbrauch zu treffen. Um Missbrauch von Bewerbern mit asyltaktischen Motiven auszuschließen, würden sie prüfen, ob der Bewerber Bahá’í sei. Sie selbst hätten kein Interesse, einen Nicht-Bahá’í aufzunehmen. Bei Zweifeln würden die Bahá’í die Aufnahme zurückstellen und den Bewerber bitten, sich nach sechs Monaten nochmals zu melden. Sie würden auch regelmäßig Bewerber ablehnen, auch zum zweiten Mal, von denen sie nicht überzeugt seien, dass sie aufrichtige Bahá’í seien. Aufnahmen in die Religionsgemeinschaft der Bahá’í erfolgten im Gegensatz zu früher auch während des laufenden Asylverfahrens, da seit dem 2009 ein dauerhafter Wohnsitz nicht mehr Voraussetzung für die Aufnahme sei. Erfahrungen zeigten, auch im Nachhinein betrachtet, dass sie in der Regel bei der Aufnahme richtig entschieden hätten.

Zusammenfassend hat der Zeuge, der im Verfahren W 6 K 12.30204 in der dortigen mündlichen Verhandlung persönlich einen sehr seriösen und glaubwürdigen Eindruck hinterließ, so dass keinerlei Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage bestehen, klargemacht, dass der Nationale Geistige Rat der Bahá’í die Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit des Übertritts zu seiner Religionsgemeinschaft gewissenhaft und intensiv prüft. Gerade auch angesichts der eigenen internen Direktiven ist es ein eigenes Anliegen der Religionsgemeinschaft der Bahá’í, dem Missbrauch vorzubeugen und Bewerber mit asyltaktischen Motiven auszuschließen. Die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Konversion liegt im eigenen Interesse der Bahá’í. Dies wird bei der Aufnahmeprüfung der Bahá’í sorgfältig beachtet, da es weniger um die Abfrage von Wissen geht, als vielmehr um die Aufrichtigkeit der Konversion nach dem Gesamtbild im Einzelfall.

4. Ausgehend davon hat die Klägerin auf ein entsprechendes Aufnahmegespräch und eine Aufnahmeprüfung bei den Bahá’í hingewiesen und diese glaubhaft geschildert. Ihrer Schilderungen decken sich mit den soeben zitierten Auskünften. Die Klägerin erklärte das Aufnahmegespräch habe im Sommer 2014 stattgefunden. Das Aufnahmegespräch sei Bedingung gewesen, dass sie den Mitgliedsausweis erhalte. Bei dem Gespräch sei sie Vertretern der Bahá’í-Gemeinde allein gewesen. Sie hätten allgemein über die Bahá’í gesprochen. Die lange Dauer vom Aufnahmegespräch im Sommer 2014 bis zur Ausstellung des Mitgliedsausweises im Mai 2015 spricht für die Gewissenhaftigkeit der Prüfung seitens der Religionsgemeinschaft der Bahá’í und ist ein weiteres Indiz für die Ernsthaftigkeit der Konversion der Klägerin.

Die Klägerin hat des Weiteren ihre Beweggründe für die Konversion zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í auch gerade im Vergleich zum Islam dargelegt. Sie habe schon im Iran Kontakt mit den Bahá’í gehabt. Die Religion der Bahá’í habe ihr geholfen. Auch eine Großmutter von ihr sei schon Bahá’í gewesen. Bahá’í werde man, wenn man an Bahá’u’lláh und Bab glaube. Sie habe als gebürtige Muslimin mit den Bahá’í einen neuen Weg beschritten. Zum damaligen Zeitpunkt sei sie sich noch nicht zu 100% sicher gewesen. Die neue Religion sei ein neuer Anfang. Sie habe mittlerweile auch den Ruhi-Kurs 1 beendet, den Ruhi-Kurs 2 beginne sie nächste Woche. Bahá’í sei eine neue Kultur. Die Religion der Bahá’í sei die beste für die jetzige Zeit. Sie nehme auch regelmäßig an Sitzungen teil. Sie stehe in Kontakt mit anderen Bahá’í-Familien.

Besonders zu erwähnen ist der Umstand, dass die Klägerin ihren Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern sich auch in der Öffentlichkeit zu ihrem Glauben bekennt. Sie gab an, dass es auch schon Konflikte gegeben habe aufgrund ihres Bahá’ítums. Überwiegend syrische Asylbewerber fragten sie, ob sie Schweinefleisch in die Hand nehmen dürfe. Sie gab aber ehrlich an, dass sie bei den Syrern nicht für Bahá’í werbe. Die Klägerin gab weiter an, dass sie Kontakt mit der Heimat habe und dass ihre Verwandten wüssten, dass sie Bahá’í seien. Die Eltern seien zwar Moslems, aber sie seien letztlich damit einverstanden, weil sie glücklich sei. So macht die Klägerin bei ihrer Glaubensbetätigung nicht vor ihrer Heimat Halt, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion bei einer entsprechenden Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.

Die Klägerin verdeutlichte des Weiteren plausibel ihre Beweggründe für die Abkehr vom Islam und ihre Hinwendung zu den Bahá’í gerade aus den Unterschieden zwischen den beiden Religionen. In dem Zusammenhang legte sie - in ihren Worten und im Rahmen ihrer Persönlichkeit und intellektuellen Disposition (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - juris) - auch zentrale Elemente des Glaubens der Bahá’í als für sie wichtig dar. In ihren Aussagen machte die Klägerin wesentliche Elemente des Glaubens der Bahá’í und den fundamentalen Unterschied zwischen dem Islam und ihrem neuen Glauben deutlich und zeigte, dass sie dies verinnerlicht hat. Sie erklärte, die Gesetze von Mohamed gälten nicht für die heutige Zeit. Sie hätten keine Gültigkeit mehr. Man müsse mit der Zeit gehen. Das Bahá’í sei wie eine neue Kultur. Eigentlich gebe es keine großen Unterschiede zwischen den Weltreligionen, aber bei den Bahá’í gebe es den Bahá’u’lláh als Propheten. Er sei gekommen und habe ein neues Gesetz erlassen. Der Islam sei das alte. Bahá’u’lláh habe auch gesagt, zum Christentum und zum Islam gebe es keine Unterschiede. Im Islam seien aber die Männer auf einer höheren Stufe als Frauen. Bei den Bahá’í`s seien alle gleich. Nach dem Tod werde bei den Bahá’í anders als im Islam keiner verurteilt. Es gebe nach dem Tod bei den Bahá’í kein Paradies und keine Hölle. Als Bahá’í müsse man im Herzen glauben. Es gebe zwölf wichtige Glaubensgrundsätze, etwa dass es zwischen den Weltreligionen keinen Unterschied gebe, dass es zwischen Männer und Frauen keinen Unterschied gebe und dass es einen Ort gebe, an dem alle Menschen miteinander redeten und über Probleme sprächen und dass alle eine einheitliche Sprache sprächen.

Die Klägerin offenbarte weiter konkrete Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die ihre Glaubensentscheidung und ihren Gewissensschritt zusätzlich belegen. Sie verwies auf die Bücher von Bahá’u’lláh, etwa das Buch Aqdas. Das Buch Aqdas sei sprachlich recht schwer zu verstehen, deshalb habe sie im Internet über dieses Buch gelesen. Sie beschäftige sich eher über das Internet mit den Werken von Bahá’u’lláh. Weiter kannte die Klägerin den Kalender der Bahá’í, der aus 19 Monaten zu je 19 Tagen sowie aus vier bzw. fünf weiteren Tagen bestehe. Sie verwies auf die Veranstaltungen alle 19 Tage. Weiter zählte die Klägerin die Gebote und Verbote auf, wie etwa, keinen Alkohol zu trinken, keinen Ehebruch zu begehen oder im letzten Monat des Jahres zu fasten. Bei den Bahá’í gebe es verschiedene Gebete, ein großes, ein mittelgroßes und ein kleines Gebet. Alle Gebete sollen alleine für sich gebetet werden. Das einzige Gebet, das gemeinsam gebetet werde, sei das Totengebet. Des Weiteren kannte die Klägerin verschiedene Feiertage der Bahá’í und listete sie beispielshalber unter Hinweis auf ihre Bedeutung auf. Außerdem müsste jeder wahre Bahá’í 95 Mal am Tag Allah-u-Abha sagen. Diesen Spruch sage man auch zur Begrüßung.

Vor dem Hintergrund ihres eindeutigen und überzeugenden Bekenntnisses zum Glauben der Bahá’í leuchtet die Aussage der Klägerin ein, dass sie sich nicht vorstellen könne, zum Islam zurückzukehren. Sie erklärte, sie denke nicht einmal daran. Sie denke vielmehr, dass nach Bahá’u’lláh wieder ein neuer Prophet kommen werde. Auch auf Vorhalt einer Koran-Sure seitens des Gerichts, wonach der schwer bestraft werde, der sich von Allah abkehre, erklärte die Klägerin, was im Koran stehe, spiele für sie keine Rolle mehr. Sie sei eine Bahá’í. Des Weiteren ist die Angabe der Klägerin plausibel und glaubhaft, sie könne bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihren Glauben nicht verheimlichen. Sie sei eine Bahá’í und wolle sich nicht verstecken, sondern auch die Bahá’í-Religion entsprechend ihrer Überzeugung im Iran praktizieren. Zudem wüssten die Behörden im Iran aus ihren Akten, dass sie Bahá’í sei.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten der Klägerin vor und nach ihrer Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zur Religionsgemeinschaft der Bahá’í sowie die von ihr vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die neue Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass die Klägerin bei einer angenommenen Rückkehr in ihre Heimat ihrer neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Die Klägerin hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar ihre Motive für die Abkehr vom Islam und ihrer Hinwendung zum Glauben der Bahá’í dargestellt. Sie hat ihre Konversion anhand der von ihr gezeigten Glaubenskenntnisse über die Religion der Bahá’í und durch ihre Glaubensbetätigung gerade auch mit Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgetragen. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass die Klägerin sich auch gegenüber Andersgläubigen, insbesondere Moslems, zu ihrem neuen Glauben bekennt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran ihre Konversion verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden Prägung der Klägerin durch ihren neuen Glauben auszugehen ist. Abgesehen davon kann einer Klägerin nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn sie aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität der Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - juris; U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris, Praxisreport-BVerwG 11/2013 Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einer Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von ihrer religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U.v. 05.09.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331, 5 - NVwZ 2012, 1612).

Die Klägerin hat insgesamt durch ihr Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass sie nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem Glauben der Bahá’í nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen, wobei gerade die ausdrückliche Bestätigung des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland ein starkes Indiz für eine ehrliche und ernsthafte Konversion ist. Die Gewissenhaftigkeit und Sorgfältigkeit der Aufnahmeprüfung der Bahá’í hat der Sekretär des Nationalen Geistigen Rates dem Gericht gegenüber im Verfahren W 6 K 12.30204 nachdrücklich und überzeugend bestätigt.

5. Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend eine Iranerin ihre religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zu einer anderen Religion übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 28 AsylVfG, Rn. 17). Hinzu kommt, dass sich die Situation für Angehörige der Bahá’í im Iran im Laufe der letzten Jahre eher verschärft hat, so dass eine gestiegene Verfolgungsgefahr auch auf Gründen beruht, die unabhängig vom Verhalten der Klägerin sind.

Nach alledem ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG zuzuerkennen und der angefochtene Bundesamtsbescheid insoweit in seinen Nummern 1 und 3 bis 5 aufzuheben. Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).

6. Neben der Aufhebung der entsprechenden Antragsablehnung im Bundesamtsbescheid sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung sowie die Ausreisefristbestimmung rechtswidrig und daher aufzuheben. Denn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlässt nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung insbesondere nur, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Umgekehrt darf im Fall der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Abschiebungsandrohung nicht ergehen. Letzteres ist im gerichtlichen Verfahren - wenn auch noch nicht rechtskräftig - festgestellt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

Zur Klarstellung wird im Hinblick auf die erhobene und nach Klagerücknahme und Abtrennung im gesonderten Verfahren W 6 K 15.30699 eingestellte Asylklage betreffend die Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte darauf hingewiesen, dass das Gericht in der Sache eine entsprechende Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO für angemessen hält, da der zurückgenommene Teil der Klage durch die weitgehende Angleichung des Flüchtlingsstatus an die Rechtsstellung der Asylberechtigten kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt (Hess. VGH, U.v. 21.9.2011 - 6 A 1005/10.A - EzAR-NF 63 Nr. 4; VG Würzburg, B.v. 12.9.2011 - W 6 M 11.30245 - juris).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.

(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte

1.
die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
2.
über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. September 2012 - A 11 K 4543/11 - geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Gewährung von Abschiebungsschutz.
Der Kläger, ein nach seinen Angaben am … 1994 in Teheran geborener iranischer Staatsangehöriger, reiste am 24.2.2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 9.3.2011 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung machte er geltend, er habe bis zum Beginn seiner Flucht das ...-Gymnasium in Teheran besucht. Seine Familie und er seien in der „Grünen Welle“ aktiv gewesen und hätten Werbung für Moussawi gemacht. Ab dem 10.3.1388 (31.5.2009) hätten sie immer wieder an Demonstrationen teilgenommen. Bei der Teilnahme an einer Demonstration seien seine Eltern vor seinen Augen von Sicherheitskräften, die mit Motorrädern erschienen seien, brutal zusammengeschlagen worden. Auch am 25.11.1388 (14.2.2010), dem Ashura-Tag, hätten sie an einer Demonstration teilgenommen.
Bassidji und die Sicherheitskräfte hätten mit Tränengas auf die Demonstranten geschossen und seien mit Autos und Motorrädern zwischen die Demonstranten gefahren. Die Demonstranten seien daraufhin geflohen. Er selbst und ein oder zwei seiner Freunde seien von Motorradfahrern aufgegriffen und geschlagen worden. Danach seien sie von anderen Sicherheitskräften festgenommen und ebenfalls geschlagen worden, worauf man sie aber wieder freigelassen habe. Der Rektor seiner Schule habe herausgefunden, dass er an den Demonstrationen teilgenommen habe. Er habe ihm gedroht, ihn von der Schule zu werfen, und ihm gesagt, er werde ihm nicht erlauben, an der Prüfung teilzunehmen. Er sei deshalb zwei oder drei Wochen nicht zur Schule gegangen. Er habe dann aber doch an der Prüfung teilgenommen, er sei jedoch bei allen Prüfungen durchgefallen. Neun oder zehn Tage nach dem Ashura-Tag sei er von der Polizei angehalten worden, als er eines Morgens mit dem Motorrad auf der Straße unterwegs gewesen sei. Da er keinen Führerschein habe vorweisen können, sei er auf das Polizeirevier mitgenommen worden. Nachdem er seinen Namen genannt habe, sei er mit Schlagstöcken geschlagen und mit Füßen getreten worden. Nach seiner Freilassung habe er den Vorfall zu Hause seinen Eltern erzählt. Seine Eltern seien zusammen mit ihm zu dem Hauptkommissar gegangen und hätten ihn gefragt, warum ihr Sohn derart geschlagen worden sei. Er sei daraufhin wiederum festgenommen und drei Tage auf dem Polizeirevier festgehalten worden. Nachdem er irgendetwas unterschrieben habe, sei er freigelassen worden. Am 27. oder 28.5.1389 (18. oder 19.8.2010) sei er abends gegen 23.00 Uhr mit ein paar Freunden im Park gewesen, als Sicherheitskräfte und Bassidjis gekommen seien, die Tränengas und Messer mit sich geführt hätten. Sie hätten sich auf den Boden legen und ihre Kleidung ausziehen müssen. Danach sei von ihnen verlangt worden, ins kalte Wasser zu springen. Als er auf dem Boden gelegen habe, sei er geschlagen worden. Einen Monat lang habe er erfolglos versucht, an irgendeiner anderen Schule seine Schulausbildung zu beenden. Auch seine Eltern hätten Probleme mit Sicherheitskräften gehabt. Sein Vater sei einen Monat lang verhaftet gewesen. Da ein Cousin ähnliche Probleme gehabt habe, hätten sie sich entschieden, den Iran zu verlassen und nach Europa zu fliehen. Die Ausreise sei von seinem Vater finanziert worden. Am 2.7.1388 sei er von Teheran nach Urumiya gefahren und von dort weiter mit einem Transporter nach Van. Nach dem Passieren der Grenze, die sie zu Fuß überschritten hätten, hätten sie gefälschte Pässe erhalten und seien nach Istanbul und von dort aus weiter zur griechischen Grenze gefahren. Nach einem fünfmonatigen Aufenthalt in Athen seien sie mit dem LKW auf einer Fähre nach Italien gekommen und mit dem Zug über Rom und Paris nach Straßburg gereist. Im Zug in der Nähe von Mannheim seien sie von der deutschen Polizei aufgegriffen worden.
Mit Bescheid vom 5.12.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab (Ziff. 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft des § 60 Abs. 1 AufenthG (Ziff. 2) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Ziff. 3) nicht vorliegen und drohte dem Kläger unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen die Abschiebung in den Iran an (Ziff. 4). Zur Begründung führte es aus, das Vorbringen des Klägers sei unglaubhaft. Er habe geltend gemacht, für Moussawi tätig gewesen zu sein, habe aber den richtigen Namen von dessen Bewegung nicht gekannt, sondern sie fälschlich „Grüne Welle“ genannt. Auch die schulischen Probleme seien nicht glaubhaft gemacht. Denn wenn der Rektor der Schule den Kläger zu den Prüfungen nicht hätte zulassen wollen, so hätte er das getan und dem Kläger wäre es nicht möglich gewesen, überhaupt an der Prüfung teilzunehmen. Die behauptete Festnahme wegen des Fahrens mit einem Motorrad ohne den dafür nötigen Führerschein sei keine politische Verfolgung. Gegen eine politische Betätigung der Eltern spreche, dass sie nach dem Vorbringen des Klägers auf das Polizeirevier gegangen seien, um sich über die Behandlung ihres Sohnes zu beschweren. Denn wenn die Eltern des Klägers bei den Sicherheitskräften kein unbeschriebenes Blatt gewesen wären, wäre es für sie sicherer gewesen, sich ruhig zu verhalten. Warum der Kläger danach wieder verhaftet worden sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Eine Kontrolle von Jugendlichen nachts in einem Park durch Sicherheitskräfte sei nichts Ungewöhnliches. Auffällig sei auch, dass der Kläger keine Einzelheiten zu der angeblichen Verhaftung seines Vaters habe schildern können.
Der Kläger hat am 22.12.2011 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 5.12.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Mit Urteil vom 7.9.2012 hat das Verwaltungsgericht die Ziff. 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 5.12.2011 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter sei gemäß Art. 16a Abs. 2 GG in Verbindung mit § 26a AsylVfG ausgeschlossen, da der Kläger auf dem Landweg und damit über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist sei. Die Klage sei auch insoweit unbegründet, als der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehre. Soweit er sich auf die glaubhaft geschilderte Misshandlung am Ashura-Tag am 25.11.1388 berufe, fehle es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen diesem Geschehen und der Ausreise im September/Oktober 2010. Zwar habe der Kläger auch glaubhaft geschildert, dass er im Sommer 2010 auf dem Polizeirevier schwer misshandelt worden sei. Diese Misshandlung stelle eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. a RL 2004/83/EG dar. Im Hinblick auf diese Misshandlung sei jedoch ein Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 10 RL 2004/83/EG weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Entsprechendes gelte für die im Sommer 2010 erlittenen schwerwiegenden Misshandlungen in einem Park von Teheran. Eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 RL 2004/83/EG genannten Verfolgungsgründen und der im Sommer 2010 erlittenen schwerwiegenden Verletzung der grundlegenden Menschenrechte des Klägers bestehe nicht.
Beim Kläger liege aber ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Nach dieser Vorschrift dürfe ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Das sei hier der Fall, da dem Kläger bei einer Rückkehr/Abschiebung in den Iran eine unmenschliche Behandlung drohe. Iraner, die ihr Heimatland illegal verlassen hätten, müssten bei einer Rückkehr aufgrund der strikten Kontrollen damit rechnen, am Flughafen verhört und für einige Tage festgehalten zu werden, auch wenn sie nicht auf einer Polizeiliste aufgeführt seien. Ankommende Iraner ohne Reisepass oder gültige Reisepapiere oder in den Iran rückgeschaffte Iraner ohne gültiges Ausreisevisum würden bei der Ankunft festgenommen und zu einem speziellen Gericht in Teheran gebracht. Dort würden die Daten der betreffenden Personen, die Gründe für ihre illegale Ausreise und ihre Verbindungen mit bekannten Organisationen und Gruppierungen kontrolliert. Die Ermittlungen im Verfahren wegen illegaler Ausreise führten häufig zur Feststellung weiterer sekundärer Straftatbestände und zu weiteren Anklagepunkten. Die Verhörmethoden im Iran umfassten seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung. Dementsprechend habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 9.3.2010 entschieden, dass für iranische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in den Iran ein besonderes Risiko bestehe, wenn sie nicht nachweisen könnten, dass sie den Iran legal verlassen hätten. Der Kläger könne eine legale Ausreise aus dem Iran im Falle einer Rückkehr nicht nachweisen, da er seinen Heimatstaat illegal verlassen habe. Da eine Rückkehr des Klägers in den Iran nur im Wege der Abschiebung erfolgen werde, werde sich den iranischen Behörden aufdrängen, dass die Rückkehr des Klägers in den Iran auf besondere Umstände zurückzuführen sei. Nach den bereits genannten Verhörmethoden im Iran spreche alles dafür, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung in den Iran die von ihm bereits in seinem Heimatland erlittenen Misshandlungen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte nicht verheimlichen könne. Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Iran kein Rechtsstaat sei, die Behörden willkürlich handelten, Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft und in regulärer Haft vorkomme, sowie willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteile festzustellen seien.
10 
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 17.7.2013 zugelassene Berufung der Beklagten. Zu deren Begründung macht die Beklagte geltend:
11 
Über die Gewährung von Asyl und die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sei rechtskräftig entschieden. Im Streit stehe noch, ob dem Kläger ein Anspruch auf das unionsrechtlich subsidiäre oder hilfsweise das nationale ausländerrechtliche Abschiebungsverbot zukomme. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des unionsrechtlichen Abschiebungsverbotes seien unverändert nicht erkennbar. Der Kläger sei unverfolgt und nicht unter dem Druck einer drohenden Gefährdung ausgereist. Zu demselben Ergebnis sei auch das Verwaltungsgericht gekommen. Hinweise auf zwischenzeitlich hinzugekommene Risikogründe fehlten. Das Auswärtige Amt führe in seinem Lagebericht vom 8.10.2012 unverändert aus, dass allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt habe, keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr nach Iran auslöse. Es könne in Einzelfällen zwar zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Die Befragung gehe in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft sei jedoch bisher ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen wären. Auch sei kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden seien. Eigenständig zu bewertende Umstände für das Vorliegen eines nachrangigen nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien nicht ersichtlich. Gegen die erlassene Abschiebungsandrohung sprechende Gründe seien ebenfalls nicht erkennbar.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. September 2012 - A 11 K 4543/11 - zu ändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
14 
Der Kläger beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Er erwidert: Das Verwaltungsgericht habe seinen Vortrag, im Iran Opfer von Verfolgung und Misshandlung geworden zu sein, für glaubhaft gehalten. Die von ihm bekundeten Vorverfolgungserlebnisse seien somit Tatsachengrundlage. Gemäß § 60 Abs.2 AufenthG dürfe ein Ausländer nicht in den Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die „konkrete Gefahr“ besteht, Folter oder unmenschlicher Behandlung bzw. Bestrafung unterworfen zu werden. In die Erwägungen über die zu treffende Prognose sei einzustellen, ob bereits Verfolgung und Misshandlung stattgefunden habe und wie schwer diese Übergriffe gewesen seien. Da er erhebliche Misshandlungen erlitten habe, sei auch die Prognose gerechtfertigt, dass diese Gefahren für ihn im Fall seiner Rückkehr in den Iran wiederum bestünden. Durch den Regierungswechsel habe sich im Iran die Situation für Rückkehrer nicht grundlegend geändert.
17 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Verwaltungsgerichts und des Bundesamts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
18 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage somit insgesamt abweisen müssen.
I.
19 
Soweit das Verwaltungsgericht die Anträge des Klägers, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, abgelehnt hat, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig. Das Berufungsverfahren beschränkt sich dementsprechend auf die Prüfung des Begehrens des Klägers auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, sowie die Aufhebung der gegen den Kläger in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügten Abschiebungsandrohung.
20 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 (BGBl I S. 3474) sowie das Aufenthaltsgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2014 (BGBl. I S. 2439). Denn nach § 77 Abs. 1 AsylVfG ist in Streitigkeiten nach diesem Gesetz regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen.
II.
21 
Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
22 
1. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 hat ein Ausländer Anspruch auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem (Abschiebungs-)Schutz, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass ihm im Falle seiner Abschiebung in sein Heimatland ein „ernsthafter Schaden“ droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG (u.a.) Folter oder eine unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
23 
a) Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ist diese Frage zu bejahen, da Iraner, die ihr Heimatland illegal verlassen hätten, bei einer Rückkehr aufgrund der strikten Kontrollen damit rechnen müssten, am Flughafen verhört und für einige Tage festgehalten zu werden. Da eine Rückkehr des Klägers in den Iran nur im Wege der Abschiebung erfolgen werde, werde sich den iranischen Behörden aufdrängen, dass die Rückkehr auf besondere Umstände zurückzuführen sei. Die Verhörmethoden im Iran umfassten seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung. Es spreche deshalb alles dafür, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung in den Iran die von ihm bereits in seinem Heimatland erlittenen Misshandlungen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte nicht verheimlichen könne. Ihm drohe dann erneut eine unmenschliche Behandlung. Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Iran kein Rechtsstaat sei, die Behörden willkürlich handelten, Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft und in regulärer Haft vorkomme, und willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteile festzustellen seien.
24 
b) Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts steht im Widerspruch zu der obergerichtlichen Rechtsprechung, in der einheitlich angenommen wird, dass weder die Stellung eines Asylantrags noch der mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland die Annahme rechtfertigen, iranische Staatsbürger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen Repressionen ausgesetzt sein (SächsOVG, Urt. v. 14.1.2014 - A 2 A 911/11 - Juris; BayVGH, Beschl. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - Juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 13.5.2011 - 13 LA 176/10 - Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.6.2011 - 13 A 1188/11.A - Juris). Dem schließt sich der Senat an.
25 
Grundlage dafür ist die seit Jahren unveränderte Einschätzung in den Lageberichten des Auswärtigen Amts, wonach die Stellung eines Asylantrags im Ausland für sich allein keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den Iran auslöse. Zwar könne es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt und insbesondere den Kontakten während dieser Zeit kommen; die Befragung könne in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einhergehen. Es sei aber bisher keiner westlichen Botschaft ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Auch sei kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden seien. Ferner gebe es derzeit keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich könnten Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werde die frühere illegale Ausreise legalisiert (Lagebericht vom 24.2.2015, S. 33; ebenso die älteren Lageberichte vom 11.2.2014, 4.11.2011, 27.2.2011, 28.7.2010, 23.2.2009 und 18.3.2008).
26 
Aus den Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.11.2010 und 18.8.2011 ergibt sich nichts anderes. In der Auskunft vom 18.8.2011 wird zwar von zwei nach ihrer Abschiebung misshandelten Rückkehrern in den Iran berichtet. Diese hatten aber im Ausland nicht nur einen Asylantrag gestellt, sondern sich dort auch regimekritisch politisch betätigt. Für das vom Verwaltungsgericht angeführte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9.3.2010 gilt das Gleiche. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in diesem Urteil eine Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführer nicht allein wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen des Zusammentreffens verschiedener Umstände, insbesondere auch einer individuellen Vorverfolgung des Beschwerdeführers angenommen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.4.2013 - A 3 S 2022/12 -; Beschl. v. 3.4.2013 - A 3 S 2021/12 -; Beschl. v. 13.3.2013 - A 3 S 103/12 -; Beschl. v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -; Beschl. v. 17.9.2013 - A 3 S 2306/12 -).
27 
Umstände, die die iranische Sicherheitsbehörden dazu veranlassen könnten, den Kläger der politischen Oppositionsbewegung zuzurechnen und ihn deshalb bei einer Rückkehr in den Iran abweichend von dem sonst üblichen Verfahren einer verschärften Befragung über die näheren Umstände seiner Ausreise und seines anschließenden Aufenthalts in Deutschland zu unterziehen, sind nicht zu erkennen. Zwar hat der Kläger bei seiner Befragung durch das Verwaltungsgericht behauptet, er sei vor seiner Ausreise aus dem Iran zusammen mit einem Freund nach einer Demonstration von zwei Motorradfahrern angehalten, mit Handschellen gefesselt und anschließend geschlagen und getreten worden. Der Kläger hat jedoch zugleich angegeben, er und sein Freund hätten sich mit den Angreifern nicht auf persisch verständigen können. Dafür, dass der Kläger den iranischen Sicherheitsbehörden durch diesen Vorfall als möglicher Regimegegner bekannt geworden ist, kann deshalb nicht ausgegangen werden.
28 
Für die beiden anderen vom Kläger bei seiner Befragung durch das Verwaltungsgericht geschilderten Vorfalle gilt das Gleiche. Dafür, dass die Festnahme des Klägers und seine anschließende Misshandlung durch die Polizei einen politischen Hintergrund hatte, kann den Angaben des Klägers nichts entnommen werden. Als Grund für seine Verhaftung hat der Kläger angegeben, dass er mit seinem Motorrad unterwegs gewesen sei und bei einer Polizeikontrolle keinen Führerschein habe vorweisen können. Vorhaltungen wegen seiner politischen Einstellung wurden ihm nach seinen eigenen Angaben zu keiner Zeit gemacht. Dies ist nach den Angaben des Klägers auch bei dem weiterem Vorfall im Sommer 2010, als er in einem Park zusammen mit Freunden von Bassidji angegriffen und misshandelt worden sei, nicht geschehen. Auch insoweit besteht daher kein Grund zu der Annahme, dass der Kläger von den iranischen Sicherheitsbehörden als möglicher Regimegegner registriert worden sein könnte.
29 
Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Kläger hat dabei zwar angegeben, sein Vater habe ihm am Telefon davon berichtet, von der iranischen Polizei nach dem Aufenthalt seines Sohnes gefragt worden zu sein. Die Frage, welchen Grund die iranische Polizei haben könnte, sich für den Aufenthaltsort des Klägers zu interessieren, blieb dabei jedoch unbeantwortet.
30 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Für die Frage, ob für den Kläger in seinem Heimatland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht, gilt das eben Ausgeführte entsprechend. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
32 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Gründe

 
18 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage somit insgesamt abweisen müssen.
I.
19 
Soweit das Verwaltungsgericht die Anträge des Klägers, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, abgelehnt hat, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig. Das Berufungsverfahren beschränkt sich dementsprechend auf die Prüfung des Begehrens des Klägers auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, sowie die Aufhebung der gegen den Kläger in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügten Abschiebungsandrohung.
20 
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 (BGBl I S. 3474) sowie das Aufenthaltsgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2014 (BGBl. I S. 2439). Denn nach § 77 Abs. 1 AsylVfG ist in Streitigkeiten nach diesem Gesetz regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen.
II.
21 
Der Kläger hat weder Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG noch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
22 
1. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in seiner Fassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.8.2013 hat ein Ausländer Anspruch auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem (Abschiebungs-)Schutz, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass ihm im Falle seiner Abschiebung in sein Heimatland ein „ernsthafter Schaden“ droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG (u.a.) Folter oder eine unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
23 
a) Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ist diese Frage zu bejahen, da Iraner, die ihr Heimatland illegal verlassen hätten, bei einer Rückkehr aufgrund der strikten Kontrollen damit rechnen müssten, am Flughafen verhört und für einige Tage festgehalten zu werden. Da eine Rückkehr des Klägers in den Iran nur im Wege der Abschiebung erfolgen werde, werde sich den iranischen Behörden aufdrängen, dass die Rückkehr auf besondere Umstände zurückzuführen sei. Die Verhörmethoden im Iran umfassten seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung. Es spreche deshalb alles dafür, dass der Kläger im Falle seiner Abschiebung in den Iran die von ihm bereits in seinem Heimatland erlittenen Misshandlungen und Festnahmen durch Sicherheitskräfte nicht verheimlichen könne. Ihm drohe dann erneut eine unmenschliche Behandlung. Dabei sei auch in Rechnung zu stellen, dass der Iran kein Rechtsstaat sei, die Behörden willkürlich handelten, Folter bei Verhören, in der Untersuchungshaft und in regulärer Haft vorkomme, und willkürliche Festnahmen sowie lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteile festzustellen seien.
24 
b) Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts steht im Widerspruch zu der obergerichtlichen Rechtsprechung, in der einheitlich angenommen wird, dass weder die Stellung eines Asylantrags noch der mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland die Annahme rechtfertigen, iranische Staatsbürger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen Repressionen ausgesetzt sein (SächsOVG, Urt. v. 14.1.2014 - A 2 A 911/11 - Juris; BayVGH, Beschl. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - Juris; OVG Niedersachsen, Urt. v. 13.5.2011 - 13 LA 176/10 - Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16.6.2011 - 13 A 1188/11.A - Juris). Dem schließt sich der Senat an.
25 
Grundlage dafür ist die seit Jahren unveränderte Einschätzung in den Lageberichten des Auswärtigen Amts, wonach die Stellung eines Asylantrags im Ausland für sich allein keine staatlichen Repressionen nach der Rückkehr in den Iran auslöse. Zwar könne es bei der Rückkehr in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt und insbesondere den Kontakten während dieser Zeit kommen; die Befragung könne in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einhergehen. Es sei aber bisher keiner westlichen Botschaft ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Auch sei kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden seien. Ferner gebe es derzeit keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis. Schließlich könnten Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Mit dieser „gesetzlichen Wiedereinreise“ werde die frühere illegale Ausreise legalisiert (Lagebericht vom 24.2.2015, S. 33; ebenso die älteren Lageberichte vom 11.2.2014, 4.11.2011, 27.2.2011, 28.7.2010, 23.2.2009 und 18.3.2008).
26 
Aus den Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 16.11.2010 und 18.8.2011 ergibt sich nichts anderes. In der Auskunft vom 18.8.2011 wird zwar von zwei nach ihrer Abschiebung misshandelten Rückkehrern in den Iran berichtet. Diese hatten aber im Ausland nicht nur einen Asylantrag gestellt, sondern sich dort auch regimekritisch politisch betätigt. Für das vom Verwaltungsgericht angeführte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9.3.2010 gilt das Gleiche. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in diesem Urteil eine Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführer nicht allein wegen der Stellung eines Asylantrags, sondern wegen des Zusammentreffens verschiedener Umstände, insbesondere auch einer individuellen Vorverfolgung des Beschwerdeführers angenommen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 23.4.2013 - A 3 S 2022/12 -; Beschl. v. 3.4.2013 - A 3 S 2021/12 -; Beschl. v. 13.3.2013 - A 3 S 103/12 -; Beschl. v. 25.2.2013 - A 3 S 3081/11 -; Beschl. v. 17.9.2013 - A 3 S 2306/12 -).
27 
Umstände, die die iranische Sicherheitsbehörden dazu veranlassen könnten, den Kläger der politischen Oppositionsbewegung zuzurechnen und ihn deshalb bei einer Rückkehr in den Iran abweichend von dem sonst üblichen Verfahren einer verschärften Befragung über die näheren Umstände seiner Ausreise und seines anschließenden Aufenthalts in Deutschland zu unterziehen, sind nicht zu erkennen. Zwar hat der Kläger bei seiner Befragung durch das Verwaltungsgericht behauptet, er sei vor seiner Ausreise aus dem Iran zusammen mit einem Freund nach einer Demonstration von zwei Motorradfahrern angehalten, mit Handschellen gefesselt und anschließend geschlagen und getreten worden. Der Kläger hat jedoch zugleich angegeben, er und sein Freund hätten sich mit den Angreifern nicht auf persisch verständigen können. Dafür, dass der Kläger den iranischen Sicherheitsbehörden durch diesen Vorfall als möglicher Regimegegner bekannt geworden ist, kann deshalb nicht ausgegangen werden.
28 
Für die beiden anderen vom Kläger bei seiner Befragung durch das Verwaltungsgericht geschilderten Vorfalle gilt das Gleiche. Dafür, dass die Festnahme des Klägers und seine anschließende Misshandlung durch die Polizei einen politischen Hintergrund hatte, kann den Angaben des Klägers nichts entnommen werden. Als Grund für seine Verhaftung hat der Kläger angegeben, dass er mit seinem Motorrad unterwegs gewesen sei und bei einer Polizeikontrolle keinen Führerschein habe vorweisen können. Vorhaltungen wegen seiner politischen Einstellung wurden ihm nach seinen eigenen Angaben zu keiner Zeit gemacht. Dies ist nach den Angaben des Klägers auch bei dem weiterem Vorfall im Sommer 2010, als er in einem Park zusammen mit Freunden von Bassidji angegriffen und misshandelt worden sei, nicht geschehen. Auch insoweit besteht daher kein Grund zu der Annahme, dass der Kläger von den iranischen Sicherheitsbehörden als möglicher Regimegegner registriert worden sein könnte.
29 
Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Kläger hat dabei zwar angegeben, sein Vater habe ihm am Telefon davon berichtet, von der iranischen Polizei nach dem Aufenthalt seines Sohnes gefragt worden zu sein. Die Frage, welchen Grund die iranische Polizei haben könnte, sich für den Aufenthaltsort des Klägers zu interessieren, blieb dabei jedoch unbeantwortet.
30 
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Für die Frage, ob für den Kläger in seinem Heimatland eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG besteht, gilt das eben Ausgeführte entsprechend. Die in Ziff. 4 des Bescheids vom 5.12.2011 verfügte Abschiebungsandrohung ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
31 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.
32 
Die in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.