StPO: Zum Beweisantrag auf Vernehmung eines Mitangeklagten
Wird die Berufung eines Mitangeklagten durch ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 I StPO verworfen, steht seiner Vernehmung als Zeuge in der Berufungsinstanz nicht länger ein Beweiserhebungsverbot entgegen mit der Folge, dass ein auf Vernehmung des mit Erlass des Verwerfungsurteils aus dem bislang gemeinsamen Verfahren ausgeschiedenen Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag des Angeklagten nicht allein deshalb nach § 244 III 1 StPO als unzulässig abgelehnt werden darf.
Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Angekl. wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr. Gegen die zusammen mit dem Angekl. in derselben, mit Beschluss vom 02.07.2012 zugelassenen Anklageschrift vom 17.04.2012 angeklagten beiden Mittäterinnen verhängte es wegen Diebstahls bzw. wegen Diebstahls in 2 Fällen eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten bzw. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten. Die gegen das erstinstanzliche Urteil seitens des Angekl. und der StA, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, eingelegten Berufungen hat das LG mit Urteil vom 20.06.2014 als unbegründet verworfen, während es die auch von der ehemals Mitangekl. M. eingelegte Berufung schon zuvor, nämlich am 05.06.2014 nach § 329 I 1 StPO verworfen hat, weil die Mitangeklagte nicht zur Berufungshauptverhandlung am 05.06.2014 erschienen war. Die weitere Mitangeklagte hat das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten. Mit seiner gegen das Berufungsurteil eingelegten Revision rügt der Angekl. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit der Verfahrensrüge beanstandet er die Verletzung von § 244 III 1 StPO bei der Ablehnung seines Antrags auf Einvernahme der Mitangekl. M. als Zeugin zur Schuldfrage. Das Rechtsmittel erwies sich als begründet.
Aus den Gründen:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften und auch im Übrigen zulässigen Revision ist aufgrund der nach § 344II 2 StPO formgerecht ausgeführten Verfahrensrüge erfolgreich und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; auf die mit der Sachrüge vorgebrachten weiteren Beanstandungen der Revision kommt es deshalb nicht mehr an.
Das LG hätte den in der Hauptverhandlung vom 17.06.2014 gestellten Antrag des Angekl. auf Vernehmung der Mitangekl. M. als Zeugin nicht nach § 244III 1 StPO als unzulässig ablehnen dürfen.
Zwar ist die Berufungskammer zutreffend davon ausgegangen, dass ein auf Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge gerichteter Beweisantrag deshalb als unzulässig im Sinne von § 244III 1 StPO abzulehnen ist, weil ein Mitangeklagter nicht zugleich Zeuge sein kann. Denn der Erhebung des begehrten Zeugenbeweises steht in diesem Fall ein Beweiserhebungsverbot entgegen. Allerdings war im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungskammer über den Beweisantrag die frühere Mitangeklagte wegen des erlassenen Urteils nach § 329I StPO bereits aus dem Verfahren ausgeschieden und konnte deshalb als Zeugin vernommen werden.
Nach ständiger obergerichtlicher Rspr. und zutreffender Ansicht im Schrifttum kommt es für die Frage, ob jemand Mitangeklagter ist und deshalb als Zeuge ausscheidet, ausschließlich auf die prozessuale Gemeinsamkeit an. Nur solange diese Klammer besteht, scheidet die Vernehmung eines Mitangeklagten als Zeuge aus.
Das LG hat diese Grundsätze im Ansatz nicht verkannt. Allerdings hat es dann in rechtfehlerhafter Weise darauf abgehoben, dass die prozessuale Gemeinsamkeit noch bestehe, weil ein Beschluss über die Abtrennung des Verfahrens nicht erlassen worden sei. Durch diese zu enge, mit der obergerichtlichen Rspr. und der im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht in Einklang stehende Ansicht hat es sich den Blick auf eine zutreffende Einordnung der Zeugeneigenschaft verstellt. Es entspricht zwar höchstrichterlicher Rspr., dass die prozessuale Gemeinsamkeit durch einen Abtrennungsbeschluss aufgehoben wird. Indes hat der BGH auch stets explizit betont, dass die Abtrennung des Verfahrens nur ein Beispiel sei, durch welches die prozessuale Gemeinsamkeit aufgelöst werde. Es versteht sich gleichsam von selbst, dass ein Abtrennungsbeschluss zur Aufhebung der prozessualen Verbindung dann nicht erforderlich ist, wenn gegen den bisherigen Mitangeklagten ein Urteil ergangen ist. Denn durch diese Entscheidung ist der Mitangeklagte aus dem bis dahin gemeinsam geführten Verfahren ausgeschieden, so dass für einen Abtrennungsbeschluss deshalb schon gar kein Raum mehr bestünde. Der Senat teilt deshalb die in Judikatur und Schrifttum vertretene Ansicht, dass die prozessuale Gemeinsamkeit mit dem Erlass eines Urteils gegen einen Mitangeklagten beseitigt ist. Dies war hier mit dem gegen die Mitangeklagte M. verkündeten Verwerfungsurteil nach § 329I StPO der Fall. Darauf, dass das Verwerfungsurteil [...] vom 05.06.2014 noch keine Rechtskraft erlangt hatte und auch eine Wiedereinsetzung nach § 329IV StPO möglich war, kommt es entgegen der vom LG vertretenen Auffassung nicht an. Der Erlass des Urteils gegen die Mitangeklagte bewirkte eine Trennung der Verfahren, was sich allein daran zeigt, dass gegen den Angekl. weiter verhandelt wurde, während das Verfahren gegen die frühere Mitangeklagte einen gänzlich anderen Verlauf nahm. Die prozessuale Gemeinsamkeit war damit ohne jeden Zweifel beendet und hätte allenfalls - nach Eintritt künftiger, im Zeitpunkt der Entscheidung über den Beweisantrag noch ungewisser Ereignisse, wie etwa die Aussetzung des Verfahrens gegen den Angekl. und die Gewährung von Wiedereinsetzung nach § 329IV StPO in Bezug auf die frühere Mitangeklagte - erst später wieder hergestellt werden können.
Das von der Revision mitgeteilte Beweisbegehren der Verteidigung vom 17.06.2014 enthält zumindest in seinen Ziffern 4. und 5. über die schlichte Benennung des bloßen Beweisziels hinausgehende, hinreichend bestimmte und damit dem Zeugenbeweis zugängliche Beweisbehauptungen im Sinne eines Beweisantrags, über die deshalb nach den Regeln des § 244III 2 StPO zu befinden gewesen wäre.
Nach Sachlage kann der Senat nicht ausschließen, dass das angefochtene Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags als unzulässig beruht. [...]
moreResultsText
Annotations
(1) Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Zusammenhängende Strafsachen, von denen einzelne zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach § 74 Abs. 2 sowie den §§ 74a und 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes gehören würden, können verbunden bei der Strafkammer anhängig gemacht werden, der nach § 74e des Gerichtsverfassungsgesetzes der Vorrang zukommt.
(2) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden.
Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt.
(1) Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. Zusammenhängende Strafsachen, von denen einzelne zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach § 74 Abs. 2 sowie den §§ 74a und 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes gehören würden, können verbunden bei der Strafkammer anhängig gemacht werden, der nach § 74e des Gerichtsverfassungsgesetzes der Vorrang zukommt.
(2) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden.