Strafrecht: Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen

bei uns veröffentlicht am19.08.2010

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Strafbarkeit wegen K&o
Der BGH hat mit dem Beschluss vom 20.07.2006 (Az: 3 StR 244/06) folgendes entschieden:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des LG Duisburg vom 10. 2. 2006 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 II StPO).

Jeder Bf. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.


Ergänzend bemerkt der Senat:

Das von der Revisionsbegründung der Angeklagten B. ins Feld geführte Urteil des 4. Strafsenats vom 20. 7. 1995 steht der Entscheidung nicht entgegen. Es erscheint bereits fraglich, ob der im Leitsatz dieses Urteils geäußerten Rechtsauffassung, in den Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen werde, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann. Dies bedarf hier keiner Vertiefung, da auch der 4. Strafsenat in seiner Begründung eingeräumt hat, dass die Rechtslage sich anders darstellen könne, wenn durch die Untätigkeit die von der Vorschädigung ausgehende Lebensgefahr erheblich erhöht wird. So liegt es aber hier. Anders als in dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem die Lebensgefahr nur erkennbar war und der Körperverletzungsvorwurf „lediglich“ im Unterlassen von schmerzlindernden Maßnahmen gesehen wurde, hat hier die Angeklagte erkannt, dass sich der Gesundheitszustand ihres am Kopf schwer getroffenen Kindes dermaßen verschlechtert hatte, dass es zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung mit möglicherweise tödlichem Ausgang dringend geboten war, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr war somit bewusst, dass das Kind infolge der Unterlassung versterben könne, wobei das LG ein vorsätzliches Tötungsdelikt nur mit der wenig überzeugenden Begründung verneint hat, die Todesfolge sei nicht billigend in Kauf genommen worden.

Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Straftatbestandes des § 227 StGB nicht zu beanstanden, weil die Angeklagte durch ihre Untätigkeit eine Körperverletzung in Form der Herbeiführung einer wesentlichen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes durch Unterlassen begangen hat, der typischerweise die Gefahr des Todes anhaft.


Gesetze

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Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06

bei uns veröffentlicht am 20.07.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 244/06 vom 20. Juli 2006 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Körperverletzung mit Todesfolge Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführe

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Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 244/06
vom
20. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2006 einstimmig

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Februar 2006 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das von der Revisionsbegründung der Angeklagten B. ins Feld geführte Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (NJW 1995, 3194 f.) steht der Entscheidung nicht entgegen. Es erscheint bereits fraglich, ob der im Leitsatz dieses Urteils geäußerten Rechtsauffassung, in den Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todes gefahr geschaffen werde, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann (vgl. zur Kritik Wolters JR 1996, 471 f.; Ingelfinger GA 1997, 573 ff.). Dies bedarf hier keiner Vertiefung, da auch der 4. Strafsenat in seiner Begründung eingeräumt hat, dass die Rechtslage sich anders darstellen könne, wenn durch die Untätigkeit die von der Vorschädigung ausgehende Lebensgefahr erheblich erhöht wird. So liegt es aber hier. Anders als in dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem die Lebensge- fahr nur erkennbar war und der Körperverletzungsvorwurf "lediglich" im Unterlassen von schmerzlindernden Maßnahmen gesehen wurde, hat hier die Angeklagte erkannt, dass sich der Gesundheitszustand ihres am Kopf schwer getroffenen Kindes dermaßen verschlechtert hatte, dass es zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung mit möglicherweise tödlichem Ausgang dringend geboten war, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr war somit bewusst, dass das Kind infolge der Unterlassung versterben könne, wobei das Landgericht ein vorsätzliches Tötungsdelikt nur mit der wenig überzeugenden Begründung verneint hat, die Todesfolge sei nicht billigend in Kauf genommen worden.
Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Straftatbestandes des § 227 StGB nicht zu beanstanden, weil die Angeklagte durch ihre Untätigkeit eine Körperverletzung in Form der Herbeiführung einer wesentlichen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes durch Unterlassen begangen hat, der typischerweise die Gefahr des Todes anhaftete.
Winkler Miebach Pfister RiBGH von Lienen ist infolge Urlaubs Becker gehindert zu unterschreiben. Winkler

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.