Strafrecht Schwere Körperverletzung durch erhebliche dauernde Entstellung
Das LG hat den Angeklagten wegen - beabsichtigter – schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte insbesondere gegen die Anwendung des§ 226 I Nr. 3 StGB. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach den Feststellungen des LG schlug der Angeklagte der Nebenklägerin in der Absicht „sie in den Rollstuhl zu bringen“ mit einem Hammer mehrfach auf beide Schienbeine und fügte ihr zudem mit einem Messer einen tiefen Schnitt in die rechte Kniekehle zu. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch offene Tibiaschaftbrüche beidseits, rechteckige, stark gequetschte, teils „matschige“ Wunden an den Beinen sowie multiple, tiefe Schnittverletzungen; im Bereich der rechten Kniekehle entstand eine große, quer verlaufende klaffende Wunde mit teilweiser Durchtrennung der Unterschenkelsehne. Nach Ausheilen der Brüche und Wunden sind bei der Nebenklägerin eine Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks sowie zahlreiche Narben an den Unterschenkeln und in der rechten Kniekehle zurückgeblieben. Die größte Narbe zieht sich bogenförmig von der rechten Kniekehle bis zur Vorderseite des rechten Oberschenkels und ist 20 cm lang. Diese Narbe ist durch die Spannung in der Kniekehle deutlich verbreitert. Sie kann auch durch kosmetische Operationen nicht Erfolg versprechend verkleinert werden. Sowohl hinsichtlich der erlittenen Verletzungen als auch zur Frage der verbliebenen Narben hat das LG im Urteil gem. § 267 I Satz 3 StPO auf Lichtbilder Bezug genommen, die der Senat in Augenschein genommen hat.
Eine - im tatbestandsmäßigen Sinne - dauernde Entstellung in erheblicher Weise ist den getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen. Zwar sind - wie sich insbesondere aus den Lichtbildern ergibt - die an den Beinen der Nebenklägerin verbliebenen Narben nicht zu übersehen. Die Verunstaltung ihrer äußeren Gesamterscheinung erreicht jedoch nicht das zur Verwirklichung des § 226 I Nr. 3 StGB vorausgesetzte Maß. Dieses ist auch mit Blick aufdie übrigen in § 226 I StGB genannten Folgen zu bestimmen. Wenigstens der in ihrem Gewicht geringsten dieser Folgen muss die dauernde Entstellung im Maß ihrer beeinträchtigenden Wirkung in etwa gleichkommen. Das kann für die Narben an den Beinen der Nebenklägerin nicht angenommen werden, zumal diese ihr Gesamterscheinungsbild weniger stark prägen als etwa vergleichbare Narben im Gesicht.
Durch sein Verhalten hat sich der Angeklagte indessen der versuchten beabsichtigten schweren Körperverletzung gem. § 226 I Nr. 3, II, § 22 StGB schuldig gemacht, da er als Folge seiner Misshandlungen ein Verfallen der Nebenklägerin in Lähmung erstrebte. Die von der Kammer ohne Rechtsfehler als ebenfalls verwirklicht erkannte gefährliche Körperverletzung nach § 224 I Nr. 2 und 5 StGB steht zu der versuchten schweren Körperverletzung im Verhältnis der Tateinheit.
Da sich der Angeklagte nicht der vollendeten schweren Körperverletzung gem. § 226 I Nr. 3 StGB (dauernde Entstellung in erheblicher Weise) schuldig gemacht hat, braucht nicht entschieden zu werden, ob dem LG in der Auffassung gefolgt werden könnte, dass die Tat als vollendete beabsichtigte schwere Körperverletzung zu werten ist, weil der Täter eine schwere Folge („Lähmung“) beabsichtigt hat und - so das LG - die tatsächlich eingetretene schwere Folge („dauernde erhebliche Entstellung“) in der beabsichtigten typischerweise enthalten ist. Dies erscheint aber zumindest zweifelhaft.
Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert; § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Der im Wesentlichen geständige Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können.
Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Von der Möglichkeit des § 354 I a Satz 1 StPO macht der Senat keinen Gebrauch. Zwar könnte sich die Angemessenheit der erkannten Strafe auch nach Änderung des Schuldspruchs aus der Erwägung ergeben, dass eine Strafmilderung gem. § 23 II StGB mit Blick auf die beinahe das Ausmaß einer vollendeten Tat erreichenden Tatfolgen fern liegt. Diese für die Strafzumessung grundlegende Weichenstellung muss aber, zumal die abgeurteilte Tat durch die Änderung ein anderes Gepräge erfährt, dem Tatrichter vorbehalten bleiben.
Gesetze
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Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.