Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 1 StR 438/18

bei uns veröffentlicht am10.10.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 438/18
vom
10. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:101018B1STR438.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten K. wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 14. Mai 2018 – soweit es ihn betrifft – mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten und den nicht revidierenden Mitangeklagten V. jeweils wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Den Angeklagten hat es deswegen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen seine Verurteilung mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts übernahmen die Angeklagten aufgrund eines ihnen von dritter Seite erteilten Auftrags am 9. oder 10. Juli 2017 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken von einer namentlich nicht bekannten Person in D. 496,14 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 52,8 % (mindestens 261,9 g Heroin-Hydrochlorid) zum weiteren Transport über Österreich nach Serbien, wobei sie wussten, dass dieses zuvor über die niederländisch -deutsche Grenze ins Bundesgebiet verbracht worden war. Am 11. Juli 2017 fuhren sie in Ausführung des gemeinsam gefassten Tatentschlusses mit dem vakuumiert in einer Schachtel verpackten und im Koffer des Mitangeklagten verstauten Heroin in einem Flixbus von D. in Richtung der deutschösterreichischen Grenze, um das Rauschgift auftragsgemäß über Österreich nach Serbien zu verbringen, wo es – wie beide wussten – weiterveräußert werden sollte. Um 13 Uhr desselben Tages wurden die Angeklagten in dem Bus auf der Bundesautobahn A3 bei P. einer polizeilichen Kontrolle unterzogen , bei der das Rauschgift in dem im Gepäckraum des Busses verstauten Koffer aufgefunden wurde. Für den Transport sollten die Angeklagten neben dem an den Mitangeklagten übergebenen Spesenbetrag in Höhe von 1.500 € ein Entgelt von insgesamt 3.000 € erhalten.

II.


3
1. Der den Angeklagten betreffende Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die diesem zugrunde liegenden Feststellungen nicht auf einer tragfähigen Beweiswürdigung beruhen.
4
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, juris Rn. 9; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, StraFo 2018, 399, 400 und vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, aaO; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist auf die Frage beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. April 2018 – 1 StR 67/18, aaO; vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, aaO und vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).
5
b) Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor, weil die Beweiswürdigung, aufgrund deren sich das Landgericht davon überzeugt hat, dass der Angeklagte das für den Verkauf durch einen Dritten vorgesehene Rauschgift gemeinsam mit dem Mitangeklagten auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der deutsch-österreichischen Grenze verbracht hat, lückenhaft ist.
6
aa) Bei Fallkonstellationen, in denen das Gericht der Aussage des einzigen Belastungszeugen oder der belastenden Einlassung des Mitangeklagten – wie hier – nur teilweise folgt und es in anderen Teilen Zweifel an dessen Dar- stellung hat oder diese sogar für widerlegt hält, kann den belastenden Angaben dieses einzigen Zeugen oder Mitangeklagten nur dann gefolgt werden, wenn das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 – 5 StR 544/12, NStZ-RR 2013, 119 mwN; Beschlüsse vom 22. Januar 2002 – 5 StR 549/01, NStZ-RR 2002, 146 und vom 16. Februar 2000 – 3 StR 28/00, StV 2000, 599 f.); regelmäßig ist dabei zudem zu verlangen, dass es außerhalb der Aussage oder Einlassung Gründe von erheblichem Gewicht gibt, die für die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben sprechen. Diese sind in den Urteilsgründen darzulegen (BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; Beschluss vom 27. November 2017 – 5 StR 520/17, NStZ 2018, 116).
7
bb) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Zwar liegt hier nicht hinsichtlich des gesamten Tatgeschehens eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor. Vielmehr stützt das Landgericht seine Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, insbesondere zum Reiseverlauf , auf weitgehend übereinstimmende Angaben der Angeklagten und weitere Beweismittel. Zudem hat der Angeklagte selbst eingeräumt, dass ihm klar geworden sei, „dass es sich tatsächlich um ein Drogengeschäft handelte“ (UA S. 13). Die vorliegende Fallkonstellation zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass hinsichtlich der zentralen Frage, ob die Angeklagten das Rauschmittel auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatentschlusses übernommen und in Richtung der deutsch-österreichischen Grenze transportiert haben, Aussage gegen Aussage steht, und das Landgericht insoweit den Angaben des Mitangeklagten folgt, obwohl dessen Angaben im Übrigen „nicht uneingeschränkt plausibel“ (UA S. 21) und daher in Teilen nicht glaubhaft waren.
8
Es liegt damit eine Beweislage vor, bei der die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in die gebotene Gesamtwürdigung der Indizien einbezogen hat. Zudem ist anhand außerhalb der belastenden Aussage liegender Umstände nachvollziehbar zu begründen, warum der Darstellung des Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten gefolgt werden kann, obwohl dessen Einlassung vom Gericht in Teilen als nicht glaubhaft angesehen wurde.
9
Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat keine ausreichenden, außerhalb der Einlassung des Mitangeklagten liegenden Umstände benannt, die geeignet sind zu begründen, warum der den Angeklagten belastenden Darstellung des Mitangeklagten zu folgen ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil hierauf beruht.
10
cc) Ergänzend bemerkt der Senat:
11
Ausgehend davon, dass der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport von Heroin nach Serbien gemeinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, hätte das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich des in den Urteilsgründen im Wortlaut wiedergegebenen Chat-Verkehrs vom 8. Juli 2017 (UA S. 16 f.) jedenfalls auch erörtern müssen, dass dieser neben den im Plural („wir“) verfassten Nachrich- ten mehrere ausgehende Nachrichten enthält, die nicht im Plural abgefasst sind, sondern im Singular (z.B. „…dann schicke ich die Adresse“, „Ok ich warte“ , „Ich will ihn sehen...", „Ok ich bin in 15 Minuten da“). Gleiches gilt für die vom Mobiltelefon des Mitangeklagten am 8. Juli 2017 ab 22.34 Uhr versandten – durchgehend im Singular gefassten – Textnachrichten (UA S. 18), mittels de- rer die Ergebnisse der durchgeführten Tests mit der dem Mitangeklagten in R. überlassenen Heroinprobe übermittelt wurden. Nachdem der Angeklagte bestritten hat, den Auftrag zum Transport des Heroins nach Serbien ge- meinsam mit dem Mitangeklagten übernommen und (in Teilen) ausgeführt zu haben, stellt der vorgenannte Chat-Verkehr ein gewichtiges Indiz für die Frage der Tatbeteiligung des Angeklagten dar, das in die Gesamtwürdigung hätte einbezogen werden müssen.
12
2. Der Rechtsfehler in der Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, soweit es den Angeklagten betrifft. Von der Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sieht der Senat ab, um dem neuen Tatrichter auf der Grundlage einer neuen Beweisaufnahme insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
13
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bereits nach der eigenen Einlassung des Angeklagten seine Tatbeteiligung zumindest als Gehilfe des Mitangeklagten in Betracht kommt.
Jäger Cirener Fischer
Bär Pernice

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 1 StR 438/18

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2018 - 1 StR 438/18 zitiert 4 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

9
b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 67/18
vom
5. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2018:050418U1STR67.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 4. April 2018 in der Sitzung am 5. April 2018, an denen teilgenommen haben :
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Prof. Dr. Radtke und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Dr. Hohoff, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Vertreterin des Nebenklägers, Justizobersekretärin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Justizangestellte – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung), zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, welche die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, war das Urteil aufzuheben.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte hielt sich am frühen Morgen des 20. November 2016 gegen 5.00 Uhr in dem Bereich vor einer Diskothek auf, nachdem diese bereits geschlossen hatte. Dort kam es zunächst zu einer tätlichen Auseinanderset- zung, an der u.a. der Angeklagteund der erheblich alkoholisierte Nebenkläger P. beteiligt waren. Nicht ausschließbar bezeichnete P. den Angeklagten als „Kanakensau“ und brachte ihm leichte Verletzungen bei. Letzt- lich wurde der am Boden liegende Angeklagte durch den Türsteher G. von den anderen Personen getrennt (UA S. 13).
4
Gegen 5.20 Uhr fasste der Angeklagte den Entschluss, den Nebenkläger aufgrund des genannten Geschehens körperlich zu attackieren. Zu diesem Zweck zog er sein Hemd aus, lief auf den Nebenkläger zu und versetzte diesem einen heftigen Faustschlag im Bereich des rechten Auges, so dass der Nebenkläger ungebremst zu Boden stürzte, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug und benommen auf dem Rücken liegen blieb. Sodann ging der Angeklagte einen Schritt auf ihn zu und trat ihm mit einem leicht schräg seitlich ausgeführten Stampftritt gezielt in das Gesicht, wobei er einen Turnschuh mit flexibler Sohle trug (UA S. 13).
5
Unmittelbar nach dem Tritt packte der Türsteher G. den Angeklagten und fixierte ihn bis zum Eintreffen der Polizei. Gegenüber den eintreffenden Polizeibeamten gab der Angeklagte zunächst einen falschen Namen an, seine richtigen Personalien konnten aber anhand seines Personalausweises festgestellt werden. Nach einer zwischenzeitlich durchgeführten ärztlichen Untersuchung begab er sich gegen Mittag freiwillig zur Polizei, wo er festgenommen wurde (UA S. 14 f.).
6
Der Tritt verursachte eine teilweise Abzeichnung des Schuhprofils auf der rechten Wange und dem rechten Nasenabhang des Nebenklägers. Dieser erlitt eine Nasenbeinfraktur, ein Hämatom im Bereich des rechten Augeninnenwinkels und eine Platzwunde am Hinterkopf. Es bestand potentielle, aber keine konkrete Lebensgefahr (UA S. 14).
7
Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug zur Tatzeit maximal 2,69 Promille. Er war zwar in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch war seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgrund der genannten Alkoholisierung sowie des Konsums von Amphetamin im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert (UA S. 14).
8
2. Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Kammer im Wesentlichen die Spontanität der Tatausführung aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger, das Fehlen eines Tötungsmotivs , die mangelnde Absicherung bei der Tatausführung, die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten sowie die nur mittlere Trittintensität berücksichtigt (UA S. 24 ff.).
9
Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer das Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB abgelehnt, ohne im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung auf § 213 Alt. 1 StGB einzugehen, den Regelstrafrahmen aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert (UA S. 34 ff.).

II.

10
Das Urteil weist in mehrfacher Hinsicht – auch zu Ungunsten des Angeklagten – durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.
11
1. Insbesondere halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7.September 2017 – 1 StR 329/17, NStZ-RR 2018, 21, 22 mwN). Das Revisionsgericht hat die tat- richterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 9 und vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 18, NStZ 2018, 206 mwN). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Auf der Ebene der Beweiswürdigung bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator, aber auch die konkrete Angriffsweise, die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 jeweils mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13 aaO jeweils mwN).
14
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 191 Rn. 34 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 12 mwN). Der Bun- desgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 19 jeweils mwN).
15
b) Diesen Anforderungen werden die landgerichtlichen Ausführungen nicht gerecht. Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes zwar im Ausgangspunkt zutreffend von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen und hat in diesem Rahmen aus der objektiv hochgradigen Gefährlichkeit insbesondere des Stampftrittes gegen den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers den Schluss auf das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten ) Tötungsvorsatzes gezogen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer das Vorliegen des Willenselements des Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, begegnen jedoch auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Bedenken.
16
aa) Die Ausführungen des Landgerichts lassen bereits besorgen, dass dieses rechtsfehlerhaft der „hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung“ (UA S. 24) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgrades der vom Angeklagten ausgeführten Verletzungshandlungen relativierendeWirkung beigemessen hat, die dem Aspekt der „Hemmschwelle“ nach der Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. So führt das Tatgericht gerade die „Hemmschwelle“ als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten (UA S. 24).
17
bb) Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tatrichterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.
18
(1) Soweit das Landgericht von einem spontanen und unüberlegten Handeln des Angeklagten ausgeht, entspricht dies nicht den sonstigen Urteilsfeststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war zwar eine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die jedoch durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat erst nach einer jedenfalls mehrminütigen Zäsur, ohne erkennbaren äußeren Anlass eine erneute Konfrontation mit dem Nebenkläger gesucht und sich dafür vorbereitet, indem er vor dem Angriff sein Hemd auszog. Damit ist die Spontanität der Tat selbst unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des – allerdings alkoholgewöhnten – Angeklagten nicht ausreichend belegt.
19
(2) Des Weiteren sind die Ausführungen des Landgerichts zur Intensität des vom Angeklagten geführten Trittes lückenhaft. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, angesichts der verhältnismäßig geringen Verletzungen des Nebenklägers die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte den Tritt bewusst nicht mit einer Intensität ausgeführt haben könnte, die eine tödliche Wirkung haben konnte (BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 5; Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90). Auch sind die Überlegungen, aufgrund derer das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe nicht mit voller Wucht zugetreten, nicht zu beanstanden; es stützt sich insofern auf die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen und geht nicht von einer reinen ex-post-Betrachtung aus. Maßgebliche Bedeutung würde einer eingeschränkten Trittintensität jedoch nur zukommen, wenn diese bewusst von dem Angeklagten gewählt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, aaO). Erfolgten die Tritte dagegen aus anderen Gründen nicht mit voller Wucht, etwa weil der Angeklagte dazu alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war oder nicht richtig traf, hätte dies keine negative Indizwirkung für das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht. An dieser Stelle wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Angeklagte angesichts der bei ihm festgestellten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit überhaupt zu einer bewussten Dosierung des Trittes in der Lage war.
20
(3) Bedenken bestehen darüber hinaus insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Beleidigung keinen „zur Tötung eines Menschen anspornenden Anlass“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (BGH, Urteile vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO, 445 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 14, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Das festgestellte Motiv der Revanche allein lässt noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Anders als das Landgericht meint, impliziert dieses Handlungsziel das Überleben des Opfers nicht zwingend (vgl. auchBGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 5). Insoweit wäre es erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht an anderer Stelle zutreffend festgestellt hat, war es dem Angeklagten aufgrund seiner Vorstrafen bewusst, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressivität neigt. Er wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt, wobei insbesondere der letzten Verurteilung ein sehr ähnlich gelagertes Tatgeschehen zugrunde lag; auch in diesem Fall brachte der Angeklagte den Geschädigten, den er erst an diesem Abend kennengelernt hatte, mit zwei Faustschlägen zu Boden und trat anschließend zweimal in Richtung des Kopfes (UA S. 6 ff., 9 ff.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, kann dazu führen, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (BGH, Urteile vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 9; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 aaO Rn. 18).
21
(4) Keine tragfähige Grundlage hat in diesem Zusammenhang auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Nebenkläger nur vergleichbare Verletzungen beibringen wollen, wie er selbst im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung erlitten hatte. Bereits das Niederstrecken des Nebenklägers, welcher danach benommen auf dem Rücken liegenblieb, ging deutlich über das hinaus, was dem Angeklagten widerfahren war; jedenfalls überstieg der nachfolgende Stampftritt bei weitem die dem Angeklagten zuvor zugefügte, nicht näher festgestellte, Gewaltanwendung und die daraus resultierende Körperverletzung.
22
(5) Als widersprüchlich erweist sich zudem, dass das Landgericht das Fehlen eines Fluchtplans als Indiz gegen den bedingten Vorsatz gewertet hat. Diese Überlegung würde in gleicher Weise gegen den Vorsatz in Bezug auf die gefährliche Körperverletzung sprechen. Diesen hat die Strafkammer jedoch bejaht, ohne auf die fehlende Absicherung und evtl. Fluchtmöglichkeit einzugehen. Ferner hat sie an anderer Stelle zutreffend ausgeführt, dass es dem An- geklagten, da er unter Bewährung stand, darum gehen musste, jegliche strafrechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.
23
(6) Schließlich wäre es angezeigt gewesen, im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung nicht isoliert auf den Stampftritt abzustellen, sondern das gesamte Vorgehen des Angeklagten einschließlich des vorangegangenen, massiven Faustschlags in den Blick nehmen.
24
c) Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils mit den entsprechenden Feststellungen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei Einhaltung der gebotenen Erörterungspflichten zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gelangt wäre. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.
25
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der ferner einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, da § 213 Alt. 1 StGB nicht erörtert wurde. Insoweit wirkt die Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
26
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten des festgestellten Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten (UA S. 13) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 213 Rn. 2 ff.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe legt, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 f.; Be- schlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277 und vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308; ferner Fischer, aaO, § 224 Rn. 34 mwN). Dies erscheint vorliegend zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, zumal die Kammer weitere Milderungsgründe für die Zumessung der Strafe als bestimmend angesehen hat, namentlich das Geständnis und die Entschuldigung des Angeklagten.
27
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht hätte entweder ohne Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt und eine weitere Strafrahmensenkung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte oder zumindest bei kumulativer Berücksichtigung aller Milderungsgründe den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angewendet und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei der allgemeinen Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten bewertet hätte.
28
In gleicher Weise gilt dies, sofern der neu berufene Tatrichter einen Tötungsvorsatz bejahen würde.
29
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Raum Graf Radtke Fischer Hohoff
9
b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 67/18
vom
5. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2018:050418U1STR67.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 4. April 2018 in der Sitzung am 5. April 2018, an denen teilgenommen haben :
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Prof. Dr. Radtke und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Dr. Hohoff, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 – als Vertreterin des Nebenklägers, Justizobersekretärin – in der Verhandlung vom 4. April 2018 –, Justizangestellte – bei der Verkündung am 5. April 2018 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. September 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung), zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft, welche die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, war das Urteil aufzuheben.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte hielt sich am frühen Morgen des 20. November 2016 gegen 5.00 Uhr in dem Bereich vor einer Diskothek auf, nachdem diese bereits geschlossen hatte. Dort kam es zunächst zu einer tätlichen Auseinanderset- zung, an der u.a. der Angeklagteund der erheblich alkoholisierte Nebenkläger P. beteiligt waren. Nicht ausschließbar bezeichnete P. den Angeklagten als „Kanakensau“ und brachte ihm leichte Verletzungen bei. Letzt- lich wurde der am Boden liegende Angeklagte durch den Türsteher G. von den anderen Personen getrennt (UA S. 13).
4
Gegen 5.20 Uhr fasste der Angeklagte den Entschluss, den Nebenkläger aufgrund des genannten Geschehens körperlich zu attackieren. Zu diesem Zweck zog er sein Hemd aus, lief auf den Nebenkläger zu und versetzte diesem einen heftigen Faustschlag im Bereich des rechten Auges, so dass der Nebenkläger ungebremst zu Boden stürzte, mit dem Hinterkopf auf den Asphalt aufschlug und benommen auf dem Rücken liegen blieb. Sodann ging der Angeklagte einen Schritt auf ihn zu und trat ihm mit einem leicht schräg seitlich ausgeführten Stampftritt gezielt in das Gesicht, wobei er einen Turnschuh mit flexibler Sohle trug (UA S. 13).
5
Unmittelbar nach dem Tritt packte der Türsteher G. den Angeklagten und fixierte ihn bis zum Eintreffen der Polizei. Gegenüber den eintreffenden Polizeibeamten gab der Angeklagte zunächst einen falschen Namen an, seine richtigen Personalien konnten aber anhand seines Personalausweises festgestellt werden. Nach einer zwischenzeitlich durchgeführten ärztlichen Untersuchung begab er sich gegen Mittag freiwillig zur Polizei, wo er festgenommen wurde (UA S. 14 f.).
6
Der Tritt verursachte eine teilweise Abzeichnung des Schuhprofils auf der rechten Wange und dem rechten Nasenabhang des Nebenklägers. Dieser erlitt eine Nasenbeinfraktur, ein Hämatom im Bereich des rechten Augeninnenwinkels und eine Platzwunde am Hinterkopf. Es bestand potentielle, aber keine konkrete Lebensgefahr (UA S. 14).
7
Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten betrug zur Tatzeit maximal 2,69 Promille. Er war zwar in der Lage, das Unrecht seiner Tat einzusehen, jedoch war seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgrund der genannten Alkoholisierung sowie des Konsums von Amphetamin im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert (UA S. 14).
8
2. Das Landgericht hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Kammer im Wesentlichen die Spontanität der Tatausführung aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger, das Fehlen eines Tötungsmotivs , die mangelnde Absicherung bei der Tatausführung, die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten sowie die nur mittlere Trittintensität berücksichtigt (UA S. 24 ff.).
9
Im Rahmen der Strafzumessung hat die Strafkammer das Vorliegen eines minderschweren Falles gemäß § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB abgelehnt, ohne im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung auf § 213 Alt. 1 StGB einzugehen, den Regelstrafrahmen aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert (UA S. 34 ff.).

II.

10
Das Urteil weist in mehrfacher Hinsicht – auch zu Ungunsten des Angeklagten – durchgreifende sachlich-rechtliche Mängel auf.
11
1. Insbesondere halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7.September 2017 – 1 StR 329/17, NStZ-RR 2018, 21, 22 mwN). Das Revisionsgericht hat die tat- richterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 9 und vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20, NStZ-RR 2017, 183 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 1 StR 329/17, aaO).
13
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 18, NStZ 2018, 206 mwN). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Auf der Ebene der Beweiswürdigung bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator, aber auch die konkrete Angriffsweise, die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motive mit einzubeziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 13. August 2013 – 2 StR 180/13, NStZ 2014, 84 jeweils mwN). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 13 aaO jeweils mwN).
14
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO, 191 Rn. 34 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 12 mwN). Der Bun- desgerichtshof hat stets betont, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17 Rn. 19 jeweils mwN).
15
b) Diesen Anforderungen werden die landgerichtlichen Ausführungen nicht gerecht. Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes zwar im Ausgangspunkt zutreffend von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen und hat in diesem Rahmen aus der objektiv hochgradigen Gefährlichkeit insbesondere des Stampftrittes gegen den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers den Schluss auf das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten ) Tötungsvorsatzes gezogen. Die Erwägungen, mit denen die Kammer das Vorliegen des Willenselements des Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, begegnen jedoch auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs durchgreifenden Bedenken.
16
aa) Die Ausführungen des Landgerichts lassen bereits besorgen, dass dieses rechtsfehlerhaft der „hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung“ (UA S. 24) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgrades der vom Angeklagten ausgeführten Verletzungshandlungen relativierendeWirkung beigemessen hat, die dem Aspekt der „Hemmschwelle“ nach der Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. So führt das Tatgericht gerade die „Hemmschwelle“ als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten (UA S. 24).
17
bb) Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tatrichterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.
18
(1) Soweit das Landgericht von einem spontanen und unüberlegten Handeln des Angeklagten ausgeht, entspricht dies nicht den sonstigen Urteilsfeststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war zwar eine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die jedoch durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat erst nach einer jedenfalls mehrminütigen Zäsur, ohne erkennbaren äußeren Anlass eine erneute Konfrontation mit dem Nebenkläger gesucht und sich dafür vorbereitet, indem er vor dem Angriff sein Hemd auszog. Damit ist die Spontanität der Tat selbst unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des – allerdings alkoholgewöhnten – Angeklagten nicht ausreichend belegt.
19
(2) Des Weiteren sind die Ausführungen des Landgerichts zur Intensität des vom Angeklagten geführten Trittes lückenhaft. Zwar ist es im Ausgangspunkt zutreffend, angesichts der verhältnismäßig geringen Verletzungen des Nebenklägers die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte den Tritt bewusst nicht mit einer Intensität ausgeführt haben könnte, die eine tödliche Wirkung haben konnte (BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 5; Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, StV 2012, 89, 90). Auch sind die Überlegungen, aufgrund derer das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe nicht mit voller Wucht zugetreten, nicht zu beanstanden; es stützt sich insofern auf die nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen und geht nicht von einer reinen ex-post-Betrachtung aus. Maßgebliche Bedeutung würde einer eingeschränkten Trittintensität jedoch nur zukommen, wenn diese bewusst von dem Angeklagten gewählt worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1986 – 4 StR 458/86, aaO). Erfolgten die Tritte dagegen aus anderen Gründen nicht mit voller Wucht, etwa weil der Angeklagte dazu alkoholbedingt nicht mehr in der Lage war oder nicht richtig traf, hätte dies keine negative Indizwirkung für das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht. An dieser Stelle wäre auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Angeklagte angesichts der bei ihm festgestellten erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit überhaupt zu einer bewussten Dosierung des Trittes in der Lage war.
20
(3) Bedenken bestehen darüber hinaus insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es in der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Beleidigung keinen „zur Tötung eines Menschen anspornenden Anlass“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (BGH, Urteile vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO, 445 und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 Rn. 14, StraFo 2018, 127; Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Das festgestellte Motiv der Revanche allein lässt noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Anders als das Landgericht meint, impliziert dieses Handlungsziel das Überleben des Opfers nicht zwingend (vgl. auchBGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 5). Insoweit wäre es erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht an anderer Stelle zutreffend festgestellt hat, war es dem Angeklagten aufgrund seiner Vorstrafen bewusst, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressivität neigt. Er wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt, wobei insbesondere der letzten Verurteilung ein sehr ähnlich gelagertes Tatgeschehen zugrunde lag; auch in diesem Fall brachte der Angeklagte den Geschädigten, den er erst an diesem Abend kennengelernt hatte, mit zwei Faustschlägen zu Boden und trat anschließend zweimal in Richtung des Kopfes (UA S. 6 ff., 9 ff.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, kann dazu führen, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (BGH, Urteile vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 Rn. 9; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO und vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 230/17 aaO Rn. 18).
21
(4) Keine tragfähige Grundlage hat in diesem Zusammenhang auch die Annahme, der Angeklagte habe dem Nebenkläger nur vergleichbare Verletzungen beibringen wollen, wie er selbst im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung erlitten hatte. Bereits das Niederstrecken des Nebenklägers, welcher danach benommen auf dem Rücken liegenblieb, ging deutlich über das hinaus, was dem Angeklagten widerfahren war; jedenfalls überstieg der nachfolgende Stampftritt bei weitem die dem Angeklagten zuvor zugefügte, nicht näher festgestellte, Gewaltanwendung und die daraus resultierende Körperverletzung.
22
(5) Als widersprüchlich erweist sich zudem, dass das Landgericht das Fehlen eines Fluchtplans als Indiz gegen den bedingten Vorsatz gewertet hat. Diese Überlegung würde in gleicher Weise gegen den Vorsatz in Bezug auf die gefährliche Körperverletzung sprechen. Diesen hat die Strafkammer jedoch bejaht, ohne auf die fehlende Absicherung und evtl. Fluchtmöglichkeit einzugehen. Ferner hat sie an anderer Stelle zutreffend ausgeführt, dass es dem An- geklagten, da er unter Bewährung stand, darum gehen musste, jegliche strafrechtlichen Konsequenzen zu vermeiden.
23
(6) Schließlich wäre es angezeigt gewesen, im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung nicht isoliert auf den Stampftritt abzustellen, sondern das gesamte Vorgehen des Angeklagten einschließlich des vorangegangenen, massiven Faustschlags in den Blick nehmen.
24
c) Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Urteils mit den entsprechenden Feststellungen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Tatgericht bei Einhaltung der gebotenen Erörterungspflichten zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gelangt wäre. Um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen, waren neben den Feststellungen zur inneren Tatseite auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben.
25
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs bedingt ohne Weiteres den Wegfall des Strafausspruchs, der ferner einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, da § 213 Alt. 1 StGB nicht erörtert wurde. Insoweit wirkt die Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
26
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten des festgestellten Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten (UA S. 13) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 213 Rn. 2 ff.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig nahe legt, sofern nicht erschwerende Gründe im Einzelfall entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24 f.; Be- schlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; vom 27. März 2012 – 5 StR 103/12, NStZ-RR 2012, 277 und vom 19. Juni 2012 – 3 StR 206/12, NStZ-RR 2012, 308; ferner Fischer, aaO, § 224 Rn. 34 mwN). Dies erscheint vorliegend zumindest nicht von vorneherein ausgeschlossen, zumal die Kammer weitere Milderungsgründe für die Zumessung der Strafe als bestimmend angesehen hat, namentlich das Geständnis und die Entschuldigung des Angeklagten.
27
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht hätte entweder ohne Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles gelangt und eine weitere Strafrahmensenkung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hätte oder zumindest bei kumulativer Berücksichtigung aller Milderungsgründe den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angewendet und daraus eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei der allgemeinen Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten bewertet hätte.
28
In gleicher Weise gilt dies, sofern der neu berufene Tatrichter einen Tötungsvorsatz bejahen würde.
29
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Raum Graf Radtke Fischer Hohoff
9
b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 261 Rn. 38).

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 544/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 12. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Dezember
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Juni 2012 wird mit den Feststellungen aufgehoben
a) auf die Revision des Angeklagten, soweit er verurteilt worden ist,
b) auf die Revision des Nebenklägers, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und von weiteren acht Anklagevorwürfen freigesprochen. Es hat ihm das Verbot erteilt, für fünf Jahre „den Beruf des psychologischen Psychotherapeuten in Bezug auf Kinder und Jugendliche“ auszuüben. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der als Psychologe tätige Angeklagte an zwei nicht genau bestimmbaren Tagen zwischen dem 1. Juni 2005 und November 2006 im Rahmen der im Wohnzimmer seiner Wohnung durchgeführten Therapiesitzungen an dem 1997 geborenen Nebenkläger den Analverkehr vollzogen. Die zugelassene Anklage warf dem Angeklagten acht weitere gleichgelagerte Taten zulasten des Nebenklägers im genannten Zeitraum vor. Obwohl das Landgericht davon überzeugt war, dass es anlässlich der Therapiesitzungen zu weiteren Missbrauchsfällen gekommen sei, hat es den Angeklagten hinsichtlich dieser Taten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil diese nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht in der in der Anklageschrift beschriebenen Art und Weise und auch nicht im Wohnzimmer, sondern an anderen Tatorten, wie etwa dem Schlafzimmer, den Praxisräumen oder im Schwimmbad stattgefunden hätten (UA S. 22 f.).
3
2. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht sowohl zu einer Verurteilung des Angeklagten als auch überwiegend zu Teilfreisprüchen gelangt ist, hält insgesamt sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht stützt seine Überzeugung vom Tatgeschehen im Wesentlichen auf die Angaben des Nebenklägers, welche es durch vom Angeklagten verfasste E-Mails und die Angaben weiterer Zeugen gestützt sieht. Der Nebenkläger habe in der Hauptverhandlung nur die Vorfälle geschildert, die ihm erinnerlich gewesen seien, wobei er deutlich gemacht habe, dass es sehr häufig in Therapiesitzungen zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten gekommen sei, die mit dem Einführen des erigierten Glieds in seinen Anus endeten; eine zeitliche, örtliche und quantitative Einordnung sei ihm jedoch schwer gefallen. Konkret habe er zwei Fälle des Analverkehrs auf dem Boden des Wohnzimmers in der Wohnung des Angeklagten geschildert. Darüber hinaus habe er abweichend von seinen Angaben im Ermittlungsverfahren einen Vorfall mit einem Sex-Spielzeug, eine Situation im Schwimmbad und Taten an weiteren Örtlichkeiten , namentlich in der Badewanne, im Schlafzimmer und in den Praxisräumen des Angeklagten geschildert. Das Landgericht hielt die Angaben für glaubhaft und „hinreichend“ konstant, „ohne dass innere Widersprüche aufgefallen wären“ (UA S. 7).
5
b) Die Verurteilung des Angeklagten hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung entspricht nicht den Anforderungen, die in der vorliegenden Beweiskonstellation zu erfüllen sind. Hier ist die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen; daher müssen die Urteilsgründe in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1997 – 3 StR 558/97, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3). Dies gilt insbesondere, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159 mwN, und vom 10. Oktober 2012 – 5 StR 316/12).
6
Die Urteilsgründe enthalten keine geschlossene Darstellung der Aussage des Nebenklägers mit den zugehörigen Details, die eine „hinreichende Konsistenz“ (UA S. 7) überprüfbar und die angenommene Glaubhaftigkeit seiner Angaben einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich machen. Sie legen vielmehr Abweichungen von der Erstaussage bei der Polizei dar, weil der Nebenkläger „neue Situationen, Tatörtlichkeiten und Vorgehensweisen des sexuellen Missbrauchs durch den Angeklagten geschildert hat, über die er bisher nicht berichtet hatte“ (UA S. 7). Gleiches gilt für die Überprüfung des angeführten „Detailreichtums“ (UA S. 12).Den Urteilsgründen ist hierzu nichts Näheres zu entnehmen. Ob deshalb das Aussageverhalten noch als detailreich und konstant sowie die Schilderungen des Nebenklägers in der Hauptverhandlung entsprechend der tatgerichtlichen Würdigung nicht als „Widersprüche“, sondern als „Weiterungen“ (UA S. 7) seiner Aussage zu ver- stehen sind, lässt sich anhand der inhaltlich viel zu knappen, weitgehend nur wertenden Ausführungen nicht zuverlässig überprüfen. Dies gilt vor allem deshalb, weil das Landgericht nach den Angaben des Nebenklägers nunmehr nicht mehr von zehn, sondern nur noch von zwei Fällen des Analverkehrs im Wohnzimmer des Angeklagten ausgegangen ist und sich im Übrigen aufgrund neu hervorgetretener Tatmodalitäten zu einer Verurteilung außer Stande sah.
7
c) Die Beweiswürdigung trägt auch die Teilfreisprüche nicht. Das Landgericht war zwar „davon überzeugt“ (UA S. 22), dass es im Tatzeitraum zu weiteren schweren Missbrauchsfällen des Nebenklägers durch den Angeklagten gekommen sei, sah sich jedoch aufgrund der abweichenden Aussage des Nebenklägers an einer Verurteilung gehindert.
8
Angesichts der unvollständigen Darstellung der Aussagen des Nebenklägers im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung ist dem Senat eine revisionsgerichtliche Überprüfung auch dahingehend verwehrt, ob – insbesondere angesichts der zum Teil eher geringfügig erscheinenden Abweichungen (Schlafzimmer statt Wohnzimmer) – das Landgericht dem Gebot der erschöpfenden Beweiswürdigung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 3/12, NStZ-RR 2012, 150, 151) ausreichend nachgekommen ist und danach selbst Mindestfeststellungen zu den weiteren angeklagten Taten (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2004 – 5 StR 563/03, NStZ 2005, 113, und Beschlüsse vom 25. März 1994 – 3 StR 18/94, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Mindestfeststellungen 4, sowie vom 27. März 1996 – 3 StR 518/95, BGHSt 42, 107, 109 f.) nicht hat treffen können.
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3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatgerichtlicher Würdigung. In Anbetracht des jugendlichen Alters des Hauptbelastungszeugen und der erst im Jahr 2010 offenbarten, mindestens sechs Jahre zurückliegenden Tatvorwürfe wird das neue Tatgericht ungeachtet belastender Beweismittel die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nachhaltig zu erwägen haben.
Basdorf Schaal Dölp König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 520/17
vom
27. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:271117B5STR520.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. November 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 31. Mai 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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1. Die im angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen , die Nebenklägerin, seine 1998 geborene Großnichte, von Oktober 2007 bis Mai 2013 in mindestens 69 Fällen sexuell missbraucht zu haben, wobei er in allen Fällen den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB), darüber hinaus in 60 Fällen den Tatbestand des (schweren) sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§§ 176, 176a StGB) verwirklicht habe. Der Freispruch ist aus tatsächlichen Gründen erfolgt, weil sich die Strafkammer namentlich aufgrund von das jeweilige Kerngeschehen betreffenden Inkonstanzen im Aussageverhalten der Nebenklägerin sowie im Blick auf insoweit vage und detailarme Bekundungen keine Überzeugung von deren Glaubhaftigkeit zu verschaffen vermochte. Die Verwerfungen sprächen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gegen ein tatsächliches Erleben der Nebenklägerin (UA S. 34). Daran könnten auch Bekundungen von deren Mutter nichts ändern, wonach ihr von der Nebenklägerin erzählt worden sei, der Angeklagte kneife sie mit der Folge von blauen Flecken in den Oberschenkel, ziehe sie an den Schamhaaren und habe ihr verboten, jemandem etwas zu erzählen. Denn die Nebenklägerin habe dies in der Hauptverhandlung nicht bestätigt.
4
Ferner hat das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf weiterer drei Körperverletzungstaten freigesprochen. In einem Fall (Ziffer 71 der Anklage) hatte die Nebenklägerin angegeben, die von ihrer Mutter vor der Polizei geschilderte Tat habe nicht stattgefunden.
5
Hingegen hat das Landgericht die Aussage der Nebenklägerin zu den abgeurteilten sechs Körperverletzungsdelikten als glaubhaft eingestuft. Bei den Taten 1 bis 5 habe diese Bestätigung gefunden in – gleichfalls glaubhaften – Angaben ihrer Mutter, im Fall 2 auch in solchen einer Nachbarin.
6
b) Die Darlegungen der Strafkammer in den Verurteilungsfällen genügen nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung in Konstellationen wie der vorliegenden stellt. Zwar existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt wer- den darf (vgl. MüKo-StPO/Miebach, 2016, § 261 Rn. 225 mwN). Jedoch müssen die Urteilsgründe dann erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände , die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat; wird dem Zeugen hinsichtlich weiterer Taten nicht gefolgt oder handelt es sich gar um bewusst falsche Angaben, so muss das Tatgericht zudem jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257). Daran fehlt es hier.
7
aa) In Bezug auf alle abgeurteilten Taten lässt das angefochtene Urteil die Entstehung und Entwicklung der Aussage der Nebenklägerin nicht bzw. nicht hinreichend erkennen. So wird in den Urteilsgründen eine „Flucht“ der Nebenklägerin und ihrer Familie aus der Wohnung des Angeklagten in ein Frauenhaus erwähnt (UA S. 35, 36). Die für diese „Flucht“ verantwortlichen Umstände lassen sich den Urteilsgründen nicht mit der notwendigen Klarheit entnehmen; das Gleiche gilt für Anlass und Zeitpunkt der Anzeigeerstattung. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob bei der Nebenklägerin ein Motiv für eine Falschbezichtigung des Angeklagten vorhanden gewesen ist. Entsprechendes gilt für die Bekundungen der Mutter der Nebenklägerin , die die Familie des Angeklagten überdies nach dem Auszug in einer SMS beschimpft hat (UA S. 13). Darüber hinaus haben sich deren Angaben zu einer weiteren Körperverletzungstat des Angeklagten (Fall 71 der Anklage ) als unzutreffend erwiesen (UA S. 36). Deren Aussagen können daher nicht ohne Weiteres als außerhalb der Bekundungen der Nebenklägerin liegende Gründe im vorgenannten Sinne herangezogen werden, sondern hätten einer eingehenden Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt unter Erörterung etwaiger Falschbelastungsmotive bedurft. Die Beweiswürdigung in den Verurteilungsfällen kann bereits deshalb insgesamt keinen Bestand haben.
8
bb) Die Darlegungen der Strafkammer zu den einzelnen Taten sind zudem lückenhaft.
9
(1) So ergibt sich aus der Aussage der Mitarbeiterin des allgemeinen Sozialen Dienstes, dass sich die Nebenklägerin nach anonymen Anrufen einer Nachbarin beim Jugendamt (wohl) im Jahr 2010 oder 2011 „in der Rechtsmedizin“ vorgestellt habe (UA S. 16). Das Ergebnis der Untersuchung wird jedoch nicht mitgeteilt.
10
(2) Der Verurteilungsfall 2 (Ziffer 73 der Anklage) weist starke Ähnlichkeiten mit dem Freispruchsfall unter Ziffer 71 der Anklage auf. In beiden Fällen ist dem Angeklagten vorgeworfen worden, den Kopf der Nebenklägerin während der Hausaufgaben auf die Tischplatte geschlagen bzw. diese so stark auf den Kopf geschlagen zu haben, dass der Kopf auf den Tisch fiel. Aus welchem Grund das Landgericht die hierzu referierte Aussage der Zeugin Si. dem Verurteilungsfall zuordnet, wird nicht deutlich. Der Inhalt der auch hier in Bezug genommenen Bekundungen der Mutter der Nebenklägerin wird nicht wiedergegeben (UA S. 15).
11
(3) Maßgebend auch aufgrund der Angaben der Mutter der Nebenklägerin hat das nicht sachverständig beratene Landgericht zu Tat 3 festgestellt, der etwa 150 kg schwere Angeklagte habe sich mit beiden Beinen auf den „Brustbzw. Rippenbereich“ der damals 12- oder 13-jährigen Nebenklägerin gestellt und mit seinem vollen Körpergewicht so lange „nachgefedert“, bis diese im Gesicht „blau anlief“ (UA S. 7, 19). Die Nebenklägerin bekundete, dass sie „irgendwann weggetreten“ sei (UA S. 19). Zu durch eine solch massive Tat nahe- liegend verursachten bleibenden Verletzungen verhalten sich die Urteilsgründe genauso wenig wie zu den Gründen, aus denen sich die Nebenklägerin und ihre Mutter angesichts dieser gravierenden Tat nicht wenigstens im Nachhinein zu einer Benachrichtigung öffentlicher Stellen entschlossen haben.
12
(4) Zu Fall 4 verweist das Landgericht in Bezug auf einen Erinnerungs- verlust der Nebenklägerin auf einen „Beschluss Anlage 24 zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 26.04.2017“ (UA S. 22). Eine solche Verweisung ist unzu- lässig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 267 Rn. 2 mwN).
13
(5) Zu Fall 5 ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass die Mutter der Nebenklägerin den Vorfall zwar nicht gesehen, aber „mitbekommen“ hat (UA S. 23). Was diese in welcher Weise „mitbekommen“ hat, wird jedoch nicht ausgeführt.
14
(6) Zu Fall 6 fehlen beweiswürdigende Ausführungen des Landgerichts völlig. Solche wären jedoch auch angesichts des eher ungewöhnlichen Ge- schehens („Ohrfeige“ mit der flachen Seite der etwa 30 cm langen Klinge eines massiven Fleischermessers ohne sichtbare Verletzungen der Nebenklägerin) unabdingbar gewesen.
15
Die Sache bedarf danach in Bezug auf die Verurteilungsfälle insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
16
2. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die Strafzumessung rechtlicher Prüfung nicht standgehalten hätte. Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl hinsichtlich der Taten 3 und 6 (jeweils gefährliche Körperverletzung ) und der Strafhöhenbemessung bei Tat 3 (Einsatzstrafe) erschwerend berücksichtigt, dass der Angeklagte die Tat während laufender Bewährung be- gangen hat. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend bemerkt, hätte indessen nach dem Zweifelssatz zugrunde gelegt werden müssen, dass die Tatzeiten außerhalb der Bewährungszeit gelegen haben.
Sander Schneider Dölp
König Mosbacher

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.