Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2012 - 1 StR 623/11

bei uns veröffentlicht am06.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 623/11
vom
6. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2012 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. August 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Die Strafkammer hat festgestellt:
2
Der Angeklagte hatte seiner geschiedenen Ehefrau zunächst aufgelauert und ihr sofort mit zahlreichen wuchtigen Schlägen mit einem Schlagstock den Schädel eingeschlagen, sie anschließend mit einer Strumpfhose fest gedrosselt und ihr dann noch eine Reihe tiefer Messerstiche zugefügt. Schläge, Drosseln und Stiche hätten jeweils schon für sich allein zum Tod geführt. Am Ende schob er die Geschädigte, die Sterbende, unter ein Auto, damit sie nicht so schnell gefunden würde und ihr Tod umso sicherer eintrete.
3
Deshalb wurde er wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

I.


4
Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Strafkammer hat nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises einen Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen, zumindest zu unterbrechen, rechtsfehlerhaft zurückgewiesen.
5
1. Folgendes liegt zu Grunde:
6
In der unverändert zugelassenen Anklage, die von im Urteil dann verneinten niedrigen Beweggründen ausgegangen war, ist der Tatablauf wie folgt geschildert:
7
„Auf dem Parkplatz lauerte der Angeklagte seiner Ehefrau auf und schlug dieser … mit voller Wucht … auf den Kopf.“
8
Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen heißt es:
9
„Von Heimtücke kann … nichtausgegangen werden, da nach der Einlassung des Angeklagten und auch der Zeugin P. nicht auszuschließen ist, dass der Angeschuldigte zwar zunächst dem Opfer aufgelauert hatte, es dann jedoch vor dem Angriff noch zu einem Streitgespräch kam und der Angriff von vorn erfolgte.“
10
2. In der Hauptverhandlung machte der Angeklagte keine Angaben zur Sache. Noch vor Vernehmung der Zeugin P. wies die Strafkammer ohne weitere Erläuterung darauf hin,
11
„dass auch in Betracht kommt eine Verurteilung wegen Mordes aufgrund heimtückischer Tötung eines Menschen.“
12
Daraufhin beantragte die Verteidigung, das Verfahren auszusetzen, zumindest die Hauptverhandlung zu unterbrechen. Dies lehnte die Strafkammer mit folgender Begründung ab:
13
„ … die Bejahung des Mordmerkmalsder Heimtücke, mit dem sich die Staatsanwaltschaft in der Anklage ausführlich befasst hat, (würde) nicht zu ei- ner erhöhten Strafbarkeit führen. Die Verteidigung hätte sich längst mit … Heimtücke auseinandersetzen und auf diese Möglichkeit einstellen können.
14
Ferner liegt dem - vorsorglich - erteilten Hinweis keine Veränderung des angeklagten Lebenssachverhalts zugrunde. Letzterer rechtfertigt vielmehr unter Umständen die Bejahung von Heimtücke (s. Anklagesatz S. 2 2. Abs. ). Auch darauf konnte sich die Verteidigung seit Zulassung der Anklage einstellen.“
15
3. Dies beanstandet die Revision zu Recht:
16
a) Im Ansatz zutreffend ist die Auffassung der Strafkammer, es könne bei der Beurteilung der Frage, ob die Hauptverhandlung auszusetzen oder zumindest zu unterbrechen ist (§ 265 Abs. 4 StPO), von Bedeutung sein, ob der vorangegangene Hinweis auf einer Änderung des Sachverhalts oder allein auf einer geänderten rechtlichen Bewertung des unveränderten Sachverhalts beruht.
17

b) Hier liegt jedoch die Besonderheit darin, dass Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht sehr klar letztlich von unterschiedlichen Sachverhalten - im Anklagesatz einerseits und als Grundlage der rechtlichen Bewertung mit näherer Begründung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen andererseits - ausgehen. Diese Unklarheit führt unmittelbar zu einer Unklarheit des Hinweises , die sich noch dadurch steigert, dass, so die Strafkammer ergänzend, die geänderte rechtliche Bewertung lediglich „unter Umständen“ Platz greifen soll, ohne zu verdeutlichen, welche dies sein könnten.
18
c) Unabhängig davon bestehen weitere rechtliche Bedenken:
19
(1) Die Strafkammer ist bei der Erteilung des Hinweises naheliegend davon ausgegangen, Heimtücke sei hier neben niedrigen Beweggründen ein zusätzliches Mordmerkmal. Soweit sie bei der Entscheidung über Aussetzung oder Unterbrechung erwogen hat, an der Verurteilung wegen Mordes ändere dies nichts, hat sie nicht erkennbar bedacht, dass die Annahme mehrerer voneinander unabhängiger Mordmerkmale wie Heimtücke und niedrige Bewegründe für die Schuldschwere (§ 57a StGB) bedeutsam sein kann.
20
(2) Nachdem sie dann im weiteren Verlauf aber erkannte, dass allein Heimtücke als Mordmerkmal übrig blieb, konnte demgegenüber die ohnehin schon wenig klare Erwägung, der Hinweis auf Heimtücke sei nur „vorsorglich“ erfolgt, keine erkennbare Bedeutung (mehr) haben.
21
4. Jedenfalls hält aber die Auffassung rechtlicher Prüfung nicht stand, der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) hätte sich „längst“ auf die Verteidigung gegen einen in der Anklage ausdrücklich verneinten Vorwurf vorbereiten können. Allerdings ist das tatrichterliche Ermessen bei der Entscheidung gemäß § 265 Abs. 4 StPO vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann-StPO, § 265 Rn. 138 mwN). Hier ist jedoch der rechtliche Ansatz fehlerhaft. Auf von der zugelassenen Anklage abweichende Vorwürfe braucht sich der Angeklagte nicht einzustellen; daher ist er ausdrücklich auf eine mögliche Änderung der Beurteilung hinzuweisen. Eine nach einem solchen Hinweis mögliche Folge kann daher nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) den Inhalt des Hinweises nicht vorausgesehen und sich entsprechend hierauf auch nicht vorbereitet hat.
22
5. Der Schwerpunkt der Vorbereitung der Verteidigung war, so der nahe liegende Revisionsvortrag, auf die letztlich gelungenen Bemühungen gerichtet, die ursprüngliche Annahme niedriger Beweggründe zu entkräften. Die Revision trägt, zumal im Hinblick auf das Gewicht des Tatvorwurfs und die insoweit letztlich zentrale Bedeutung von Heimtücke, auch hinreichend konkret vor, warum im Blick auf die Änderung der Situation, die durch den insgesamt nur sehr knapp erläuterten Hinweis eingetreten ist, eine Aussetzung der Hauptverhandlung oder zumindest deren Unterbrechung noch vor der Vernehmung der Zeugin P. angezeigt gewesen wäre.
23
6. Deshalb greift die Revision in vollem Umfang durch.

II.


24
Auch wenn es auf die übrigen Verfahrensrügen daher nicht ankommt, sieht der Senat Anlass zu dem Hinweis, dass das allerdings rechtsfehlerhafte Verhalten der Polizei bei der Vernehmung des Angeklagten entgegen der Auffassung der Revision nicht zur Unverwertbarkeit seiner dabei angefallenen Aussage führt.

25
1. Folgendes liegt zu Grunde:
26
Der Angeklagte wurde zu Vernehmungsbeginn ordnungsgemäß über sein Schweigerecht und sein Recht auf Anwaltskonsultation belehrt. Obwohl der Polizei zu diesem Zeitpunkt der Tod des Opfers bereits bekannt war, wurde ihm jedoch nicht eröffnet, dass wegen eines Tötungsdelikts ermittelt werde, sondern nur, dieser habe
27
„seiner Frau etwas Schlimmes angetan unddarum gehe es in der Beschuldigtenvernehmung“.
28
Weiter heißt es in der Niederschrift der Vernehmung, die sich etwa über fünf Stunden erstreckte:
29
„T. Duhast vor der Vernehmung und in der Vernehmung gefragt, wie es deiner Frau gehe. War dies nur Ablenkung oder hattest Du eventuell Hoff- nung, dass sie noch lebt?“
30
Hierauf antwortete der Beschuldigte (Angeklagte):
31
„Ja, ich habe jetzt noch Hoffnung, dass sie noch lebt.“
32
An anderer Stelle der Vernehmung erklärte der Angeklagte hinsichtlich seiner geschiedenen Frau:
33
„ … Ich wollte sie nur … leiden sehen. Sie lebt doch noch, oder?“
34
Am Ende der Vernehmung fragte er: „Können Sie mir sagen, wie es meiner Frau geht? Lebt sie noch?“
35
Darauf wurde ihm - erstmals klar - gesagt: „Wir müssen Dir leider mitteilen , dass S. tot ist.“
36
Darauf äußerte der Angeklagte: „Was habe ich gemacht?
37
Ich habe alles kaputtgemacht. Ich habe gedacht sie lebt noch. Ich habe nicht vorgehabt, sie zu töten.“
38
2. An dieses Geschehen knüpft die Revision an. Sie hält § 163a Abs. 4 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 4 StPO für verletzt. Der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass gegen ihn, wie schon öfter, (nur) wegen Körperverletzung zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau ermittelt werde. Er hätte nicht erkennen können, „dass ihm ein (versuchtes)Tötungsdelikt … zur Last gelegt“ werde. Andernfalls hätte er jedenfalls ohne Verteidiger keine Angaben zur Sache gemacht; nachdem ihm der Tod seiner geschiedenen Frau eröffnet worden sei, habe er keine Angaben zur Sache mehr gemacht.
39
3. Die Strafkammer hat gegen die Verwertung dieser (durch Zeugenaussagen der Vernehmungsbeamten eingeführten) Aussagen entgegen dem hiergegen gerichteten Widerspruch keine Bedenken gehabt:
40
Sie führt hierzu in den Urteilsgründen aus, der Sachverhalt, um den es gegangen sei, sei klar gewesen. „Ob seine Frau noch lebte … spielt insoweit keine Rolle“. Wenn überhaupt, handle es sich jedenfalls „nicht um einen schwerwiegenden Verfahrensfehler“, Polizeibeamte müssten dem Beschuldig- ten nicht die für die Bewertung seines Verhaltens in Betracht kommenden Strafvorschriften eröffnen, da sie nicht stets über die hierfür erforderlichen Rechtskenntnisse verfügten.
41
Hinzu kommt, so ergeben die Urteilsgründe weiter, dass der Angeklagte am nächsten Tag - also als ihm der Tod seiner geschiedenen Frau bekannt war - das Vernehmungsprotokoll „eigenhändig auf jeder Seite unterschrieb und teilweise auch noch handschriftliche Ausbesserungen vornahm“.
42
4. Grundsätzlich gelten für die Belehrung eines Beschuldigten dieselben Regeln, gleichgültig ob er von einem Richter (§ 136 StPO), einem Staatsanwalt (§ 163a Abs. 3 StPO) oder - wie häufig - von einem Polizeibeamten vernommen wird (§ 163a Abs. 4 StPO). Eine Ausnahme gilt, so auch zutreffend die Strafkammer, lediglich insoweit, als ein Polizeibeamter, anders als ein Richter oder Staatsanwalt, nicht verpflichtet ist, die möglichen Strafvorschriften zu nennen (§ 163a Abs. 4 Satz 1 StPO), also etwa bei einem Tötungsdelikt zwischen Totschlag und Mord zu unterscheiden.
43
5. Hier geht es aber um die „Tat“ als solche, nicht deren rechtliche Bewertung. Unbeschadet der - stets gegebenen, praktisch besonders bei polizeilichen Vernehmungen bedeutsamen - Möglichkeit, aus ermittlungstaktischen Gründen nicht stets jedes schon bekannte Detail offen zu legen, ist dem Beschuldigten der ihm vorgeworfene Sachverhalt zumindest in groben Zügen zu eröffnen (vgl. Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 136 Rn. 21 mwN in Fn. 71). Hinsichtlich der Ausgestaltung der Eröffnung im Einzelnen hat also der Vernehmende einen gewissen Beurteilungsspielraum. Dessen Grenzen sind jedoch überschritten, wenn dem Beschuldigten eines Gewaltdelikts der Tod des Opfers nicht eröffnet wird. Ohne Hinweis auf diesen die Tat prägenden Ge- sichtspunkt ist sie nicht einmal in groben Zügen eröffnet. Der ohnehin nicht sehr klare Hinweis, es gehe um das „Schlimme“, was der Beschuldigte dem Tatopfer angetan habe, reicht daher nicht aus. Besonderheiten für den Fall, dass der Beschuldigte deutlich macht, den gegen ihn erhobenen Vorwurf klar zu kennen, können hier im Blick auf die wiederholten, zunächst nicht sachgerecht beantworteten Fragen nach den Folgen der Tat auf sich beruhen bleiben.
44
6. Die Frage, ob ein Verwertungsverbot hinsichtlich einer Aussage besteht , der, wie hier, ein Verstoß gegen § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO vorangegangen ist, wird nicht einheitlich beurteilt (bejahend Wohlers in SK-StPO, 4.Aufl., § 163a Rn. 75 mwN in Fn. 210, auch für eine einschränkende Auffassung; offen geblieben bei Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern wistra 2003, 473, 475). Der Senat kann diese Frage aber deshalb offen lassen, weil jedenfalls in dem hier vorliegenden konkreten Einzelfall ein Verwertungsverbot selbst dann nicht in Betracht kommt, wenn man dies grundsätzlich für möglich hielte:
45
Belehrungsdefizite begründen dann kein Verwertungsverbot, wenn sie das Aussageverhalten des Vernommenen nicht beeinflusst haben. Dieser Gesichtspunkt , der sich insbesondere dann auswirkt, wenn der Vernommene das Recht, über das er nicht ordnungsgemäß belehrt wurde, trotzdem kannte (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 ; Urteil vom 10. August 1994 - 3 StR 53/94 ; Urteil vom 15. November 1994 - 1 StR 461/94 mwN), kommt auch hier zum Tragen.
46
a) Der Senat geht - entgegen dem Vortrag der Revision - davon aus, dass dem Beschuldigten (Angeklagten) bei der Vernehmung die Möglichkeit vor Augen stand, dass die Geschädigte tot sein könnte. Dies liegt ohnehin schon angesichts des ungewöhnlich massiven Tatgeschehens nahe und wird insbesondere dadurch bestätigt, dass er wiederholt und vor allem auch schon vor seiner Vernehmung gefragt hatte, ob sie noch lebe. Es kann daher auf sich beruhen , dass überdies der Angeklagte im Rahmen der Vernehmung (anders als an ihrem Ende) immer wieder bestätigt hat, dass es sein Wunsch und sein Ziel war, seine geschiedene Frau zu töten.
47
b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Erkenntnis des Angeklagten, seine geschiedene Frau könne durch sein Verhalten zu Tode gekommen sein, durch das Verhalten der Polizei in Frage gestellt worden wäre. Zwar ließen deren Äußerungen (zunächst) die gebotene Klarheit vermissen; sie hat jedoch weder ausdrücklich noch sinngemäß erklärt, das Opfer lebe noch.
48
c) Der Angeklagte verfügte also naheliegend über die - durch das polizeiliche Verhalten nicht entkräftete - Erkenntnis, dass seine Frau tot sein könnte. Wenn er sich auf dieser Grundlage nach im Übrigen ordnungsgemäßer Belehrung über sein Schweigerecht und sein Recht auf Anwaltskonsultation zu Angaben entschloss, so hat sich der vorliegende Mangel der polizeilichen Belehrung auf die Entscheidung, Angaben zu machen, nicht ausgewirkt. Schon deshalb ist für die Annahme eines Verwertungsverbotes hinsichtlich dieser Aussagen kein Raum.
49
d) Die Fragen, ob der Angeklagte nach der präzisen Eröffnung des Tatvorwurfs seine früheren Angaben bestätigt und ergänzt hat und wie sich - gegebenenfalls ist dies nach Maßgabe des Einzelfalls zu beurteilen - auswirkt, dass eine „qualifizierte Belehrung“ dabei unterblieben ist (vgl. zusammenfas- send BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 170/09 mwN zu einer zunächst unterbliebenen Belehrung gemäß § 136 Abs.1 Satz 2 StPO), können daher auf sich beruhen.
50
7. Mängel der polizeilichen Belehrung können, wie auch hier, das Verfahren erheblich belasten, im Einzelfall sogar den Bestand eines Urteils gefährden. Es gehört auch zu den Aufgaben der Staatsanwaltschaft, im Rahmen ihrer Verantwortung für die Gesetzmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens, auch soweit es von der Polizei durchgeführt wird, auf die korrekte Einhaltung der Belehrungsbestimmungen und erforderlichenfalls möglichst auf die Korrektur (wie hier) erkennbarer Mängel hinzuwirken. Dies gilt für alle Ermittlungsverfahren, hat aber in sog. Kapitalsachen besonderes Gewicht (vgl. zu alledem BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11; Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09; Urteil vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07). Nack Wahl Elf Graf Sander

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
§ 57 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 6 gilt entsprechend.

(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.

(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.

(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, daß das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

(2) Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind.

(3) Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Die §§ 133 bis 136a und 168c Abs. 1 und 5 gelten entsprechend. Über die Rechtmäßigkeit der Vorführung entscheidet auf Antrag des Beschuldigten das nach § 162 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.

(4) Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5 und § 136a anzuwenden. § 168c Absatz 1 und 5 gilt für den Verteidiger entsprechend.

(5) Die §§ 186 und 187 Absatz 1 bis 3 sowie § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Der Beschuldigte ist spätestens vor dem Abschluß der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, daß das Verfahren zur Einstellung führt. In einfachen Sachen genügt es, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern.

(2) Beantragt der Beschuldigte zu seiner Entlastung die Aufnahme von Beweisen, so sind sie zu erheben, wenn sie von Bedeutung sind.

(3) Der Beschuldigte ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen. Die §§ 133 bis 136a und 168c Abs. 1 und 5 gelten entsprechend. Über die Rechtmäßigkeit der Vorführung entscheidet auf Antrag des Beschuldigten das nach § 162 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar.

(4) Bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird. Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5 und § 136a anzuwenden. § 168c Absatz 1 und 5 gilt für den Verteidiger entsprechend.

(5) Die §§ 186 und 187 Absatz 1 bis 3 sowie § 189 Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 153/11
vom
23. August 2011
BGHSt: ja zu A II. 3. a
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34
Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik
Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene
rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: gefährlicher Körperverletzung
zu 3.: vorsätzlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2011 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 10. November 2010 werden als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
2. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das vorbezeichnete
Urteil werden
hinsichtlich des Angeklagten C. als unzulässig (§ 349
Abs. 1 StPO),
hinsichtlich der Angeklagten A. und T. als unbegründet
verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die
den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
2
Die Angeklagten waren mit Freunden und Bekannten am Karsamstag 2008 in einer Diskothek in Hard (Österreich), ebenso der Nebenkläger M. . Dieser wollte eine schon abflauende Auseinandersetzung, an der der Angeklagte C. beteiligt war, schlichten. C. schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, es entstand eine aggressive Stimmung. Nunmehr wollten die Angeklagten A. und T. , die zuvor mit C. zusammen am Tisch gewesen waren, C. helfen, der allerdings bald die Diskothek verließ. M. erhielt, auch von A. und T. , Schläge und Tritte, ging zu Boden, konnte sich zunächst aber wieder aufrichten. Es gab weitere, namentlich nicht ermittelte Beteiligte an der Auseinandersetzung. Es flogen Flaschen, eine davon traf auch A. , der seinerseits eine Flasche nahm und sie „in Bauchhöhe“ gegen M. warf. Eine Flasche traf M. so heftig am Kopf, dass er „k.o. ging und völlig hilflos zu Boden sackte“. Dass A. d i e s e Flasche geworfen hatte, steht nicht fest. Er trat aber gemeinsam mit anderen - darunter auch T. - auf den bewusstlos am Boden liegenden M. ein. M. wurde dabei auch gegen den Kopf getreten, ohne dass einem der Beteiligten einzelne Tritte genau zugeordnet werden konnten. M. zog sich sehr schwere Verletzungen zu, z.B. Brüche im Bereich des Jochbeins, der Augenhöhle und des Kiefers. Wegen der Gefahr, Blut einzuatmen, hätte er ohne fremde Hilfe ersticken können. Durch das Gesamtgeschehen wurde er auf einem Auge blind und kann, zu 40% erwerbsgemindert , seinen Beruf nicht mehr ausüben. Auch muss er lebenslang eine Platte im Gesicht tragen.
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde C. wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hinsichtlich der beiden anderen, heranwachsenden Angeklagten konnte sich die Jugendkammer nicht von den in der Anklage noch enthaltenen Vorwürfen des versuchten Totschlags, hinsichtlich A. auch der schweren Körperverletzung (Verlust eines Auges) überzeugen, und verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, A. zu zehn Monaten, T. zu einem Jahr.
4
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und des Nebenklägers. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.

5
Die Revisionen der Angeklagten
6
Sämtliche Revisionen erheben die Sachrüge, die der Angeklagten A. und T. führen sie näher aus. Die Revision des Angeklagten A. ist zusätzlich noch auf Verfahrensrügen gestützt.

I.

7
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. wenden sich gegen die Verwertung der Angaben, die er am 24. März 2009 gegenüber KHK H. gemacht hatte; dieser hatte ihn als Beschuldigten vernommen, nachdem die österreichischen Behörden das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Ravensburg abgegeben hatten. Schon in der Hauptverhandlung war ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung von KHK H. , gestützt auf die Vernehmungsniederschrift , (u.a.) damit begründet worden, er habe ihn nur über sein Schweigerecht, aber nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt und seinen Wunsch nach Unterrichtung des von ihm benannten Verteidigers abgelehnt.
8
Außerdem habe er ihn durch die in der Vernehmungsniederschrift dokumentierten Vorhalte
9
„Du weißt doch genau, dass der M. durch diese [von A. gewor- fene] Flasche das Auge verloren hat“ und später
10
„Laut bisherigen Ermittlungen ist klar, dass durch deinen Flaschenwurf die schweren Verletzungen am linken Auge des M. entstanden sind“ i.S.d. § 136a StPO über den bisherigen Stand der Ermittlungen getäuscht, da er, wie näher dargelegt, gewusst habe, dass es keine den Angeklagten konkret belastenden Erkenntnisse über das Zustandekommen der Augenverletzung gäbe.
11
Zu alledem befragt, erinnerte sich KHK H. genau, A. auch über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt zu haben, was er aber versehentlich nicht protokolliert habe. A. habe erklärt, seine Rechte aus einem früheren Verfahren - ein 2006 gemäß § 45 Abs. 1 JGG behandeltes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs - zu kennen, jedoch nicht den Wunsch nach Kontakt mit (s)einem Rechtsanwalt geäußert. Außerdem erläuterte KHK H. seine damaligen Kenntnisse vom Ermittlungsstand. Die Jugendkammer hielt sei- ne Angaben für „uneingeschränkt überzeugend“, wies den Widerspruch mit nä- her begründetem Beschluss zurück und vernahm ihn zur Sache.
12
Hieran knüpft die Revision an. Sie hält sowohl § 136 StPO als auch § 136a StPO für verletzt.
13
1. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO liege vor, weil der Angeklagte keinen Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen durfte; das Urteil begründe die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret. Seine Angaben seien wegen der entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht dokumentierten Belehrung unglaubhaft, zumal er - so die Revision - erklärt habe, er dokumentiere die Beschuldigtenbelehrung nie in einem gesonderten Formular. Daher ergebe die Prüfung des Vernehmungsablaufs hier „ausschließlich“ das Ergebnis, „dass die Belehrung … nicht stattgefunden hat“. Die Behauptung von KHK H. , der Angeklagte habe geäußert, seine Rechte aus einem früheren Verfahren zu kennen, werde den Gegebenheiten nicht gerecht. Da insgesamt genügende Hinweise auf eine Belehrung fehlten, seien die Angaben des Angeklagten unverwertbar.
14
a) Im Urteil ist die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret begründet. Ob dies als eigenständiger Rechtsfehler gerügt sein soll, mag dahinstehen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln im Urteil sind rechtlich nicht geboten und würden es nur überfrachten (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
15
b) Im Übrigen sprechen die genannten ineinander übergehend beide Gesichtspunkte ansprechenden Ausführungen der Revision dafür, dass Grundlage eines Beweisverwertungsverbots offenbar sowohl die unterbliebene Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 173 f.), als auch die Verhinderung der ausdrücklich gewünschten Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; hierzu Schädler in KK-StPO 6. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 50 mwN) sein soll. Unbeschadet der Frage nach der gebotenen Klarheit der „Angriffsrichtung“ dieser Rüge (vgl. BGH,Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09, NStZ 2010, 403, 404 mwN) in tatsächlicher Hinsicht, erscheint zweifelhaft, ob, wie für eine zulässige Verfahrensrüge stets erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 157/10, StV 2011, 399; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN), der Vortrag widerspruchsfrei ist. Einerseits sei der Hinweis von KHK H. auf die bei der Vernehmung aktuelle Kenntnis des Angeklagten von seinem Recht auf Verteidigerkonsultation - sie stünde trotz unterbliebener Belehrung einem Verwertungsverbot entgegen (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174) - unzutreffend, andererseits habe der Angeklagte Kontakt mit seinem Verteidiger verlangt. Wie es miteinander vereinbar ist, dass ein Recht unbekannt ist, aber dennoch geltend gemacht wird, liegt nicht auf der Hand.
16
c) Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, da der Senat das tatsächliche Vorbringen der Revision, hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung ebenso wie hinsichtlich der verwehrten Kontaktaufnahme, nicht für bewiesen hält (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, StV 1999, 354). Er hat keinen Grund, die Angaben von KHK H. hierzu anders zu bewerten als die Jugendkammer. Er teilt nicht die Auffassung, dass wegen einer entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV teilweise unterbliebenen Protokollierung einer Belehrung bei Gericht „ausschließlich“ oder nahe liegend Lügen des hierfür verantwortli- chen Polizeibeamten zum Vernehmungsablauf zu erwarten seien. Auch konkret spricht hier für diese Möglichkeit nichts.
17
d) Die Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden.
18
Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
19
2. Eine Täuschung des Angeklagten über den Ermittlungsstand (§ 136a StPO) liegt nicht vor. Als der Angeklagte, der auch schon zuvor erklärt hatte, er wisse nicht, wo die von ihm geworfene Flasche getroffen habe, erneut auch auf den ersten als Beleg für eine Täuschung genannten Vorhalt „Du weißt doch genau …“ (oben A. I. vor 1.)nicht bestätigte, M. am Auge getroffen zu haben , hielt ihm KHK H. als nächstes vor: „Aber es ist in der Gruppe bekannt, dass deine Flasche den M. am Auge getroffen hat“, worauf der Angeklagte erwiderte: „Man sagt das deswegen, weil man gesehen hat, dass ich die eine Flasche geworfen habe“. Es gab also - vom Angeklagten sogar als richtig bestä- tigte - polizeiliche Erkenntnisse, dass mehrere bei dem Vorfall anwesende Personen (die „Gruppe“) - unabhängig von Angaben bei der Polizei - geäußert hatten , der Angeklagte habe M. mit der Flasche am Auge verletzt. Schon deshalb hat die Annahme einer Täuschung durch KHK H. keine Grundlage. Außerdem hat die Jugendkammer lediglich festgestellt, dass der Angeklagte - wie von vielen Anwesenden gesehen und auch von ihm schon vor der angeblichen Täuschung eingeräumt - eine Flasche geworfen, aber nicht, dass sie M. am Auge getroffen hat. Selbst wenn, was nicht so ist, eine Täuschung vorläge, hätte sie sich schon nicht auf die Aussagen des Angeklagten bei der Polizei und erst Recht nicht auf das Urteil ausgewirkt.

II.

20
Die auf Grund der von allen Angeklagten erhobenen Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil eines Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat:
21
1. Zum Schuldspruch:
22
a) Vorbringen für den Angeklagten A. :
23
(1) Die Behauptung, die Jugendkammer habe nur Feststellungen zum Flaschenwurf getroffen und nichts festgestellt, was die Beteiligung des Angeklagten an den vorangegangenen Gewalttätigkeiten belege, widerspricht den Urteilsgründen. Danach hatte sich C. unmittelbar vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit M. „an den Nachbartisch zu … A. und T. begeben“. M. hat bekundet, nachdem ihn C. geschlagen hatte, seien dessen „Begleiter oder Freunde … aufgestanden und hätten auf ihn eingeschlagen“. Zweifel an der Glaubwürdigkeit M. s hatte die Jugendkammer nicht, Gründe , warum sie sie hätte haben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
(2) Weite Teile des sonstigen Vorbringens gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen erschöpfen sich in Überlegungen zu alternativen Geschehensabläufen (der Angeklagte könne nach dem Flaschenwurf den Tatort alsbald verlassen oder dort nur zur Beobachtung des weiteren Geschehens „verweilt“ haben), die in den Urteilsgründen keine Anknüpfungspunkte finden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN). Dementsprechend braucht das Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11). Eine auf den Beleg der Richtigkeit ihrer Vermutungen gerichtete Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
25
(3) Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten „umstehende Per- sonen“ aufden am Boden liegenden M. „mit Füßen … ein. ... Hieran waren auch die Angeklagten A. und T. beteiligt“. Angesichts dessen ist die Annahme der Revision, zur Art der Beteiligung des Angeklagten sei nichts festgestellt, nicht nachvollziehbar.
26
b) Vorbringen für den Angeklagten T. :
27
Die Revision verkennt, dass weder die Sach- noch eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt gestützt werden kann (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11; vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 2002, 73 mwN). Deshalb ist auch für die von ihr angeregte Anhörung eines Zeugen durch den Senat kein Raum. Sollte ein Zeuge im weiteren Verlauf wegen eines Aussagedelikts rechtskräftig verurteilt werden, könnte dies Grundlage einer Wiederaufnahme des Verfahrens sein (§ 359 Nr. 2 StPO). Soweit die Revision darüber hinaus im Rahmen der Begrün- dung der Sachrüge wegen der Ablehnung des „Beweisantrag(s) Anlage 8“ eine Verletzung der Aufklärungspflicht sieht, kommt eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge nicht in Betracht, da das Vorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO nicht genügt. Weder der Antrag noch der Beschluss sind mitgeteilt.
28
2. Zum Strafausspruch:
29
a) Ausführungen zum Strafausspruch enthält nur die Revisionsbegründung für den Angeklagten A. . Soweit sich fehlende Feststellungen zur Art der Tatbeteiligung auf den Strafausspruch ausgewirkt haben sollen, gilt nichts anderes als hinsichtlich des Schuldspruchs (vgl. A. II. 1. a (3)). Das übrige Vorbringen erschöpft sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, Bewertungen, die die dem Tatrichter hierbei gezogenen Grenzen an keiner Stelle zum Nachteil des Angeklagten überschreiten, durch eigene zu ersetzen. Zu Unrecht ist die Jugendkammer allerdings davon ausgegangen, der Angeklagte sei „nicht strafrechtlich vorbelastet“ gewesen. Tatsächlich ist er schon 2006 wegen Landfriedensbruchs in Erscheinung getreten (vgl. A. I. vor 1.). Auch wenn nähere Feststellungen hierzu fehlen, handelt es sich dabei jedenfalls um ein Delikt, bei dem es, ähnlich wie hier, um Gewalttätigkeiten aus einer wegen etlicher Beteiligter unübersichtlichen Situation heraus geht. Die unterbliebene Erörterung dieses Gesichtspunkts hat sich jedoch nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
30
b) Auch sonst sind bei der Strafzumessung Rechtsfehler weder zum Nachteil des Angeklagten A. noch zum Nachteil der übrigen Angeklagten ersichtlich.
31
3. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensdauer:
32
Die Jugendkammer hat die Verfahrensdauer nicht nur als bedeutsamen Strafmilderungsgrund angesehen, sondern insoweit auch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil - bis zur Abgabe des zunächst in Österreich anhängigen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Ravensburg „in erster Linie durch die zögerliche Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Ermittlungen seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden schon neun Monate ins Land gegangen“ sind; und - wegen vieler vorrangiger Haftsachen zwischen Eingang der Anklage und Urteil zwölf Monate gelegen haben.
33
In beiden Abschnitten sei das Verfahren in einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zuwiderlaufenden Weise für die Dauer von je neun Monaten verzögert worden, was mit je drei Monaten zu kompensieren sei.
34
Dementsprechend wurden von der gegen den Angeklagten C. verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate (im Urteilstenor) für vollstreckt erklärt.
35
Anders sei, so die Jugendkammer in den Urteilsgründen, demgegenüber hinsichtlich der Angeklagten A. und T. zu verfahren. Da gegen sie Jugendstrafe verhängt sei, sei nicht ein Teil der Strafe für vollstreckt zu erklären, sondern ein Abschlag von der an sich für angemessen gehaltenen Strafe vorzunehmen. Dementsprechend wurde eine Jugendstrafe von einem Jahr statt von einem Jahr und sechs Monaten gegen T. und von zehn Monaten statt von einem Jahr und vier Monaten gegen A. verhängt.
36
Der Senat bemerkt:
37
a) Die Dauer eines Strafverfahrens kann unabhängig von ihren Gründen für die Strafzumessung bedeutsam sein (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598 mwN). Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine (von der Jugendkammer nur knapp geschilderte, nach ihrer Auffassung ) mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unvereinbare Verfahrensverzögerung durch österreichische Behörden hier darüber hinaus auch als konventionswidrig zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist Wiedergutmachung. Sie soll die „Opferstellung“ eines Betroffenen (Art. 34 MRK) beenden und so den jeweiligen Vertragsstaat (hier die Bundesrepublik Deutschland) vor einer möglichen Verurteilung durch den EGMR auf Grund einer Individualbeschwerde wegen Verletzung der MRK bewahren (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 137). Letztlich wird durch eine solche Kompensation eine „im Verantwortungsbereich des Staates“ (BGH aaO 129; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 5 StR 253/09, NStZ 2010, 230 mwN) entstandene „Art Staatshaftungsanspruch“ erfüllt (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138). Dem entspricht, dass Individualbeschwerden gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK zurückgewiesen werden, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen wären (vgl. EGMR, Entscheidung vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92). Dies spricht dagegen, dass ein (etwa) konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der MRK einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, gleichwohl zuzurechnen und von ihm zu kompensieren ist, wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben (so in vergleichbarem Sinne, wenn auch anderen prozessualen Zusammenhängen, BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 77 f. [mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts durch einen anderen Staat im Rahmen von Rechtshilfe] und OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 [mögliche konventionswidrige Verfahrensverzögerung durch einen anderen Staat bei einer hier zur Vollstreckung übernommenen Verurteilung] jew. mwN).
38
b) Der Senat kann auf der Grundlage der hierzu ebenfalls knappen Feststellungen nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange das Verfahren durch die Jugendkammer konventionswidrig verzögert wurde (vgl. zu hierfür we- sentlichen Punkten BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2453 f.). Jedenfalls handelt es sich hier um eine „Jugendschwurgerichtssache“ (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG) gegen (ursprünglich) fünf nicht inhaftierte Angeklagte. Diesen lagen, hinsichtlich der einzelnen Angeklagten differenziert, unterschiedliche Delikte teilweise sehr erheblichen Gewichts (gefährliche Körperverletzung , schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag) zum Nachteil des am Verfahren als Nebenkläger beteiligten Geschädigten zur Last. Sämtliche Taten sollten die nicht geständigen Angeklagten im Rahmen eines tumultartigen und daher schwer klärbaren Geschehens begangen haben, wobei einige Zeugen der im Ausland begangenen Tat(en) im Ausland wohnten. Der Senat hält es danach jedenfalls nicht für menschenrechtswidrig, dass hier nicht schon etwa drei Monate nach Eingang der Anklage ein Urteil erging.
39
c) Außerdem ist bei der Prüfung einer etwaigen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung stets die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra 2009, 147, 148 mwN). Es ist daher kein zutreffender Ansatz, nach jeweils nur isolierter Bewertung für mehrere Verfahrensabschnitte jeweils gesonderte Kompensationen zu bestimmen und diese dann zu addieren.
40
d) Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung kann gegebenenfalls schon durch ihre Feststellung genügend kompensiert sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57 mwN). Jedenfalls hätte die Jugendkammer, die diese hier nahe liegende Möglichkeit nicht geprüft hat, bei der Bemessung der Kompensation aber erkennbar zu erwägen gehabt, dass sie, wie dargelegt, schon bei der Strafzumessung die Verfahrensdauer strafmildernd bewertet hat, sodass darüber hinaus nur noch deren konventionswidrige Verursachung auszugleichen ist. Dies wird, von hier nicht erkennbaren besonderen Fallgestaltungen abgesehen, vielfach dazu führen, dass sich eine Kompensation nur noch auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken hat (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146, 147; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra aaO mwN). Die Jugendkammer hat demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der von ihr für angemessen gehaltenen Strafen für vollstreckt erklärt bzw. nicht ausgesprochen. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene Berücksichtigung des Zeitfaktors als Ausgleich für Justiz und Ermittlungsbehörden anzulastenden Mängeln den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 17. November 2010 - 1 StR 145/10, wistra 2011, 115, 116 mwN).
41
e) Einer abschließenden Entscheidung der aufgezeigten Gesichtspunkte hinsichtlich der Verfahrensverzögerung bedarf es hier aber nicht, da sie sich ersichtlich nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt haben.
42
f) Im Übrigen ist die Umsetzung der von der Jugendkammer für erforderlich gehaltenen Kompensation nur hinsichtlich des Angeklagten C. („Voll- streckungsmodell“) rechtsfehlerfrei.
43
Die Annahme, bei Verhängung von Jugendstrafe sei demgegenüber nicht das Vollstreckungsmodell anzuwenden, sondern ein Strafabschlag vorzunehmen , entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, jedenfalls, wenn die Jugendstrafe, wie jeweils hier, allein auf eine Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) gestützt ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57; Urteil vom 9. Mai 2010 - 2 StR 278/09 jew. mwN). Die Angeklagten sind dadurch jedoch nicht beschwert. Ein Angeklagter kann schon generell ohnehin allenfalls unter sehr ungewöhnlichen Umständen beschwert sein, wenn eine niedrigere statt einer höheren - sei es auch teilweise als vollstreckt geltenden - Strafe ausgesprochen wird (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2454; vgl. auch Pohlit in FS Rissing-van Saan, 453, 457). Hier kommt hinzu, dass der Strafabschlag dazu führte, dass die Jugendstrafen schon nach Maßgabe von § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und nicht wie die von der Jugendkammer an sich für angemessen gehaltenen Strafen nur unter den demgegenüber (schon ausweislich des Gesetzeswortlauts) engeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 JGG (vgl. hierzu Brunner/Dölling JGG 11. Aufl., § 21 Rn. 11, 11a; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 54/08, StV 2008, 400 zum strukturell identischen Fall, dass der Strafabschlag § 56 Abs. 1 StGB anwendbar macht, während bei dem Vollstreckungsmodell nur § 56 Abs. 2 StGB anwendbar wäre).

B.

44
Die Revisionen des Nebenklägers

I.

45
Revision zum Nachteil des Angeklagten C. :
46
1. Die Revision wurde uneingeschränkt in der „Strafsache gegen A. u.a.“ eingelegt. Ebenso uneingeschränkt ist im Rahmen der Revisionsbegründung beantragt (§ 344 Abs.1 StPO), das Urteil aufzuheben. Die auf die Sachrüge gestützte Begründung erwähnt den Angeklagten C. nicht, sondern legt ausschließlich dar, warum das Urteil hinsichtlich der Angeklagten A. und T. rechtsfehlerhaft ist. Zur Begründung herangezogen sind ausschließlich Feststellungen zum Geschehen, das sich ereignete, nachdem C. die Diskothek verlassen hatte.
47
2. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob das Urteil auch zum Nachteil des Angeklagten C. angefochten ist. Die Revisionseinlegungsschrift spricht eher dafür, da sich die Nebenklage auch gegen den auch wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilten Angeklagten C. richtete. Gleiches gilt im Ergebnis für den Revisionsantrag. Gegen eine Revision zum Nachteil des Angeklagten C. spricht die Revisionsbegründung, die ihn weder erwähnt, noch sich auf die ihm zur Last gelegte Tat bezieht. Der Senat hat erwogen, ob hier, wie auch sonst bei Zweifeln über den Umfang einer Revision, deren Begründung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118 mwN). Dies hat er verneint. Wird, sei es auch in nur einem Schriftsatz, ein gegen mehrere Angeklagte ergangenes Urteil uneingeschränkt angefochten, gilt dies regelmäßig hinsichtlich jedes Angeklagten. Es liegen der Sache nach mehrere, voneinander unabhängige Rechtsmittel vor. Dann kann aber nicht allein der späteren Begründung des Rechtsmittels zum Nachteil eines Angeklagten inzident entnommen werden, dass zum Nachteil eines anderen Angeklagten doch kein Rechtsmittel eingelegt sein soll. Die Frage nach dem Umfang eines Rechtsmittels ist von anderer Art als die Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel eingelegt ist. Insoweit kommt es allein auf die Einlegungsschrift an.
48
3. Die danach (auch) zum Nachteil des Angeklagten C. eingelegte Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), da mangels konkreter Begründung nicht erkennbar ist, dass sie ein von einer Nebenklägerrevision erreichbares Ziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgte.

II.

49
Revisionen zum Nachteil der Angeklagten A. und T. :
50
Insoweit hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung(en) gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, der diesen Revisionen des Nebenklägers zum Erfolg verhelfen könnte.
51
1. Die Annahme, dass insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen ein Tötungsvorsatz in Betracht kommen kann, liegt im Grundsatz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10, 11; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05). Die insoweit freilich sehr knappen Ausführungen der Jugendkammer ergeben im Kontext mit den sonstigen Urteilsgründen, dass der Jugendkammer auch im Blick auf ein eher spontanes, sich rasch intensivierendes Geschehen Zweifel an einem solchen Vorsatz verblieben. Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer angesichts des in seiner ständigen Bewegung schnell wechselnden und nur begrenzt zuverlässig zu rekonstruierenden tumultartigen Geschehens keine Handlungen der Angeklagten festzustellen vermochte, die die Annahme eines Tötungsvorsatzes aufdrängten. Vergleichbares gilt hinsichtlich des beim Nebenkläger eingetretenen Verlusts des Auges und der sonstigen schweren Verletzungen , von deren Verursachung durch die Angeklagten sich die Jugendkammer ebenfalls nicht zweifelsfrei überzeugen konnte. All dies liegt auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens noch im Rahmen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung, sodass es nicht darauf ankommt, ob auch eine andere Würdigung vertretbar erschiene.
52
2. Näher noch als die Annahme eines versuchten Totschlags und/oder einer schweren Körperverletzung hätte die Annahme einer Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB, zweite Alternative) gelegen, da die Angeklagten sich gemeinsam mit anderen an einem u.a. auch durch Flaschenwürfe begangenen Angriff auf M. beteiligten, durch den dieser ein Auge verlor, ohne dass es darauf ankäme, welche konkrete Handlungen ihnen im Blick auf die hier, wie in solchen Fällen typisch, vorliegende Beweisnot zugerechnet werden können (vgl. zusammenfassend Fischer StGB 58. Aufl., § 231 Rn. 1, 2, 4 ff. mwN). Näher nachzugehen braucht der Senat dem aber nicht, weil § 231 StGB kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt ist; ein nur hierauf bezogener etwaiger Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten kann einer hinsichtlich der Anwendung von Nebenklagedelikten erfolglosen Nebenklägerrevision nicht zum Erfolg verhelfen (BGH, Urteil vom 21. August 2008 - 3 StR 236/08, NStZ-RR 2009, 24, 25; BGH, Urteil vom 12. März 1997 - 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403 jew. mwN). Gleiches gilt im Ergebnis insoweit, als die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob eine nur nach ihrer einzelfallbezogen abstrakten Gefährlichkeit, nicht nach ihren konkreten Folgen zu beurteilende lebensgefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer aaO § 224 Rn. 12 mwN) vorliegt, oder ob im Blick auf bei den Tritten nahe liegend von den Angeklagten getragene Schuhe gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 - 4 StR 347/09, NStZ 2010, 151 mwN) verwendet wurden. Das Hinzutreten weiterer Tatbestandsalternativen eines ohnehin abgeurteilten Delikts betrifft den Schuldumfang und daher den Strafausspruch (BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, NJW 1999, 2449; BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371 jew. mwN) und kann daher einer Nebenklägerrevision ebenso wenig zum Erfolg verhelfen wie sonstige nur den Strafausspruch betreffende Rechtsfehler (§ 400 StPO). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/09
vom
9. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Zur Belehrungspflicht bei sog. Spontanäußerungen eines Verdächtigen
BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 170/09 – LG Paderborn
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Juni 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 19. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Strafe ein Jahr und drei Monate vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, soweit die Revision mit ihr beanstandet, die Strafkammer habe Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei, insbesondere solche aus Anlass seiner Vernehmung am 22. August 2008, verwertet, ohne dass dieser gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden sei.
3
1. Die Revision trägt hierzu folgenden Verfahrensablauf vor:
4
Noch in der Tatnacht habe der Angeklagte in Begleitung seiner Ehefrau die Polizeiwache in D. aufgesucht, um sich zu stellen. Ohne vorherige Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter habe er die Tat zugegeben, woraufhin er wegen des dringenden Verdachts eines Tötungsdelikts vorläufig festgenommen worden sei. Er sei dann mit einem Polizei-Pkw zur Kreispolizeibehörde in H. gebracht worden und habe auf der Fahrt gegenüber den Polizeibeamten Einzelheiten des Tatgeschehens geschildert. Erst dort seien ihm nach ärztlicher Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit von den Kriminalbeamten L. und R. unter erneuter Eröffnung des Tatvorwurfs seine Rechte als Beschuldigter erläutert worden. Der Angeklagte habe daraufhin erklärt, den Polizeibeamten doch schon alles gesagt zu haben; er wolle jetzt keine Aussage mehr machen, sondern alles über seinen Anwalt regeln. Von dem Kriminalbeamten L. sinngemäß darauf hingewiesen, eine mögliche Aussage könne auch seiner Entlastung dienen und entlastende Angaben könnten bei der - zum damaligen Zeitpunkt noch andauernden - Spurensuche am Tatort berücksichtigt werden, habe der Angeklagte geäußert, dann könne er auch jetzt einfach alles erzählen. Die umfangreichen Angaben des Angeklagten wurden sodann von den vernehmenden Beamten in einem Vermerk niedergelegt.
5
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe den Geschädigten zu keinem Zeitpunkt lebensbedrohlich verletzen wollen, sondern sich lediglich gegen dessen Schläge und Tritte gewehrt, als widerlegt angesehen. Seine Überzeugung, der Angeklagte habe mit seinem Messer zielgerichtet und deshalb zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Oberkörper des Geschädigten eingestochen, hat es auch auf die Bekundungen der in der Hauptverhandlung vernommenen Kriminalbeamtin R. gestützt. Diese hat in der Hauptverhandlung u.a. über die in ihrem Vermerk niedergelegten Angaben des Angeklagten vom 22. August 2008 ausgesagt. Insoweit hat der Angeklagte der Vernehmung widersprochen und einen Gerichtsbeschluss herbeigeführt.
6
2. Allerdings hätte der Angeklagte, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht erst durch die Kriminalbeamten L. und R. , sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt werden müssen.
7
Gegen die Verwertung der Aussage der Kriminalbeamtin R. auch hinsichtlich der Angaben des Angeklagten in der Beschuldigtenvernehmung vom 22. August 2008 bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO soll sicherstellen, dass ein Beschuldigter nicht im Glauben an eine vermeintliche Aussagepflicht Angaben macht und sich damit unfreiwillig selbst belastet (vgl. BGHSt [GS] 42, 139, 147; BayObLG NStZ-RR 2001, 49, 51). Für den Fall der von einem Polizeibeamten durchgeführten Befragung von Auskunftspersonen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum einen die Stärke des Tatverdachts , den der Beamte gegenüber dem Befragten hegt, bedeutsam für die Entscheidung, von welchem Zeitpunkt an die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erforderlich ist (BGHSt 38, 214, 227 f.). Hierbei hat der Beamte einen Beurteilungsspielraum, den er freilich nicht mit dem Ziel missbrauchen darf, den Zeitpunkt der erforderlichen Belehrung möglichst weit hinauszuschieben (BGH aaO; vgl. auch BGH NStZ 1983, 86). Daneben ist zum anderen von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten aus Sicht des Befragten darstellt. Polizeiliche Verhaltensweisen wie die Mitnahme eines Befragten zur Polizeiwache, die Durchsuchung seiner Wohnung oder seine vorläufige Festnahme belegen dabei schon ihrem äußeren Befund nach, dass der Polizeibeamte dem Befragten als Beschuldigten begegnet, mag er dies auch nicht zum Ausdruck bringen (BGHSt 38, 214, 228; 51, 367, 370 f.).
9
Ob die vorstehend dargelegten Grundsätze ohne Einschränkung auch dann gelten, wenn der Polizeibeamte keine gezielte Befragung durchführt, sondern lediglich passiv spontane Äußerungen eines Dritten entgegennimmt, mit denen sich dieser selbst belastet, ist in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Eine Verwertbarkeit solcher Äußerungen trotz fehlender Belehrung über die Beschuldigtenrechte wird in der Regel für zulässig gehalten, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 2 Satz 2 StPO gezielt umgangen wurden, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten (BGH NStZ 1983, 86; BGH NJW 1990, 461; vgl. auch BayObLG aaO; OLG Oldenburg NStZ 1995, 412; Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 a Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 136 a Rn. 4).
10
b) Dieses erschiene jedoch zumindest dann bedenklich, wenn sich - wie hier von der Verteidigung behauptet - Polizeibeamte von einem Tatverdächtigen nach pauschalem Geständnis einer schweren Straftat und der unmittelbar darauf erfolgten Festnahme über eine beträchtliche Zeitspanne Einzelheiten der Tat berichten ließen, ohne den von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Täter auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen. Ein solches Verhalten käme einer gezielten Umgehung zumindest äußerst nahe.
11
Einer näheren Aufklärung des Verhaltens der Polizeibeamten im Freibeweisverfahren bedarf es jedoch nicht, da das Urteil auf einem etwaigen Verfahrensverstoß nicht beruht. Die Angaben des Angeklagten gegenüber den Poli- zeibeamten bis zu seiner Ankunft in der Kreispolizeibehörde H. hat das Landgericht der Urteilsfindung nicht zu Grunde gelegt.
12
3. Gegen die Verwertung der Aussage der Zeugin R. bestehen zumindest im Ergebnis keine Bedenken.
13
a) Zwar hätte der Angeklagte - den Verfahrensverstoß unterstellt - zu Beginn seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Kriminalbeamten L. und R. am 22. August 2008 zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bis dahin unterbliebenen Belehrung die zuvor gemachten Angaben unverwertbar seien (sog. qualifizierte Belehrung; vgl. BGH StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 369 nicht abgedruckt; Senatsbeschluss NStZ 2009, 281). Daraus, dass dies nicht geschehen ist, würde jedoch nicht ohne Weiteres folgen, dass auch die Angaben, die der Angeklagte nach erfolgter Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter gegenüber den beiden Vernehmungsbeamten gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot unterlagen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die in einem solchen Fall erforderliche (qualifizierte) Belehrung verhindern, dass ein Beschuldigter auf sein Aussageverweigerungsrecht nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, eine frühere, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zustande gekommene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können. Da der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hat, ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH StV 2007, 450, 452; Senatsbeschluss aaO). Die Abwägung ist unter Berücksichtigung des Interesses an der Sachaufklärung einerseits sowie des Gewichts des Verfahrensverstoßes andererseits vorzunehmen (Senatsbeschluss aaO m.w.Nachw.). Sie ergibt hier, dass das Landgericht an einer Verwertung nicht gehindert war.
14
b) Eine bewusste Umgehung der Belehrungspflichten auf der Polizeiwache in D. sowie auf dem Transport des Angeklagten nach H. ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht behauptet. Es spricht auch nichts dafür, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter annahm, er könne von seinen Angaben gegenüber den im Polizei-Pkw anwesenden Beamten nicht mehr abrücken. Die anfänglich fehlende Aussagebereitschaft des Angeklagten sowie sein Hinweis auf die von ihm gewünschte Einschaltung eines Rechtsanwalts sind für eine solche Annahme ebenso wenig tragfähig wie seine Bemerkung, "dann könne er auch alles erzählen". Vielmehr rechtfertigt das von der Revision mitgeteilte Verfahrensgeschehen die Annahme des Landgerichts, wonach die Vernehmungsbeamten dieser Äußerung des Angeklagten dessen freiwilligen Entschluss entnehmen durften, nunmehr umfassend auszusagen.
15
Zu einer solchen Aussage ist der Angeklagte auch nicht in unzulässiger Weise gedrängt worden. Weder die Strafprozessordnung noch der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz eines fairen Verfahrens verbieten es, eine Vernehmung im Anschluss an eine anfängliche Aussageverweigerung fortzusetzen, solange nicht mit verbotenen Mitteln auf die Willensfreiheit des zu Vernehmenden und die Durchsetzbarkeit seines Aussageverweigerungsrechts eingewirkt wird (BGHSt 42, 170). Solche Mittel haben die Vernehmungsbeamten nicht eingesetzt. Die Bemerkung des Kriminalbeamten L. zur möglicherweise entlastenden Wirkung einer Aussage, verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Verifikation von Einzelheiten während der noch andauernden Spurensuche am Tatort, stellte ersichtlich keine Irreführung dar. Es handelte sich vielmehr um einen neutralen, nach Lage der Dinge zumindest nicht fern liegenden Hinweis auf die möglichen Nachteile des Schweigens. Der Angeklagte, der sich einem schweren Tatvorwurf ausgesetzt sah, war so in der Lage, die möglichen Vorteile einer Verteidigung durch Einlassung zur Sache zu erfassen und zwischen Aussage und Schweigen eine informierte Entscheidung zu treffen (vgl. dazu Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 Rn. 34).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 153/11
vom
23. August 2011
BGHSt: ja zu A II. 3. a
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34
Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik
Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene
rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: gefährlicher Körperverletzung
zu 3.: vorsätzlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2011 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 10. November 2010 werden als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
2. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das vorbezeichnete
Urteil werden
hinsichtlich des Angeklagten C. als unzulässig (§ 349
Abs. 1 StPO),
hinsichtlich der Angeklagten A. und T. als unbegründet
verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die
den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
2
Die Angeklagten waren mit Freunden und Bekannten am Karsamstag 2008 in einer Diskothek in Hard (Österreich), ebenso der Nebenkläger M. . Dieser wollte eine schon abflauende Auseinandersetzung, an der der Angeklagte C. beteiligt war, schlichten. C. schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, es entstand eine aggressive Stimmung. Nunmehr wollten die Angeklagten A. und T. , die zuvor mit C. zusammen am Tisch gewesen waren, C. helfen, der allerdings bald die Diskothek verließ. M. erhielt, auch von A. und T. , Schläge und Tritte, ging zu Boden, konnte sich zunächst aber wieder aufrichten. Es gab weitere, namentlich nicht ermittelte Beteiligte an der Auseinandersetzung. Es flogen Flaschen, eine davon traf auch A. , der seinerseits eine Flasche nahm und sie „in Bauchhöhe“ gegen M. warf. Eine Flasche traf M. so heftig am Kopf, dass er „k.o. ging und völlig hilflos zu Boden sackte“. Dass A. d i e s e Flasche geworfen hatte, steht nicht fest. Er trat aber gemeinsam mit anderen - darunter auch T. - auf den bewusstlos am Boden liegenden M. ein. M. wurde dabei auch gegen den Kopf getreten, ohne dass einem der Beteiligten einzelne Tritte genau zugeordnet werden konnten. M. zog sich sehr schwere Verletzungen zu, z.B. Brüche im Bereich des Jochbeins, der Augenhöhle und des Kiefers. Wegen der Gefahr, Blut einzuatmen, hätte er ohne fremde Hilfe ersticken können. Durch das Gesamtgeschehen wurde er auf einem Auge blind und kann, zu 40% erwerbsgemindert , seinen Beruf nicht mehr ausüben. Auch muss er lebenslang eine Platte im Gesicht tragen.
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde C. wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hinsichtlich der beiden anderen, heranwachsenden Angeklagten konnte sich die Jugendkammer nicht von den in der Anklage noch enthaltenen Vorwürfen des versuchten Totschlags, hinsichtlich A. auch der schweren Körperverletzung (Verlust eines Auges) überzeugen, und verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, A. zu zehn Monaten, T. zu einem Jahr.
4
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und des Nebenklägers. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.

5
Die Revisionen der Angeklagten
6
Sämtliche Revisionen erheben die Sachrüge, die der Angeklagten A. und T. führen sie näher aus. Die Revision des Angeklagten A. ist zusätzlich noch auf Verfahrensrügen gestützt.

I.

7
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. wenden sich gegen die Verwertung der Angaben, die er am 24. März 2009 gegenüber KHK H. gemacht hatte; dieser hatte ihn als Beschuldigten vernommen, nachdem die österreichischen Behörden das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Ravensburg abgegeben hatten. Schon in der Hauptverhandlung war ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung von KHK H. , gestützt auf die Vernehmungsniederschrift , (u.a.) damit begründet worden, er habe ihn nur über sein Schweigerecht, aber nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt und seinen Wunsch nach Unterrichtung des von ihm benannten Verteidigers abgelehnt.
8
Außerdem habe er ihn durch die in der Vernehmungsniederschrift dokumentierten Vorhalte
9
„Du weißt doch genau, dass der M. durch diese [von A. gewor- fene] Flasche das Auge verloren hat“ und später
10
„Laut bisherigen Ermittlungen ist klar, dass durch deinen Flaschenwurf die schweren Verletzungen am linken Auge des M. entstanden sind“ i.S.d. § 136a StPO über den bisherigen Stand der Ermittlungen getäuscht, da er, wie näher dargelegt, gewusst habe, dass es keine den Angeklagten konkret belastenden Erkenntnisse über das Zustandekommen der Augenverletzung gäbe.
11
Zu alledem befragt, erinnerte sich KHK H. genau, A. auch über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt zu haben, was er aber versehentlich nicht protokolliert habe. A. habe erklärt, seine Rechte aus einem früheren Verfahren - ein 2006 gemäß § 45 Abs. 1 JGG behandeltes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs - zu kennen, jedoch nicht den Wunsch nach Kontakt mit (s)einem Rechtsanwalt geäußert. Außerdem erläuterte KHK H. seine damaligen Kenntnisse vom Ermittlungsstand. Die Jugendkammer hielt sei- ne Angaben für „uneingeschränkt überzeugend“, wies den Widerspruch mit nä- her begründetem Beschluss zurück und vernahm ihn zur Sache.
12
Hieran knüpft die Revision an. Sie hält sowohl § 136 StPO als auch § 136a StPO für verletzt.
13
1. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO liege vor, weil der Angeklagte keinen Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen durfte; das Urteil begründe die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret. Seine Angaben seien wegen der entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht dokumentierten Belehrung unglaubhaft, zumal er - so die Revision - erklärt habe, er dokumentiere die Beschuldigtenbelehrung nie in einem gesonderten Formular. Daher ergebe die Prüfung des Vernehmungsablaufs hier „ausschließlich“ das Ergebnis, „dass die Belehrung … nicht stattgefunden hat“. Die Behauptung von KHK H. , der Angeklagte habe geäußert, seine Rechte aus einem früheren Verfahren zu kennen, werde den Gegebenheiten nicht gerecht. Da insgesamt genügende Hinweise auf eine Belehrung fehlten, seien die Angaben des Angeklagten unverwertbar.
14
a) Im Urteil ist die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret begründet. Ob dies als eigenständiger Rechtsfehler gerügt sein soll, mag dahinstehen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln im Urteil sind rechtlich nicht geboten und würden es nur überfrachten (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
15
b) Im Übrigen sprechen die genannten ineinander übergehend beide Gesichtspunkte ansprechenden Ausführungen der Revision dafür, dass Grundlage eines Beweisverwertungsverbots offenbar sowohl die unterbliebene Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 173 f.), als auch die Verhinderung der ausdrücklich gewünschten Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; hierzu Schädler in KK-StPO 6. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 50 mwN) sein soll. Unbeschadet der Frage nach der gebotenen Klarheit der „Angriffsrichtung“ dieser Rüge (vgl. BGH,Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09, NStZ 2010, 403, 404 mwN) in tatsächlicher Hinsicht, erscheint zweifelhaft, ob, wie für eine zulässige Verfahrensrüge stets erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 157/10, StV 2011, 399; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN), der Vortrag widerspruchsfrei ist. Einerseits sei der Hinweis von KHK H. auf die bei der Vernehmung aktuelle Kenntnis des Angeklagten von seinem Recht auf Verteidigerkonsultation - sie stünde trotz unterbliebener Belehrung einem Verwertungsverbot entgegen (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174) - unzutreffend, andererseits habe der Angeklagte Kontakt mit seinem Verteidiger verlangt. Wie es miteinander vereinbar ist, dass ein Recht unbekannt ist, aber dennoch geltend gemacht wird, liegt nicht auf der Hand.
16
c) Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, da der Senat das tatsächliche Vorbringen der Revision, hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung ebenso wie hinsichtlich der verwehrten Kontaktaufnahme, nicht für bewiesen hält (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, StV 1999, 354). Er hat keinen Grund, die Angaben von KHK H. hierzu anders zu bewerten als die Jugendkammer. Er teilt nicht die Auffassung, dass wegen einer entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV teilweise unterbliebenen Protokollierung einer Belehrung bei Gericht „ausschließlich“ oder nahe liegend Lügen des hierfür verantwortli- chen Polizeibeamten zum Vernehmungsablauf zu erwarten seien. Auch konkret spricht hier für diese Möglichkeit nichts.
17
d) Die Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden.
18
Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
19
2. Eine Täuschung des Angeklagten über den Ermittlungsstand (§ 136a StPO) liegt nicht vor. Als der Angeklagte, der auch schon zuvor erklärt hatte, er wisse nicht, wo die von ihm geworfene Flasche getroffen habe, erneut auch auf den ersten als Beleg für eine Täuschung genannten Vorhalt „Du weißt doch genau …“ (oben A. I. vor 1.)nicht bestätigte, M. am Auge getroffen zu haben , hielt ihm KHK H. als nächstes vor: „Aber es ist in der Gruppe bekannt, dass deine Flasche den M. am Auge getroffen hat“, worauf der Angeklagte erwiderte: „Man sagt das deswegen, weil man gesehen hat, dass ich die eine Flasche geworfen habe“. Es gab also - vom Angeklagten sogar als richtig bestä- tigte - polizeiliche Erkenntnisse, dass mehrere bei dem Vorfall anwesende Personen (die „Gruppe“) - unabhängig von Angaben bei der Polizei - geäußert hatten , der Angeklagte habe M. mit der Flasche am Auge verletzt. Schon deshalb hat die Annahme einer Täuschung durch KHK H. keine Grundlage. Außerdem hat die Jugendkammer lediglich festgestellt, dass der Angeklagte - wie von vielen Anwesenden gesehen und auch von ihm schon vor der angeblichen Täuschung eingeräumt - eine Flasche geworfen, aber nicht, dass sie M. am Auge getroffen hat. Selbst wenn, was nicht so ist, eine Täuschung vorläge, hätte sie sich schon nicht auf die Aussagen des Angeklagten bei der Polizei und erst Recht nicht auf das Urteil ausgewirkt.

II.

20
Die auf Grund der von allen Angeklagten erhobenen Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil eines Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat:
21
1. Zum Schuldspruch:
22
a) Vorbringen für den Angeklagten A. :
23
(1) Die Behauptung, die Jugendkammer habe nur Feststellungen zum Flaschenwurf getroffen und nichts festgestellt, was die Beteiligung des Angeklagten an den vorangegangenen Gewalttätigkeiten belege, widerspricht den Urteilsgründen. Danach hatte sich C. unmittelbar vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit M. „an den Nachbartisch zu … A. und T. begeben“. M. hat bekundet, nachdem ihn C. geschlagen hatte, seien dessen „Begleiter oder Freunde … aufgestanden und hätten auf ihn eingeschlagen“. Zweifel an der Glaubwürdigkeit M. s hatte die Jugendkammer nicht, Gründe , warum sie sie hätte haben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
(2) Weite Teile des sonstigen Vorbringens gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen erschöpfen sich in Überlegungen zu alternativen Geschehensabläufen (der Angeklagte könne nach dem Flaschenwurf den Tatort alsbald verlassen oder dort nur zur Beobachtung des weiteren Geschehens „verweilt“ haben), die in den Urteilsgründen keine Anknüpfungspunkte finden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN). Dementsprechend braucht das Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11). Eine auf den Beleg der Richtigkeit ihrer Vermutungen gerichtete Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
25
(3) Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten „umstehende Per- sonen“ aufden am Boden liegenden M. „mit Füßen … ein. ... Hieran waren auch die Angeklagten A. und T. beteiligt“. Angesichts dessen ist die Annahme der Revision, zur Art der Beteiligung des Angeklagten sei nichts festgestellt, nicht nachvollziehbar.
26
b) Vorbringen für den Angeklagten T. :
27
Die Revision verkennt, dass weder die Sach- noch eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt gestützt werden kann (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11; vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 2002, 73 mwN). Deshalb ist auch für die von ihr angeregte Anhörung eines Zeugen durch den Senat kein Raum. Sollte ein Zeuge im weiteren Verlauf wegen eines Aussagedelikts rechtskräftig verurteilt werden, könnte dies Grundlage einer Wiederaufnahme des Verfahrens sein (§ 359 Nr. 2 StPO). Soweit die Revision darüber hinaus im Rahmen der Begrün- dung der Sachrüge wegen der Ablehnung des „Beweisantrag(s) Anlage 8“ eine Verletzung der Aufklärungspflicht sieht, kommt eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge nicht in Betracht, da das Vorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO nicht genügt. Weder der Antrag noch der Beschluss sind mitgeteilt.
28
2. Zum Strafausspruch:
29
a) Ausführungen zum Strafausspruch enthält nur die Revisionsbegründung für den Angeklagten A. . Soweit sich fehlende Feststellungen zur Art der Tatbeteiligung auf den Strafausspruch ausgewirkt haben sollen, gilt nichts anderes als hinsichtlich des Schuldspruchs (vgl. A. II. 1. a (3)). Das übrige Vorbringen erschöpft sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, Bewertungen, die die dem Tatrichter hierbei gezogenen Grenzen an keiner Stelle zum Nachteil des Angeklagten überschreiten, durch eigene zu ersetzen. Zu Unrecht ist die Jugendkammer allerdings davon ausgegangen, der Angeklagte sei „nicht strafrechtlich vorbelastet“ gewesen. Tatsächlich ist er schon 2006 wegen Landfriedensbruchs in Erscheinung getreten (vgl. A. I. vor 1.). Auch wenn nähere Feststellungen hierzu fehlen, handelt es sich dabei jedenfalls um ein Delikt, bei dem es, ähnlich wie hier, um Gewalttätigkeiten aus einer wegen etlicher Beteiligter unübersichtlichen Situation heraus geht. Die unterbliebene Erörterung dieses Gesichtspunkts hat sich jedoch nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
30
b) Auch sonst sind bei der Strafzumessung Rechtsfehler weder zum Nachteil des Angeklagten A. noch zum Nachteil der übrigen Angeklagten ersichtlich.
31
3. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensdauer:
32
Die Jugendkammer hat die Verfahrensdauer nicht nur als bedeutsamen Strafmilderungsgrund angesehen, sondern insoweit auch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil - bis zur Abgabe des zunächst in Österreich anhängigen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Ravensburg „in erster Linie durch die zögerliche Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Ermittlungen seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden schon neun Monate ins Land gegangen“ sind; und - wegen vieler vorrangiger Haftsachen zwischen Eingang der Anklage und Urteil zwölf Monate gelegen haben.
33
In beiden Abschnitten sei das Verfahren in einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zuwiderlaufenden Weise für die Dauer von je neun Monaten verzögert worden, was mit je drei Monaten zu kompensieren sei.
34
Dementsprechend wurden von der gegen den Angeklagten C. verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate (im Urteilstenor) für vollstreckt erklärt.
35
Anders sei, so die Jugendkammer in den Urteilsgründen, demgegenüber hinsichtlich der Angeklagten A. und T. zu verfahren. Da gegen sie Jugendstrafe verhängt sei, sei nicht ein Teil der Strafe für vollstreckt zu erklären, sondern ein Abschlag von der an sich für angemessen gehaltenen Strafe vorzunehmen. Dementsprechend wurde eine Jugendstrafe von einem Jahr statt von einem Jahr und sechs Monaten gegen T. und von zehn Monaten statt von einem Jahr und vier Monaten gegen A. verhängt.
36
Der Senat bemerkt:
37
a) Die Dauer eines Strafverfahrens kann unabhängig von ihren Gründen für die Strafzumessung bedeutsam sein (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598 mwN). Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine (von der Jugendkammer nur knapp geschilderte, nach ihrer Auffassung ) mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unvereinbare Verfahrensverzögerung durch österreichische Behörden hier darüber hinaus auch als konventionswidrig zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist Wiedergutmachung. Sie soll die „Opferstellung“ eines Betroffenen (Art. 34 MRK) beenden und so den jeweiligen Vertragsstaat (hier die Bundesrepublik Deutschland) vor einer möglichen Verurteilung durch den EGMR auf Grund einer Individualbeschwerde wegen Verletzung der MRK bewahren (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 137). Letztlich wird durch eine solche Kompensation eine „im Verantwortungsbereich des Staates“ (BGH aaO 129; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 5 StR 253/09, NStZ 2010, 230 mwN) entstandene „Art Staatshaftungsanspruch“ erfüllt (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138). Dem entspricht, dass Individualbeschwerden gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK zurückgewiesen werden, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen wären (vgl. EGMR, Entscheidung vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92). Dies spricht dagegen, dass ein (etwa) konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der MRK einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, gleichwohl zuzurechnen und von ihm zu kompensieren ist, wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben (so in vergleichbarem Sinne, wenn auch anderen prozessualen Zusammenhängen, BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 77 f. [mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts durch einen anderen Staat im Rahmen von Rechtshilfe] und OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 [mögliche konventionswidrige Verfahrensverzögerung durch einen anderen Staat bei einer hier zur Vollstreckung übernommenen Verurteilung] jew. mwN).
38
b) Der Senat kann auf der Grundlage der hierzu ebenfalls knappen Feststellungen nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange das Verfahren durch die Jugendkammer konventionswidrig verzögert wurde (vgl. zu hierfür we- sentlichen Punkten BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2453 f.). Jedenfalls handelt es sich hier um eine „Jugendschwurgerichtssache“ (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG) gegen (ursprünglich) fünf nicht inhaftierte Angeklagte. Diesen lagen, hinsichtlich der einzelnen Angeklagten differenziert, unterschiedliche Delikte teilweise sehr erheblichen Gewichts (gefährliche Körperverletzung , schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag) zum Nachteil des am Verfahren als Nebenkläger beteiligten Geschädigten zur Last. Sämtliche Taten sollten die nicht geständigen Angeklagten im Rahmen eines tumultartigen und daher schwer klärbaren Geschehens begangen haben, wobei einige Zeugen der im Ausland begangenen Tat(en) im Ausland wohnten. Der Senat hält es danach jedenfalls nicht für menschenrechtswidrig, dass hier nicht schon etwa drei Monate nach Eingang der Anklage ein Urteil erging.
39
c) Außerdem ist bei der Prüfung einer etwaigen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung stets die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra 2009, 147, 148 mwN). Es ist daher kein zutreffender Ansatz, nach jeweils nur isolierter Bewertung für mehrere Verfahrensabschnitte jeweils gesonderte Kompensationen zu bestimmen und diese dann zu addieren.
40
d) Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung kann gegebenenfalls schon durch ihre Feststellung genügend kompensiert sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57 mwN). Jedenfalls hätte die Jugendkammer, die diese hier nahe liegende Möglichkeit nicht geprüft hat, bei der Bemessung der Kompensation aber erkennbar zu erwägen gehabt, dass sie, wie dargelegt, schon bei der Strafzumessung die Verfahrensdauer strafmildernd bewertet hat, sodass darüber hinaus nur noch deren konventionswidrige Verursachung auszugleichen ist. Dies wird, von hier nicht erkennbaren besonderen Fallgestaltungen abgesehen, vielfach dazu führen, dass sich eine Kompensation nur noch auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken hat (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146, 147; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra aaO mwN). Die Jugendkammer hat demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der von ihr für angemessen gehaltenen Strafen für vollstreckt erklärt bzw. nicht ausgesprochen. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene Berücksichtigung des Zeitfaktors als Ausgleich für Justiz und Ermittlungsbehörden anzulastenden Mängeln den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 17. November 2010 - 1 StR 145/10, wistra 2011, 115, 116 mwN).
41
e) Einer abschließenden Entscheidung der aufgezeigten Gesichtspunkte hinsichtlich der Verfahrensverzögerung bedarf es hier aber nicht, da sie sich ersichtlich nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt haben.
42
f) Im Übrigen ist die Umsetzung der von der Jugendkammer für erforderlich gehaltenen Kompensation nur hinsichtlich des Angeklagten C. („Voll- streckungsmodell“) rechtsfehlerfrei.
43
Die Annahme, bei Verhängung von Jugendstrafe sei demgegenüber nicht das Vollstreckungsmodell anzuwenden, sondern ein Strafabschlag vorzunehmen , entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, jedenfalls, wenn die Jugendstrafe, wie jeweils hier, allein auf eine Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) gestützt ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57; Urteil vom 9. Mai 2010 - 2 StR 278/09 jew. mwN). Die Angeklagten sind dadurch jedoch nicht beschwert. Ein Angeklagter kann schon generell ohnehin allenfalls unter sehr ungewöhnlichen Umständen beschwert sein, wenn eine niedrigere statt einer höheren - sei es auch teilweise als vollstreckt geltenden - Strafe ausgesprochen wird (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2454; vgl. auch Pohlit in FS Rissing-van Saan, 453, 457). Hier kommt hinzu, dass der Strafabschlag dazu führte, dass die Jugendstrafen schon nach Maßgabe von § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und nicht wie die von der Jugendkammer an sich für angemessen gehaltenen Strafen nur unter den demgegenüber (schon ausweislich des Gesetzeswortlauts) engeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 JGG (vgl. hierzu Brunner/Dölling JGG 11. Aufl., § 21 Rn. 11, 11a; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 54/08, StV 2008, 400 zum strukturell identischen Fall, dass der Strafabschlag § 56 Abs. 1 StGB anwendbar macht, während bei dem Vollstreckungsmodell nur § 56 Abs. 2 StGB anwendbar wäre).

B.

44
Die Revisionen des Nebenklägers

I.

45
Revision zum Nachteil des Angeklagten C. :
46
1. Die Revision wurde uneingeschränkt in der „Strafsache gegen A. u.a.“ eingelegt. Ebenso uneingeschränkt ist im Rahmen der Revisionsbegründung beantragt (§ 344 Abs.1 StPO), das Urteil aufzuheben. Die auf die Sachrüge gestützte Begründung erwähnt den Angeklagten C. nicht, sondern legt ausschließlich dar, warum das Urteil hinsichtlich der Angeklagten A. und T. rechtsfehlerhaft ist. Zur Begründung herangezogen sind ausschließlich Feststellungen zum Geschehen, das sich ereignete, nachdem C. die Diskothek verlassen hatte.
47
2. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob das Urteil auch zum Nachteil des Angeklagten C. angefochten ist. Die Revisionseinlegungsschrift spricht eher dafür, da sich die Nebenklage auch gegen den auch wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilten Angeklagten C. richtete. Gleiches gilt im Ergebnis für den Revisionsantrag. Gegen eine Revision zum Nachteil des Angeklagten C. spricht die Revisionsbegründung, die ihn weder erwähnt, noch sich auf die ihm zur Last gelegte Tat bezieht. Der Senat hat erwogen, ob hier, wie auch sonst bei Zweifeln über den Umfang einer Revision, deren Begründung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118 mwN). Dies hat er verneint. Wird, sei es auch in nur einem Schriftsatz, ein gegen mehrere Angeklagte ergangenes Urteil uneingeschränkt angefochten, gilt dies regelmäßig hinsichtlich jedes Angeklagten. Es liegen der Sache nach mehrere, voneinander unabhängige Rechtsmittel vor. Dann kann aber nicht allein der späteren Begründung des Rechtsmittels zum Nachteil eines Angeklagten inzident entnommen werden, dass zum Nachteil eines anderen Angeklagten doch kein Rechtsmittel eingelegt sein soll. Die Frage nach dem Umfang eines Rechtsmittels ist von anderer Art als die Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel eingelegt ist. Insoweit kommt es allein auf die Einlegungsschrift an.
48
3. Die danach (auch) zum Nachteil des Angeklagten C. eingelegte Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), da mangels konkreter Begründung nicht erkennbar ist, dass sie ein von einer Nebenklägerrevision erreichbares Ziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgte.

II.

49
Revisionen zum Nachteil der Angeklagten A. und T. :
50
Insoweit hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung(en) gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, der diesen Revisionen des Nebenklägers zum Erfolg verhelfen könnte.
51
1. Die Annahme, dass insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen ein Tötungsvorsatz in Betracht kommen kann, liegt im Grundsatz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10, 11; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05). Die insoweit freilich sehr knappen Ausführungen der Jugendkammer ergeben im Kontext mit den sonstigen Urteilsgründen, dass der Jugendkammer auch im Blick auf ein eher spontanes, sich rasch intensivierendes Geschehen Zweifel an einem solchen Vorsatz verblieben. Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer angesichts des in seiner ständigen Bewegung schnell wechselnden und nur begrenzt zuverlässig zu rekonstruierenden tumultartigen Geschehens keine Handlungen der Angeklagten festzustellen vermochte, die die Annahme eines Tötungsvorsatzes aufdrängten. Vergleichbares gilt hinsichtlich des beim Nebenkläger eingetretenen Verlusts des Auges und der sonstigen schweren Verletzungen , von deren Verursachung durch die Angeklagten sich die Jugendkammer ebenfalls nicht zweifelsfrei überzeugen konnte. All dies liegt auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens noch im Rahmen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung, sodass es nicht darauf ankommt, ob auch eine andere Würdigung vertretbar erschiene.
52
2. Näher noch als die Annahme eines versuchten Totschlags und/oder einer schweren Körperverletzung hätte die Annahme einer Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB, zweite Alternative) gelegen, da die Angeklagten sich gemeinsam mit anderen an einem u.a. auch durch Flaschenwürfe begangenen Angriff auf M. beteiligten, durch den dieser ein Auge verlor, ohne dass es darauf ankäme, welche konkrete Handlungen ihnen im Blick auf die hier, wie in solchen Fällen typisch, vorliegende Beweisnot zugerechnet werden können (vgl. zusammenfassend Fischer StGB 58. Aufl., § 231 Rn. 1, 2, 4 ff. mwN). Näher nachzugehen braucht der Senat dem aber nicht, weil § 231 StGB kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt ist; ein nur hierauf bezogener etwaiger Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten kann einer hinsichtlich der Anwendung von Nebenklagedelikten erfolglosen Nebenklägerrevision nicht zum Erfolg verhelfen (BGH, Urteil vom 21. August 2008 - 3 StR 236/08, NStZ-RR 2009, 24, 25; BGH, Urteil vom 12. März 1997 - 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403 jew. mwN). Gleiches gilt im Ergebnis insoweit, als die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob eine nur nach ihrer einzelfallbezogen abstrakten Gefährlichkeit, nicht nach ihren konkreten Folgen zu beurteilende lebensgefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer aaO § 224 Rn. 12 mwN) vorliegt, oder ob im Blick auf bei den Tritten nahe liegend von den Angeklagten getragene Schuhe gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 - 4 StR 347/09, NStZ 2010, 151 mwN) verwendet wurden. Das Hinzutreten weiterer Tatbestandsalternativen eines ohnehin abgeurteilten Delikts betrifft den Schuldumfang und daher den Strafausspruch (BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, NJW 1999, 2449; BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371 jew. mwN) und kann daher einer Nebenklägerrevision ebenso wenig zum Erfolg verhelfen wie sonstige nur den Strafausspruch betreffende Rechtsfehler (§ 400 StPO). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 99/09
vom
27. Mai 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_______________________
Zur Leitungs- und Kontrollbefugnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren
- insbesondere bei Tötungsdelikten.
BGH, Beschl. vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Oktober 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tatmehrheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Mordes hat es folgende Feststellungen getroffen:
2
In der Nacht vom 10. auf den 11. November 2007 befand sich die einjährige L. , das Kind der Lebensgefährtin des Angeklagten, in ihrem Kinderbett, das sich im Schlafzimmer der Wohnung befand. Auch der Angeklagte schlief in diesem Schlafzimmer, während L. s Mutter, die Zeugin S. , die Nacht im Wohnzimmer verbrachte. Gegen 2.30 Uhr begann L. zu schreien, wodurch der Angeklagte geweckt wurde. Er fühlte sich durch das Schreien des in dem Kinderbett stehenden, weinenden Kindes „genervt“ und wollte die störende Geräuschquelle um jeden Preis abstellen. Der Angeklagte ging zu dem Kinder- bett und schlug L. mit der Hand zweimal kräftig ins Gesicht, wodurch diese stürzte, im Bett auf dem Rücken zum Liegen kam und weiter weinte. Der Angeklagte würgte sie daraufhin so lange mit der rechten Hand am Hals, bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gab, insbesondere nicht mehr atmete und er sich dachte „jetzt ist sie endlich still“. Sodann nahm er L. aus dem Bettchen und vergewisserte sich, dass sie tot war. Anschließend legte er die Kinderleiche in Bauchlage zurück ins Bett und deckte sie zu, da er der Meinung war, so deute nichts auf eine gewaltsame Todesursache hin.
3
Danach schlief der Angeklagte in seinem Bett bis 8.30 Uhr. Auf Bitten der Zeugin S. sah der Angeklagte nach L. und erklärte, dass sie sich nicht mehr bewege. Der verständigte Notarzt stellte gegen 9.09 Uhr den Tod des Kindes fest.
4
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge wegen eines Belehrungsverstoßes (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Näher auszuführen ist nur Folgendes:
5
2. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zu Grunde:
6
Noch am Tattag, dem 11. November 2007, wurde der Angeklagte von der Polizei als Zeuge vernommen. Am 13. November 2007 wurde er zunächst erneut als Zeuge vernommen. Nachdem ihm eröffnet worden war, dass bei der am Vortag erfolgten, von der Staatsanwaltschaft angeordneten Obduktion Verletzungen des getöteten Kindes festgestellt worden waren, wurde er gemäß § 55 StPO belehrt. Anschließend wurde ihm ausdrücklich mitgeteilt, dass aufgrund des Verletzungsmusters der Verdacht bestehe, dass er etwas mit der Beibringung dieser Verletzungen zu tun habe.
7
Nachdem dem Angeklagten auf seinen Wunsch hin eine fünfminütige Zigarettenpause gewährt worden war, erklärte er, er habe L. am 11. November 2007 einen Schlag ins Gesicht gegeben und diese gewürgt, bis sie ruhig gewesen sei. Im Anschluss hieran wurde er nach § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt, allerdings ohne dass auf die Nichtverwertbarkeit seiner früheren Aussagen hingewiesen wurde („qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.), woraufhin er den äußeren Tathergang - auch zu den Vorwürfen der Misshandlung von Schutzbefohlenen und der gefährlichen Körperverletzung - detailliert, so wie vom Landgericht festgestellt, schilderte.
8
Nach erneuter - wiederum nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung am Morgen des 14. November 2007 bestätigte der Angeklagte seine am Vortag gemachten Angaben als vollumfänglich richtig. Bei der Haftbefehlseröffnung durch den Ermittlungsrichter am Nachmittag dieses Tages machte er zur Sache keine Angaben mehr. Zu Beginn der Hauptverhandlung ließ der Angeklagte über seinen Verteidiger erklären, dass er das am 13. November 2007 abgelegte Geständnis widerrufe und im Übrigen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Im Rahmen der Beweisaufnahme widersprach die Verteidigung rechtzeitig der Zeugenvernehmung der beiden polizeilichen Vernehmungsbeamten hinsichtlich der Vernehmungen des Angeklagten am 13. und 14. November 2007.
9
3. Das Revisionsvorbringen genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jedenfalls deshalb, weil aufgrund der zulässig erhobenen Sachrüge ergänzend auf den Inhalt des Urteils zurückgegriffen werden kann (vgl. Senat , Beschl. vom 18. Juli 2007 - 1 StR 296/07 [insoweit nicht abgedruckt in BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verzicht 1]; BGHSt 46, 189, 190 f.; 45, 203, 204 f. m.w.N.), das den Kern der Aussagen des Angeklagten wiedergibt. Die Rüge ist jedoch aus den vom Generalbundesanwalt näher dargelegten Gründen unbegründet, weil das Landgericht aufgrund der vorgenommenen Einzelfallabwägung (vgl. BGH NStZ 2009, 281, 282) die vom Angeklagten im Rahmen seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung nach Belehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gemachten Angaben - trotz unterbliebener qualifizierter Belehrung - zu Recht als verwertbar angesehen hat. Auch die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
10
Die Urteilsgründe veranlassen jedoch zu dem Hinweis, dass Verfahrensvorgänge im Urteil grundsätzlich nicht zu erörtern sind. Insbesondere sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten. Zur Vermeidung der Überfrachtung der schriftlichen Urteilsgründe sind sie regelmäßig sogar tunlichst zu unterlassen (vgl. Senat, NStZ-RR 2007, 244 m.w.N.).
11
4. Im Übrigen gibt der vorliegende Fall Anlass, auf Folgendes hinzuweisen :
12
a) Es ist nicht erst Sache der Hauptverhandlung und des Revisionsverfahrens , der immer größer werdenden praktischen Bedeutung der Beweisverwertungsverbote gerecht zu werden. Diese Aufgabe beginnt vielmehr bereits bei Einleitung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens (vgl. Schlothauer in FS Lüderssen S. 761, 772).
13
Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und trägt die Gesamtverantwortung für eine rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens, auch soweit es durch die Polizei geführt wird (vgl. Nr. 1 RiStBV; Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 21; Meyer- Goßner, StPO 51. Aufl. Einl. Rdn. 41, § 160 Rdn. 1, § 163 Rdn. 3; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 160 Rdn. 4, § 163 Rdn. 2 jew. m.w.N.). Aufgrund dieser umfassenden Verantwortung steht der Staatsanwaltschaft gegenüber ihren Ermittlungspersonen ein uneingeschränktes Weisungsrecht in Bezug auf ihre auf die Sachverhaltserforschung gerichtete strafverfolgende Tätigkeit zu, vgl. § 161 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 152 Abs. 1 GVG (siehe dazu Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 33, § 161 Rdn. 46, § 163 Rdn. 7; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 163 Rdn. 2 f.). Dabei kann sie konkrete Einzelweisungen zu Art und Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen, Nr. 3 Abs. 2, Nr. 11 RiStBV, oder ihre Leitungsbefugnis im Rahmen der Aufklärung von Straftaten unabhängig vom Einzelfall durch allgemeine Weisungen im Voraus in Anspruch nehmen (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 163 Rdn. 9; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 163 Rdn. 3 f.; Griesbaum in KK 6. Aufl. § 163 Rdn. 2 f. m.w.N.).
14
b) Bereits mit Blick auf mögliche Beweisverwertungsverbote wegen fehlender oder nicht rechtzeitiger Belehrung als Beschuldigter nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO (vgl. dazu BGHSt 51, 367 ff.) oder mangels „qualifizierter“ Belehrung nach zunächst zu Unrecht erfolgter Vernehmung als Zeuge (vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.) erfordert die der Staatsanwaltschaft zugewiesene Verantwortlichkeit, dass sie die ihr zustehenden Leitungs- und Kontrollbefugnisse auch effektiv ausübt. Dazu genügt es nicht, wenn sie lediglich Richtung und Umfang der von der Polizei vorzunehmenden Ermittlungen ganz allgemein vorgibt (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Vor § 158 Rdn. 39 m.w.N.).
15
Jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art, bei denen es um die Aufklärung und Verfolgung von Tötungsdelikten geht, hat daher die Staatsanwaltschaft, der derartige Fälle sofort anzuzeigen sind (vgl. § 159 Abs. 1 StPO), insbesondere den Status des zu Vernehmenden als Zeuge oder Beschuldigter klarzustellen und durch allgemeine Weisungen im Voraus oder durch konkrete Einzelweisungen eine ordnungsgemäße, rechtzeitige Beschuldigtenbelehrung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO sicherzustellen. Wird ein Tatverdächtiger dennoch zu Unrecht als Zeuge vernommen, so hat sie wegen des Belehrungsverstoßes darauf hin zu wirken, dass dieser bei Beginn der nachfolgenden Vernehmung als Beschuldigter auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben hingewiesen wird („qualifizierte Belehrung“ - vgl. dazu BGH NStZ 2009, 281 f.).
Nack Wahl Elf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 3/07
vom
3. Juli 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I und II 1 bis 3)
Veröffentlichung: ja
____________________________________
Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Art und Weise einer
Vernehmung (im Anschluss an BGHSt 38, 214).
BGH, Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers T. R. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin H. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. R. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 10. Mai 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags an J. H. verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch. 3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt; von der Feststellung der besonderen Schuldschwere hat es abgesehen. Opfer der Taten waren seine Ehefrau G. H. und seine Tochter J. H. . Wegen des Totschlags an der Ehefrau hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von elf Jahren verhängt; den Totschlag an der Tochter hat es als besonders schweren Fall bewertet (§ 212 Abs. 2 StGB) und deswegen auf eine lebenslange Freiheitsstrafe erkannt.
2
Der Angeklagte wendet sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft greift das Urteil mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision - beschränkt - insoweit an, als der Angeklagte "bezüglich der Tötung seiner Tochter J. H. wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt" und "die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt" worden ist. Beide Rechtsmittel haben Erfolg. Allerdings führt die Revision der Staatsanwaltschaft entgegen ihrem Antrag auch zur Aufhebung der wegen der Tötung von J. H. verhängten Einzelstrafe und damit der Gesamtsstrafe.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 9. oder 10. Mai 2002 schlug der Angeklagte im gemeinsamen Wohnanwesen zunächst mehrmals mit großer Kraft einen schweren großflächigen Gegenstand gegen den Kopf seiner Ehefrau G. H. oder stieß - nach Eintritt der Bewusstlosigkeit - ihren Kopf mit großer Kraft gegen einen derartigen Gegenstand. G. H. erlitt drei Schädelbrüche, wobei eine der Frakturen auch durch den ungehemmten Aufprall des Kopfes infolge Bewusstlosigkeit verursacht worden sein kann. Anschließend tötete der Angeklagte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang seine Tochter J. H. auf eine nicht bekannte Weise. Weitere Einzelheiten des eigentlichen Tathergangs hat das Landgericht nicht feststellen können.
5
Nach den Taten versteckte er die Leichen in einem 30 Kilometer entfernt liegenden Wald, nachdem er ihre Extremitäten mit Paketklebeband fixiert und sie mit Folie und Textilien umwickelt hatte. Mehr als drei Jahre später, am 23. August 2005, wurden die beiden Leichen in skelettiertem Zustand entdeckt.

II.

6
Revision des Angeklagten:
7
Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg, die Kammer habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft die Zeugenaussagen des Angeklagten am 26. September und 13. November 2002 verwertet, obwohl er als Beschuldigter hätte vernommen und dementsprechend belehrt werden müssen (Verstoß gegen § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 StPO).
8
1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
9
Der Angeklagte zeigte am 13. Mai 2002 das Verschwinden von Ehefrau und Tochter an. Auf Grund dieser Vermisstenanzeige wurde zunächst lediglich bei der Polizei ein "Vermisstenvorgang" geführt. Der Angeklagte wurde am 13. Mai, 16. Mai, 12. August und 26. September 2002 von Polizeibeamten als Zeuge vernommen. Er wurde - nur - vor der Zeugenvernehmung am 26. September darauf hingewiesen, dass er "bei der Polizei … überhaupt nichts sagen" und jedenfalls "keine Angaben machen brauche(…), die … (ihn) belasten könnten". Bei den Vernehmungen äußerte sich der Angeklagte umfassend zur Sache. Am 4. Oktober 2002 legte die Polizei den Vorgang der Staatsanwaltschaft vor, die am 7. Oktober 2002 ein "Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts eines nichtnatürlichen Todesfalls" einleitete. Am 10. Oktober 2002 erfolgte eine Suchaktion mit Leichensuchhunden mit dem Einverständnis des Angeklagten auf seinem Grundstück einschließlich des Wohnhauses. Am 13. November 2002 sagte der Angeklagte bei der Polizei nochmals ergänzend als Zeuge zur Sache aus, ohne belehrt worden zu sein.
10
Als am 8. März 2003 ein Ledermäppchen mit Plastikkarten der Ehefrau in der Nähe des Anwesens des Angeklagten aufgefunden wurde, leitete die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. März 2003 gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes in zwei Fällen ein. Am 21. März 2003 wurde er als Beschuldigter vernommen; nach Beschuldigtenbelehrung, allerdings ohne dass auf die Nichtverwertbarkeit früherer Aussagen hingewiesen wurde (sog. qualifizierte Belehrung), machte er ergänzende Angaben zur Sache. Weil weitere Ermittlungen keine hinreichend sicheren Erkenntnisse über den Tod oder den Verbleib der beiden Frauen erbrachten, wurde das Verfahren am 3. Juni 2004 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
11
Nachdem die beiden Leichen - die der Ehefrau eingewickelt in einen aus dem gemeinsamen Haushalt stammenden Teppich - entdeckt worden waren, erging nach Wiederaufnahme der Ermittlungen am 26. August 2005 Haftbefehl gegen den Angeklagten, auf Grund dessen seit demselben Tag Untersuchungshaft gegen ihn vollzogen wird. Bei einer Beschuldigtenvernehmung am 29. August 2005 sagte der Angeklagte nach - nicht qualifizierter - Belehrung erneut ergänzend aus.
12
In der Hauptverhandlung, die am 27. Februar 2006 begann, machte der Angeklagte lediglich Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seinem Lebenslauf; zur Sache ließ er sich nicht ein. Die Verteidigung widersprach rechtzeitig der Verwertung der Aussagen des Angeklagten unter anderem vom 26. September und 13. November 2002, da der Angeklagte als Beschuldigter hätte belehrt werden müssen. Die Schwurgerichtskammer wies den Widerspruch zurück.
13
2. Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte bei den Zeugenaussagen vom 26. September und 13. November 2002 aus Sicht der Vernehmungsbeamten "längst" Beschuldigter gewesen sei. Im Zentrum des Revisionsvorbringens steht dabei die Vernehmung am 26. September 2002; die Beschul- digteneigenschaft ergebe sich hier aus den zuvor bei den Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen sowie aus dieser Vernehmung selbst.
14
Zur Zeit der Vernehmung seien die Ehefrau und die Tochter des Angeklagten schon mehr als viereinhalb Monate lang verschwunden gewesen. Von der Polizei eingeleitete umfangreiche Suchmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Nach den polizeilichen Erkenntnissen hätten die Vermissten keinen Kontakt zu Verwandten oder Freunden aufgenommen; auf dem Giro- und dem Kreditkartenkonto der Ehefrau seien keine Bewegungen zu verzeichnen gewesen.
15
Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt, aus denen hervorgehe , dass der Vernehmungsbeamte "nicht nur im Sinne eines subjektiven 'Gefühls'", sondern "auf der Grundlage des aktuellen Ermittlungsstands einerseits davon überzeugt war, dass G. und J. H. tot waren, und andererseits, dass der Angeklagte mit dem Tod der beiden 'in Zusammenhang' stand". Der Vernehmungsbeamte habe auch zum Ausdruck gebracht, dass er die Angaben des Angeklagten insbesondere insoweit für nicht glaubhaft halte, als dieser Erinnerungsdefizite für die Tage nach dem Verschwinden behauptet habe.
16
3. Die Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September und 13. November 2002 durch das Landgericht ist auf Grund der fehlenden Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO rechtsfehlerhaft. Denn der Angeklagte erlangte mit der Vernehmung am 26. September 2002 und mit der anschließenden Suchmaßnahme auf seinem Anwesen den Status eines Beschuldigten.
17
a) Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt subjektive und objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv - den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv - in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997, 1591; Rogall in SK-StPO 41. Lfg. vor § 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1 AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbesondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (BGHSt aaO). Dabei ist zwischen verschiedenen Ermittlungshandlungen wie folgt zu differenzieren :
18
Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen, die nur gegenüber dem Beschuldigten zulässig sind, sind Handlungen, die ohne weiteres auf den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde schließen lassen (Rogall aaO Rdn. 23). Aber auch Eingriffsmaßnahmen, die an einen Tatverdacht anknüpfen, begründen grundsätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der Maßnahme betroffenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen; so liegt die Beschuldigtenstellung des Verdächtigen auf der Hand, wenn eine Durchsuchung nach § 102 StPO dazu dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen (vgl. BGH NJW 1997, 1591, 1592; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 136 Rdn. 4). Anders liegt es bei Vernehmungen. Bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO ergibt sich, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeuge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Hanack aaO; Rogall aaO Rdn. 11; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklären ; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hinreichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Be- schuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
19
Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig von der objektiven Stärke des Tatverdachts - unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Verdachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächtigen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im Rahmen der gebotenen sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder lediglich auf kriminalistischer Erfahrung beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfolgungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214, 228; BGH NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67 [bei Becker]; 2004, 368; Beschl. vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03).
20
Andererseits kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zumal bei Tötungsdelikten - erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen, das erhebliche nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann.
21
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es zwar nicht zu beanstanden, dass Staatsanwaltschaft und Polizei die Verdachtslage dahingehend beurteil- ten, dass noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen ernsthaften Tatverdacht auf ein Tötungsdelikt des Angeklagten vorhanden waren (nachfolgend aa). Jedoch zeigten die Ermittlungsbeamten bei der Vernehmung am 26. September 2002 und danach ein Verhalten, aus welchem sich für den Angeklagten ergab, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten (nachfolgend bb).
22
aa) Nach der dienstlichen Stellungnahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 gingen Staatsanwaltschaft und Polizei bis zum Auffinden des Kartenmäppchens am 8. März 2003 - also bei sämtlichen Zeugenvernehmungen - davon aus, dass "noch keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten und ernsthaften Verdacht gegen den Angeklagten begründet hätten". Diese Beurteilung entsprach dem Stand der Ermittlungen. Denn die Erkenntnisse in dem Vermisstenfall erschöpften sich weitgehend darin, dass G. und J. H. schon längere Zeit - am 26. September 2002 seit mehr als viereinhalb Monaten - "spurlos" verschwunden waren. Dies gilt namentlich für die erfolglosen Suchaktionen, den ausbleibenden Kontakt zu Verwandten und Freunden sowie die fehlenden Kontenbewegungen. Auf der anderen Seite lagen Hinweise vor, die gegen einen Tatverdacht sprachen; so hatten sich etwa Personen bei der Polizei gemeldet, welche die Vermissten noch nach ihrem Verschwinden gesehen haben wollten.
23
Nach alledem durften die Vernehmungsbeamten zunächst davon ausgehen , dass keine gesicherten Erkenntnisse gegeben waren, die einen derart starken Tatverdacht gegen den Angeklagten begründeten, dass die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens von Rechts wegen geboten war. Den Strafverfolgungsbehörden fehlten hinreichende objektive Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt Straftaten vorlagen. Allein die Vorstellung, falls sich entsprechende Tatsachen herausstellen sollten, werde in erster Linie gegen den Angeklagten vor- gegangen, begründete nicht dessen Beschuldigtenstellung (vgl. in diesem Sinne BGHSt 49, 29, 31 f.).
24
bb) Neben der Stärke des Tatverdachts ist jedoch auch von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten nach außen, auch in der Wahrnehmung des Vernommenen darstellt. Hier folgt der Verfolgungswille aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen der Vernehmung am 26. September 2002 und der darauf folgenden Suchmaßnahme auf dem Anwesen des Angeklagten :
25
Eine - aus der Sicht des Angeklagten zu beurteilende - Gesamtschau aller relevanten Umstände ergibt, dass die Vernehmung vornehmlich dazu diente, den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Vernehmungsbeamte überzeugt zeigte, zu überführen. In der lediglich von kurzen Pausen unterbrochenen fast zehnstündigen Vernehmung ging es diesem erkennbar insbesondere darum, den Angeklagten mit Ungereimtheiten seines bisherigen Aussageverhaltens und zuletzt direkt mit dem Vorwurf von Tötungsverbrechen zu konfrontieren. Die Gestaltung der Vernehmung lässt erkennen, dass der Vernehmungsbeamte mittels kriminalistischer Taktik einen Tatnachweis ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis erleichtern wollte. Die Vernehmung war von Vorhalten und Fragen geprägt , die erkennbar auf "Schwachstellen" in den bisherigen Aussagen zielten und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hinwirkten:
26
So äußerte der Vernehmungsbeamte schon zu Beginn der Vernehmung, dass nach seiner Überzeugung G. und J. H. tot seien. Noch in einem frühen Stadium erklärte er weiterhin, dass der Angeklagte bereits aus der Belehrung, sich nicht selbst belasten zu müssen, erkennen könne, dass der Vernehmungsbeamte ihm "im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Frau und Kind … bis zu einem gewissen Grad Misstrauen entgegenbringe". Der Angeklagte bekundete beispielsweise, schon kurz nachdem Ehefrau und Tochter verschwunden gewesen seien, so "von der Rolle" gewesen zu sein, dass er nunmehr Erinnerungslücken habe, obwohl er zuvor ausgesagt hatte, die Ehe sei zerrüttet gewesen und seine Ehefrau habe schon früher unangekündigt auswärts übernachtet. Daraufhin äußerte der Vernehmungsbeamte, dass er dem Angeklagten insoweit nicht glaube ("ich glaube Ihnen kein Wort"); mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken wolle der Angeklagte "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte. Sodann stellte der Vernehmungsbeamte zwar ausdrücklich die vergleichsweise schwache Beweislage heraus, indem er sagte: "Gut, Herr H. , ich kann Ihnen natürlich nicht das Gegenteil (davon) beweisen , dass es bei Ihnen so war. Das kann ich natürlich nicht." Als der Angeklagte auf den nochmaligen Vorhalt, seine Angaben seien nicht glaubhaft, so dass sich die Frage stelle, was er "mit dem Verschwinden von der G. und der J. zu tun" habe, auf diesen Angaben beharrte, äußerte der Vernehmungsbeamte jedoch auch, dass der Angeklagte sich durch sein derzeitiges Aussageverhalten "nur noch verdächtiger" mache. Im weiteren Verlauf hielt der Vernehmungsbeamte - vor dem Hintergrund erheblicher Probleme des Angeklagten mit der Zeugungsfähigkeit - ihm vor, er könnte in einem Streitgespräch mit seiner Ehefrau erfahren haben, dass er nicht der Erzeuger seiner Tochter sei. Um diese den Angeklagten belastende Sachverhaltsvariante "in den Griff (zu) bekommen", forderte er die Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht, die der Angeklagte auch erteilte. Schließlich wurden die Vorhalte zunehmend eindringlicher (etwa: "Das Gewissen plagt Sie nicht?" oder "Dass Sie uns eventuell sagen, wo die Leichen sind!"). Zuletzt forderte der Vernehmungsbeamte noch die Zustimmung des Angeklagten zu einer Nachschau in seinem Haus und die Abgabe einer Speichelprobe für eine DNA-Analyse; mit beidem erklärte sich dieser einverstanden.
27
Wie bereits ausgeführt (vgl. oben II. 3. a), führen auf den Tatverdacht zielende Vorhalte und Fragen nicht notwendig dazu, dass der Vernommene als Beschuldigter zu belehren ist. Die Vorhalte und Fragen dienten hier jedoch für den Angeklagten erkennbar zum einen dazu, neue Ermittlungsansätze gegen ihn zu gewinnen (Schweigepflichtsentbindung; Nachschau im Haus; DNAAnalyse ) und ein Geständnis von ihm zu erlangen. Zum anderen wollte der Vernehmungsbeamte Widersprüche im Aussageverhalten des Angeklagten aufdecken. So deutet etwa der Vorhalt, der Angeklagte wolle mit der Geltendmachung von Erinnerungslücken "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte, darauf hin, dass es dem Vernehmungsbeamten zu diesem Zeitpunkt, sollte der Angeklagte - wunschgemäß - präzisere Angaben machen, insbesondere auch um die Aufdeckung derartiger Widersprüche zum Zweck eines Tatnachweises ging. Entgegen der bereits erwähnten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 erfolgte somit die Befragung erkennbar gerade nicht vor dem Hintergrund , "dass ein Angehöriger bei einem Vermisstenfall zu den Umständen des Verschwindens unwahre oder unvollständige Angaben macht, die nichts mit der Verheimlichung eines von ihm selbst begangenen Tötungsdelikt zu tun haben". Unter Berücksichtigung aller Umstände war dieses Vorgehen daher im vorliegenden Fall mit einer Vernehmung des Angeklagten als Zeugen nicht mehr zu vereinbaren.
28
Der Wille der Strafverfolgungsbehörden, gegen den Angeklagten als Beschuldigten vorzugehen, ergibt sich weiterhin aus der Suchmaßnahme kurze Zeit später, zu der der Angeklagte bei der Vernehmung sein Einverständnis erteilt hatte. Am 10. Oktober 2002, noch vor der Vernehmung am 13. November 2002, suchten Ermittlungsbeamte das Anwesen des Angeklagten einschließlich des Wohnhauses mit Leichensuchhunden ab. Der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zufolge sollte die Maßnahme "der Klärung der Frage (dienen), ob die Vermissten eventuell - auf welche Weise auch immer - in dem Anwesen selbst zu Tode gekommen sein könnten". Diese Maßnahme bezweckte daher die Überführung des Angeklagten. Hätte sie nämlich Erfolg gehabt, wären also auf dem Anwesen Leichen oder Leichenteile oder sonstige Hinweise dafür gefunden worden, dass die Vermissten dort zu Tode gekommen sein könnten, wären alle anderen Möglichkeiten als vom Angeklagten begangene Tötungsdelikte kaum ernsthaft in Betracht gekommen. Dies gilt unabhängig davon, ob und wie viele andere Suchaktionen nach dem Verschwinden von G. und J. H. erfolgten. Die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft, dass die Suchmaßnahme am 10. Oktober 2002 "im Erfolgsfall (erst) zu einem Anfangsverdacht (hätte) führen können", ist deshalb nicht vertretbar.
29
c) Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO wurde nicht dadurch geheilt, dass der Angeklagte am 21. März 2003 und 29. August 2005 nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbelehrung erneut Angaben machte. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, ob und inwieweit auch ohne Hinweis auf die Nichtverwertbarkeit der früheren Angaben (sog. qualifizierte Belehrung) eine Heilung der vorausgegangenen fehlerhaften Belehrung in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte die Angaben - pauschal - bestätigt (insoweit offen gelassen von BGHSt 47, 172, 175). Denn die Aussagen vom 21. März 2003 und 29. August 2005 waren nur ergänzender Natur; der Angeklagte bestätigte seine früheren Angaben indessen nicht.
30
d) Da die Verteidigung der Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September und 13. November 2002 rechtzeitig widersprochen hat, zog der Verstoß gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung das Verbot einer Verwertung dieser Aussagen zu Beweiszwecken nach sich (st. Rspr. seit BGHSt 38, 214). Allein die Belehrung des Angeklagten dahingehend, bei der Polizei überhaupt nichts sagen zu müssen, und gemäß § 55 Abs. 2, § 163a Abs. 5 StPO dahingehend, jedenfalls keine Angaben machen zu müssen, die ihn belasten könnten, kann in aller Regel die gebotene Belehrung über das vollumfängliche Aussageverweigerungsrecht nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass diese Belehrungen - anders als die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - keinen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation enthielten (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGHSt 47, 172, 174).
31
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht anders entschieden hätte, wenn es nicht sämtliche Aussagen des Angeklagten in diesem Verfahren für verwertbar gehalten hätte. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld unter anderem darauf gestützt hat, dass das Verhalten des Angeklagten nach dem Verschwinden der Opfer nicht nachvollziehbar sei und seine Angaben in dem Verfahren vage und widersprüchlich gewesen oder widerlegt worden seien, hat es nämlich maßgebend auf die Vernehmung am 26. September 2002 Bezug genommen.
32
5. Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils. Die Sachbeschwerde kann daher auf sich beruhen. Der Senat bemerkt jedoch, dass die Möglichkeit einer nur fahrlässigen Tötung von J. H. , deren ausdrückliche Erörterung die Revision des Angeklagten vermisst, nach der Gesamtschau der Urteilsgründe nicht nahe liegend erscheint.

III.

33
Revision der Staatsanwaltschaft:
34
Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Schwurgerichtskammer das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht hinsichtlich der Tötung von J. H. verneint hat.
35
1. Dass der Angeklagte seine Tochter nicht in der Absicht tötete, den vorausgegangenen Totschlag an seiner Ehefrau zu verdecken, hat das Landgericht auf zwei - teilweise ineinander greifende - Erwägungen gestützt:
36
a) Zum einen geht es davon aus, die Verdeckungsabsicht hätte hier "zumindest eine gewisse Zeitspanne zwischen der Tötung beider Opfer" vorausgesetzt , "in der sich der Angeklagte unter Abwägung des Für und Wider zur Begehung der weiteren Tat" entschieden hätte. "Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten eine ausreichende Zeitspanne für derartige Überlegungen blieb", bestünden aber nicht. Vielmehr sei möglich, dass er sich "in Bruchteilen einer Sekunde" auch zur Tötung seiner Tochter entschlossen habe.
37
b) Zum anderen könne - unabhängig davon - ein sogenannter "Affektübersprung" nicht ausgeschlossen werden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei jedenfalls möglich, dass J. H. während einer heftigen ehelichen Auseinandersetzung anwesend und in diese involviert gewesen sein könnte. Weil sie um die Vorlieben des Angeklagten für pornographische Darstellungen im Internet wusste, sei es dann nahe liegend, dass sie in der für sie extrem belastenden Situation ihre Eltern mit diesem Wissen konfrontiert, sich erstmals in außergewöhnlicher Weise gegen den Vater aufgelehnt und für ihre Mutter Partei ergriffen habe. Möglich sei aber auch, dass sie - mit der Gewalttat des Vaters gegenüber der Mutter konfrontiert - geschrieen und geweint sowie eventuell neben ihrer Angst auch ihre Abscheu gegenüber dessen Verhalten zum Ausdruck gebracht habe. Vor diesem Hintergrund käme ein "Affektübersprung" in Betracht, obwohl der psychiatrische Sachverständige dies unter Hinweis auf den Altersunterschied des Opfers zum Angeklagten für fern liegend erachtet habe. Ein derartiger "Affektübersprung" hätte darauf beruhen können, dass dieser seine Tochter "gleichsam als eine weitere, mit seiner ihn zutiefst kränkenden Ehefrau verbündete ('ebenbürtige') 'Gegnerin' angesehen haben" könnte.
38
2. Schon für sich gesehen hält keine dieser Erwägungen sachlichrechtlicher Überprüfung stand; auf die Frage eines Zusammenspiels der Erwägungen kann es daher nicht ankommen. Die Ausführungen zu den rechtlichen Voraussetzungen der Verdeckungsabsicht zeigen, dass die Kammer insoweit von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist (nachfolgend a). Soweit die Kammer annimmt, ein "Affektübersprung" könne nicht ausgeschlossen werden , ist die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern (nachfolgend b).
39
a) Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kann auch bei einem in einer unvorhergesehenen Augenblickssituation spontan gefassten Tötungsentschluss gegeben sein. Die Absicht zur Verdeckung einer anderen Tat erfordert keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über die eigenen Ziele. Vielmehr genügt es, dass er die "Verdeckungslage" gleichsam "auf einen Blick" erfasst (vgl. BGHSt 35, 116; BGH NJW 1999, 1039, 1041; Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 184 ff.; zu dem insoweit gleich zu behandelnden Ausnutzungsbewusstsein beim Mordmerkmal der Heimtücke vgl. Senat NStZ-RR 2005, 264, 265), wobei in der Regel ein vorhandenes gedankliches Mitbewusstsein ausreicht (BGH NJW aaO). Die Auffassung, der Annahme von Verdeckungsabsicht stünde entgegen, dass sich der Angeklagte angesichts der Reaktion seiner Tochter "in Bruchteilen einer Sekunde" auch zu ihrer Tö- tung entschlossen haben könnte, belegt, dass die Kammer von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist.
40
b) Der aufgezeigte Mangel wäre im Ergebnis unerheblich, wenn infolge des - von der Kammer als nicht ausschließbar angenommenen - "Affektübersprungs" dem Angeklagten das (gedankliche Mit-)Bewusstsein gefehlt hätte, dass die Tötung seiner Tochter die Aufklärung der Tötung der Ehefrau erschwert , und er nicht in diesem Sinne zielgerichtet gehandelt hätte. Jedoch hält die dieser Annahme zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand.
41
Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ein Urteil ist jedoch aufzuheben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt; ferner dann, wenn der Tatrichter an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. nur Senat NJW 2002, 2188, 2189; 2006, 1297, 1298; NStZ-RR 2003, 371 LS; 2005, 147 f.).
42
Gegen die Feststellungen zur Tötungsreihenfolge und zur affektbedingten Enthemmung des Angeklagten ist - im Ausgangspunkt - revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Basierend auf einer - noch - tragfähigen Tatsachengrundlage hat die Kammer insoweit namentlich aus dem Zustand der Ehe und dem Verhältnis des Angeklagten zu seiner Tochter sowie den Persönlichkeiten der Eheleute unter Berücksichtigung der hinsichtlich G. H. festgestellten Tötungshandlungen mögliche Schlüsse gezogen; zwingend brauchen diese nicht zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 21. Februar 2006 - 1 StR 456/05 m.w.N.).
43
Die Beweiswürdigung zu einem die Verdeckungsabsicht ausschließenden "Affektübersprung" ist jedoch lückenhaft (nachfolgend aa) und lässt besorgen , dass das Landgericht an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (nachfolgend bb).
44
aa) Im Zusammenhang mit dem "Affektübersprung" ist lediglich angeführt , dass dieser "in Unkenntnis des tatsächlichen Verlaufs und der (etwaigen) Heftigkeit des Ehestreits nicht sicher auszuschließen" sei; auch der "befriedigende" Geschlechtsverkehr, den der Angeklagte erstmals in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai 2002 mit D. hatte, spreche nicht dagegen.
45
Demgegenüber bleiben die gegen eine derart starke affektive Erregung sprechenden Umstände unerörtert. Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ist die Kammer nämlich "zu der Überzeugung gelangt, dass weder die Persönlichkeit des Angeklagten noch die sich aus der Ehesituation möglicherweise ergebenden Konfliktlagen noch besondere tatnahe Umstände und Verhaltensweisen" für eine durch die affektive Belastung hervorgerufenen Bewusstseinsstörung im Sinne von § 21 StGB sprächen. Zudem fehlten sogenannte "konstellative Faktoren" wie etwa der Konsum von Alkohol. Insbesondere sei aber das Nachtatverhalten zu würdigen; neben dem Geschlechtsverkehr führt das Urteil in diesem Zusammenhang die gezielte Beseitigung von Tatspuren, das unauffällige Verhalten bei Kontakt mit Dritten im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Taten sowie die gekonnte Darstellung eines Vermisstenfalls an. Hieraus schließt die Kammer auf "eine (beim Angeklagten) zum Tatzeitpunkt vollständig vorhandene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit".
46
All diese Umstände können jedoch auch für den vom Landgericht als nicht ausschließbar erachteten "Affektübersprung" relevant sein, ohne dass sie in diesem Zusammenhang allerdings erörtert sind. Dies wäre jedoch geboten gewesen, nachdem das Landgericht dem Zustand affektiver Erregung für die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht entscheidende Bedeutung beimisst.
47
bb) Darüber hinaus lassen die Ausführungen im Urteil auch besorgen, dass die Kammer überspannte Anforderungen an die Feststellung gestellt hat, der Angeklagte habe J. H. mit Verdeckungsabsicht getötet. Insbesondere gebietet der Zweifelssatz nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten - auch hinsichtlich innerer Tatsachen - zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 11. Juli 2006 - 1 StR 188/06 m.w.N.). Das Urteil nennt weder im Zusammenhang mit der Verdeckungsabsicht noch an anderer Stelle Anhaltspunkte, die konkret darauf hinweisen könnten, der Zustand affektiver Erregung habe die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tötung von J. H. völlig dominieren können. Das Urteil führt sogar an, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen ein "Affektübersprung" auf Grund des Altersunterschieds zwischen dem Angeklagten und seiner Tochter fern liege. Die Kammer hat sich offensichtlich dieser Wertung angeschlossen; jedenfalls ist Gegenteiliges nicht angeführt. Gleichwohl hat sie sich daran gehindert gesehen, einen solchen "Affektübersprung … sicher" auszuschließen. Dies lässt besorgen , dass sie für die Überzeugungsbildung von der Notwendigkeit einer jede denktheoretische Möglichkeit ausschließenden, von niemandem mehr anzweifelbaren Gewissheit ausgegangen ist (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4 m.w.N.).
48
Hinsichtlich der Auswirkung einer affektiven Erregung auf das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht ist - zumal bei uneingeschränkter Schuldfähigkeit - auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung ohnehin bei den meisten Tötungsdelikten den Normalfall darstellt (BGH NStZ-RR 2003, 8) und für Verdeckungstötungen sogar typisch ist (vgl. BGH NJW 1999, 1039, 1041). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein solcher Erregungszustand dementsprechend im Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsabsicht (vgl. BGH NJW aaO; Urt. vom 15. Januar 2004 - 3 StR 382/03; zusammenfassend Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 187).
49
3. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags an J. H. auf die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der deswegen verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe sowie der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt zugleich die Grundlage für den Strafausspruch. Eine Aufrechterhaltung der wegen der Tötung von J. H. von der Schwurgerichtskammer gemäß § 212 Abs. 2 StGB verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe und der dementsprechenden Gesamtfreiheitsstrafe bei gleichzeitiger Aufhebung des zu Grunde liegenden Schuldspruchs ist nicht möglich (in vergleichbarem Sinne BGHR StPO § 267 Abs. 2 Schuldfähigkeit 1). Ist aber die lebenslange (Gesamt-)Freiheitsstrafe aufzuheben, so ist für die Prüfung der Frage, ob die Kammer zu Recht von der Feststellung besonderer Schuldschwere (§ 57a StGB) abgesehen hat, kein Raum mehr.

IV.

50
Der Senat macht - entsprechend auch den übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung und Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhandlung - von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.

V.

51
Die Revision des Angeklagten hat die Frage aufgeworfen, ob für die Aussagen des Angeklagten bei den Beschuldigtenvernehmungen am 21. März 2003 und 29. August 2005 mangels qualifizierter Belehrungen ein Beweisverwertungsverbot besteht. Diese Frage hätte vor allem dann Gewicht, wenn es aus der Sicht des neuen Tatrichters wiederum auf den Inhalt der in Rede stehenden Aussagen ankommen sollte.
52
1. Eine qualifizierte Belehrung dient in erster Linie der Heilung von Verstößen gegen Belehrungspflichten. War nämlich der Vernommene rechtsfehlerhaft nicht als Beschuldigter belehrt worden und erfolgt bei einer späteren Beschuldigtenvernehmung auch ein Hinweis auf die Unverwertbarkeit seiner früheren Aussage, ist diese frühere Aussage gleichwohl verwertbar, soweit er sie nach dem Hinweis - gegebenenfalls pauschal - bestätigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 136 Rdn. 9).
53
2. Dies beantwortet für sich genommen nicht die Frage, ob die nach - allerdings nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung gemachten Aussagen verwertbar sind.
54
a) Ist ein Beschuldigter gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt, nicht jedoch über die Unverwertbarkeit früherer Aussagen, so hat der Verstoß hinsichtlich der anschließenden Aussage jedenfalls kein Gewicht, das dem Gewicht eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entspräche. Wie der Bundesgerichtshof bereits im Zusammenhang mit anderen in ihrem Gewicht hinter einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurückbleibenden Fehlern der Vernehmenden bei Beschuldigtenvernehmungen entschieden hat, ist dann die Verwertbarkeit der Aussage durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (vgl. BGHSt 42, 170, 174; NStZ 2006, 236, 237; NStZ-RR 2006, 181, 182 f.). All dies gilt hier entsprechend.
55
b) Bei einer solchen Abwägung wäre insbesondere von Bedeutung, wie gravierend der Verfahrensverstoß war, ob er also in bewusster oder willkürlicher Umgehung der Belehrungspflichten erfolgte, wofür hier nichts spricht (vgl. auch oben II. 3. b. aa). Auf der anderen Seite wäre das Interesse an der Sachaufklärung einzustellen, das von dem - hier massiven - Gewicht der Tat abhängt. Die Annahme eines Verwertungsverbots ist nach alledem - jedenfalls auf der Grundlage der bisher erkennbaren Umstände - fern liegend. VRiBGH Nack ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Wahl Wahl Boetticher Kolz Graf