Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15

bei uns veröffentlicht am05.11.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 364/15
vom
5. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. November 2015
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 13. Mai 2015 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis: Das Landgericht hat seine Kompensationsentscheidung nicht tragfähig begründet. In den Urteilsgründen ist lediglich ausgeführt, dass „es bereits im Ermittlungsverfahren, aber auch nach Anklageerhebung zu vermeidbaren Ver- zögerungen gekommen“ sei, weshalb als Kompensation fürdie hierin liegende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zwei Jahre und sechs Monate der als tat- und schuldangemessen angesehenen Freiheitsstrafe von sechs Jahren für vollstreckt zu erklären seien. Dies genügt den insoweit bestehenden Darlegungsanforderungen nicht. Der Tatrichter ist verpflichtet, Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen (Senat, Urteil vom 23. Oktober 2013 – 2 StR 392/13, NStZ-RR 2014, 21). Das Revisionsgericht muss anhand der Ausführungen in den Urteilsgründen jedenfalls im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung nachvollziehen können, ob die festgestellten Umstände die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK tragen, und ob sich die Kompensationsentscheidung innerhalb des dem Tatrichter insoweit eröffneten Bewertungsspielraums hält (Senat , a.a.O.). Der Senat vermag anhand der Urteilsgründe bereits nicht nachzuvollziehen , von welchem konkreten Ausmaß der Verfahrensverzögerung der Tatrichter ausgegangen ist. Zwar liegt die Annahme einer Verfahrensverzögerung nahe, nachdem Anklage wegen der am 3. Dezember 2009 begangenen Tat erst am 14. April 2013 erhoben worden ist und deren Zulassung wegen vordringlicher Haftsachen erst am 4. März 2015 erfolgt ist. Der konkrete Umfang der Verfahrensverzögerung bleibt jedoch offen, zumal der Tatrichter immerhin auch er- wähnt, dass sich die Ermittlungen „nicht einfach“ gestalteten. Darüber hinaus erschließt sich nicht, aufgrund welcher Umstände der Tatrichter es für angemessen erachtet hat, das Maß der Kompensation auf zwei Jahre und sechs Monate zu bemessen. Die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ist nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalls grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2015 – 4 StR 391/14, wistra 2015, 241).
Der Senat schließt hier jedoch aus, dass der Angeklagte durch einen möglichen Rechtsfehler beschwert sein könnte. Appl Krehl Eschelbach Ott Bartel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric
Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 23. Okt. 2013 - 2 StR 392/13

bei uns veröffentlicht am 23.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 392/13 vom 23. Oktober 2013 in der Strafsache gegen wegen schwerer Körperverletzung u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Oktober 2013, an der teilgenommen haben

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Feb. 2015 - 4 StR 391/14

bei uns veröffentlicht am 12.02.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR391/14 vom 12. Februar 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Raub Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Februar 2015 gemäß §
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 364/15.

Landgericht Kiel Urteil, 16. März 2016 - 5 KLs 4/12

bei uns veröffentlicht am 16.03.2016

Tenor Der Angeklagte wird wegen Bestechlichkeit in 77 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verurteilt. Wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung gelten drei Monate als

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 392/13
vom
23. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 18. Februar 2013 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Strafe zehn Monate als vollstreckt gelten. Die Staatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Revision die umfassende Aufhebung des Urteils und erhebt mit einer Verfahrensrüge und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts Einwendungen gegen die Entscheidung über die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich in ihrer Revisionsbegründung der Sache nach allein gegen die Kompensationsentscheidung des Landgerichts, die grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 2 StR 563/10). Trotz des umfassenden Aufhebungsantrags ist die Revision daher auf die Kompensationsentscheidung beschränkt. Dem steht hier nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft auch die vom Landgericht festgestellten besonderen Belastungen der Angeklagten durch das Verfahren beanstandet, die auch für den Strafausspruch relevant sein können; denn das Landgericht hat diesen Gesichtspunkt nicht bei der Strafzumessung, sondern nur bei der Höhe der Kompensation berücksichtigt, und die Revision wendet sich auch nur in diesem rechtlichen Zusammenhang gegen das Urteil des Landgerichts.
3
2. Das Landgericht begründet seinen Kompensationsausspruch wie folgt: Gemessen an Umfang, Bedeutung und Schwierigkeit der Sache sei das Verfahren nach Beginn des Ermittlungsverfahrens im Juli 2009 bis zur Verurteilung für einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren und neun Monaten aufgrund in der Sphäre der Strafverfolgungsbehörden liegender Verzögerungen nicht angemessen gefördert worden. So habe nach Erhebung der Anklage im Dezember 2009 im Zwischenverfahren durch die Kammer zunächst ein ergänzendes kinderneurologisches Gutachten in Auftrag gegeben werden müssen, das aufgrund weiterer Verzögerungen infolge Verhinderung und daraufhin erforderlich werdender Auswechslung des bestellten Sachverständigen erst im Mai 2010 bei Gericht eingegangen sei. Dies habe zur Folge gehabt, dass das Verfahren nicht mehr zeitnah habe weiterbetrieben werden können, da in der Zwischenzeit umfangreiche Haftsachen eingegangen seien, aufgrund derer die Kammer für die nächsten Jahre übermäßig belastet gewesen sei. Wäre das ergänzende Gutachten schon durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren in Auftrag gegeben worden, wäre es nicht zu den beschriebenen Verzögerungen gekommen , so dass das Verfahren noch vor Eingang der zur Überlastung der Kammer führenden anderweitigen Haftsachen hätte terminiert werden können. Trotz der offenkundigen Erforderlichkeit eines entsprechenden Gutachtens habe die Staatsanwaltschaft dessen Einholung zuvor im Ermittlungsverfahren unter Hinweis auf das zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende rechtsmedizinische Gutachten der Sachverständigen Dr. N. , die nach ihrer eigenen Einschät- zung in der Hauptverhandlung in dem relevanten Bereich der Neuropädiatrie und Neonatologie nur über eine begrenzte Sachkunde verfüge, voreilig abgelehnt , obwohl der Verteidiger die Einholung eines solchen Gutachtens noch vor Abschluss der Ermittlungen bereits frühzeitig zu Recht angeregt habe. Abgesehen von der Eröffnungsentscheidung im September 2012 habe dann seit Eingang des neuropädiatrischen Gutachtens aufgrund der dauerhaften Überlastung der Strafkammer keine weitere Förderung des Verfahrens mehr stattgefunden.
4
Für die psychisch ohnehin äußerst instabile Angeklagte sei das Andauern des schwebenden Verfahrens gerade im Hinblick auf ihre persönliche Situation in besonderem Maße belastend gewesen. Aufgrund der Schwere des Tatvorwurfs habe sie auch nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft über einen entsprechenden Zeitraum mit der Möglichkeit einer Verurteilung zu einer empfindlichen Haftstrafe und einer erneuten Inhaftierung rechnen müssen. Hinzu komme, dass ihre Kinder seit der Tat und der anschließenden Untersuchungshaft nicht mehr bei ihr lebten und sie zu ihnen, obwohl sie sich eine engere Beziehung wünsche, nur noch eine eingeschränkte Verbindung habe. Diese Umstände erschwerten der ohnehin unter Depressionen leidenden Angeklagten während der Dauer des schwebenden Verfahrens die Schaffung einer langfristigen Lebensperspektive erheblich.
5
Angesichts des Umfangs der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, des Maßes des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie der konkreten Auswirkungen all dessen auf die Angeklagte seien zur Kompensation zehn Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt zu erklären.
6
3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
7
a) Soweit die Revision mit der Verfahrensrüge geltend macht, dass die Darlegungen des Landgerichts zur Verzögerung des Verfahrens durch die Nichteinholung eines kinderneurologischen Gutachtens im Ermittlungsverfahren nicht die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und neun Monaten tragen, ist diese nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die Staatsanwaltschaft hat es versäumt, den Inhalt der in der Revisionsbegründungsschrift erwähnten rechtsmedizinischen Gutachten der Sachverständigen Dr. N. und Dr. A. mitzuteilen. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um dem Senat eine Prüfung der Verfahrensrüge zu ermöglichen. Der Inhalt der Gutachten konnte von erheblicher Bedeutung für die Beurteilung der Frage sein, ob die Nichteinholung eines ergänzenden kinderneurologischen Gutachtens bereits im Ermittlungsverfahren eine von der Justiz zu verantwortende Verfahrensverzögerung verursacht hat und der insoweit verstrichene Zeitraum vom Landgericht zu Recht bei seiner Kompensationsentscheidung berücksichtigt wurde.
8
Damit kann die Revision auch sachlich-rechtlich nicht mit der im Kern identischen Beanstandung gehört werden, die Urteilsgründe ließen nicht erkennen , welche konkreten Umstände der Staatsanwaltschaft zu welchem Zeitpunkt bereits vor der Erhebung der Anklage hätten Anlass geben müssen, ein die bereits vorliegenden Gutachten ergänzendes kinderneurologisches Gutachten in Auftrag zu geben. Für die revisionsgerichtliche Prüfung, ob im Einzelfall eine Art. 6 Absatz 1 Satz 1 EMRK verletzende Verfahrensverzögerung vorliegt, ist grundsätzlich eine Verfahrensrüge erforderlich (BGHSt 49, 342, 344). Diese ist gleichermaßen zu erheben, wenn ein Angeklagter beanstandet, Art, Ausmaß und Umstände einer angenommenen Verzögerung seien zu seinen Lasten nicht oder nicht genügend festgestellt (vgl. BGH, NStZ 2004, 504 zu einer Revision des Angeklagten). Nichts anderes kann aber gelten, wenn die Staatsanwaltschaft - wie hier - zu Ungunsten einer Angeklagten geltend macht, der Kom- pensationsausspruch halte sich nicht innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Beurteilungsspielraums, weil Tatsachen, aus denen sich die vom Landgericht angenommene Verzögerung ergibt, nicht hinreichend dargelegt seien. Dies hat zur Folge, dass die Beschwerdeführerin nicht mit der Sachrüge die Nichterörterung von Umständen im Urteil beanstanden kann, die von ihr für eine zulässige Verfahrensrüge im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hätten vorgetragen werden müssen.
9
b) Auch im Übrigen lässt die Überprüfung des Kompensationsausspruches auf die Sachrüge Rechtsfehler nicht erkennen. Der Tatrichter hat zwar Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen (BGHSt 52, 124, 146). Der sachlich-rechtlich zu fordernde Erörterungsbedarf darf jedoch mit Rücksicht auf die vielen denkbaren Verfahrensvorgänge , die für die Entscheidung eine Rolle spielen können, nicht überspannt werden (vgl. BGHSt 49, 342, 344). Es reicht deshalb aus, wenn das Revisionsgericht anhand der Ausführungen im Urteil im Sinne einer Schlüssigkeitsprüfung nachvollziehen kann, ob die festgestellten Umstände die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK tragen und sich die Kompensationsentscheidung innerhalb des dem Tatrichter insoweit eingeräumten Bewertungsspielraums hält (vgl. BGH StV 2010, 228, 230 f.). Diesen Anforderungen genügt das landgerichtliche Urteil. Die Strafkammer legt den Umfang der nach ihrer Auffassung von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden Verzögerung mit zwei Jahren und neun Monaten für das Revisionsgericht nachvollziehbar dar und zeigt in ausreichendem Maße die besonderen Belastungen auf, denen die Angeklagte durch das Verfahren ausgesetzt war.
10
Soweit die Revision und der Generalbundesanwalt geltend machen, dass - was zutrifft - der für die gerichtliche Prüfung und Zustellung sowie die Durch- führung des Zwischenverfahrens einschließlich der Vorbereitung der Eröffnungsentscheidung erforderliche Zeitraum nicht als Verfahrensverzögerung gewertet werden könne, ergibt sich aus den Urteilsgründen noch hinreichend (UA S. 38), dass das Verfahren ohne die beschriebenen Verzögerungen noch vor Eingang der die spätere Terminierung hindernden Haftsachen hätte terminiert werden können, mithin zwei Jahre neun Monate vor dem tatsächlichen Hauptverhandlungsbeginn im Januar 2013. Dieser Zeitraum entspricht der vom Landgericht zugrunde gelegten Verzögerung.
11
Schließlich sind auch die Feststellungen der Strafkammer zu den besonderen Belastungen der Angeklagten durch das Verfahren nicht zu beanstanden. Aus der Begründung der Kompensationsentscheidung in Verbindung mit den Feststellungen zum Werdegang der Angeklagten nach der Tat sowie ihren gegenwärtigen Lebensverhältnissen ergibt sich, dass das Landgericht insoweit vor allem auf die Sorge der ohnehin psychisch sehr labilen Angeklagten abgestellt hat, eine Verurteilung zu einer empfindlichen Haftstrafe könne die trotz der Tat nach ihrer Haftentlassung in kleinen Schritten zumindest teilweise wieder mühsam aufgebaute Beziehung zu ihren beiden Kindern wieder zerstören. Eine besondere Belastung der Angeklagten durch die von der Justiz zu verantwortende Verzögerung des Verfahrens ist damit ohne Rechtsfehler dargetan. Mit Rücksicht darauf hält sich auch der als vollstreckt zuerkannte Zeitraum von zehn Monaten noch innerhalb des dem Landgericht zustehenden Beurteilungsspielraums. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR391/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Raub
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Februar 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 26. November 2012 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Freiheitsstrafe drei Monate als vollstreckt gelten. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. November 2012 wegen Beihilfe zum Raub zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
2
Die Revision, mit der der Angeklagte allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, erzielt lediglich wegen einer nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetretenen Verfahrensverzögerung einen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Das Verfahren ist nach Erlass des angefochtenen Urteils unter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zunächst dadurch in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden, dass die Originalakten seit dem 22. März 2013 in Verlust geraten sind und erst im Juni/Juli 2014 teilweise rekonstruiert werden konnten , nachdem der Verteidiger sich nach dem Stand des Revisionsverfahrens erkundigt hatte. Nach Begründung der Revision durch den Verteidiger mit Schriftsatz vom 4. Februar 2013 hätten die Akten dem Generalbundesanwalt bei ordnungsgemäßem Verfahrensgang alsbald danach vorgelegt werden müssen. Tatsächlich sind die Akten dort erst am 25. August 2014 eingegangen. Nachdem auf Veranlassung des Generalbundesanwalts weitere, für die Durchführung des Revisionsverfahrens notwendige Unterlagen beim Landgericht und bei der Staatsanwaltschaft beschafft worden waren, konnten die Akten dem Bundesgerichtshof schließlich am 4. Dezember 2014 vorgelegt werden. Dadurch hat sich nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist insgesamt eine Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren ergeben, die auf die Sachrüge hin von Amts wegen zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Juni 2009 – 3 StR 173/09, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 20 mwN).
4
2. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Kompensation nicht mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen, sondern hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu betragen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 – 4 StR 643/10, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 41 mwN). In Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift vom 16. Januar 2015 erscheint dem Senat im vorliegenden Fall eine Kompensation von drei Monaten angesichts der insgesamt eingetretenen Verzögerung von etwa eineinhalb Jahren als angemessen. Diese Kompensation kann der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO selbst aussprechen (BGH, Beschluss vom 6. März 2008 – 3 StR 376/07, NStZ-RR 2008, 208, 209; Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 302/11, NStZ 2012, 320, 321).
5
b) Eine neben die Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung tretende Berücksichtigung der seit Tatbegehung vergangenen Zeit bei der Strafzumessung und infolgedessen die Aufhebung des Strafausspruchs ist mit Blick auf die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und die getroffene Bewährungsentscheidung nicht geboten, zumal sich der Angeklagte , soweit aus den teilrekonstruierten Sachakten ersichtlich, nicht in Untersuchungshaft befand.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin