Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2018 - 2 StR 71/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:110418B2STR71.18.0
bei uns veröffentlicht am11.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 71/18
vom
11. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a.
ECLI:DE:BGH:2018:110418B2STR71.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 11. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 19. Oktober 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei tateinheitlich zusammenfallenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
3. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Annahme der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten begründet hat, sind nicht rechtsfehlerfrei.
5
a) Das Landgericht ist, sachverständig beraten, davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung aus dissozialer , narzisstischer Störung einerseits und emotional instabiler Persönlichkeit (Borderline) andererseits bestehe. Der Angeklagte lebe nach dem „Motto“ „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, was unter anderem auch aus seinem Verhalten im Prozess (Behauptung einer „gefälschten Auskunft der Bezirksregierung“ , „unfähigen/inkompetenten DNA-Sachverständigen“) hervorgegangen sei. Diese Persönlichkeitsstörung erreiche auch in ihrer Schwere einen Grad, der geeignet sei, die Voraussetzungen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zu erfüllen. Allerdings habe sich diese Persönlichkeitsstörung – wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt habe – nicht in der Tat niedergeschlagen. Gegen die Aufhebung oder Einschränkung der Steuerungsfähigkeit spreche ganz erheblich der Ablauf der Tat. Der Angeklagte habe aus Tätersicht logisch gehandelt und sei jederzeit in der Lage gewesen, auf äußere Impulse zu reagieren.
6
b) Diese Ausführungen der Strafkammer begegnen durchgreifenden Bedenken. Die Feststellung des Landgerichts, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei uneingeschränkt vorhanden gewesen, ist nicht tragfähig belegt.
7
aa) Eine Persönlichkeitsstörung kann die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nur dann begründen, wenn sie, wie das Landgericht nicht verkannt hat, Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie eine krankhafte seelische Störung. Als Gründe für die Einstufung einer Persönlichkeitsstörung als „schwere andere seelische Abartigkeit“ kommen erhebliche Auffälligkeiten der affektiven Ansprechbarkeit bzw. der Affektregulation, der Einengung der Lebensführung bzw. Stereotypisierung des Verhaltens, die durchgängige oder wiederholte Beeinträchtigung der Beziehungsgestaltung und der psychosozialen Leistungsfähigkeit durch affektive Auffälligkeiten , Verhaltensprobleme sowie unflexible, unangepasste Denkstile, die durchgehende Störung des Selbstwertgefühls oder die deutliche Schwäche von Abwehr- und Realitätsprüfungsmechanismen in Betracht (Müller/Nedopil, Forensische Psychiatrie, 5. Aufl., S. 233; Konrad/Rasch, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 381 f.). Handelt es sich, wie bei der hier diagnostizierten kombinierten Persönlichkeitsstörung, um ein eher unspezifisches Störungsbild, wird der Grad einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ regelmäßig erst dann erreicht, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14; NStZ-RR 2015, 137 mwN; Beschluss vom 27. Januar 2017 – 1 StR 532/16, NStZ-RR 2017, 176, 177).
8
bb) Den Urteilsgründen kann, auch in ihrer Gesamtheit, nicht entnommen werden, welche forensisch relevanten Symptome einer Persönlichkeitsstörung die Strafkammer ihrer Gesamtschau bei der Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zu Grunde gelegt hat, und wie sich diese Auffälligkeiten bei der konkreten Tatausführung ausgewirkt haben. Hierauf kommt es jedoch entscheidend an; denn der Begriff der kombinierten Persönlichkeitsstörung aus dissozialer, narzisstischer Störung einerseits und emotional instabiler Persön- lichkeit (Borderline) andererseits besagt für sich genommen wenig. Gerade bei Persönlichkeitsstörungen, die eine Vielzahl auch normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Verhaltens beschreiben und typisierend zusammenfassen, bedarf es einer näheren Beschreibung und Eingrenzung des psychischen Defekts (Senat, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 162/00, juris Rn. 4).
9
Mangels Darstellung, welche Auffälligkeiten der Persönlichkeit des Angeklagten in die Gesamtschau zur Annahme der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“eingeflossen sind, ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob der Ablauf der Tat den uneingeschränkten Erhalt der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten belegt und den Rückschluss auf dessen intakte psychische Funktionen während der Tatbegehung ermöglicht.
10
c) Dieser Rechtsfehler bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Der Schuldspruch wird dadurch nicht berührt; der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Würdigung zur Annahme von Schuldunfähigkeit gelangt wäre. Die Sache bedarf insoweit – naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Schäfer Krehl Bartel Grube Schmidt

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2018 - 2 StR 71/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2018 - 2 StR 71/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2018 - 2 StR 71/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR498/14 vom 11. Februar 2015 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Besch

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR498/14
vom
11. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Februar 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landau vom 9. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass bei dem Angeklagten zur Tatzeit eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat.
4
aa) Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine schwere andere seelische Abartigkeit mit der Begründung bejaht, der Angeklagte leide an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, die bei ihm noch durch einen multiplen Substanzgebrauch, den Konsum anderer Substanzen bei bestehendem Abhängigkeitssyndrom (Polytoxikomanie, ICD-10: F 19.2) und einen Alkoholmissbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs (ICD-10: F 10.1) verstärkt werde. Die persönliche Entwicklung des Angeklagten sei durch eine dauernde Missachtung von Normen und Gesetzen, eine geringe Frustrationstoleranz sowie ein fehlendes Lernen aus Erfahrung gekennzeichnet. Auffälligkeiten im Lebenslauf seien bereits seit seiner frühen Jugend festzustellen (Vernachlässigung und Übergriffe durch den Vater, Schulverweis, kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keinerlei Durchhaltevermögen, keine Lebensplanung, mehrfache Delinquenz, keine tragfähigen Bindungen, Abgleiten in die Abhängigkeit und Drogenkonsum). Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei der Angeklagte zu emotionalem Tiefgang und Empathie nicht in der Lage (UA 32 f.).
5
bb) Diese Begründung reicht für die Annahme einer anderen schweren seelischen Abartigkeit nicht aus.
6
Eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung kann – wie auch das Landgericht nicht verkannt hat – die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nur dann begründen, wenn sie Symptome aufweist, die in ihrer Ge- samtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, Rn. 27, NJW 2014, 3382, 3384; Urteil vom 26. April 2007 – 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.; Beschluss vom 21. Oktober 1998 – 3 StR 416/98; NStZ-RR 1999, 136 mwN). Handelt es sich – wie bei der hier diagnostizierten „dissozialen Persönlichkeitsstörung“ – um ein eher unspezifisches Störungsbild, das immer auch noch als – möglicherweise extreme – Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein kann, wird der Grad einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ regelmäßig erst dann erreicht, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, NStZ-RR 2008, 70, 71; Beschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 388).
7
Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, dass die festgestellten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten dem Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit entsprechen und es sich nicht nur um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die übliche Ursachen für strafbares Verhalten darstellen. Ebenso wenig wird belegt, dass der Angeklagte aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat.
8
b) Auch die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB ist nicht ausreichend begründet.
9
aa) Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, die Hemmschwelle des Angeklagten für die Begehung von Aggressionshandlungen sei im Tatzeitpunkt aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in Kombination mit dem kontinuierlichen Drogenmissbrauch erheblich herabgesetzt gewesen. Seine Motivations -, Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten seien bei Tatbegehung soweit eingeschränkt gewesen, dass er ohne Rücksicht auf die Interessen anderer und möglicher Folgen seines Handelns für sich und andere seine eigenen Ziele nachhaltig verfolgt habe (UA 36).
10
bb) Diese Erwägungen reichen nicht aus, um das Vorliegen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zu belegen.
11
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, Rn. 29, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Dazu hat der Tatrichter in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung zu bewerten, wobei auch Vorgeschichte, unmittelbarer Anlass und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53 f. mwN).
12
Den hierzu angestellten Erwägungen des Landgerichts fehlt jegliche tatbezogene Betrachtung. Auch bleiben die Tatvorgeschichte (längere Suche nach und planmäßige Kontaktaufnahme zu der Geschädigten) und das Verhalten des Angeklagten nach der Tat unberücksichtigt.
13
2. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben.
14
a) Soweit die Strafkammer aufgrund der dargelegten rechtsfehlerhaften Wertung die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes die Strafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen hat (UA 36), ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, zitiert nach juris, Rn. 7, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedruckt). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, zitiert nach juris, Rn. 6).
15
b) Im Übrigen weist die Strafzumessung keine durchgreifenden Rechtsfehler auf. Zwar sind die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB nicht belegt, weil nach den Feststellungen nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte dem Geschädigten die zu der lebensbedrohlichen Hirnblutung führenden Kopfverletzungen (UA 28) erst nach Vollendung der Erpressung und ohne Beutesicherungsabsicht beigebracht hat (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 250 Rn. 27). Der Senat kann jedoch ausschließen, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn dem Angeklagten ist nicht angelastet worden, dass er beide Varianten des § 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 532/16
vom
27. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:270117B1STR532.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2017 nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 18. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt worden ist (Tat 5. der Urteilsgründe ), hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben,
b) im gesamten Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung , Vergewaltigung, Geiselnahme in Tateinheit mit Bedrohung sowie Bedrohung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung von Verfah- rensrecht und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg, ist aber im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte und die Geschädigte K. begannen in der Silvesternacht 2015/2016 eine Liebesbeziehung. Nachdem es zwischen ihnen zahlreiche Male zum Geschlechtsverkehr gekommen war, wollte die Geschädigte in den frühen Morgenstunden des 3. Januar 2016 wegen Schmerzen keinen weiteren Vaginalverkehr mehr. Dies wollte der Angeklagte nicht hinnehmen , beleidigte die Geschädigte und beschloss seinen diesbezüglichen Willen mit Gewalt durchzusetzen. Er legte sich auf die Geschädigte, hielt ihre Arme fest und drückte ihre Beine auseinander, um sodann den ungeschützten Vaginalverkehr mit ihr zu vollziehen. Sowohl den entgegenstehenden Willen als auch ihre ersichtlichen Schmerzen ignorierend, äußerte er, er wisse, dass es wehtue, aber er müsse sie „so rannehmen“. Anschließend setzte er sich mit seinen Beinen auf ihre Oberarme und würgte sie mit beiden Händen. Er forderte von ihr die Durchführung des Oralverkehrs. Auf ihre Bitten aufzuhören, ließ er von ihr ab.
4
2. Nach dem Geschehen umwarb der Angeklagte die Geschädigte und gelobte inständig, sich zu bessern. Die Geschädigte ging hierauf ein und beide setzten die Beziehung fort. Der Angeklagte reagierte zunehmend eifersüchtig auf Kontakte der Geschädigten zu anderen Männern. Als sie am 13. Januar 2016 einen Anruf erhielt, riss der Angeklagte ihr das Telefon aus der Hand. Er stieß sie auf die Couch, warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf sie und zog sie aus. Die Geschädigte wehrte sich durch Tritte dagegen, konnte aber gegen die körperliche Übermacht des Angeklagten nichts ausrichten. Er ergriff ihre Arme, drückte mit seinen Beinen ihre Beine auseinander und führte sein Glied in ihre Scheide ein. Sie bat ihn, damit aufzuhören. Da ihn ihr Flehen störte , ergriff er ein neben der Couch liegendes Küchenmesser und drückte es ihr an den Hals. Er sagte zu ihr, sie wolle „das“ doch auch, sie liebe ihn und wolle mit ihm zwei Kinder, deren Namen er nannte. Er drückte ihr die Klingenspitze gegen die Wange und drohte, er werde ihr „Gesicht kaputt schneiden“, damit sie nur noch bei ihm bleibe.
5
3. Am Abend dieses Tages geriet der Angeklagte mit der Geschädigten wegen des Geschehens zu 2. in Streit. Sie erklärte ihm, ein solches Verhalten nicht mehr hinnehmen zu wollen. Er holte daraufhin ein Tapeziermesser und hielt es der Geschädigten vor das Gesicht. Hierbei schrie er, er werde sie umbringen und sodann sich selbst töten. Sodann versetzte er ihr fünf Schläge mit seinem Ledergürtel.
6
4. In den folgenden Tagen bemühte sich der Angeklagte intensiv um die Geschädigte und gelobte Besserung. Er bat sie flehentlich, ihn nicht allein zu lassen. Als die Geschädigte mit ihren Freundinnen am 23. Januar 2016 einen Ausflug nach Würzburg unternehmen wollte, drängte er sich mit in das Fahrzeug. Da er Angst hatte, dass sich die Geschädigte mit anderen Männern treffen werde, war er verärgert, als die Geschädigte ihm in Würzburg entkommen war. Auf der Rückfahrt saß er neben der Geschädigten auf dem Rücksitz und flüsterte ihr zu, er habe ein Messer dabei, damit werde er ihr Gesicht aufschlitzen. An einem Halt zerrte er sie aus dem Auto, hielt ihr das Messer an den Hals und vor ihr Gesicht, um seine Ankündigung zu unterstreichen. Er beschimpfte sie, ließ aber schließlich von ihr ab, als die Freundinnen drohten, die Polizei zu rufen und ein Passant dazwischentrat.
7
5. In den folgenden Tagen söhnte sich die Geschädigte mit dem Angeklagten aus und setzte die Beziehung mit ihm gegen den Rat ihrer Eltern fort. Darüber war ihre Mutter sehr verärgert und verwies sie der von der Geschädigten bewohnten Wohnung. Daraufhin beschloss die Geschädigte vorübergehend bei dem Angeklagten zu übernachten. Zwei Tage später erzählte sie ihm von ihrem Plan, zu ihrer Freundin nach Frankfurt zu ziehen und sich sodann dort eine eigene Wohnung zu suchen. Der Angeklagte befürchtete, seinen Einfluss auf die Geschädigte zu verlieren und verbot ihr den Umzug. Die Geschädigte schloss sich aus Angst vor Übergriffen im Bad ein. Der Angeklagte verließ kurz die Wohnung, schloss bei seiner Rückkehr von ihr unbemerkt die Wohnungstür von innen ab und nahm den Schlüssel an sich, um die vollständige Herrschaft über die Geschädigte zu erlangen. Deswegen hatte er nunmehr auch eine Pistole bei sich. Er wollte ihr damit drohen, damit sie unter dem Eindruck der Drohung , ihren Plan nach Frankfurt zu ziehen, aufgibt. Auf seine Aufforderung öffnete sie die Badezimmertür, er richtete die Waffe auf sie und sagte, er bringe sie jetzt um. Er drückte ihr die Pistole an verschiedene Stellen des Kopfes, um seine Macht über sie auszukosten. Er gab mit der Pistole zweimal einen Schuss ab. Als die Geschädigte fliehen wollte, bemerkte sie die verschlossene Wohnungstür. Der Angeklagte schrie, er werde sie nicht gehen lassen. Als die Geschädigte überlegte, ob sie aus dem Fenster springen sollte, zog er sie vom Fenster weg, hielt ihr die Pistole vor das Gesicht und schrie: „Friedhof oder Frankfurt?“. Erwusste, dass ihm die Geschädigte hilflos ausgeliefert war und wollte dies nutzen, damit sie von ihren Umzugsplänen Abstand nimmt. Er rief eine Bekannte von ihm an, um diese um die Vermittlung einer Wohnung zu bitten. Sodann brachte er die Geschädigte durch die vorgehaltene Pistole dazu, dieser Bekannten gegenüber am Telefon zu bestätigen, mit dem Angeklagten zusammen sein und eine gemeinsame Wohnung mit ihm haben zu wollen. Anschließend zog er sie in das Schlafzimmer, stieß sie auf das Bett und versetzte ihr mit seiner beringten Faust einen Schlag in das Gesicht. Als die Geschädigte schrie, ließ er von ihr ab und öffnete nach etwa 45 Minuten die Wohnungstür.

II.


8
1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigten Gründen der Erfolg versagt.
9
2. Während der Schuldspruch wegen besonders schwerer Vergewaltigung (Tat 2.), Vergewaltigung (Tat 1.) und Bedrohung in zwei Fällen (Taten 3. und 4.) keinen Rechtsfehler aufzeigt, kann die Verurteilung wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Bedrohung (Tat 5.) keinen Bestand haben.
10
Zutreffend ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte der Geschädigten bemächtigt und sie mit dem Tode bedroht hatte. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass der Angeklagte sich der Geschädigten bemächtigt hatte, um die von ihm geschaffene Lage zu einer Nötigung auszunutzen. Zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Nötigung muss ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Weise bestehen , dass der Täter das Opfer während der Dauer der Zwangslage nötigen will und die abgenötigte Handlung während der Dauer der Zwangslage vorgenommen werden soll (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 1 StR 444/14, StV 2015, 765 mwN; Beschluss vom 12. September 2013 – 2 StR 236/13, BGHR StGB § 239b Nötigungserfolg 2). Soweit der Angeklagte also die Absicht verfolgte, die Zeugin durch die Bemächtigungssituation und die qualifizierte Drohung dazu zu bestimmen, erst nach Beendigung der Zwangslage ihre Umzugspläne aufzugeben, wäre der Tatbestand nicht erfüllt.
11
Ob der erforderliche funktionale Zusammenhang angenommen werden könnte, weil der Angeklagte nach seiner Vorstellung mit dem während der Bemächtigungslage erzwungenen Telefonat der Geschädigten einen Teilerfolg erreichen wollte, der mit Blick auf das erstrebte Endziel vorbereitend wirken sollte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 – 1 StR 444/14, StV 2015, 765 und vom 20. September 2005 – 1 StR 86/05, NStZ 2006, 36), lässt sich dem Urteil nicht hinreichend sicher entnehmen. Es fehlt an tragfähigen Feststellungen dazu, ob das telefonische Bekenntnis zu Plänen für eine gemeinsame Wohnung nach der Vorstellung des Angeklagten eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Endzwecks darstellen sollte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 20. September 2005 – 1 StR 86/05, NStZ 2006, 36 und vom 14. Januar 1997 – 1 StR 507/96, BGHR StGB § 239b Nötigungserfolg 1; Beschluss vom 2. Oktober 1996 – 3 StR 378/96, BGHR StGB § 239b Entführen 4). Das Landgericht stellt – tragfähig belegt durch die Äußerung „Friedhof oder Frankfurt“ – mehrfach darauf ab,dass der Angeklagte von der Geschädigten die Aufgabe der Umzugspläne, mithin ein auf die Zukunft bezogenes Unterlassen erreichen wollte. Hierzu passt auch, dass es die Voraussetzungen des § 239b Abs. 2, § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB, mithin einen Verzicht auf die erstrebte Leistung angenommen hat. Ob der Angeklagte in dem Bekenntnis der Geschädigten gegenüber seiner Bekannten, nämlich mit dem Angeklagten zu- sammen sein und eine gemeinsame Wohnung mit ihm haben zu wollen, eine eigenständig bedeutsame Vorstufe mit einer gesteigerten Verbindlichkeit für dieses Ziel gesehen hat, hat das Landgericht weder erwogen noch lässt es sich aus dem Gesamtzusammenhang entnehmen. Dagegen spricht bereits die Annahme der Voraussetzungen des § 239b Abs. 2, § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB. Allein durch die – zudem beweiswürdigend nicht unterlegte – Feststellung, der Angeklagte habe dies getan, um „sicher zu erreichen, dass K. ihre Umzugspläne aufgibt“, wirddies nicht tragfähig belegt. Denn es versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte davon ausging, durch die Bekräftigung der Pläne für eine gemeinsame Wohnung gegenüber seiner Bekannten, würde sich die Geschädigte verlässlich gebunden fühlen.
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Dies führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs hinsichtlich Tat 5. der Urteilsgründe; erfasst wird auch die – konkurrenzrechtlich ohnehin im Hinblick auf den Einsatz der Todesdrohungen zur Erreichung des Endzieles bedenkliche (vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2003 – 3 StR 137/03, BGHSt 48, 322) – tateinheitliche Verurteilung wegen Bedrohung. Der Aufhebung von Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bedurfte es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind.
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3. Der gesamte Strafausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Annahme voller Schuldfähigkeit begründet hat, sind nicht rechtsfehlerfrei.
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a) Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit deutlichen Borderline-Zügen leide, die den Schweregrad des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfülle. Die Störung zeige sich in der Neigung zu impulsivem Handeln ohne die Folgen des Handelns in den Blick zu nehmen und Verlassensängsten. Insbesondere bei affektiven Einbrüchen komme es zu einer defizitären Impulskontrolle. Zudem liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Trotz des Vorliegens des Eingangsmerkmals sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten nicht beeinträchtigt gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen , dass sich der Tatzeitraum über einen Monat hingezogen habe und der Angeklagte während dieses Zeitraums zu einem geregelten Alltagsleben in der Lage gewesen sei. Unbeeinflusst von akuten Erregungsmomenten habe ausreichend Zeit zur Reflexion bestanden; schließlich sei es ihm auch immer wieder gelungen, sich in diesem Zeitraum gegenüber der Geschädigten fürsorglich zu zeigen und keine Gewalt auszuüben.
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b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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aa) Indem das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – eine Störung angenommen hat, deren Schweregrad ausreichend ist, um sie unter das Eingangsmerkmal schwere andere seelische Abartigkeit des § 20 StGB zu fassen , musste es davon ausgehen, dass die Störung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137 und vom 21. September 2004 – 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327; Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.; Beschluss vom 21. Oktober 1998 – 3 StR 416/98, NStZ-RR 1999, 136 mwN). Denn für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist es maßgebend , ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. mwN).
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Angesichts dessen, dass die Einschränkungen durch die Persönlichkeitsstörung einerseits schwer genug sein sollen, um zur Annahme eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu führen, kommt der – hiermit zudem in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis stehenden – Erwägung, der Angeklagte sei zu einem geregelten Alltagsleben in der Lage gewesen, keine relevante Aussagekraft zu.
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bb) Zudem lassen die mehrmaligen Bezugnahmen auf den Zeitraum eines Monats besorgen, dass das Landgericht für die Frage, ob die festgestellte schwere andere seelische Abartigkeit zu einer relevanten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit geführt hat, den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung verfehlt hat. Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die Begehung der Tat (§ 20 StGB), bei aktivem Tun mithin die Zeit, zu welcher der Täter gehandelt hat(§ 8 Satz 1 StGB; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Juni 2015 – 4StR 196/15, NStZ-RR 2015, 275). Danach war hier auf die jeweilige Tathandlung , die nicht mehr als eine Stunde betragen hat, abzustellen und nicht auf den gesamten Zeitraum, in dem der Angeklagte verschiedene Delikte begangen hat. Ob der Angeklagte in den Zeiträumen zwischen den Taten zu fürsorglichem Handeln und Unrechtsreflektion in der Lage war, kommt daher keine maßgebliche Bedeutung zu.
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cc) Eine Erörterung, ob sich die Symptome der den Grad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erreichenden Persönlichkeitsstörung, nämlich eine defizitäre Impulskontrolle bei affektiven Einbrüchen und Verlassensängsten , bei den jeweiligen Tatbegehungen ausgewirkt haben könnten, lässt sich dem Urteil hingegen nicht entnehmen. Hierzu hätte aber insbesondere deswegen Anlass bestanden, da diese Taten ausweislich der Feststellungen durch impulsives Verhalten und Verlassensängste beeinflusst waren.
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c) Der Rechtsfehler lässt den verbleibenden Schuldspruch unberührt, der Senat kann ausschließen, dass die Schuldfähigkeit bei Begehung der Taten vollständig aufgehoben war. Er führt aber zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugrunde liegenden Feststellungen. Die Sache bedarf auch insoweit – naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
Raum Graf Jäger Cirener Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 162/00
vom
23. August 2000
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. August 2000 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 17. Januar 2000 insoweit mit den Feststellungen aufgehoben, als gegen ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in sieben Fällen und der versuchten gefährlichen Körperverletzung in einem weiteren Fall wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen, jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechtes rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte eine Reihe von Anlaßtaten begangen, nämlich in den Jahren 1992, 1993 und 1995 seine Le-
bensgefährtin mit verschiedenen Gegenständen (Messer, Kaffeekanne, Bierflasche , Stuhllehne, Wäscheständer, Zementsack) erheblich mißhandelt hat. Allerdings ist der Fall 8 nicht datiert. Auch hat keine Beachtung gefunden, daß der Fall 1 (Tatzeit: Januar/Februar 1992) und womöglich auch der Fall 2 (Tatzeit : 1992) verjährt sind, weil die für § 223 a a.F. StGB geltende Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) bereits abgelaufen war, bevor am 21. November 1997 mit Anordnung der ersten Vernehmung des damaligen Beschuldigten eine zur Verjährungsunterbrechung geeignete Handlung (§ 78 c Abs. 1 Nr. 1 StGB) stattfand. Unzulänglich sind aber vor allem die Ausführungen des Landgerichts dazu, ob den Taten des Angeklagten ein länger andauernder Zustand (zumindest ) erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zugrunde lag. Es bejaht - dem hierzu gehörten Sachverständigen folgend - das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Obgleich die Urteilsgründe durchaus Anhaltspunkte hierfür bieten, ist ihnen doch nicht zu entnehmen, welche Form der schweren anderen seelischen Abartigkeit das Landgericht annimmt und ob es dabei von zutreffenden Maßstäben ausgegangen ist. Denn es beschränkt sich auf die Feststellung einer "dissozialen Persönlichkeitsstörung" und beschreibt deren Kriterien nach dem Merkmalskatalog der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen internationalen Klassifikation ICD 10 (International Classification of Diseases, 10th revision, deutsche Fassung Dilling/Mombour/Schmidt [Hrsg.] 2. Aufl.). Das genügt nicht. Abgesehen davon, daß diese Kriterien in den Urteilsgründen nicht mit Tatsachen belegt werden, ergeben sie auch noch keinen Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit; denn die ICD, die vor allem der internationalen fachlichen Verständigung dient, zählt lediglich Erkrankungen und Verhaltensstörungen auf und ordnet sie ein, trifft aber keine Aussage darüber, ob und inwieweit die beschriebenen Defekte
die Schuldfähigkeit des Täters beeinträchtigen (BGH NStZ 1997, 383 = BGHR StGB § 21 Psychose 1; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 29). Die Feststellung einer "dissozialen Persönlichkeitsstörung" besagt wenig; denn dieser Begriff kann auch Eigenschaften und Verhaltensweisen umspannen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens uneingeschränkt schuldfähiger Menschen bewegen, also keine schwere andere seelische Abartigkeit begründen (BGHR StGB § 63 Zustand 24). Es bedarf daher einer näheren Beschreibung und Eingrenzung des psychischen Defekts vor dem Hintergrund einer eingehenden Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung (BGHR StGB § 63 Zustand 34). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Insbesondere fehlen hinlänglich konkrete Angaben zur Art der Störung und zur Entwicklung der Persönlichkeit des Angeklagten. Diese werden aus den Feststellungen zu seinen früheren Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern und den dabei gestellten Diagnosen ebensowenig deutlich wie aus der nicht weiter erläuterten, die Schilderung der Anlaßtaten aussparenden Angabe , der Angeklagte habe sich "rund 17 Jahre in Haft" befunden. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB ist aber auch deshalb unzureichend begründet, weil das Landgericht feststellt, der Angeklagte sei alkohol- und medikamentensüchtig, leide unter Entzugserscheinungen und bedürfe einer Behandlung, ohne sich mit der Frage seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) auseinanderzusetzen. Dies drängte sich auf, falls - was die Feststellungen wiederum offenlassen - bei den Anlaßtaten Alkohol - oder Medikamentenmißbrauch eine auslösende Rolle gespielt haben sollte. In diesem Fall erübrigte sich eine Erörterung nicht schon deshalb, weil - wie die Strafkammer mit dem Sachverständigen annimmt - bei dem Angeklagten "die Suchtmittelproblematik vordergründiger als die Persönlichkeitsproblematik" ist; denn das schließt nicht ohne weiteres aus, daß die Behandlung in einer
Entziehungsanstalt die Aussicht bietet, ihn soweit zu therapieren, daß von ihm keine Gefahr der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten mehr ausgeht. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist demgemäß aufzuheben, wohingegen der Freispruch bestehen bleibt. Da nach den bisherigen Feststellungen die letzte Anlaßtat im Jahre 1995 begangen ist, also lange zurückliegt, wird die nunmehr sachbefaßte Strafkammer zu den Vorfällen aus den Monaten Januar und Oktober 1999 angesichts ihrer möglichen Bedeutung für die Gefahrprognose genauere Feststellungen treffen müssen. Jähnke Niemöller Otten Rothfuß Fischer