Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juli 2016 - 3 StR 211/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:260716B3STR211.16.0
bei uns veröffentlicht am26.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 211/16
vom
26. Juli 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:260716B3STR211.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 25. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte am 4. Juni 2013 der Geschädigten, seiner damaligen Lebensgefährtin, in der gemeinsamen Wohnung mit einer Kleiderstange gegen deren Arme, Beine und Hinterkopf. Im Anschluss hieran erwirkte die Geschädigte eine einstweilige Anordnung, nach der es dem Angeklagten untersagt war, sich der Geschädigten zu nähern oder sonst mit ihr in Kontakt zu treten. Trotz Kenntnis von diesen Verboten nahm der Angeklagte danach in der Zeit bis zum 26. September 2013 in insgesamt 23 Fällen Kontakt zu der Geschädigten auf. In einem dieser Fälle äußerte er am Telefon, er werde das Haus der Zeugin und ihres Vaters anzünden , wenn er die Kinder nicht sehen dürfe. In einem weiteren Fall trat oder schlug er, einen Schreckschussrevolver in der Hand haltend, gegen die Hauseingangstür und schrie: "Komm raus, sonst bring' ich Dich um!"
3
Die - sachverständig beratene - Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte sei bei allen Taten wegen einer krankhaften seelischen Störung schuldunfähig gewesen. Er habe die wahnhafte Vorstellung entwickelt, der seinerzeit dreijährige Sohn der Geschädigten trage die Schuld an einer Fehlgeburt der Geschädigten und habe somit sein ungeborenes Kind getötet. Aufgrund der Art seiner Einlassung stehe fest, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten während der Taten aufgehoben gewesen sei. Zudem wäre er nicht in der Lage gewesen, sein Handeln selbst bei vorhandener Unrechtseinsicht zu steuern.
4
1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. November 2015 - 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76; vom 21. Juni 2016 - 5 StR 214/16, juris Rn. 4).
6
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht; diese belegen einen für die festgestellten Straftaten ursächlichen Zustand im Sinne des § 63 StGB nicht.
7
Zur Begründung der Annahme, der Angeklagte sei von Anfang Juni bis Ende September 2013 aufgrund der jeweils aktuell ausgeprägten wahnhaften Störung schuldunfähig gewesen, hat das Landgericht maßgeblich auf den Eindruck abgestellt, den der Angeklagte in den vom Sachverständigen mit ihm geführten Explorationsgesprächen im September 2015 und Januar 2016 sowie in der Hauptverhandlung im Februar 2016 gemacht hat. Aus dem geschilderten Verhalten erschließt sich aber nicht der Zustand des Angeklagten während des etwa zwei bis zweieinhalb Jahre zurückliegenden Tatzeitraums. Hierzu hätte es näherer Ausführungen bedurft, welche die Urteilsgründe nicht enthalten. Betreffend den Zustand des Angeklagten im Tatzeitraum hat das Landgericht wesentlich nicht auf eine psychotische Erkrankung, sondern den damaligen Alkoholund Drogenkonsum des Angeklagten abgestellt. In diesem Zusammenhang hat es dem Sachverständigen folgend ausgeführt, beim Angeklagten liege ein Missbrauch und eine Abhängigkeit von Drogen und Alkohol vor. Das Verhältnis zwischen diesem Befund und der diagnostizierten Wahnerkrankung zur Tatzeit wird durch die Urteilsgründe jedoch nicht näher dargelegt. Daneben hat das Landgericht lediglich pauschal ausgeführt, die Taten des Angeklagten stünden in ursächlichem Zusammenhang mit der bei ihm festgestellten wahnhaften Störung und der darauf beruhenden fehlenden Einsichtsfähigkeit sowie der fehlenden Selbstkontrolle. Auch dies genügt hier nicht. Eine nähere Begründung wäre insoweit u.a. deshalb erforderlich gewesen, weil nach der Aussage der Ge- schädigten diese und der Angeklagte sich gegen Ende des Jahres 2013, mithin nach den hier festgestellten Anlasstaten, wieder versöhnten, und in der Folgezeit erneut zusammen wohnten. Somit liegt es nicht fern, dass jedenfalls die Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz möglicherweise nicht auf die Erkrankung des Angeklagten zurückzuführen, sondern maßgeblich von seiner Motivation getragen waren, die Beziehung mit der Geschädigten fortzusetzen. Mit diesem Gesichtspunkt hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen.
8
2. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).
9
3. Die Sache bedarf nach alldem neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei es sich empfehlen dürfte, einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG voraussetzt, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Das neue Tatgericht wird schließlich auch die Neufassung des § 63 StGB durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften (BGBl. I, S. 1610 f.) in den Blick zu nehmen haben, das am 1. August 2016 in Kraft treten wird.
Becker Schäfer Mayer
Spaniol Tiemann

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Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 265/15
vom
10. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:101115B1STR265.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, davon in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom paranoid- halluzinatorischen Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seelischen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ (UA S. 4). Aufgrund dieser seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automaten , wenn er Geld zur Verfügung hatte“ (UA S. 4).
3
Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in sechs Fällen die Geldbörsen älterer Damen in Supermärkten und nahm anschließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehörigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten hat das Landgericht nicht getroffen, in den Gründen des Urteils aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsympto- matik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymptomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlun- gen auswirkt“ (UA S. 11). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert gewesen.

II.


4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts - oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15; Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2015 – 2 StR 420/14; vom 15. Juli 1997 – 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom 2. April 1997 – 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383).
6
Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Wahnsymptomatik und den Anlasstaten hat es jedoch abgelehnt und die bei dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in seiner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZRR 2012, 306, 307 jeweils mwN).
7
Das Landgericht war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht erkennbar , dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom paranoidhalluzinatorischen Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststellungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathandlung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll. Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte Anwendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind, die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffenden Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht möglich.
8
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138 und vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedr.). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.

9
3. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten auseinanderzusetzen haben.
Graf Jäger Mosbacher
RinBGH Dr. Fischer ist erkrankt und daher an einer Unterschriftsleistung gehindert. Graf Bär
4
2. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne einer der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dies ist nicht hinreichend belegt.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

8
3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. KK-Gericke, 7. Aufl.; § 358 Rn. 24). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhän- gen (vgl. BT-Drucks. 16/1344 S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 - juris; vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011,

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 7 1 / 1 4
vom
5. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 12. Februar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen besonders schweren Raubes wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der Angeklagte im Einvernehmen mit zwei Mittätern am 22. Oktober 2013 den Nebenkläger, hielt ihm ein Messer an die Kehle und ermöglichte so den Mittätern, das Opfer zu durchsuchen und Mobiltelefone und Geldbeutel wegzunehmen.
3
Das Landgericht hat - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung "wegen aufgehobener Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit" schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war. Von der erheblichen Verminderung der "Steuerungsfähigkeit und auch Einsichtsfähigkeit" war die Strafkammer überzeugt.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war.
6
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, kann die Überzeugung von der verminderten Schuldfähigkeit als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus regelmäßig nicht auf die erheblich verminderte "Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" gestützt werden.
7
Bei erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit muss der Tatrichter sich zunächst Klarheit darüber verschaffen, ob die verminderte Einsichtsfähigkeit tatsächlich dazu geführt hat, dass dem Täter die Einsicht in das Unrecht seines Tuns gefehlt hat oder nicht. Hat ihm die Einsicht gefehlt, so ist weiter zu prüfen, ob ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Ist ihm das Fehlen nicht vorwerfbar , so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar. Nur wenn dem Täter die Einsicht gefehlt hat, dies ihm aber zum Vorwurf gemacht werden kann, lägen die Voraussetzungen des § 21 StGB in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit vor. Hat dagegen der Angeklagte ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen, so ist seine Schuld nicht gemindert und § 21 StGB im Hinblick auf die verminderte Einsichtsfähigkeit nicht anwendbar.
8
Auf die diesbezügliche Klärung kann hier nicht verzichtet werden, da es für die Annahme eines Krankheitsbildes, bei dem sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit betroffen sein können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168), an Feststellungen fehlt.
9
3. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann. Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 8 mwN).
10
4. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
VRiBGH Becker ist wegen Pfister Schäfer Urlaubs gehindert, seine Unterschrift beizufügen. Pfister Mayer Spaniol

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer bestimmten vollstreckbaren

1.
Anordnung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 2 Satz 1, zuwiderhandelt oder
2.
Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214a Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Verbindung mit § 1 Absatz 1 Satz 1 oder 3 dieses Gesetzes, jeweils auch in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Satz 1 dieses Gesetzes, bestätigt worden ist.
Die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften bleibt unberührt.

(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt,

1.
die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2.
sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten,
3.
zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
4.
Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5.
Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen,
soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung widerrechtlich gedroht hat oder
2.
eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a)
in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder
b)
eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 40/13
vom
28. November 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen
eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das
Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei
deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung
des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden.
BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13 - OLG Oldenburg
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz
hier: Vorlegungsbeschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 21. Januar 2013
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Angeklagten am 28. November 2013 beschlossen:
Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG setzt voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden.

Gründe:


1
Die Vorlegungssache betrifft die Frage, ob eine nach § 1 GewSchG durch das Familiengericht erlassene Schutzanordnung das Strafgericht im Rahmen der Prüfung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG wegen eines Verstoßes gegen diese Schutzanordnung bindet oder ob das Strafgericht die Schutzanordnung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und ihre tatbestandlichen Voraussetzungen selbst festzustellen hat.

I.


2
1. Das Amtsgericht Westerstede hatte den Angeklagten am 23. April 2012 wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je elf Euro verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 8. August 2012 als unbegründet verworfen und dabei - soweit für vorliegende Entscheidung von Bedeutung - folgende Feststellungen getroffen:
3
Dem Angeklagten war durch einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Westerstede vom 17. August 2011, ihm zugestellt am 23. August 2011, untersagt worden, sich bis 16. August 2012 innerhalb eines Umkreises von 200 Metern um die Wohnung seiner früheren Partnerin aufzuhalten. In Kenntnis dieses Näherungsverbots begab er sich am 15. November 2011 kurzzeitig zu dem PKW seiner früheren Partnerin, der etwa zehn Meter von deren Wohnung entfernt abgestellt war.
4
2. Gegen das landgerichtliche Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg hält das Rechtsmittel für begründet, weil das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zur "rechtlichen Wirksamkeit" der einstweiligen Anordnung getroffen und den dieser Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht in den Entscheidungsgründen dargestellt habe. Das Oberlandesgericht Oldenburg beabsichtigt demgegenüber, die Revision zu verwerfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Landgericht getroffenen Feststellungen reichten aus, um zu einem Schuldspruch gemäß § 4 GewSchG zu gelangen. Die Strafkammer sei zu einer inhaltlichen Überprüfung der getroffenen Anordnung nicht verpflichtet gewesen; denn § 4 GewSchG knüpfe die strafrechtliche Verfolgung allein an das Bestehen und die Vollstreckbarkeit einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Die Gründe, die im Gesetzgebungsverfahren für die Annahme einer materiellen Überprüfungspflicht der nach § 1 GewSchG getroffenen Anordnung durch die Strafgerichte geltend gemacht worden seien, überzeugten nicht mehr, nachdem derartige Anordnungen seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FamFG) am 1. September 2009 nach der dortigen Verfahrensordnung ergingen, die insbesondere ein Versäumnisurteil nicht zulasse.
5
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht Oldenburg durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 2. März 2006 - 3 Ss 35/06, NStZ 2007, 486), des Oberlandesgerichts Celle (Urteil vom 13. Februar 2007 - 32 Ss 2/07, NStZ 2007, 485) und des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Beschluss vom 29. April 2010 - 2-30/09 (REV) - 1 Ss 77/09) gehindert. Diese Gerichte hätten jeweils dahin erkannt, dass die Bestrafung gemäß § 4 GewSchG auch die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Gewaltschutzanordnung erfordere, und dementsprechend verlangt, dass der der Anordnung zugrundeliegende Sachverhalt vom Strafgericht eigenständig festzustellen sowie in den Entscheidungen darzulegen sei.
6
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt: "Setzt eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG die Feststellung voraus , dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Gewaltschutzanordnung zu Recht ergangen ist?"
7
3. Der Generalbundesanwalt hat sich dem vorlegenden Oberlandesgericht Oldenburg in der Sache angeschlossen und beantragt, wie folgt zu beschließen : "Eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG setzt nicht voraus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 GewSchG erlassene Gewaltschutzanordnung rechtmäßig ist."

II.


8
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG sind erfüllt, denn das Oberlandesgericht Oldenburg kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von den tragenden Gründen jedenfalls der Entscheidungen der Oberlandesgerichte Celle und Hamburg abzuweichen. Diese haben in jeweils entscheidungserheblicher Weise ausgesprochen, dass das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG erlassenen Anordnung selbstständig zu überprüfen sowie das Vorliegen der dortigen Tatbestandsmerkmale selbst festzustellen und diese in den Urteilsgründen darzustellen habe. Es kann deshalb dahinstehen, ob diese Rechtsauffassung auch tragende Grundlage der genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm gewesen ist.
9
2. Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu weit gefasst und bedarf der Präzisierung. Um die Frage, ob auch die formelle Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG ergangenen Anordnung durch das Strafgericht zu überprüfen ist, geht es dem vorlegenden Oberlandesgericht Oldenburg ersichtlich nicht; insoweit läge auch keine Abweichung zu den genannten Entscheidungen der anderen Oberlandesgerichte vor. Vielmehr kommt es hier in der Sache lediglich darauf an, ob eine Überprüfungspflicht des Strafgerichts bezüglich der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung besteht und es den Sachverhalt, auf den die Anordnung nach § 1 GewSchG gestützt ist, selbst (erneut) festzustellen sowie in den Entscheidungsgründen darzulegen hat. Dies berücksichtigt, ist über folgende Rechtsfrage zu befinden: Setzt die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen ohne Bindung an die Entscheidung des Familiengerichts selbst feststellt?

III.


10
Der Senat beantwortet diese Rechtsfrage im Einklang mit der dargestellten bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. etwa Freytag in MüKoErbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 4 GewSchG Rn. 12 [Stand: Januar 2003]; BGB/Krüger, 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1; Palandt/Brudermüller, BGB, 73. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 1; Bergmann/Kroke, ZIS 2013, 234, 243 f.; Heghmanns in Festschrift Achenbach, 2011, S. 117, 122; Müller, FF 2002, 43, 46; Breidenstein in jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 4 GewSchG Rn. 8; nicht eindeutig Heinke, GewSchG, 2012, § 4 Rn. 3; für eine vermittelnde Lösung Pollähne in Barton, Beziehungsgewalt und Verfahren, 2004, S. 133 ff.; ders., StV 2008, 143; aA Lampe jurisPR-StrafR 5/2011 Anm. 2; Woitkewitsch, StraFo 2008, 401, 402 f.; Meyer, ZStW 2003, 249, 273) wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
11
1. Tathandlung nach § 4 GewSchG ist die Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte und vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Bei dieser Strafnorm handelt es sich um eine Blankettvorschrift, deren Verbotsgehalt sich aus der zugrunde liegenden Entscheidung des Familiengerichts ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 5 StR 536/06, BGHSt 51, 257, 259). Die Beantwortung der Vorlegungsfrage richtet sich deshalb nicht nach § 262 StPO. Der Blankettcharakter des § 4 GewSchG allein besagt ebenfalls noch nicht, ob der Tatbestand materiell akzessorisch zur Schutzanordnung des Familiengerichts ausgestaltet ist. Diese Frage muss vielmehr aus der Norm selbst beantwortet werden, denn es ist in erster Linie Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob die Strafbarkeit einer Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung, die von einer Verwaltungsbehörde oder einem anderen als dem über die Strafbarkeit befindenden Gericht getroffen wurde, von der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung abhängen soll oder nicht (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Juni 1988 - 2 BvR 1154/86 und 234/87, BVerfGE 78, 374, 381 f.; vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244, 256; vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91 und 576/91, BVerfGE 87, 399, 408 jeweils für Zuwiderhandlungen gegen eine Verwaltungsanordnung; Lampe, jurisPR-StrafR 5/2011 Anm. 2).
12
2. Die historische Auslegung des § 4 GewSchG führt zu einem eindeutigen Ergebnis. Danach ist das über die Strafbarkeit befindende Gericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden. Es hat vielmehr selbst die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG festzustellen und die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung zu bewerten. Hieran hat sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts im Ergebnis nichts dadurch geändert, dass für die Anordnung nach § 1 GewSchG nunmehr die Regelungen des FamFG maßgebend sind. Die Interpretation des § 4 GewSchG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie seiner systematischen Stellung führt ebenfalls zu keinem anderen Resultat. Im Einzelnen:
13
a) Der Wille des Gesetzgebers geht dahin, dass das Strafgericht nicht an die Entscheidung des die Anordnung nach § 1 GewSchG treffenden Gerichts gebunden ist. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 14/5429) wird zu § 4 GewSchG ausgeführt, der Verstoß gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG solle strafbewehrt sein. Stelle sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Strafgericht heraus, dass sie nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die der Anordnung zugrunde gelegte Tat nicht begangen habe, sei der Tatbestand nicht erfüllt (BT-Drucks. 14/5429 S. 32). Hieraus folgt eindeutig, dass nicht lediglich der in dem formalen Verstoß gegen § 1 GewSchG liegende Ungehorsam gegenüber staatlichen Entscheidungen strafrechtlich geahndet werden soll. Vielmehr soll eine strafrechtliche Sanktion lediglich dann in Betracht kommen, wenn das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung einschließlich des Verhaltens, auf dem die Anordnung beruht, selbst überprüft und festgestellt hat.
14
Gegen diese Konzeption hat der Bundesrat in seiner im weiteren Gesetzgebungsverfahren abgegebenen Stellungnahme Bedenken angemeldet. Er hat um Klarstellung gebeten, dass im Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nicht zu prüfen sei, ob diese rechtmäßig ergangen seien. Die Gesetzesbegründung der Bundesregierung begegne Bedenken im Hinblick auf die Praktikabilität der Vorschrift. Dem Anordnungsgegner , der der Auffassung sei, eine derartige Anordnung sei nicht rechtmäßig ergangen , sei es zuzumuten, gegen diese Entscheidung vor den Zivilgerichten vorzugehen. Auch werde ein Einschreiten der Polizei erschwert, wenn im Strafverfahren regelmäßig die Rechtmäßigkeit der zivilgerichtlichen Anordnung überprüft werden müsse. Es solle deshalb klar gestellt werden, dass das Strafgericht bei der Anwendung des § 4 GewSchG nicht überprüfen könne, ob die vollstreckbare gerichtliche Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG rechtmäßig ergangen sei, sondern lediglich, ob sie wirksam ergangen sei (BTDrucks. 14/5429 S. 39).
15
Diese gewünschte Klarstellung hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu den Vorschlägen des Bundesrates ausdrücklich verweigert. Sie hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, Entscheidungen, die auf der Grundlage eines nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführenden Verfahrens ergangen seien, böten insbesondere in den Fällen möglicher Versäumnisurteile keine Gewähr für ihre materielle Richtigkeit. Die Auffassung, das Eingreifen der Polizei werde erschwert , greife vor dem Hintergrund der Grundsätze zur so genannten Anscheinsgefahr nicht durch.
16
Dieser eindeutige Wille des Gesetzgebers ist bei der Gesetzesanwendung grundsätzlich zu respektieren, ohne dass der Senat zu beurteilen hat, ob eine andere Konzeption in der Sache vorzugswürdig gewesen wäre, insbesondere den Intentionen des Gewaltschutzgesetzes eher entsprochen hätte. Er verliert nicht deshalb wesentlich an Gewicht, weil sich das zum Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG führende Verfahren nunmehr nach dem FamFG richtet.
17
aa) Zur Zeit des Inkrafttretens des Gewaltschutzgesetzes bestand eine Zweigleisigkeit des maßgeblichen Verfahrensrechts. Für Parteien, die einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führten oder innerhalb von sechs Monaten vor der Antragstellung geführt hatten, war gemäß § 23a Nr. 7, § 23b Abs. 1 Satz 2 Nr. 8a GVG, § 621 Nr. 13 ZPO ausschließlich das Familiengericht zuständig. Insoweit verwies § 621a Abs. 1 ZPO grundsätzlich auf die Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FGG). Daher galt insoweit auch schon nach früherem Recht insbesondere der Amtsermittlungsgrundsatz , § 12 FGG. Neben der Hauptsacheentscheidung kam der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 64b Abs. 3 Satz 1 FGG in Be- tracht (Bassenge/Roth, FGG, 11. Aufl., § 64b Rn. 14). In den sonstigen Fällen handelte es sich um allgemeine Zivilsachen, die je nach Streitwert vor dem Amts- oder Landgericht zu verhandeln waren und den Bestimmungen der Zivilprozessordnung unterlagen.
18
bb) Seit dem Inkrafttreten des FamFG am 1. September 2009 sind alle Verfahren nach §§ 1 und 2 GewSchG - unabhängig von der Wohnsituation der Beteiligten - Familiensachen (§ 111 Nr. 6, § 210 FamFG), für die das FamFG gilt. §§ 210 bis 216a FamFG enthalten besondere Vorschriften für die Verfahren in Gewaltschutzsachen, die neben den bzw. anstelle der allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 110 FamFG) Anwendung finden. Danach unterliegt das Verfahren der Amtsermittlung, § 26 FamFG. Die Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme steht im pflichtgemäßen, durch § 30 Abs. 3 FamFG gelenkten Ermessen des Gerichts, § 30 Abs. 1 FamFG; dasselbe gilt für die Durchführung einer mündlichen Erörterung, § 32 FamFG. Die Beteiligten sind jedoch, soweit dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs erforderlich ist, persönlich, d.h. mündlich (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 17. Aufl., § 34 Rn. 20) anzuhören, § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG.
19
Anders als nach früherem Recht ist das für Anordnungen nach § 1 GewSchG besonders bedeutsame Verfahren der einstweiligen Anordnung selbstständig und nicht von der gleichzeitigen Einleitung eines Hauptsacheverfahrens abhängig, § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG. Nach § 214 Abs. 1 Satz 2 FamFG soll in Gewaltschutzsachen ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG in der Regel vorliegen, wenn eine Tat nach § 1 GewSchG begangen wurde oder auf Grund konkreter Umstände mit ihrer Begehung zu rechnen ist. Es gelten die für die entsprechende Hauptsache maßgeblichen Verfahrensvorschriften, wenn nicht die Besonderhei- ten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergeben, § 51 Abs. 2 Satz 1 FamFG. So genügt die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen für die Anordnung , § 51 Abs. 1 Satz 2, § 31 FamFG. Ein Rechtsmittel gegen eine einstweilige Anordnung ist gemäß § 57 Satz 2 Nr. 4 FamFG nur gegeben, wenn die Entscheidung aufgrund mündlicher Erörterung (§ 32 FamFG) ergangen ist. Im Übrigen stehen lediglich die Rechtsbehelfe der §§ 52 (Antrag auf Einleitung des Hauptsacheverfahrens), 54 Abs. 1 (Antrag auf Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung) oder Abs. 2 (Antrag auf Neubescheidung nach mündlicher Verhandlung , richtig: mündlicher Erörterung) zur Verfügung.
20
cc) Der Vergleich dieser jeweiligen Regelungsgefüge ergibt, dass in den Fällen, in denen aufgrund des gemeinsamen Hausstandes der Antragsgegner zunächst das FGG anwendbar war, mit Blick auf die hiesige Fragestellung eine substantielle Änderung des Verfahrensrechts nicht eingetreten ist. Insbesondere galt insoweit auch bereits vor Inkrafttreten des FamFG der Amtsermittlungs-, nicht aber der Beibringungsgrundsatz.
21
Nach dieser Prozessmaxime richtete sich allerdings, soweit die Parteien keinen gemeinsamen Hausstand hatten, das in diesen Fällen geltende Verfahren nach der Zivilprozessordnung. Insoweit waren auch echte Säumnisentscheidungen möglich, d.h. solche, die gegen eine säumige Partei aufgrund deren Säumnis ergingen. Dies bedeutete allerdings nicht, dass in diesen Fällen in der Sache keine richterliche Prüfung geboten war. Vielmehr setzte der Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 GewSchG die vom Gericht zu bewertende Schlüssigkeit des Vorbringens des Antragstellers voraus. Das Gericht war demnach auch in den Fällen der Säumnis des Antragsgegners verpflichtet zu prüfen, ob das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers, seine Richtigkeit unterstellt , die rechtlichen Voraussetzungen des § 1 GewSchG erfüllt. Aufgrund des nunmehr geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes ist insoweit eine Änderung eingetreten, als das Familiengericht nunmehr über den Vortrag des Antragstellers hinaus eigene Sachverhaltsermittlungen anstellen kann; eine reine Säumnisentscheidung ist damit - auch im Verfahren über eine einstweilige Anordnung - ausgeschlossen (§ 51 Abs. 2 Satz 3 FamFG). Nach wie vor kommt jedoch dem Sachvortrag des Antragstellers eine herausragende Bedeutung zu. Auch sind immer noch Entscheidungen möglich, die ergehen, ohne dassdas Vorbringen des Antragsgegners Berücksichtigung findet. Dies gilt insbesondere im einstweiligen Anordnungsverfahren, bei dem allein auf der Grundlage der Antragsbegründung und Glaubhaftmachung durch den Antragsteller in vom Gericht als besonders eilbedürftig bewerteten Fällen eine Entscheidung ohne jedes rechtliche Gehör des Antragsgegners in Betracht kommt, wenn andernfalls der Zweck der Maßnahme nicht erreicht werden könnte (Keidel/Giers, FamFG, 17. Aufl., § 51 Rn. 14, 16). Derartige Fallkonstellationen liegen gerade in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz nicht fern, insbesondere wenn schon aufgrund der Benachrichtigung des Antragsgegners von dem Antrag weitere Handlungen gegenüber dem Antragsteller zu besorgen sind.
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b) Der Wortlaut des § 4 GewSchG steht dem dargelegten Willen des Gesetzgebers nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat zwar die Möglichkeit nicht genutzt , durch Verwendung des Attributs "rechtmäßig" im Gesetzestext von vorneherein jeden Zweifel auszuräumen, und stattdessen dort lediglich die Zusätze "bestimmt" und "vollstreckbar" aufgenommen. Die ausdrückliche Erwähnung der notwendigen Bestimmtheit der Anordnung schließt eine darüber hinausgehende Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch das Strafgericht allerdings nicht aus. Dies zeigt etwa der Vergleich zu dem nach § 145a StGB strafbaren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht. Auch dort spricht der Gesetzestext nur von einer "bestimmten" Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeich- neten Art. Es entspricht indes einhelliger Auffassung in Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 - 3 StR 486/12, BGHSt 58, 136) und Literatur (vgl. etwa Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 145a Rn. 2; MüKoStGB/Groß, 2. Aufl., § 145a Rn. 10), dass auch eine aus anderen Gründen rechtsfehlerhafte Weisung - wenn sie etwa unzulässig oder ihre Erfüllung für den Verurteilten unzumutbar (§ 68b Abs. 3 StGB) ist, - die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen kann. Auch dort ist demnach eine über die Bestimmtheit hinausgehende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Weisung durch das erkennende Strafgericht erforderlich, obwohl die der Strafbarkeit zugrunde liegende Weisung von einem Richter erlassen worden ist. Soweit in § 4 GewSchG die Vollstreckbarkeit der Anordnung ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen ist, bleibt dies ebenfalls ohne signifikante Aussagekraft. So wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einerseits das Erfordernis der Vollziehbarkeit in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VereinsG (BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1989 - 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244, 256) oder § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB (BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1987 - 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329, 346) zwar als Einschränkung der Überprüfungspflicht verstanden. Demgegenüber wird andererseits im Rahmen der Strafbarkeit wegen Teilnahme an einer Versammlung trotz vollziehbaren Verbots nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung der Verwaltungsentscheidung durch die Strafgerichte verlangt (BVerfG, Beschlüsse vom 12. März 1998 - 1 BvR 2165/96 und 2168/96, juris Rn. 13; vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91 und 576/91, NStZ 1993, 190, 191). Danach kann den hier verwendeten Begriffen der Bestimmtheit und Vollziehbarkeit keine letztlich maßgebende Relevanz zugemessen werden.
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c) Auch eine Orientierung an Sinn und Zweck der Norm lässt eine eindeutige Antwort nicht zu. Die Strafbewehrung eines Verstoßes gegen eine An- ordnung nach § 1 GewSchG in § 4 GewSchG soll einerseits dazu dienen, im Interesse der Opfer die Effektivität der gerichtlichen Schutzanordnung zu verbessern (BT-Drucks. 14/5429 S. 21). Diese Effektivität wird beeinträchtigt, wenn über denselben Sachverhalt in verschiedenen gerichtlichen Verfahren mehrfach Beweis zu erheben ist. Indes belegen die Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber diesen Gesichtspunkt im Blick hatte. Darüber hinaus ist zu beachten, dass sowohl eine Anordnung nach § 1 GewSchG als auch eine Verurteilung nach § 4 GewSchG in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit des Betroffenen nach Art. 2 Abs. 1 GG und damit eines Grundrechts von hohem Rang eingreifen. Ist die Anordnung nach § 1 GewSchG materiell rechtswidrig , weil beispielsweise die ihr zugrunde gelegte Anlasstat gar nicht stattgefunden hatte oder weil die Anordnung über das zur Gefahrenabwehr Erforderliche hinaus geht, so ist schon dieser Eingriff nicht zum Rechtsgüterschutz des Antragstellers geboten (vgl. Heghmanns, in Festschrift Achenbach, 2011, S. 117, 122). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass eine hierüber noch hinausgehende Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion als der schärfsten dem Staat zur Verfügung stehenden Reaktion auf menschliches Fehlverhalten nach rechtsstaatlichen Maßstäben möglichst nur dann verhängt werden sollte, wenn so weit wie möglich sichergestellt ist, dass der Täter das durch die Strafnorm letztlich geschützte Rechtsgut tatsächlich und nicht nur formal beeinträchtigt hat.
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d) Die systematische Auslegung der Norm führt ebenfalls zu keinem eindeutigen Ergebnis. Soweit in diesem Zusammenhang auf die Vergleichbarkeit zu den Fällen der verwaltungsakzessorischen Straftatbestände abgestellt und daraus eine Bindungswirkung abgeleitet wird (vgl. Lampe, jurisPR-StrafR Anm. 2, 5/2011 C. 4.), gerät aus dem Blick, dass nach den Vorgaben des Bun- desverfassungsgerichts die Frage der Akzessorietät in jedem Einzelfall anhand der jeweiligen konkreten Strafnorm zu bestimmen ist. Aus systematischer Sicht spricht eher für eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung, dass es sich bei den Sachverhalten , die als Voraussetzung für den Erlass einer Schutzanordnung in Betracht kommen, überwiegend umStraftaten (§§ 123, 223, 239, 240, 241 StGB) handelt, auch wenn die materiellrechtliche Grundlage der Anordnung in § 823 Abs. 1, § 1004 BGB liegt. Wird ein solcher Sachverhalt, auf den der Erlass einer familiengerichtlichen Entscheidung nach § 1 GewSchG gestützt wurde, zugleich Gegenstand eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, so erscheint es widersprüchlich , dass das Strafgericht bei der Beurteilung einer Strafbarkeit nach § 4 GewSchG an die bloße Existenz der Schutzanordnung gebunden sein soll, wenn das Ermittlungsverfahren wegen der Anlasstat selbst - etwa aus tatsächlichen Gründen - nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Angeklagte freigesprochen worden ist (vgl. Pollähne, in Barton Beziehungsgewalt und Verfahren 2004, S. 133, 149). Andererseits ist zwar nicht zu verkennen, dass bei einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung nach § 1 GewSchG durch das Strafgericht dieses de facto - auch - als Kontrollorgan für Entscheidungen der Familiengerichte fungiert (kritisch deshalb etwa Lampe, aaO; Müller , FF 2002, 43, 46 Fn 24). Allerdings belegt etwa die Regelung des § 262 StPO, dass es nicht generell als systemfremd zu bewerten ist, wenn Strafgerichte Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten eigenständig bewerten.
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e) Nach alldem bleibt die historische Auslegung des § 4 GewSchG für die Entscheidung der Vorlegungsfrage ausschlaggebend.
Becker RiBGH Pfister befindet Schäfer sich in Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Mayer Gericke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.