Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2012 - 5 StR 372/12

bei uns veröffentlicht am25.09.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 372/12
(alt: 5 StR 397/11)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. April 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. .
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten nach Aufhebung einer noch weitergehenden Verurteilung durch Senatsbeschluss vom 10. November 2011 (NStZ-RR 2012, 82) unter Freisprechung im Übrigen wegen besonders schweren Raubes, wegen Amtsanmaßung in Tateinheit mit Diebstahl und wegen Amtsanmaßung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zum Erfolg. Auf die zugleich erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
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a) In der Nacht vom 11. zum 12. April 2010 befuhren der Angeklagte und der insoweit bereits rechtskräftig verurteilte R. mit einem gestohlenen Pkw Peugeot 307 das Berliner Stadtgebiet. Sie beabsichtigten, sich im Fließverkehr durch Vorzeigen einer rot blinkenden Polizeianhaltekelle als Zivilstreife der Polizei auszugeben und Fahrer hochwertiger Kraftfahrzeuge zum Anhalten zu veranlassen, um sie unter einem Vorwand zum Verlassen des Fahrzeugs zu bringen und sodann mit diesem davonzufahren. In Umsetzung dieses Tatplanes stoppten sie insgesamt drei Fahrzeuge, wobei der Angeklagte jeweils als Fahrer des Peugeot fungierte und R. sich nach dem Anhalten der Fahrzeuge gegenüber dem jeweiligen Fahrer als Polizeibeamter ausgab und die Herausgabe von Führerschein und Fahrzeugpapieren forderte. Während es R. in einem Fall tatsächlich gelang, mit dem Fahrzeug des Geschädigten davonzufahren, scheiterte dies in den anderen beiden Fällen, in denen sich der Angeklagte und R. sodann gemeinsam in dem Peugeot vom Tatort entfernten.
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Am 12. April 2010 zwischen 11.00 Uhr und 12.50 Uhr suchte der Angeklagte in Begleitung einer unbekannten männlichen Person eine PostbankFiliale in Berlin-Mariendorf auf und ließ sich dort von dem am Schalter tätigen Mitarbeiter S. beraten. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Mitarbeiterin Sc. in der Filiale. Die Zeugin Sc. , die zu diesem Zeitpunkt keinen eigenen Kunden zu bedienen hatte, verfolgte das Gespräch ihres Kollegen S. mit dem Angeklagten.
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Am selben Tag kurz vor 18.00 Uhr fuhren der Angeklagte, der insoweit bereits rechtskräftig verurteilte So. und zwei weitere männliche Personen, unter ihnen vermutlich R. , mit dem bereits genannten Pkw Peugeot 307 zu der Postbank-Filiale, um diese zu überfallen. Während einer der Täter im Fahrzeug wartete, stürmten der Angeklagte, So. und ein weiterer Komplize den Geschäftsraum der Bank.So. und der Angeklagte waren mit einer mit einem Sehschlitz versehenen Sturmhaube maskiert. Der Angeklagte führte einen Zimmermannshammer mit sich, während der unbekannte Täter mit einem Baseballschläger bewaffnet war. Durch Drohungen mit dem Hammer und dem Baseballschläger schüchterten die Täter die Postbankmitarbeiter S. und B. ein und veranlassten sie dazu, die Kasse zu öffnen, aus der einer der Täter das Bargeld entnahm. Zudem nahmen sie weitere Gegenstände an sich, flüchteten zu dem im Pkw wartenden Komplizen und fuhren davon.
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b) Der Angeklagte wurde am 14. April 2010 von Polizeibeamten dabei beobachtet, wie er als Fahrer des Pkw Peugeot 307 aus einer in der Nähe seiner Wohnung befindlichen Tiefgarage fuhr. Dort wurde der Pkw am Folgetag sichergestellt. In ihm befanden sich ein vermutlich bei sämtlichen Taten von R. getragener sogenannter „Fischerhut“ mit einem aufgenähten Emblem „Hertha BSC“, eine Anhaltekelle mit rotem Blinklicht, ein Base- ballschläger, bei dem es sich nach der Überzeugung des Landgerichts um ein Tatwerkzeug handelt, sowie bei dem Postbank-Überfall entwendete Gegenstände und zwei schwarze Wollsturmhauben mit Sehschlitz.
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Der Zeuge S. gab am Tattag gegenüber den die Strafanzeige aufnehmenden Beamten an, er sei sich sicher, dass es sich bei dem Täter mit dem Zimmermannshammer um den Wortführer seiner beiden Kunden vom Vormittag gehandelt habe. Er beschrieb den Täter wie folgt: Südeuropäischer Typ, 20 bis 25 Jahre alt, 160 bis 170 cm groß, dunkle kurze Haare, dunkelbraune Augen, hatte einen aufgeregten Blick, sprach akzentfrei Deutsch. Bei einer weiteren Befragung am 22. April 2010 bekundete der Zeuge, er habe den maskierten Täter anhand seines Auftretens, seiner Stimme und seiner Augen als den Kunden vom Vormittag wiedererkannt. Als ihm die Kriminalbeamtin am gleichen Tag ein aktuelles Foto des Angeklagten vorlegte, konnte der Zeuge ihn nicht wiedererkennen. Am 18. Januar 2011 wurden dem Zeugen S. bei der Polizei drei DVDs mit Videowahlgegenüberstellungen von jeweils sechs männlichen Personen vorgeführt, bei denen er den Angeklagten und eine tatneutrale Person als ähnlich mit seinem Kunden vom Vormittag des Tattages bezeichnete.
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Die Zeugin Sc. , die am Mittag, nicht jedoch bei dem Überfall in der Postbank zugegen war, beschrieb den „Sprecher“ der beiden Kunden in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 12. April 2010 folgendermaßen: Südländischer Typ, 25 bis 30 Jahre alt, 175 bis 180 cm groß, schlanke sportliche Figur, kurze schwarze Haare, unrasiert (Dreitagebart), sprach gutes akzentfreies Deutsch. Bei einer Einsichtnahme in die Lichtbildvorzeigekartei zwei Tage nach der Tat wurden der Zeugin 417 Lichtbilder vorgelegt, unter denen sich gemäß einer Wahrunterstellung des Landgerichts auch ein Foto des Angeklagten befand; die Zeugin erkannte niemanden wieder. Als ihr zehn Tage nach der Tat je zwei aktuelle Fotos des Angeklagten unddes R. vorgelegt wurden, erklärte sie zu den Fotos des Angeklagten, dass die abgebildete Person eine sehr große Ähnlichkeit mit dem verdächtigen Kunden habe. Sie erkenne ihn vor allem an seinem schmalen Gesicht, dem Dreitagebart und seinen kurzen schwarzen Haaren wieder. Allerdings habe der Kunde die Haare als Pony getragen. Auf konkrete Nachfrage schätzte die Zeugin ihre subjektive Sicherheit bei der Identifizierung auf 85 % ein. Am 18. Januar 2011 wurden der Zeugin Sc. zwei DVDs mit Videowahlgegenüberstellungen von jeweils sechs männlichen Personen vorgeführt, bei denen sie den Angeklagten nicht wiedererkannte. In der ersten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin bekundete die Zeugin, nachdem sie bei ihrer Vernehmung zunächst geschwiegen hatte, sie sei sich fast sicher, dass „er“ es gewesen sei, und zeigte dabei auf den Angeklagten. Auf Nachfrage ergänzte sie, sie habe ihn sofort erkannt, als sie den Saal betreten habe.
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2. Das Landgericht hat sich aufgrund einer Gesamtschau der folgenden Indizien von der Täterschaft des Angeklagten beim Überfall auf die Postbank überzeugt:
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Der Zeuge S. habe den Täter mit dem Hammer zur Überzeugung der Kammer zutreffend als seinen Kunden vom Vormittag identifiziert. Der Angeklagte komme somit nach der Aussage des Zeugen S. zumindest als Täter in Betracht, da die Personenbeschreibung des Zeugen fast vollständig auf den Angeklagten zutreffe, der allerdings tatsächlich 176 cm groß sei. Die Identifizierung des Angeklagten als Wortführer der beiden Kunden vom Vormittag durch die Zeugin Sc. sei zwar mängelbehaftet, da sie den Angeklagten weder in der Lichtbildvorzeigekartei noch bei der Videowahlgegenüberstellung erkannt habe und ihr bei der Identifizierung am 22. April 2010 nur Fotos des Angeklagten präsentiert worden seien. Allerdings sei der Grad ihrer subjektiven Überzeugung bei der Identifizierung vom 22. April 2010 und besonders in der ersten Hauptverhandlung sehr groß. Zudem treffe die differenzierte Personenbeschreibung, die die Zeugin noch vor Kenntnisnahme aller Vergleichsfotos und Videos gegeben habe, fast vollständig auf den Angeklagten zu. Die Strafkammer sei daher aufgrund einer Zusammenschau mit den weiteren Beweisergebnissen zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeugin Sc. den Angeklagten zutreffend als den Wortführer der beiden Kunden vom Vormittag identifiziert habe. Außerdem treffe auch die Personenbeschreibung eines weiteren Zeugen, der die Täter vor dem Betreten der Filiale gesehen hatte, auf den Angeklagten zu. Ferner sei der Angeklagte zwei Tage nach der Tat im Besitz des Fluchtwagens und damit auch der im Fahrzeug aufgefundenen Tatwerkzeuge und Beuteteile gewesen. Zudem habe er, wie sich aus Observationsberichten ergebe, sowohl drei Tage vor der Tat als auch drei Tage danach engen Kontakt zu dem Mittäter So. gehabt. Schließlich ergäben Observationen und die Auswertung eines sichergestellten Navigationsgerätes, dass er im September 2010 in Berlin und Umgebung diverse Bankfilialen ausgekundschaftet habe.
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Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten in den Fällen des Pkw-Diebstahls stützt das Landgericht darauf, dass der Angeklagte am 14. April 2010 das Tatfahrzeug nebst dem darin enthaltenen Tatwerkzeug (Anhaltekelle, Fischerhut) in Besitz gehabt habe, ferner darauf, dass die Personenbeschreibung eines Geschädigten (männlich, Südländer, sprach Deutsch ohne Akzent, 20 bis 25 Jahre alt, dunkler Hauttyp, kurze, dunkle Haare, schlanker Körperbau) auf den Angeklagten zutreffe und dass zwischen ihm und dem Mittäter R. ein enger Kontakt bestehe.
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3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die von der Strafkammer angeführten Indizien sind weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit geeignet, eine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten zu bilden. Insbesondere ist eine aussagekräftige Identifizierung des Angeklagten hinsichtlich beider Tatkomplexe nicht belegt. Zudem ist die Beweiswürdigung in erheblicher Weise lückenhaft.
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Die zur richterlichen Überzeugungsbildung erforderliche persönliche Gewissheit setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH, Beschlüsse vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235, und vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26, jeweils mwN). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
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a) Zum Überfall auf die Postbank-Filiale
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aa) Die Strafkammer hat nicht hinreichend bedacht, dass der Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin Sc. aufgrund erheblicher Mängel der Wiedererkennungsleistung nur ein äußerst geringer Beweiswert zukommt. Dieser ist – was die Strafkammer im Grundsatz richtig erkannt hat – bereits dadurch stark herabgesetzt, dass die Zeugin den Angeklagten lediglich auf einer Einzelbildvorlage erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO § 261 Identifizierung 13; Beschluss vom 18. August 1993 – 5 StR 477/93). Dieser Umstand wiegt um- so schwerer, als die Zeugin – was das Landgericht ebenfalls im Grundsatz nicht verkannt hat – den Angeklagten weder in der sequentiellen Lichtbildvorlage noch in der Videowahlgegenüberstellung identifizieren konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, BGHR StPO § 261 Identifizierung 17), da dies Zweifel an ihrer Fähigkeit zur Wiedererkennung des Täters weckt und zusätzlichen Anlass zu der Annahme gibt, die Zeugin könnte durch den mit der Einzellichtbildvorlage verbundenen suggestiven Effekt beeinflusst worden sein.
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Soweit das Landgericht in dem von der Zeugin angegeben Grad ihrer subjektiven Sicherheit einen die Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistung steigernden und die vorgenannten Mängel jedenfalls teilweise aufwiegenden Gesichtspunkt erachtet, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Durch die anlässlich der Einzelbildvorlage geäußerte Einschätzung der Zeugin, sie sei sich hinsichtlich der Identifizierung zu 85 % sicher, wird die Verlässlichkeit der Wiedererkennung nicht gesteigert, sondern über die auch vom Landgericht anerkannten Mängel hinaus zusätzlich herabgesetzt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2009 – 5 StR 235/09, NStZ 2010, 53, und vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 439/08, BGHR StPO § 261 Identifizierung 17). Denn durch diese Äußerung hat die Zeugin selbst Zweifel hinsichtlich des Erkennens benannt, über die sich das Tatgericht nicht ohne weiteres hinwegsetzen darf (BGH aaO). Einer Einstufung der Wiederkennungsleistung als zuverlässig steht insoweit entgegen, dass das Ausmaß der Unsicherheit aufgrund der Prozentangabe der Zeugin kaum objektivierbar ist.
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Im Hinblick auf die von der Zeugin anlässlich der Identifizierung in der ersten Hauptverhandlung geäußerte Sicherheit lässt das Landgericht zum einen außer Acht, dass insoweit eine verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation bestand (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – 5 StR 593/05, NStZ-RR 2006, 212). Zum anderen hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht, dass es sich hierbei vor dem Hintergrund der Einzellichtbildvorlage vom 22. April 2010 um ein wiederholtes Wiedererkennen handelte, dessen Verlässlichkeit wegen der Beeinflussung durch die Situation des ersten Wiedererkennens und der durch diese bedingten Überlagerung des ursprünglichen Erinnerungsbildes deutlich vermindert ist (BGH, Urteil vom 28. Juni 1961 – 2 StR 194/61, BGHSt 16, 204, 205 f.; vgl. ferner BGH, Urteil vom 19. November 1997 – 2 StR 470/97, BGHR StPO § 261 Identifizierung 13). Das Landgericht hätte daher in seine Bewertung einstellen müssen, dass sich die Zeugin unbewusst an der Einzellichtbildvorlage orientiert haben könnte.
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Schließlich ist auch das uneingeschränkte Heranziehen der von der Zeugin Sc. abgegebenen „differenzierten“ Personenbeschreibung als Beleg für die Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistung problematisch, da diese gerade keine besonders kennzeichnenden Merkmale enthält und auf eine sehr große Anzahl von Personen – insbesondere auch aus dem Umfeld des verurteilten Täters So. – zutreffen dürfte.
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bb) Auch soweit die Strafkammer der von ihr vorgenommenen Gesamtschau der Indizien die Überzeugung zugrunde legt, der Zeuge S. habe den Täter mit dem Hammer zutreffend als seinen Kunden vom Vormittag wahrgenommen, erörtert sie nicht hinreichend die Zuverlässigkeit dieser Identifizierungsleistung. Hierzu hätte in besonderem Maße Anlass bestanden , da der Täter maskiert war und der Zeuge ihn lediglich anhand seines „Auftretens“, seiner Stimme und seiner Augen wiedererkannt haben will, ihn aber andererseits zehn Tage nach der Tat auf einem aktuellen Foto nicht identifizieren konnte. Insbesondere wäre zu hinterfragen gewesen, ob es sich bei den vom Landgericht mehrfach in Bezug genommenen „unruhigen Augen“ tatsächlich um das besondere Kennzeichen einer Person oder aber um einen situationsbedingten, etwa aus Aufregung resultierenden Zustand handelt. Auch hinsichtlich der Personenbeschreibung des Zeugen S. gilt, dass diese kaum geeignet ist, eine Person aus dem Umfeld des festgestellten Täters So. in unterscheidbarer Weise kenntlich zu machen.
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cc) Angesichts des danach gravierend verringerten Beweiswerts der Identifizierungen des Angeklagten, auf die das Landgericht seine Überzeugung maßgeblich stützt, fehlt es insgesamt an einer ausreichenden Tatsachengrundlage , die den Schluss auf die für die Überzeugungsbildung erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft des Angeklagten zuließe. Die übrigen von der Strafkammer angeführten Gesichtspunkte vermögen auch in ihrer Gesamtheit nicht mehr als einen Verdacht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26). Dass der Angeklagte zwei Tage nach der Tat mit dem Fluchtfahrzeug – in dem sich Tatwerkzeug und ein Teil der Beute befanden – gesehen wurde, belegt letztlich nicht mehr, als dass er dem Bekanntenkreis der Täter zuzurechnen ist. Der Angeklagte wurde nach den Urteilsgründen offenbar nur ein einziges Mal mit dem Fahrzeug gesehen. Das Landgericht geht selbst nicht davon aus, „dass der Peugeot 307 dem Angeklagten exklusiv zur Verfügung stand“ (UA S. 29), und hältes für möglich, dass er „auch weiteren Personen, welche die Polizei … der Tätergruppierung aus dem Neuköllner Kiez zurechnet, zur Verfügung stand“ (UA S. 29). Das Auskundschaften von Bankfilialen etwa fünf Monate nach der Tat mag zwar eine allgemeine Tatgeneigtheit des Angeklagten erkennen lassen; ein hieraus gezogener Schluss auf die Täterschaft hinsichtlich der abgeurteilten Taten erweist sich jedoch mangels konkreten Bezugs zum Tatgeschehen auch im Zusammenhang mit den anderen Indizien lediglich als bloße Vermutung.
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dd) Schließlich enthält die Beweiswürdigung der Strafkammer auch hinsichtlich des Ausschlusses der nach der Spurenlage in Betracht kommenden Alternativtäter A. und T. einen bereits für sich genommen durchgreifenden Erörterungsmangel. Während sich in dem sichergestellten Pkw Peugeot keinerlei DNA-Spuren des Angeklagten fanden, wurden an beiden Sturmhauben Schuppenspuren des Mittäters So. festgestellt. Darüber hinaus wurden an einer Sturmhaube Schuppenspuren eines A. und eines T. vorgefunden. A. und T. sind dem Ur- teil zufolge „nach Erkenntnissen der Polizei bereits einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten“ (UA S. 30). Zwar erörtert das Landgericht in diesem Zusammenhang, weshalb der Angeklagte trotz dieser Spurenlage als Täter in Betracht komme. Mit einer möglichen Täterschaft der Spurenverursacher A. und T. setzt sich das Urteil jedoch in keiner Weise auseinander. Eine Begründung dafür, dass A. und T. „als Täter mit dem Zimmermannshammer – statt des Angeklagten – zur sicheren Überzeugung der Kammer“ ausscheiden, findet sich im Urteil nicht.
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b) Zum Tatkomplex der „falschen Polizisten“
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Die vom Landgericht angeführten Indizien stellen keine hinreichende objektive Grundlage für den Schluss dar, bei dem Mittäter des R. handele es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten. Vielmehr vermag die einmalige Benutzung des Fahrzeugs durch den Angeklagten angesichts der von der Strafkammer in Betracht gezogenen Möglichkeit, dass das Fahrzeug weiteren Personen der „Tätergruppierung aus dem Neuköllner Kiez“ zur Verfügung stand, auch im Zusammenhang mit der Verbindung des Angeklagten zu R. und der Tatsache, dass die – wiederum wenig spezifische und zu einer Vielzahl von Personen passende – Personenbeschreibung eines Geschädigten auf den Angeklagten zutrifft, auch in diesen Fällen lediglich einen Verdacht zu begründen. Zudem liegt ein Erörterungsmangel darin, dass es das Landgericht unterlassen hat, die Gründe des Freispruchs des Angeklagten von dem gleichgelagerten Vorwurf eines am 12. April 2012 gemeinsam mit R. begangenen Pkw-Diebstahls nach demselben Tatmuster näher mitzuteilen. Dem Revisionsgericht ist so die Prüfung verwehrt, inwieweit die zum Freispruch führenden Umstände auch die Überzeugung der Strafkammer von der Täterschaft des Angeklagten in den anderen Fällen des Pkw-Diebstahls in Frage zu stellen geeignet waren.
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4. Nach der zweiten Aufhebung dieser Sache wird das Verfahren insbesondere angesichts der noch bestehenden Untersuchungshaftanordnung besonders zügig zu fördern sein.
Basdorf Schaal Schneider
Dölp König

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2012 - 5 StR 372/12

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2012 - 5 StR 372/12 zitiert 3 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 520/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 12. Dezember 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Dezember 2001

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie sichergestellte Betäubungsmittel und drei Waagen eingezogen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den unerlaubten Betäubungsmittelhandel seines Onkels unter anderem dadurch gefördert , daß er Kokain in seiner Wohnung lagern ließ und transportierte. Be- sitz an dem gelagerten Kokain hatte er, weil er in Abwesenheit seines Onkels die alleinige Verfügungsgewalt über die Drogen hatte.
Der Angeklagte ist geständig, er habe seit Dezember 2000 gebilligt, daû eine Menge von etwa 100 g Kokain in seiner Wohnung gelagert wurde. Er bestreitet aber, Kenntnis von der Lagerung weiterer etwa fünf kg Kokain gehabt und am 4. Januar 2001 eine Menge von etwa 100 g Kokain transportiert zu haben.
1. Das Landgericht stützt seine Überzeugung, daû der Angeklagte Kenntnis von der Lagerung weiterer fünf kg Kokain hatte, auf folgende Indizien : Weil bei der polizeilichen Wohnungsdurchsuchung am 4. Januar 2001 die etwa fünf kg Kokain im Küchenschrank an derselben Stelle gefunden wurden, an der der Angeklagte nach seiner Einlassung im Dezember 2000 zwei Beutel mit insgesamt 100 g Kokain gesehen hatte, müsse er auch die übrigen Taschen und Beutel mit Kokain gesehen haben. Daû das Rauschgift erst zu einem späteren Zeitpunkt in die Wohnung gebracht und dort gelagert worden sei, schlieût das Landgericht mit der Erwägung aus, es sei “nicht nachvollziehbar, daû der Onkel, der sich ja bereit erklärt hatte, die Kokainmenge von 100 g zu verkaufen und der sich im Dezember nicht mehr in der Wohnung aufgehalten haben soll – zumindest hat ihn der Angeklagte dort nach eigenen Angaben nicht angetroffen – am 4. Januar 2001 oder kurz zuvor eine erheblich gröûere Kokainmenge erneut in die Wohnung verbracht haben soll”.
Diese Indizien sind nicht aussagekräftig und bilden keine tragfähige Grundlage für die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten.
Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewiûheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluû erlauben, daû das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daû die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen , verstandesmäûig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schluûfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloûe Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (BGH NJW 1982, 2882, 2883 m.w.Nachw.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7 und 26; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; BGHR StPO § 261 Vermutung 11; BGH, Beschl. vom 24.03.2000 ± 3 StR 585/99; Schäfer StV 1995, 147, 149).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Widerlegung der Einlassung des Angeklagten erschöpft sich insoweit in bloûen Vermutungen und in der Schilderung einer Verdachtssituation. Die im Urteil mitgeteilten Indizien lassen auch die Möglichkeit einer Einlagerung der etwa fünf kg Heroin erst im Januar 2001 zu. Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes der etwa fünf kg Kokain kann deshalb keinen Bestand haben.
2. Dagegen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit nicht zu beanstanden, als dem Angeklagten zur Last gelegt wird, 100 g Kokain unerlaubt besessen und Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben auch hinsichtlich der weiteren etwa fünf kg Kokain geleistet zu haben. Der Angeklagte hatte keine Vorkehrungen (etwa durch Auswechseln des Türschlosses ) gegen einen weiteren, auch umfangreicheren Handel mit Betäubungsmitteln getroffen und zumindest billigend in Kauf genommen, daû sein Onkel bei einer Rückkehr neue Betäubungsmittel mitbringt.
3. Der Senat schlieût aus, daû zum Schuldumfang weitere Festste llungen möglich wären und läût den Schuldspruch bestehen.
Dagegen hat der Strafausspruch wegen des beträchtlich geringeren Schuldumfangs hinsichtlich des nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB strafrahmenbestimmenden Verbrechens des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand. Der Aufhebung von Feststellungen zur Strafe bedarf es nicht. Der neue Tatrichter hat lediglich eine neue Bewertung vorzunehmen. Ergänzende, nicht widersprechende Feststellungen zur Strafe sind möglich.
Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 235/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 21. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juli 2009

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Vor der hier abgeurteilten Tat waren der Zeuge P. und seine Freundin H. am 6. Juni 2008 gegen 1.30 Uhr in ihrer Wohnung unter Einsatz eines gefährlichen Werkzeuges beraubt worden. Wegen dieser Tat hat das Landgericht den U. , einen Bekannten des Angeklagten, rechtskräftig verurteilt (UA S. 8). P. fürchtete sich vor dem ihm aus „Szenekreisen“ bekannten U. und erstattete zunächst keine Anzeige.
4
Am 14. Juni 2008 zwischen 2.00 und 3.00 Uhr drang der – vom Landgericht als Täter identifizierte – unmaskierte Angeklagte mit einer weiteren unbekannt gebliebenen maskierten Person in die Wohnung des P. ein. Als einer der Täter das Licht anschaltete, wachten P. und H. auf. Der Angeklagte hielt einen Baseballschläger drohend in seiner Hand und forderte den Geschädigten P. , der sich mittlerweile im Bett aufgesetzt hatte, mit den Worten: „Du hast meine Oma beklaut! Du hast ihr das Portemonnaie mit 165 Euro geklaut! Ich will das wiederhaben!“ (UA S. 9) zur Herausgabe von Bargeld auf. P. übergab dem Angeklagten – durch die Drohung mit dem Baseballschläger beeindruckt – elektronisches Gerät, Spiele und DVD-Filme im Wert von 230 Euro zuzüglich 30 Euro Bargeld.
5
b) Während der noch am Tattag durchgeführten polizeilichen Vernehmung schloss P. nach seinem „Gesamteindruck“ aus, dass U. als maskierter Täter in Betracht komme. Den unmaskierten Täter beschrieb er – ohne Angaben zur Kleidung machen zu können – als 24 bis 25 Jahre alt im Übrigen wie folgt: „170 bis 175 cm groß, schlanke Statur, deutscher Typ, solariumgebräunt , kurze dunkle Haare, nach hinten gekämmt, braune Haut und kreisrunder Bart von Oberlippe bis zum Kinn und an den Wangenknochen. Die Person habe sehr gepflegt gewirkt und deutsch ohne Auffälligkeiten gesprochen“ (UA S. 13). Die Zeugin H. hat über den Täter am gleichen Tag folgende Angaben gemacht: „Vermutlich Deutscher, südländischer Teint, ca. 168 bis 170 cm groß, sportliche Figur, ca. 22 bis 23 Jahre alt, trug leicht gewellte dunkelbraune kurze Haare, dunkle Augen, trug helle Jeans, ein helles T-Shirt, trug einen Oberlippen- und Kinnbart, insgesamt gepflegt und gut aussehend“ (UA S. 23).
6
Das Landgericht hat zum Aussehen des Angeklagten festgestellt: Es handele „sich um einen zur Tatzeit 30-jährigen Berliner, der sowohl aufgrund seines jungenhaften, glatten Gesichts als auch aufgrund seines gesamten Erscheinungsbildes, er ist ca. 168 cm groß, wiegt ca. 50 kg und ist von schlanker Statur, hat dunkle Augen, eine eher eckige Gesichtsform, kräftige Lippen und kurze dunkle Haare, einen leichten Bartansatz von der Oberlippe bis zum Kinn und trägt sportliche Kleidung, deutlich jünger wirkt“ (UA S. 12).
7
Beide Zeugen nahmen in die Lichtbildvorzeigedatei Einsicht. P. betrachtete 217, die Zeugin H. 200 Lichtbilder junger Männer, die entsprechend dem von den Zeugen geschätzten Alter des Tatverdächtigen zusammengestellt worden waren und den (älteren) Angeklagten deshalb nicht enthielten.
8
Die Zeugin H. erkannte indes auf einem von sechs vorgelegten weiteren Lichtbildern (Farbfotos in Passbildgröße; Profil, Seitenprofil und frontal) den Täter zu 100 %. Dabei handelte es sich um den 1985 geborenen und altersentsprechend aussehenden R. , der dem besonders jugendlich wirkenden Angeklagten von der Gesichts-, Nasen- und Mundform, dem Haaransatz, der Haarfarbe sowie dem Bartansatz her sehr ähnlich sieht (UA S. 19). R. s Gesicht sei zudem, wie das des Angeklagten, eher kantig (UA S. 14). Auch der Zeuge P. beurteilte das Erscheinungsbild des auf dem Bild zu sehenden R. nach dem Stil der Haare und vom Typ her dem Täter als sehr ähnlich (UA S. 14).
9
Die Zeugen wurden drei Tage später erneut zur Vernehmung einbestellt. Ihnen wurden fotokopierte schwarz-weiße Lichtbilder in Passbildformat von jeweils sieben Männern, darunter auch eines des Angeklagten vorgelegt. P. erkannte den als ungepflegt auffälligen U. (Bild 3) sowie dessen Freund K. (Bild 7) und bezeichnete das den Angeklagten zeigende Bild zu 80 % als das des Täters (UA S. 17). Der Zeuge habe sich nur deshalb nicht zu 100 % festlegen wollen, weil ihm nur ein Schwarzweißfoto des Kopfes und des Schulterbereiches vorgelegt worden sei. Zum Abgleich seiner Erinnerung habe ihm der Gesamteindruck gefehlt (UA S. 17).
10
Bei einer – am 18. November 2008 während laufender Hauptverhandlung ohne Benachrichtigung der Verteidigerin erfolgten – polizeilichen Gegenüberstellung sei der Zeuge dann sofort sicher gewesen. Der Angeklagte sei der erste gewesen, den der Zeuge im Rahmen der polizeilichen Gegenüberstellung gesehen habe. Aufgrund seines gesamten Erscheinungsbildes (Größe, Statur und Gesicht) sei er zu 100 % sicher gewesen. Die übrigen fünf Personen, die ihm anschließend noch gegenübergestellt worden seien, habe er als Täter ausgeschlossen. Auch in der Hauptverhandlung habe er den Angeklagten zweifelsfrei wiedererkannt.
11
c) Der Angeklagte hat bestritten, die Tat begangen zu haben. Er habe in dieser Zeit keine Verbindung zu U. gehabt und die Geschädigten noch nie gesehen. Seit zwölf Jahren habe er keinen Kontakt zu seiner Großmutter, so dass es ihm an dem erklärten Tatmotiv fehle.
12
d) Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten aufgrund der Wiedererkennungsleistung des Zeugen P. überzeugt. Dabei stützt sich das Landgericht „auf die Angaben des Geschädigten P. , die er im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung gemacht hat“ (UA S. 12). Nach den beweiswürdigenden Darlegungen (UA S. 22) misst die Strafkammer dem Ergebnis der Wahlgegenüberstellung und der Bewertung des Zeugen in der Hauptverhandlung nur insoweit Bedeutung bei, als die Zuverlässigkeit seiner früheren Identifizierung im Rahmen der Lichtbildvorlage nicht in Frage gestellt würde. „Denn die Kammer ist sich sehr wohl bewusst, dass hier die Gefahr besteht, dass der Zeuge sich an dem zuvor gesehenen Lichtbild orientiert“ (UA S. 22).
13
Das Landgericht hat Angaben der Zeugin H. , soweit die Identifizierung des Angeklagten als Täter in Frage steht, bei der Urteilsfindung nur insoweit berücksichtigt, als dass hierdurch keine Widersprüche zu den Angaben des Zeugen P. zutage getreten seien (UA S. 22). Die Zeugin habe die Verdächtigung des R. zurückgenommen und den Angeklagten bei der sequenziellen Gegenüberstellung zu 80 % und in der Hauptverhandlung eindeutig als Täter wiedererkannt.
14
2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben. Die Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten beruht ange- sichts der Komplexität und Fehlerträchtigkeit bei der hier in Frage stehenden Überführung eines Angeklagten allein aufgrund der Aussage und des Wiedererkennens einer einzelnen Beweisperson (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2003, 2444, 2445 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Identifizierung 6 und 16; BGHR StPO § 247a audiovisuelle Vernehmung 9) auf keiner ausreichenden Grundlage (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 17).
15
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die ausschließlich auf die Wiedererkennungsleistungen des Zeugen P. gestützte Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten unklar geblieben ist. Soweit das Landgericht auf eine Gesamtschau der konstanten und in sich stimmigen Aussage des Zeugen P. bei der Polizei und in der Hauptverhandlung abgestellt hat (UA S. 12/18), hat es die Problematik der suggestiven Wirkung früherer Wahrnehmungen auf das jeweils spätere Wiedererkennen (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 509 m.w.N.) nicht ausreichend bedacht. Soweit es – im Ansatz zutreffend – maßgeblich auf das erste Wiedererkennen auf dem Lichtbild am 17. Juni 2008 abstellt (UA S. 15/20/22), hat es indes übersehen, dass der Zeuge P. wegen des ihm fehlenden körperlichen Gesamteindrucks lediglich eine Sicherheit von 80 % angeben konnte (UA S. 17). Auf die – ohne Beeinflussung durch Lichtbilder – weitgehend mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung übereinstimmenden ersten Beschreibungen der Zeugen P. und H. (UA S. 12/18) hat das Landgericht seine Überzeugung nicht gestützt. Der Senat ist bei dem hier vorliegenden Fehlen offensichtlicher Identifizierungsmerkmale nicht in der Lage, aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe eine sichere Tatsachengrundlage für die Überzeugung des Landgerichts zu entnehmen.
16
b) Darüber hinaus ist fraglich und vom Landgericht nicht problematisiert worden, ob die ausschlaggebende Wahllichtbildvorlage den Erfordernissen des subjektiven Auswahlverfahrens entsprach (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 13 m.w.N.). Zwar hat sich das Landgericht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die abgebildeten Personen nicht ausnahmslos – wie vom Zeugen P. beschrieben – kurze, nach hinten gekämmte Haare aufwiesen sowie über einen kreisrunden Bart von der Oberlippe bis zum Kinn und an den Wangenknochen verfügten (UA S. 21). Es hat es aber unterlassen , die vorgelegten Bilder hinsichtlich weiterer wesentlicher Unterschiede zu würdigen. Der Angeklagte verfügt über eine eher eckige Gesichtsform und kräftige Lippen (UA S. 12). Diese Merkmale finden sich auf lediglich einem weiteren dem Zeugen vorgelegten Bild (UA S. 16; Bild 2: eckige Gesichtsform, im Verhältnis zur Oberlippe relativ kräftige Unterlippe; Bild 4: schmale Lippen, ovales Gesicht; Bild 6: schmale Lippen). Das den rechtskräftig verurteilten U. zeigende Bild 3 fiel ohnehin erheblich aus dem Rahmen (UA S. 15, 16).
17
c) Auch die Bestätigung des früheren Wiedererkennens, die das Landgericht im Ergebnis der fünf Monate nach der letzten Lichtbildvorlage angeordneten Gegenüberstellung gesehen hat, begegnet für sich betrachtet Bedenken. Das Landgericht hat überwiegend auf eher vage Identifizierungsmerkmale wie Größe und Statur abgestellt, die im Ansatz bei den anderen, indes in keiner Weise beschriebenen ausgeschlossenen fünf Vergleichspersonen ebenfalls hätten vorliegen müssen.
18
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang im Blick auf verfahrensrechtliche Beanstandungen, zu denen es freilich an einem vollständigen Vortrag fehlt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), an: Es widerstreitet der Struktur des Strafverfahrens grundlegend, wenn das Gericht während laufender Hauptverhandlung wesentliche, ihrer Natur nach nicht geheimhaltungsbedürftige, ergänzende polizeiliche Ermittlungen – wie hier die Durchführung einer Wahlgegenüberstellung –, deren Ergebnis dann in der Hauptverhandlung möglicherweise maßgeblich verwertet werden soll, in Auftrag gibt, ohne die Verteidigung hierüber zuvor ausreichend zu informieren und ohne den Versuch zu unternehmen, eine effektive Teilhabe der Verteidigung an den vorgesehenen Ermittlungen zu gewährleisten.
19
d) Schließlich ist die Beweiswürdigung des Landgerichts in zweifacher Hinsicht lückenhaft (vgl. BGHR StPO § 261 Identifizierung 16 und 17 m.w.N.).
20
Das Landgericht hat es unterlassen, die von der Zeugin H. hinsichtlich des R. erbrachte, zunächst als absolut plausibel bewertete Wiedererkennungsleistung daraufhin zu untersuchen, ob dem mitgeteilten Abgehen dieser Zeugin von ihrer früheren Bewertung sachliche Erwägungen zugrunde lagen. Läge noch ein Wiedererkennen von zwei unterschiedlichen Tatverdächtigen durch zwei Zeugen vor, würde solches eine Überzeugung von der Täterschaft der beiden wiedererkannten Personen verhindern. Der Beweiswert des Wiedererkennens durch einen Zeugen wird reduziert , falls ein zweiter, intellektuell gleich begabter Zeuge aus ähnlicher Wahrnehmungssituation eine andere Person als Tatverdächtigen wiedererkannt hat.
21
Ferner hat es das Landgericht unterlassen, die – auch einer Wahrunterstellung entsprechende – Einlassung des Angeklagten hinsichtlich des vom Täter geäußerten Tatmotivs, bestärkt durch an die Zeugin H. gerichtete beruhigende Worte, in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Das vom Täter angegebene Motiv – Wiedererlangung des seiner Großmutter gestohlenen Geldes – ist von solcher Originalität, dass es sich als Tarnung kaum von selbst versteht.
22
3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Der neue Tatrichter wird naheliegend das Verhältnis des Angeklagten zu dem rechtskräftig verurteilten U. – auch bezogen auf den diesem gemeinsam mit dem Angeklagten angelasteten weiteren Raub – nachzugehen haben (vgl. auch BGH wistra 2002, 260, 262; 430).
Basdorf Brause Schaal Dölp König

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 593/05

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Januar 2006

beschlossen:
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. September 2005 gewährt.
Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils.
1. Dem Angeklagten liegt zur Last, am 18. Januar 2003 gegen 1.45 Uhr in der Gegend des Berliner Alexanderplatzes einen auf dem Heimweg befindlichen 18-jährigen Schüler auf menschenleerer Straße mit einer Pistole von ungeklärter Beschaffenheit bedroht und zur Übergabe seiner Geldbörse mit 10 € und Papieren, eines Mobiltelefons und eines mit Zigaretten , einer Flasche Wein und einem Taschenrechner gefüllten Rucksacks gezwungen zu haben; den Hausschlüssel habe er dem Geschädigten zurück- gegeben und ihm einen Teil der Papiere einige Tage später mit der Post zurückgesandt.
2. Die Überführung des die Tat bestreitenden Angeklagten beruht allein auf der Identifizierung seiner Person als Täter und einer ihm gehörenden braunen Lederjacke als der vom Täter getragenen Oberbekleidung durch den Geschädigten. Dieser hatte den unmaskierten Täter anlässlich der Tat längere Zeit bei ausreichenden Lichtverhältnissen beobachten können. Zwei Tage nach der Tat hatte er bei Einsicht in die polizeiliche Lichtbildkartei aus 700 bis 800 Bildern, zusammengestellt nach seiner Täterbeschreibung (170 bis 175 cm Größe, 25 bis 30 Jahre, deutsche Nationalität), ein Lichtbild des Angeklagten herausgesucht, das „massive Ähnlichkeit mit dem Täter“ aufwies. Auf der Grundlage dieser Lichtbildidentifizierung erfolgte eine Wohnungsdurchsuchung beim Angeklagten, bei der weder ein Beutestück noch eine Pistole, jedoch eine braune Lederjacke des Angeklagten sichergestellt wurde; der Geschädigte hatte angegeben, dass der Täter eine solche getragen habe. Im Anschluss an die Wohnungsdurchsuchung wurde – aus unerfindlichen , im Urteil nicht abgehandelten Gründen – weder eine Wahlgegenüberstellung des Angeklagten mit dem Geschädigten durchgeführt noch eine Wahlvorlage der sichergestellten Jacke mit anderen ähnlichen Bekleidungsstücken durchgeführt. Vielmehr wurden dem Geschädigten – nunmehr drei Monate nach der Tat – zwei anlässlich der Wohnungsdurchsuchung gefertigte Polaroidfotos zur Identifizierung vorgelegt, die den Angeklagten, der die sichergestellte braune Lederjacke trägt, zeigen; ferner wurde ihm die Jacke vorgelegt. Der bewusst vorsichtig formulierende Geschädigte erkannte jeweils „zu 90 %“ den Angeklagten als Täter wieder, ferner die Jacke als Bekleidungsstück des Täters unter Hinweis auf bestimmte markante Merkmale.
Eine Wahlgegenüberstellung des Angeklagten mit dem Geschädigten unterblieb auch bis zur – aus ungeklärten, vom Landgericht nicht abgehandelten Gründen – erst mehr als zwei Jahre später erfolgten Anklageerhebung. Gleichfalls erfolgte keine Untersuchung des frankierten Briefum- schlags, in welchem dem Geschädigten seine geraubten Papiere rückübersandt worden waren; eine erst vom Landgericht auf Antrag der Verteidigung in Unterbrechung der Hauptverhandlung veranlasste Untersuchung genetischen Materials auf den Briefmarken ergab keine Identität mit der DNA des Angeklagten. Auch das Landgericht, das noch vor Anklagezustellung die Verhaftung des Angeklagten beschloss, veranlasste keine Wahlgegenüberstellung. In der Hauptverhandlung erkannte der Geschädigte den Angeklagten dann „spontan als Täter wieder“.
3. Die Beweiswürdigung, mit der sich das Landgericht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hat, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht die insbesondere mit der Beurteilung der Zuverlässigkeit der Wiedererkennungsleistungen des Geschädigten verbundenen Probleme nicht etwa grundlegend verkannt, sie teilweise auch ausführlich abgehandelt. Gleichwohl bleibt seine Gesamtwürdigung lückenhaft. Dies folgt aus der besonderen Schwierigkeit der konkreten Beweislage, die zudem durch aus dem Urteil ersichtliche gravierende Ermittlungsdefizite gekennzeichnet ist und darüber hinaus noch durch erheblichen Zeitablauf seit Begehung der Tat, zu dessen Ursache das Urteil schweigt, verstärkt wird.
Zunächst ergibt sich aus dem Urteil nicht, ob der Geschädigte bei der Anzeige über die benannten sehr allgemeinen Merkmale hinaus noch andere individuellere Merkmale des Erscheinungsbildes des Täters angegeben hatte. Hierin liegt ein für die Beurteilung zuverlässigen Wiedererkennens wesentlicher Umstand. Ebenso lässt sich dem Urteil nicht klar entnehmen, ob der Geschädigte bereits vor der Sachidentifizierung – abgesehen von der Angabe, dass der Täter eine „braune Lederjacke“ getragen habe – irgendwelche Merkmale jener Jacke bezeichnet hatte oder ob er ihre markanten Merkmale erst im Nachhinein nach der suggestiv gestalteten Identifizierungsvorlage als Wiedererkennungsmerkmale benannt hat. Für den letztgenannten Fall hätte die hierin liegende Schwäche der Identifizierungsleistung der Erörterung bedurft. Auch stellt das Landgericht anders als ausdrücklich für die Beurteilung der Personenidentifizierung das Phänomen des „Waffenfokus“ (vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO 4. Aufl. Rdn. 1391; Bender /Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht II 2. Aufl. Rdn. 726) in seine Bewertung der Sachidentifizierung nicht ein; dabei kann die Konzentration des Geschädigten auf die Waffe, mit der er bedroht wurde, eine gleichzeitige zuverlässige Wahrnehmung von Einzelheiten der Täterbekleidung eher noch stärker beeinträchtigt haben als bezogen auf das persönliche Erscheinungsbild des Täters.
Zudem fehlt im Urteil fast jegliche Personenbeschreibung des Angeklagten. Sie wäre bei der gegebenen schmalen Beweisdecke für die Frage wesentlich gewesen, ob das Erscheinungsbild des Angeklagten etwa so unauffällig und wenig markant war beziehungsweise einem verbreiteten Typ ungefähr gleichaltriger Männer derart entsprach, dass eine größere Gefahr der Personenverwechselung bestand. Bei der ergänzenden Verwertung des wiederholten Wiedererkennens in der Hauptverhandlung hat das Landgericht die verstärkte Suggestibilität der Identifizierungssituation im Rahmen einer Konfrontation des Geschädigten allein mit dem Verdächtigten in der Rolle des Angeklagten nicht ausdrücklich erörtert.
Schließlich bleibt auch die Prüfung möglicher Entlastungsindizien lückenhaft , anhand derer das Landgericht im Ansatz zutreffend die Gesamtschau aus Personen- und Sachidentifizierung hinterfragt. Dass der insoweit durch Zeugen gestützte Angeklagte in der Tatnacht mit seiner damaligen Partnerin in der gemeinsamen Wohnung die beiden kleinen Kinder ihrer Schwester gehütet hat und dass die Freundin meinte, der Angeklagte sei in jener Nacht „nicht weg“ gewesen, glaubt das Landgericht, verneint indes ein Alibi, da der Angeklagte sich von der tief schlafenden Frau unbemerkt hätte entfernen können. Diese Variante der Tatbegehung forderte jedoch eine zusätzliche , in die Gesamtwürdigung einzustellende Prüfung heraus, ob es plausibel – oder hingegen eher fernliegend – erscheint, dass sich der Angeklagte nachts heimlich bewaffnet in die Gegend des Alexanderplatzes begab, um dort einen augenscheinlich nicht ersichtlich begüterten jungen Passanten zu berauben. Das Urteil enthält hierzu nichts; ihm ist weder die Entfernung des Tatorts von der damaligen Wohnung des Angeklagten und seiner Freundin zu entnehmen, deren Adresse nicht benannt ist, noch enthält es nähere Feststellungen zu den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten und seiner Freundin zur Tatzeit.
4. Der Senat verkennt nicht, dass die aufgezeigten Beweiswürdigungslücken – unterbliebene Beschreibung des Erscheinungsbildes des Angeklagten zur Tatzeit, fehlende Angaben zu anfänglichen Personen- und Sachbeschreibungen durch den Geschädigten, fehlende Erörterung weiterer Schwachpunkte bei der Personen- und Sachidentifizierung, mangelnde Feststellungen für eine Plausibilitätskontrolle – selbst in der Summierung im Rahmen der revisionsgerichtlichen Sachprüfung bei gravierenderen Belastungsbeweisen möglicherweise nicht als erheblich zu beurteilen gewesen wären. Hingegen müssen sie bei der gegebenen ungewöhnlich problematischen Beweissituation – auch vor dem Hintergrund gewichtiger Ermittlungsmängel – zur Aufhebung des Urteils und Anordnung neuer tatgerichtlicher Prüfung führen.
Vor der namentlich bei fortdauernder Untersuchungshaft besonders zügig anzuberaumenden neuen tatgerichtlichen Verhandlung kann sich ein Aufklärungsversuch empfehlen, ob das untersuchte DNA-Material des Rücksendebriefs etwa einer den Ermittlungsbehörden bekannten bestimmten dritten Person zuzurechnen ist.
Sollte die neue Verhandlung wiederum zur Verurteilung des Angeklagten führen, werden Erörterungen zu einer Verletzung des Verzögerungsverbots (Art. 6 Abs. 1 MRK), gegebenenfalls mit den vorgeschriebenen Konsequenzen einer numerisch bestimmten Strafreduzierung, die im angefochtenen Urteil bei einem unerklärten Abstand von über zwei Jahren zwischen der letzten urteilsrelevanten Ermittlungshandlung und der Anklageerhebung gleichfalls fehlerhaft unterblieben sind (vgl. BGHSt 49, 342), unerlässlich sein.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.