Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Dez. 2011 - 5 StR 423/11

bei uns veröffentlicht am13.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 423/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 13. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 21. Juni 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Diebstahl (Einsatzstrafe: fünf Jahre Freiheitsstrafe), wegen Diebstahls in weiteren vier Fällen und wegen versuchten Diebstahls – unter Freisprechung im Übrigen – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass fünf Monate der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der 24-jährige Angeklagte bereits seit seinem 12. Lebensjahr regelmäßig Alkohol ; darüber hinaus besteht bei ihm eine psychische Abhängigkeit von Betäubungsmitteln. Er ist vielfach, insbesondere wegen Diebstahls, vorbestraft. In zwei Fällen hatte er bei Einbrüchen Feuer gelegt. Gegenstand der vorliegenden Verurteilung sind zum Teil unter den Voraussetzungen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB verübte Diebstähle, mit denen sich der Angeklagte eine Einkommensquelle für den Drogenerwerb verschaffen wollte. Im Zusammenhang mit einem Einbruch in ein Firmengebäude in der Kieler Innenstadt, bei dem der Angeklagte „Kaffeeutensilien“ sowie zahlreichekleine Taschenlampen erbeutete, steckte er einen Archivraum, in dem große Mengen alter Akten lagerten, in Brand. Der betreffende Gebäudeteil brannte ab; es entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 750.000 €. Zwei Polizeibeamte erlitten im Rahmen ihrer Diensttätigkeit leichte Rauchvergiftungen.
3
2. Die Urteilsfeststellungen rechtfertigen den Schuldspruch. Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
Die Prüfung der Voraussetzungen einer Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß §§ 20, 21 StGB weist Erörterungsmängel auf. Das Landgericht hat die Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit nur unter dem Gesichtspunkt einer aktuellen Drogenintoxikation des Angeklagten im Zeitpunkt der Taten geprüft und nur diese – in nachvollziehbarer Weise – ausgeschlossen. Es setzt sich zum einen nicht mit der naheliegenden Möglichkeit einer sogar physischen Rauschmittelabhängigkeit des Angeklagten auseinander, der seit seiner Jugend regel- mäßig Alkohol und Drogen konsumiert, sich in der „Szene der Drogenabhängigen in Kiel“ aufhält (UA S. 5) unddessen Leben durch Drogen und Be- schaffungskriminalität bestimmt ist (UA S. 30). Eine solche kann aufgrund hohen Suchtdrucks eine rauschunabhängige Minderung der Schuldfähigkeit begründen (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 11a). Zum anderen be- fasst es sich nicht mit der Frage, ob die vom Sachverständigen festgestellte, nicht näher klassifizierte „schwere Persönlichkeitsstörung“ des vom „Scheitern in seinem Leben“ (UA S. 30) geprägten Angeklagten Auswirkungen auf seine Schuldfähigkeit hatte. Insbesondere hinsichtlich der begangenen Brandstiftung, in der die Strafkammer ein „Handlungsmuster“ (UA S. 23) des Angeklagten erblickt, hätte Anlass für eine solche Prüfung bestanden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2001 – 5 StR 287/01 – und vom 17. Oktober 1995 – 5 StR 530/95).
5
3. Der Senat hebt den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Damit soll gegebenenfalls auch eine Prüfung einer Unterbringung nach § 63 StGB ermöglicht werden; nach den Feststellungen ist der Betäubungsmittelmissbrauch des Angeklagten das „sekundäre Phänomen“ seiner schweren Persönlichkeitsstörung (UA S. 30). Da es keine Hinweise auf einen völligen Ausschluss der Schuldfähigkeit gibt, kann demgegenüber der Schuldspruch bestehen bleiben.
6
4. Hinsichtlich des Ausspruchs über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der Maßregel und seiner Bemessung weist der Senat auf folgendes hin: Die erlittene Untersuchungshaft ist gemäß § 51 StGB von der Vollstreckungsbehörde auf den nach § 67 Abs. 2 StGB vorweg zu vollstreckenden Strafteil anzurechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1991 – 4 StR 121/91, BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweise 8); dieser ist daher im Urteilstenor grundsätzlich nicht um die Dauer der bisherigen Untersuchungshaft zu kürzen. Die Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat allerdings zu unterbleiben, wenn sich der mögliche Vorwegvollzug durch die vom Angeklagten seit seiner Festnahme erlittene Polizei- und Untersuchungshaft bereits erledigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober2007 – 2 StR 354/07, NStZ 2008, 212, 213).
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Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) In besonders schweren Fällen wird der Diebstahl mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
zur Ausführung der Tat in ein Gebäude, einen Dienst- oder Geschäftsraum oder in einen anderen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält,
2.
eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist,
3.
gewerbsmäßig stiehlt,
4.
aus einer Kirche oder einem anderen der Religionsausübung dienenden Gebäude oder Raum eine Sache stiehlt, die dem Gottesdienst gewidmet ist oder der religiösen Verehrung dient,
5.
eine Sache von Bedeutung für Wissenschaft, Kunst oder Geschichte oder für die technische Entwicklung stiehlt, die sich in einer allgemein zugänglichen Sammlung befindet oder öffentlich ausgestellt ist,
6.
stiehlt, indem er die Hilflosigkeit einer anderen Person, einen Unglücksfall oder eine gemeine Gefahr ausnutzt oder
7.
eine Handfeuerwaffe, zu deren Erwerb es nach dem Waffengesetz der Erlaubnis bedarf, ein Maschinengewehr, eine Maschinenpistole, ein voll- oder halbautomatisches Gewehr oder eine Sprengstoff enthaltende Kriegswaffe im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes oder Sprengstoff stiehlt.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 ist ein besonders schwerer Fall ausgeschlossen, wenn sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezieht.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 287/01

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Juli 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Juli 2001

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Februar 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und z um Vorsatz des Angeklagten aufrechterhalten.
Insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung in drei Fällen und wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit der erhobenen Sachrüge hat die Revision des Angeklagten den aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Erfolg.
Die Überprüfung des Schuldspruchs hat zu den Feststellungen zum Tatablauf und zur subjektiven Tatseite keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben; jedoch halten die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Der Angeklagte beging nach den Feststellungen zweimal durch Brände Sachbeschädigungen und legte dreimal Feuer in Wohnhäusern in der Umgebung seiner eigenen Wohnung. Bei den Taten, die innerhalb weniger Monate begangen wurden, war der Angeklagte jeweils leicht- bis mittelgradig alkoholisiert. Ein nachvollziehbares Motiv für die Begehung der Taten hat der Tatrichter nicht festgestellt. Wegen des Vorwurfs von neun weiteren Brandlegungen ist das Verfahren vorläufig eingestellt worden.
Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht auf der Grundlage des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen hinsichtlich sämtlicher Taten eine uneingeschränkte strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten trotz seiner Alkoholisierung und der teilweise zusätzlichen Einnahme von Psychopharmaka angenommen. Dabei hat es maßgeblich auf sein Leistungsverhalten abgestellt. Eine andere schwere seelische Abartigkeit hat es mit der Begründung verneint, der Angeklagte sei “neurologisch und psychisch unauffällig”, ohne Denk- und Wahrnehmungsstörungen und “querulatorisch ohne jeglichen Krankheitswert”.
Die Begründung des Landgerichts trägt die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit nicht. Insbesondere hat das Landgericht die zur Feststellung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erforderliche Ganzheitsbetrachtung nicht angestellt (vgl. BGHR StGB § 21 – Seelische Abartigkeit 4). Schon im Blick auf die Art der Kriminalität (vgl. BGH, Beschluß vom 17. Oktober 1995 – 5 StR 530/95 –) und wegen des in der Tatserie des Angeklagten deutlich zutage getretenen erheblichen Anstiegs seiner Gefährlichkeit bedurfte all dies eingehender Erörterung. Weder das Fehlen eines nachvollziehbaren Tatmotivs noch die aktuelle Belastungssituation des Angeklagten (vgl. BGHR StGB § 21 – Seelische Abartigkeit 5) noch seine auffälligen Reaktionen anläßlich zweier Festnahmen (UA S. 10, 18) wurden in die Prüfung einbezogen. Offenbar hat der psychiatrische Sachverständige den näheren Umständen der Taten wegen des Bestreitens des Angeklagten bei seiner Begutachtung allzu geringe Beachtung geschenkt. Die aufgezeigten Mängel bei der Beurteilung der Frage uneingeschränkter Schuld führen – bei Aufrechterhaltung der Feststellungen zu den sämtlich fehlerfrei getroffenen tatbezogenen Umständen – zur Aufhebung des Schuldspruchs. Der neue Tatrichter muß Gelegenheit haben, die strafrechtliche Verantwortung des Angeklagten einschließlich der sich daraus ergebenden Rechtsfolgen umfassend neu zu beurteilen (vgl. BGHR StGB § 21 – Seelische Abartigkeit 26).
Tepperwien Häger Basdorf Gerhardt Brause

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.