Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2012 - StB 13/12

bei uns veröffentlicht am14.11.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
StB 13/12
vom
14. November 2012
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 14. November
2012 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2011 (2 BGs 565/11) wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 3. Juni 2011 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tage (2 BGs 281/11), abgeändert und neu gefasst durch Beschluss vom 26. Oktober 2011 (2 BGs 565/11), in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe sich spätestens ab August 2010 im afghanisch -pakistanischen Grenzgebiet, in Ungarn und in Deutschland bis zu seiner Festnahme am 16. Mai 2011 als Mitglied an der Al Qaida beteiligt. Bei der Organisation Al Qaida handele es sich um eine Vereinigung im Ausland, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Der Generalbundesanwalt hat gegen den Angeklagten sowie den Mitangeklagten O. unter dem 11. November 2011 Anklage zum Kammergericht in Berlin erhoben. Das Kammergericht hat mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Senat hat im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121 ff. StPO mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 (AK 22 und 23/11) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Die Hauptverhandlung vor dem Kammergericht hat am 25. Januar 2012 begonnen und dauert seither an.
2
Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 Haftbeschwerde eingelegt und die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Zur Begründung hat sie allein darauf abgestellt, die bisherige Hauptverhandlung genüge nicht dem Beschleunigungsgebot. Das Kammergericht hat der Beschwerde am 10. Oktober 2012 nicht abgeholfen. Der dringende Tatverdacht habe sich durch die im Wesentlichen abgeschlossene Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung weiter verdichtet. Außerdem hat es den Gang der Hauptverhandlung im Einzelnen dargelegt sowie ausgeführt, dem Beschleunigungsgebot im Rahmen des Möglichen Rechnung getragen zu haben. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, weil die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft mit dem Freiheitsrecht des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar und dessen aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK folgender Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist nicht verletzt sei. Die Verteidigung hat mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2012 an ihrer Meinung festgehalten, gegen den Beschleunigungsgrundsatz sei "gravierend und unheilbar" verstoßen worden.
3
II. Die gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Insbesondere ist ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz nicht gegeben.
4
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der - von der Verteidigung mit der Beschwerde nicht beanstandete - dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB).
5
Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (st. Rspr.; vgl. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, juris Rn. 6; vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Kammergericht vor dem Hintergrund des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift zusammengefasst ist, ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen, aus seiner Sicht nahezu abgeschlossenen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, den der Senat auf der Grundlage des damaligen Ermittlungsergebnisses in seiner Haftprüfungsentscheidung ebenfalls bejaht hatte, nicht in Frage stellen bzw. sogar noch verdichten.
6
2. Es liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) vor; denn es ist aufgrund der im Haftbefehl sowie der Haftfortdauerentscheidung des Senats dargelegten Gründe auch derzeit noch wahrscheinlich, dass der Angeklagte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen wird. Weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO vermögen unter diesen Umständen nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden kann.
7
3. Entgegen der Ansicht der Verteidigung liegt auch mit Blick auf die sich aus dem Grundgesetz und der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebenden Anforderungen ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vor.
8
a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Forderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von dem Umfang und der Komplexität der Rechtssache, der Anzahl der beteiligten Personen und dem Verhalten der Verteidigung abhängig ist; dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Bei absehbar umfangreichen Verfahren erfordert das Beschleunigungsgebot eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umfassende Hauptverhandlungsplanung mit durchschnittlich mehr als nur einem Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. im Einzelnen BVerfG, Be- schlüsse vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, juris Rn. 23 ff.; vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10, juris Rn. 13; vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 19 ff.; vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, juris Rn. 40 ff.; vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07, juris Rn. 3; EGMR, Urteil vom 29. Juli 2005 - 49746/99 - C. /Deutschland, NJW 2005, 3125, 3126 f.; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, juris Rn. 12).
9
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Vorgehen des Kammergerichts einschließlich der Planung und Durchführung der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Vielmehr genügt die Verfahrensführung auch mit Blick auf die Dauer der Untersuchungshaft von mittlerweile mehr als 17 Monaten angesichts der maßgebenden konkreten Umstände in jeder Hinsicht den Anforderungen des Beschleunigungsgebots. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sind dabei im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte von Bedeutung:
10
aa) Das Kammergericht hat zunächst im Zwischenverfahren trotz des erheblichen Umfangs des Verfahrens mit bei Anklageerhebung 98 Stehordnern Verfahrensakten schon etwa einen Monat nach Akteneingang über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und - trotz der dazwischen liegenden Feiertage - bereits nur wenig mehr als einen Monat später mit der Hauptverhandlung begonnen.
11
bb) Nach der Aufstellung der Verteidigung wurde sodann in den 38 Wochen Hauptverhandlung bis zur Einlegung der Beschwerde an insgesamt 55 Terminen verhandelt. In sechs Wochen fanden jeweils drei Hauptverhandlungstermine , in 16 Wochen jeweils zwei und in elf Wochen fand jeweils ein solcher Termin statt. Hieraus ergeben sich durchschnittlich 1,45 Verhandlungstermine pro Woche. Somit ist im Durchschnitt an mehr als einem Tag pro Woche verhandelt worden. Dabei eingerechnet sind sogar diejenigen Zeiträume, in denen die Hauptverhandlung entsprechend den Vorgaben des § 229 StPO für längere Zeiträume unterbrochen worden ist. Es bedarf dabei keiner näheren Darlegung, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht dadurch begründet werden kann, dass im Rahmen der gesetzlichen Regelungen den berechtigten Regenerations- und Erholungsinteressen der Verfahrensbeteiligten in angemessener Weise Rechnung getragen wird; das Beschleunigungsgebot lässt vielmehr Unterbrechungen für eine angemessene Zeit bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 aaO juris Rn. 53). Mit Ausnahme der Urlaubswochen sind durchschnittlich sogar etwa zweieinhalb Verhandlungstage pro Woche anberaumt worden, obwohl - wie sich aus der Darstellung des Kammergerichts ergibt, der die Verteidigung insoweit im Rahmen der Beschwerde nicht entgegen getreten ist - der das Rechtsmittel vertretende Verteidiger Rechtsanwalt L. bei einer Besprechung am 18. November 2011 darauf hingewiesen hatte, es sei für die Verteidigung ein Problem, wenn regelmäßig drei Tage je Woche verhandelt würde, und der Versuch des Kammergerichts, nach der Sommerpause auch montags zu verhandeln und so die Verhandlung zu verdichten, auf erheblichen Widerstand der Verteidigung gestoßen ist.
12
cc) Folgt man der Berechnung der Verteidigung, dauerte ein durchschnittlicher Hauptverhandlungstermin einschließlich der Pausen mehr als vier Stunden, diese herausgerechnet immer noch deutlich mehr als zwei Stunden. Während die Verteidigung in ihrer Beschwerdebegründung zum Ablauf der einzelnen Sitzungstage keine Angaben gemacht und sich im Wesentlichen auf die Mitteilung der Verhandlungszeiten beschränkt hat, hat das Kammergericht zunächst dargelegt, die Verhandlungspausen überwiegend für notwendige Zwischenberatungen genutzt zu haben. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich zahlreiche Zeugenvernehmungen kürzer als ursprünglich geplant gestaltet haben, etwa weil die Zeugen von ihren Rechten aus den §§ 52, 55 StPO Gebrauch gemacht haben. Der Inhalt von Urkunden mit einem Umfang von mehr als 4.000 Blatt ist im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt worden , was zu einer erheblichen Verkürzung der Verhandlungsdauer geführt hat. Es versteht sich von selbst, dass der Zeitraum, den die Verfahrensbeteiligten benötigen, um den Inhalt der Urkunden außerhalb der Hauptverhandlung zur Kenntnis zu nehmen, bei der Gesamtbetrachtung nicht unberücksichtigt bleiben darf. Dasselbe gilt von Beratungszeiten, die für das Tatgericht etwa aufgrund von Anträgen der übrigen Verfahrensbeteiligten entstehen. In diesem Zusammenhang lässt eine vorausschauende Verhandlungsplanung es regelmäßig gerade zielführend erscheinen, jeweils Freiräume auch deshalb einzuplanen, damit diese für notwendige Zwischenberatungen etwa über zu bescheidende Anträge zur Verfügung stehen und auf diese Weise das geplante Hauptverhandlungsprogramm ohne Änderung im zeitlichen Ablauf durchgeführt werden kann. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Kammergericht praktizierte Verfahrensweise ebenfalls sinnvoll, in geeigneten Situationen die aufgrund der Zwischenberatungen getroffenen Entscheidungen erst am nächsten Verhandlungstag in die Hauptverhandlung einzuführen, anstatt den weiteren Verfahrensbeteiligten an dem konkreten Verhandlungstag Wartepflichten aufzuerlegen und so die Dauer des Verhandlungstages zu verlängern. Diese Vorgehensweise des Kammergerichts hat hier auch dazu beigetragen, dass die Sitzungen den Wünschen der Verteidiger entsprechend regelmäßig so geplant werden konnten, dass die jeweils für den Sitzungstag gebuchten Rückflüge aus Berlin wahrgenommen werden konnten.
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dd) In Bedacht zu nehmen ist schließlich, dass das Verfahren sich gegen zwei Angeklagte richtet und die Aufklärung der sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden vielfältigen Betätigungen der Angeklagten für mehrere aus- ländische terroristische Organisationen erfordert. Während der laufenden Hauptverhandlung hat sich deshalb etwa die Notwendigkeit ergeben, zahlreiche - teilweise umfangreiche - Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder zu richten, um auf diese Weise im Ausland gewonnene Ermittlungsergebnisse in das hiesige Verfahren einführen zu können. Es erschließt sich ohne Weiteres, dass diese Komplexität des Verfahrensstoffs eine umfangreiche Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Hauptverhandlungstage notwendig gemacht hat und weiterhin macht. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die zahlreichen Anträge der Verteidigung, insbesondere auf Einholung von Sachverständigengutachten und Vernehmung schwer erreichbarer Zeugen. Trotz dieses erheblichen Verfahrensumfangs und der Vermehrung des Beweisstoffs während der laufenden Hauptverhandlung hält das Kammergericht nach deutlich weniger als einem Jahr Hauptverhandlungsdauer - im Wesentlichen abhängig vom weiteren (Antrags -)Verhalten der Verteidigung - ein baldiges Ende der Beweisaufnahme für absehbar.
14
ee) Bei einer zusammenfassenden Bewertung der vorstehenden Gesichtspunkte besteht kein Zweifel daran, dass trotz der erheblichen Dauer der Untersuchungshaft die Anforderungen des Beschleunigungsgebots sowohl im Zwischen- als auch im Hauptverfahren gewahrt worden sind. Die Hauptverhandlung ist sowohl bezüglich der Anzahl der Sitzungstage als auch deren Dauer ausreichend zügig durchgeführt worden. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liegt nach alldem bei sachgemäßer Würdigung fern.
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4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verstößt vor allem mit Blick auf die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - das hypothetische Strafende (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 aaO juris Rn. 25) auch im Übrigen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Becker Schäfer Spaniol

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2012 - StB 13/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2012 - StB 13/12

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Nov. 2012 - StB 13/12 zitiert 13 §§.

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

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(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausg

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(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werd

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Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 18. Jan. 2016 - 2 Ws 742/15

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Diese Entscheidung wird zitiert Tenor Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftfortdauerbeschluss der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 30. November 2015 in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss desselben Geri

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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

6
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich

1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden,
2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen,
3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen,
4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.

(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.

(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.

(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn

1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,
2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder
3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 16. Februar 2012 - 1 Ws 32/12 - und der Beschluss des Landgerichts Dresden vom 1. August 2011 - 4 Qs 110/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Aufrechterhaltung von im Ausland vollzogener sogenannter "Einlieferungshaft".

I.

2

1. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden ordnete das Amtsgericht Dresden gegen den Beschwerdeführer mit Beschluss vom 22. Januar 2010 die Untersuchungshaft an. Ihm wird zur Last gelegt, in 32 Fällen einen gewerbsmäßigen Betrug begangen zu haben, davon in einem Fall als Versuch. Er soll sich Ende 2004 gemeinschaftlich mit seinem Vater durch eine vorgetäuschte Vermittlung von im Ausland zu besetzenden Arbeitsstellen eine Einnahmequelle von einiger Dauer verschafft haben. Personen, die sich auf entsprechende Zeitungsinserate gemeldet hätten und zu einem Vorstellungsgespräch erschienen seien, hätten zur Absicherung von Vorleistungen (Reisekosten, Unterbringung, Verpflegung, Arbeitskleidung etc.) geforderte Beträge zwischen 50 € und 1.000 € gezahlt. Entgegen den Versprechungen des Beschwerdeführers sei es jedoch - wie von vornherein beabsichtigt - nachfolgend nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrages gekommen. Die geleisteten Zahlungen seien nicht zurückerstattet worden, wodurch sich im Tatzeitraum zwischen 20. Januar 2005 und 4. Februar 2005 ein Gesamtschaden von 22.300 € ergeben habe.

3

Es bestehe der Haftgrund der Flucht nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO, weil der Beschwerdeführer ausweislich des Bundeszentralregisters seit dem 1. November 2002 wegen unbekannten Aufenthalts gesucht werde. Er habe im Falle einer Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Auch bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei die Anordnung der Untersuchungshaft geboten.

4

2. Nach Erlass des Haftbefehls leitete die Staatsanwaltschaft Dresden die internationale Fahndung ein. Der nicht vorbestrafte und bis dahin haftunerfahrene Beschwerdeführer wurde am 28. Februar 2011 in Asunción/Paraguay festgenommen, wo er seit 2005 mit seiner Ehefrau und zwei minderjährigen Kindern lebt. Nachdem er zunächst seiner Auslieferung in die Bundesrepublik Deutschland zugestimmt und das zuständige Gericht in Paraguay am 4. Juli 2011 die Auslieferung genehmigt hatte, legte er gegen die Auslieferungsentscheidung ein Rechtsmittel ein, über das die Justiz in Paraguay noch nicht entschieden hat. Der Beschwerdeführer befindet sich weiterhin in Auslieferungshaft.

5

3. Dem Beschwerdeführer war der Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden am 12. Juli 2011 ausgehändigt worden. Mit Schreiben vom 17. Juli 2011 legte er Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts ein.

6

Er rügte die erst nach viereinhalb Monaten erfolgte Aushändigung des Haftbefehls sowie eine unzureichende Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft. Er sei unschuldig und selbst Opfer eines von einer anderen Person begangenen Betruges geworden. Die Suchanfrage im Bundeszentralregister stamme aus dem Jahr 2002 und hätte gelöscht werden müssen, als er im Juni 2003 seinen Wohnsitz in Haan/Rheinland (Landkreis Mettmann) angemeldet habe. Er beanstandete auch eine lange Verfahrensdauer. Das deutsche Auslieferungsersuchen sei erst einen Tag vor Ablauf der dreimonatigen Frist gestellt worden.

7

Ferner beschrieb der Beschwerdeführer seine Haftsituation in Paraguay. Er sei in einer verschmutzten Mehrpersonenzelle ohne Bett und Verpflegung untergebracht worden. Die Häftlinge seien auf die finanzielle Hilfe von Verwandten angewiesen. Da er Alleinverdiener sei, habe er auch zur Unterstützung seiner Familie von Freunden einen Kredit aufnehmen müssen.

8

4. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. August 2011 verwarf das Landgericht Dresden die Beschwerde; deren Ausführungen könnten den dringenden Tatverdacht nicht entkräften. Es liege der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor, weil sich der Beschwerdeführer aus Deutschland nach "unbekannt" abgemeldet habe, über Verbindungen in Südamerika verfüge und nach derzeitigen Erkenntnissen auch unter dem falschen Namenszusatz "Freiherr von" aufgetreten sei. Es kämen keine milderen Maßnahmen in Betracht.

9

5. Hiergegen richtete sich die weitere Beschwerde vom 6. Januar 2012. Zugleich beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise die Außervollzugsetzung mit den Auflagen, unverzüglich in das Bundesgebiet einzureisen, hier seinen Wohnsitz zu nehmen, Reisedokumente abzugeben und sich wöchentlich bei der Polizei zu melden. Der Haftbefehl und die Beschwerdeentscheidung verletzten sein Freiheitsgrundrecht. Die Entscheidungen begründeten nicht ausreichend den dringenden Tatverdacht, den Haftgrund und die Verhältnismäßigkeit.

10

Er sei weder flüchtig noch halte er sich verborgen, sondern lebe an seinem im Ausland gewählten Wohnsitz. Es liege auch keine Fluchtgefahr vor, weil er sich keinem Verfahren entzogen habe. Er habe erst bei der Verhaftung von dem gegen ihn geführten Verfahren erfahren. Zuvor habe er ungefähr zwei Jahre lang fast täglich in der Deutschen Botschaft gearbeitet. Er habe schon in seiner Beschwerde darauf hingewiesen, für die Dauer des Verfahrens seinen Wohnsitz bei seiner Mutter in Deutschland begründen und an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen.

11

Die Gerichte hätten nur floskelhaft darauf verwiesen, dass er im Falle einer Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen habe. Selbst im Falle einer Verurteilung sei jedoch in Anbetracht der vermeintlichen Schadenshöhen nicht mit einer solchen Strafe zu rechnen. Im Übrigen müsse für die Fluchtgefahr auf die tatsächlich zu erwartende Strafe abgestellt und die Dauer der in Paraguay erlittenen Auslieferungshaft mit 1:3 angerechnet werden.

12

Er rügte ferner einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es sei nicht nachprüfbar, welche Erwägungen das Amts- und das Landgericht überhaupt angestellt hätten. Eine zwischen der Schwere des Eingriffs in seine Rechte und der Bedeutung der Strafsache vorzunehmende Abwägung sei nicht erfolgt. Dabei würden die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit zunehmender Dauer der Haft steigen.

13

6. Mit Beschluss vom 31. Januar 2012 half das Landgericht der weiteren Beschwerde nicht ab. Gesonderte Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit enthielt der Nichtabhilfebeschluss nicht.

14

7. Das Oberlandesgericht verwarf mit dem angefochtenen Beschluss vom 16. Februar 2012 die weitere Beschwerde als unbegründet und nahm im Tenor Bezug auf die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie der Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet würden. Eine weitere Begründung erfolgte nicht.

15

Diese Entscheidung ist der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers am 21. Februar 2012 zugegangen.

II.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG.

17

Bei einem Eingriff in die Freiheit der Person komme der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine erhebliche Bedeutung zu. Aus den angegriffenen Entscheidungen ergebe sich jedoch nicht, dass sein Freiheitsgrundrecht im Rahmen der Abwägung ausreichend berücksichtigt worden sei. Zu Unrecht und nur oberflächlich werde der Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen. Nur pauschal werde auf die Höhe der zu erwartenden Strafe verwiesen, ohne dass konkrete Überlegungen erläutert oder Erwägungen zur Anrechnung der Auslieferungshaft angestellt würden.

18

Die landgerichtlichen Ausführungen erschöpften sich in der Floskel, dass mildere Maßnahmen nicht in Betracht kämen. Das Oberlandesgericht habe auf die Entscheidungen des Landgerichts nur Bezug genommen. Insoweit fehle es den Entscheidungen an der erforderlichen Begründungstiefe.

III.

19

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat von einer Stellungnahme abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.

B.

20

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Dresden vom 16. Februar 2012 und des Landgerichts Dresden vom 1. August 2011 wendet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

21

Die gegen den Haftbefehl und die Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts Dresden vom 31. Januar 2012 gerichtete Verfassungsbeschwerde nimmt das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung an. Von einer Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

22

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

I.

23

Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit vollständig entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfGK 15, 474 <479>).

24

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>).

25

In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>). Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens, die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB - das hypothetische Ende einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe (vgl. BVerfGK 8, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, juris Rn. 30 f.).

26

Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 8, 1 <5>; 15, 474 <481 f.>).

II.

27

Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen werden die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Dresden vom 1. August 2011 und des Oberlandesgerichts Dresden nicht gerecht.

28

1. Es ist für die verfassungsrechtliche Prüfung ohne Belang, dass sich der Beschwerdeführer derzeit in Paraguay in Auslieferungshaft befindet und (noch) nicht in Untersuchungshaft in Deutschland. Denn mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet er sich gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 22. Januar 2010 sowie die nachfolgenden Haftfortdauerentscheidungen und nicht gegen die von der Republik Paraguay in alleiniger Zuständigkeit und Verantwortung angeordnete Freiheitsentziehung (vgl. zum Rechtsschutz in "Einlieferungshaftsachen": BVerfGE 57, 9 <25>; BVerfGK 15, 570 <575>).

29

2. Die angegriffenen Haftfortdauerbeschlüsse lassen die erforderliche Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch nicht erkennen.

30

In der Entscheidung vom 1. August 2011 räumt das Landgericht der gebotenen Abwägung lediglich einen Satz ein, mit dem floskelhaft festgestellt wird, mildere Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO kämen nicht in Betracht.

31

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 16. Februar 2012 enthält keine eigenständige Begründung, sondern erschöpft sich darin, auf die - nicht aussagekräftigen - Gründe der landgerichtlichen Entscheidung und zusätzlich auf die Nichtabhilfeentscheidung vom 31. Januar 2012 zu verweisen, die indes zur Frage der Abwägung schweigt.

32

Dabei bestand für die Gerichte schon allein aufgrund der seit der Beschwerdeentscheidung vom 1. August 2011 verstrichenen Zeit Anlass, sich eingehend mit den Voraussetzungen für eine Haftfortdauer auseinanderzusetzen. Auf die in den umfangreichen Eingaben des Beschwerdeführers enthaltenen und für die vorzunehmende Abwägung relevanten Umstände gehen die Haftfortdauerentscheidungen jedoch nicht ein.

33

Wird aber die von Verfassungs wegen gebotene Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse nicht vorgenommen, die Haftfortdauer lediglich mit der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts begründet oder die weitere gesetzliche Voraussetzung einer Rechtfertigung der Fortdauer der Untersuchungshaft nicht einmal erwähnt, liegt mit anderen Worten ein Abwägungsausfall vor, so hat dies regelmäßig eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 GG) zur Folge (vgl. BVerfGK 8, 1 <7>).

34

3. Landgericht und Oberlandesgericht hätten in ihre Abwägung verschiedene Faktoren einstellen müssen.

35

Zur Einschätzung der für die Haftfortdauerentscheidung unter anderem relevanten Straferwartung ist zu berücksichtigen, dass sich der im Bundesgebiet bislang nicht vorbestrafte und zuvor haftunerfahrene Beschwerdeführer bereits seit dem 28. Februar 2011 in Auslieferungshaft befindet. Deren Dauer ist nach der Anrechnungsvorschrift des § 51 Abs. 3 Satz 2 StGB zu berücksichtigen, damit es im Falle einer Verurteilung nicht durch die Dauer der Untersuchungshaft zu einer Vollverbüßung kommt, die dem Resozialisierungszweck der Strafhaft widerspricht (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>).

36

Die veröffentlichte Rechtsprechung (vgl. Landgericht Zweibrücken, Urteil vom 17. August 1994 - 424 Js 3601/92 - 1 KLs -, juris) und die Literatur (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 51 Rn. 19; Patzak, in: Körner, Betäubungsmittelgesetz, 7. Aufl. 2012, vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 205) legen für in Paraguay erlittene Haft einen Anrechnungsmaßstab von 1:2 zu Grunde.

37

Zudem ist bei der Einschätzung der Straferwartung auch die Frage einer vorzeitigen Haftentlassung zu beachten. Denn der Resozialisierungszweck der Strafhaft erfordert es auch, dass bei der Ermittlung der Dauer der zu erwartenden Strafhaft eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB jedenfalls dann berücksichtigt wird, wenn eine solche im konkreten Fall zu erwarten ist (vgl. BVerfGK 7, 140 <161 f.>). Dies ist vorliegend deshalb der Fall, weil der Beschwerdeführer bislang nicht vorbestraft und erstmalig von einer freiheitsentziehenden Maßnahme betroffen ist.

III.

38

Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG durch das Oberlandesgericht wie auch durch das Landgericht festzustellen.

39

Wegen der Eilbedürftigkeit der Haftsache ist es angezeigt, nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG nur den Beschluss des Oberlandesgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Es liegt im Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Das Oberlandesgericht hat unverzüglich unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte erneut eine Entscheidung über die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 1. August 2011 herbeizuführen.

40

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Da der nicht zur Entscheidung angenommene Teil der Verfassungsbeschwerde von untergeordneter Bedeutung ist, sind die Auslagen in vollem Umfang zu erstatten (vgl. BVerfGE 86, 90 <122>).

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 16. November 2010 - 3 Ws 884/10 H - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

...

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Fortdauer von Untersuchungshaft.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer befand sich vom 14. Januar 2010 bis 7. Februar 2011 in Untersuchungshaft. Ihm wird zur Last gelegt, gemeinschaftlich handelnd Umsatzsteuer in Höhe von gut einer Million Euro hinterzogen zu haben. Am 28. Juni 2010 erhob die Staatsanwaltschaft deshalb Anklage vor dem Landgericht Augsburg. Die Vorsitzende der zuständigen 10. Strafkammer verfügte am darauffolgenden Tag die Zustellung der Anklageschrift verbunden mit der Aufforderung zur Stellungnahme binnen vier Wochen. Innerhalb dieser Frist wurden weder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben noch Beweisanträge gestellt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ die Kammer am 5. Juli 2010 außerdem einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl. Im Rahmen der ersten Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO ordnete das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot sei bislang entsprochen worden. Da die Strafkammer am 5. Juli 2010 einen neuen Haftbefehl erlassen und damit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts geprüft habe, sei mit einem weiterhin zügigen Fortgang des Verfahrens und seinem Abschluss innerhalb angemessener Frist zu rechnen.

3

2. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 legte die Kammer die Akten dem Oberlandesgericht zur zweiten besonderen Haftprüfung erneut vor. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei noch nicht entschieden, ein Termin zur Hauptverhandlung habe noch nicht bestimmt werden können. Mit Schreiben vom gleichen Tag zeigte die Vorsitzende dem Präsidium des Landgerichts eine Überlastung der Kammer an. Diese sei nur noch mit ihr und einer Beisitzerin besetzt, nachdem die andere Beisitzerin Mitte September 2010 in Mutterschutz gegangen sei. Derzeit würden mehrmals wöchentlich zwei Strafverfahren verhandelt. In einem dieser Verfahren seien bislang 57 Zeugen vernommen worden. Mindestens die gleiche Anzahl sei noch geladen. Diese Verfahren seien derzeit bis zum 26. November 2010 beziehungsweise bis einschließlich 13. Dezember 2010 terminiert. Es sei davon auszugehen, dass weitere Verhandlungstage erforderlich würden. Ab dem 10. November 2010 verhandele die Kammer außerdem ein drittes Verfahren. Da die Verteidiger in allen Verfahren zahlreiche Beweisanträge angekündigt hätten, würden diese mindestens noch bis Ende des Jahres 2010, voraussichtlich bis Anfang des Jahres 2011 andauern. Soweit der Kammer ab dem 1. November 2010 eine weitere Richterin mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft zugewiesen sei, sei davon auszugehen, dass diese im Jahr 2010 allenfalls die anhängigen Berufungen verhandeln könne, und dass möglicherweise noch Urteile nach Absprachen gefällt werden könnten. Die Kammer sei nicht in der Lage, vier weitere Strafverfahren, zu denen auch das des Beschwerdeführers zähle, noch im Jahr 2010 oder zu Beginn des Jahres 2011 vorzubereiten, zu terminieren und zu verhandeln. Sie, die Vorsitzende, gehe davon aus, dass Verständnis dafür bestehe, dass die Kapazität mehr als ausgeschöpft sei, wenn drei Wirtschaftsstrafsachen an drei verschiedenen Tagen pro Woche über Monate hinweg verhandelt würden. Im Übrigen seien noch weitere Haftsachen sowie zahlreiche andere Verfahren anhängig, die auch deshalb in der Vergangenheit nicht hätten verhandelt werden können, weil der Kammer ab dem Geschäftsjahr 2009 zusätzlich Verfahren der 8. und der 9. Strafkammer übertragen worden seien. Die außergewöhnliche Belastung in den Jahren 2009 und 2010 und die zahlreichen, zum Teil sehr schwierigen Verfahren hätten dazu geführt, dass sowohl die Beisitzerin als auch sie, die Vorsitzende, noch sehr viele Tage Resturlaub hätten, die nicht hätten eingebracht werden können.

4

Mit Beschluss vom 16. November 2010 ordnete das Oberlandesgericht die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft an. Gegen das Beschleunigungsgebot werde auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin "nicht so erheblich verstoßen", dass der Haftbefehl aufgehoben werden müsse. Allerdings habe der Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers, der sich seit rund zehn Monaten in Untersuchungshaft befinde, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung an Gewicht gewonnen. Zwar sei das Verfahren nach Zustellung der Anklageschrift und Ablauf der vierwöchigen Stellungnahmefrist ins Stocken geraten. Insbesondere habe die Strafkammer noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Trotz der dadurch bedingten Verzögerung sei die Fortdauer der Untersuchungshaft aber noch zu rechtfertigen. Die Vorsitzende habe die hierfür ursächliche Überlastung am 6. Oktober 2010 dem Präsidium angezeigt. Dieses habe mittlerweile Abhilfe durch Bildung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer mit zusätzlichen Kräften in Aussicht gestellt, so dass erwartet werden könne, dass das Verfahren noch innerhalb angemessener Frist erledigt werden könne. Der Senat rechne damit, dass nunmehr alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden werde, zumal sich die Kammer bereits vor Erlass des an die Anklageschrift angepassten Haftbefehls vom 5. Juli 2010 mit dem äußerst umfangreichen Verfahrensstoff befasst haben müsse. Auch wenn sie aufgrund der derzeitigen Belastungssituation nicht in der Lage sei, das komplexe Verfahren, das sich gegen vier Personen richte, noch im Jahr 2010 oder zu Beginn des Jahres 2011 zu verhandeln, sei jedenfalls davon auszugehen, dass sie sich noch im Jahr 2010 um eine Abstimmung von Hauptverhandlungsterminen mit den Verfahrensbeteiligten bemühen werde. Um den Fortgang des Verfahrens besser überwachen zu können, werde die weitere Haftprüfung dem Landgericht nicht für drei, sondern nur für die Dauer von zwei Monaten übertragen.

II.

5

1. Nach Ergehen der zweiten Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Beschleunigungsgrundsatzes. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei in sachlich nicht gerechtfertigter Weise verzögert worden. Für die Zeitspanne zwischen Eröffnungsbeschluss und Beginn der Hauptverhandlung sei anerkannt, dass diese grundsätzlich nicht länger als drei Monate betragen dürfe. Dieser Zeitraum sei auch zu beachten, wenn zwar der Eröffnungsbeschluss noch nicht gefasst worden, das Verfahren aber eröffnungsreif sei, denn mit dem Beschleunigungsgebot sei es nicht vereinbar, wenn ein Gericht trotz bestehender Eröffnungsreife den Eröffnungsbeschluss aufschiebe, um einen größeren zeitlichen Spielraum für die nachfolgende Terminierung zu erlangen. Im vorliegenden Fall sei das Verfahren spätestens mit Ablauf der vierwöchigen Stellungnahmefrist am 4. August 2010 eröffnungsreif gewesen, weil Einwendungen nicht erhoben und die Erhebung von Beweisen weder beantragt noch von der Kammer selbst für erforderlich erachtet worden seien. Hinzu komme, dass das Bestehen eines dringenden Tatverdachts im Rahmen des Erlasses des Haftbefehls am 5. Juli 2010 auf der Grundlage der Anklage bereits bejaht worden sei, was die Feststellung einschließe, dass auch ein hinreichender, die Eröffnung rechtfertigender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO vorliege. Dennoch habe die Kammer - auch über vier Monate nach Eintritt der Entscheidungsreife - keinen Eröffnungsbeschluss gefasst. Ihre Überlastung rechtfertige dies nicht. Ebenso wenig könne der darin liegende Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die in Aussicht gestellte Bildung einer neuen Strafkammer geheilt werden.

6

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die für die Verzögerung des Verfahrens ursächliche Überlastung sei kurzfristig eingetreten und nicht vermeidbar gewesen. In den letzten Jahren habe es beim Landgericht Augsburg insgesamt zwei Strafkammern gegeben, die insbesondere für sämtliche Wirtschaftsstrafsachen sowie wirtschaftsnahe Strafsachen zuständig gewesen seien, wobei jeweils ein Beisitzer zusätzlich mit einem Arbeitskraftanteil von einem Zehntel Mitglied der Strafvollstreckungskammer gewesen sei. Zu Überlastungsanzeigen sei es dabei nicht gekommen. Wegen eines außerordentlich umfangreichen anderen Verfahrens hätten beide Wirtschaftsstrafkammern im Geschäftsjahr 2009 zusätzliche Zuständigkeiten aus dem Bereich der allgemeinen Strafsachen übernommen. In Bezug auf die Wirtschaftsstrafsachen sei die 10. Strafkammer außerdem gegenüber der 9. Strafkammer mit einem leichten Übergewicht belastet worden, weil diese durch ein anderes Verfahren außerordentlich beansprucht gewesen sei. Zugleich sei aber die mit Strafvollstreckungskammeraufgaben belastete Beisitzerin von diesen entlastet worden. Nach den Erfahrungen der Vorjahre sei davon auszugehen gewesen, dass unter diesen Rahmenbedingungen dem Beschleunigungsgrundsatz habe entsprochen werden können, zumal die 10. Strafkammer nach Beendigung der anderen Verfahren im Laufe des Jahres 2010 von den zusätzlichen Zuständigkeiten wie von Anfang an geplant wieder entlastet worden sei. Ab dem 1. Juni 2010 sei diese damit - wie im Jahr 2008 - für etwa die Hälfte der Wirtschaftsstrafsachen zuständig gewesen, allerdings ohne die ursprüngliche Zuständigkeit für wirtschaftsnahe Strafsachen und ohne die Zusatzbelastung des Einsatzes einer Beisitzerin in der Strafvollstreckungskammer. Die in der Überlastungsanzeige dargelegten Begleitumstände seien daher nicht vorhersehbar gewesen. Ursächlich sei vor allem ein drastisch und unerwartet gestiegener Eingang an Wirtschaftsstrafsachen im Jahr 2010 gewesen. Dieser habe nach dem ersten Halbjahr bei 26 und nach den ersten drei Quartalen bei 49 gelegen, während in den Jahren 2008 und 2009 jeweils nur insgesamt 43 beziehungsweise 40 Wirtschaftsstrafsachen eingegangen seien. Hinzugekommen sei der Ausfall einer der Beisitzerinnen, die der Kammer mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft zugewiesen gewesen sei. Diese habe ihre Schwangerschaft am 13. Juli 2010 angezeigt und sei zum 18. September 2010 in Mutterschutz mit anschließender Elternzeit gegangen. Dieser Ausfall habe erst zum 1. November 2010 durch die Rückkehr einer anderen, in Wirtschaftsstrafsachen erfahrenen Richterin aus der Elternzeit kompensiert werden können. Auf die Überlastungsanzeige vom 6. Oktober 2010 habe das Präsidium des Landgerichts umgehend reagiert und zunächst die Übertragung des Verfahrens auf die 9. Strafkammer erwogen, was wegen deren eigener Belastung aber nicht möglich gewesen sei. Am 15. Oktober 2010 sei daraufhin die Bildung einer weiteren Strafkammer zum Jahreswechsel beschlossen worden, nachdem ab diesem Zeitpunkt ein in Wirtschaftsstrafsachen besonders erfahrener Vorsitzender wieder zur Verfügung gestanden habe.

7

3. Ausweislich einer vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Augsburg hat die neu eingerichtete Kammer einen Teil des Bestandes der 10. Strafkammer übernommen. Am 21. Dezember 2010 hat diese den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens gefasst und am 11. Januar 2011 - nach vorheriger Abstimmung mit den Verteidigern - Hauptverhandlungstermine einmal wöchentlich ab dem 2. März 2011 festgesetzt.

8

4. Nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde hat das Oberlandesgericht im Rahmen der dritten besonderen Haftprüfung den Haftbefehl des Landgerichts mit Beschluss vom 7. Februar 2011 aufgehoben. Schon die späte Fassung des Eröffnungsbeschlusses am 21. Dezember 2010 erscheine im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr andauernde Untersuchungshaft bedenklich. Zumindest aber sei die nunmehr feststehende Hauptverhandlungsplanung mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren. Obwohl die Untersuchungshaft bei Beginn der Hauptverhandlung am 2. März 2011 bereits 14 Monate andauern würde, seien bis Ende April 2011 lediglich sieben Sitzungstage vorgesehen. Mit einem Abschluss des Verfahrens innerhalb angemessener Frist könne daher nicht mehr gerechnet werden.

9

5. Der Beschwerdeführer hält trotz der Aufhebung des Haftbefehls an seiner gegen die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts und den Haftbefehl des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde fest. Er verweist auf die besondere Bedeutung, insbesondere die Dauer der Freiheitsentziehung und das damit verbundene Gewicht des Grundrechtseingriffs.

B.

10

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG vorliegen.

I.

11

Die Verfassungsbeschwerde ist trotz der zwischenzeitlichen Aufhebung des Haftbefehls weiter zulässig, soweit sie sich gegen die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts richtet. Der Beschwerdeführer ist durch diese Entscheidung zwar nicht mehr gegenwärtig beschwert. Im Hinblick auf das mit einer Freiheitsentziehung verbundene Rehabilitierungsinteresse besteht aber zumindest unter den hier gegebenen Umständen ein Rechtsschutzbedürfnis für die - auch nachträgliche - Feststellung der Verfassungswidrigkeit fort (vgl. für die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines nachträglichen fachgerichtlichen Rechtsschutzes BVerfGE 104, 220 <234 ff.>; BVerfGK 6, 303 <309>; für das verfassungsgerichtliche Verfahren BVerfGE 10, 302 <308>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2000 - 2 BvR 453/99 -, NJW 2000, S. 1401 <1401>). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl des Landgerichts richtet, ist sie dagegen nach dessen Aufhebung durch das Oberlandesgericht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

II.

12

Die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

13

1. Der im Recht auf Freiheit der Person verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zügigen Fortgang sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 121 StPO zugrunde, der bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmetatbestände (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 20, 144 <148 f.>; 36, 264 <270 ff.>; 53, 152 <158 ff.>; BVerfGK 7, 421 <427 f.>; 9, 339 <347 f.>; 10, 294 <301 ff.>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10 -, EuGRZ 2010, S. 674 <676>).

14

2. Damit steht die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts nicht in Einklang, denn obwohl die Sache bereits seit geraumer Zeit entscheidungsreif war, hat die Strafkammer die Eröffnung des Hauptverfahrens erst am 20. Dezember 2010 beschlossen und Termin zur Hauptverhandlung nicht vor dem 2. März 2011 anberaumt. Darin liegt eine vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung, die der Fortdauer der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG schon zum Zeitpunkt der zweiten Haftfortdauerentscheidung entgegenstand.

15

a) Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Auch in diesem Stadium muss das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um eine Entscheidung über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung herbeizuführen. Dass das Verfahren im vorliegenden Fall in Anbetracht der Komplexität der im Raum stehenden wirtschaftlichen Vorgänge eine erhebliche Schwierigkeit aufweist, rechtfertigte das Zuwarten nicht. Die Kammer hat sich hierauf in ihren Vorlagebeschlüssen an das Oberlandesgericht im Rahmen der Haftprüfung auch nicht berufen. Nachdem innerhalb der Stellungnahmefrist Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht erhoben und die Erhebung von Beweisen weder beantragt noch von der Strafkammer für erforderlich erachtet worden waren, stellte sich die Prozesslage gegenüber dem Zeitpunkt der Anklageerhebung am 28. Juni 2010 unverändert dar. Auf dieser Grundlage hatte sie bereits mehrfach, zunächst bei Erlass des Haftbefehls am 5. Juli 2010, zuletzt gelegentlich der Fassung des zweiten Vorlagebeschlusses am 6. Oktober 2010, das Bestehen eines dringenden Tatverdachts bejaht. Es ist kein tragfähiger Grund dafür erkennbar, warum sie gleichwohl von einer Eröffnung des Hauptverfahrens abgesehen hat. Die Feststellung eines dringenden Tatverdachts schließt bei dieser Verfahrenslage nach der gebotenen objektivierten Betrachtung notwendig das Bestehen des für die Eröffnung nach § 203 StPO vorausgesetzten hinreichenden Tatverdachts ein, weil diese Begriffe hinsichtlich des Verdachtsgrades in einem Stufenverhältnis stehen. Ein Unterschied besteht nur insofern, als die Feststellung eines dringenden Tatverdachts auf den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen bezogen ist, der sich ändern kann, während die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts auf der Grundlage des Ergebnisses abgeschlossener Ermittlungen erfolgt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 112 Rn. 6). Dieser Unterschied wirkt sich jedoch nicht aus, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht ersichtlich ist, dass noch weitere Ermittlungen, insbesondere die Erhebung weiterer Beweise nach § 202 StPO, erforderlich waren. Mit der Bejahung des dringenden Tatverdachts war daher hier zugleich Entscheidungsreife hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens eingetreten. Dann gebietet der Beschleunigungsgrundsatz im Regelfall auch die Fassung des Eröffnungsbeschlusses (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Februar 2009 - 1 Ws 28/09 H u.a. -, StV 2009, S. 367 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. November 2001 - 1 HPL 77/01 -, StV 2002, S. 152). Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erhebung der Anklage schon fast ein halbes Jahr in Untersuchungshaft war, so dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens erhöhte Anforderungen zu stellen waren.

16

b) Die (zwischenzeitliche) Überlastung der Kammer war kein zureichender Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft.

17

aa) Grundsätzlich ist durch geeignete Maßnahmen der Gerichtsorganisation Sorge dafür zu tragen, dass den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots entsprochen werden kann. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist daher verletzt, wenn sich das Verfahren infolge vermeidbarer gerichtsorganisatorischer Fehler oder Versäumnisse erheblich verzögert (vgl. BVerfGE 36, 264 <273>; BVerfGK 9, 306 <311 f.>). Eine nicht nur kurzfristige Überlastung rechtfertigt die Fortdauer von Untersuchungshaft aber selbst dann nicht, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Der Beschuldigte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zur Verhandlung gelangt, weil dem Gericht die personellen oder sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls erforderlich wären (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfGK 6, 384 <392>).

18

bb) Davon ausgehend kann dahinstehen, ob die gerichtsorganisatorischen Möglichkeiten - wie der Präsident des Landgerichts im Einzelnen darlegt - im Hinblick auf die Erfordernisse des Beschleunigungsgrundsatzes optimal ausgeschöpft wurden. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob und wieweit kurzfristige Engpässe eine Haftfortdauer rechtfertigen können, wenn sie nicht oder kaum vorhersehbar und vermeidbar waren (dafür Hilger, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 4, 26. Aufl. 2007, § 121 Rn. 42). Ausweislich der Überlastungsanzeige war die 10. Strafkammer insbesondere aufgrund der zwischenzeitlichen Übernahme zusätzlicher Zuständigkeiten ab dem Geschäftsjahr 2009 bereits seit längerem außergewöhnlich belastet und ihre Kapazität "mehr als ausgeschöpft", was Ausdruck auch darin gefunden hat, dass sowohl die Vorsitzende als auch die Beisitzerin "sehr viele Tage Resturlaub" nicht haben einbringen können. Die Überlastungssituation bestand daher offenbar schon länger, auch wenn sie sich erst aufgrund eines deutlich erhöhten Eingangs an Wirtschaftsstrafsachen im Jahr 2010 so zugespitzt haben mag, dass eine verzögerte Behandlung endgültig unvermeidlich wurde. Jedenfalls auf dieser Grundlage ist unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit der Person für die Annahme eines kurzfristigen, weder vorhersehbaren noch vermeidbaren Engpasses, dessen Folgen der Beschwerdeführer hätte hinnehmen müssen, kein Raum.

19

c) Die zum Zeitpunkt der zweiten Haftfortdauerentscheidung bereits eingetretene Verzögerung hat ihr Gewicht auch nicht nachträglich dadurch verloren, dass zum 1. Januar 2011 eine weitere Strafkammer gebildet wurde, die die 10. Strafkammer durch die Übernahme von Altverfahren entlastet hat, so dass zwischenzeitlich über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und Hauptverhandlungstermine festgesetzt werden konnten. Da eine besonders intensive Form der Bearbeitung in jeder Lage des Verfahrens geboten ist, ist schon grundsätzlich zweifelhaft, ob die zeitweilige Verzögerung eines Verfahrens dadurch ausgeglichen werden kann (vgl. BVerfGK 7, 21 <41>). Jedenfalls durch die bisherige Hauptverhandlungsplanung mit nur einem Termin pro Woche ab dem 2. März 2011 konnten die bereits eingetretenen Verzögerungen nicht kompensiert werden.

20

d) Auf das Gewicht der im Raum stehenden Straftaten - Hinterziehung von Umsatzsteuer in Höhe von gut einer Million Euro - kam es nicht an, denn die Anforderungen des Beschleunigungsgebots werden nicht grundsätzlich dadurch geringer, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstrafenerwartung im Raum steht. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können daher jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10 -, EuGRZ 2010, S. 674 <677>).

III.

21

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.

Tenor

1. Der Haftbefehl des Landgerichts Hannover vom 21. Dezember 2009 - 46 KLs 6031 Js 94687/04 (19/09) - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 31. März 2010 - 1 Ws 165/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

2. Der Haftbefehl und der Beschluss werden aufgehoben.

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

1. Der Beschwerdeführer ist albanischer Staatsangehöriger. Mit Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 5. November 2004 wurde gegen ihn wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Untersuchungshaft angeordnet. Wegen der hohen zu erwartenden Freiheitsstrafe bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Auf Grundlage dessen wurde der Beschwerdeführer am 15. Juni 2005 in Lyon (Frankreich) festgenommen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 17. Juni 2005 wurde der Haftbefehl erweitert. Am 7. Juli 2005 übergaben die französischen Behörden den Beschwerdeführer den deutschen Ermittlungsbeamten. Danach befand sich der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Hannover erhob am 15. Juli 2005 Anklage. Darin wurden dem Beschwerdeführer 14 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt. Mit Beschluss vom 11. Oktober 2005 ließ das Landgericht Hannover die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor der 3. großen Strafkammer des Landgerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden und eines beisitzenden Richters. Das Verfahren wurde mit dem Verfahren gegen vier Mitangeklagte zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Hauptverhandlung begann am 31. Oktober 2005. Die Verteidiger des Beschwerdeführers rügten vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache die Besetzung der Kammer; der Einwand wurde vom Landgericht Hannover zurückgewiesen und das Verfahren in dieser Besetzung fortgeführt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft wurde mit Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2007 nicht zur Entscheidung angenommen (2 BvR 1847/07). In den Gründen der Entscheidung wies die Kammer jedoch darauf hin, dass eine vorausschauende Hauptverhandlungsplanung erforderlich sei; die im Juli und August 2007 anberaumten Fortsetzungstermine genügten dem nicht. Die Kammer werde bei der Dauer der Untersuchungshaft von mehr als zwei Jahren künftig vermehrt verhandeln müssen, um dem Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen. Es sei nicht unzumutbar, dass monatlich durchschnittlich an acht Tagen ganztägig verhandelt werde.

2

2. Mit Urteil vom 28. Mai 2008 verurteilte das Landgericht Hannover den Beschwerdeführer nach 88 Hauptverhandlungstagen wegen Handels und Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Gegenstand des Urteils waren drei der 14 angeklagten Taten (Fall 11, 12 und 14 der Anklageschrift). Zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer gälten ein Jahr und zehn Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt; denn das Strafverfahren sei in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden. Die Frequenz der Verhandlungstage entspreche 0,7 Verhandlungstagen pro Woche. Grund dafür sei die Überlastung der 3. großen Strafkammer. Die Verzögerung sei jedoch nicht allein den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht zuzurechnen; teilweise sei die Verzögerung auch auf das Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen. Die Verfahrensdauer sei als Strafzumessungsfaktor mildernd zu berücksichtigen und führe weiter zur Kompensation in der genannten Höhe.

3

Bezüglich der Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklage wurde das Verfahren mit Beschluss vom gleichen Tag abgetrennt und ausgesetzt. Ebenfalls mit Beschluss vom 28. Mai 2008 hob das Landgericht Hannover den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer auf, soweit er auf die Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklageschrift gestützt sei; im Übrigen bleibe der Haftbefehl aufrechterhalten. In Bezug auf die Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklageschrift bestehe zwar nach wie vor dringender Tatverdacht. Die Beweisaufnahme hinsichtlich dessen würde sich jedoch voraussichtlich über einen erheblichen Zeitraum erstrecken. Nach der Geschäftslage der Kammer sei derzeit nicht absehbar - wenn nicht eine Erledigung nach § 154 StPO in Betracht komme - wann hinsichtlich dieser Tatvorwürfe eine Hauptverhandlung anberaumt werden könne. In Ansehung dieser Umstände sei der Fortbestand des Haftbefehls nicht mehr verhältnismäßig. In Bezug auf die übrigen Taten sei der Haftbefehl aufrechtzuerhalten, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dringender Tatverdacht bestehe. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Insoweit sei der Fortbestand des Haftbefehls auch nicht unverhältnismäßig, da das Verfahren unmittelbar vor dem Abschluss stehe.

4

3. Mit Urteil vom 18. Juni 2009 hob der Bundesgerichtshof auf die Revision des Beschwerdeführers hin das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Mai 2008 mit den Feststellungen auf, weil der Beschwerdeführer zu Recht die Besetzung der Strafkammer in der Hauptverhandlung mit (nur) zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 338 Nr. 1 StPO) beanstandet habe.

5

4. Mit Beschluss vom 24. August 2009 hob das Landgericht Hannover den Haftbefehl vom 17. Juni 2005 in der Fassung des Beschlusses vom 28. Mai 2008 auf. Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig. Bereits die Betrachtung der bereits verstrichenen Zeit seit Festnahme des Beschwerdeführers im Verhältnis zur Gesamtfreiheitsstrafe lasse Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufkommen. Durch die anzurechnende Untersuchungshaft sei bereits die Hälfte der Strafe verbüßt, und zwar auch bei Berücksichtigung einer möglicherweise geringeren Kompensation für die überlange Verfahrendauer. Zu berücksichtigen sei auch die vermeidbare Verfahrensverzögerung durch weiträumige Terminierungen und zum Teil auffallend kurze Verhandlungszeiten an einzelnen Hauptverhandlungstagen. Schließlich komme die absolute Dauer der Untersuchungshaft, die mit über vier Jahren als außergewöhnlich lang zu bezeichnen sei, hinzu. Auch in Ansehung der weiteren noch in der 3. großen Strafkammer anhängigen elf vorgeworfenen Taten könne jedenfalls in Anbetracht des Verfahrensstillstandes seit dem 28. Mai 2008 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft verhältnismäßig sei. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin noch am 24. August 2009 entlassen.

6

5. Mit Schreiben vom 27. März 2006 hatte die Landeshauptstadt Hannover dem Beschwerdeführer die Abschiebung angekündigt. Er sei nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Nach seiner Haftentlassung reiste der Beschwerdeführer nach Albanien aus.

7

6. Mit Beschluss vom 4. November 2009 verband das Landgericht das mit Beschluss vom 28. Mai 2008 abgetrennte und ausgesetzte Verfahren wieder zu dem anderen Verfahren hinzu.

8

7. Zum Hauptverhandlungstermin am 18. Dezember 2009 erschien der Beschwerdeführer nicht. Das Landgericht erließ daraufhin am 21. Dezember 2009 einen erneuten Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer, gestützt auf sämtliche 14 Straftaten, wegen derer er angeklagt worden war. Der dringende Tatverdacht bezüglich der Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 ergebe sich aus dem Urteil des Landgerichts vom 28. Mai 2008, hinsichtlich der übrigen Taten aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen. Es bestehe der Haftgrund des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO. Der Beschwerdeführer sei flüchtig, weil er sich nach der Tat in das Ausland mit der Wirkung abgesetzt habe, dass er für das Gericht unerreichbar und dessen Zugriff entzogen sei. Der erneute Erlass des Haftbefehls sei nicht unverhältnismäßig, da es nach Aktenlage nicht unwahrscheinlich sei, dass im Falle einer Verurteilung wegen der drei bereits abgeurteilten und/oder der anderen elf Taten auf eine noch darüber liegende Gesamtfreiheitsstrafe erkannt werde mit der Folge, dass der Beschwerdeführer noch über einen längeren Zeitraum Strafhaft zu verbüßen haben werde, selbst wenn der Strafrest nach Verbüßung von 2/3 der zu erwartenden Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt oder der Beschwerdeführer nach § 456a StPO abgeschoben werde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Kammer mit Beschluss vom 24. August 2009 den Haftbefehl aufgehoben habe. Dabei habe die Erwägung im Vordergrund gestanden, dass einzig die Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 der Anklage verfahrensgegenständlich gewesen seien und der gegenüber der Flucht weniger gravierende Haftgrund der Fluchtgefahr bestanden habe.

9

8. Mit Schriftsatz vom 15. März 2010 legten die Verteidiger des Beschwerdeführers Beschwerde gegen den Haftbefehl ein. Dem Beschwerdeführer sei sein Ausbleiben in der Verhandlung nicht vorzuwerfen. Im Übrigen sei der Haftbefehl unverhältnismäßig. Eine weitere Begründung erfolge nach Akteneinsicht.

10

Mit Beschluss vom 16. März 2010 half das Landgericht der Beschwerde nicht ab. Das Oberlandesgericht Celle verwarf die Haftbeschwerde mit Beschluss vom 31. März 2010 als unbegründet unter Bezugnahme auf die Gründe des Haftbefehls in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss.

11

9. Mit Schreiben vom 9. April 2010 erhoben die Verteidiger des Beschwerdeführers Gegenvorstellung. Das rechtliche Gehör sei dadurch verletzt, dass die Entscheidung bereits am 31. März 2010 ergangen sei, obwohl die Verteidigerin weiteren Vortrag nach Akteneinsicht angekündigt habe, die sie ab dem 22. März 2010 für drei Tage erhalten habe.

12

Der Beschwerdeführer sei nach Aufhebung des Haftbefehls in sein Heimatland ausgereist, weil er in Deutschland kein Bleiberecht gehabt habe. Er sei deshalb nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen, weil er von der Deutschen Botschaft in Tirana kein Visum erhalten habe. Der Haftbefehl sei auch unverhältnismäßig, weil in Bezug auf die elf abgetrennten und ausgesetzten Taten das Verfahren seither in keiner Weise gefördert worden sei.

13

Mit Beschluss vom 19. April 2010 wies das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung zurück. Die Entscheidung beruhe nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Senat habe nach Gewährung der Akteneinsicht noch länger als eine Woche bis zur Entscheidung gewartet. Diese Wartezeit sei angemessen gewesen; in Haftsachen gelte der besondere Beschleunigungsgrundsatz, der auch dann greife, wenn die Haft wie hier nicht vollzogen werde.

II.

14

1. Mit der Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er sei nicht gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO flüchtig.

15

Der Haftbefehl sei unverhältnismäßig. Nach Aufhebung des ursprünglichen Haftbefehls am 24. August 2009 wegen Unverhältnismäßigkeit könne die Verhältnismäßigkeit nicht mit der Hinzuverbindung der noch nicht abgeurteilten Taten begründet werden.

16

2. Das Justizministerium des Landes Niedersachsen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

17

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

18

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

19

1. a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>).

20

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Außerdem vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 1996 - 2 Ws 86/96 -, StV 1996, S. 496). Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; EGMR, Urteil vom 5. Juli 2001 - Beschw.Nr. 38321/97 - Erdem, EuGRZ 2001, S. 391 <395>).

21

b) Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (vgl. BVerfGK 7, 421 <427>). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <270 ff.>; 53, 152 <161 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, StV 2008, S. 198). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.

22

Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>; BVerfGK 5, 109 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, EuGRZ 2008, S. 621 <623 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09 -, EuGRZ 2009, S. 414 <416>).

23

c) In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch das Verfahrensrecht beeinflusst. Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation (vgl. BVerfGE 17, 108 <117 ff.>; 42, 212 <219 f.>; 46, 325 <334 f.>) des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, insbesondere durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. Auch das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Recht des Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 63, 380 <390>; 70, 297 <308>) verlangt eine hinreichende Begründung, die das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) zu prüfen (BVerfGK 10, 294<304>; 10, 544 <550>).

24

2. Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen an die Entscheidungen der Gerichte im Rahmen der Haftprüfung werden weder der angegriffene Haftbefehl des Landgerichts Hannover noch die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Celle gerecht. Sie genügen nicht den Begründungsanforderungen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft.

25

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft lassen die Gerichte die gebotene Abwägung mit dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers nicht erkennen. Sie gehen nicht auf die Frage der hinreichend beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens ein, und dies obwohl die Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots bereits im September 2007 durch das Bundesverfassungsgericht angemahnt worden war und das Landgericht Hannover selbst in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ausging.

26

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen des Beschleunigungsgebots dadurch nicht grundsätzlich geringer werden, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstraferwartung im Raum steht. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, StV 2008, S. 198 <199>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09 -, EuGRZ 2009, S. 414 <416>). Ein in Untersuchungshaft befindlicher Beschwerdeführer, dem schwere Taten zur Last liegen, hat vielmehr ebenfalls Anspruch auf eine Durchführung des Strafverfahrens, die den Grundsätzen des Beschleunigungsgebots genügt. Dafür streitet schon der Resozialisierungszweck der Strafhaft; denn wird die verhängte Freiheitsstrafe zu einem erheblichen oder überwiegenden Teil durch Anrechnung der Untersuchungshaft verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (vgl. BVerfGK 7, 140 <162>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, EuGRZ 2008, S. 621 <624>).

27

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in Bezug auf die drei abgeurteilten Taten aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme - trotz Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof - die Begehung einer Straftat durch den Beschwerdeführer als erwiesen angesehen worden ist. Damit vergrößert sich zwar das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, doch stellt die verhängte Freiheitsstrafe grundsätzlich nur ein Indiz für das Gewicht der zu verfolgenden Straftat dar (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>). Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass jedenfalls in Bezug auf die elf abgetrennten Taten noch keine erstinstanzliche Verurteilung vorliegt und insoweit ein Tatnachweis bisher nicht geführt worden ist.

28

b) Die eingetretenen Verfahrensverzögerungen verletzen das Beschleunigungsgebot und führen dazu, dass die Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch die Anordnung weiterer Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt, wenn nicht festgestellt wird, dass die Verzögerungen unvermeidbar oder von den Gerichten nicht zu vertreten waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die bereits erlittene Untersuchungshaft von über vier Jahren und zwei Monaten an deren weitere Fortdauer strengste Anforderungen zu stellen sind.

29

Dies ergibt sich schon daraus, dass insgesamt gesehen nach Beginn der Hauptverhandlung das Verfahren ersichtlich zu wenig gefördert wurde, indem zu wenig verhandelt wurde. Die Hauptverhandlung dauerte insgesamt über zweieinhalb Jahre, nämlich vom 31. Oktober 2005 bis zum 28. Mai 2008. In dieser Zeit wurde an 88 Tagen verhandelt; dies entspricht einer Frequenz von 0,65 Verhandlungstagen pro Woche. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot in Haftsachen fordert aber stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfGK 7, 140 <157>). Die Hinweise im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Anzahl der monatlichen Verhandlungstage wurden nicht beachtet, ohne dass stichhaltige Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in Bezug auf die elf noch nicht abgeurteilten Taten jedenfalls 15 Monate lang, nämlich von Anfang Juni 2008 bis etwa Ende August 2009, ein völliger Verfahrensstillstand eintrat. Nach der diesbezüglichen Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 28. Mai 2008 begann das Gericht erst im August/September 2009 damit, die Fortführung der Hauptverhandlung mit Blick auf das gesamte Verfahren ab Dezember 2009 zu planen. Der Haftbefehl wurde zwar mit Beschluss vom 28. Mai 2008 in Bezug auf die elf nicht abgeurteilten Taten aufgehoben. In der Folge blieb der Beschwerdeführer jedoch bis zum 24. August 2009 in Haft. Durch die teilweise Aufhebung des Haftbefehls wurde er insoweit nicht entlastet.

30

c) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht beim Neuerlass des Haftbefehls am 21. Dezember 2009 dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht genügend Gewicht beigemessen, als es davon ausging, die erneute Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertige sich durch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen der Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 sowie durch das Gewicht der elf noch nicht abgeurteilten Taten und die aus beidem folgende Höhe der zu erwartenden Gesamtstrafe. Mit diesen Erwägungen allein lässt sich hier die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht begründen.

31

3. Der Haftbefehl des Landgerichts sowie der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 31. März 2010 werden gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben.

32

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

33

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

6
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

(1) Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

(2) Der Zeuge ist über sein Recht zur Verweigerung der Auskunft zu belehren.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.