Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Nov. 2016 - StB 35/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 2. November 2016 gemäß § 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der 27-jährige Angeklagte, der deutscher und türkischer Staatsangehöriger ist, befindet sich für das vorliegende Verfahren seit dem 19. Dezember 2015 ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des an diesem Tag in Vollzug gesetzten Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. September 2012. Nachdem der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin abgegeben und diese unter dem 21. April 2016 Anklage gegen den Angeklagten zum Kammergericht erhoben hatte, ist der Haftbefehl - mit der Eröffnung des Hauptverfahrens - durch den Haftbefehl des Kammergerichts vom 20. Mai 2016 ersetzt worden.
- 2
- Danach ist der Angeklagte dringend verdächtig, sich im Alter von 20 Jahren , vom 19. Oktober 2009 bis Ende Januar/Anfang Februar 2010, im afghanisch -pakistanischen Grenzgebiet als Mitglied an der Vereinigung "Deutsche Taliban Mujahideen" beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen , und zugleich eine schwere staatsgefährdende Gewalttat, nämlich eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 StGB oder des § 212 StGB, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, vorbereitet zu haben, indem er sich im Umgang mit Schusswaffen und in der Herstellung von und im Umgang mit Sprengstoffen unterweisen ließ und sich eine Waffe verschaffte, strafbar als Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1, § 52 StGB, §§ 1, 105 ff. JGG. Der Haftbefehl ist auf die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) gestützt.
- 3
- Am 19. September 2016 hat das Kammergericht den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit bei Urteilsfällung verkündetem Beschluss hat es den Haftbefehl vom 20. Mai 2016 aufrechterhalten.
- 4
- Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. September 2016 hat der Angeklagte Beschwerde gegen den Haftbefehl des Kammergerichts vom "26.05.2016 (gemeint: 20. Mai 2016) in Gestalt des" Haftfortdauerbeschlusses vom 19. September 2016 eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit der Be- schwerde wendet er sich ausschließlich gegen die Annahme, die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität bestünden fort.
- 5
- Mit Verfügung vom 4. Oktober 2016 hat das Kammergericht der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
- 6
- Die statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 304 Abs. 1, 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1 StPO) Beschwerde des Angeklagten, die sich gegen den Haftfortdauerbeschluss des Kammergerichts vom 19. September 2016 als zuletzt ergangene den Bestand des Haftbefehls betreffende Haftentscheidung richtet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN), bleibt in der Sache erfolglos. Insbesondere liegen weiterhin die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität vor.
- 7
- 1. Gegen den Angeklagten besteht der - von der Verteidigung mit der Beschwerde ausdrücklich nicht beanstandete - dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Der dringende Tatverdacht wird hier durch das verurteilende Erkenntnis hinreichend belegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Januar 2004 - StB 20/03, NStZ 2004, 276, 277; vom 28. Oktober 2005 - StB 15/05, NStZ 2006, 297).
- 8
- 2. a) Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) besteht nach Verurteilung des Angeklagten zu einer Jugendstrafe von drei Jahren sowie fast zehneinhalbmonatigem Untersuchungshaftvollzug fort.
- 9
- Von der Straferwartung, die sich nach der Verurteilung des Angeklagten auf die verhängte Jugendstrafe konkretisiert hat (vgl. MüKoStPO/Böhm/Werner, § 112 Rn. 52), geht weiterhin ein ganz erheblicher Fluchtanreiz aus. Zwar nimmt der Angeklagte im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend an, dass hierfür die sog. Nettostraferwartung maßgebend ist, so dass von dem festgelegten Strafmaß neben der vollzogenen Untersuchungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) eine wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe in Abzug zu bringen sein kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 112 Rn. 23; MüKoStPO/Böhm/Werner aaO, Rn. 53). Dem Angeklagten ist jedoch nicht darin zu folgen, dass er mit einer Reststrafenaussetzung tatsächlich rechnen kann. Das gilt unabhängig davon, ob § 88 JGG oder § 57 StGB zur Anwendung kommt (zur Frage des gesetzlichen Maßstabs im Fall einer Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft [§ 85 Abs. 6, § 89b Abs. 1 Satz 2 JGG] vgl. die Nachweise bei OLG Hamm, Beschluss vom 5. Februar 2015 - III2 Ws 33/15, juris Rn. 17 f.; MüKoStGB/Groß, 3. Aufl., § 57 Rn. 9 Fn. 25).
- 10
- Wie bereits das Kammergericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung zutreffend ausgeführt hat, spricht schon das Vollzugsverhalten des Angeklagten gegen eine Reststrafenbewährung. Er hat in mindestens fünf Fällen an verschiedenen Tagen in den Monaten April bis Juni 2016 gegen die Hausordnung der Justizvollzugsanstalt verstoßen, dabei mehrfach Bedienstete beleidigt und in einem Fall bei Widerstandshandlungen versucht, Bedienstete durch Kopfstöße und Fußtritte zu verletzen.
- 11
- Auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit steht jedenfalls derzeit einer Reststrafenaussetzung entgegen; denn nach den Ausführungen des Kammergerichts war in der Hauptverhandlung nicht erkennbar, dass sich der Angeklagte von seiner jihadistischen Grundeinstellung wirklich distanziert hätte. Auf diese Beurteilung der Geisteshaltung des Angeklagten kommt es für den Senat als Beschwerdegericht in besonderer Weise an; denn der Senat selbst hat keinen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewonnen. Hinzu kommt, dass die Annahme der Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen voraussetzt. Sie müssen gerade nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen; insoweit genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 112 Rn. 22 mwN).
- 12
- Die Umstände, die gegen eine zu erwartende Reststrafenaussetzung sprechen, vergrößern zugleich die Besorgnis, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entzieht, weil sie Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründen. Soweit die Beschwerde auf das vom Angeklagten in der Hauptverhandlung an den Tag gelegte Wohlverhalten gegenüber dem Gericht verweist, deutet dies nur darauf hin, dass er willens und fähig ist, sein Verhalten nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu steuern, zumal er sich Bediensteten der Justizvollzugsanstalt gegenüber auch über Richter abfällig äußerte.
- 13
- Hinzu kommt, dass der Angeklagte auch türkischer Staatsangehöriger ist, über Fremdsprachenkenntnisse und Auslandskontakte verfügt, sich von September 2009 bis Dezember 2015 im Ausland aufhielt und trotz des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 20. September 2012 nicht ergriffen werden konnte. Diesbezüglich verweist der Senat auf die Ausführungen im Haftbefehl des Kammergerichts vom 20. Mai 2016 und in dessen Nichtabhilfeentscheidung vom 4. Oktober 2016.
- 14
- Den benannten die Fluchtgefahr begründenden Umständen stehen auch mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte selbst stellte und mittlerweile wieder über stabile familiäre Bindungen in Deutschland verfügt, hinreichend gewichtige fluchthindernde Umstände nicht entgegen.
- 15
- Nach alledem kann dahinstehen, inwieweit, wie das Kammergericht meint, weitere gegen den Angeklagten geführte, noch offene Ermittlungsverfahren die Fluchtgefahr erhöhen, namentlich dasjenige wegen des Verdachts der Mitgliedschaft im Islamischen Staat (IS). Insbesondere kommt es hier nicht darauf an, ob die Berücksichtigung eines anderen Strafverfahrens einen bestimmten Verdachtsgrad für eine Tatbegehung oder -beteiligung voraussetzt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. November 1992 - 3 Ws 636/92, MDR 1993, 371; LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 112 Rn. 40; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 112 Rn. 19).
- 16
- b) Daneben liegt weiterhin - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 112 Rn. 37 mwN) - der Haftgrund der Schwerkriminalität vor. Es kann - erst recht - nicht ausgeschlossen werden, dass ohne die weitere Untersuchungshaft die alsbaldige Ahndung der Tat vereitelt werden könnte.
- 17
- c) Weniger einschneidende Maßnahmen (§ 116 StPO) bieten bei einer Gesamtschau und -würdigung der genannten Umstände voraussichtlich keinen Erfolg. Für eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls fehlt es an einer ausreichenden Vertrauensgrundlage in der Person des Angeklagten.
- 19
- Ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot liegt nicht vor. Vermeidbare den Strafverfolgungsbehörden oder Strafgerichten anzulastende Verzögerungen sind nicht eingetreten. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat unter dem 21. April 2016, etwa vier Monate nach der Verhaftung des Angeklagten, die Anklage gegen ihn erhoben. Am 20. Mai 2016, einen Monat später, hat das Kammergericht das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung fand an 17 Tagen zwischen dem 13. Juni und dem 19. September 2016 statt. In Anbetracht des Umfangs und der Komplexität des Verfahrens wurde dieses zu jeder Zeit ausreichend gefördert. Schäfer Gericke Berg
Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Nov. 2016 - StB 35/16
Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Nov. 2016 - StB 35/16
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Nov. 2016 - StB 35/16 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.
(2) Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er
- 1.
eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen, - 2.
Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder - 3.
Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind.
(2a) Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Handlungen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 erfolgen.
(3) Absatz 1 gilt auch, wenn die Vorbereitung im Ausland begangen wird. Wird die Vorbereitung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.
(4) In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wird die Vorbereitung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, wenn die Vorbereitung weder durch einen Deutschen erfolgt noch die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland noch durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.
(5) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser Tat verhindert. Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhindert, genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.
(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,
- 1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder - 2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b - 3.
(weggefallen)
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,
- 1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen, - 2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1, - 3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3, - 4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder - 5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.
(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.
(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).
(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).
(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.
(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Die Beschwerde wird bei dem Gericht, von dem oder von dessen Vorsitzenden die angefochtene Entscheidung erlassen ist, zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt.
(2) Erachtet das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, die Beschwerde für begründet, so haben sie ihr abzuhelfen; andernfalls ist die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen, dem Beschwerdegericht vorzulegen.
(3) Diese Vorschriften gelten auch für die Entscheidungen des Richters im Vorverfahren und des beauftragten oder ersuchten Richters.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.
(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.
(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.
(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.
(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.
(1) Der Vollstreckungsleiter kann die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn der Verurteilte einen Teil der Strafe verbüßt hat und dies im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann.
(2) Vor Verbüßung von sechs Monaten darf die Aussetzung der Vollstreckung des Restes nur aus besonders wichtigen Gründen angeordnet werden. Sie ist bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nur zulässig, wenn der Verurteilte mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt hat.
(3) Der Vollstreckungsleiter soll in den Fällen der Absätze 1 und 2 seine Entscheidung so frühzeitig treffen, daß die erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung des Verurteilten auf sein Leben nach der Entlassung durchgeführt werden können. Er kann seine Entscheidung bis zur Entlassung des Verurteilten wieder aufheben, wenn die Aussetzung aufgrund neu eingetretener oder bekanntgewordener Tatsachen im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, nicht mehr verantwortet werden kann.
(4) Der Vollstreckungsleiter entscheidet nach Anhören des Staatsanwalts und des Vollzugsleiters. Dem Verurteilten ist Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben.
(5) Der Vollstreckungsleiter kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(6) Ordnet der Vollstreckungsleiter die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe an, so gelten § 22 Abs. 1, 2 Satz 1 und 2 sowie die §§ 23 bis 26a sinngemäß. An die Stelle des erkennenden Richters tritt der Vollstreckungsleiter. Auf das Verfahren und die Anfechtung von Entscheidungen sind die §§ 58, 59 Abs. 2 bis 4 und § 60 entsprechend anzuwenden. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Aussetzung des Strafrestes anordnet, hat aufschiebende Wirkung.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet, so soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden.
(2) Über die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug entscheidet der Vollstreckungsleiter.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der heute 45-jährige Verurteilte ist durch Urteil der 2. großen Strafkammer – Jugendkammer – des Landgerichts Arnsberg vom 22.06.2010 wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
4Nach den Urteilsfeststellungen verschaffte sich der zur Tatzeit 18-jährige Verurteilte am 28.05.1987 im Anschluss an eine Aufstiegsfeier des örtlichen Fußballvereins Zutritt zu der Wohnung der ihm bekannten 26-jährigen Geschädigten. Dort kam es zu einer heftigen handgreiflichen Auseinandersetzung, bei der der Verurteilte der Geschädigten u.a. Schläge gegen den Kopf versetzte, da sie sich gegen den von ihm erstrebten Geschlechtsverkehr massiv zur Wehr setzte. Als die Geschädigte einen Schrei ausstieß, würgte der Verurteilte sie bis zur Bewusstlosigkeit, um sie „zum Schweigen zu bringen.“ Im Anschluss fasste er den Entschluss, sie zu töten, „um den Versuch der Vergewaltigung und die vorausgegangene gefährliche Körperverletzung zu verdecken“. Hierzu nahm er aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 12 cm und stach damit 74 Mal auf die bewusstlos und entkleidet auf dem Bett liegende Geschädigte ein. Die Geschädigte verstarb binnen Kürze an den ihr zugefügten Verletzungen. Der Verurteilte befand sich bei Begehung der Tat aufgrund zuvor konsumierten Alkohols in einem enthemmten Zustand, der seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich verminderte.
5Die zunächst zur Täterschaft ergebnislos geführten Ermittlungen wurden im Jahr 2007 mit der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen wieder aufgenommen und führten schließlich dazu, dass gegen den Verurteilten am 10.02.2009 durch das Amtsgericht Arnsberg ein Haftbefehl erlassen wurde, der vom 11.02.2009 bis zu seiner Außervollzugsetzung am 16.03.2010 in der JVA I vollstreckt wurde.
6Der Verurteilte ging – von vorübergehenden Unterbrechungen durch Wehrdienst und Arbeitslosigkeit abgesehen – seit 1988 durchgängig einer geregelten Beschäftigung, zunächst als Metallschleifer, seit 2003 bis zu seiner Festnahme als Verkäufer in einem Baumarkt nach. Nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau – aus der Ehe ging eine Tochter hervor – heiratete der Verurteilte 2006 erneut und bewohnte gemeinsam mit seiner Frau und vier Kindern aus deren früherer Ehe ein Einfamilienhaus in T. Er ist weder vor noch nach der Tat anderweitig strafrechtlich in Erscheinung getreten.
7Die Jugendkammer hat „schädliche Neigungen“ des zum Zeitpunkt des Urteils 41-jährigen Verurteilten im Sinne des § 17 Abs. 2, 1. Var. JGG angesichts der 23 Jahre zurückliegenden Tat sowie des Umstandes, das der Verurteilte weder vor noch nach der Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten war, nicht festzustellen vermocht. Sie hat die Verhängung von Jugendstrafe jedoch wegen der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2, 2. Var. JGG als erforderlich angesehen.
8Der Verurteilte verbüßte die Jugendstrafe seit dem 23.09.2011 zunächst in der JVA C-T, im Anschluss ab dem 30.09.2011 in der JVA I1; seit dem 10.02.2012 befindet er sich in Strafhaft in der JVA T.
9Das Amtsgericht – Jugendrichter – Soest hat als gemäß §§ 82 Abs. 1, 84, 85 JGG zuständiger Vollstreckungsleiter mit Beschluss vom 01.09.2011 (Az. 24 VRJs 72/11) angeordnet, dass der Verurteilte zur Verbüßung der Jugendstrafe in den Normalvollzug für Erwachsene zu überführen ist. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht Soest die Strafvollstreckung zudem gemäß § 85 Abs. 6 S. 1 JGG auf die Staatsanwaltschaft Arnsberg übertragen.
10In Vorbereitung der Prüfung einer bedingten Entlassung des Verurteilten zu dem auf den 16.12.2014 berechneten „2/3-Termin“ hat der Leiter der JVA T unter dem 24.09.2014 eine Stellungnahme abgegeben, in der „eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB derzeit nur unter den Voraussetzungen engmaschiger Bewährungsauflagen und der Bestellung eines Bewährungshelfers befürwortet“ wird. In der darin wiedergegebenen Stellungnahme des zuständigen psychologischen Dienstes heißt es u.a.:
11„Herr B. war bis März 2013 Tatleugner. Seine Bereitschaft, über die nun fast 30 Jahre zurückliegende Tat zu gestehen, änderte sich, als seine jetzige Ehefrau sich scheiden lassen wollte. Im Verlaufe der Gespräche gelang es ihm besser, sich zu öffnen und über seinen Alkoholkonsum und seine Lebensführung zum Zeitpunkt des Anlassdeliktes zu sprechen, was für ihn sehr schambesetzt und persönlichkeitsfremd ist. Bezüglich des Anlassdeliktes imponierte er trotz intensiver Aufarbeitung immer noch mit Ratlosigkeit. Herr B. vermittelte den Eindruck, wenig Verantwortungsgefühl zu übernehmen oder Einblick in die zugrunde liegende Motivation sowohl für die sexuelle Motivation als auch bezüglich der Mordhandlung zu haben. (…) Betrachtet man die Tatvorgeschichte, so ist zu sagen, dass Herr B. jedoch auf der Aufstiegsfeier bereits die sexuelle Vorstellung entwickelte, mit Frau S. zu schlafen, da sie auch seinem präferierten Frauenbild entsprach. So hoffte er aufgrund seiner narzisstischen Tendenzen und einer sexuellen Vorerfahrung, dass er sein Ziel erreichen wird. (…) Aufgrund seiner oben beschriebenen narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung ist zu vermuten, das Herr B. auch durch die zusätzliche alkoholische Enthemmung sich im Kontakt mit dem Opfer gekränkt gefühlt hat. Sowohl das Nachtatverhalten als auch die Aufrechterhaltung der langjährigen Leugnungshaltung sind wie bei einem Narzissten typisch auf die Unfähigkeit, ein schlechtes Gewissen zu haben, auf die fehlende Empathie und auf strenge und perfektionistische Ansprüche gegenüber dem eigenen Selbst zurückzuführen. (…) Obwohl man hypothetisch von einer günstigen Legalprognose ausgehen kann, konnte Herr B. bisher nicht in vollzugsöffnenden Maßnahmen erprobt werden. Im Falle einer bedingten Entlassung sollte als Auflage eine Psychotherapie zur weiteren Be- und Verarbeitung seiner Delinquenz erteilt werden.“
12Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat mit Verfügung vom 02.10.2014 beantragt, über den Verurteilten ein Gutachten gemäß § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO einzuholen.
13Der Verurteilte ist durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen am 27.11.2014 persönlich angehört worden.
14Mit Beschluss vom 01.12.2014 – dem Verurteilten am 08.12.2014 zugestellt – hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen die Aussetzung der Vollstreckung der Restjugendstrafe zur Bewährung abgelehnt. Zur Begründung hat das Landgericht u.a. ausgeführt, dass für die nach Maßgabe des § 88 JGG zu treffende Entscheidung „einzig und allein die schwere Schuld und deren angemessener Ausgleich die maßgeblichen Gesichtspunkte sein“ könnten. Die sich im Ergebnis stellende Frage, „ob eine Haftdauer von 4 Jahren und 4 Monaten für die schwere Straftat des Betroffenen einen angemessenen Schuldausgleich“ darstelle, müsse „ohne weiteres verneint werden.“
15Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte mit Schreiben vom 11.12.2014 – beim Landgericht Hagen am selben Tage per Fax eingegangen – sofortige Beschwerde eingelegt.
16Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat mit Zuschrift vom 22.01.2015 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
17II.
18Die gemäß § 85 Abs. 6 S. 2 JGG, § 88 JGG, § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache – zumindest vorläufigen – Erfolg.
191.
20Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet. Die gemäß § 85 Abs. 6 S. 2 JGG in Verbindung mit §§ 454, 462a Abs. 1 StPO zur Entscheidung über die Aussetzung der weiteren Vollstreckung zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen ist von einem rechtsfehlerhaften Beurteilungsmaßstab ausgegangen, indem sie sich (allein) aufgrund der Schwere der Schuld des Angeklagten an einer Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung gehindert gesehen hat.
21a) Die Strafvollstreckungskammer ist dabei im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe auch dann nach § 88 JGG und nicht nach § 57 StGB richtet, wenn die Jugendstrafe – wie hier – nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs vollstreckt wird und die Vollstreckung gemäß § 85 Abs. 6 S. 1 JGG an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.1996, 3 Ws 40-41/96, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 25.10.2005, Ws 768/05, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 14.10.1999, 2 Ws 596/99, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.12.1998, 3 Ws 1070/98, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.03.2008, 2 Ws 374/07, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.11.2010, 5 Ws 200/10, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 03. Januar 2012, 1 Ws 566/11, juris m.w.N.; Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 6. Auflage, § 85 Rn. 16; Eisenberg, JGG, 17. Aufl., § 85 Rn. 22).
22Der Senat hält insoweit nach erneuter Prüfung und unter Berücksichtigung der Argumentation der gegenteiligen Auffassung, die in solchen Fällen von einer Anwendbarkeit des § 57 StGB ausgeht (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.4.1995, 1 Ws 332-333/95, juris; OLG München, Beschluss vom 12.11.2008, 2 Ws 986-988/08, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.11.2009, 2 Ws 410/09, juris), an seiner bislang vertretenen Ansicht, die der herrschenden Meinung entspricht, fest (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 92, 93). Die gegenteilige Auffassung würde bei der hier vorliegenden Verfahrenskonstellation – von der im Erwachsenvollzug vollstreckten Jugendstrafe sind bereits zwei Drittel der Strafe verbüßt – auch zu keinem anderen Ergebnis führen, da die Voraussetzungen nach § 57 Abs. 1 StGB und § 88 Abs. 1 JGG weitgehend angeglichen sind und es nach beiden Vorschriften nach Erreichen des Zweidrittelzeitpunktes bei zutreffender Auslegung des § 88 JGG dann allein auf eine positive Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit ankommt (vgl. OLG Hamm, aaO.).
23b) Im Rahmen der damit hier gemäß § 88 Abs. 1 JGG zu treffenden Entscheidung nach Erreichen des Zweidritteltermins ist der Gesichtspunkt der „Schwere der Schuld“ nicht geeignet, eine Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung zu verweigern. Die gegenteilige Auffassung, wonach der Gesichtspunkt der Schwere der Schuld – über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehend – auch Eingang in die gemäß § 88 Abs. 1 JGG erforderlichen Ermessenserwägungen findet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2000, 6 Ws 1/2000, juris m.w.N.), wird von dem Senat, jedenfalls nach Verbüßung von 2/3 der Jugendstrafe, nicht geteilt.
24Nach der gegenteiligen Auffassung behalten die für die Bemessung der Strafe maßgeblichen Kriterien in Fällen, in denen die Jugendstrafe gemäß § 17 JGG allein wegen der Schwere der individuellen Schuld des Verurteilten verhängt wurde, ihre Bedeutung auch, wenn in solchen Fällen über eine etwaige vorzeitige Entlassung zur Bewährung nach § 88 JGG zu entscheiden ist (OLG Düsseldorf, aaO.). Maßstab müsse auch hier die Schwere der Schuld und die Abwägung sein, ob durch die Dauer des Vollzuges dem „Grundsatz der tatvergeltenden Sühne" und dem „Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs" Rechnung getragen werde. Denn es sei widersprüchlich, dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld bei der Verhängung und Bemessung der Jugendstrafe eine den Erziehungsgedanken ergänzende, teilweise gar zurückdrängende eigenständige Bedeutung beizumessen, diesen jedoch dann, wenn es um die Dauer des sodann gebotenen Vollzuges und um den angemessenen Zeitpunkt der Entlassung gehe, außer Betracht zu lassen. Dem Jugendrichter sei bei seiner Entscheidung nach § 88 JGG ein Ermessen eingeräumt, in dessen Rahmen er neben der Mindestverbüßungsdauer (§ 88 Abs. 2 JGG) und der Sozialprognose auch weitere Gesichtspunkte - so z.B. auch die Schwere der Schuld - berücksichtigen könne (OLG Düsseldorf, aaO.). Dieser Ansicht vermag der Senat, jedenfalls soweit es Entscheidungen nach § 88 JGG nach Verbüßung von zwei Drittel der Jugendstrafe betrifft, nicht zu folgen:
25Die Berücksichtigung der Schwere der Schuld – etwa im Sinne eines „extremen Falls besonders schwerer Schuld“ (vgl. OLG Düsseldorf, aaO.) – im Rahmen der Strafvollstreckung begegnet mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip sowie das Freiheitsgrundrecht des Verurteilten aus Art. 2 Abs. 2 GG bereits verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG NStZ 1994, 53; NJW 1992, 2947 zu § 57 a StGB). Die Feststellung und Gewichtung der Schuldschwere obliegt primär dem Erkenntnisverfahren und dem Tatgericht, welches vorliegend zwar wegen der Schwere der Schuld i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG eine Jugendstrafe verhängt, bei deren Bemessung aber unter Berücksichtigung aller Umstände und des „Erfordernisses eines gerechten Schuldausgleichs und der gerechten Sühne“ auf eine deutlich unter der Höchstgrenze der §§ 18, 105 Abs. 3 JGG liegende Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten erkannt hat. Die Aspekte von Generalprävention, Schuldausgleich, Vergeltung und Sühne haben – im Jugendstrafrecht ohnehin stark eingeschränkt und von dem Sonderfall des § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB im Erwachsenenstrafrecht abgesehen – ihren Standort bei der Sanktionsandrohung sowie der Sanktionsverhängung und sind damit für die Ebene des Sanktionsvollzugs „verbraucht“ (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 6. Auflage, § 88 Rn. 15; Eisenberg, JGG, 17. Aufl., § 88 Rn. 19).
26Die Einbeziehung des Gesichtspunktes der Schwere der Schuld in die Entscheidung nach § 88 Abs. 1 JGG würde nach Erreichen des Zweidritteltermins darüber hinaus auch zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung des nach Jugendrecht Verurteilten gegenüber einem nach allgemeinem Strafrecht zu einer zeitigen Freiheitsstrafe verurteilten Straftäter führen, da im Rahmen der nach § 57 Abs. 1 StGB zu treffenden Abwägung der Gesichtspunkt der Schwere der Schuld keine eigenständige Rolle spielt (vgl. BVerfG, NStZ 1994, 53; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 57 Rn. 12b m.w.N.). Käme dem Aspekt der Schwere der Schuld mit Blick auf die nach § 88 Abs. 1 JGG zu treffende Entscheidung ein eigenständiges Gewicht zu, würde die durch die Anwendung des materiellen Jugendstrafrechts erstrebte Privilegierung in ihr Gegenteil verkehrt (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 6. Auflage, § 88 Rn. 12).
27Die vom Senat vertretene Ansicht steht auch nicht im Widerspruch zu dem Umstand, dass dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 JGG bei der Verhängung und Bemessung der Jugendstrafe eine den Erziehungsgedanken ergänzende, teilweise gar zurückdrängende eigenständige Bedeutung beigemessen werden kann. Sie ist vielmehr Folge der im Hinblick auf die Strafzwecke auch im Jugendstrafrecht gebotenen Trennung zwischen Sanktionsandrohung, -verhängung und -vollzug (vgl. Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 6. Auflage, § 88 Rn.12).
282.
29Der angefochtene Beschluss leidet – legt man den vom Senat aufgezeigten, zutreffenden Prüfungsmaßstab für die hier nach 2/3-Verbüßung der verhängten Jugendstrafe gemäß § 88 JGG zu treffende Entscheidung zugrunde – an einem erheblichen Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache führt, da die Strafvollstreckungskammer – aus dortiger Sicht folgerichtig – von der gebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO abgesehen hat.
30Soweit die Vorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO bei verhängter Jugendstrafe und Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt für nicht anwendbar gehalten wird (so OLG Frankfurt a.M., NStZ-RR 1999, 91), folgt der Senat dem nicht. Der Wortlaut des § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG sieht im Fall der Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft die Anwendung der Vollstreckungsregelungen der Strafprozessordnung ohne Einschränkung vor (h.M., vgl. u.a. OLG Celle, Beschluss vom 06. Mai 2008 – 1 Ws 206/08 –, juris; OLG Dresden, NStZ-RR 2010, 156).
31Die Voraussetzungen des § 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO liegen vor, da nach Aktenlage eine Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren wegen Mordes nach § 88 Abs. 1 JGG in Betracht kommt. Von der Einholung des Sachverständigengutachtens kann auch nicht deshalb abgesehen werden, weil auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegen stehen. Angesichts der gravierenden Anlasstat, der durch den psychologischen Dienst der JVA T angedeuteten narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung bei dem Angeklagten und deren Auswirkungen sowie der aus Sicht der Vollzugsanstalt noch nicht abgeschlossenen „Be- und Verarbeitung seiner Delinquenz“ kann nicht ausgeschlossen werden, dass von dem Verurteilten noch eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.
32Der aufgezeigte Verfahrensfehler führt entgegen § 309 Abs. 2 StPO zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2000, 317; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 454 StPO, Rn. 47), durch die das einzuholende Gutachten gem. § 454 Abs. 2 StPO in Auftrag zu geben und eine – je nach Erklärungen gemäß § 454 Abs. 2 S. 4 StPO – etwaige mündliche Anhörung des Sachverständigen vorzunehmen sein wird, wobei im Hinblick auf die Notwendigkeit der psychiatrischen Begutachtung des Verurteilten zur Frage der Gefahrenprognose die Bestellung eines Pflichtverteidigers in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO erforderlich erscheint.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.
(1) Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. In Betracht kommen namentlich
- 1.
die Anweisung, sich zu bestimmten Zeiten bei dem Richter, der Strafverfolgungsbehörde oder einer von ihnen bestimmten Dienststelle zu melden, - 2.
die Anweisung, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis des Richters oder der Strafverfolgungsbehörde zu verlassen, - 3.
die Anweisung, die Wohnung nur unter Aufsicht einer bestimmten Person zu verlassen, - 4.
die Leistung einer angemessenen Sicherheit durch den Beschuldigten oder einen anderen.
(2) Der Richter kann auch den Vollzug eines Haftbefehls, der wegen Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt ist, aussetzen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, daß sie die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindern werden. In Betracht kommt namentlich die Anweisung, mit Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen keine Verbindung aufzunehmen.
(3) Der Richter kann den Vollzug eines Haftbefehls, der nach § 112a erlassen worden ist, aussetzen, wenn die Erwartung hinreichend begründet ist, daß der Beschuldigte bestimmte Anweisungen befolgen und daß dadurch der Zweck der Haft erreicht wird.
(4) Der Richter ordnet in den Fällen der Absätze 1 bis 3 den Vollzug des Haftbefehls an, wenn
- 1.
der Beschuldigte den ihm auferlegten Pflichten oder Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt, - 2.
der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, daß das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, oder - 3.
neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen.
(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.
(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen
- 1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält, - 2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder - 3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde - a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder - b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder - c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).
(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.