Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2007 - V ZB 187/06

bei uns veröffentlicht am28.06.2007
vorgehend
Landgericht Chemnitz, 5 O 4791/04, 02.12.2005
Oberlandesgericht Dresden, 10 U 1270/06, 30.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 187/06
vom
28. Juni 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist ein für das Rechtsmittelgericht bestimmter fristgebundener Schriftsatz bei
dem mit der Sache befassten erstinstanzlichen Gericht eingereicht worden, darf
der Rechtsanwalt auf dessen Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang auch
dann vertrauen, wenn er seinen Fehler noch rechtzeitig vor Fristablauf bemerkt.
BGH, Beschl. v. 28. Juni 2007 - V ZB 187/06 - OLG Dresden
LGChemnitz
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. Juni 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin Dr.
Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 30. Oktober 2006 aufgehoben. Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 49.143,66 €.

Gründe:

I.

1
Die Beklagte ist durch ein am 2. Dezember 2005 verkündetes Urteil des Landgerichts zur Zahlung verurteilt worden. Mit einem an das Landgericht gerichteten Schriftsatz vom 24. April 2006 legte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegen das noch nicht zugestellte Urteil Berufung ein und beantragte zugleich, ihm das Urteil kurzfristig zu übermitteln. Dies geschah am 2. Mai 2006. Den Schriftsatz vom 24. April 2006 leitete das Landgericht nicht an das Oberlandesgericht weiter.
2
Am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist fragte ein Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei dem Oberlandesgericht nach dem dortigen Aktenzeichen und erhielt die Mitteilung, dass eine Berufung in dieser Sache nicht registriert sei. Die Beklagte hat ihre rechtzeitig eingegangene Berufungsbegründung mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist verbunden.
3
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

4
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte könne sich nicht darauf berufen , dass das Landgericht verpflichtet gewesen sei, die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht zu senden. Zwar müsse ein zuvor mit dem Verfahren befasstes Gericht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht weiterleiten. Hier gelte aber etwas anderes, weil der Schriftsatz vom 24. April 2006 inhaltlich nicht nur für das Oberlandesgericht, sondern auch für das Landgericht bestimmt gewesen sei. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte der Beklagten anlässlich der Zustellung des Urteils am 2. Mai 2006 die falsche Adressierung der Berufungsschrift bemerken und die rechtzeitige Berufungseinlegung sicherstellen können. Er habe auch damit rechnen müssen, dass das Landgericht den Schriftsatz vom 24. April 2006 durch die Urteilszustellung als beantwortet ansehen und ihn deshalb nicht an das Oberlandesgericht weiterleiten würde. Der Prozessbevollmächtigte sei deshalb gehalten gewesen, innerhalb der bis zum 2. Juni 2006 laufenden Berufungsfrist bei dem Oberlandesgericht nachzufragen , ob der Schriftsatz dort eingegangen sei. Da er dies unterlassen habe, sei die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden der Beklagten versäumt worden.

III.

5
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts , weil das Berufungsgericht die Anforderung an das, was eine Partei veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt und dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat (vgl. Senat, BGHZ 151, 221, 226).
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
7
a) Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass die Beklagte die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt hat, weil die Einreichung einer Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht nicht fristwahrend wirkt und der Schriftsatz vom 24. April 2006 nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an das Oberlandesgericht gelangt ist.
8
b) Der Beklagten ist auf ihren rechtzeitigen Antrag hin jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 ZPO).
9
aa) Nach der auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren , auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115; BGH, Beschl. v. 1. Dezember 1997, II ZR 85/97, NJW 1998, 908; Beschl. v. 3. September 1998, IX ZB 46/98, VersR 1999, 1170, 1171; Beschl. v. 27. Juli 2000, III ZB 28/00, NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschl. v. 6. Juni 2005, II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373; Beschl. v. 3. Juli 2006, II ZB 24/05, NJW 2006, 3499). Hiernach durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass ihre mehr als fünf Wochen vor Ablauf der Berufungsfrist bei dem Landgericht eingereichte Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weitergeleitet werden und dort rechtzeitig eingehen würde.
10
bb) Die von dem Berufungsgericht hervorgehobenen Besonderheiten des Sachverhalts rechtfertigen keine Abweichung von diesem Grundsatz.
11
(1) Die Verpflichtung des Landgerichts, den Schriftsatz vom 24. April 2006 an das Oberlandesgericht weiterzuleiten, entfiel entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht deshalb, weil dieser neben der Berufungseinlegung auch den - zutreffenderweise - an das Landgericht gerichteten Antrag enthielt, das erstinstanzliche Urteil zu übermitteln. Zwar durfte und musste sich das Landgericht zunächst mit dem in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Antrag befassen. Da dieser in der Sache aber nur eine Erinnerung an die Zustellung des verkündeten Urteils enthielt, also nichts erforderlich machte, was nicht ohnehin von Amts wegen zu geschehen hatte (§ 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO), hätte das Landgericht feststellen müssen, dass der Antrag die Weiterleitung des Schriftsatzes an das Oberlandesgericht nicht hinderte. Aus diesem Grund und weil die Einlegung der Berufung - auch der äußeren Gestaltung nach - erkennbar das Hauptanliegen des Schriftsatzes war, musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten auch nicht damit rechnen, dass das Landgericht den Schriftsatz durch die nachfolgende Zustellung des erstinstanzlichen Urteils als beantwortet ansehen würde.
12
Die Weiterleitung an das Oberlandesgericht durfte, anders als das Berufungsgericht meint, nicht deshalb unterbleiben, weil der Schriftsatz, da er inhaltlich auch für das Landgericht bestimmt war, in die Akte des Landgerichts gehörte. Der Schriftsatz hätte seine Eigenschaft als Aktenbestandteil nicht dadurch verloren, dass er an das Oberlandesgericht weitergereicht worden wäre, dieses anschließend die Akten des Landgerichts angefordert und den Schriftsatz dann in diese oder in einen neu anzulegenden Aktenband eingeheftet hätte.
13
(2) Ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die falsche Adressierung der Berufungsschrift anlässlich der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils erkennen konnte oder tatsächlich erkannt hat, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unerheblich. Es trifft nicht zu, dass die Verpflichtung eines Gerichts, eine Rechtsmittelschrift an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten, nur dann zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führt, wenn die falsche Adressierung bis zum Fristablauf unbemerkt bleibt. Der Rechtssuchende darf darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingegangenen, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird (BVerfGE 93, 99, 115). Wer darauf vertrauen darf, dass sein Fehler korrigiert wird, darf dies auch und gerade dann tun, wenn er seinen Fehler bemerkt. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass es, wenn eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden konnte, ohne Bedeutung ist, ob die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter die falsche Adressierung der Rechtsmittelschrift noch rechtzeitig bemerkt hat und daher selbst in der Lage war, durch Einreichung einer neuen fehlerfreien Berufungsschrift die Frist auch auf anderem Weg zu wahren (Beschl. v. 1. Dezember 1997, II ZR 85/97, NJW 1998, 908, 909). Krüger Klein Stresemann Czub Roth
Vorinstanzen:
LG Chemnitz, Entscheidung vom 02.12.2005 - 5 O 4791/04 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 30.10.2006 - 10 U 1270/06 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2007 - V ZB 187/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2007 - V ZB 187/06

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2007 - V ZB 187/06 zitiert 10 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 517 Berufungsfrist


Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

Zivilprozessordnung - ZPO | § 317 Urteilszustellung und -ausfertigung


(1) Die Urteile werden den Parteien, verkündete Versäumnisurteile nur der unterliegenden Partei in Abschrift zugestellt. Eine Zustellung nach § 310 Abs. 3 genügt. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann der Vorsitzende die Zustellung verkündet

Referenzen - Urteile

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BGHR: ja

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 28/00
vom
27. Juli 2000
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Wurm,
Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke am 27. Juli 2000

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 18. Mai 2000 - 10 U 2302/00 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Streitwert: 19.454,64 DM

Gründe


I.


Die Klägerin hat gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte klageabweisende Urteil des Landgerichts Berlin durch Telefax und durch gewöhnliches Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 15. März 2000 Berufung eingelegt. Die Berufungsschriften sind versehentlich nicht an das Kammergericht, sondern an das Landgericht Berlin adressiert worden. Dort sind sie am 15. März 2000 eingegangen. Gemäß Aktenvermerk vom 20. März 2000 ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro von seiten des Land-
gerichts Berlin fernmündlich mitgeteilt worden, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse. Das Landgericht Berlin hat die Berufungsschriften an das Kammergericht weitergeleitet, wo sie am 21. März 2000 (Telefax ) und am 22. März 2000 (Brief) eingegangen sind.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000, dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 26. April 2000 zugegangen, hat das Kammergericht darauf hingewiesen, daß die Berufung verspätet eingegangen sei, und gefragt, ob das Rechtsmittel zurückgenommen werde. Einem Gesuch des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 25. April 2000, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern, ist mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26. April 2000 - unter Hinweis auf die Anfrage vom 17. April 2000 - stattgegeben worden.
Mit Beschluß vom 18. Mai 2000 hat das Kammergericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil sie die Berufung nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt habe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Sie räumt ein, daß die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Unter anderem weil die Berliner Justiz ihre Fax-Nummern umgestellt habe, sei die Berufungsschrift versehentlich an das Landgericht übermittelt worden. Erst mit Zugang der Verfügung des Vorsitzenden vom 17. April 2000 am 26. April 2000 habe ihr Prozeßbevollmächtigter Kenntnis von der Verspätung der Berufungseinlegung erhalten. Am Tag zuvor (25. April 2000) habe ihr Prozeßbevollmächtigter beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern. Insoweit habe er die Bewilligung der Fristverlängerung vom 26. April 2000 nur so verstehen können, "daß in Kennt-
nis der möglichen Verletzung der Berufungsfrist trotzdem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist möglich und wirksam sei".
Ferner habe sie nicht davon ausgehen können, daß eine fehlerhaft beim Landgericht eingereichte Berufung, die offensichtlich beim Kammergericht habe eingelegt werden sollen, vier Werktage benötige, um dort einzugehen. Zumindest habe ihr Prozeßbevollmächtigter einen zeitnahen telefonischen Hinweis erwarten dürfen.

II.


Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Kammergericht hat die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen.
1. Die Klägerin hat die Berufung nicht innerhalb der Berufungsfrist bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt.
Gegen das am 17. Februar 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin hätte die Klägerin binnen eines Monats (vgl. § 516 ZPO), also spätestens am 17. März 2000, durch Einreichung einer Berufungsschrift beim Kammergericht (vgl. § 518 Abs. 1 ZPO) Berufung einlegen müssen. Für das Ende der Berufungsfrist hatte die vom Vorsitzenden bewilligte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine Bedeutung.
Bei dem Kammergericht ist die Berufungsschrift unstreitig nicht fristgerecht eingegangen. Die am 15. März 2000, noch innerhalb der Frist, bei dem
Landgericht Berlin eingegangene Berufung konnte die Berufungsfrist nicht wahren. Der Schriftsatz war an das Landgericht Berlin adressiert, wurde deshalb bei der Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte - der das Kammergericht nicht angeschlossen war - nur für das Landgericht Berlin angenommen und gelangte allein in dessen Verfügungsgewalt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 - III ZB 20/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 3 und vom 29. Oktober 1987 - III ZB 33/87 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Berufungsgericht 5). Das Landgericht Berlin war aber nicht zuständig.
Der an ein unzuständiges Gericht adressierte Schriftsatz geht erst dann beim zuständigen Gericht ein, wenn er nach Weiterleitung durch das zunächst angegangene Gericht tatsächlich in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt. Da das Gesetz nur auf den tatsächlichen Vorgang des Eingangs abhebt, kommt es für die Rechtzeitigkeit des Eingangs nicht darauf an, aus welchen - außerhalb des anzurufenden Gerichts gelegenen - Gründen sich der Eingang verzögert (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1987 und 29. Oktober 1987 aaO).
In die tatsächliche Verfügungsgewalt des als Berufungsgericht zuständigen Kammergerichts gelangte die Berufungsschrift erst nach Ablauf der Berufungsfrist am 17. März 2000. Die per Telefax zum Landgericht Berlin eingelegte und von dort weitergeleitete Berufung ging am 21. März 2000 bei der Gemeinsamen Briefannahme Elßholzstraße, der das Kammergericht angeschlossen war, ein; die brieflich eingelegte Berufung ging am 22. März 2000, also ebenfalls verspätet, bei dem Kammergericht ein. Das wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
2. Der angefochtene Beschluß ist nicht verfahrensfehlerhaft ergangen.

a) Im Zeitpunkt der Beschlußfassung (18. Mai 2000) lag ein Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin, mit dem sich das Kammergericht hätte befassen müssen, nicht vor.
In dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 25. April 2000 kann ein - stillschweigender - Wiedereinsetzungsantrag nicht gesehen werden, weil der Klägerin und deren Prozeßbevollmächtigten damals das Bewußtsein fehlte, die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1968 - VIII ZR 123/66 - VersR 1968, 992 f). Nach dem Vorbringen der Klägerin erlangte ihr Prozeßbevollmächtigter erst am 26. April 2000, also nach dem Schriftsatz vom 25. April 2000, mit dem er um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nachsuchte, Kenntnis von einer möglichen Versäumung der Berufungsfrist. Dieser Schriftsatz war nicht als Wiedereinsetzungsantrag bestimmt.

b) Das Kammergericht hatte keine Veranlassung, der Klägerin von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO). Es ist auch kein Fall gegeben, in dem der Senat im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens der sofortigen Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß (§ 519 b Abs. 2 ZPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81 - NJW 1982, 887 f; vom 4. November 1981 - IVb ZB 625/80 - NJW 1982, 1873, 1874; vom 9. Juli 1985 - VI ZB 8/85 - NJW 1985, 2650, 2651; Musielak/Ball, ZPO 1999 § 519 b Rn. 18). Denn nach dem Aktenstand bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin - die sich das Ver-
schulden ihres Prozeßbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß - die Frist unverschuldet versäumt hatte.
aa) Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin trug die Verantwortung dafür , daß eine fristwahrende Prozeßhandlung vor dem zuständigen Gericht erfolgte. Er verletzte seine Pflichten dadurch, daß er die Berufungsschrift nicht auf die richtige Adressierung hin überprüfte und entsprechend berichtigte. Insbesondere hätte ihm auffallen können, daß die Berufungsschrift entgegen § 518 Abs. 1 ZPO an das Gericht gerichtet war, dessen Entscheidung angefochten werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 8/95 - NJW-RR 1996, 443 und Beschluß vom 18. April 2000 - XI ZB 1/00, zur Veröffentlichung bestimmt ).
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs "wirkt sich ein etwaiges Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten nicht mehr aus", wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig bei dem "mit der Sache befaßt gewesenen Gericht" eingeht, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann. Geht der Schriftsatz gleichwohl nicht fristgerecht beim Rechtsmittelgericht ein, muß nach dieser Rechtsprechung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon gewährt werden, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (BVerfG NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 aaO; vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - NJW 1998, 908; Beschluß vom 18. April 2000 aaO).
Hier war indes nicht ohne weiteres zu erwarten, daß die von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beim unzuständigen Landgericht Berlin eingereichte Berufungsschrift bei ordentlichem Geschäftsgang spätestens am 17. März 2000 dem Kammergericht vorliegen würde.
Die Berufungsschrift ging auf dem Telefaxgerät des Landgerichts Berlin am 15. März 2000, 17.56 Uhr, ein. Von dort gelangte sie am folgenden Tag (16. März 2000) zur Gemeinsamen Briefannahme Justizbehörden Mitte. Diese gab den Schriftsatz weiter an das Landgericht Berlin, wo er bei der zuständigen Geschäftsstelle am Freitag, dem 17. März 2000, dem Tag des Ablaufs der Berufungsfrist , eintraf. Die Geschäftsstelle leitete die Berufungsschrift weiter an das Kammergericht, wo sie am Dienstag, dem 21. März 2000, über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße einging. Laut Aktenvermerk vom 20. März 2000 wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin oder dessen Büro fernmündlich mitgeteilt, daß die Berufung beim Kammergericht eingelegt werden müsse.
Auch die zusätzlich brieflich eingelegte Berufung wurde im ordentlichen Geschäftsgang bearbeitet. Laut Eingangsstempel wurde sie am 15. März 2000 bei dem Landgericht Berlin eingereicht und gelangte über die Gemeinsame Briefannahme Justizbehörden Mitte (Eingang Freitag, den 17. März 2000), am Montag, dem 20. März 2000, an die zuständige Geschäftsstelle. Nach Weiterleitung durch das Landgericht Berlin ging die Berufungsschrift am 22. März 2000 über die Gemeinsame Briefannahme Elßholzstraße dem Kammergericht zu.
Der für die Übermittlung der Berufungsschriften an das Kammergericht benötigte Zeitaufwand entsprach somit demjenigen einer ordnungsgemäßen Sachbehandlung und fiel damit in den Risikobereich der für die fehlerhafte Adressierung verantwortlichen Klägerin.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 9/04
vom
6. Juni 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Rechtsanwalt hat im Rahmen seiner Büroorganisation dafür Vorsorge zu
treffen, daß seine Angestellten die Faxnummer eines Gerichts einem zuverlässigen
Verzeichnis entnehmen und nicht aus dem Gedächtnis abrufen. Dies gilt
auch, wenn ein "Rechtsanwaltsprogramm" mit automatischer Einfügung der
Faxnummer verwendet wird, diese aber von den Mitarbeitern "von Hand" gelöscht
werden kann.
BGH, Beschluß vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - OLG Frankfurt/Main
LG Frankfurt/Main
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 6. Juni 2005 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Münke, Prof. Dr. Gehrlein und Caliebe

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2004 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 130.105,99 €

Gründe:


I. Die Widerklage der Beklagten ist durch Schlußurteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2003 abgewiesen worden. Gegen das ihr am 28. April 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Mai 2003 Berufung eingelegt. Der am 28. Mai 2003 um 13.52 Uhr per Telefax an das Landgericht Frankfurt am Main übermittelte Schriftsatz ist von dort an das - als Empfänger bezeichnete - Oberlandesgericht Frankfurt am Main weitergeleitet worden, wo er am 30. Mai 2003 eingegangen ist. Die vom Senatsvorsitzenden am 27. Januar 2004 über Zulässigkeitsbedenken unterrichtete Beklagte hat am 10. Februar 2004 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gestellt.
Zur Begründung ihres Gesuchs hat die Beklagte ausgeführt: Ihr Bevollmächtigter verwende ein "Rechtsanwaltsprogramm", das bei Eingabe eines be-
stimmten Gerichts automatisch dessen Anschrift nebst Telefaxanschluß zwecks Einfügung im Adreßfeld eines Schriftsatzes aufrufe. Im Falle einer Übermittlung durch Post oder Boten werde von dem Büropersonal ihres Bevollmächtigten vor Ausdruck eines Schriftsatzes die Telefaxnummer manuell gelöscht. Offenbar habe die seit drei Jahren stets fehlerfrei arbeitende Rechtsanwalts- und Notargehilfin T. die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der Annahme entfernt, der Schriftsatz werde von einer Mitarbeiterin zu Gericht gebracht. Da sich die Mitarbeiterin bereits vor Fertigstellung der Berufungsschrift zu Gericht begeben habe und daher nachträglich eine Faxübermittlung notwendig geworden sei, habe die Angestellte T. offenbar den Schriftsatz vor dessen Ausdruck mit der ihr wohl bekannten Telefaxnummer des Landgerichts Frankfurt am Main als dem - wie sie geglaubt habe - Zentralfax der örtlichen Justizbehörden vervollständigt.
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wirft entgegen der Auffassung der Beklagten keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) auf, sondern steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Rechtsanwalt, der fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, verpflichtet, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, daß die das angeschriebene Gericht betreffende Telefaxnummer verwendet wird (BGH, Beschl. v. 24. April 2002 - AnwZ 7/01, BRAK-Mitt. 2002, 171; BGH, Beschl. v. 11. März 2004 - IX ZR 20/03, BGHReport 2004, 978; BGH, Beschl. v. 1. März 2005 - VI ZB 65/04 z.V.b.). Diesen Anforderungen hat der Bevollmächtigte der Beklagten nicht genügt.

a) Zur Vermeidung von Verwechslungen ist dem Büropersonal die Anweisung zu erteilen, bei der Versendung von Schriftsätzen mittels Telefax die Auswahl der richtigen Empfängernummer zu überprüfen (BGH, Beschl. v. 24. April 2002 aaO; BGH, Beschl. v. 3. November 1998 - VI ZB 29/96, NJW 1999, 583 f.; BGH, Beschl. v. 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96, NJW 1997, 948; ebenso BAG 79, 379, 382; BAG, Urt. v. 25. Januar 2001 - 8 AZR 525/00, NJW 2001, 1594 f.). In Einklang hiermit hat der Senat wiederholt eine gezielte Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur der Telefaxnummer durch das Büropersonal gefordert (Beschl. v. 7. Mai 2001 - II ZB 16/00, BGHReport 2001, 809 f.; Beschl. v. 20. Dezember 1999 - II ZB 7/99, NJW 2000, 1043; Beschl. v. 10. Januar 2000 - II ZB 14/99, NJW 2000, 1043 f.).

b) In der Kanzlei des Beklagtenvertreters fehlte es an einer konkreten Anweisung, die Faxnummer eines Gerichts in Fällen, in denen nicht mit dem "Rechtsanwaltsprogramm" gearbeitet oder dessen Vorgabe von Hand geändert wurde, einem zuverlässigen Verzeichnis zu entnehmen und nach Ausführung des Übermittlungsvorgangs einen Abgleich der gewählten mit der in dem Verzeichnis enthaltenen Nummer vorzunehmen. Sofern die Faxnummer eines Gerichts nicht zusammen mit der Adresse aus dem "Rechtsanwaltsprogramm" abgerufen worden war, bestand, wie der vorliegende Fall belegt, keine Gewißheit,
daß sich das Büropersonal bei der Suche der Faxnummer - statt sie aus dem Gedächtnis aufzurufen - einer geeigneten Aufstellung bediente. Dieses Organisationsverschulden ihres Prozeßbevollmächtigten hat die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zu vertreten.
2. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Sache nicht im Blick auf die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage zu, ob die Gerichte ihre Organisation so einzurichten haben, daß bei einem unzuständigen Gericht eingegangene Schriftsätze unverzüglich als solche erkannt und auch unverzüglich an das zuständige Gericht weitergeleitet werden.

a) Geht ein fristgebundener Schriftsatz nicht bei dem Berufungsgericht, sondern dem zuvor zuständigen erstinstanzlichen Gericht ein, so ist dieses Gericht verpflichtet, den Schriftsatz im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Erreicht der Schriftsatz das früher mit der Sache befaßte Gericht so frühzeitig, daß die fristgerechte Weiterleitung an das Berufungsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren , wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei dem Rechtsmittelgericht eintrifft (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschl. v. 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343; BGH, Beschl. v. 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03, BGHReport 2004, 1515; BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 604/02, NJW 2004, 516; BGH, Beschl. v. 22. Oktober 1986 - VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440 f.). Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, daß sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte (BGH, Beschl. v. 22. Oktober 1986 aaO).

b) Dieser Darlegungslast hat die Beklagte nicht genügt. Sie kann sich nicht mit der Behauptung begnügen, wegen des um 13.52 Uhr erfolgten Eingangs des Schriftstücks bei dem Landgericht hätte ein Zeitraum von zwei bis drei Stunden bestanden, um die Berufungsschrift an das im gleichen Gebäude gelegene Oberlandesgericht weiterzuleiten. Vielmehr bedurfte es der Darlegung , daß eine solche Weiterleitung im gewöhnlichen Geschäftsgang, dessen Ablauf die Beklagte nicht ansatzweise konkretisiert hat, zu erwarten war. Da sich die Justizbediensteten mit Rücksicht auf ihre sonstige Belastung nicht vorrangig der Aufdeckung und Heilung von Anwaltsversäumnissen widmen können , gebietet die Bearbeitung im ordentlichen Geschäftsgang keine außerordentlichen Maßnahmen, die - wie eine telefonische Benachrichtigung des Bevollmächtigten oder die Weiterleitung seines Schriftsatzes per Sonderboten bzw. Fax - den rechtzeitigen Eingang bei dem Rechtsmittelgericht sicherstellen (BVerfG aaO; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rdn. 22 b; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 233 Rdn. 24 "Unzuständigkeit"

).


Goette Kurzwelly Münke
Gehrlein Caliebe

(1) Die Urteile werden den Parteien, verkündete Versäumnisurteile nur der unterliegenden Partei in Abschrift zugestellt. Eine Zustellung nach § 310 Abs. 3 genügt. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien kann der Vorsitzende die Zustellung verkündeter Urteile bis zum Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung hinausschieben.

(2) Ausfertigungen werden nur auf Antrag und nur in Papierform erteilt. Solange das Urteil nicht verkündet und nicht unterschrieben ist, dürfen von ihm Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften nicht erteilt werden. Die von einer Partei beantragte Ausfertigung eines Urteils erfolgt ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe; dies gilt nicht, wenn die Partei eine vollständige Ausfertigung beantragt.

(3) Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften eines als elektronisches Dokument (§ 130b) vorliegenden Urteils können von einem Urteilsausdruck erteilt werden.

(4) Die Ausfertigung und Auszüge der Urteile sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.

(5) Ist das Urteil nach § 313b Abs. 2 in abgekürzter Form hergestellt, so erfolgt die Ausfertigung in gleicher Weise unter Benutzung einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift oder in der Weise, dass das Urteil durch Aufnahme der in § 313 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Angaben vervollständigt wird. Die Abschrift der Klageschrift kann durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder durch den Rechtsanwalt des Klägers beglaubigt werden.