Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08

bei uns veröffentlicht am10.06.2008
vorgehend
Landgericht Detmold, 12 O 39/07, 06.09.2007
Oberlandesgericht Hamm, 13 U 159/07, 17.12.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 2/08
vom
10. Juni 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Dem Rechtsanwalt obliegt eine Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das
Fristende von seiner Fachangestellten richtig ermittelt worden ist, wenn ihm die Akten
- etwa auf Vorfrist - zur Bearbeitung vorgelegt werden (Anschluss an Senat, Beschlüsse
vom 28. September 1998 - VI ZB 16/98 - BRAK-Mitt. 1998, 269 und vom
9. März 1999 - VI ZB 3/99 - VersR 1999, 866; BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994
- VIII ZB 12/94 - NJW 1994, 2831 und vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - VersR
2002, 1391 f., jeweils m.w.N.).
BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08 - OLG Hamm
LG Detmold
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juni 2008 durch die Vizepräsidentin
Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und
die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Dezember 2007 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 15.648,99 €

Gründe:

I.

1
Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall von den Beklagten als Gesamtschuldnern Schmerzensgeld sowie Ersatz materiellen Schadens von insgesamt 16.072,05 € nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat einen geringen Teilbetrag zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 14. September 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, den 15. Oktober 2007 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 15. November 2007, beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, hat er die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis 17. Dezember 2007 wegen urlaubs- und krankheitsbedingter Ausfälle im Büro seines Prozessbevollmächtigten beantragt. Auf den Hinweis des Beru- fungsgerichts vom 19. November 2007 (zugegangen am 22. November 2007), dass der Antrag erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung eingekommen sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die Berufung begründet. Die seit Jahren beanstandungsfrei für seinen Prozessbevollmächtigten arbeitende Fachangestellte J. habe den Ablauf der Frist zur Berufungseinlegung auf 15. Oktober 2007, den der Frist zur Berufungsbegründung jedoch irrig auf 15. November 2007 notiert. Da in der einwöchigen Vorfrist vor Ablauf der notierten Berufungsbegründungfrist die Bearbeitung der Berufungsbegründung wegen einer nicht vorhersehbaren Arbeitsüberlastung durch krankheits- und urlaubsbedingte Ausfälle im Büro nicht habe erfolgen können, habe der Prozessbevollmächtigte am Tag des eingetragenen Fristablaufs die Mitarbeiterin G. angewiesen, die Begründungsfrist um einen Monat verlängern zu lassen. Diese habe irrtümlich den Auslauf der verlängerten Begründungsfrist auf Montag, den 17. Dezember 2007 angenommen.
2
Mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 hat das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Prozessbevollmächtigte habe die von ihm selbst für erforderlich erachtete Kontrolle der mit der Notierung der Fristen beauftragten Fachangestellten nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Monaten durchgeführt, sonst habe ihm der Falscheintrag im Fristenkalender zu dem Ablauf der Begründungsfrist am 14. November 2007 auffallen müssen. Aus welchem Grund dies unterblieben sei, trage der Kläger nicht vor. In Urlaubs - und Krankheitsfällen habe er jedoch die rechtzeitige Bearbeitung von Fristsachen sicherstellen müssen. Er habe auch nach Vorlage der Akten im Rahmen der Vorfrist nicht die notwendige Sorgfalt walten lassen. Wenn er schon die Mitarbeiterin J. nicht im Rahmen der vorgesehenen Frist habe überprüfen wollen, habe er doch die korrekte Fristnotierung prüfen müssen.
3
Gegen diesen, seinem Prozessbevollmächtigten am 21. Dezember 2007 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 3. Januar 2008 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 27. Februar 2008 begründet.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
5
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruht auf dem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
6
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Frist zur Berufungsbegründung schuldhaft versäumt, weil er die gebotene Fristenkontrolle nicht ausgeführt hat, als ihm die Akten zu der notierten Vorfrist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2001 - VI ZB 43/01 - VersR 2002, 506, 507; BGH, Beschluss vom 25. Juni 1997 - XII ZB 61/97 - NJW-RR 1997, 1289; vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06 - FamRZ 2007, 275, 276) vorgelegt worden sind.
7
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliegt einem Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten - wie hier auf Vorfrist - zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 28. September 1998 - VI ZB 16/98 - juris Rn. 5 und vom 9. März 1999 - VI ZB 3/99 - VersR 1999, 866, 867; BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - NJW 1994, 2831, 2832 und vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - VersR 2002, 1391 f., jeweils m.w.N.). Diese Prüfung muss zwar nicht sofort erfolgen , weil die Vorfrist gerade den Sinn hat, dem Rechtsanwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden (vgl. Senat , Beschlüsse vom 9. März 1999 - VI ZB 3/99 - aaO und vom 5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99 - VersR 2000, 202, 204; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - aaO, S. 1392). Soll die Prüfung Sinn machen, darf sie jedoch nicht zurückgestellt werden, bis der Rechtsanwalt - ggf. erst am letzten Tag der Frist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1252, 1253) - die eigentliche Bearbeitung der Sache vornimmt. Vielmehr entsteht die Prüfungspflicht mit Vorlage der Akten unabhängig davon, ob sich der Rechtsanwalt daraufhin zur sofortigen Bearbeitung der Sache entschließt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 28. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO und vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - VersR 2008, 233, 234; BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - NJW 1992, 841; vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - aaO; vom 27. Februar 1997 - I ZB 50/96 - NJW 1997, 1708, 1709; vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - aaO). Dementsprechend muss sich der Rechtsanwalt, der die eigentliche Sachbearbeitung zurückstellen will, bei der Vorlage auf Vorfrist davon überzeugen, ob ihm am Tag des Fristablaufs noch Zeit für die Anfertigung der Rechtsmittelbegründung oder für einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist verbleibt (Senat, Beschlüsse vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - und vom 28. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO). Auch hat der Senat bereits früher ausgeführt, der Rechtsanwalt habe jedenfalls dann Anlass zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten sei, wenn ihm die Sache anlässlich des bevorstehenden Fristablaufs vorgelegt werde; dass diese Verpflichtung auch und gerade dann entstehe , wenn dem Rechtsanwalt die Akten auf Vorfrist zur Anfertigung der Rechtsmittelbegründung vorgelegt werden, sei im Hinblick auf die Warnfunktion der Vorfrist selbstverständlich und bedürfe deshalb keiner näheren Darlegungen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO).
8
Entscheidend ist, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers, nachdem ihm die Akte zur Vorfrist vorgelegt worden war, die Bearbeitung der Berufungsbegründung auf den letzten Tag der notierten Frist verschoben hat, ohne die notierte Frist auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

9
Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Detmold, Entscheidung vom 06.09.2007 - 12 O 39/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 17.12.2007 - 13 U 159/07 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 99/06
vom
6. Dezember 2006
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Dezember 2006 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. April 2006 aufgehoben. 2. Dem Antragsteller wird wegen der Versäumung der Berufungsfrist gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Detmold vom 21. September 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Beschwerdewert: 6.415 €.

Gründe:


I.

1
Der Antragsteller hat gegen das ihm am 26. September 2005 zugestellte Urteil des Amtsgerichts mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2005, eingegangen beim Berufungsgericht am (Donnerstag) 27. Oktober 2005, Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Am 7. März 2006 wies der Vorsitzende des Berufungssenats den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers telefonisch auf den verspäteten Eingang der Berufungsschrift hin. Daraufhin beantragte der Antragsteller mit am 20. März 2006 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.
2
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch sonst zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
4
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach ständiger Rechtsprechung außer in Fällen der Divergenz auch dann geboten, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren. Das ist vor allem dann anzunehmen, wenn das Beschwerdegericht Verfahrensgrundrechte, insbesondere die Grundrechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder auf ein objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip ) verletzt hat (BGHZ 151, 221, 226).
5
Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dient in besonderer Weise dazu, die Rechtsschutzgarantie und das rechtliche Gehör zu gewährleisten. Die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör gebieten es daher, den Zugang zu den Gerichten und den weiteren Instanzen nicht in unzumutbarer, sachlich nicht gerechtfertigter Weise zu erschweren. Deswegen dürfen gerade bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts nicht überspannt werden (Senatsbeschluss vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 m.w.N.). Das hat das Berufungsgericht hier verkannt.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, weil er diese Frist weder aus eigenem noch aus einem ihm zurechenbaren Verschulden seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) versäumt hat.
7
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich ein zurechenbares Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht schon daraus, dass dieser wegen fehlender Vorlage der Sache zur notierten Vorfrist am 19. Oktober 2005 an der Zuverlässigkeit seiner Büroangestellten hätte zweifeln müssen.
8
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Eintragung einer Vorfrist für die Berufungsfrist - im Gegensatz zur Berufungsbegründungsfrist (vgl. insoweit Senatsbeschlüsse vom 25. Juni 1997 - XII ZB 61/97 - NJW-RR 1997, 1289 und vom 20. April 1994 - XII ZB 47/94 - FamRZ 1994, 1519, 1520; BGH Urteil vom 19. November 1976 - IV ZR 36/76 - VersR 1977, 332; Beschlüsse vom 21. Februar 1974 - VII ZB 4/74 - VersR 1974, 756 und vom 30. November 1951 - I ZB 14/51 - NJW 1952, 183) - grundsätzlich nicht erforderlich (BGH Beschluss vom 24. Mai 1973 - III ZB 5/73 - VersR 1973, 840). Wenn der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers gleichwohl auch hinsichtlich der Berufungsfrist mit einer doppelten Fristenkontrolle eine über das gebotene Maß hinausgehende organisatorische Sicherung angeordnet hat, kann dies jedenfalls nicht zu einer Verschärfung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten führen (BGH Urteil vom 19. Dezember 1991 - VII ZR 155/91 - NJW 1992, 1047).
9
bb) Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Büroangestellten musste der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers aber auch deswegen nicht haben, weil sich - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - aus dem Sach- und Streitstand keineswegs ergibt, dass die Akten dem Prozessbevollmächtigten nicht zur Vorfrist am 19. Oktober 2005 vorgelegt wurden. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags hatte der Beklagte nämlich ausdrücklich vorgetragen , dass die Akte seinem Prozessbevollmächtigten zu den Fristterminen zur Bearbeitung vorgelegt worden sei. Diese Formulierung ist nur so zu verstehen, dass die Büroangestellte die Akten sowohl zur Vorfrist als auch zur Hauptfrist vorgelegt hatte.
10
Wenn dem Berufungsgericht - trotz dieses eindeutigen Wortlauts - gleichwohl Zweifel an der Zuverlässigkeit der Büroangestellten verblieben waren , hätte es den Antragsteller jedenfalls darauf hinweisen müssen. Denn ein Gericht, das ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör dieser Prozesspartei (BVerfG NJW 1994, 1274). Für die Versagung der Wiedereinsetzung ist diese Verletzung des rechtlichen Gehörs - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - auch erheblich geworden. Denn der Antragsteller hätte - was im Verfahren der Rechtsbeschwerde zu unterstellen ist - nach dem Inhalt seiner Rechtsbeschwerdebegründung ausdrück- lich vorgetragen, dass die Akte seinem Prozessbevollmächtigten auch zur Vorfrist vorgelegt worden war und er diese zur Hauptfrist zurückgegeben hatte. Für Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Büroangestellten bestand dann aber kein Anlass.
11
b) Soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung alternativ auf Zweifel an der Glaubhaftigkeit des dargestellten Geschehensablaufs stützt, beruht auch dies auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers (Art. 103 Abs. 1 GG).
12
aa) Der Antragsteller hat als Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist einen Fehler der Bürokraft seines Prozessbevollmächtigten angeführt. Zugleich hat er dargelegt und glaubhaft gemacht, dass aufgrund einer Organisationsanweisung in der Sozietät seines Prozessbevollmächtigten bei Eingang erstinstanzlicher Urteile der Tag des Ablaufs der Berufungsfrist auf dem Urteil selbst notiert wird. Weiter hat er dargelegt und glaubhaft gemacht, dass zusätzlich als Vorfrist der siebte Kalendertag vor Fristablauf auf dem Urteil vermerkt wird, und dass deswegen hier für den Ablauf der Berufungsfrist der 26. Oktober 2005 und als Vorfrist der 19. Oktober 2005 vermerkt worden sind. Nach der Organisationsanweisung in der Sozietät seines Prozessbevollmächtigten werden Fristsachen, die nicht unverzüglich per Büroboten bedient werden, ausnahmslos per Telefax übermittelt. Im EDV-System werden sie erst dann als erledigt markiert, wenn nach Abschluss des Übertragungsvorgangs anhand des Fax-Protokolls festgestellt wurde, dass die Übertragung erfolgreich, fehlerfrei und an die richtige Telefaxnummer durchgeführt worden ist. Diese Anweisung des Prozessbevollmächtigten wird zudem stichprobenartig kontrolliert.
13
Entsprechend hat die Kanzleiangestellte des Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass sie den von ihm unterzeichneten Berufungsschriftsatz auf das Telefaxgerät gelegt und die Nummer des Oberlandesgerichts angewählt hat. Die Berufungsschrift sei nur deswegen nicht rechtzeitig zugegangen, weil sie vergessen habe, die Starttaste des Telefax zu betätigen. Nach einer Unterbrechung des Arbeitsvorgangs sei sie irrtümlich davon ausgegangen, dass der von jemand anderem auf die Akte gelegte Schriftsatz versandt worden sei; nur deswegen habe sie die Berufungsfrist gestrichen.
14
bb) Zweifel an diesem an Eides statt versicherten Geschehensablauf hat das Berufungsgericht allein damit begründet, dass die Berufung nach dem Wortlaut der Berufungsschrift gegen das "am 30.09.2005 zugestellte Urteil des Amtsgerichts" eingelegt worden ist. Soweit das Berufungsgericht diesem unrichtigen Zustellungsdatum (30. September 2005 statt 26. September 2005) eine - für die Fristversäumung ursächliche - Fehlvorstellung des Prozessbevollmächtigten über den Ablauf der Berufungsfrist entnimmt, schöpft auch dies den sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstand nicht hinreichend aus:
15
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen (Senatsbeschluss vom 31. August 2005 - XII ZR 63/03 - NJW-RR 2005, 1603). So liegt der Fall hier.
16
Der Antragsteller hat die Diskrepanz zwischen dem zutreffenden Zustelldatum (26. September 2005) und dem im Berufungsschriftsatz angegebenen Datum (30. September 2005) plausibel dadurch erklärt, dass das Urteil zweimal , nämlich am 26. und am 30. September 2005, zugestellt worden war. Weiter hat er vorgetragen, dass die für das Berufungsverfahren zutreffenden Fris- ten nach der Zustellung am 26. September 2005 auf dem Urteil vermerkt und im Fristenkalender eingetragen worden sind; dies hat er durch Vorlage der Deckblätter der beiden zugestellten Urteile mit entsprechenden Eingangsstempeln und Fristnotierungen belegt. Auf diesen Vortrag ist das Berufungsgericht nicht eingegangen, obwohl er für die Begründung des angefochtenen Beschlusses von zentraler Bedeutung ist. Dass im Berufungsschriftsatz - fehlerhaft - von einem am 30. September 2005 zugestellten Urteil die Rede ist, lässt sich nämlich allein wegen des zeitlichen Ablaufs eher mit einem Versehen (erst) beim Diktat dieses Schriftsatzes, als mit einer Fehlvorstellung über den Lauf der Berufungsfrist schon bei der erstmaligen Zustellung am 26. September 2005 erklären. Dafür spricht auch, dass nach dem Vortrag des Antragstellers die Fristvorlagen im Büro seines Prozessbevollmächtigten taggenau erfolgen, was eine Vorlage am 26. Oktober 2005 nicht erklären könnte, wenn die Bürokraft von einem Fristablauf am 30. Oktober 2005 ausgegangen wäre.
17
Auch insoweit ist die fehlende Berücksichtigung des Sachvortrags, die hier zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs führt, entscheidungserheblich. Denn bei hinreichender Würdigung der vom Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorgetragenen Gründe hätten dem Prozessgericht Zweifel an der Glaubhaftigkeit des dargestellten Geschehensablaufs nicht verbleiben können.
18
3. Mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist entfällt zugleich die Verwerfung der Berufung des Antragstellers als unzulässig. Denn dieser Entscheidung ist mit der Wiedereinsetzung die Grundlage entzogen, ohne dass es insoweit eines ausdrücklichen Ausspruchs bedarf (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N.).
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose

Vorinstanzen:
AG Detmold, Entscheidung vom 21.09.2005 - 16 F 517/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 10.04.2006 - 6 UF 198/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 5/06
vom
23. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wird einem Rechtsanwalt der Entwurf der Berufungsbegründung vorgelegt, hat er
spätestens dann die Fristennotierung eigenständig zu prüfen.
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - OLG Hamm
LGBochum
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Januar 2006 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen. Gegenstandswert: 8.000 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin macht wegen eines Behandlungsfehlers Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
2
Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 14. September 2005, zugestellt am 29. September 2005, zur Zahlung von 6.000 € Schmerzensgeld verurteilt und dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom 31. Oktober 2005 (Montag) Berufung eingelegt. Da die Berufung zunächst nicht begründet worden ist, hat das Oberlandesgericht mit Verfügung vom 6. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass es beab- sichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Durch Schriftsatz vom 6. Dezember 2005 ist die Berufung begründet und Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt worden.
3
Die Beklagte hat hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags ausgeführt, das am 29. September 2005 zugestellte Urteil sei mit einem entsprechenden Eingangsstempel versehen worden. Die zuständige Angestellte - Frau W. - habe die Berufungsfrist mit einer Vorfrist zum 24. Oktober 2005 und einer Ablauffrist zum 31. Oktober 2005 sowie die Begründungsfrist mit Vorfrist zum 22. November 2005 und Ablauffrist zum 29. November 2005 im Fristenkalender notiert und die entsprechenden Fristen auf dem Urteil handschriftlich vermerkt. Sodann sei eine entsprechende Kontrolle durch Rechtsanwalt H. erfolgt und die Akte mit dem Urteil zur weiteren Bearbeitung der erstinstanzlich tätig gewesenen Rechtsanwältin Dr. J. vorgelegt worden. Diese habe ebenfalls festgestellt, dass die Fristen ordnungsgemäß notiert worden seien.
4
Nachdem am 31. Oktober 2005 die Haftpflichtversicherung der Beklagten die Weisung erteilt habe, gegen das Urteil Berufung einzulegen, habe Rechtsanwältin Dr. J. die Berufungsschrift veranlasst. Entsprechend einer internen Absprache habe sie sodann die Akte an ihren Kollegen Rechtsanwalt Dr. R. zur weiteren Bearbeitung im Rahmen des Berufungsverfahrens weitergeleitet. Dieser habe durch seine Sekretärin - Frau B. - eine Berufungsakte anlegen lassen, was diese am 7. November 2005 erledigt habe. Dabei habe sie das erstinstanzliche Urteil kopiert und in die zweitinstanzliche Handakte gelegt. Eine eigene Fristübertragung im Sekretariat des nunmehr tätigen Rechtsanwalts sei aber unterblieben. Dies sei Rechtsanwalt Dr. R. nicht aufgefallen, weil das Urteil bereits entsprechende handschriftliche Notizen aufgewiesen habe.
5
Rechtsanwalt R. habe einen Entwurf der Begründung gefertigt, der am 4. November 2005 geschrieben worden sei. Eine endgültige Überarbeitung habe erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollen, weil es andere dringlichere Mandate gegeben habe. Die Akte sei dann weder zur Vorfrist noch zum Fristablauf vorgelegt worden. Rechtsanwalt R. habe dies erst am 2. Dezember 2005 festgestellt, als er die Akte routinemäßig habe fertig stellen wollen.
6
Die Beklagte müsse sich die Fristversäumung nicht zurechnen lassen. Diese sei auf das Fehlverhalten zweier ausgebildeter und mehrjährig tätiger Rechtsanwaltsfachangestellten zurückzuführen. Es bestehe die generelle Anweisung , die Fristen im Kalender des erstinstanzlich tätig gewesenen Sachbearbeiters erst zu streichen, wenn durch eine Rückmeldung aus dem Sekretariat des zweitinstanzlich tätigen Anwaltes sicher sei, dass dort die Fristen notiert seien. Zu einer solchen Rückmeldung sei es nicht gekommen. Frau W. habe die bei ihr notierten Fristen übersehen und auch bei Fristablauf nicht im Sekretariat von Rechtsanwalt Dr. R. angerufen, um nachzufragen, ob die Fristen erledigt seien. Frau W. sei eine sehr qualifizierte Fachkraft, die schon seit längerer Zeit ein Vorzimmer leite und überaus ordentlich und korrekt arbeite.
7
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass im Büro der Prozessvertreter der Beklagten die Fristenkontrolle ordnungsgemäß gesichert oder organisiert sei. Es lägen nicht nur mehrere deutliche Fehler einer einzigen Angestellten vor, sondern beide Angestellte der eingeschalteten Rechtsanwälte hätten in nicht unerheblicher Weise fehlerhaft und entgegen den behaupteten hausinternen Anweisungen gehandelt. Dies lasse darauf schließen, dass die Organisation entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet sei oder nicht hinreichend überwacht werde.
8
Zudem habe der geschriebene Entwurf der Berufungsbegründung dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegen. Deshalb habe ihm die Fristensicherung wieder selbst oblegen, weil er die Sache im Zusammenhang mit der Frist bearbeitet habe.

II.

9
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
10
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht ein solches Verschulden angenommen hat, weil der die Berufungsbegründung bearbeitende Rechtsanwalt die Fristensicherung nicht selbst überprüft hat, obgleich ihm der Entwurf der Berufungsbegründung rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegt worden ist.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakten, aber dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Für die Berufungsbegründungsfrist ist ihm das seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes schon ab der Zustellung des Urteils möglich und zumutbar, weil der Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr vom Zeitpunkt der Berufungseinlegung abhängt, sondern nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Monate ab Zustellung des vollständig abgefassten Urteils beträgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437; vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - VersR 2002, 637; vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598, jeweils m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183; vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696). Diese Verpflichtung zu einer eigenständigen Prüfung besteht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte sogleich zur Bearbeitung der Sache entschließt oder - wie hier - die (weitere) Bearbeitung vorerst zurückstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - aaO; BGH, Beschluss vom 29. April 1998 - XII ZB 140/95 - NJW-RR 1998, 1526). Es ist auch nicht erforderlich, dass dem Anwalt zugleich die Akten vorgelegt werden. Soweit in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auf die Vorlage der Akten abgehoben wird, geschieht dies nicht, um zwischen den "Akten" und der "Sache" zu unterscheiden, sondern um sachgerecht dahin zu differenzieren, ob die Akten zur Vorlage der fristwahrenden Prozesshandlung oder aus sonstigen Gründen vorgelegt worden sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - aaO; vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - VersR 1995, 238). Zu der notwendigen Nachprüfung gehört auch die Kontrolle des Bürovermerks in den Handakten über die Eintragung der Frist im Fristenkalender (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB 16/87 - VersR 1988, 414).
12
b) Nach diesen Grundsätzen hätte der die Beklagte in der zweiten Instanz vertretende Prozessbevollmächtigte jedenfalls nach Wiedervorlage des von ihm diktierten und zwischenzeitlich geschriebenen Entwurfs der Berufungsbegründung anhand der Handakten überprüfen müssen, ob ein Erledigungsvermerk hinsichtlich der Fristeneintragung erfolgt ist. Hätte er dies getan, hätte ihm auffallen müssen, dass zwar eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils mit dem Erledigungsvermerk des erstinstanzlich tätigen Büros hinsichtlich der Fristennotierung vorlag, jedoch ein entsprechender Vermerk seines eigenen Büros nicht aus den Handakten ersichtlich war. Wäre er den sich daraus ergebenden Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist nachgegangen, hätte er das Fehlen der Eintragung im Fristenkalender entdeckt , so dass die Versäumung der Frist vermieden worden wäre. Da der zweitinstanzliche Rechtsanwalt der Beklagten eine solche Prüfung nicht vorgenommen , sondern den Entwurf der Berufungsbegründung nach Vorlage durch sein Büro wegen anderer vordringlicher Arbeiten zunächst nicht weiter bearbeitet hat, hat er mithin nicht alles ihm Zumutbare getan und veranlasst, damit die Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird. Daher hat das Oberlandesgericht zu Recht ein Verschulden angenommen.
13
2. Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob das Oberlandesgericht zu Recht aus einer Reihe von Fehlern mehrerer Mitarbeiter den Schluss gezogen hat, dass die Organisation im Anwaltsbüro entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet gewesen oder nicht hinreichend überwacht worden sei (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134; BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 1996 - XII ZR 279/95 - FamRZ 1996, 1469; vom 20. Dezember 1984 - III ZB 37/84 - VersR 1985, 270). Eine Rechtsfortbildung zu der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, wann eine auffällige Häufung von Mängeln bei der Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist anzunehmen ist, ist nicht geboten, weil der angefochtene Beschluss - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen einer Überprüfung stand hält.
14
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 14.09.2005 - 6 O 306/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 02.01.2006 - 26 U 156/05 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)