Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2019 - XII ZB 222/19

bei uns veröffentlicht am20.11.2019
vorgehend
Amtsgericht Chemnitz, 4 XVII 353/18, 03.04.2019
Landgericht Chemnitz, 3 T 187/19, 10.05.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 222/19
vom
20. November 2019
in der Unterbringungssache
ECLI:DE:BGH:2019:201119BXIIZB222.19.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 10. Mai 2019 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Gründe:

I.

1
Die Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung und gegen die Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme. Sie leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (paranoide Schizophrenie).
2
Das Amtsgericht hat die geschlossene Unterbringung der Betroffenen bis zum 14. Mai 2019 genehmigt. Ferner hat es die Einwilligung der Betreuerin in die Untersuchung und Heilbehandlung der Betroffenen ebenfalls bis zum 14. Mai 2019 genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerden des Verfahrenspflegers und der Betroffenen mit Beschluss vom 10. Mai 2019 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
4
1. Das nach der – in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren – Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG zulässigerweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlusses gerichtete Rechtsmittel (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 195/17 - FamRZ 2018, 121 Rn. 5 mwN) ist auch im Übrigen zulässig.
5
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält in der Sache aber rechtlicher Nachprüfung noch stand.
6
a) Das Landgericht, das wegen der weiteren Einzelheiten auch hinsichtlich der Genehmigung der Zwangsbehandlung auf den amtsgerichtlichen Beschluss Bezug genommen hat, hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Betroffene wende sich mit ihrer Beschwerde gegen die Genehmigung der Unterbringung. Sie könne in Folge ihrer Erkrankung in ihrem Zustand nicht selbstständig und eigenverantwortlich leben. Sie könne nicht zwischen Wahn und Wirklichkeit unterscheiden. Daraus resultierten Fehlhandlungen, die die Betroffene erheblich gefährden könnten. Insbesondere ihre Vorstellung, ohne Nahrung und Flüssigkeitszufuhr nur mit Licht und Sonne leben zu können, stelle für sie eine erhebliche und gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben dar. Diese Gefahr könne nicht durch andere Maßnahmen als die Unterbringung abgewendet werden. Im Falle einer sofortigen Entlassung sei mit einem lebensbedrohenden Zustand in kurzer Zeit zu rechnen. Seit rund sechs Wochen sei von den Klinikärzten und der Betreuerin erfolglos versucht worden, die Betroffene von der Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung zu überzeugen.
7
b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen waren die erteilten Genehmigungen rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
8
aa) Soweit es die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung anbelangt , hält der landgerichtliche Beschluss der rechtlichen Nachprüfung schon deshalb stand, weil nach den getroffenen Feststellungen jedenfalls die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gegeben sind, wonach aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr bestehen muss, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
9
bb) Ebenso hält die unter Bezugnahme auf den Beschluss des Amtsgerichts (vgl. insoweit BGH Beschluss vom 18. Oktober 2018 - V ZB 178/17 - juris Rn. 7 mwN; Senatsbeschluss vom 27. August 2014 - XII ZB 266/13 - NJW-RR 2014, 1531 Rn. 10) erfolgte Zurückweisung der Beschwerde gegen die Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme einer rechtlichen Prüfung gerade noch stand.
10
Die Rechtsbeschwerde rügt hinsichtlich der Genehmigung der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme allein das Fehlen eines hinreichenden Überzeugungsversuchs. Die hierzu vom Landgericht in Bezug genommene Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses genügt indes den Anforderungen des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB.
11
(1) Eine Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB zulässig, wenn zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht worden ist, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Das Vorliegen dieser Voraussetzung hat das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen (Senatsbeschluss vom 13. September 2017 - XII ZB 185/17 - FamRZ 2017, 2056 Rn. 6 mwN).
12
(2) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Nach den in Bezug genommenen Ausführungen des Amtsgerichts wurde über Wochen erfolglos versucht, die Betroffene von Sinn und Zweck der Heilbehandlung zu überzeugen. Dies sei nicht gelungen. Die Betroffene habe sich bereits rund sechs Wochen in der Klinik aufgehalten. Seither sei von den Klinikärzten und der Betreuerin häufig versucht worden, die Betroffene von einer Behandlung zu überzeugen. Das sei bis zur Anhörung am 3. April 2019 nicht erfolgreich gewesen.
13
cc) Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen, § 74 Abs. 7 FamFG.
Dose Schilling Nedden-Boeger Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Chemnitz, Entscheidung vom 03.04.2019 - 4 XVII 353/18 -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 10.05.2019 - 3 T 187/19 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2019 - XII ZB 222/19

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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 62 Statthaftigkeit der Beschwerde nach Erledigung der Hauptsache


(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführ
Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2019 - XII ZB 222/19 zitiert 3 §§.

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(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

5
1. Das nach der - in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren - Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG zulässigerweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtete Rechtsmittel (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 226/15 - FamRZ 2015, 2050 Rn. 6 mwN) ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Verfahrenspfleger nach dem inzwischen geltenden und im vorliegenden Verfahren anwendbaren Recht gemäß § 62 FamFG antragsbefugt.
7
b) So liegt es hier. Der Beschluss des Beschwerdegerichts enthält keine Sachdarstellung, sondern lediglich eine Wiedergabe gerichtlicher Verfügungen und Stellungnahmen der Beteiligten, die eine solche Darstellung nicht ersetzen kann und vorliegend auch in der Sache nicht ausreicht. Aus den wiedergegebenen Verfügungen geht weder hervor, welchen Haftgrund das Beschwerdegericht für gegeben erachtet, noch welche Tatsachen dieser Annahme zu Grunde liegen. Eine Bezugnahme auf den angefochtenen Beschluss oder andere Aktenbestandteile , aus denen sich erschließen könnte, welchen Sachverhalt das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, enthält diese nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2012 - V ZB 3/12, juris Rn. 4).
10
b) So liegt es hier. In dem angefochtenen Beschluss fehlt eine Sachdarstellung. Auf das Urteil der ersten Instanz wird nicht Bezug genommen. Ausreichende tatsächliche Angaben lassen sich dem Beschluss auch nicht im Übrigen entnehmen. Durch die Bezugnahme auf den Hinweisbeschluss vom 20. März 2013 genügt die angegriffene Entscheidung ebenfalls nicht den Anforderungen an eine ausreichende Begründung. Denn auch der Hinweisbeschluss enthält weder eine Sachdarstellung noch eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung. Zwar erwähnt er den Berufungsantrag der Klägerin, nicht aber die erstinstanzlichen Anträge der Parteien. Aus den weiteren Ausführungen ist lediglich erkennbar, dass die Klägerin die Beklagten zu 1 und 2 auf Zahlung einer Hauptforderung in Anspruch genommen und "hilfsweise" beantragt hat, die Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von den Prozesskosten freizustellen. Diese Angaben genügen auch unter Berücksichtigung der in dem Hinweisbeschluss enthaltenen rechtlichen Ausführungen nicht, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung der Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 ZPO zu ermöglichen.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.