Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2011 - 1 StR 194/11

bei uns veröffentlicht am09.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 194/11
vom
9. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die von dem Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Spätestens im Februar bzw. März 2010 gelangte die Angeklagte zu der Überzeugung, ihre ehemalige Freundin und Arbeitskollegin R. versuche durch "legale Machenschaften" ihr Leben zu zerstören. Sie trug sich deshalb mit dem Gedanken, sich an R. zu rächen und sie "ggf." zu töten. Am 15. März 2010 rief sie, ohne ihren Namen zu nennen, bei R. an und teilte ihr mit: "Du bist tot." Im Anschluss daran bemühte sie sich darum, eine Schusswaffe zu erwerben, mit der sie R. erschießen wollte. Ihre Bemühungen scheiterten aber. Schließlich packte sie am 13. Mai 2010 (Christi Himmelfahrt) mehrere Messer und einen Teleskopschlagstock in ihre Tasche und fuhr zu R. , um gegen diese "eine erhebliche Gewalttat" zu verüben (UA S. 12) bzw. diese mit einem Messer anzugreifen und "unter Umständen lebensgefährlich" zu verletzen (UA S. 38).
4
Bewaffnet mit einem Brotmesser mit einer Klingenlänge von etwa 13 cm gelangte die Angeklagte unbemerkt in das Wohnhaus, in dem sich die Wohnung ihrer ehemaligen Freundin befand. Sie klingelte an der Wohnungstür. Nach ihrem Tatplan wollte sie das Überraschungsmoment ausnutzen und R. unmittelbar nach dem Öffnen der Tür angreifen (UA S. 34). Entgegen ihrer Erwartung wurde die Wohnungstür aber nicht von ihrer ehemaligen Freundin geöffnet, sondern von deren Lebensgefährten, dem Geschädigten H. . Die Angeklagte richtete ihr Messer gegen seinen Oberkörper, machte eine Stichbewegung und versuchte, sich an ihm vorbei in die Wohnung zu drängen. H. gelang es jedoch, die Angeklagte zu umklammern und festzuhalten. Um sich zu befreien, schnitt die Angeklagte ihm mit dem Messer in den linken Unterarm. Als er sie dennoch nicht losließ, biss sie ihm in den Arm. Daraufhin gelang es H. , die Angeklagte in das Treppenhaus zu schieben und die Tür hinter ihr zu verschließen.
5
b) Das Landgericht hat einen Tötungsvorsatz hinsichtlich des Geschädigten H. im Wesentlichen mit der Erwägung verneint, dass das eigentliche Angriffsziel der Angeklagten nicht der Geschädigte, sondern dessen Lebensgefährtin R. gewesen sei. Gegen diese habe sich die ganze Wut der Angeklagten ausschließlich gerichtet. An dem Geschädigten habe sich die Angeklagte zunächst nur vorbeidrängen wollen. Aus der Schnittverletzung lasse sich ebenfalls kein Rückschluss auf einen Tötungsvorsatz ziehen, da die Angeklagte sich habe befreien wollen und den Schnitt nur mit geringer Kraft ausgeführt habe. Das Landgericht hat das Tatgeschehen zum Nachteil des Geschädigten H. als gefährliche Körperverletzung gewertet. An einer Verurteilung der Angeklagten wegen des gegen die Zeugin R. gerichteten Tatgeschehens hat sich das Landgericht gehindert gesehen, weil dieses nach seiner Auffassung nicht angeklagt gewesen sei.
6
2. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, dass das Landgericht das festgestellte Tatgeschehen nicht erschöpfend gewürdigt habe. Insbesondere sei rechtsfehlerhaft nicht geprüft worden, ob sich die Angeklagte - neben der Tat zum Nachteil des Geschädigten H. - auch wegen versuchten Mordes betreffend R. strafbar gemacht habe.

II.

7
Die Revision ist begründet. Die Staatsanwaltschaft rügt zu Recht, dass das Landgericht das von ihm festgestellte Tatgeschehen in Bezug auf R. nicht in seine Urteilsfindung mit einbezogen, sondern isoliert nur unter dem Gesichtspunkt einer Tat zum Nachteil des Geschädigten H. gewürdigt hat.
8
1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt in Bezug auf das Tatgeschehen betreffend R. eine wirksame Anklage vor. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.
9
a) Die Anklageschrift hat gemäß § 200 Abs. 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen , dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Die begangene konkrete Tat muss vielmehr durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Erfüllt die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion nicht, so ist sie unwirksam (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 28. April 2006 - 2 StR 174/05 und vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 mwN). Bei der Überprüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung herangezogen werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 StR 596/07 und KK-Schneider, 6. Aufl., § 200 Rn. 30 jew. mwN).
10
b) An diesen Maßstäben gemessen wird die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 11. August 2010 ihrer Umgrenzungsfunktion auch in Bezug auf das Tatgeschehen betreffend R. hinreichend gerecht.
11
Zwar wird der Angeklagten im abstrakten Anklagesatz lediglich ein Fall des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (zum Nachteil des H. ) zur Last gelegt. Im konkreten Anklagesatz teilt die Staatsanwaltschaft jedoch nicht nur den Angriff auf den Geschädigten mit, sondern auch, dass die mit dem Messer bewaffnete Angeklagte am Tattag auf dem Weg zu dessen Lebensgefährtin gewesen sei. Dies wird im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen weiter dahingehend konkretisiert, dass die Angeklagte im Ermittlungsverfahren zugegeben habe, dass sie nicht auf H. , sondern auf R. habe "losgehen wollen". Die Staatsanwaltschaft geht im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zudem davon aus, dass die Angeklagte die Absicht gehabt habe, ihre ehemalige Freundin aus Hass zu töten. Gestützt wird diese Annahme auf eine umfassende Beweiswürdigung zur Tatvorgeschichte, insbesondere auf die Bemühungen der Angeklagten, sich eine Schusswaffe zu besorgen, um "die (gemeint ist R. ) abzuknallen", sowie auf den Telefonanruf der Angeklagten bei ihrer ehemaligen Freundin mit den Worten "Du bist tot".
12
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist damit in der Anklage nicht nur die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt, sondern auch erkennbar , welche Tat gemeint ist und über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Aus den Schilderungen zur Motivation der Angeklagten wird deutlich, dass zu dem von der Anklage umrissenen Tatgeschehen nicht nur der Angriff der Angeklagten auf den Geschädigten gehört, sondern auch das Fehlverhalten der Angeklagten in Bezug auf R. , da diese am Tattag das eigentliche Ziel der Angeklagten gewe- sen ist und es letztlich nur deshalb nicht zu einem gegen diese gerichteten Angriff gekommen ist, weil zufällig der Geschädigte der Angeklagten die Tür geöffnet und sich ihr anschließend in den Weg gestellt hat. Die einzelnen Handlungen gehen hier nicht nur äußerlich ineinander über, sondern sind auch innerlich unmittelbar miteinander verknüpft. Der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung kann nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden. Ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren würde - worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist - einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 700/98, BGHSt 45, 211 mwN).
13
2. Das Landgericht hat die angeklagte Tat, so wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt (§ 264 Abs. 1 StPO), nicht erschöpfend abgeurteilt.
14
a) Die Feststellungen des Landgerichts legen es nahe, dass sich die Angeklagte nicht nur wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten H. , sondern auch wegen eines versuchten Mordes in Bezug auf R. strafbar gemacht hat. Die Tatvorgeschichte und die Motivation der Angeklagten deuten auf das Vorliegen eines entsprechenden Tatentschlusses hin. Die Angeklagte dürfte zudem unmittelbar zur Tat angesetzt haben, als sie an der Wohnungstür geklingelt hat. Nach dem vom Landgericht festgestellten Tatplan wollte die Angeklagte "für den geplanten Messereinsatz das Überraschungsmoment ausnutzen", da sie davon ausging, dass ihr R. und nicht deren Lebensgefährte nach dem Klingeln die Tür öffnen werde.
15
b) An der Aburteilung dieses Verhaltens war das Landgericht nicht dadurch gehindert, dass die im Eröffnungsbeschluss zugelassene Anklage nur http://www.juris.de/jportal/portal/t/1rag/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE038001309&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 9 - den Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten H. erhob.
16
Nach § 264 StPO muss das Gericht die in der Anklage bezeichnete Tat so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt, unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aburteilen. Es ist verpflichtet, den Unrechtsgehalt der "Tat" voll auszuschöpfen, sofern - wie hier - keine rechtlichen Hindernisse im Wege stehen (BGH, Beschluss vom 9. November 1972 - 4 StR 457/71, BGHSt 25, 72). Der Tatbegriff des § 264 Abs. 1 StPO entspricht dabei demjenigen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO (BGH, Beschluss vom 30. März 2011 - 4 StR 42/11).
17
Danach gehörte hier zur Tat nicht nur der Angriff auf den Geschädigten H. , in dessen Verlauf es zu dem Messerschnitt in den Unterarm kam, sondern das gesamte strafrechtlich relevante Verhalten der Angeklagten am Tattag , das auch die geplante Tötung von R. mit umfasste, zu der sie mit dem Klingeln an der Wohnungstür bereits unmittelbar angesetzt haben dürfte. Diese Tathandlungen - sowohl H. als auch R. betreffend - stellen aufgrund ihres engen zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhanges einen einheitlichen Vorgang dar, unabhängig davon, ob sie sachlichrechtlich als eine Tat oder mehrere Taten angesehen werden (KK-Engelhardt, 6. Aufl., § 264 Rn. 3 mwN). Diesen Vorgang hatte das Landgericht - ggf. unter Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - 3 StR 222/02, BGHSt 48, 221, 223) - bei seiner Urteilsfindung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Dieser Pflicht ist das Landgericht vorliegend jedoch rechtsfehlerhaft nicht nachgekommen. Dies stellt nicht nur eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 264 StPO dar, sondern auch einen sachlich-rechtlichen Mangel, auf dem das Urteil beruht (vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 1974 - 5 StR 578/74 und vom 16. Dezember 1982 - 4 StR 644/82, NStZ 1983, 174 mwN).
18
3. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils in vollem Umfang, da sich die - an sich rechtsfehlerfreien - Feststellungen hinsichtlich der Tathandlung zum Nachteil des Geschädigten H. nicht von den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen trennen lassen. Der neue Tatrichter wird unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - 3 StR 105/10 mwN) nähere Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten zu treffen haben, um danach die Frage beurteilen zu können, ob die Angeklagte zur Tötung von R. unmittelbar angesetzt hat.

Nack Elf Graf Jäger Sander

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Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2011 - 1 StR 194/11

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Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafprozeßordnung - StPO | § 200 Inhalt der Anklageschrift


(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Bew
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2011 - 1 StR 194/11 zitiert 4 §§.

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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

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(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 205/09
vom
28. Oktober 2009
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________
Zur Frage, inwieweit zur Beurteilung der Umgrenzungsfunktion
der Anklage auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen
zur Prüfung der Frage zurückgegriffen werden kann, gegen
welchen von mehreren Angeklagten sich ein bestimmter
Vorwurf richtet.
BGH, Urt. vom 28. Oktober 2009 - 1 StR 205/09 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
28. Oktober 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt
und Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten J. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. März 2008 wird
a) das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten J. betrifft, im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren insofern eingestellt; im Umfang der Einstellung hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten J. zu tragen ,
b) das genannte Urteil im Übrigen, soweit die Angeklagten S. , K. und J. freigesprochen wurden, mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die verbleibenden Kosten dieser Rechtsmittel - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die den Angeklagten J. betreffende weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten (betreffend den Angeklagten S. in den Fällen B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe, bei dem Angeklagten K. in den Fällen B.II.1 bis 3 der Urteilsgründe und bezüglich des Angeklagten J. in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe) von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung freigesprochen. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügt und die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, führen betreffend den Angeklagten J. zur Einstellung des Verfahrens im Fall B.II.3 der Urteilsgründe, weil es insofern an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und damit auch an der ordnungsgemäßen Zulassung der Anklage fehlt. Im Übrigen war das Urteil in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Soweit die Beschwerdeführerin betreffend den Angeklagten J. zudem im Fall B.II.2 der Urteilsgründe einen Verstoß gegen die gerichtliche Kognitionspflicht beanstandet, bleibt das Rechtsmittel hingegen ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1. Die Angeklagten - bis auf den Mitangeklagten Sc. allesamt Unteroffiziere verschiedenen Ranges - waren im Jahr 2004 in Coesfeld in der 7. Kompanie des 7. Instandsetzungsbataillons der Bundeswehr tätig und bildeten dort Rekruten in der Grundausbildung aus. Bei dieser Kompanie, die in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne stationiert war und die vom Mitangeklagten Haupt- mann Sc. geführt wurde, handelt es sich um eine reine Ausbildungskompanie , der jeweils zu Quartalsbeginn neue Rekruten zur dreimonatigen Allgemeinen Grundausbildung zugewiesen wurden.
4
Zur Tatzeit - im zweiten und dritten Quartal 2004 - war der Angeklagte S. im Rang eines Oberfeldwebels als Gruppenführer eingesetzt. Der Angeklagte K. war im zweiten Quartal 2004 zum Hauptfeldwebel befördert und als Gruppenführer im zweiten Zug sowie im dritten Quartal 2004 als stellvertretender Zugführer im ersten Zug eingesetzt worden. Der Angeklagte J. war im Juni/Juli 2004 zur 7. Kompanie nach Coesfeld versetzt worden und seitdem im Rang eines Stabsunteroffiziers als Gruppenführer tätig.
5
2. Im zweiten und dritten Quartal 2004 galt für die Ausbildung der Rekruten die „Anweisung für die Truppenausbildung Nummer 1“ (AnTrA1), Stand Juni 2001. Sie regelte Ziele und Inhalte der Allgemeinen Grundausbildung und sah für die dreimonatige Allgemeine Grundausbildung der Rekruten eine Ausbildung „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ nicht vor. Am 8. Juli 2004 wurde nach längeren Überlegungen im Bundesministerium der Verteidigung eine geänderte AnTrA1 herausgegeben, die zum 1. Oktober 2004 in Kraft trat. Diese enthielt einen neuen Teil „Basisausbildung EAKK“ (Einsatzvorbereitende Ausbildung für Krisenbewältigung und Konfliktverhütung) mit dem Ziel, bereits in der Grundausbildung die für einen Auslandseinsatz im Rahmen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung erforderlichen Grundkenntnisse und Grundfertigkeiten zu erlernen. Dieser neue Ausbildungsteil sah eine zweistündige, vom Kompaniechef selbst durchzuführende, ausschließlich theoretische Unterrichtseinheit über Geiselhaft, Entführung und Gefangenschaft bei Einsätzen sowie über die Konfrontation mit Verwundung und Tod und deren Bewältigung vor. Eine praktische Übung in einem solchen Zusammenhang und zu diesem Thema ist nicht vorge- sehen. Diese geänderte AnTrA1 war bereits seit dem 19. Juli 2004 im Intranet der Bundeswehr abrufbar.
6
Schon zuvor fanden im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum in Hammelburg Lehrgänge statt, in denen Zugführer von Ausbildungskompanien für die Ausbildung nach der neuen AnTrA1 geschult wurden, um als Multiplikatoren für die übrigen Ausbilder zu fungieren. Den Ausbildern wurden hier die neuen Inhalte der geänderten AnTrA1 auszugsweise vermittelt. Es wurde ihnen aufgezeigt , wie die neuen Ausbildungsinhalte in den Einheiten praktisch umgesetzt werden konnten. Eine Ausbildung zum Thema „Geiselnahme/Verhalten in Geiselhaft“ erfolgte nicht. Die Mitangeklagten D. und H. hatten an einem solchen Lehrgang bereits teilgenommen.
7
Die Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ ist ein Abschnitt der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“, die von der Bundeswehr nur für diejenigen Soldaten auf Zeit, freiwillig länger Dienende oder Berufssoldaten vorgesehen ist, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen und den Befehl bekommen haben, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Diese Übung wurde von der Bundeswehr nur an drei Standorten im Bundesgebiet durchgeführt, wozu die Freiherr-vom-Stein-Kaserne aber nicht gehörte. Sie wurde zudem zuvor im Unterricht mit allen Teilnehmern besprochen und von Psychologen begleitet. Die Übung selbst lief dergestalt ab, dass die auszubildenden Soldaten eine Busfahrt unternahmen, während derer sie überfallen wurden. Ihnen wurden die Augen verbunden und sie wurden aufgefordert, ihre Hände in den Nacken, auf die Knie oder die Sitzbank vor ihnen zu legen. Anschließend wurden sie an einen Ort verbracht, an dem eine „Befragung“ stattfand. Hierbei wurden die Soldaten , deren Augen nach wie vor verbunden waren, physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, um bei ihnen Stress zu erzeugen. Sie wurden lautstark befragt und mussten körperliche Übungen wie Liegestütze oder Kniebeugen machen. Zudem wurde ihnen gedroht, Kameraden zu schlagen oder zu erschießen, wenn sie nicht die gewünschten Antworten gaben. Zur möglichst realistischen Untermalung wurden die entsprechenden Geräusche (Schläge und Schüsse) simuliert. Während der Übung hatten die Soldaten - wie ihnen beim vorhergehenden Unterricht gesagt worden war - jederzeit die Möglichkeit, durch ein Handzeichen aus der Übung auszusteigen. Die Mitangeklagten D. und H. hatten eine solche „Einsatzbezogene Zusatzausbildung“ bereits absolviert.
8
3. Nachdem in der Vergangenheit auch außerhalb der drei festgelegten Standorte eine Ausbildung „Geiselnahme/Geiselhaft“ durchgeführt worden war, die nicht derjenigen in den drei Ausbildungszentren entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte, wies das Heeresführerkommando der Bundeswehr in einem als „VS - nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichneten Schreiben vom 26. Februar 2004 darauf hin, dass diese Ausbildung ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ in den drei Ausbildungs- beziehungsweise Gefechtsübungszentren durchgeführt werden dürfe, da sie dort unter Anleitung des dafür speziell geschulten Personals erfolgen könne. Empfänger dieses Schreibens war auch die 7. Ausbildungskompanie in Coesfeld. Außerdem war in dem „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 die Ausbildung über das Thema „Verhalten in Geiselhaft“ ausschließlich dem Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum zugewiesen worden. Dass die Angeklagten dieses Schreiben oder den Befehl kannten, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
9
4. Anfang April 2004 (Fall B.I. der Urteilsgründe) begannen in der Freiherr -vom-Stein-Kaserne etwa 80 Rekruten, von denen zirka die Hälfte Wehr- dienstleistende waren, ihre dreimonatige Grundausbildung. Es wurden zwei Ausbildungszüge gebildet, deren Zugführer die Mitangeklagten Hauptfeldwebel D. und H. waren.
10
a) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Verlauf des zweiten Quartals 2004 kamen die beiden Zugführer auf die Idee, in der Allgemeinen Grundausbildung in Coesfeld eine Geiselnahmeübung durchzuführen. Ihnen war - ebenso wie dem Mitangeklagten Hauptmann Sc. - bekannt, dass eine Änderung der AnTrA1 bevorstand und auch eine Übung „Geiselhaft“ in die Allgemeine Grundausbildung eingeführt werden sollte. Nach Ansicht der Kammer ließ sich jedoch nicht feststellen, ob sie auch wussten, dass diese Übung lediglich theoretisch und nur durch den Kompaniechef ausgebildet werden sollte.
11
Vor dem 8. Juni 2004 fand auf Anordnung der beiden Zugführer eine Ausbilderbesprechung statt, an der auch der Angeklagte S. teilnahm. Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung erörtert. Die beiden Zugführer D. und H. beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Nachtschießübung am 8. Juni 2004 gruppenweise auf einen nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken, bei dem zum Schluss die „Geiselnahme“ mit anschließendem „Verhör“ erfolgen sollte. Weder der Orientierungsmarsch noch die Geiselnahmeübung standen auf dem für die Rekruten einsehbaren Dienstplan und waren diesen somit nicht bekannt. Auch auf den Dienstplänen, die von den Zugführern erstellt und dem Mitangeklagten Sc. zur Unterzeichnung und anschließenden Weiterleitung an das Bataillon vorgelegt worden waren, war eine Geiselnahme nicht erwähnt.
12
Die beiden Zugführer D. und H. teilten neben fünf weiteren Ausbildern den Angeklagten S. für das „Überfallkommando“ ein. Dieses sollte die Rekruten nach Bewältigung des Nachtmarsches in den frühen Morgenstunden des 9. Juni 2004 überfallen, entwaffnen, fesseln und ihnen die Augen verbinden. Für die Fesselung waren dabei Kabelbinder vorgesehen, weil den bei der Besprechung Anwesenden bei dem Gebrauch von „Panzerklebeband“ die Verletzungsgefahr zu hoch erschien. Anschließend sollten die Rekruten mit einem Pritschenwagen zum Standortübungsplatz gefahren werden, um in einer dortigen Sandgrube „verhört“ zu werden. Für dieses „Verhör“ teilten die beiden Zugführer den früheren Mitangeklagten He. ein. Diesem sagte der Mitangeklagte D. , das „Verhör“ solle „etwa so wie in Hammelburg“, im Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum, ablaufen, wo der frühere Mitangeklagte He. eine Geiselnahmeübung absolviert hatte. Außerdem wurde vereinbart, den Rekruten vor dem Überfall das Codewort „Tiffy“ mitzuteilen, mit dem die Rekruten jederzeit aus der Übung aussteigen könnten. Dieser Begriff wurde in der Grundausbildung als Synonym für „Schwächling“ oder „Weichei“ verwendet, um Kameraden zu verhöhnen.
13
Das Landgericht sah sich nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Die beiden Mitangeklagten D. und H. teilten den Anwesenden mit, die geplante Geiselnahmeübung sei vom Kompaniechef „abgesegnet worden“. Tatsächlich hatte der Mitangeklagte Hauptmann Sc. eine solche Übung auch genehmigt, obwohl er Bedenken hatte, weil er wusste, dass diese in der geltenden AnTrA1 nicht vorgesehen war.
14
b) Gegen Ende der Nachtschießübung am 8. Juni 2004 erklärten die beiden Zugführer D. und H. den angetretenen Rekruten, im Raum Coesfeld seien Terroristen gesichtet worden, das Gebiet müsse bestreift und sämtliche Auffälligkeiten müssten dokumentiert werden. Die Rekruten, die ihr gesamtes Marschgepäck und ihr Gewehr bei sich hatten, machten sich gruppenweise auf den Weg. Dabei marschierten die einzelnen Gruppen zeitlich versetzt ohne ihren planmäßigen Gruppenführer los. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen. Es gab keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass etwas Besonderes passieren könnte. Entgegen der ursprünglichen Planung in der Ausbilderbesprechung wurde den Rekruten ein Kennwort, mit dem die Übung hätte beendet werden können, nicht mitgeteilt. Lediglich manchen Rekruten war während ihres späteren „Verhörs“ gesagt worden, sie müssten nur das Wort „Tiffy“ sagen, um aus der Übung auszusteigen.
15
c) Die sechs Beteiligten des „Überfallkommandos“ hatten einen Hinterhalt im Gelände eingerichtet. Sie trugen Bundeswehrkleidung, hatten aber teilweise ihre Dienstgradabzeichen und Namensschilder entfernt. Ihre Gesichter waren vermummt, um nicht auf den ersten Blick erkannt zu werden. Sie hatten Gewehre mit geladenen Manöverpatronengeräten dabei, teilweise auch ungeladene Pistolen und mehrere Übungsgranaten. Es waren auch Kabelbinder zum vorgesehenen Überfallort gebracht worden. Diese sollten laut Anweisung der Zugführer D. und H. den Rekruten möglichst über der Kleidung angelegt und nicht ganz eng zugezogen werden, damit sie nicht in die Haut schnitten.
16
Die erste Gruppe traf verspätet erst in den Morgenstunden des 9. Juni 2004 ein. Das „Überfallkommando“, das zeitweise von den Mitangeklagten D. und H. verstärkt wurde, die dann zum Teil beim Überfallen und Überwältigen der Rekruten mithalfen, lenkte die Rekruten zuerst ab und griff sie dann schreiend und schießend an. Die Rekruten waren im Allgemeinen zu überrascht und - nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch - zumeist auch zu erschöpft, um noch größere Gegenwehr zu leisten. Sie gingen durchweg davon aus, dass es sich bei den maskierten Angreifern um Bundeswehrangehörige handelte. In aller Regel kamen die Rekruten der Aufforderung, sich zu ergeben und sich auf den Boden zu legen, letztlich freiwillig nach. Bei manchen Rekruten halfen die Angreifer mit körperlichem Druck nach. Allerdings leisteten andere Rekruten auch Widerstand. So wurde der Zeuge L. von einem der Angreifer zu Boden gerissen, wo er auf dem Bauch zum Liegen kam. Damit er nicht wieder aufstehen konnte, drückte einer der Ausbilder ein Knie auf seinen Hals. Anschließend wurden L. s Hände mit den Kabelbindern auf den Rücken gefesselt und zusätzlich mit der Splitterschutzweste oder dem Koppeltragegestell verbunden, wodurch seine Arme nach oben gezogen wurden und er schmerzhaften Druck auf seinen Schultern verspürte. Als er sich gegen die Fesselung wehrte, nahm einer der Angreifer das Knie des Zeugen L. in einen Haltegriff, so dass dessen Bein verdreht wurde und er Schmerzen erlitt. Auch mit dem Zeugen R. gab es bei der Entwaffnung eine „kleine Rangelei“, bei der er aber nicht verletzt wurde. Der Zeuge Kl. wurde bei dem Überfall von hinten in einen Würgegriff genommen und zu Boden gebracht.
17
Alle Rekruten mussten sich nach ihrer Entwaffnung hinknien oder auf den Bauch legen. Ihnen wurden die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt, wobei größtenteils darauf geachtet wurde, dass sie nicht zu stramm anlagen. Bei den meisten Soldaten hinterließen die Kabelbinder keine Spuren. Sechs Rekruten trugen jedoch Druckstellen an den Handgelenken davon; zwei - darunter der Zeuge F. , der vom Angeklagten S. gefesselt worden war - erlitten Kratzer beziehungsweise kleine Schnittwunden an den Armen. Bei einem Rekruten saßen die Kabelbinder so stramm, dass sie Schmerzen verur- sachten und es später Schwierigkeiten bereitete, ihn davon zu befreien. Bei dem Versuch eines Ausbilders, sie mit einem Taschenmesser zu durchtrennen, trug der Rekrut eine leichte Schnittverletzung davon.
18
Die Augen der Rekruten wurden mit einem Dreiecktuch verbunden; möglicherweise wurde einzelnen auch ein Wäschesack über den Kopf gezogen. Teilweise wurden sie bereits jetzt befragt. Als der Zeuge B. , der mit gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden lag, hierbei „patzige“ Antworten gab, stellte einer der Ausbilder seinen Stiefel unter dessen Hoden und hob den Stiefel etwa zwei Sekunden an. Dies war für den Zeugen B. schmerzhaft.
19
d) Nachdem sämtliche Rekruten einer Gruppe wie geschildert außer Gefecht gesetzt worden waren, was zwischen fünf und zehn Minuten dauerte, wurden sie von den Ausbildern auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“. Dabei wurde ein Rekrut „in den Lkw hineingezogen oder unsanft hineingeschoben“. Ein anderer kam nach dem Einladen auf einem Kameraden zu liegen und wieder ein anderer wurde auf den Lkw geschubst, wobei er sich das Knie schmerzhaft anstieß. Während der langsamen Fahrt zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandgrube war einer der Angreifer - bei einer Fahrt auch der Angeklagte S. - auf dem Lkw dabei, um für Ruhe zu sorgen und zu verhindern , dass die Rekruten miteinander redeten. Kam ein Rekrut einer Anweisung nicht nach, so erhielt er einen leichten Schlag - zumeist auf den Helm. Dies war - mit Ausnahme der Schläge, die der Zeuge L. bezog - nicht schmerzhaft. Jedoch bekam ein Rekrut während der Fahrt aufgrund der beengten Platzverhältnisse einen schmerzhaften Krampf in den Beinen.
20
e) Nach etwa fünf bis zehn Minuten Fahrt an der Sandgrube angekommen , wurden die Rekruten einzeln von der Ladefläche geholt, wobei darauf geachtet wurde, dass sie sich nicht verletzten. Fünf Rekruten fielen beim „Abladen“ allerdings auf den Sandboden. Der Ausbilder fuhr mit dem Pritschenwagen zurück zum Überfallort, um auf die nächste Gruppe zu warten.
21
Die Rekruten mussten sich in einem von dem früheren Mitangeklagten He. und den ihm zur Unterstützung zugeteilten drei Hilfsausbildern mit Stacheldraht abgetrennten Bereich zunächst hinknien. Einige wurden angewiesen, sich mit ihrem Kopf an eine steile Sandwand anzulehnen. Es begann dann das vom früheren Mitangeklagten He. geleitete „Verhör“. Dabei befragte er die Rekruten zuerst ganz allgemein in gebrochenem Englisch. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Die Rekruten waren auf eine solche Übung nicht vorbereitet worden, so dass sie nicht wussten, wie sie sich richtig zu verhalten hatten. Die schweigenden Rekruten und diejenigen, die unpassende Antworten gaben, unterzog der frühere Mitangeklagte He. unterschiedlichen „Behandlungen“, die er sich ausgedacht hatte.
22
So mussten sich einige Rekruten - mit nach wie vor auf dem Rücken gefesselten Händen - in einer Entfernung von etwa einem Meter einem Kameraden gegenüber hinknien. Beiden wurde dann der Oberkörper so weit nach vorne gezogen, bis sie sich mit ihren Helmen gegenseitig stützten. Dies führte dazu , dass beide in den Sand fielen, sobald einer von ihnen die Position nicht mehr halten konnte. Teilweise mussten sich die gefesselten Rekruten an einen Baum stellen und sich mit dem behelmten Kopf daran anlehnen. Ihnen wurden die Füße ebenfalls so weit zurückgezogen, bis sie ihre Stellung nur mit Mühe halten konnten. Wäre ein Rekrut abgerutscht, wäre er ohne die Möglichkeit des Abfangens umgefallen. Andere Rekruten wurden von den Kabelbindern befreit und mussten mit verbundenen Augen Liegestütze oder Kniebeugen machen. Den Zeugen B. fasste der frühere Mitangeklagte He. dabei am Kragen und drückte ihn nach unten, wodurch die Ausführung der Liegestütze erheblich erschwert wurde und der Zeuge mit dem Kopf auf den Sandboden aufschlug. Wieder andere mussten allein oder zu zweit mit verbundenen Augen einen Baumstamm vor dem Körper oder über dem Kopf halten.
23
Für den Fall, dass Rekruten Aufgaben nicht erfüllten oder Fragen des früheren Mitangeklagten He. nicht beantworteten, gab es simulierte Erschießungen dergestalt, dass zunächst die Erschießung des Rekruten oder eines Kameraden angedroht und schließlich ein Feuerstoß aus dem Maschinengewehr abgegeben wurde.
24
Aus einer mitgebrachten Kübelspritze wurden zahlreiche Rekruten mit Wasser bespritzt. Dem Zeugen L. wurde, während er von oben herab nass gespritzt wurde, gesagt, es werde auf ihn und seine Gruppe uriniert. Einigen Rekruten wurde Sand unter die Kleidung geworfen und wieder andere wurden mit beidem - Sand und Wasser - „traktiert“. Da der nasse Sand an der Kleidung haftete und auf der Haut rieb, führte dies bei zwei Rekruten dazu, dass sie sich beim anschließenden Marsch in die Kaserne die Oberschenkel wund liefen beziehungsweise sich ihre bereits vorhandenen wunden Stellen verschlimmerten.
25
Einem anderen Teil der Rekruten pumpten der frühere Mitangeklagte He. und ein Hilfsausbilder mit der Kübelspritze Wasser auch in den Mund, wobei ein anderer den Rekruten festhielt. Der Zeuge L. wurde im Laufe seiner Befragung auf den Rücken gelegt, was die Schmerzen in seinen Schultern verschlimmerte; dabei wurde er festgehalten. Zusätzlich wurde sein Mund gewaltsam geöffnet, indem der frühere Mitangeklagte He. oder in dessen Beisein ein Hilfsausbilder mit der Hand Druck auf den Unterkiefer ausübte. In den geöffneten Mund wurde sodann mehrmals Wasser hineingepumpt, so dass der Zeuge L. keine Luft mehr bekam. Schließlich wurde ihm der Reißverschluss seiner Hose geöffnet, der Schlauch hineingesteckt und Wasser in die Hose gepumpt. Der frühere Mitangeklagte He. verhöhnte ihn anschließend als „Bettnässer“. Als der Zeuge L. daraufhin seinerseits He. beleidigte, bekam er, nachdem er gefragt worden war, ob er sterben wolle, einen metallischen Gegenstand an den Kopf gehalten und hörte einen Maschinengewehrverschluss einrasten. Dadurch geriet er in Panik, weil er dachte, ein echtes Maschinengewehr werde ihm an den Kopf gehalten, und er wusste, welche Verletzungen auch Platzpatronen in solchen Waffen verursachen können, wenn sie in unmittelbarer Nähe eines Menschen abgefeuert werden. Es fielen sodann tatsächlich auch mehrere Schüsse, wobei sich das Maschinengewehr aber in einiger Entfernung befand.
26
Der Zeuge Fä. musste sich während seines Verhörs mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen mit dem Kopf an einen Baum anlehnen. Die Ausbilder zogen ihm die Beine so weit zurück, bis es für ihn anstrengend wurde, die Position zu halten. Dann wurde auch ihm mit der Kübelspritze Wasser in die Hose gepumpt, während er weiter befragt wurde. Als der Zeuge Fä. eine „patzige“ Antwort gab, wurde er auf den Rücken gelegt und es wurde ihm Wasser in die Nase gepumpt. Anschließend hielt ihm der frühere Mitangeklagte He. die Nase zu und drückte ihm den Mund auf, während ihm ein Hilfsausbilder Wasser hinein pumpte. Dabei verschluckte sich Fä. . Diese Vernehmung des Zeugen Fä. wurde vom Mitangeklagten D. , der sich zu diesem Zeitpunkt - ebenso wie der Mitangeklagte H. - in der Sandgrube aufhielt, fotografiert.

27
Auch weiteren Rekruten wurde, während sie mit auf dem Rücken gefesselten Händen und verbundenen Augen auf dem Boden knieten oder lagen, Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei der Mund gewaltsam geöffnet oder die Nase zugehalten, damit sie den Mund öffneten. Einige Rekruten konnten dadurch nicht mehr richtig atmen. Einem dieser Rekruten wurde zudem ebenfalls Wasser in die Hose gepumpt.
28
f) Das „Verhör“ einer Gruppe dauerte zwischen 20 und 30 Minuten. Danach wurden die Rekruten, soweit noch nicht geschehen, von Kabelbindern und Augenbinden befreit. Der Zeuge L. konnte, weil seine Schultern aufgrund der Fesselung derart stark schmerzten, nicht allein aufstehen, sondern musste von zwei Hilfsausbildern unterstützt werden. Im Anschluss an die Übung fand eine Nachbesprechung statt.
29
Die Kammer sah sich nicht in der Lage festzustellen, ob der Angeklagte S. wusste, was der frühere Mitangeklagte He. und die diesem zugewiesenen Hilfsausbilder in der Sandgrube im Einzelnen taten.
30
5. Anfang des dritten Quartals 2004 begannen etwa 150 Rekruten ihre Allgemeine Grundausbildung in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld, die auf drei Ausbildungszüge verteilt wurden. Zugführer waren unter anderem die beiden Mitangeklagten D. und H. . Nach deren Planung sollten auch in diesem Quartal wieder Geiselnahmeübungen stattfinden - dieses Mal jedoch für jeden Zug gesondert.
31
a) Zunächst sollte der dritte, vom Mitangeklagten H. geführte Zug die Übung absolvieren (Fall B.II.1 der Urteilsgründe).

32
aa) An einem nicht mehr genau feststellbaren Tag vor dem 24. August 2004 fand deshalb wiederum eine von den Mitangeklagten D. und H. anberaumte Ausbilderbesprechung statt, an der auch die Angeklagten K. und J. teilnahmen. Dabei wurde der grobe Ablauf der Geiselnahmeübung für den dritten Zug erörtert. Die beiden Zugführer D. und H. beabsichtigten, die Rekruten nach der dienstplanmäßigen Schießübung des dritten Zuges am 24. August 2004, die sich bis in den späten Abend hinziehen sollte, wieder auf einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch zu schicken. Gegen dessen Ende sollten sie überfallen, entwaffnet und gefesselt und anschließend mit einem Pritschenwagen zum „Verhör“ gebracht werden, das dieses Mal im Keller des Kasernenblocks 6, in dem der dritte Zug untergebracht war, stattfinden sollte. Vorgesehen war weiterhin, einen Raum mit Sportmatten auszulegen, in den zunächst alle Rekruten verbracht werden sollten. Von dort sollten die Rekruten dann einzeln in einen anderen Raum zum „Verhör“ gebracht und wieder mit einer Kübelspritze nass gemacht werden. Anschließend sollten alle Soldaten in einem weiteren Raum gesammelt werden. Damit sie währenddessen nicht frören, sollten sie mit bereitgelegten Decken zugedeckt werden, bevor sie schließlich freigelassen würden.
33
Trotz dieser Feststellungen vermochte das Landgericht aber nicht festzustellen , ob der Angeklagte K. , der für das „Verhör“ im Keller eingeteilt war, und der Angeklagte J. , der neben weiteren Ausbildern für den Zugriff vorgesehen war, jeweils damit rechneten, dass die Rekruten während des „Verhörs“ längere Zeit mit gefesselten Händen und mit verbundenen Augen auf dem Boden würden knien müssen. Dies gilt ebenso für den Umstand, dass die vorbereitete Kübelspritze dazu Verwendung finden könnte, die Rekruten mit Was- ser zu durchnässen und ihnen damit gewaltsam Wasser in den Mund zu pumpen. Außerdem sah sich die Kammer auch nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Allerdings wurde nach den Feststellungen zu der Station „Verhör“ zumindest gesagt, die dafür eingeteilten Ausbilder sollten sich „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“.
34
Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
35
Nach dieser Ausbilderbesprechung sprachen sich die für das „Verhör“ eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K. - ab, wie der Kellerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei.
36
bb) Nachdem die Rekruten des dritten Zuges am 24. August 2004 die dienstplanmäßige Schießübung absolviert hatten, kehrten sie gegen Mitternacht in die Kaserne zurück. Von dem Mitangeklagten H. wurde ihnen mitgeteilt , im Raum Coesfeld habe es terroristische Anschläge gegeben und die Bahnstrecke müsse gesichert werden. Die geplante Geiselnahme erwähnte er nicht. Allerdings erklärte er den Rekruten, dass sie die Übung jederzeit durch Nennung des Wortes „Tiffy“ beenden könnten. Auch einige Rekruten des dritten Quartals verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“; für die meisten hatte es hingegen keine spezielle Bedeutung. Die Rekruten wurden auf vier Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt, begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer, los.
37
cc) Währenddessen bereitete sich das „Überfallkommando“, das dieses Mal aus zehn und zwölf Ausbildern bestand, wie bereits bei der Übung im Juni 2004 auf den Zugriff vor. Vor Ort wurden die daran Beteiligten - unter anderem der Angeklagte J. - von den Zugführern D. , dem die Leitung dieser Station oblag, und H. eingewiesen. Die Rekruten sollten nach dem Überfall , der so verlaufen sollte wie bereits im Juni 2004, wiederum entwaffnet und gefesselt werden. Außerdem sollte ihnen jeweils ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen werden. Beim Anlegen der Kabelbinder sollte darauf geachtet werden, dass sie nicht in die Haut schnitten.
38
In den frühen Morgenstunden des 25. August 2004 waren die Rekruten, nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch auf dem Rückweg zur Kaserne. Als sie an den Überfallort gelangten, verwirrten die Ausbilder die Rekruten durch den lauten Knall eines gezündeten Bodensprengsimulators und kamen laut schreiend aus ihrer Deckung. Auch hier waren die Rekruten aufgrund des langen Marsches und nach fast 24 Stunden Dienst zu erschöpft und auch zu überrascht, um noch größeren Widerstand zu leisten. Nach einem Schusswechsel leisteten die Rekruten der Aufforderung, die Waffe abzulegen und sich hinzulegen, Folge. Einige Rekruten wurden von den Ausbildern zu Boden gedrückt oder gerissen. Als sich der Zeuge P. verteidigen wollte, rammte ihm einer der Ausbilder die Schulterstütze eines Gewehres in den Rücken.
39
Nachdem die Rekruten entwaffnet worden waren, wurden ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Bei acht Rekruten saßen sie jedoch so eng, dass diese Druckspuren auf der Haut davontrugen. Drei Soldaten erlitten durch die Fesselung Schürfwunden und bei dem Zeugen P. , dem zusätzlich - ebenso wie dem Zeugen M. - auch die Füße gefesselt worden waren, schnitten die Kabelbinder in die Haut ein, so dass anschließend Abdrü- cke auf der Haut zu sehen waren. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel beziehungsweise Stiefelsack über den Kopf gezogen, oder ihnen wurden die Augen mit einem Dreiecktuch verbunden. Zugleich wurden die Rekruten befragt. Dabei erhielt einer, weil er eine Frage nicht beantwortete, von einem der Ausbilder einen Schlag gegen seinen Helm, einem anderen wurden leichte Tritte versetzt, und neben dem Kopf des Zeugen La. wurde eine Pistole durchgeladen und ihm an die Schläfe gehalten.
40
dd) Anschließend wurden die Rekruten auf die Ladefläche eines herangefahrenen Pritschenwagens gesetzt und hinein geschoben. Die Zeugen P. und M. , die an Händen und Füßen gefesselt waren, wurden zum Fahrzeug getragen und auf die Ladefläche gelegt. Auf der folgenden Fahrt zur Kaserne fuhr zumindest einer der Ausbilder auf der Ladefläche mit, um die Rekruten zu befragen und um für Ruhe zu sorgen. Als der Zeuge P. , der mit seinem Bauch auf dem Knie eines Kameraden lag und deshalb schlecht Luft bekam, versuchte, sich aufzurichten, wurde er von einem der Ausbilder niedergedrückt und geschlagen, wodurch er Schmerzen erlitt. Ein anderer Rekrut wurde mit der Schulterstütze eines Gewehrs angestoßen, was „nicht übertrieben weh tat, aber auch nicht angenehm“ war. Wieder einem anderen wurde, als er eine Frage falsch beantwortet hatte, der Mündungsfeuerdämpfer eines Gewehres in seine Oberschenkelregion gedrückt, was Schmerzen verursachte.
41
ee) Im Keller des Kasernenblocks 6 hatten sich zwischenzeitlich die für das Verhör eingeteilten Ausbilder - darunter auch der Angeklagte K. - eingefunden und warteten auf die Ankunft der ersten Gruppe. Als diese um 6.30 Uhr immer noch nicht in der Kaserne war, meldete sich der Angeklagte K. , der ab 7.00 Uhr den zweiten Zug unterrichten sollte, ab und ging auf seine Stube.

42
ff) Nach kurzer Fahrt in der Kaserne angekommen, fuhr der Pritschenwagen mit den Rekruten rückwärts an eine auf dem Boden ausgelegte, etwa 30 bis 40 cm dicke Hochsprungmatte heran. Zum „Abladen“ wurden die Rekruten bis an die Ladekante des Fahrzeugs gezogen und wurden dann entweder zum Springen aufgefordert oder hinunter gestoßen. Dadurch sollte bei den Rekruten, die nichts sehen konnten, Angst erzeugt werden.
43
Sodann wurden die Rekruten in den Keller des Kasernenblocks 6 gebracht. Dabei wurden sie wegen ihrer verbundenen Augen in der Regel von einem Ausbilder begleitet. Der Zeuge Lan. , dessen Schnürsenkel möglicherweise zusammengebunden waren, fiel dabei auf der Kellertreppe hin und stieß sich das Knie, was ihm wehtat. Zudem ließ ihn der Ausbilder, der ihn in den Keller führte, gegen eine Wand laufen.
44
gg) Die Rekruten sollten sich zunächst in einem Waschraum hinknien und wurden weiterhin auf Englisch befragt. Wenn sie keine Antworten gaben, wurden sie verschiedenen Behandlungen unterzogen. Teilweise wurde ihnen Wasser mit der Kübelspritze oder mit einem Eimer auf die Kleidung gespritzt, so dass diese durchnässt war.
45
Dann wurden die Rekruten nacheinander in den als „Verhörraum“ vorgesehenen Partyraum gebracht und weiter „verhört“. Als der Zeuge P. als einziger noch im Waschraum war und versuchte die Tür zuzuschlagen, um sich zu befreien, stieß ihn ein Ausbilder in eine Ecke, wo er mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Anschließend wurde der Zeuge P. in dem „Verhörraum“ auf einen Stuhl gesetzt und weiter befragt. Als er nach wie vor nicht antwortete, wurde er mit einem harten, länglichen Gegenstand fest auf Arme, Beine und Rü- cken geschlagen. Dies bereitete ihm Schmerzen. Nachfolgend wurde er in einem anderen Raum weiterhin befragt, während seine Kleidung mit Wasser durchnässt wurde. Schließlich wurde er in den Kellerflur hinausgebracht, wo er sich hinknien musste. Dort blies ihm einer der Ausbilder Rauch unter das Dreiecktuch und es wurde ihm ein heißer Gegenstand an seinen Nacken gedrückt. Auch einem weiteren Rekruten wurde, als er im Kellerflur knien musste und befragt wurde, Rauch ins Gesicht geblasen.
46
Dem Zeugen La. wurde während der Befragung mit einer Lampe ins Gesicht gestrahlt. Danach musste er sich in einem anderen Raum hinknien und mit dem Kopf auf einem Waschbecken abstützen. Nachdem er in dieser Stellung einige Zeit ausgeharrt hatte, wurde seine Feldbluse aufgeknöpft und er wurde mit Wasser übergossen, während er weiter befragt wurde. Der Zeuge Bä. musste sich hinknien und seinen Kopf an eine Wand anlehnen. In dieser Haltung wurde er dann befragt. Gab er keine Antworten, bekam er einen Schlag auf den Helm. Zwei andere Rekruten wurden herum und gegen die gepolsterten Wände geschubst, wodurch einer stolperte und sich schmerzhaft das Knie stieß.
47
Sechs Rekruten - darunter auch der Zeuge Lan. - wurde wiederum mit der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt. Teilweise wurde ihnen dabei die Nase zugehalten, so dass sie zeitweise keine Luft mehr bekamen. Der Zeuge Lan. , dem bei diesem Geschehen Wasser auch in die Nase gelaufen war und dem daher das Atmen schwer fiel, musste anschließend aufstehen und allein die deutsche Nationalhymne singen. Danach wurde er auf dem Kellerflur weiter befragt. Da er nach wie vor keine Antworten gab, wurde sein Oberkörper nach vorne gebeugt. In dieser Haltung wurde er mehrmals - jedes Mal, wenn er nicht antwortete - mit seinem behelmten Kopf gegen die Kellerwand gestoßen.
Er erlitt dadurch zwar keine Schmerzen, empfand es jedoch als „unangenehm“. Weil der Zeuge Lan. die ihm gestellten Fragen immer noch nicht beantwortete , sagte einer der Ausbilder, dass man jetzt „Ernst“ mache. Dem Zeugen Lan. wurde daraufhin der Helm abgenommen und er wurde nochmals mit dem Kopf gegen die Wand geschubst. Entgegen seinen Befürchtungen prallte der Zeuge jedoch lediglich gegen ein Stück Schaumstoff, das einer der Ausbilder zum Abfangen des Stoßes an die Wand gehalten hatte.
48
Einem anderen Rekruten wurde während seiner Befragung eine „wirklich nicht gut“ riechende Creme unter die Nase gerieben, während wieder anderen der Mund gewaltsam geöffnet wurde und ihnen sodann Ketchup und/oder Senf beziehungsweise Soßenreste eingeflößt wurden.
49
hh) Nach etwa 30 bis 45 Minuten war die Übung für eine Gruppe beendet. Die Rekruten wurden in der Regel von den Kabelbindern befreit und konnten auf ihre Stube gehen. Bei dem Zeugen P. saßen die Kabelbinder allerdings so eng, dass sie zunächst nicht gelöst werden konnten und erst von einem Kameraden mit einem Messer durchtrennt werden mussten.
50
Auch die übrigen Gruppen des dritten Zuges wurden im Laufe der Nacht überfallen, gefangen genommen und in dem Keller „verhört“. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte der Mitangeklagte H. den Rekruten des dritten Zuges, wie sie sich bei einer Geiselnahme richtig zu verhalten hätten.
51
b) Für den zweiten Zug fand in diesem Quartal die Geiselnahmeübung in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 2004 statt (Fall B.II.2 der Urteilsgründe

).


52
aa) Auf einer zuvor stattfindenden Ausbilderbesprechung, deren Leitung dem früheren Mitangeklagten Z. oblag, der stellvertretender Zugführer dieses Zuges war, wurde das Vorgehen zumindest wieder in groben Zügen erörtert. Die Rekruten sollten im Anschluss an die für den 31. August 2004 vorgesehene Schießübung, die sich bis in den späten Abend ziehen sollte, erneut auf einen zuvor nicht angekündigten nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt werden, bei dem sie kurz vor Ende überfallen, gefangen genommen und mit einem Fahrzeug zum „Verhör“ gebracht werden sollten, das auch dieses Mal im Keller des Kasernenblocks 6 stattfinden sollte. Der frühere Mitangeklagte Z. teilte bei dieser Besprechung für den „Zugriff“ neben anderen die Angeklagten S. und K. ein. Für das „Verhör“ sah er neben einigen Hilfsausbildern den Angeklagten J. vor (ihn betreffend ist das Geschehen nach Ansicht des Landgerichts nicht Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage).
53
Das Landgericht sah sich erneut nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden.
54
Auch hier enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
55
bb) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden am 31. August 2004 - wie auch in den vorangegangenen Fällen - im Anschluss an ihre Schießübung auf den nächtlichen Orientierungsmarsch geschickt. Der frühere Mitangeklagte Z. wies sie in die Lage ein. Auch er erklärte den Rekruten, sie könnten die Übung durch Nennung des Wortes „Tiffy“ jederzeit beenden. „Möglicherweise“ äußerte er dabei ironisch, dieses Wort sei als Codewort international anerkannt und stehe auch in der Genfer Konvention. Jedenfalls einer der Rekruten ging deshalb davon aus, dass das Wort zwar benutzt werden könne, dies aber nur auf Kosten des Stolzes oder der Ehre der Rekruten. Die bevorstehende Geiselnahme erwähnte der frühere Mitangeklagte Z. nicht. Einige Rekruten hatten zwischenzeitlich aber von der vorangegangenen Geiselnahmeübung des dritten Zuges erfahren und ahnten, dass ihnen Gleiches widerfahren könnte.
56
cc) Die Rekruten des zweiten Zuges wurden auf „vermutlich“ drei Gruppen aufgeteilt und marschierten zeitlich versetzt begleitet von ihrem jeweiligen Gruppenführer los. Wie bei den Übungen vorher kamen die Rekruten nach einem etwa 20 Kilometer langen, mehrstündigen Marsch, dieses Mal allerdings noch im Dunkeln, am Überfallort an. Die Ausbilder verwirrten die Rekruten durch das Zünden eines Bodensprengsimulators und von Gefechtsfeldbeleuchtung , die zudem auch blendete. Sie kamen aus ihrer Deckung und forderten die Rekruten auf, ihre Waffen ab und sich auf den Boden zu legen. Nach einem Schusswechsel wurden diejenigen Rekruten, die dieser Aufforderung nicht freiwillig Folge leisteten, mit körperlicher Gewalt zu Boden gedrückt oder geworfen. Einem Rekruten wurde zudem mehrfach mit einem Pistolengriff auf den Hinterkopf geschlagen, weil er sich der Festnahme widersetzte und fliehen wollte.
57
Den Rekruten wurden wiederum die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Bei drei Soldaten saßen sie so eng, dass sie Schmerzen bereiteten. Drei andere Rekruten trugen durch diese Fesselung Druckspuren auf der Haut und ein weiterer darüber hinaus Hautabschürfungen davon. Allen Rekruten wurde zudem ein Wäschebeutel oder Stiefelsack über den Kopf gezogen , und sie mussten sich hinknien. In dieser Situation wurden die Rekruten befragt , wobei einem von ihnen eine Pistole an den Kopf gehalten wurde. Ein an- derer wurde zu der Äußerung „I am a donkeyfucker“ aufgefordert. Auch dem Zeugen Be. wurde, während er bei seiner Befragung mit auf dem Rücken gefesselten Händen und einem über den Kopf gezogenen Wäschebeutel auf dem Boden kniete, eine - wie ihm bewusst war - ungeladene Pistole an den Kopf gehalten. Als er sich wegen eines schmerzhaften Krampfes in seinen Beinen hinlegte , bekam er von einem der Ausbilder einen Tritt in den Rücken und musste sich wieder hinknien.
58
Dem Zeugen De. war es gelungen, sich aus den Kabelbindern zu befreien und den Wäschesack vom Kopf abzustreifen. Als er jedoch in den Wald hineinlief, wurde er sogleich von mehreren Ausbildern verfolgt, die ihn einholten und zu Boden warfen. Dadurch war der Zeuge De. „nervlich offenbar überfordert“. Er bekam plötzlich Angst und begann am ganzen Körper zu zittern. Daraufhin brach der Mitangeklagte D. für diesen Zeugen die Übung ab, beruhigte ihn und ließ ihn zurück zur Kaserne bringen.
59
Der Zeuge Hi. hatte, nachdem seine Hände gefesselt worden waren und ihm ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war, mit einem metallischen Gegenstand einen Schlag auf seinen Kopf und zudem einen Tritt in den Rücken bekommen, wodurch er kurz Zeit schlecht Luft bekam. Deshalb sagte er das Wort „Tiffy“, woraufhin er freigelassen wurde. Auch fünf weitere Rekruten hatten das Codewort genannt, so dass die Übung für sie ebenfalls beendet war und sie zurück zur Kaserne gebracht wurden. Darunter befanden sich auch der Zeuge Kü. , der bei dem Überfall auf sein Knie gestürzt war und Schmerzen hatte, sowie der Zeuge Dz. . Dieser hatte, als er mit gefesselten Händen und einem Stiefelbeutel über dem Kopf auf dem Waldboden lag, vom Angeklagte K. einen leichten Tritt mit dem Stiefel gegen den Kopf bekom- men. Dies war aber nicht absichtlich geschehen; vielmehr war der Angeklagte K. , als er einen Schritt rückwärts machte, versehentlich dagegen gestoßen.
60
dd) Die übrigen Rekruten wurden anschließend auf die Ladefläche eines Pritschenwagens gelegt und zur Kaserne gebracht. Beim „Abladen“ der Rekruten war dieses Mal keine Matte ausgelegt. Die Rekruten wurden bis zur Ladekante des Fahrzeugs gezogen und sodann von einem Ausbilder auf die Füße gestellt. Anschließend wurden sie in den Keller des Kasernenblocks 6 und zwar zunächst wieder in den Waschraum gebracht, wo sie sich hinknien oder setzen sollten. Teilweise wurden die Rekruten weiter befragt. Manchen wurde die Kleidung mit Wasser aus der Kübelspritze oder aus einem Eimer durchnässt - so auch dem Zeugen Bl. . Zudem wurde über diesem ein gefüllter Wassereimer ausgeleert und ihm anschließend der Eimer über den Kopf gestülpt, während er weiter befragt wurde. Dadurch fühlte sich der Zeuge Bl. gedemütigt. Außerdem füllte sich durch das Wasser auch der über den Kopf gezogene und zugebundene Wäschebeutel immer weiter mit Wasser, so dass der Zeuge Bl. zeitweise Probleme mit dem Atmen hatte. Anderen Rekruten wurden die Feldbluse aufgeknöpft und hochgeschoben sowie die Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, bevor ihnen Wasser auf die entblößten Körperteile gegossen wurde. Ein Rekrut wurde unter eine Dusche gelegt und nass gemacht. Durch den nassen Wäschesack bekam er zunehmend schlechter Luft, so dass er das Codewort nannte und die Übung für ihn abgebrochen wurde.
61
ee) Die Rekruten wurden dann entweder in den „Verhörraum“ gebracht und dort weiter verhört oder in einen Duschraum, wo der Angeklagte J. - was nach Ansicht des Landgerichts allerdings ihn betreffend nicht Gegenstand der Anklage ist - eine Personenüberprüfung durchführte. Dazu öffnete dieser Feldbluse und -hose sowie Stiefel der Rekruten und überprüfte sie auf Waffen.
Ihm war zuvor von einem nicht näher bekannten Ausbilder gesagt worden, er solle die Rekruten „ruhig etwas ruppiger anfassen“, um ihnen zu zeigen, dass das kein Spaß sei.
62
Teilweise wurde den Rekruten während der Befragung ein Gegenstand oder eine Pistole an den Kopf gehalten. Vier Rekruten wurden der Bauch oder die Beine entblößt und mit einer Bürste darüber gestrichen. Dies empfand der Zeuge Po. als „kratzig“. Dem Zeugen Bl. , dessen Haut anschließend gerötet war, tat es weh.
63
Der Zeuge Po. wurde schließlich in den Verhörraum gebracht, wo sich zu diesem Zeitpunkt ein Prüfgerät für Feldfernsprecher befand. Dieses Gerät besitzt eine Kurbel, durch deren Drehung Induktionsstrom erzeugt werden kann. Damit wurden dem Zeugen Po. mehrere Stromstöße an Bauch und Beinen versetzt, indem zwei angeschlossene Drähte an den entsprechenden Körperstellen angelegt wurden. Die Stromstöße dauerten jeweils einige Sekunden und verursachten ein Kribbeln, das deutlich unter der Schmerzgrenze blieb, da die Ausbilder, als sie merkten, dass es wehzutun begann, mit dem Kurbeln aufhörten. Auch ein weiterer Rekrut erhielt, nachdem er mit Wasser aus Eimern durchnässt worden war, während seines „Verhörs“ mit dem FeldfernsprecherPrüfgerät mindestens vier Stromschläge am Bauch und über seine Erkennungsmarke. Dies empfand er als unangenehm, aber nicht als schmerzhaft.
64
Der Zeuge Be. wurde während seiner Befragung zunächst auf den Boden gelegt und mit Wasser aus einer Kübelspritze durchnässt. Da er nicht die verlangten Antworten gab, wurde er sodann in einem anderen Raum auf einen Stuhl gesetzt, dann die beiden Kabelenden des FeldfernsprecherPrüfgerätes an einen seiner Handballen gehalten und die Kurbel des Gerätes betätigt. Währenddessen wurden ihm immer die gleichen Fragen gestellt, die er aber weiterhin nicht beantwortete. Daraufhin wurde die Kurbel schneller gedreht , so dass stärkerer Strom floss. Der Zeuge ballte seine Hand zur Faust, um die Stromschläge besser aushalten zu können. Auch einem weiteren Rekruten wurden, während er „verhört“ wurde, Stromstöße versetzt, indem die Kabelenden des Prüfgeräts an seine nassen und unbekleideten Oberschenkel angelegt wurden. Die Stromstöße waren anfangs relativ milde, wurden aber immer stärker, bis sie die Schmerzgrenze des Soldaten erreicht hatten und dieser zu zittern begann.
65
ff) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S. und K. , die in dieser Nacht an der Station „Zugriff“ im Gelände tätig waren , mitbekommen oder im nachhinein davon erfahren haben, auf welche Art und Weise die Rekruten bei dieser Übung im Keller „verhört“ wurden.
66
c) In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2004 fand schließlich für den ersten Zug in diesem Quartal die Geiselnahmeübung statt (Fall B.II.3 der Urteilsgründe).
67
aa) Zuvor fand erneut eine Ausbilderbesprechung statt, die der Mitangeklagte D. als Zugführer leitete. Dieser teilte bei dieser Besprechung unter anderem für den „Überfall“ neben anderen die Angeklagten S. und J. ein. Die Vorgehensweise bei der Geiselnahmeübung sollte unverändert bleiben. Lediglich das Verhör sollte dieses Mal im Keller des Kasernengebäudes 14 stattfinden, in dem der erste Zug untergebracht war.
68
Wiederum sah sich das Landgericht nicht in der Lage aufzuklären, ob bei dieser Ausbilderbesprechung noch weitere Einzelheiten der Geiselnahmeübung erörtert wurden. Jedenfalls sollte im Keller aber wieder eine Kübelspritze bereitstehen , um damit die Rekruten nass zu machen.
69
Auch dieses Mal enthielten weder der für die Rekruten einsehbare, noch der vom Kompaniechef, dem Mitangeklagten Sc. , unterzeichnete und an das Bataillon gesandte Dienstplan Informationen über die geplante Geiselnahme mit Verhör.
70
bb) Der Angeklagte J. bereitete den Keller für das Verhör vor. Er stellte einen Tisch und Stühle auf, legte Matratzen auf dem Boden aus, auf die die Soldaten gelegt werden konnten, und ließ zumindest eine Kübelspritze mit Wasser füllen und bereitstellen.
71
cc) Die Rekruten des ersten Zuges absolvierten am 1. September 2004 - wie auch in den vorangegangenen Fällen - zunächst ihre Schießübung. Nachdem diese gegen Mitternacht beendet war, teilte ihnen der Mitangeklagte D. mit, dass sie nun auf einen Nachtorientierungsmarsch gehen müssten, wobei das Gebiet zur Verhinderung terroristischer Angriffe bestreift werden müsse. Zudem erklärte er ihnen, sie könnten die Übung durch Nennung des Wortes „Tiffy“ jederzeit beenden. Auch einige Rekruten dieses Zuges verstanden dieses Wort als Synonym für „Weichei“ oder „Schwächling“; für die meisten hatte es hingegen keine besondere Bedeutung.
72
Im Unterschied zu den vorhergehenden Übungen vermuteten dieses Mal zahlreiche Rekruten, dass sie überfallen werden würden, da sie teilweise Gerüchte oder Andeutungen aus den anderen Zügen über eine bevorstehende Geiselnahme gehört hatten. Der genaue Ablauf war jedoch keinem der Rekruten bekannt.

73
dd) Auch die Rekruten des ersten Zuges machten sich in Gruppen ohne ihren planmäßigen Gruppenführer im Abstand von etwa 20 Minuten auf den Weg. Die Rolle des Gruppenführers musste jeweils ein Rekrut übernehmen. Der Angeklagte K. fuhr gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. los, um den Marsch zu überwachen. Gegen 23.30 Uhr informierten sie den Mitangeklagten Ja. telefonisch darüber, dass sich die erste Gruppe nun auf dem Weg zum Überfallort befinde und sich die Ausbilder bereit machen sollten. Der Angeklagte K. erwartete gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. die für den „Überfall“ eingeteilten Ausbilder bereits am Ort des geplanten Zugriffs.
74
Die erste Gruppe kam nach einem etwa 20 Kilometer langen Marsch gegen 3.00 Uhr am Überfallort an. Anders als in den vorangegangenen Fällen gingen die Rekruten dieses Mal äußerst behutsam vor, weil sie den Überfall erahnten. Dennoch entdeckten sie die Angreifer nicht. Trotz ihrer Vorahnung waren die Rekruten infolge des Zündens eines Bodensprengsimulators und von Gefechtsfeldbeleuchtung durch die Ausbilder im ersten Moment überrascht. Sie gingen aber in Deckung und versuchten, sich zu verteidigen. Nach einem kurzen Schusswechsel hatten ihnen die Ausbilder aber die Gewehre abgenommen. Die Rekruten sollten sich sodann hinknien oder auf den Boden legen. Einige von ihnen leisteten aber auch nach der Entwaffnung Widerstand und ließen sich nicht mehr so bereitwillig fesseln wie in den vorangegangenen Fällen.
75
Einem der Rekruten, der bereits auf dem Boden lag, wurde von einem Ausbilder, „vermutlich“ von dem Angeklagten S. , ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen. Ihm wurden die Arme mit leichter körperlicher Gewalt nach hinten gedreht und mit den dafür vorgesehenen Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. Ein anderer war bei dem Überfall von einem der Ausbilder umgerissen worden und wurde ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt. Nachdem er die zu feste Fesselung reklamiert hatte, bekam er lockerer sitzende Kabelbinder angelegt. Zwischen einem Rekruten und einem Ausbilder gab es ein „kleines Handgemenge“ , während dessen der Rekrut schließlich zu Boden gebracht, entwaffnet und gefesselt wurde. Während seiner anschließenden Befragung wurde sein Gesicht teilweise in seinen am Boden liegenden Helm gedrückt. Außerdem verspürte er Druck an seinem Hinterkopf, der vermutlich von einem auf seinen Hinterkopf gestellten Stiefel herrührte. Der Zeuge Bla. wurde bei dem Überfall zu Boden gerissen, mit Kabelbindern gefesselt, und ihm wurde ein Stiefelbeutel über den Kopf gezogen. Damit er sich nicht weiter rührte, stellte einer der Ausbilder einen Stiefel in seinen Nacken; einen anderen Schuh spürte der Zeuge Bla. an seinen Genitalien. Bewegte sich der Zeuge, wurde dort gedrückt, um ihn ruhig zu stellen.
76
Nachdem es einem weiteren Rekruten zweimal gelungen war, die angelegten Kabelbinder zu zerreißen, setzte sich der Mitangeklagte Bu. auf den am Boden liegenden Soldaten, damit dieser sich nicht mehr so stark wehrte. Dennoch versuchte dieser weiterhin, sich zu befreien und streifte sich mehrfach den übergezogenen Stiefelbeutel ab. Daraufhin beendete der Mitangeklagte D. die Übung für ihn. Auch der Zeuge O. wehrte sich, so dass auch er eine Rangelei mit einem Ausbilder hatte. Er wurde schließlich von zwei Angreifern überwältigt und mit Kabelbindern gefesselt; anschließend wurde ihm eine Kapuze über den Kopf gezogen und zugebunden. Auch er zerriss mehrere Kabelbinder , bekam aber jeweils neue angelegt, bis er sich letztlich nicht mehr wehrte.
77
Wieder ein anderer Soldat wurde bei dem Überfall von einem Ausbilder zu Boden gedrückt. Die Kabelbinder, mit denen ihm die Hände auf dem Rücken gefesselt worden waren, saßen sehr stramm, so dass er Rötungen und Hautabschürfungen davontrug. Einer der Ausbilder forderte ihn auf, das Codewort „Tiffy“ zu sagen. Dem kam der Zeuge schließlich nach, woraufhin die Übung für ihn beendet wurde. Auch ein weiterer Rekrut wurde gepackt, zu Boden gedrückt und mit zu stramm sitzenden Kabelbindern gefesselt. Als er dies monierte, wurde ebenfalls verlangt, er solle zunächst das Codewort nennen. Als er dieses sagte, wurde er sofort befreit. Allerdings konnten die sehr eng sitzenden Kabelbinder nicht ohne weiteres durchtrennt werden. Bei dem Versuch sie mit einem Messer zu durchschneiden, erlitt dieser Rekrut leichte Schnittverletzungen an den Handgelenken. Schließlich beendete auch noch ein weiterer Rekrut durch Nennung des Codeworts die Übung, nachdem er Platzangst bekommen hatte, als ihm der Stiefelbeutel über den Kopf gezogen worden war.
78
Dem Zeugen Ly. wurde während seiner Befragung eine Pistole an den Kopf gehalten. Weil er nicht antwortete, wurde er zudem mit Tritten in den Rücken „malträtiert“, wodurch er zwei bis drei Tage anhaltende Rückenschmerzen erlitt. Dem Zeugen Deu. wurde bei seiner Entwaffnung ebenfalls eine Pistole vor den Kopf gehalten. Er wurde zu Boden gestoßen und, als er gefesselt auf dem Boden lag, trat jemand auf seinen Rücken. Zudem stellte ein Ausbilder für kurze Zeit einen Fuß auf seinen Helm, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Der Zeuge Ku. wurde während der Befragung dadurch am Boden fixiert, dass sich einer der Ausbilder auf seinen Rücken stellte, was schmerzhaft war. Außerdem erhielt er von Zeit zu Zeit einen leichten Tritt gegen seine Stiefel. Auch zwei weitere Rekruten bekamen jeweils einen - in einem Fall kräftigen, schmerzhaften - Tritt in den Rücken, dies sogar, obwohl einer der beiden der Aufforderung, sich auf den Boden zu legen und die Waffe abzugeben, sofort nachgekommen war.
79
ee) Nachdem alle Rekruten der ersten - und später auch der zweiten - Gruppe überwältigt, entwaffnet und gefesselt worden waren, wurden sie - zum Teil „recht unsanft“ - auf die Ladefläche eines Pritschenwagens „verladen“ und zur Kaserne gebracht. Während der Fahrt befand sich zumindest ein Ausbilder auf der Ladefläche, um für Ruhe zu sorgen. Dennoch verhielten sich die Rekruten nicht ruhig, sondern versuchten teilweise, die Stiefelbeutel von ihren Köpfen abzustreifen. Deshalb gab einer der Ausbilder einen Schuss ab.
80
Der Mitangeklagte D. hatte zwischenzeitlich den Mitangeklagten Ja. darüber unterrichtet, dass die erste Gruppe bald in der Kaserne eintreffen werde. Der Mitangeklagte Ja. traf sich daraufhin mit den weiteren drei für das „Verhör“ eingeteilten Ausbildern im Keller und besprach mit ihnen das weitere Vorgehen. Die Rekruten sollten nach dem „Abladen“ zunächst in den Waschraum des Kellers gebracht und dort auf den ausgelegten Matten abgelegt werden. Dann sollten sie einzeln zum „Verhör“ gebracht werden, dessen Leitung dem Mitangeklagten Ja. und dem früheren Mitangeklagten Z. oblag. Zuletzt sollten die Rekruten in einem Materialraum auf Matten abgelegt werden, um dort zu warten, bis das „Verhör“ für sämtliche aus der Gruppe beendet ist.
81
Die vier Ausbilder sahen, dass in dem Verhörraum ein FeldfernsprecherPrüfgerät war. Spätestens jetzt vereinbarten sie, dieses bei dem „Verhör“ einzusetzen und den Rekruten damit Stromschläge zu verabreichen.
82
ff) Während der Fahrt zur Kaserne gelang es drei Rekruten, sich von den Kabelbindern zu befreien. Als das Fahrzeug an der Kaserne angekommen war, wurden zwei von ihnen von den dort bereitstehenden Ausbildern erneut gefesselt - dieses Mal jedoch mit einer deutlich stabileren und reißfesten Kunststoffschnur beziehungsweise mit Klebeband. Der Zeuge O. , der ebenfalls erneut gefesselt werden sollte, setzte sich derart heftig zur Wehr, dass er schließlich aus der Übung genommen wurde.
83
Die übrigen Rekruten wurden von der Ladekante des Fahrzeugs gezogen , wobei sie auf den Füßen aufkamen. Anschließend wurden sie in den Waschraum des Kellers des Kasernenblocks geführt oder an beiden Armen hinunter getragen. Dort mussten sie sich hinknien oder auf die ausgelegten Schaumstoffmatten legen und wurden weiter befragt.
84
gg) Der Zeuge W. hatte wegen der zu fest sitzenden Kabelbinder das Gefühl in seinen Händen verloren und beschwerte sich darüber, so dass er davon befreit und nunmehr mit Klebeband gefesselt wurde. Danach wurde er in einen anderen Raum gebracht, wo ihm mit einer Kübelspritze Wasser in den Kragen gepumpt wurde, wodurch seine Kleidung vollständig durchnässt wurde. Sodann wurden seine Feldbluse geöffnet und seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, bevor ihm mit dem Feldfernsprecher-Prüfgerät zwei bis drei Stromstöße am Bauch versetzt wurden. Anschließend wurde er in einen weiteren Raum gebracht, wo er auf den Boden gelegt wurde und warten sollte. Nach einiger Zeit nannte der Zeuge W. , der die ihm zuteil gewordene Behandlung als entwürdigend empfand, der fror und keine Lust mehr hatte, auf dem Boden zu liegen, das Codewort.
85
Der Zeuge Ly. wurde zunächst mit Wasser aus einer Kübelspritze durchnässt, so dass er auskühlte und fror. Anschließend wurde er auf den Rücken gelegt, und es wurde ihm mit dem Schlauch der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt, bis er zu husten begann. In dem „Verhörraum“ wurde er weiter befragt und erhielt Stromschläge in seinen Nacken, die ihm wehtaten, so dass auch er schließlich das Codewort zur Beendigung der Übung nannte. Auch die Kleidung eines weiteren Rekruten wurde durchnässt und ihm wurde Wasser in den Mund gepumpt. Zudem erhielt dieser Schläge mit der Faust und der flachen Hand sowie Tritte auf seinen Nacken und den Hinterkopf, so dass auch er letztlich die Übung beendete.
86
Der Zeuge Ku. wurde ebenfalls mit Wasser aus der Kübelspritze durchnässt und auch ihm wurde Wasser in den Mund gepumpt. Außerdem stellte sich einer der Ausbilder, nachdem der Zeuge auf den Bauch gelegt worden war und während er befragt wurde, auf seinen Rücken, was Schmerzen verursachte. Desgleichen wurde der Zeuge Deu. durchnässt und ihm Wasser in den gewaltsam aufgedrückten Mund gepumpt, so dass er sich verschluckte. Zusätzlich wurde ihm ein Gegenstand, der sich wie eine Pistole anfühlte, in den Mund gesteckt, ihm wurde seine Hose heruntergezogen und er wurde anschließend mit kaltem Wasser übergossen. Weil er die Fragen nach wie vor nicht beantwortete, wurden ihm zudem zwei bis drei Stromstöße am Arm versetzt , die zunehmend stärker wurden und unangenehm waren. Schließlich wurde er nochmals mit einem Schwall kalten Wassers übergossen. Im Anschluss musste er sich auf den Kellerflur neben zwei Kameraden knien und mit seinem Kopf an die Wand anlehnen. Der Mitangeklagte Ja. versetzte ihnen - und auch weiteren - Rekruten nun mehrfach der Reihe nach Schläge auf den Kopf, woraufhin die Rekruten nacheinander jeweils eine Silbe des Wortes „Budweiser“ nennen mussten.

87
Letzteres musste auch der Zeuge Wa. über sich ergehen lassen, nachdem er zuvor während der Befragung ebenfalls mit Wasser bespritzt worden war. Außerdem war ihm befohlen worden, ein Lied mit dem Titel „Crazy monkey“ zu singen, während ihm mit der Kübelspritze Wasser in den Mund gepumpt worden war, so dass er sich verschlucke. Anschließend wurden auch ihm mehrere Stromstöße versetzt - vier bis fünf am Oberschenkel und weitere vier bis fünf an seinem entblößten Bauch, wodurch sich sein Bein und seine Bauchmuskulatur verkrampften. Als der Zeuge die Fragen weiterhin nicht beantwortete , sondern die Ausbilder als „asozial“ bezeichnete und nach ihnen trat, wurde ihm seine Feldhose bis zu den Knöcheln hinuntergezogen, um seine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Weil seine Boxershorts verrutscht waren, war sein Glied zu sehen. In dieser Situation wurde der Zeuge Wa. fotografiert.
88
Der Zeuge Bla. erlitt Tritte auf seine Beine, so dass er mehrere Tage auf der Krankenstation verbringen musste. Zudem schmerzten und bluteten seine Handgelenke aufgrund der zu streng sitzenden Kabelbinder. Diese wurden ihm zwar schließlich von einem Ausbilder abgenommen, als er sich jedoch gegen eine erneute Fesselung wehrte und erklärte, dass es ja wohl bald reiche, wurde er gepackt, in das Treppenhaus hinaus geschubst und als „Heulsuse“ bezeichnet.
89
hh) Die Kammer vermochte nicht festzustellen, ob die Angeklagten S. und K. wussten, wie das „Verhör“ der Rekruten im Einzelnen ablaufen sollte. Der Angeklagte J. , der am Überfall beteiligt war, rechnete damit, dass die Kleidung der Rekruten während des „Verhörs“ durchnässt wird.
90
ii) Die Übung wurde schließlich von dem Mitangeklagten D. abgebrochen. Bereits nach dem Überfall auf die erste Gruppe des ersten Zuges hatten der Angeklagte K. und die Mitangeklagten D. und H. beratschlagt , ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten nicht abgebrochen werden sollte. Sie entschieden, erst noch abzuwarten und zunächst das „Überfallkommando“ mit zwei Mann zu verstärken. Nachdem aber auch die zweite Gruppe heftigen Widerstand geleistet hatte und nur mit Mühe hatte überwältigt werden können, kamen sie schließlich überein, die folgenden Gruppen nicht mehr zu überfallen und die Übung insgesamt vorzeitig zu beenden.

II.


91
Das Urteil des Landgerichts ist, soweit es den Angeklagten J. betrifft , im Fall B.II.3 der Urteilsgründe aufzuheben und das Verfahren insoweit einzustellen (vgl. dazu BGHSt 46, 130, 135 f.), da diese abgeurteilte Tat in Bezug auf diesen Angeklagten nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage ist. Eine diese Tat wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht erhoben worden. Demnach mangelt es insofern - was von Amts wegen zu prüfen ist - an den Verfahrensvoraussetzungen der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage und demnach an der ordnungsgemäßen Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung.
92
1. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion - st. Rspr., vgl.
nur BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.). Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Die begangene, konkrete Tat muss vielmehr durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. Fehlt es hieran, so ist die Anklage unwirksam (vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGH NStZ 1995, 245 jew. m.w.N.). Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Insoweit können Fehler auch noch in der Hauptverhandlung durch Hinweise entsprechend § 265 StPO geheilt werden (Informationsfunktion - vgl. BGHSt 40, 44, 45; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24 jew. m.w.N.).
93
2. Diesen Anforderungen wird die mit Beschluss des OLG Hamm vom 25. Juli 2006 unter anderem gegen den Angeklagten J. unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage (nachdem das Landgericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2005 insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens insgesamt abgelehnt und auch Bedenken im Hinblick auf die Umgrenzungsfunktion der Anklage geäußert hatte) nicht gerecht. Die von der Kammer im Urteil abgeurteilte rechtlich selbständige Tat im Fall B.II.3 der Urteilsgründe ist betreffend den Angeklagten J. weder im Anklagesatz noch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen hinreichend konkret beschrieben.
94
a) Die Anklageschrift vom 1. Juni 2005 richtete sich insgesamt gegen 18 Angeklagte und legte diesen unterschiedliche Beteiligungen an insgesamt vier rechtlich selbständigen Taten zur Last. Der im Anklagesatz gegen den Ange- klagten J. erhobene Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und mit entwürdigender Behandlung begangen durch „zwei selbständige Handlungen“ erschöpft sich, bezogen auf diesen Angeklagten , allein in der Darstellung des konkreten Lebenssachverhalts im Fall B.II.1 der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1282 f.). Im Fall B.II.3 der Urteilsgründe („vierter Vorfall“ der Anklage - EA Bd. IX Bl. 1283 f.) richtet sich die Anklage indes ausschließlich gegen die (früheren) Mitangeklagten D. , H. , Sc. , Bu. , K. , Mö. , S. , Z. und Ja. . Eine Tatbeteiligung des Angeklagten J. wird insoweit im Anklagesatz nicht geschildert.
95
b) Zwar dürfen bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24; Schneider in KK 6. Aufl. § 200 Rdn. 30; BeckOK-StPO/Ritscher § 200 Rdn. 19 jew. m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass sich aus dem Anklagesatz zumindest Grundlagen einer Tatbeteiligung ergeben. Fehlende Angaben können dann aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen entnommen werden, wenn sie dort eindeutig benannt sind und daraus deutlich wird, dass sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft hierauf erstreckt (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 200 Rdn. 81 m.w.N.).
96
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Im Anklagesatz wird die Person des Angeklagten J. im Zusammenhang mit dem Fall B.II.3 der Urteilsgründe überhaupt nicht erwähnt. Im wesentlichen Ermittlungsergebnis wird demgegenüber im Rahmen der Wiedergabe der Zeugenaussagen und der Angaben des Angeklagten J. in seiner disziplinarischen Vernehmung nicht nur dessen behauptetes Tätigwerden im Fall B.II.3 der Urteilsgründe geschildert (vgl. EA Bd. IX Bl. 1378, 1383, 1410), sondern darüber hinaus auch im Fall B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404 - der nach Ansicht der Kammer nicht Gegenstand der gegen den Angeklagten J. erhobenen Anklage ist, siehe dazu unten Ziffer V.). Zudem sind die diesbezüglichen Ausführungen auch widersprüchlich: Während die Einlassung des Angeklagten J. dahingehend dargestellt wird, dass er seine Beteiligung an den Übungen im Fall B.II.1 („zweiter Vorfall“ der Anklage) und B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1404) eingeräumt habe (EA Bd. IX Bl. 1403 f.), lautet die abschließende Feststellung: „Der Angeklagte J. war, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, im zweiten Fall als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“.
97
Demnach ergibt sich auch aus einer Gesamtschau des Anklagesatzes und des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen nicht hinreichend konkret, ob die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten J. über die Tat im Fall B.II.1 der Urteilsgründe hinaus nun eine Beteiligung im Fall B.II.2 oder im Fall B.II.3 der Urteilsgründe zur Anklage bringen wollte. Damit ist die zweite dem Angeklagten J. vorgeworfene Tat nicht hinreichend beschrieben. Die Umgrenzungs- und Informationsfunktion der Anklage ist nicht gewahrt. Dieser Mangel der Anklage konnte auch nicht im Eröffnungsbeschluss des OLG Hamm vom 25. Juli 2006 behoben werden.
98
c) Das Verfahren ist daher insoweit einzustellen. Dies steht einer neuen, den verfahrensrechtlichen Anforderungen gerecht werdenden Anklage jedoch nicht entgegen.

III.


99
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft, mit denen sie eine Verurteilung der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung - betreffend die Angeklagten S. und K. in drei Fällen und in Bezug auf den Angeklagten J. in einem Fall - erstrebt, haben Erfolg.
100
1. Schon der Ausgangspunkt der Kammer, wonach sie bei der rechtlichen Würdigung des Verhaltens der Angeklagten in den Fällen, in denen diese „nur am Überfall“ (vgl. beispielsweise UA S. 147, 150) auf die Rekruten teilgenommen haben (betreffend den Angeklagten S. in den Fällen B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe, den Angeklagten K. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe und den Angeklagten J. im Fall B.II.1 der Urteilsgründe), ausschließlich auf deren Tätigwerden beim Zugriff abgestellt hat, die nachfolgenden Geschehnisse bei den jeweiligen „Verhören“ indes unberücksichtigt gelassen und sich insofern mit der Frage der mittäterschaftlichen Zurechnung nicht auseinandergesetzt hat, ist rechtsfehlerhaft.
101
a) Ob ein Tatbeteiligter eine Tat als Mittäter begeht, ist nach den gesamten Umständen des konkreten Falles in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür sind der Grad des eigenen Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung sowie die Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille hierzu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr. - vgl. nur BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 13 m.w.N.). Zwar haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Erfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Jedoch werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich , wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 32 m.w.N.). Dabei kann bei einem mehraktigen Geschehen Täter auch derjenige sein, welcher nicht sämtliche Akte selbst erfüllt. Es genügt, wenn er auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Willensübereinstimmung 3). Diese Maßstäbe hat die Strafkammer ihrer rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt.
102
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts wussten die Angeklagten aufgrund der jeweils vorangegangenen Ausbilderbesprechungen, dass die unter anderem von ihnen ausgeführten Überfälle der Ermöglichung der nachfolgenden Befragungen dienten, die im Fall B.I. der Urteilsgründe „etwa so wie in Hammelburg … ablaufen“ (UA S. 23) und sich im Fall B.II.1 der Urteilsgründe „an den Sachen in der Sandgrube orientieren“ (UA S. 45) sollten. Die Urteilsausführungen belegen zudem, dass sämtlichen Beteiligten - insbesondere aufgrund ihrer eigenen Ausbildung bei der Bundeswehr, ihrer Tätigkeit als Ausbilder sowie den damit einhergehenden Lehrgängen und wie das Fehlen einer Nachfrage zeigt - bewusst war, dass die Verhöre - wie auch bei den Geiselnahmeübungen im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ - jeweils unter psychischen und physischen Belastungen erfolgen sollten, um bei den Rekruten Stress zu erzeugen. Auch wenn - was das Landgericht jeweils nicht zu klären vermochte - weitere Einzelheiten dazu von den Beteiligten nicht erörtert wurden und die Angeklagten nach den Feststellungen nicht wussten, was bei den Befragungen letztlich jeweils im Einzelnen geschah, liegt es aufgrund der sonstigen Feststellungen nahe, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten (dazu näher unten Ziffer III.4.b) kommen würde. Jedenfalls legen die gemeinsamen Erörterungen der Geiselnahmeübungen ohne weitere Nachfrage zu den Einzelheiten im Zusammenhang mit der nachfolgenden aktiven Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Übungen nahe, dass ihnen die genaue Vorgehensweise bei den „Verhören“ zumindest gleichgültig war.
103
c) Betreffend den Angeklagten K. kommt hinzu, dass er im Fall B.II.1 der Urteilsgründe und damit vor Fall B.II.2 der Urteilsgründe, bei dem er dem „Überfallkommando“ zugeteilt war (und auch vor Fall B.II.3 der Urteilsgründe, in dem er Marschüberwachung fuhr, dazu unten Ziffer III.2.c), für das „Verhör“ der Rekruten im Keller des Kasernengebäudes eingeteilt war. Bei der dieser Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung wurde darauf hingewiesen , dass sich die für das „Verhör“ eingeteilten Ausbilder - und damit auch der Angeklagte K. - „an den Sachen aus der Sandgrube orientieren“ sollten. Im Anschluss sprach sich der Angeklagte K. mit den weiteren für das „Verhör“ eingeteilten Ausbildern ab, wie der Kellerraum für die geplante Befragung der Rekruten herzurichten sei. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe legt darüber hinaus nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der Angeklagte K. den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren Ausbildern - entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Hätte der Angeklagte K. zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon gehabt, was bei der vorhergehenden Befragung in der Sandgrube geschehen ist, so hätte dies alles nicht erfolgen können. Erst recht hatte er dann aber bei den nachfolgenden Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.2 und 3 der Urteilsgründe eine Vorstellung über den Ablauf der „Verhöre“.
104
d) Absprachegemäß haben die Angeklagten, soweit sie an den „Überfällen“ beteiligt waren, die „Verhöre“ und auch die damit einhergehenden erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit der Rekruten dadurch ermöglicht, dass sie diese überfallen, entwaffnet und gefesselt haben, bevor diese zur Sandgrube oder in den Keller der Kasernengebäude verbracht wurden. Dabei hatten sie bezüglich der konkreten Ausgestaltung dieses Teils der Übung freie Hand. Die Beiträge des „Überfallkommandos“ und derjenigen, die das „Verhör“ durchführten, ergänzten sich - dem Tatplan entsprechend - arbeitsteilig. Die Feststellungen drängen zu der Annahme, dass die Angeklagten bei ihrem eigenen Handeln bei den Überfällen - insbesondere aufgrund der im Rahmen der Ausbildung ansonsten unüblichen nicht nur kurzzeitigen Fesselung mit Kabelbindern und der teils gewaltsamen Überwältigungen - die erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens der Rekruten zumindest billigend in Kauf genommen haben. Die in diesem Zusammenhang festgestellte körperliche Misshandlung der Rekruten wäre dann von ihrem Willen umfasst. Die Vorgehensweise bei den Überfällen und die damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen für die Rekruten unterschieden sich nicht wesentlich von denjenigen der Geschehnisse bei den späteren Befragungen. Allein die Steigerung der Intensität einzelner Handlungen bei den Verhören - wie etwa das Pumpen von Wasser in Mund und Nase bis zur Atemnot oder dem Versetzen von Stromstößen - bewirkt nicht, dass die Geiselnahmeübung insgesamt eine andere, von diesen Angeklagten nicht mehr vorgestellte Qualität der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit gehabt hätte. Aufgetretene Exzesse sind lediglich im Rahmen des Schuldumfangs der einzelnen Beteiligten zu berücksichtigen.
105
e) Der vom Landgericht vorgenommenen Differenzierung zwischen dem Überfall einerseits und dem Verhör andererseits kann daher nicht gefolgt werden. Das Überwältigen der Rekruten ermöglichte erst das anschließende „Verhör“ und bildete einen unverzichtbaren Bestandteil der insgesamt unzulässigen (dazu unten Ziffer III.4.c) Geiselnahmeübung. Die an den Übungen beteiligten Angeklagten müssen sich deshalb die Geschehnisse der gesamten jeweiligen Übung zurechnen lassen, soweit sie von dem gemeinsam gefassten Tatplan gedeckt sind und es sich nicht um einzelne Exzesse handelte. Jedenfalls die von den Rekruten in der Sandgrube beziehungsweise im Kasernenkeller auszuführenden Zwangshaltungen, Kniebeugen, Liegestütze, das Haltenmüssen von Baumstämmen und die Scheinerschießungen stimmen nach den Urteilsfeststellungen nach Art und Intensität der Beeinträchtigung mit den Vorgehensweisen bei den zulässigen Geiselnahmeübungen, die unter anderem in Hammelburg durchgeführt werden, überein, so dass diese vom gemeinsamen Tatplan gedeckt und somit den Angeklagten zurechenbar waren.
106
2. Unzutreffend ist auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte K. sei in den Fällen B.II.1 und 3 der Urteilsgründe mangels eines eigenen Tatbeitrages freizusprechen. Denn der Angeklagte K. leistete auch in diesen beiden Fällen jeweils einen notwendigen, wesentlichen Beitrag zur Durchführung der Geiselnahmeübung entsprechend dem zuvor gefassten gemeinsamen Tatplan der Beteiligten.
107
a) Mittäterschaft kann selbst durch die bloße Beteiligung an Vorbereitungshandlungen begründet werden, sofern der Betreffende auf der Grundlage gemeinsamen Wollens einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dement- sprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt (BGHSt 16, 12,14; 28, 346, 347 f.; BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209]). Ob das der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Betreffenden abhängen (BGH, Urt. vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 499/86 [insofern nicht abgedruckt in BGHSt 34, 209] m.w.N.).
108
b) Der Angeklagte K. , der bei der Ausbilderbesprechung für die Geiselnahmeübung am 24./25. August 2004 (Fall B.II.1 der Urteilsgründe) für die Station „Verhör“ eingeteilt worden war, sprach sich mit den übrigen für das „Verhör“ vorgesehenen Ausbildern ab und legte mit diesen - ohne hierfür nähere Vorgaben bekommen zu haben - eigenständig fest, wie der Raum für diese Station auszustatten war. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe liegt zudem nahe, dass als Ergebnis dieser Unterredung der Angeklagte K. den „Verhörraum“ - allein oder gemeinsam mit den weiteren Ausbildern - auch entsprechend vorbereitet hat oder dies hat machen lassen. Diese absprachegemäße Beteiligung an den Vorbereitungshandlungen begründet vorliegend eine Mittäterschaft des Angeklagten K. , da er auf der Grundlage des gemeinsamen Tatplans einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Beitrag leistete, der sich als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Unerheblich ist dabei, dass der Angeklagte K. letztlich an der Erbringung weiterer, ursprünglich vorgesehener Tatbeiträge im Rahmen der Durchführung der Befragungen aus zeitlichen Gründen nicht mehr mitwirken konnte.

109
c) Bei der Geiselnahmeübung am 1./2. September 2004 (Fall B.II.3 der Urteilsgründe) ging das Tätigwerden des Angeklagten K. weit über bloße Vorbereitungshandlungen hinaus. Vielmehr kontrollierte, überwachte und bestimmte der Angeklagte K. den organisatorischen Ablauf dieser Übung in wesentlichen Teilen mit, indem er nach den Feststellungen gemeinsam mit den Mitangeklagten D. und H. Marschüberwachung fuhr und zusammen mit diesen entschied, ob die Übung wegen des großen Widerstandes der Rekruten abgebrochen werden sollte. Zweifelsohne liegt darin ein eigener Tatbeitrag des Angeklagten K. zu der gemeinsam geplanten Geiselnahmeübung, der die Annahme von Mittäterschaft rechtfertigt.
110
3. Nicht frei von Rechtsfehlern sind auch die Ausführungen der Kammer, wonach sie im Hinblick auf das Geschehen bei den Überfällen jeweils „nach dem Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten nur von dem ausgehen“ könne, „was den Rekruten im Regelfall passiert“ sei „und woran der [jeweilige] Angeklagte … auch nach seiner eigenen Einlassung beteiligt“ war (UA S. 144). Insofern sind die Grundsätze der mittäterschaftlichen Begehungsweise ebenfalls unzulänglich angewendet.
111
Wie bereits dargelegt, haftet jeder Mittäter im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes für das Handeln der anderen. Dabei werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. So verhält es sich hier. Vereinbarungsgemäß „überfielen“, entwaffneten und fesselten die Angeklagten, soweit sie dem „Überfallkommando“ zugeteilt waren (Angeklagter S. : Fälle B.I., B.II.2 und 3 der Urteilsgründe; Angeklagter K. : Fall B.II.2 der Urteilsgründe; Angeklagter J. : Fall B.II.1 der Urteilsgründe) jeweils mit weiteren Ausbildern die unvorbereiteten Rekruten. Bei einem - schon aufgrund der nicht vorhersehbaren Reaktionen der Soldaten - derart unkontrollierbaren Geschehen liegt es gleichfalls nahe, dass die Beteiligten - entgegen der Auffassung des Landgerichts, das insofern von „Ausnahmen“ ausgeht (UA S. 144) - selbstverständlich damit rechneten, dass sich Soldaten zur Wehr setzen könnten und es daher zu tätlichen, auch schmerzhaften, Auseinandersetzungen - wie etwa mit den Zeugen L. , Be. , De. , Kü. , Dz. , Bla. und Ku. - kommen könnte. In diesem Fall hätten die Angeklagten nach den Feststellungen insofern jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt und müssten sich damit diese Geschehnisse zurechnen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sie selbst an der konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen betroffenen Rekruten nicht beteiligt waren.
112
4. Die Beteiligung der Angeklagten an den jeweiligen Geiselnahmeübungen stellt entgegen der Ansicht des Landgerichts eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 30 Abs. 1 WStG, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar. Der Begriff der Misshandlung des § 30 WStG setzt ebenso wie der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten voraus, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt (BGHSt 14, 269, 271; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die Beurteilung der Erheblichkeit bestimmt sich dabei nach der Sicht eines objektiven Betrachters - nicht nach dem subjektiven Empfinden des Betroffenen - und richtet sich insbesondere nach Dauer und Intensität der störenden Beeinträchtigung (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 36 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 223 Rdn. 4a m.w.N.).

113
a) An diesen Maßstäben gemessen stellen - wovon auch die Kammer im Ansatz zutreffend ausgeht (vgl. UA S. 144) - bereits das Überfallen und Überwältigen der Rekruten, ihre Fesselung mit Kabelbindern - erst recht die Fesselung an Händen und Füßen - über einen erheblichen Zeitraum, das Verbinden ihrer Augen, ihr „Verladen“ auf die Ladefläche eines Lkws und der anschließende unzulässige Transport, bei dem die nach wie vor gefesselten Soldaten mit verbundenen Augen teils übereinander lagen und in keiner Weise während der Fahrt gesichert waren, jeweils für sich genommen eine erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens dar. Erst Recht gilt dies für die hierbei teilweise verabreichten Schläge. Dies gilt umso mehr, als die Rekruten nach rund 24 Stunden Dienst und dem mehrstündigen Orientierungsmarsch mit ihrem gesamten Marschgepäck und ihrem Gewehr zumeist ohnehin erschöpft waren.
114
b) Zudem beeinträchtigte die Geiselnahmeübung in ihrer Gesamtheit - sprich die Überfälle und die sich anschließenden „Verhöre“ der Rekruten -, worauf maßgeblich abzustellen ist (vgl. oben Ziffer III.1.e), das körperliche Wohlbefinden der Rekruten mehr als bloß unerheblich. Die Rekruten wurden dieser „Behandlung“ über einen Zeitraum von jedenfalls 30 Minuten unterzogen. Zum Teil waren sie während der gesamten Zeit mit den Kabelbindern gefesselt. Teilweise mussten sie zusätzlich über erhebliche Zeiträume in anstrengenden Zwangspositionen (etwa mit weit vorgebeugtem Oberkörper einem Kameraden gegenüber kniend) verharren (vgl. zur körperlichen Misshandlung durch Zwangshaltungen bereits RMG 3, 119, 121) oder kräftezehrende Übungen (Liegestütze, Kniebeugen, Halten von Baumstämmen) absolvieren, obwohl sie - wie dargestellt - aufgrund der vorangegangenen körperlichen Anstrengungen überwiegend am Ende ihrer körperlichen Möglichkeiten waren und damit die auferlegten Aufgaben und die übrige Behandlung als bloße Quälerei empfinden mussten.
115
c) Die Geiselnahmeübung ist auch eine üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper der betroffenen Rekruten, da sie offensichtlich den geltenden Dienstvorschriften zuwiderlief und es an einem rechtmäßigen Befehl fehlte.
116
aa) Ob eine üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung gegeben ist, entscheidet sich nach dem Wesen des militärischen Dienstes, der seiner Natur nach hohe körperliche Anforderungen an den Soldaten stellt. Mutet ein Vorgesetzter im Rahmen seiner allgemeinen Befugnisse und zu Zwecken der Ausbildung einem Soldaten besondere Anstrengungen zu und verstößt er dabei nicht offensichtlich gegen gesetzliche Bestimmungen, rechtmäßige Dienstvorschriften und Befehle, so fehlt es an einer Misshandlung (BGHSt 14, 269, 271; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 40 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
117
Nach Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dies gilt auch für die Gewährleistung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Gebote bilden die Grundlage der Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 10 Abs. 4 SG) und bedürfen im militärischen Bereich besonderer Beachtung. Nach der eindeutigen Regelung des § 6 Satz 1 SG hat der Soldat die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Gemäß § 6 Satz 2 SG werden die grundrechtlichen Garantien lediglich im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt. Die körperliche Integ- rität der Untergebenen innerhalb der Bundeswehr genießt einen hohen Stellenwert. Es gilt der Grundsatz, dass ein Vorgesetzter seine Untergebenen niemals anfassen darf, außer es steht zur unmittelbaren Durchsetzung eines rechtmäßigen Befehls kein anderes Mittel zur Verfügung (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 41 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BVerwG NVwZ-RR 1999, 321, 322 m.w.N.).
118
bb) Vorliegend stellt die Durchführung der Geiselnahmeübungen jeweils einen klaren Verstoß gegen die geltenden Vorschriften der Bundeswehr und die Grundrechte der betroffenen Rekruten dar. Eine praktische Übung „Geiselnahme /Verhalten in Gefangenschaft“ ist und war auch zur Tatzeit nach den geltenden Ausbildungsregeln der Bundeswehr für die dreimonatige Grundausbildung der Rekruten nicht vorgesehen und damit mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Eine derartige Übung kam ausschließlich im Rahmen der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ für diejenigen Soldaten in Betracht, die als Soldaten auf Zeit, als freiwillig länger Dienende oder als Berufssoldaten , die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen hatten, vor einem Auslandseinsatz standen. Aber selbst diese Spezialübung darf ausschließlich an drei besonderen Bundeswehrstandorten durchgeführt werden. Vorschriftsgemäß hat dem praktischen Teil zudem eine Unterrichtseinheit mit psychologischer Betreuung vorauszugehen. Eine tätliche Konfrontation mit den Soldaten oder gar eine Fesselung ist nicht vorgesehen. Außerdem können die Soldaten die Übung, auf die sie vorbereitet worden sind, durch ein Handzeichen jederzeit beenden.
119
Obgleich unzulässig, wurden vorliegend aber nicht einmal diese Standards für die Durchführung derartiger Spezialübungen beachtet. Eine vorbereitende Unterrichtseinheit fand nicht statt. Die ohnehin zumeist erschöpften Re- kruten wurden nach rund 24-stündigem Dienst und einem kräftezehrenden nächtlichen Orientierungsmarsch außergewöhnlichen, bei solchen Spezialübungen nicht zulässigen zusätzlichen physischen Belastungen (etwa in Form des gewaltsamen Überwältigens mit tätlichen Auseinandersetzungen, der Fesselung oder des ungesicherten Transports auf einem Transporter), aber auch psychischen Belastungen ausgesetzt und damit in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Dies verstieß evident gegen gesetzliche Bestimmungen , Dienstvorschriften und Befehle, § 10 Abs. 4 SG.
120
5. Rechtsfehlerhaft ist aber auch die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 StGB befunden, weil sie von der Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen seien. Denn der Irrtum eines Untergebenen in der Bundeswehr, sein Verhalten sei durch gesetzliche Bestimmungen, Dienstvorschriften oder einen rechtmäßigen Befehl gerechtfertigt, unterfällt dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 44 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
121
a) § 11 Abs. 2 Satz 1 SG verbietet den Gehorsam gegenüber einem Befehl , wenn der Untergebene dadurch eine Straftat begeht. Ein solcher strafrechtswidriger Befehl ist unverbindlich (vgl. BGHSt 19, 231, 232; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 2). Ein Befehl, dem die Verbindlichkeit fehlt, kommt lediglich als Entschuldigungsgrund in Betracht. Der Untergebene, der eine strafrechtswidrige Weisung ausführt, handelt tatbestandsmäßig und rechtswidrig, selbst wenn er an die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Anordnung glaubt (vgl. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts - AT 5. Aufl. § 46 I.2 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 SG und § 5 Abs. 1 WStG trifft einen Untergebenen, der auf Befehl eine rechtswidrige Tat begeht, die den Tat- bestand eines Strafgesetzes verwirklicht, eine Schuld aber nur dann, wenn er erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, oder dies nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 45 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.] m.w.N.).
122
b) Erkennen verlangt hierbei positive Kenntnis, sicheres Wissen (vgl. BGHSt 22, 223, 225 zu § 47 MStGB). Erkennt der Untergebene die Strafrechtswidrigkeit des Befehls nicht, beurteilt er sie unzutreffend oder hat er insoweit Zweifel, so handelt er nur dann schuldhaft, wenn die Strafrechtswidrigkeit nach den ihm bekannten Umständen offensichtlich ist. § 17 StGB ist im Rahmen des § 5 WStG angesichts der ausdrücklichen Regelung der militärischen Befehlsverhältnisse nicht anwendbar (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 46 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BGHSt 5, 239, 244; 22, 223, 225 [zu § 47 MStGB]).
123
Der Begriff „offensichtlich“ ist objektiv zu verstehen. Er umfasst das, was jedermann ohne weiteres Nachdenken erkennt, was jenseits aller Zweifel liegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2). Abzustellen ist damit auf die Erkenntnisfähigkeit eines gewissenhaften, pflichtbewussten Durchschnittssoldaten. Beurteilungsgrundlage für diesen sind allerdings die dem Täter subjektiv bekannten Umstände - und zwar nicht nur die allgemeinen Tatumstände, sondern alle für die Beurteilung des Sachverhalts bedeutsamen Umstände - wie etwa die Kenntnis von vorangegangenen Ereignissen, von Befehlen, Belehrungen, Dienstvorschriften und dergleichen (Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 5 Rdn. 13; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 5 WStG Rdn. 10). Auch wenn einem Untergebenen regelmäßig keine Sachverhaltsprüfungspflicht obliegt (vgl. BGHR WStG § 5 Abs. 1 Schuld 2) und er grundsätzlich zu unverzüglichem Ge- horsam verpflichtet ist, so muss er dennoch Gegenvorstellung erheben oder den Gehorsam verweigern, wenn er aufgrund der ihm bekannten Umstände der Überzeugung ist oder er ohne den berechtigten Vorwurf der Rechtsblindheit die Überzeugung haben müsste, dass der Befehl strafrechtswidrig ist (vgl. Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 5 WStG; BGHSt 19, 231, 233; zum Ganzen bereits Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 47 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]).
124
c) Dies hat das Landgericht nicht in ausreichendem Maße bedacht. Sollte sich das nun zur Entscheidung berufene Tatgericht aufgrund der neu durchzuführenden Beweisaufnahme die Überzeugung davon verschaffen können, dass die Angeklagten - entsprechend der ihnen selbst erteilten Ausbildung - die zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltende AnTrA1 und/oder das Schreiben des Heeresführerkommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 gekannt oder aufgrund anderer Umstände um die Unzulässigkeit einer Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ in der „Allgemeinen Grundausbildung“ gewusst haben, wofür die Diskussion über die Frage der Genehmigung durch den Kompaniechef spricht, so sind sie - unabhängig von ihren persönlichen Beiträgen - insgesamt für ihre Beteiligungen an den jeweiligen Übungen strafrechtlich verantwortlich.
125
Im Übrigen legen bereits die bisherigen Feststellungen - insbesondere die Diskussion unter den Ausbildern über eine Änderung der AnTrA1 in Bezug auf eine künftige Zulässigkeit von Geiselnahmeübungen in der Grundausbildung - den Schluss nahe, dass die Strafrechtswidrigkeit der Übung und der diesbezüglichen „Genehmigung“ des Kompaniechefs für die Beteiligten jedenfalls offensichtlich im Sinne des § 5 Abs. 1 WStG war. Dies gilt umso mehr, als Art und Weise der Durchführung der Übung von den bei der „Einsatzbezogenen Zusatzausbildung“ geltenden Standards abwichen, was die Beteiligten aufgrund bis dahin üblichen Rekrutenausbildungen sowie ihrer eigenen Ausbildung wussten. Für diesen Fall hätten die Angeklagten den strafrechtswidrigen, unverbindlichen Befehl nicht ausführen dürfen.
126
6. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung einer etwaigen Fehlvorstellung hält die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der subjektiven Tatseite sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Zum einen legt die Strafkammer entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde. Zum anderen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts insofern lückenhaft und widersprüchlich.
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a) Die Feststellung der Strafkammer, die Angeklagten seien jeweils von einem im Rahmen der militärischen Ausbildung sozial adäquaten Tun und von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, beruht auf deren Einlassungen, die die Kammer, ohne dass es dafür tatsächliche, objektive Anhaltspunkte gegeben hätte, als unwiderlegt angesehen hat. Da an die Bewertung der Einlassung eines Angeklagten aber die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an die Beurteilung von Beweismitteln, darf der Tatrichter diese seiner Entscheidung nur dann zu Grunde legen, wenn er in seine Überzeugungsbildung auch die Beweisergebnisse einbezogen hat, die gegen die Richtigkeit der Einlassung sprechen können (vgl. BGH NJW 2006, 522, 527 - insofern nicht abgedruckt in BGHSt 50, 331 ff.; Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 51 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Dies hat die Kammer nicht getan.
128
b) Sie hat zwar die zu Gunsten der Angeklagten sprechenden Umstände - wie die Anordnung der Übung durch die Zugführer sowie deren Mitteilung über die Genehmigung durch den Kompaniechef, den Mitangeklagten Sc. - berücksichtigt. Belastende Indizien, die jedenfalls in ihrer Gesamtheit Zweifel an einem Irrtum aufkommen lassen und darauf hindeuten, dass den Angeklagten - ebenso wie den übrigen Beteiligten an dieser Übung - der Verstoß gegen die geltenden, ihnen bekannten Ausbildungsvorschriften der Bundeswehr bewusst und ihnen daher die Rechtmäßigkeit ihres Handelns zumindest gleichgültig war, hat sie aber nicht erkennbar in die Beweiswürdigung eingestellt.
129
aa) So setzt sich die Strafkammer nicht ausreichend mit dem nahe liegenden Gesichtspunkt auseinander, dass sämtliche Angeklagte selbst die Ausbildung bei der Bundeswehr durchlaufen haben und sie daher wissen mussten, dass eine praktische Übung „Geiselnahme/Verhalten in Gefangenschaft“ nicht Bestandteil der „Allgemeinen Grundausbildung“ war und es dazu deshalb auch keine Ausbildungsvorschriften für die Grundausbildung von Soldaten gab. Gänzlich unerörtert bleibt die Tatsache, dass die Angeklagten als Ausbilder eine zusätzliche, weitergehende Ausbildung erhalten hatten und ihnen in diesem Zusammenhang die Ausbildungsziele und die Bestandteile der „Allgemeinen Grundausbildung“ von Rekruten bekannt gemacht sein mussten.
130
bb) Das Landgericht geht außerdem nicht auf die sich aufdrängende Frage nach dem Grund für die Mitteilung der beiden Zugführer D. und H. bei der Ausbilderbesprechung über die „Absegnung“ der Übung durch den Kompaniechef ein. Dies könnte dafür sprechen, dass die Rechtmäßigkeit des Vorhabens Gegenstand der Diskussion war; wenn es hierfür eine allgemein gültige Dienstanweisung gegeben hätte, wäre diese Frage kaum aufgetaucht, sondern einfach hierauf verwiesen worden.

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cc) Unerwähnt lässt die Kammer zudem Folgendes: Nach den Urteilsfeststellungen war es „in der Bundeswehr vorgekommen, dass auch außerhalb (der) drei benannten Ausbildungszentren eine Ausbildung „Geiselnahme /Geiselhaft“ durchgeführt worden war, die nicht der Ausbildung in den Ausbildungszentren der Bundeswehr entsprach und die bei einigen Teilnehmern zu Anzeichen einer Traumatisierung geführt hatte“. Deshalb war in einem entsprechenden Schreiben des Heeresführerkommandos sowie in dem „Befehl 38/10“ auf die Unzulässigkeit derartiger Übungen in der „Allgemeinen Grundausbildung“ und außerhalb der vorgesehenen Ausbildungszentren hingewiesen worden (UA S. 19/20). Angesichts dessen erscheint es auch im Hinblick auf die Gespräche der Ausbilder über eine künftige Änderung der AnTrA1 eher abwegig , dass gerade darüber innerhalb der Kompanie der Angeklagten nicht gesprochen wurde beziehungsweise dies unerwähnt blieb.
132
dd) Letztlich gibt die Kammer auch nicht zu erkennen, worauf sie ihre Auffassung stützt, dass nicht festzustellen war, dass die Angeklagten das Schreiben des Heeresführungskommandos vom 26. Februar 2004 beziehungsweise den „Befehl 38/10“ vom 12. April 2004 kannten. Soweit das Tatgericht lediglich darauf verweist, dass selbst der Mitangeklagte Hauptmann Sc. erklärt habe, dass ihm - obwohl Kompaniechef - beide Schreiben nicht bekannt gewesen seien, genügt dies nicht. Die Kammer hat sich mit der Glaubhaftigkeit dieser Einlassung nicht auseinandergesetzt, obwohl sich die Frage aufdrängen musste, ob dieser Mitangeklagte nicht ein gewisses Eigeninteresse verfolgt. Unberücksichtigt gelassen wird auch die in Behörden und staatlichen Einrichtungen übliche Bekanntmachung derart wichtiger Anweisungen - regelmäßig durch unterschriftliche Bestätigung der einzelnen Empfänger oder Protokollierung der Bekanntgabe unter Mitteilung der hierbei anwesenden Soldaten.
Gerade deshalb erscheint es eher fern liegend und mit einem ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf unvereinbar, dass beide Schriftstücke in dieser Ausbildungseinheit praktisch nicht zur Kenntnis gelangt sein sollen.
133
ee) Im Hinblick auf die Geiselnahmeübungen in den Fällen B.II.1 bis 3 der Urteilsgründe findet außerdem keine Erwähnung, dass nach Durchführung der ersten Übung, an der der Angeklagte S. ebenfalls beteiligt war, eine - nicht näher geschilderte - Nachbesprechung stattgefunden hatte und das Geschehen fotografisch dokumentiert worden war. Hier wäre zu erwarten gewesen , dass diejenigen Beteiligten, deren Vorstellung vom Übungsablauf die tatsächliche Durchführung widersprach, Verwunderung oder Ablehnung im Hinblick auf die erfolgte Behandlung der Rekruten äußerten und sich von diesem Geschehen distanzierten. Jedenfalls liegt es aufgrund dieser Nachbesprechung nahe, dass jedenfalls der Angeklagte S. zumindest bei seiner Teilnahme an den weiteren Übungen sehr wohl wusste, was mit den Rekruten im Einzelnen geschehen wird. Dann musste sich ihm auch mindestens aufdrängen, dass sich jedenfalls einzelne Vorgänge (etwa die Behandlung des Zeugen L. ) nicht im Rahmen einer zulässigen Übung zu Ausbildungszwecken bewegten. Nachdem die weiteren Übungen - wie den Angeklagten bekannt war - vergleichbar ablaufen sollten und sich insbesondere das „Verhör“ jeweils an dem vorhergehenden Geschehen orientieren sollte, spricht wenig dafür, dass die Angeklagten - insbesondere gilt dies für den Angeklagten S. - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch von einer insgesamt zulässigen Übung ausgehen konnten.
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Dies alles hat das Landgericht erkennbar nicht in seine Beweiswürdigung eingestellt.
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c) Zudem weist die Beweiswürdigung Widersprüche auf.
136
aa) Das Landgericht führt aus, auch der Umstand, dass eine solche Übung bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt worden sei, habe den Angeklagten keinen Grund für weitere Nachfragen bieten müssen. Denn „seinerzeit … war in den Kreisen der Ausbilder bereits davon die Rede, dass die AnTrA1 den geänderten Verhältnissen … angepasst werden sollte, so dass in der Allgemeinen Grundausbildung geänderte Ausbildungsinhalte zu erwarten“ gewesen seien (UA S. 145). Die Kammer geht damit davon aus, dass die Ausbilder und damit auch die Angeklagten über eine erst in der Zukunft erfolgende Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert haben. Dann drängt es sich aber gerade auf, dass die Beteiligten - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die AnTrA1 nach den Urteilsfeststellungen im Intranet der Bundeswehr abrufbar und damit für sie ohne weiteres zugänglich war und zudem bereits entsprechende Schulungen für die Ausbilder stattfanden, an denen die Mitangeklagten D. und H. auch schon teilgenommen hatten - sehr wohl wussten, dass zum jeweiligen Tatzeitpunkt eine Änderung eben gerade noch nicht erfolgt und die praktische Geiselnahmeübung daher nach wie vor nicht zulässig war. Denn wenn einerseits über eine erst zukünftige Änderung der Ausbildungsregeln diskutiert wurde, konnte schwerlich angenommen werden, die damals geltenden Regeln seien bereits außer Kraft gewesen. Wieso demnach eine vermutete - wie auch immer geartete - bevorstehende Veränderung der Rechtslage einen Grund dafür bieten sollte, Nachfragen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Übung bereits im Vorfeld zu unterlassen, erschließt sich nicht.
137
bb) Widersprüchlich sind zudem die Feststellungen der Kammer zu Fall B.II.1 der Urteilsgründe, wonach einerseits die Angeklagten K. und J. an der der Geiselnahmeübung vorausgehenden Ausbilderbesprechung teilge- nommen hatten, auf der unter anderem besprochen worden war, dass die Rekruten beim „Verhör“ wieder mit einer Kübelspritze nass gemacht und anschließend , damit sie aufgrund ihrer durchnässten Kleidung nicht frieren, zugedeckt werden sollten. Andererseits „vermochte die Kammer hingegen nicht mit einer für eine Verurteilung … ausreichenden Sicherheit festzustellen“, dass die Angeklagten K. und J. unter anderem damit rechneten, dass die Rekruten jedenfalls wieder mit Wasser aus der Kübelspritze durchnässt werden würden (UA S. 45 f.). Wie die Kammer aufgrund der insofern eindeutigen Feststellungen zum Inhalt der Besprechung zu dieser damit unvereinbaren Annahme kommt, ist nicht nachvollziehbar.
138
d) Unter diesen Umständen war das Tatgericht nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen der Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NJW 2007, 2274; Senat, Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07; Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 59 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]). Die vom Landgericht als unwiderlegbar hingenommene Einlassung, die Angeklagten seien von keiner vorschrifts- oder befehlswidrigen Ausbildung ausgegangen, stellt sich unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Gesichtspunkte als eine eher denktheoretische Möglichkeit dar, die beweiskräftiger Anknüpfungspunkte entbehrt. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274; Senat , Urt. vom 1. Juli 2008 - 1 StR 654/07).
139
7. Schließlich hält die Auffassung des Landgerichts, der Überfall, das Verbinden der Augen, die Fesselung und das Verladen der Rekruten auf einen Transporter stellten keine entwürdigende Behandlung nach § 31 Abs. 1 WStG dar, sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
140
a) Entwürdigende Behandlung ist jedes Verhalten eines Vorgesetzten gegenüber einem Untergebenen, das dessen Stellung als freie Persönlichkeit nicht unerheblich in Frage stellt, das die Achtung nicht unerheblich beeinträchtigt , auf die der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gesellschaft und im besonderen als Soldat innerhalb der soldatischen Gemeinschaft Anspruch hat. Der Untergebene darf keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiert und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 3; Stauf in Nomos - Erläuterungen zum Deutschen Bundesrecht § 31 WStG jew. m.w.N.). Ob eine entwürdigende Behandlung vorliegt, beurteilt sich, wenn die Handlung nicht bereits wegen ihres absolut entwürdigenden Charakters unter § 31 Abs. 1 WStG fällt, aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Tatumstände (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 61 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; BayObLG NJW 1970, 769, 770; vgl. auch Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 3; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 4).
141
b) Daran gemessen unterfallen jedenfalls die einzelnen Geiselnahmeübungen jeweils in ihrer Gesamtheit dem Tatbestand des § 31 Abs. 1 WStG. Insbesondere die Fesselung der Rekruten (vgl. dazu Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 31 Rdn. 5), das Verbinden ihrer Augen, das Verladen der Rekruten „wie Ware“ auf die Ladefläche eines Pritschenwagens, die auf den Helm verabreichten Schläge, um für Ruhe zu sorgen, das Hinknienlassen sowie die schikanösen Zwangshaltungen und Ausdauerübungen, die den nach fast 24-stündigem Dienst und einem anstrengenden Nachtmarsch ohnehin zumeist erschöpften Rekruten befohlen wurden, schließlich die angedrohten (teils mit angesetzter Waffe) und vorgetäuschten Erschießungen (vgl. dazu Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 31 WStG Rdn. 4 m.w.N.) stellen entwürdigende Behandlungen dar, welche zumindest bei einem Soldaten auch zu einer nahezu panischen Angst führten. Dies alles erniedrigte die Rekruten zum bloßen Objekt.

IV.


142
Die Sache bedarf daher die Angeklagten betreffend (in Bezug auf den Angeklagten J. aufgrund der teilweisen Verfahrenseinstellung nur mehr im Fall B.II.1 der Urteilsgründe) der erneuten Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können aufrechterhalten bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind zulässig.
143
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Kostenausspruch des angefochtenen Urteils, soweit es die Angeklagten betrifft, ist durch die insoweit erfolgte teilweise Urteilsaufhebung gegenstandslos (BGH StV 2006, 687, 688).

V.


144
Soweit die Staatsanwaltschaft in Bezug auf den Angeklagten J. zudem rügt, die Kammer habe die ebenfalls angeklagte Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe nicht abgeurteilt, bleibt der Revision der Erfolg versagt. Das Landgericht hat seiner umfassenden Kognitionspflicht genügt. Eine Beteiligung des Angeklagten J. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe war nicht Gegenstand des Verfahrens.
145
1. Die zugelassene Anklage legt den (früheren) Mitangeklagten D. , H. , Sc. , Bu. , K. , Ja. , Mö. , S. und Z. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe („dritter Vorfall“ der Anklage - vgl. EA Bd. IX Bl. 1283) jeweils ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung und entwürdigender Behandlung zur Last. Eine Beteiligung des Angeklagten J. an dieser Tat ist im Anklagesatz nicht erwähnt. Lediglich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wird eine Einlassung des Angeklagten J. dazu dargestellt, in der er seine Beteiligung an dieser Übung und an derjenigen im Fall B.II.1 der Urteilsgründe („zweiter Vorfall“ der Anklage) einräumt (EA Bd. IX Bl. 1403 f.). Im Widerspruch dazu heißt es in der Anklage insofern abschließend: „Der Angeklagte J. war, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, im zweiten Fall als Mitglied des 'Überfallkommandos' und im vierten Fall bei den 'Vernehmungen' im Keller beteiligt“. Eine die Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe wirksam einbeziehende Nachtragsanklage (§ 266 StPO) ist nicht erhoben worden.
146
Die Kammer hat diesbezüglich zwar festgestellt, dass der Angeklagte J. auch an der Geiselnahmeübung im Fall B.II.2 der Urteilsgründe teilge- nommen hatte, erachtete dies jedoch nicht als Gegenstand der gegen ihn erhobenen Anklage (UA S. 56, 151).
147
2. Soweit die Staatsanwaltschaft nunmehr - entgegen der Anklageschrift, in der dem Angeklagten J. ausdrücklich nur zwei Taten zur Last gelegt werden - auch dessen Verurteilung wegen Beteiligung an der (dritten) Tat im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, erstrebt, handelt es sich um eine andere als die wirksam angeklagte Tat.
148
a) Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs. 1 StPO „die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt“. Dieser verfahrensrechtliche Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 29, 341, 342; 34, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Den Rahmen der Untersuchung bildet daher zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 m.w.N.). Vorliegend schildert der Anklagesatz keine Vorgänge, aus denen sich eine Strafbarkeit des Angeklagten J. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe ergeben könnte. Vielmehr wird ausschließlich seine Beteiligung im Fall B.II.1 wiedergegeben. Die uneinheitlichen und teils widersprüchlichen Schilderungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen vermögen eine wirksame Anklageerhebung auch insofern nicht herbeizuführen (vgl. oben Ziffer II.2).
149
b) Unerheblich ist insofern - entgegen der Auffassung der Revision -, dass das Tatgeschehen dieses Vorfalls im Anklagesatz enthalten ist, soweit die Anklage diesbezüglich andere Personen als Täter beschuldigt. Zur Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO gehört zwar nicht nur der in der Anklage umschriebene Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (st. Rspr., vgl. BGHSt 32, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Die Einbeziehung weiterer, von der Anklage nicht beschriebener Vorgänge in den Tatbegriff kommt allerdings nur in Betracht, falls auch der in der Anklage nicht erwähnte, mit dem geschilderten Geschehen eine Einheit ergebende Vorgang das Verhalten desselben Angeklagten betrifft. Denn Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO kann stets nur das dem einzelnen Angeklagten zur Last gelegte Vorkommnis sein (BGHSt 32, 215, 216 f.). Demgemäß kann vorliegend das Geschehen im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, das einen von der Tat B.II.1 der Urteilsgründe trennbaren, sich damit nicht überschneidenden Vorgang darstellt und das mit der Anklage den (früheren) Mitangeklagten des Angeklagten J. zur Last gelegt wird, nicht als Teil der Tat gelten, die den Gegenstand des gegen den Angeklagten J. erhobenen Tatvorwurfs bildet.

VI.


150
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
151
1. Selbst wenn das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Feststellung gelangen sollte, die betroffenen Rekruten hätten ausdrücklich oder konkludent in die gegenständliche unzulässige Geiselnahmeübung eingewilligt , so hätte dies keine rechtfertigende Wirkung. §§ 30, 31 WStG schützen nicht allein das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit beziehungsweise der Würde des Untergebenen, sondern auch die Disziplin und Ordnung in der Bundeswehr. Die ehr- und körperverletzende Behandlung durch Vorgesetzte stellt einen Verstoß gegen die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zum Schutze der Menschenwürde und der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten körperlichen Unversehrtheit dar. Von dieser Verpflichtung kann der für den Staat handelnde Amtsträger oder Bedienstete durch das subjektive Einverständnis des Individualgrundrechtsträgers nicht freigestellt werden (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 66 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BVerwG NJW 2001, 2343, 2344; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30 WStG Rdn. 10 m.w.N.).
152
2. § 30 WStG kann mit § 224 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) stehen. § 30 WStG geht nur § 223 StGB vor, enthält aber keine alle Körperverletzungsdelikte ausschließende Sonderregelung. Dies folgt schon daraus, dass das allgemeine Strafrecht gerade in den schwereren Fällen der Untergebenenmisshandlung nicht durch das WStG gemildert werden darf (Senat, Urt. vom 14. Januar 2009 - 1 StR 158/08 - Rdn. 67 [vorgesehen zum Abdruck in BGHSt 53, 145 ff.]; vgl. auch BGH NJW 1970, 1332 zu § 226 StGB aF; Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz 4. Aufl. § 30 Rdn. 28; Dau in Erbs/Kohlhaas 176. Lfg. § 30 WStG Rdn. 18; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts 2. Aufl. S. 218).
153
3. Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht zu der Auffassung gelangen, eine Strafbarkeit gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 WStG liege nicht vor, so wird es aufgrund der Fesselung der Rekruten für teilweise mehr als 30 Minuten - erst recht aufgrund der Fesselung an Händen und Füßen -, deren Verbringens mit verbundenen Augen auf die Ladefläche des Pritschenwagens und deren begleiteten Abtransports den Straftatbestand der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB, zumindest aber den Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen haben. Nack Wahl Elf Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 596/07
vom
19. Februar 2008
BGHSt: nein
Nachschlagewerk: ja (nur 2.b)
Veröffentlichung: ja (nur 2.b)
_____________________________
Bei einer Vielzahl gleichartiger Wirtschaftsstraftaten genügt der Anklagesatz
regelmäßig dann sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion
, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens
und des gesamten Tatzeitraums hinaus die gleichartigen
Taten gruppiert bezeichnet werden und wenn die Einzelheiten im wesentlichen
Ermittlungsergebnis detailliert (etwa tabellarisch) aufgelistet
werden.
BGH, Beschl. vom 19. Februar 2008 - 1 StR 596/07 - LG Mannheim
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2008 beschlossen
:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 14. Juni 2007 aufgehoben, soweit
festgestellt ist, dass der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender
Rechte der Verletzten unterbleibt, und der Umfang
des aus der Tat Erlangten bezeichnet ist (Nr. 3 des Tenors).
Diese Feststellungen entfallen.
2. Im Übrigen werden die Revisionen der Angeklagten gegen das
vorbezeichnete Urteil verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Betrugstaten im Zusammenhang mit Geldanlagegeschäften verurteilt. Aus den Taten hatten die Angeklagten Geldbeträge erlangt.
2
1. Die Revisionen haben mit der Sachbeschwerde lediglich insoweit Erfolg , dass die Feststellung, wonach der Wertersatzverfall wegen entgegenstehender Rechte der Verletzten unterbleibt, und die Benennung des Umfangs des aus der Tat Erlangten (Nr. 3 des Tenors) entfallen. Es entspricht zwar § 111i Abs. 2 StPO nF, dass der Tatrichter im Urteil feststellen kann, dass nur deshalb nicht auf Verfall erkannt worden ist, weil Ansprüche des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer solchen Anordnung entgegenstehen, und er in diesem Fall das aus der Tat Erlangte oder dessen Wert im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73a StGB zu bezeichnen hat. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnhilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl I 2350 ff.) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht jedoch § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen, wonach insoweit das mildere alte Recht gilt. Denn der Auffangrechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO nF hat trotz seiner Einfügung in die Strafprozessordnung materiell-rechtlichen Charakter. Die Feststellungsentscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO nF stellt die Grundentscheidung für den Auffangrechtserwerb dar und kommt somit einer aufschiebend bedingten Verfallsanordnung gleich. Eine allein auf die Anordnung nach § 111i Abs. 3 StPO nF (Aufrechterhaltung von der Rückgewinnhilfe dienenden Maßnahmen für drei Jahre) gerichtete, beschränkte Feststellungsentscheidung ist in Altfällen ebenso wenig möglich (vgl. zum Ganzen, Senatsbeschluss vom 19. Februar 2008 - 1 StR 503/07 und Urteil des 4. Strafsenats vom 7. Februar 2008 - 4 StR 502/07 m.w.N.).
3
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 28. November 2007 dargelegten Gründen keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
4
Ergänzend bemerkt der Senat:
5
a) Die Rüge - des Angeklagten K. - der Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO (Nichtverlesung von Teilen des ihn betreffenden Anklagesatzes) ist schon deshalb unbegründet, da ein Verfahrensverstoß nicht vorliegt.
6
In dem verbundenen Verfahren waren in der Hauptverhandlung vom Staatsanwalt zwei Anklagesätze zu verlesen. Sie umfassten 30 beziehungsweise 34 Seiten. Jeweils 25 Seiten davon enthielten eine nach Vermittlern geordnete tabellarische Aufstellung der den angeklagten Taten zu Grunde liegenden Vertragsabschlüsse mit den Namen und Anschriften der Geschädigten, dem Anlagebetrag, dem Tag des Zahlungs-, ersatzweise des Vertragsabschlusses und einem Hinweis, welchem der sieben Angeklagten der Abschluss strafrechtlich zuordenbar sei. Diese Aufstellung war in Darstellung und Inhalt in beiden Anklagen vollkommen identisch. Verlesen wurde diese Aufstellung deshalb nur mit einem Anklagesatz. Die Verlesung des anderen Anklagesatzes beschränkte sich auf die übrigen - von der anderen Anklage inhaltlich abweichenden - reinen Textteile.
7
Eine derartige Verfahrensweise ist dann rechtsfehlerfrei, wenn allen Verfahrensbeteiligten - und für die Öffentlichkeit - klar ersichtlich ist, dass die nur einmal verlesene Geschädigtenliste beide Anklagen betrifft. Davon kann im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift hatten sich alle Verteidiger mit der Art und Weise der Verlesung durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft einverstanden erklärt. Die gestraffte Verlesungsform war also Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung. Die Bedeutung der nur einmal verlesenen Listen für beide Anklagen war damit ins Bewusstsein aller gerufen worden.
8
Die hier gewählte Art und Weise des Vortrags der Anklagesätze stellte daher keinen unzulässigen Verzicht auf die Verlesung des Anklagesatzes oder von Teilen hiervon dar. Sie vermied lediglich eine zeitraubende Doppelverlesung , die keinerlei Gewinn im Hinblick auf den Normzweck des § 243 Abs. 3 StPO (vgl. BGH NJW 2006, 3582 Rdn. 11, 45 ff. m.w.N.) mit sich gebracht hätte.
9
b) Der Fall gibt Anlass für folgenden Hinweis:
10
Der nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesende Anklagesatz muss nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die Tat, die dem Angeschuldigten zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften bezeichnen.
11
Die Anklage hat danach die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Umgrenzungsfunktion, vgl. BGHSt 40, 390, 392). Übertriebene Anforderungen dürfen an die Konkretisierung der Tat aber nicht gestellt werden (Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 200 Rdn. 3). Zur Verdeutlichung und ergänzenden Erläuterung des Anklagesatzes darf deshalb auf das wesentliche Ermittlungsergebnis zurückgegriffen werden (BGHSt 46, 130, 134; BGH NStZ 2001, 656, 657). Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten , um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der An- klage erhobenen Vorwurf einzustellen (Informationsfunktion, vgl. BGHSt 40, 44, 47 f.; BGH NStZ 2006, 649, 650).
12
In Fallgestaltungen der vorliegenden Art - Vielzahl gleichartiger Wirtschaftsstraftaten , namentlich Anlagebetrügereien - genügt der Anklagesatz regelmäßig dann sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraums hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet werden und wenn die Einzelheiten im wesentlichen Ermittlungsergebnis detailliert (etwa tabellarisch) aufgelistet werden.
13
Die Gruppierung kann die den jeweiligen Angeklagten betreffenden Taten nach dem gruppenspezifischen Modus Operandi, Zeitraum, Tatort (in Form des räumlichen Bereichs) und den Schadensgruppen (höchster und geringster Einzelschaden sowie durchschnittlicher Tatschaden) zusammenfassen. Die Angabe der Zahl der Tatopfer reicht aus, wenn sich deren Individualisierung und die sie und den jeweiligen Angeklagten betreffenden Taten aus dem wesentlichen Ermittlungsergebnis unverwechselbar ergeben.
14
Eine solchermaßen gruppierte Darstellung genügt nicht nur der Umgrenzungs - und Informationsfunktion des Anklagesatzes, sie wird beiden Funktionen bei der Verlesung in der Hauptverhandlung eher gerecht als das manchmal stundenlange Vorlesen hunderter, zuweilen tausender von Datensätzen, bei dem die Aufmerksamkeit der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit regelmäßig rasch erlahmt.
15
3. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revisionen rechtfertigt es nicht, die Beschwerdeführer - teilweise - von den durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Die Anklageschrift hat den Angeschuldigten, die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen (Anklagesatz). In ihr sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, und der Verteidiger anzugeben. Bei der Benennung von Zeugen ist nicht deren vollständige Anschrift, sondern nur deren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben. In den Fällen des § 68 Absatz 1 Satz 3, Absatz 2 Satz 1 genügt die Angabe des Namens des Zeugen. Wird ein Zeuge benannt, dessen Identität ganz oder teilweise nicht offenbart werden soll, so ist dies anzugeben; für die Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Zeugen gilt dies entsprechend.

(2) In der Anklageschrift wird auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen dargestellt. Davon kann abgesehen werden, wenn Anklage beim Strafrichter erhoben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 42/11
vom
30. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. März 2011 gemäß §§ 206a,
349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 16. September 2010 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 25 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 19 Fällen - Fahrten mit dem Pkw Mercedes Vito, amtl. Kennzeichen - - verurteilt wurde,
b) das Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen schuldig ist,
c) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen, wobei die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten die Staatskasse zu tragen hat, soweit der Angeklagte freigesprochen und das Verfahren eingestellt wurde,
d) das Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass über diese eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung nach den §§ 460, 462 StPO sowie die weiteren Kosten des Rechtsmittels zu treffen ist. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Maßregel nach § 69a StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Beanstandung der Anwendung des sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt wegen eines Prozesshindernisses zu einer teilweisen Verfahrenseinstellung; ferner ist der Angeklagte wegen 19 Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis freizusprechen. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
2
1. Das Verfahren ist in 19 der abgeurteilten 25 Fälle des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen; insofern fehlt es an einer Anklage.
3
a) In den Fällen 1 bis 25 der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage legte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last, zwischen dem 26. September 2009 und dem 13. November 2009 mit dem Pkw BMW, amtl. Kennzeichen - [in der Anklage versehentlich mit - an- gegeben], "nahezu täglich und regelmäßig öffentliche Straßen" befahren zu haben , ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen zu sein. Eine weitere Konkretisierung - etwa im Hinblick auf die vom Angeklagten befahrenen Straßen oder die Tatzeiten - enthält die Anklage nicht.
4
Abgeurteilt wurde der Angeklagte wegen 25 Fällen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, wobei die Strafkammer jedoch nur sechs Fahrten mit dem Pkw BMW als sicher erwiesen erachtet, weitere (mindestens) 19 Fahrten hat der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen mit einem ebenfalls auf ihn zugegelassenen Pkw Mercedes Benz Vito, amtl. Kennzeichen - , unternommen.
5
b) Soweit der Angeklagte wegen der Fahrten mit dem Pkw Mercedes verurteilt wurde, ist das Verfahren wegen eines Prozesshindernisses einzustellen ; sie werden von der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift nicht erfasst.
6
Der Tatbegriff des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entspricht demjenigen des § 264 Abs. 1 StPO. Er umfasst daher alle individualisierenden Merkmale der vorgeworfenen Tat, die erforderlich sind, um diese zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von anderen Lebenssachverhalten abzugrenzen. Dabei lässt die Rechtsprechung zwar eine Herabsetzung der Anforderungen an die Individualisierung zu, wenn anders die Verfolgung und Aburteilung strafwürdiger Taten nicht möglich wäre. Dies ist jedoch als Ausnahme auf Fälle beschränkt worden, in denen typischerweise bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderheiten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können (vgl. BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 12. Januar 2011 - GSSt 1/10).
7
Auf dieser Grundlage waren vorliegend die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten durch die Angabe des Zeitraums, in dem er die Fahrten unternommen haben soll, und das dabei von ihm benutzte Fahrzeug (noch) ausreichend konkretisiert. Jedoch war - da weitere die Taten kennzeichnende Merkmale nicht angegeben wurden - die Bezeichnung des Fahrzeugs unerlässlich, um die Taten ausreichend zu individualisieren. Nur Fahrten mit dem Pkw BMW waren dem Angeklagten zur Last gelegt, zumal sonstige die Tatvorwürfe kennzeichnende Merkmale auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen nicht erwähnt sind. Die 19 Fahrten mit dem Pkw Mercedes, auf den das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ebenfalls keine Hinweise enthält, waren dagegen von der Anklage nicht erfasst. Sie durften daher von der Strafkammer nicht abgeurteilt werden.
8
c) Soweit die Anklage dem Angeklagten zur Last gelegt hat, weitere 19 Fahrten mit dem Pkw BMW unternommen zu haben, ist der Angeklagte freizusprechen.
9
Diesen Freispruch kann der Senat selbst vornehmen (§ 354 Abs. 1 StPO). Denn das Landgericht hat aufgrund einer vollständigen Beweisaufnahme und sorgfältigen Beweiswürdigung festgestellt, dass neben der Unfallfahrt vom 14. November 2009 lediglich sechs Fahrten des Angeklagten mit dem Pkw BMW sicher erwiesen sind (UA 8). Der Senat kann daher ausschließen, dass im Fall einer Zurückverweisung noch Feststellungen getroffen werden können, die zu einer Verurteilung wegen weiterer Fahrten mit dem Pkw BMW führen würden.
10
d) Die teilweise Verfahrenseinstellung und der Teilfreispruch führen zu einer Korrektur und einer Ergänzung des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils. Dies hat die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge. Insofern macht der Senat von der Regelung des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch; über die neue Gesamtstrafe sowie die (weiteren) Kosten des Revisionsverfahrens kann im Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2011 - 2 StR 556/10; zur Kostenentscheidung: BGH, Beschluss vom 9. November 2004 - 4 StR 426/04, NJW 2005, 1205, 1206).
11
2. Im Übrigen hat die Revision des Angeklagten keinen Erfolg.
12
a) Die Bedenken des Revisionsführers gegen die Wirksamkeit der Anklage in den Fällen 1 bis 25, also soweit dem Angeklagten Fahrten mit dem Pkw BMW zur Last gelegt wurden, teilt der Senat - wie sich aus obigen Ausführungen ergibt - nicht.
13
b) Die Verfahrensrügen, mit denen die Rechtsfehlerhaftigkeit der Beschlüsse der Strafkammer vom 13. und 16. September 2010 beanstandet wird (Seite 236 der Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Dr. T. ), sind jedenfalls unbegründet.
14
aa) Die dem Angeklagten als Fall 26 zur Last gelegte und abgeurteilte Tat betrifft einen vom Angeklagten verursachten Verkehrsunfall, bei dem dieser alkoholisiert (BAK von mindestens 1,87 Promille) mit dem Pkw BMW - ohne äußere Einflüsse - bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 140 km/h gegen die Mittelleitplanke einer dreispurigen Bundesautobahn geprallt ist, diese mit seinem Fahrzeug überwunden hat und auf der mittleren Gegenfahr- bahn frontal mit einem Kleinwagen kollidiert ist, dessen Fahrerin an den dabei erlittenen Verletzungen verstarb.
15
Die von der Revision angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts betreffen sich im Kern wiederholende Beweisermittlungsanträge, Beweisanträge und Gegenvorstellungen durch Verteidiger des Angeklagten, mit denen Mängel der Mittelschutzleitplanke geltend gemacht wurden und durch Sachverständigen - und Zeugenbeweis nachgewiesen werden sollte, dass der tödliche Verkehrsunfall auch auf diese Mängel zurückzuführen gewesen sei. Die Strafkammer hat zum Unfallhergang zwar ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten erholt und mehrere Polizeibeamte vernommen, sie ist den oben genannten Anträgen und Anregungen der Verteidiger des Angeklagten über die Befragung des unfallanalytischen Sachverständigen hinaus jedoch nicht gefolgt, weil - wie sie schon in ihrer ersten Entscheidung deutlich gemacht hat - die Beweiserhebung das Urteil nicht beeinflussen würde. Dies stützte sie unter anderem darauf, dass "die etwaige Mitverantwortlichkeit Dritter nicht den Zurechnungszusammenhang zwischen einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten und dem eingetretenen Erfolg entfallen" ließe; in einer anderen angegriffenen Entscheidung führte die Strafkammer zudem aus, dass "eine mögliche 'fehlerhafte' Beschaffenheit der Mittelschutzleitplanke … auch für die Strafzumessung ohne Bedeutung" sei.
16
bb) Die von der Revision angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts lassen Rechtsfehler nicht erkennen.
17
Dies gilt auch und insbesondere, soweit das Landgericht Beweisanträge wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt hat. Denn die Strafkammer hat in ihren Entscheidungen deutlich gemacht, dass die Beweisbehauptung weder den Schuld- noch den Rechtsfolgenausspruch zu beeinflussen vermag und dies zum Schuldspruch auch nachvollziehbar dargelegt. Darüber hinaus war es - zumal hierzu Ausführungen nur "regelmäßig" geboten sind (vgl. Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10 mwN) - vor dem Hintergrund insbesondere der rechtlich zutreffenden Ausführungen der Strafkammer zur Frage des "Zurechnungszusammenhangs" auch zur Wahrung berechtigter Verteidigungsinteressen nicht erforderlich, ausdrücklich zu erklären, ob die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen besteht. Nähere Darlegungen der Strafkammer zu den Auswirkungen der Beweisbehauptungen auf die Strafzumessung waren ebenfalls nicht geboten; vielmehr genügte insofern, dass die Strafkammer zu erkennen gab, dass sie ein "Mitverschulden" Dritter im Falle einer Verurteilung nicht als wesentlichen Strafmilderungsgrund ansieht. Auch zur Frage der (Un-)Vorhersehbarkeit des tödlichen Ausgangs des Unfalls musste sich die Strafkammer nicht weiter verhalten. Diese war Ziel und Gegenstand mehrerer anderer - teilweise schon zuvor oder zugleich abgegebener und abgelehnter - Erklärungen und Anträge zur Häufigkeit von "Durchbruchunfällen" mit tödlichem Ausgang und zudem Gegenstand der Ausführungen des unfallanalytischen Sachverständigen. Es unterlag daher jedenfalls in Verbindung mit der von der Strafkammer ausdrücklich angesprochenen "Mitverantwortlichkeit Dritter" keinem Zweifel, dass das Landgericht die beantragte Beweiserhebung auch in Bezug auf dieses Beweisziel als bedeutungslos ansah.
18
c) Die weiteren Verfahrensrügen haben ebenfalls keinen Erfolg.
19
aa) Die Strafkammer hat ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte "sein Bedauern" darüber bekundet hat, einen Menschen getötet zu haben, dass er dies aber "zunächst nicht ausdrücklich und unmittelbar gegenüber den Nebenklägern getan" habe, sondern im Rahmen einer durch seine Verteidigerin abgegebenen Erklärung und des le tzten Wortes. Diese ersichtlich das Verhalten des Angeklagten in der öffentlichen Hauptverhandlung betreffenden Ausführungen der Strafkammer sind nach dem Revisionsvorbringen - bezogen auf das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung - zutreffend.
20
Soweit der Revisionsführer darüber hinaus eine Erörterung des am ersten Verhandlungstag nach der Erklärung der Verteidigerin vom Nebenklägervertreter übergebenen und anschließend verlesenen "Entschuldigungsschreibens" des Angeklagten in dem Urteil vermisst, hätte es, weil das Landgericht - wie die Revision zutreffend ausführt - maßgeblich auf Form, Adressaten und Zeitpunkt des Bekenntnisses des Angeklagten abgestellt hat, näherer Darlegungen insbesondere dazu bedurft (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), wann der Angeklagte dieses nicht datierte "Entschuldigungsschreiben" den "Hinterbliebenen des Unfallopfers … zugesandt" hat. Denn nur dann ist dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob diesem Schreiben im Rahmen des ohnehin strafmildernd berücksichtigten Bedauerns des Angeklagten eine weitere wesentliche Bedeutung zukommen kann.
21
bb) Dem Unterlassen eines Widerspruchs gegen die Verwertung des Ergebnisses der Blutprobenentnahme beim Angeklagten hat die Strafkammer - auch im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 2011 (2 BvR 1596/10) - zu Recht keine wesentliche Bedeutung für die Strafhöhe beigemessen.
22
cc) Auch die weiteren Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
23
Den Antrag, die Offenkundigkeit bestimmter Presseartikel festzustellen, hat die Strafkammer zu Recht abgelehnt. Wäre Offenkundigkeit gegeben, wäre eine solche Feststellung weder geboten noch erforderlich. Um einen Beweisantrag handelte es sich bei dem Ansinnen schon deshalb nicht, weil der Antragsteller ausdrücklich nicht die Verlesung dieser Artikel wünschte; sein Begehren war daher ersichtlich auch nicht darauf gerichtet, wenigstens den Inhalt der Artikel in der Hauptverhandlung zur Sprache zu bringen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 3, 50).
24
Den später gestellten Beweisantrag auf Verlesung dieser und weiterer Presseartikel hat das Landgericht rechtsfehlerfrei wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Dabei ist es zu Recht davon ausgegangen, dass allein eine "aggressive und vorverurteilende" Berichterstattung für die Strafbemessung regelmäßig keine wesentliche Bedeutung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 1999 - 3 StR 324/99; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 63 mwN). Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn - was indes weder in dem Beweisantrag noch in der Verfahrensrüge behauptet wird - der Angeklagte unter der Berichterstattung in besonderer Weise gelitten hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 5 StR 270/07). Im Übrigen belegen die vorgelegten Presseartikel auch nicht, dass der Druck der medialen Berichterstattung weit über das hinausging, was jeder Straftäter über sich ergehen lassen muss, dessen Fall in das Licht der Öffentlichkeit gerät (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2007 - 1 StR 164/07, NStZ-RR 2008, 343, 344). Dass das Landgericht in seinem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss nicht ausdrücklich mitgeteilt hat, ob es die Bedeutungslosigkeit aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen als gegeben erachtet, stellt auch hier - auf der Grundlage obiger Erwägungen zu dieser Frage - keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.
25
d) Die Sachrüge ist - soweit sie sich zur statistischen Häufigkeit von tödlichen "Durchbruchunfällen" nicht ohnehin auf urteilsfremde Ausführungen stützt - aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 31. Januar 2011 dargelegten Gründen auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidiger in ihren Gegenerklärungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Mutzbauer

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 105/10
vom
11. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 11. Mai
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. Dezember 2009
a) im Schuldspruch dahin geändert und klargestellt, dass der Angeklagte wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung , wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen und wegen Verabredung zu einer besonders schweren räuberischen Erpressung verurteilt wird;
b) im Ausspruch über die Maßregel mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schwerer räuberischer Erpressung , wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen Verabredung zu einer schweren räuberischen Erpressung in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt , dass 18 Monate der verhängten Freiheitsstrafe vor der Maßregel vollzogen werden sollen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Änderung und Klarstellung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung der Maßregelanordnung; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nicht wegen Verabredung zu einem Verbrechen, sondern wegen des Versuchs einer besonders schweren räuberischen Erpressung strafbar gemacht:
3
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte mit weiteren Tatbeteiligten bereits im Zuge der Planung des Überfalls zu Fall II. 3. vereinbart, auf der Rückfahrt von M. am gleichen Tag bei dem Zeugen H. in R. vorbeizufahren, um diesen unter Gewaltandrohung mittels sämtlicher mitgeführter gefährlicher Werkzeuge zur Herausgabe von Betäubungsmitteln zu zwingen. Nach dem Fehlschlag ihres Vorhabens im Fall II. 3. fuhren sie zur Wohnung des Zeugen H. . Da dieser weder auf Klingeln noch auf Klopfen an der Wohnungstür reagierte sowie auf einen Mobiltelefonanruf hin wahrheitswidrig behauptete , nicht zu Hause zu sein, gaben der Angeklagte und die weiteren Beteiligten ihren Tatplan als gescheitert auf.
4
a) Durch das Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür des Zeugen H. haben die Tatbeteiligten, welche die zur Gewaltanwendung vorgesehenen Gegenstände einsatzbereit mit sich führten, nach ihrer Vorstellung bereits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat im Sinne des § 22 StGB liegt bei Handlungen des Täters vor, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen (vgl. BGHSt 26, 201; 32, 236; BGHR StGB § 22 Ansetzen 33; BGH NStZ 1984, 506). Der Versuch schlug mangels Öffnens der Tür durch das Tatopfer fehl.
5
Der Senat hat den Schuldspruch geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können. Die Einzelstrafe ist von der Schuldspruchänderung nicht berührt. Das Landgericht hat die Strafe dem nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen, so dass der Strafrahmen für das versuchte Verbrechen keinesfalls geringer sein kann.
6
b) Die versuchte besonders schwere räuberische Erpressung steht zu der Verabredung des Verbrechens (Fall II. 3. der Urteilsgründe) in Tatmehrheit. Der Senat kann deshalb dahinstehen lassen, ob dies auch gelten würde, wenn es auch im zweiten Fall bei der Verbrechensverabredung geblieben wäre (so BGH NStZ 2010, 209), oder ob in diesem Fall nur von einer Tat der Verabredung zweier Verbrechen ausgegangen werden müsste.
7
2. Das Landgericht hat hinsichtlich aller Fälle rechtsfehlerfrei die Verwendung eines gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB festgestellt, indes im Schuldspruch die notwendige Bezeichnung als "besonders schwere räuberische Erpressung" (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel
4) unterlassen. Dies holt der Senat klarstellend nach.
8
3. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Anordnung auf die Erwägung gestützt, eine Entziehungskur erscheine "auch nicht von vornherein aussichtslos".
10
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Auslegung des § 64 StGB aF bereits im Jahr 1994 für verfassungswidrig erklärt (BVerfGE 91, 1 ff.). Seitdem hat der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen darauf hingewiesen, dass das Abstellen auf ein Merkmal des Fehlens der "Aussichtslosigkeit" rechtsfehlerhaft und in verfassungskonformer Auslegung stattdessen die Feststellung der konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel erforderlich ist. Nach entsprechender Änderung des § 64 StGB durch das am 20. Juli 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) verlangt der Wortlaut des § 64 Satz 2 StGB nunmehr ausdrücklich die konkrete Erfolgsaussicht.
11
Der Rechtsfehler führt - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - hier zur Aufhebung des Maßregelausspruchs und zur Zurückverweisung. Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen.
12
Im Rahmen der erneut vorzunehmenden Prüfung unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) wird das Landgericht ebenfalls zu beachten haben, dass es im Falle der Anordnung der Maßregel für das Ausmaß des Vorwegvollzugs von Strafe gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB auf die im konkreten Fall voraussichtlich notwendige Dauer der Entwöhnungsbehandlung und nicht auf allgemeine Erfahrungswerte der Kammer zu durchschnittlichen Therapiezeiten ankommt.
13
Der Senat schließt aus, dass sich der Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf die Bemessung der Freiheitsstrafe ausgewirkt hat.
Becker Pfister von Lienen
Hubert RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker