Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2018 - 1 StR 239/17

bei uns veröffentlicht am09.01.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 239/17
vom
9. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
ECLI:DE:BGH:2018:090118U1STR239.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Januar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Cirener, Dr. Fischer, Dr. Hohoff,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 22. November 2016 wird verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen einen Dauerarrest von vier Wochen verhängt und ihm verschiedene Weisungen erteilt.
2
Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt die Verurteilung zu einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld.
3
Ihr Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verließ der zur Tatzeit 19 Jahre und acht Monate alte Angeklagte mit drei Begleitern am 5. Juli 2016 gegen 19.30 Uhr das Volksfest in V. . Als sie feststellten, dass sie zu wenig Zigaretten hatten, um gemeinsam rauchen zu können, erklärte der leicht angetrunkene und enthemmte Angeklagte, er gehe zum Zigaretten „schnorren“. Er sprach die Passanten B. und W. auf Zigaretten an, wobei er in der rechten Hand eine fast ausgetrunkene Flasche Bier (0,5 l) hielt. Beide wiesen ihn jedoch ab und setzten ihren Weg fort. Der Zeuge B. , der eine WhatsApp-Nachricht erhalten hatte, blieb stehen und begann , sein Smartphone im Wert von 200 € in beiden Händen haltend, die Nachricht zu beantworten.
5
Der Angeklagte beschloss nun spontan und alkoholbedingt enthemmt, das Smartphone an sich zu bringen. Er trat von hinten an B. heran und schlug ihm von schräg hinten die Flasche gegen den Kopf, wobei der Schlag „aus einer Ausholbewegung wie für einen Schlag mit der bloßen Hand“ erfolgte und den Geschädigten an der linken Kopfseite traf. Die Flasche zerbrach. Dann entriss ihm der Angeklagte mit der linken Hand das Smartphone , um es zu behalten und flüchtete. Kurz vor seiner Festnahme durch die Polizei warf er das Mobiltelefon in ein Gebüsch. Der Geschädigte erhielt das Mobiltelefon zurück. Er hatte durch den Schlag mit der Flasche eine 1 cm lange , tiefe Platzwunde an der linken Schädelseite, eine kleine Risswunde am linken Ohrläppchen und ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades erlitten, das ihm etwa zwei Tage Beschwerden bereitete.
6
2. Die Kammer hat das Vorliegen der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG verneint.
7
Zwar könne das objektive Gewicht der Tat hinsichtlich der Schwere des Unrechts nach allgemeinem Strafrecht, das eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsehe, ein Indiz für die Bejahung der „Schuldschwere“ sein. Jedoch führe dies hier in der Gesamtabwägung mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten nicht zur Bejahung der Schwere der Schuld. In der konkreten Ausgestaltung handele es sich um eine durch ungewohnten Alkoholkonsum enthemmte Handlung des Angeklagten. Dieser habe in einer jugendtypischen Kurzschlusshandlung die „negative Antwort“ des Geschädigten auf sein „Schnorren“ nach Zigaretten als Anlass für eine durchaus heftige Reaktion ge- nommen. Gerade hierin zeige sich das jugendtypische fehlende Nachdenken und Reflektieren in einer Kurzschlussreaktion. Die Tat sei von keinerlei Notwendigkeit getrieben gewesen, da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt mindestens ein Mobiltelefon mit Vertrag besessen und es auch für die erforderlichen Kontakte zu seinem Weisungsbetreuer zuverlässig genutzt habe.

II.


8
Die Nachprüfung des Urteils auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben. Die Jugendkammer hat nicht nur schädliche Neigungen rechtsfehlerfrei verneint, sondern auch die Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG.
9
1. Der Schuldgehalt der Tat ist bei der Deliktsbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen (BGH, Urteil vom 20. April 2016 – 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188, 191). Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs.2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt, sondern es ist in erster Linie auf die innere Tatseite abzu- stellen (BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 – 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407, 408). Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können (BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 155, 156; vom 6. Mai 2013 – 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659; vom 14. August 2012 – 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289, 290 und vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281; Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 226). Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat manifestiert haben (BGH, Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 226).
10
2. Die Jugendkammer hat bei ihrer Bewertung der „Schuldschwere“ im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG diesen Bewertungsmaßstab angelegt. Sie hat insbesondere betont, dass bei der zu treffenden Beurteilung dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat keine selbständige Bedeutung zukommt. Rechtsfehlerhaft wäre es gewesen, die Schwere der Schuld ausschließlich oder wesentlich auf den äußeren Unrechtsgehalt der Tat zu stützen, weil das Entscheidende die innere Tatseite ist, also inwieweit sich charakterliche Haltung, Persönlichkeit und Tatmotivation des Angeklagten in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
11
Die Jugendkammer hat die Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat auch nicht völlig unterlassen, sondern hat in ihre Gesamtbewertung eingestellt, dass das allgemeine Strafrecht für den schweren Raub eine Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorsieht. In diesem Rahmen hat sie erörtert, inwieweit aus der Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat ein Schluss auf die Persönlichkeit des Angeklagten und die Höhe seiner Schuld möglich ist. Sie hat hierbei die Aspek- te der Enthemmung durch ungewohnten Alkoholkonsum, die Spontaneität der Tat als Reaktion auf das abschlägig beschiedene „Schnorren“ nach Zigaretten für sich bzw. seine Begleiter in Gestalt einer „jugendtypischen Kurzschlusshandlung“ benannt sowie die fehlende Notwendigkeit für die Wegnahme des Mobiltelefons, da der Angeklagte ein eigenes besaß.
12
Nicht ausdrücklich eingestellt hat die Jugendkammer (im Rahmen der Prüfung des Maßes der ausgeübten Gewalt bei § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) die Art des Zuschlagens mit der fast leeren Bierflasche. Da das Landgericht jedoch zuvor den gegen die linke Kopfseite des Geschädigten erfolgten Schlag anschaulich mit „aus einer Ausholbewegung wie für einen Schlag mit der bloßen Hand“ von schräg hinten beschrieben hatte, der keine erheblichen Verletzungen des Opfers verursachte, ist auszuschließen, dass ihr dies aus dem Blick geraten sein könnte.
13
Das Landgericht hat damit rechtsfehlerfrei die Ablehnung der „Schuld- schwere“ mit dem Umfang der Schuld des Angeklagten begründet, insbesonde- re mit der Stärke seines verbrecherischen Willens (Kurzschlusshandlung), mit seinen Beweggründen (Reaktion auf das erfolglose „Schnorren“) und mit den Zwecken, die er mit der Tat verfolgte (keine persönliche Bereicherung, sondern eine Art Abstrafen).
14
Zudem kann der Senat den Urteilsgründen, insbesondere den Ausfüh- rungen der Jugendkammer im Rahmen der Prüfung „schädlicher Neigungen“, mit der gebotenen Sicherheit entnehmen, dass selbst dann, wenn die Schuld des Angeklagten als „schwer“ i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG einzustufen wäre, die Verhängung von Jugendstrafe deshalb nicht in Betracht kommen kann, weil dies aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich ist (vgl. BGH, Urteile vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 225 f.; vom 29. September 1961 – 4 StR 301/61, BGHSt 16, 261, 263 und vom 9. August 2000 – 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216; Beschluss vom 20. Januar 1998 – 4 StR 656/97, NStZ-RR 1998, 317, 318); denn die Jugendkammer konnte bei dem Angeklagten keine „Persönlichkeits- oder Erziehungsmängel“ feststellen. Raum Jäger Cirener Fischer Hohoff

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Jan. 2018 - 1 StR 239/17

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(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 320/15
vom
20. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Bei freiwilligem Rücktritt vom Versuch ist die schulderhöhende Berücksichtigung
des zunächst gegebenen Vollendungsvorsatzes im Rahmen der Prüfung
der "Schwere der Schuld" im Sinne von § 17 JGG jedenfalls dann
rechtsfehlerhaft, wenn nicht der Umstand der freiwilligen Abkehr von diesem
Vorsatz gleichermaßen berücksichtigt wird. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam
ergeben das Tatbild, welches in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung
der Schuldschwere zu bewerten ist.
BGH, Urteil vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15 - LG Neubrandenburg
ECLI:DE:BGH:2016:200416U2STR320.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 10. März 2015 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen geriet der zur Tatzeit 20 Jahre und sechs Monate alte Angeklagte am 28. Dezember 2013 gegen 2.00 Uhr in einer Diskothek aus nicht näher feststellbarem Grund mit dem Geschädigten K. in Streit, in dessen Verlauf es zu wechselseitigen Beleidigungen und Handgreiflichkeiten kam. Etwa zwei Stunden später folgte der Angeklagte dem die Diskothek verlassenden Geschädigten und seiner Begleiterin zu deren Fahrzeug und trat „aus Wut“ gegen Scheibe und Fensterrahmen der Beifahrertür des Fahrzeugs, wodurch dieses beschädigt wurde.
3
Nachdem der Geschädigte aus dem Fahrzeug ausgestiegen war und es erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen war, stach der Ange- klagte auf dem Parkplatz einer Diskothek mit einem so genannten „Neckknife“, einem Messer mit einer fünf Zentimeter langen, feststehenden Klinge wuchtig in Richtung des Brustkorbs des Geschädigten K. , um ihn zu töten. Dem Geschädigten gelang es, den Angriff abzuwehren, wodurch er eine Schnittverletzung am linken Unterarm erlitt. Entweder aufgrund einer weiteren Stichbewegung oder "im Ausklang der abgelenkten Ursprungsbewegung" fügte der Angeklagte dem Geschädigten zwei tiefe Schnittverletzungen am Rücken zu und führte weitere ungezielte Bewegungen mit dem Messer in Richtung des Geschädigten aus. Dieser erlitt weitere Schnittverletzungen unter anderem an Kopf und Hals und sank – heftig blutend – zu Boden.
4
Der Angeklagte erkannte, dass er den Geschädigten noch nicht tödlich verletzt hatte, und gab die weitere Tatausführung in dem Bewusstsein auf, dass er den tödlichen Erfolg noch hätte herbeiführen können. Der Geschädigte erlitt infolge des Blutverlusts einen Schock und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Er befand sich drei Wochen in stationärer Behandlung und leidet physisch und psychisch noch immer unter den Tatfolgen.
5
Die Jugendkammer ist zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass der zur Tatzeit alkoholisierte Geschädigte, der aus dem Fahrzeug ausgestiegen war, um den Angeklagten zur Rede zu stellen, ihn im Rahmen der ent- standenen – erneuten – Auseinandersetzung beleidigt hatte und der Angeklagte darüber „sehr erbost“ war.
6
Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch angenommen und hat die Tat als tateinheitliche Vergehen der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und der gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewürdigt; soweit im Rahmen der rechtlichen Würdigung und der Liste der angewendeten Vorschriften § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB angeführt ist, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen.
7
Die Jugendkammer hat gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG auf den Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewendet und eine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld verhängt, weil der Angeklagte dem Tatopfer „aus jedenfalls im Verhältnis zum Ausmaß der Tat nichtigem Anlass mit bedingtem Tötungsvorsatz erhebliche, potentiell lebensgefährliche Verletzungen beigebracht“ habe.
8
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Jugendkammer die Schwere der Schuld auch damit begründet hat, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe, ohne zugleich zu berücksichtigen , dass der Angeklagte vom Versuch des Tötungsdelikts freiwillig zurückgetreten ist.
10
a) Ist der erwachsene Täter vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten , gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten anderen Delikts zu bestrafen, so darf der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden (Senat, Beschluss vom 4. April 2012 – 2 StR 70/12, NStZ 2013, 158; Beschluss vom 7. April 2010 – 2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202; Beschluss vom 14. Mai 2003 – 2 StR 98/03, NStZ 2003, 533; Beschluss vom 13. Mai 1998 – 2 StR 172/98, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 30; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 – 3 StR 372/13, StV 2014, 482; Beschluss vom 20. August 2002 – 5 StR 338/02, StV 2003, 218; Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42, 43, 44 ff.; Beschluss vom 14. November 1995 – 4 StR 639/95, StV 1996, 263; Beschluss vom 16. April 1980 – 3 StR 115/80, MDR 1980, 813; st. Rspr.). Dies trägt dem Grundgedanken des § 24 StGB Rechnung, der im Interesse des Opferschutzes einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für Fälle vorsieht, in denen ein Täter freiwillig die weitere Tatausführung aufgibt oder ihre Vollendung aktiv verhindert. Dieser Gesetzeszweck würde unterlaufen, wenn der auf die Verwirklichung des weitergehenden Delikts gerichtete Vorsatz strafschärfend berücksichtigt würde.
11
b) Zwar ist der Schuldgehalt der Tat bei der Deliktsbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen (MüKo/Radtke, 2. Aufl., § 17 JGG, Rn. 58, 70). Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt. In erster Linie ist vielmehr auf die innere Tatseite abzustellen (Senat, Urteil vom 19. Februar 2014 – 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407, 408). Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 155, 156; Beschluss vom 6. Mai 2013 – 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659; Beschluss vom 14. August 2012 – 5 StR 318/12, StraFo 2012, 469, 470). Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat mani- festiert haben (BGH, Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 226).
12
Auch unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann aber der Umstand , dass der jugendliche oder heranwachsende Täter zunächst mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, im Falle eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch des Tötungsdelikts nicht ohne Weiteres zur Begründung der Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG herangezogen werden.
13
aa) Die Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters wird nach der in § 24 StGB zum Ausdruck kommenden, nicht auf das Erwachsenenstrafrecht beschränkten, sondern auch im Jugendstrafrecht zu beachtenden gesetzgeberischen Wertung nicht durch den Umstand erhöht, dass er zunächst mit Tötungsvorsatz handelte, wenn er vor Erreichen dieses tatbestandlichen Zieles die weitere Tatausführung aus autonomen Gründen freiwillig aufgegeben oder die Tatvollendung aktiv verhindert hat. Mit dem freiwilligen Rücktritt vom Versuch hat er vielmehr dokumentiert, dass sein „verbrecherischer Wille“ nicht ausgeprägt genug gewesen ist, um sein deliktisches Ziel zu verwirklichen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1956 – 5 StR 352/55, BGHSt 9, 48, 52). Die in dem Versuch zunächst zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters erweist sich nachträglich als „wesentlich geringer“ (BGH, aaO; Roxin, 2003, Strafrecht, Allgemeiner Teil Band II, S. 478).
14
bb) Die auf der Tatbestandsebene auch im Jugendstrafrecht uneingeschränkt geltende Regelung des § 24 Abs. 1 StGB zwingt daher dazu, den Umstand des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch in die unter jugendstrafrechtlichem Blickwinkel erfolgende Berücksichtigung des Tatbilds einzustellen, wenn der auf den weitergehenden Erfolg gerichtete Tatvorsatz schulderhöhend berücksichtigt werden soll. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam ergeben das Tatbild, welches in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung der Schuldschwere zu bewerten ist. Die einseitig schulderhöhende Berücksichtigung allein des zunächst vorliegenden Vollendungsvorsatzes bei der Beurteilung der Schwere der Schuld erweist sich demgegenüber als rechtsfehlerhaft.
15
cc) Die Frage, ob die Annahme erheblicher Anlage- und Erziehungsmängel (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154) im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG auch auf den Umstand gestützt werden könnte, dass ein jugendlicher oder heranwachsender Täter zunächst zu einem Angriff auf das Leben eines anderen bereit gewesen ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, weil die Jugendkammer das Vorliegen schädlicher Neigungen verneint und Jugendstrafe allein wegen Schwere der Schuld verhängt hat. Der Senat neigt jedoch der Ansicht zu, dass die Bewertung insoweit keinen anderen Grundsätzen folgen kann.
16
3. Der Senat kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf dem festgestellten Rechtsfehler nicht ausschließen, zumal die Jugendkammer auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne „strafschärfend“ auf den bei Tatbeginn bestehenden bedingten Tötungsvorsatz abgestellt hat.
17
Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer Appl Eschelbach Ott Bartel

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 1 3 / 1 3
vom
19. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Februar
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
der Richter am Bundesgerichtshof
Zeng
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
in der Verhandlung,
Richterin am Landgericht
bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. April 2013 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Adhäsionsentscheidung zu Gunsten des Nebenklägers H. B. getroffen. Seine dagegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sah sich der Angeklagte zusammen mit Freunden am 2. Oktober 2012 die Übertragung eines Fußball- spiels zwischen Galatasaray Istanbul und Sporting Braga im Café Sp. in E. an. Zu ihrer Verärgerung verlor Galatasaray das Spiel, worüber sich der Zeuge Co. , der der Gruppe um die Nebenkläger H. und Hü. B. angehörte, lustig machte. Co. geriet deshalb mit dem Cousin des Angeklagten , dem Zeugen C. in einen verbalen Streit. H. B. versuchte diesen zunehmend heftiger werdenden Streit zu schlichten, geriet dabei aber mitC. in eine körperliche Auseinandersetzung. Um C. zu unterstützen, griff nunmehr auch der Angeklagte ein. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung versetzte H. B. dem Angeklagten einen Faustschlag gegen den Kopf, während H. B. selbst die Schulter ausgekugelt wurde.
3
Nach Trennung der Kontrahenten durch umstehende Personen entfernte sich der Angeklagte und ging in Richtung seines Elternhauses. Da er wegen des erlittenen Faustschlags noch immer wütend auf H. B. war, machte er nach wenigen Minuten aber wieder kehrt, um sich bei H. B. zu revanchieren. Noch vor Erreichen des Cafés Sp. traf er auf seinen Cousin C. , der sich ihm anschloss. Unterwegs zog der Angeklagte ein Butterflymesser aus seiner Hosentasche, öffnete es und hielt es offen vor sich. Einer seiner Freunde , der Zeuge A. , hielt ihn deshalb fest, ließ ihn aber nach Androhung von Schlägen wieder los.
4
Bei der Gruppe um H. und Hü. B. angekommen griff C. sogleich den H. B. an. Dieser war wegen seiner Schulterverletzung kaum wehrfähig, weshalb mehrere Personen aus seiner Gruppe versuchten, den Angeklagten , der ihn ebenfalls angreifen wollte, zurückzudrängen. Hü. B. gelang es schließlich, den Angeklagten festzuhalten und von hinten zu umklammern. Nachdem sich der Angeklagte aufgrund des Eingreifens umstehender Personen aus dieser Umklammerung lösen konnte, stellte er sich frontal vor Hü. B. und stach ihm, dessen Tod billigend in Kauf nehmend, mit voller Wucht in den Brustkorb. Anschließend setzte er weitere Stiche in den Oberkörper und das Gesicht des Hü. B. , der schließlich nicht mehr atmen konnte und sich blutüberströmt vorn über beugte; der Angeklagte wurde festgehalten und weggedrängt.
5
Während oder nach der Auseinandersetzung mit Hü. B. gelang es dem Angeklagten zudem, einen gezielten Stich gegen H. B. zu setzen. Der Stichkanal von sechs Zentimeter Länge verlief tangential zur Hautoberfläche am Schulterblatt.Seinen Freund Al. , der ihn zurückhalten wollte, stach der Angeklagte versehentlich ca. sieben Zentimeter tief in den Rücken.
6
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zum Nachteil des Hü. B. sowie als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zum Nachteil des H. B. gewertet. Das Verfahren wegen der Tat zum Nachteil des Al. hat es gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Gegen den zur Tatzeit 19 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten hat es Jugendstrafrecht angewandt und wegen der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.

II.


7
1. Der Schuldspruch beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Auch sonst sind Rechtsfehler nicht ersichtlich.
8
2. Der Strafausspruch hält indes der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
9
a) Die Jugendkammer ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Das Vorliegen des Anordnungsgrundes des § 17 Abs. 2 Satz 2 JGG versteht sich angesichts der getroffenen Feststellungen aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe von selbst (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13).
10
Die Ausführungen der Jugendkammer lassen zwar nicht erkennen, dass sie sich bewusst war, dass bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zukommt, sondern in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen ist. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist aber jedenfalls insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN; vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289, 290). Dies ist vorliegend ohne weiteres möglich. Der Angeklagte ist - obgleich schon eine gewisse Beruhigung eingetreten und er auf dem Heimweg war - mit einem offen geführten Messer gezielt zur Revanche gegen H. B. geschritten. Er hat sich weder von Freunden abhalten lassen, die sich ihm in den Weg gestellt haben , noch von Hü. B. , dem er mehrere gezielte Stiche in den Oberkörper beibrachte. In der Tat des Angeklagten offenbaren sich daher eine hohe Gewaltbereitschaft und geringe Hemmschwelle zur Begehung einer das Leben gefährdenden Körperverletzung, denn der Angeklagte hat eine schwere und in Bezug auf Hü. B. zudem tödliche Verletzung von mehreren Personen bewusst in Kauf genommen. Vor diesem Hintergrund begründen das Persönlichkeitsbild und die in der Tat zum Ausdruck gekommene charakterliche Haltung des Angeklagten offensichtlich auch die Schwere seiner Schuld.
11
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Erwägungen , mit denen die Jugendkammer die Höhe der Strafe begründet hat.
12
Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe - auch wenn deren Verhängung vollständig auf die Schwere der Schuld gestützt wird - vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).
13
Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht. Die Urteilsgründe verhalten sich zum Erziehungsgedanken nur formelhaft und stellen - wie bei einem Erwachsenen - ausschließlich auf das Gewicht des Tatunrechts und auf die Tatfolgen ab.
14
aa) Den Erziehungsgedanken hat die Jugendkammer nur im Rahmen der von ihr vorgenommenen Gesamtabwägung "aller" - an dieser Stelle nicht ausgeführten - Umstände nach § 18 Abs. 2 JGG erwähnt und gefolgert, dass "zur Ermöglichung der erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten" die Verhängung einer Jugendstrafe in der erkannten Höhe erforderlich sei. Weiter hat sie ausgeführt, dass insbesondere die Verhängung einer "aussetzungsfähigen" Jugendstrafe von bis zu zwei Jahren dafür nicht ausreiche. Eine derartige lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens reicht aber grundsätzlich nicht aus (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 - 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).
15
bb) Den Urteilsgründen lässt sich auch in ihrem Zusammenhang nicht entnehmen, dass die Jugendkammer den Erziehungsgedanken in der erforderlichen Weise beachtet hat.
16
Eine Abwägung von strafzumessungsrelevanten Umständen hat die Jugendkammer überhaupt nur im Rahmen einer vorangestellten Prüfung eines minder schweren Falls des versuchten Totschlags nach § 213 StGB oder der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB vorgenommen. Dies begegnet schon im Ansatz grundsätzlichen Bedenken.
17
Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass - unbeschadet der Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 3 JGG - die Frage, ob nach Erwachsenenstrafrecht ein minder schwerer Fall vorläge, auch für die Bemessung der Jugendstrafe von Bedeutung sein kann, weil darin die Bewertung des Tatunrechts durch den Gesetzgeber zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 1987 - 3 StR 482/87, BGHR JGG § 18 Abs. 1 Satz 3 minder schwerer Fall 3 mwN; Beschluss vom 25. Februar 1992 - 5 StR 36/92, MDR 1992, 631; kritisch dazu Senat, Urteil vom 4. April 2007 - 2 StR 37/07). Die landgerichtliche Erörterung eines minder schweren Falls steht aber in keinerlei Kontext und lässt insbesondere nicht erkennen, dass es sich insoweit nur um eine hypothetische Betrachtung handeln kann, dass bei Anwendung von Erwachsenenrecht ein minder schwerer Fall nicht anzunehmen gewesen wäre. Dementsprechend wird auch nicht deutlich, ob und wenn ja, welches Gewicht das Gericht einem hypothetischen Vergleich beigemessen hat.
18
Die Erwägungen, die das Landgericht im Rahmen dieser Prüfung angestellt hat, lassen auch keine erzieherischen Gesichtspunkte erkennen. Es handelt sich vielmehr vornehmlich um solche, die auch im Erwachsenenstrafrecht für die Bemessung der Rechtsfolgen maßgeblich sind, wie zum Beispiel, dass der Übergriff auf Hü. B. besonders brutal war und zu massiven Verletzungen mit erheblichen gesundheitlichen Folgen geführt hat und dass der Angeklagte mehrere Qualifikationsvarianten der Körperverletzung verletzt hat.
19
Dass bei dem Angeklagten ein Erziehungsbedürfnis vorliegt, welches die Verhängung einer zu verbüßenden Haftstrafe erfordert, versteht sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht von selbst. Zwar erweisen sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie in der Tat zum Ausdruck gekommen sind, für die Bewertung der Schuld als ebenso bedeutsam wie für das Erziehungsbedürfnis (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 1995 - 5 StR 470/94, NStZ-RR 1996, 120). Das Landgericht durfte aber nicht in erster Linie auf das Gewicht des Tatunrechts abstellen, sondern hätte sich nach den getroffenen Feststellungen insbesondere damit auseinandersetzen müssen, ob der Tat nicht Ausnahmecharakter zukommt und ob auch mit Rücksicht auf die bisher problemlos verlaufene Persönlichkeitsentwicklung und Unbestraftheit des Angeklagten die Verbüßung einer längeren Jugendstrafe zu seiner Erziehung erforderlich ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10). Hierbei hätte es auch die Folgen der Verbüßung einer längeren Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten abwägen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 1989 - 1 StR 108/89, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3; BGH, Beschluss vom 14. Januar 1992 - 5 StR 657/91, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 7).
20
c) Das neue Tatgericht hat über die Strafaussprüche deshalb insgesamt neu zu entscheiden. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Fischer Schmitt Krehl Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 5 2 1 / 1 4
vom
17. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Beteiligung an einem Raub
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
17. Dezember 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 28. Juli 2014 - soweit es ihn betrifft - im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen Versuchs der Beteiligung an einem Raub zu einer Jugendstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Ausspruch über die Jugendstrafe hat keinen Bestand. Die Erwägungen , mit denen das Landgericht in vergleichender Beurteilung der Taten nach Erwachsenenstrafrecht das Vorliegen eines minder schweren Falles (§ 249 Abs. 2 StGB) verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Zutreffend ist die Jugendkammer davon ausgegangen, dass sowohl bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG wie bei der Zumessung der konkreten Jugendstrafe der äußere Unrechtsgehalt der Tat insofern von Belang ist, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schwere der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1960 - 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 226). Dabei ist zur Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters das Tatunrecht am Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts heranzuziehen; denn die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts behalten insoweit ihre Bedeutung, als in ihnen die Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck kommt. Dies gilt namentlich dort, wo sich die Tat, nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, als minder schwerer Fall darstellen würde (BGH, Beschlüsse vom 4. November 1987 - 3 StR 482/87, BGHR JGG § 18 Abs. 1 Satz 3 minder schwerer Fall 3; vom 21. August 2012 - 4 StR 157/12, NStZ-RR 2013, 50, ; vom 5. Juni 2013 - 2 StR 189/13, NStZ-RR 2013, 291; vom 8. Januar 2014 - 3 StR 318/13, NStZ 2014, 409; Urteil vom 9. August 2000 - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216).
4
Im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Gesamtwürdigung hat das Landgericht indes den vertypten Milderungsgrund nach § 30 Abs. 1 und 2, § 49 Abs. 1 StGB nicht berücksichtigt.
5
Sieht das Gesetz den Sonderstrafrahmen eines minder schweren Falles vor und ist auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, so muss bei der Strafrahmenwahl zunächst geprüft werden, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung vorab auf die allgemeinen Strafzumessungsgründe abzustellen. Vermögen bereits diese die Annahme eines minder schweren Falles allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist jedoch nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falles abzulehnen, so sind zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin die Anwendung des milderen Sonderstrafrahmens nicht für gerechtfertigt hält, darf er den (allein) wegen des vorliegenden gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrundes herabgesetzten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. April 2010 - 3 StR 106/10, NStZRR 2010, 336 ; vom 5. August 2014 - 3 StR 138/14, juris Rn. 6).
6
Dem wird das angegriffene Urteil nicht gerecht. Die Jugendkammer hat nach einer Gesamtwürdigung der allgemeinen Strafzumessungsgründe das Vorliegen eines minder schweren Falles des Raubes verneint und lediglich eine für den Fall der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht hypothetische Milderung des Strafrahmens nach § 30 Abs. 1 und 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Damit hat es die Prüfung versäumt, ob bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht nicht wegen Vorliegens des vertypten Milderungsgrundes ein minder schwerer Fall nach § 249 Abs. 2 StGB vorläge.
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Gericht dann, wenn es in Anlehnung an das Erwachsenenstrafrecht einen minder schwerer Fall angenommen hätte, nicht auf die Schwere der Schuld erkannt oder jedenfalls eine niedrigere Jugendstrafe verhängt hätte.
Becker Pfister Schäfer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 178/13
vom
6. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: sexueller Nötigung u.a.
zu 2.: Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 357 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 20. Dezember 2012 unter Erstreckung auf die Mitangeklagte J. dahingehend abgeändert, dass
a) die Angeklagte N. der gefährlichen Körperverletzung und der sexuellen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) die Mitangeklagte J. der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Nötigung und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten und die Revision des Angeklagten R. werden verworfen.
3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat die Angeklagte N. und die nicht revidierende Mitangeklagte J. aufgrund verschiedener Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin u.a. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt. Den Schuldsprüchen wegen dieses Delikts in den Fällen III.B.3. und III.B.4. der Urteilsgründe liegt folgendes tatsächliche Geschehen zugrunde:
2
1. Nachdem beide im Zusammenwirken mit dem Angeklagten R. und einem weiteren nicht revidierenden Mitangeklagten die Nebenklägerin über mehrere Stunden misshandelt und gedemütigt hatten, zwangen diese die Nebenklägerin unter Androhung von Schlägen, sich nackt in eine Badewanne zu stellen. Dort führte ihr die Mitangeklagte J. in Anwesenheit und mit Billigung der Angeklagten N. einen mit Gleitgel versehenen Vibrator in den Anus ein. Auf die dadurch hervorgerufenen Schmerzensschreie der Nebenklägerin reagierten sie mit lautem Gelächter (Fall III.B.3. der Urteilsgründe). Einige Zeit später brachten beide die Nebenklägerin unter Drohung mit Schlägen dazu, bei dem Angeklagten R. für einige Minuten den Oralverkehr auszuführen. Da sich bei diesem jedoch keine Erektion einstellte, wurde der weitere Vollzug abgebrochen (Fall III.B.4. der Urteilsgründe).
3
2. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. April 2013 zutreffend ausgeführt hat, belegen diese Feststellungen den Schuldspruch gegen die Angeklagte N. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nicht. Nach der wesentlich auf den Wortlaut „der Täter“ in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB abstellenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht das genannte, eigenständig zu tenorierende Regelbeispiel nur derjenige Tatbe- teiligte, der in eigener Person eine der in der Vorschrift genannten sexuellen Handlungen verwirklicht (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2000 - 2 StR 635/99, NStZ-RR 2000, 326 und vom 21. April 2009 - 4 StR 531/08, NStZ-RR 2009, 278). Tatbeteiligte, bei denen diese eigenhändige Verwirklichung nicht vorliegt, können nicht als Mittäter einer Vergewaltigung verurteilt werden (BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 468/11, NStZ-RR 2012, 45). Die Angeklagte N. hat in keinem der beiden Fälle ein von den Sexualhandlungen der Vergewaltigung erfasstes Verhalten in eigener Person vollzogen.
4
Da jedoch nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen die Voraussetzungen einer sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB jeweils erfüllt waren, war der Schuldspruch entsprechend zu berichtigen. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil die vollumfänglich geständige Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
5
Angesichts der nach den festgestellten Gesamtumständen der sich über rund 24 Stunden erstreckenden Misshandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen der Nebenklägerin ungewöhnlich niedrigen Strafe schließt der Senat aus, dass das Tatgericht zu einer noch geringeren Jugendstrafe gelangt wäre, wenn es in den Fällen III.B.3. und 4. der Urteilsgründe von sexuellen Nötigungen gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB statt von Vergewaltigungen gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen wäre.
6
3. Dass die Angeklagte N. im Fall III.B.3. der Urteilsgründe nicht zusätzlich wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB verurteilt worden ist, weil sie gemeinsam mit der Mitangeklagten J. die Nebenklägerin durch Drohung mit Misshandlungen dazu gezwungen hat, sich zeitlich vor der analen Penetration durch die Mitangeklagte J. den Vibrator selbst vaginal einzuführen, hat sich nicht zu Lasten der Angeklagten ausgewirkt.
7
4. Die Angriffe der Revision der Angeklagten N. gegen die Verhängung einer Jugendstrafe und deren Bemessung dringen nicht durch.
8
a) Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung der Revision, der Anordnungsgrund der „Schwere der Schuld“ in § 17Abs. 2 JGG könne grund- sätzlich lediglich bei „Kapitalstrafsachen“ in Betracht kommen. Dies entspricht nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auch außerhalb dessen bei besonders schweren Straftaten, zu denen gravierende Sexualdelikte gehören können (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56 f. und vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StV 2011, 588 f.), die Verhängung einer allein auf die Schwere der Schuld gegründeten Jugendstrafe zugelassen hat (etwa BGH, Beschluss vom 20. Januar 1998 - 4 StR 656/97, StV 1998, 332, 333; weit. Nachw. bei Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., 2013, Band 6, JGG § 17 Rn. 67).
9
b) Im Übrigen neigt der Senat dazu, bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der „Schwere der Schuld“ gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungs- fähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 JGG noch dessen Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. I/3264 S. 40 re. Spalte/S. 41 li. Spalte) deuten auf ein kumulatives Erfordernis eines solchen Erziehungsbedürfnisses als Anordnungsvoraussetzung der Jugendstrafe hin. Die in § 18 Abs. 2 JGG enthaltene Vorgabe, bei der Bemessung der Jugendstrafe die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich zu machen, betrifft unmittelbar lediglich die Festsetzung der Dauer einer Jugendstrafe, nicht aber die vorgelagerte, in § 17 Abs. 2 JGG (in Verbindung mit § 5 und § 13 Abs. 1 JGG) geregelte Auswahl der jugendstrafrechtlichen Sanktion. Es entspricht zudem ohnehin der gefestig- ten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im Rahmen der Strafbemessung der Jugendstrafe gemäß § 18 Abs. 2 JGG neben der Erziehungswirksamkeit auch andere Strafzwecke, bei schweren Straftaten vor allem das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs, zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1981 - 1 StR 634/81, StV 1982, 121; vom 27. November 1995 - 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 5 StR 486/97; Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290, 291). Dem Gedanken des Schuldausgleichs ist insbesondere bei fünf Jahre übersteigenden Jugendstrafen Bedeutung zugemessen worden, weil bei derartigen Verbüßungszeiträumen eine (weitere) erzieherische Wirkung bezweifelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 1995 - 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f. und vom 20. März 1996 - 3 StR 10/96, StV 1998, 344; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 7. Mai 1996 - 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496 f.).
10
c) Ob faktische Erziehungsfähigkeit und rechtliche Erziehungsberechtigung (bei Heranwachsenden) notwendige Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld sind, bedarf vorliegend allerdings keiner Entscheidung, weil das Tatgericht ohne Rechtsfehler ein Erziehungsbedürfnis bei der Angeklagten festgestellt hat.
11
d) Die Annahme der „Schwere der Schuld“ ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Gerade weil in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dieses Merkmal nicht anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat, sondern der charakterlichen Haltung, der Persönlichkeit und der Tatmotivation des bzw. der Jugendlichen oder Heranwachsenden beurteilt werden soll (etwa BGH, Beschluss vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12, StraFo 2012, 469 f.), versteht sich das Vorliegen dieses Anordnungsgrundes des § 17 Abs. 2 JGG angesichts der getroffenen Feststellungen geradezu von selbst.
12
5. Im Fall III.B.4. der Urteilsgründe ist die Berichtigung des Schuldspruchs gemäß § 357 Satz 1 StPO auch auf die nicht revidierende Mitangeklagte J. zu erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 468/11, NStZ-RR 2012, 45). Diese hat lediglich im Fall III.B.3. der Urteilsgründe durch das anale Einführen des Vibrators in eigener Person eine der in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB genannten Handlungen vorgenommen, nicht aber im Fall III.B.4. der Urteilsgründe. Die Erstreckung ist auch dann vorzunehmen , wenn sich die Schuldspruchberichtigung nicht auf den Rechtsfolgenausspruch auswirkt (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 StR 385/03 mwN).

II.


13
Die Revision des Angeklagten R. bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 4. April 2013 ohne Erfolg.
Wahl Rothfuß Jäger Radtke Zeng
5 StR 318/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. August 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. August 2012

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 12. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die beiden zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten sowie einen erwachsenen, nichtrevidierenden Mittäter wegen unerlaubter bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Gegen den Angeklagten R. hat es eine Freiheitsstrafe, gegen den Angeklagten T. eine Jugendstrafe von jeweils zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Die Revisionen der Angeklagten haben im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen führten die Angeklagten und der Nichtrevident im April 2011 aus Tschechien ca. 106 g Crystal (Wirkstoffgehalt: mindestens 75,4 g Methamphetamin-Base) ein, wobei sie in dem von T. ge- lenkten Pkw eine von ihm ebenfalls in Tschechien erworbene Machete dabei hatten; in seiner Hosentasche hatte T. überdies ein Einhandspringmesser, von dem die beiden anderen Mittäter nichts wussten.
3
2. Während die Schuldsprüche frei von Rechtsfehlern zum Nachteil der Angeklagten sind, halten die Strafaussprüche der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Anwendung allgemeinen Strafrechts auf den zur Tatzeit 19 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten R. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Ob der Täter bei seiner Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendgericht ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGH, Urteil vom 7. November 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 38 mwN). Den dabei anzulegenden Maßstab hat die Jugendkammer bei ihrer Entscheidung indes verkannt. Sie hat darauf abgestellt, dass „Reifeverzögerungen zum Zeitpunkt der Tat, die einen Umfang von etwa 1 ½ Jahren gehabt haben müssten, um die Gleichstellung mit einem Jugendlichen zu rechtfertigen“, nicht zu erkennen seien (UA S. 14). Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist jedoch nicht das Zurückbleiben hinter einem imaginären Durchschnitt von 17-jährigen Jugendlichen (vgl. Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz , 15. Aufl., § 105 Rn. 8). Ein bestimmter, sicher abgrenzbarer Typ des Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, mit dem der Heranwachsende verglichen werden könnte, ist nicht feststellbar (BGH aaO).
6
Maßgebend ist vielmehr, ob sich der einzelne Heranwachsende noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet. Für die Gleichstellung eines heranwachsenden Täters mit einem Jugendlichen ist deshalb entscheidend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind; ob er das Bild eines noch nicht 18-Jährigen bietet, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend (BGH aaO und Urteil vom 29. Mai 2002 – 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand

8).


7
Diesen Maßstab hat die Jugendkammer nicht berücksichtigt. Darüber hinaus hat sie bei der Beurteilung der Reife des Angeklagten ausschließlich auf seine äußerlich verselbständigte Lebensführung abgestellt, ohne deren indizielle Bedeutung für seine „sittliche und geistige Entwicklung“ (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) hinreichend deutlich darzulegen.
8
b) Im Falle des Angeklagten T. sind die Verhängung und die Bemessung der Jugendstrafe nicht ausreichend begründet.
9
aa) Das Landgericht bejaht zum einen schädliche Neigungen des Angeklagten (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG). Es stützt diese Beurteilung alleine auf den Umstand, dass „infolge der mangelnden Wirkung dreier Sanktionen in- nerhalb eines Zeitraums von nur 1 ½ Jahren – die letzte sogar noch etwa einen Monat vor der Tat – “ von „nachhaltigen Persönlichkeitsdefiziten“ auszugehen sei, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten begründeten (UA S. 16). Ohne Mitteilung der näheren Umstände der Taten lassen indes weder die verhängten Sanktionen (in zwei Fällen Arbeitsleistungen, in einem Fall eine geringfügige Geldstrafe) noch die mitgeteilten Bezeichnungen der Taten (in einem Fall Beihilfe zur Sachbeschädigung, in zwei Fällen Diebstahl) ohne Weiteres den Schluss auf Anlage- oder Entwicklungsschäden zu, die so schwer sind, dass deren Beseitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).
10
bb) Zum anderen stützt das Landgericht die Verhängung einer Jugendstrafe auch auf den Gesichtspunkt der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 2. Alt. JGG), die jedenfalls in ihrem Ausmaß nicht ausreichend belegt ist.
Seine Begründung, dass die Verhängung der Jugendstrafe „unter Beachtung des einschlägigen Strafrahmens nach allgemeinem Strafrecht gemäß § 30a BtMG“ erforderlich sei (UA S. 16), ist rechtsfehlerhaft. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN). Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser. Das wird mit dem Hinweis der Jugendkammer, dass bei dem Angeklagten T. im Gegensatz zu seinen Mittätern ein minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG nicht vorgelegen hätte, nur unzureichend dargelegt. Denn die von der Jugendkammer hierfür alleine genannte Begründung, dass T. neben der allen Angeklagten bekannten Machete, deren Mitführung die Qualifikation des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erst begründete, auch ein den anderen verborgenes Springmesser dabei hatte, hätte die Ablehnung eines minder schweren Falles – auch im Hinblick auf die Beurteilung des erheblich vorbestraften Nichtrevidenten – nicht getragen.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 400/09
vom
19. November 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. November 2009
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Mai 2009, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu der Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Das Landgericht hat das Vorliegen schädlicher Neigungen i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG ausschließlich mit den strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten begründet (UA S. 20). Dieser sei in der Vergangenheit immer wieder und 'auch erheblich' strafrechtlich in Erscheinung getreten (a.a.O.). Die Jugendkammer hat es aber versäumt, die Vorverurteilungen inhaltlich darzustellen, so dass eine Beurteilung, ob es sich um erhebliche Straftaten handelte, aus denen sich auf schädliche Neigungen schließen ließe, nicht möglich ist (vgl. BGH Beschluss vom 9. Juni 2009 - 5 StR 55/09). Die bloße Mitteilung der Verurteilungen (UA S. 3) genügt hier schon deshalb nicht, da sich aus den erwähnten jugendstrafrechtlichen Sanktionen keine unmittelbaren Schlüsse auf 'erhebliche' Straftaten ziehen lassen. Die Feststellung schädlicher Neigungen bedarf zudem des Nachweises schon vor der Tat bestehender Persönlichkeitsmängel, die auf die Tat Einfluss hatten, im Zeitpunkt der Entscheidung noch bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.; BGH StV 1998, 331; Brunner /Dölling JGG 11. Aufl. 2002 § 17 Rdn. 12 m.w.N.). Die knappen Angaben zur Person des Angeklagten (UA S. 3) reichen hierzu nicht aus. Gerade angesichts der vom Landgericht im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung angeführten positiven Aspekte (UA S. 22) hätte die Annahme schädlicher Neigungen einer eingehenden Begründung bedurft. Die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld wird von der knappen Begründung im Urteil nicht getragen. Die Kammer stützt ihre Bewertung ausschließlich darauf, dass der Angeklagte einen Verbrechenstatbestand verwirklicht hat und es sich bei der abgeurteilten Tat um ein Gewaltdelikt der schweren räuberischen Erpressung handelt (UA S. 21). Bei der Beurteilung der Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d.h. inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGHR JGG § 18 Abs. 2 Tatumstände 2; Senat NStZ-RR 2001, 215, 216). Ausführungen hierzu enthält das Urteil nicht, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer unmittelbar vom äußeren Unrechtsgehalt auf die 'Schwere der Schuld' i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG geschlossen hat. Auch die konkrete Strafzumessung (UA S. 21) begegnet Bedenken, da aus den Urteilsgründen nicht erkennbar ist, ob die Jugendkammer sich hierbei gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig am Erziehungszweck orientiert hat. Eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens in den Urteilsgründen genügt nicht (BGH StV 1998, 335; vgl. Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. 2002 § 17 Rdn. 7a). Das Landgericht gibt zwar an, dass es sich bei der Bemessung der Jugendstrafe in erster Linie von erzieherischen Erwägungen habe leiten lassen (UA S. 21). Nachfolgend werden jedoch ausschließlich Zumessungserwägungen mitgeteilt, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Auch an anderer Stelle des Urteils finden sich keine Hinweise darauf, dass die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe den Vorrang des Erziehungszwecks beachtet hat. Schließlich hat es das Landgericht unterlassen, den Vollstreckungsstand der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Syke vom 25. November 2008 (UA S. 3) mitzuteilen. Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob die verhängte Strafe nach §§ 105 Abs. 2, 31 Abs. 2 JGG einzubeziehen ist."
3
Dem verschließt sich der Senat nicht. Becker RiBGH von Lienen befindet sich Sost-Scheible im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Mayer

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.