Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 118/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:251017U2STR118.16.0
bei uns veröffentlicht am25.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 118/16
vom
25. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:251017U2STR118.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. November 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Auflösung der Gesamtgeldstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Offenbach vom 17. Mai 2015 sowie unter Aufrechterhaltung der dort angeordneten Maßregel wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz verbotener Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am 20. September 2013 arbeitete der Angeklagte als Türsteher einer Diskothek in F. . Gegen 23.00 Uhr begegneten ihm vor der Diskothek der Zeuge S. und der Geschädigte H. , woraufhin S. den ihm bekannten Angeklagten verbal attackierte. Nach kurzem Wortwechsel begaben sich S. und H. auf eine mehrstündige Kneipentour durch A. , bei der sie der Zeuge T. begleitete. Gegen 4.00 Uhr morgens kam es in einem Club in unmittelbarer Nähe der Diskothek des Angeklagten zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen H. und T. einerseits und den Betreibern des Clubs andererseits. Daraufhin bat der Türsteher des Clubs, der Zeuge P. , den Angeklagten um Hilfe. Gemeinsam gelang es ihnen, H. und T. aus dem Club zu befördern und auf die Straße zu setzen. Dort begegnetenH. und T. wieder dem Zeugen S. .
4
Auf der Straße vor dem Club trafen H. und der Angeklagte erneut aufeinander. Nach einem von H. ausgehenden verbalen Streit kam es zwischen beiden zu einem Gerangel und wechselseitigen Faustschlägen. Zu Gunsten des Angeklagten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass H. den ersten Schlag ausführte. Während der weiteren Auseinandersetzung zog der Angeklagte, ohne dass H. dies bemerkte, ein Messer und stach bzw. schnitt diesem ohne Vorwarnung mindestens vier Mal in den Bauchbereich, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nahm. Zu Herkunft und genauer Beschaffenheit des Messers konnten keine Feststellungen getroffen werden. Der Geschädigte H. erlitt durch die Tat vier Schnittund Stichverletzungen im Bereich des Rumpfes und des Bauchs, die potentiell geeignet waren, einen lebensbedrohlichen Zustand herbeizuführen. Die Zeugen S. und T. hatten die Auseinandersetzung zunächst gemeinsam aus „ein paar Metern Entfernung“ beobachtet. Schließlich zog S. den Geschä- digten H. mit der Aufforderung weg, die Schlägerei zu beenden. Daraufhin äußerte dieser, der Angeklagte habe ihn abgestochen. Auf Nachfrage S. , der die Messerstiche nicht wahrgenommen hatte, zog H.
sein T-Shirt hoch und zeigte S. die erlittenen Verletzungen. Als H. in Richtung des Angeklagten rief: „Warum stichst Du mich ab?“, flüchtete dieser und warf dabei das verwendete Messer an einem unbekannten Ort weg.
5
Der Angeklagte hatte vor seinem Dienstantritt am 20. September 2013 etwa gegen 21.00 Uhr die damals für ihn übliche tägliche Dosis von ca. 2 bis 3 Gramm Kokain konsumiert. Ferner hatte er im Verlaufe des Abends alkoholische Getränke zu sich genommen; die genaue Trinkmenge konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Zum Zeitpunkt der Tat war jedoch weder die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben noch seine Steuerungsfähigkeit (erheblich) vermindert.
6
2. Der Angeklagte bewahrte am 21. September 2013 im Schlafzimmer seiner Wohnung in R. ein Springmesser und zwei Schlagringe aus Metall auf. Dabei war ihm bewusst, dass es sich bei den Waffen um verbotene Gegenstände im Sinne des Waffengesetzes handelte.
7
3. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz verbotener Waffen gewertet. Es hat angenommen , der Angeklagte sei vom Versuch des Totschlags nicht zurückgetreten, da die Tat infolge des Eingreifens des Zeugen S. fehlgeschlagen sei. Die Tat sei auch nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Zwar habe sich der Angeklagte objektiv in einer Notwehrlage befunden, der mehrfache und ohne vorherige Androhung erfolgte Einsatz des Messers sei in der konkreten Kampfsituation allerdings nicht verhältnismäßig gewesen. Auch intensiver Notwehrexzess habe nicht vorgelegen.

II.


8
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
9
Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des angegriffenen Urteils lässt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler erkennen. Im Einzelnen ist auf Folgendes näher einzugehen:
10
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere lässt die Begründung, mit der die Strafkammer die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Zahl der ihm beim Tatgeschehen gegenüberstehenden Personen als widerlegt erachtet hat, keinen Rechtsfehler erkennen.
11
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, zum Tatzeitpunkt hätten auf der Straße vier Personen aus dem Lager des Geschädigten H. auf ihn gewartet, die bereits zuvor an der Auseinandersetzung im Club beteiligt gewesen seien. Demgegenüber ist das Landgericht aufgrund der übereinstimmenden Angaben der Zeugen W. , H. , B. und G. davon ausgegangen, dass es sich im Club um eine Auseinandersetzung mit nur zwei Personen – H. und T. – gehandelt habe. Der die Einlassung stützenden Angabe des Zeugen P. , der – abweichend von seiner polizeilichen Vernehmung – in der Hauptverhandlung angab, im Club habe es eine Auseinandersetzung mit drei Personen gegeben, ist das Landgericht mit tragfähiger Begründung nicht gefolgt.
12
2. Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung stand.
13
a) Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt , wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593, 594). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden. Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (Senat, Beschluss vom 21. November 2012 – 2 StR 311/12, NStZ-RR 2013, 105, 106). Auch der sofortige , das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist der Gebrauch eines Messers jedoch in der Regel anzudrohen, wenn die Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werdenkann (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 mwN). Dies ist auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung zu beurteilen. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO).
14
b) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte hätte in der konkreten Kampfsituation vor dem mehrfachen Einsatz des Messers dessen Gebrauch androhen oder zuwarten müssen, wie der Geschädigte H. auf den ersten Stich reagieren würde, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
15
Das Landgericht hat sich bei seiner Wertung mit allen wesentlichen Umständen auseinandergesetzt. Zur objektiven Kampflage hat es festgestellt, dass der Geschädigte H. erheblich alkoholisiert war und von dem Zeugen P. und dem über mehrjährige Erfahrung als Türsteher verfügenden Angeklagten kurz zuvor ohne größere Schwierigkeiten aus dem Club gedrängt worden war. Es hat außerdem festgestellt, dass die Zeugen S. und T. im Zeitpunkt der (von ihnen nicht wahrgenommenen) Messerstiche die Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem körperlich überlegenen An- geklagten „aus ein paar Metern Entfernung“ beobachteten, ohne einzugreifen oder diesbezügliche Andeutungen zu machen. Die Strafkammer hat auch gesehen , dass dem Angeklagten die Zugehörigkeit des Zeugen S. zu einer gewaltbereiten Fangruppierung ebenso bekannt war wie der Umstand, dass der Zeuge T. an der vorangegangenen Schlägerei im nahen Club beteiligt gewesen war. Im Hinblick auf deren passives Verhalten und angesichts der ersten , deeskalierenden Reaktion des Zeugen S. nach den Messerstichen ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich der Angeklagte keiner zahlenmäßigen Übermacht gegenüber sah (UA S. 40) und erst im Zeitpunkt seiner Flucht nach Offenbarwerden des Messereinsatzes mit dem Eingreifen von S. und T. rechnen musste.
16
Angesichts dieser Umstände konnte das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass der Angeklagte gehalten war, den Messereinsatz gegen- über dem unbewaffneten Geschädigten anzudrohen, ohne dadurch eine Verschlechterung seiner Verteidigungsmöglichkeiten befürchten zu müssen.
17
3. Auch die Erwägungen, mit denen die Strafkammer bei dem Angeklagten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint hat, begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere konnte das Landgericht von einer Schätzung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit absehen.
18
a) Fehlen zuverlässige Berechnungsgrundlagen für die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit, ist der Tatrichter zwar gehalten, sich unter Beachtung des Zweifelssatzes eine Überzeugung davon zu verschaffen, welche Höchstmenge aufgenommenen Alkohols nach der Sachlage in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 – 4 StR 332/92, StV 1993, 466; Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258). Bei Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte ist eine Schätzung zulässig und geboten (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 – 4 StR 332/92; Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, jeweils aaO). Der Tatrichter ist aber nicht verpflichtet, Sachverhalte zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, für die es keinen begründeten Anhalt gibt (BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 4 StR 397/14, juris Rn. 8). Lassen sich nach Erschöpfung aller Beweismöglichkeiten keine Erkenntnisse darüber gewinnen, dass der Täter erheblich alkoholisiert war, ist daher volle Schuldfähigkeit anzunehmen (BGH, Urteil vom 15. September 1987 – 5 StR 260/87, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 9).
19
b) Daran gemessen war das Landgericht nicht gehalten, die Trinkmengenangaben des Angeklagten einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration zugrunde zu legen. Das Landgericht ist zwar davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Verlauf des Tatabends Alkohol zu sich genommen hat. Die Einlassung des Angeklagten, er habe im Verlauf des Abends ca. sechs bis sieben Gläser Whiskey-Cola je 0,5 Liter getrunken, hat das Landgericht aber aufgrund der Angaben des Zeugen We. als „zu hoch angesetzt“ angesehen (UA S. 33). Konkrete Feststellungen zum Trinkverhalten des Angeklagten am Tattag konnten nicht getroffen werden (UA S. 11, 43). Damit fehlte die für eine Schätzung der Blutalkoholkonzentration erforderliche ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses.
RiBGH Dr. Appl ist krank- Eschelbach Zeng heitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach
Bartel Grube

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 118/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 118/16

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2017 - 2 StR 118/16 zitiert 5 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Referenzen - Urteile

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bei uns veröffentlicht am 07.10.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR397/14 vom 7. Oktober 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen versuchten besonders schweren Raubes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführe

Referenzen

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 138/16
vom
22. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2016:220616B5STR138.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. November 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und das spätere Tatopfer I. in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht. Beide stammten aus Eritrea und teilten sich mit weiteren Landsleuten eine Wohnung. Am Abend des 12. Januar 2015 erschien I. im Zimmer des Angeklagten und forderte ihn auf, mit ihm zu kommen. I. hatte zuvor mit einem Mitbewohner und dessen Freund das Abendessen zubereitet und sich beiden gegenüber mit der Äußerung verabschiedet, kurz noch Zigaretten einkaufen zu gehen.
3
Ohne genau zu wissen, was I. von ihm wollte, folgte ihm der Angeklagte aus der Wohnung in einen Hinterhof des Gebäudekomplexes. Dort trat I. unvermittelt an ihn heran und schlug ihm dreimal ins Gesicht, sodass der Angeklagte kurzzeitig zu Boden ging. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem es I. gelang, den Kopf des Angeklagten unter seinen Arm in einen „Schwitzkasten“ zu drücken. In dieser Position rangen beide weiter miteinander, wobei I. den Angeklagten mit seinen Knien attackierte.
4
Der von dem Angriff völlig überraschte Angeklagte bekam Luftnot. Er ertastete ein bei I. im Hosenbund steckendes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 15 cm und ergriff es. Damit stach er ihm aus der andauernden Position des „Schwitzkastens“ heraus viermal mit bedingtem Tötungsvorsatz in die Hals- und Oberkörperregion. Nachdem I. die Umklammerung aufgrund der Stiche, von denen zwei tödlich wirkten, gelöst hatte, konnte sich der Angeklagte befreien. Er versetzte ihm abermals mit bedingtem Tötungsvorsatz noch einen weiteren Stich, der den Kopf traf und nicht todesursächlich war.
5
Infolge der gegen die Hals- und Oberkörperregion gerichteten Stiche, die bis in die Brusthöhle reichten und insbesondere zu einer Verletzung der Aorta mit einem massiven Blutverlust führten, sackte I. zusammen. Der Angeklagte ließ das tödlich getroffene Opfer am Tatort zurück und entsorgte das Tatmesser in einem nahgelegenen Bach. Anschließend kehrte er in die Unterkunft zurück, wo er mit seinem Mitbewohner und dessen Freund zu Abend aß, ohne sich etwas anmerken zu lassen.
6
2. Die Schwurgerichtskammer hat hinsichtlich der Messerstiche eine objektive Notwehrlage angenommen, ohne zwischen der Serie der ersten vier Stiche gegen die Hals- und Oberkörperregion und dem nachfolgend gegen den Kopf geführten Stich zu unterscheiden. Jedoch fehle es an der Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung. Der Angeklagte habe die Möglichkeit gehabt, in weniger sensible Körperteile des Opfers wie etwa dessen Bein zu stechen und den Angriff auch schon durch einen einzigen Stich endgültig zu beenden (UA S. 6, 22).

II.


7
Der Schuldspruch hat keinen Bestand, da das Landgericht bei seiner Prüfung der Notwehr den anzulegenden rechtlichen Maßstab nicht rechtsfehlerfrei auf die Feststellungen angewendet hat.
8
1. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100; vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 148, und vom 1. Juli 2014 – 5 StR 134/14, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 22 mwN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung ex ante der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH, Urteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140, und vom 8. Juni 2016 – 5 StR 564/15 mwN; Beschluss vom 21. August 2013 – 1 StR 449/13, NJW 2014, 1121, 1122). Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt sein. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur dann zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht. Die mildere Einsatzform muss im konkreten Fall eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2003 – 3 StR 458/02, NStZ 2004, 615, 616, und vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20; Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 15). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Können keine sicheren Feststellungen zu Einzelheiten des Geschehens getroffen werden, darf sich das nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, aaO; Beschluss vom 15. November 1994 – 3 StR 393/94, NJW 1995, 973).
9
2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet nach diesen Grundsätzen die Annahme der Schwurgerichtskammer, die Messerstiche, die der Angeklagte seinem Kontrahenten in der Position des „Schwitzkastens“ ver- setzte, in der er Luftnot verspürte und mit den Knien gestoßen wurde, seien nicht erforderlich gewesen. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift unter anderem ausgeführt: „Stiche in die Beine hätten nicht zwingend dazu führen müssen, dass das Tatopfer den Griff um den Hals des Angeklagten gelockert hätte. Eine Verletzung am Bein hätte grundsätzlich einer weiteren Umklammerung des Angeklagten mit dem rechten Arm nicht entgegengestanden. Da die Beine des Geschädigten zudem in Bewegung waren, erscheint es eher fernliegend, dass der Angeklagte darauf vertrauen konnte, den Angreifer in einer Weise in ein Bein zu stechen, die diesen zur Lockerung des Griffs veranlasst hätte.
Weiter ist unklar, ob dem Angeklagten in seiner Position ein koordinierter Stich in die Extremitäten überhaupt möglich gewesen wäre und er dies in der Hektik und Dynamik des affektiv aufgeladenen Geschehens erkannt hat. Eine erfolgversprechende Verteidigung mit einem Messer setzt dagegen typischerweise die Ausnutzung des Überraschungsmoments und den sofortigen Einsatz gegen zentrale Körperregionen des Angreifers voraus. Anderenfalls muss zumindest ein mit dem Messer ungeübter Angreifer damit rechnen, dass zurückhaltend geführte Stiche den Angreifer in Ermangelung ausreichender (Sofort-)Wirkung unbeeindruckt lassen. Der ultimative Charakter des lebensgefährlichen Waffeneinsatzes verpflichtet den Verteidiger nicht dazu, mit seiner Zurückhaltung entgegen den allgemeinen Prinzipien des Notwehrrechts bis zur Selbstgefährdung zu gehen (vgl. Erb in Münchener Kommentar, 2. Aufl., § 32 Rn. 167 mwN, 168). Rechtlich gleichermaßen fragwürdig erscheint die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe auch dadurch die Grenze der erforderlichen Verteidigung überschritten, dass er nicht nur einmal, sondern mehrfach auf Hals und Oberkörper eingestochen habe. Die damit implizierte These, der Angeklagte hätte zunächst die Wirkung eines ersten lebensgefährlichen Stiches abwarten müssen, bevor er mit dem Messer weiter gegen den Angreifer vorging, teilt die Bundesanwaltschaft nicht. Unter Berücksichtigung der situativen Hektik und seiner durch akute Atemnot gekennzeichneten Lage durfte der Angeklagte durchaus mehrfach auf seinen aggressiven Kontrahenten in Oberkörper- und Halsbereich einstechen, und zwar so lange, bis dieser den Griff um den Hals lockerte. Gerade in zugespitzten Situationen ist eine schnelle Wiederholung der Abwehrmaßnahme zur Verteidigung vielfach erforderlich. Bei Messer- stichen ist es (…) kein seltenes Phänomen, dass der Angreifer selbst nach Eintritt schwerer Verletzungen noch mehrere Sekunden voll aktionsfähig bleibt, in denen er dem Verteidiger seinerseits gravierende Verletzungen zufügen kann. Um dieses naheliegende und nicht hinnehmbare Risiko auszuschalten und eine insgesamt ausreichende Effektivität der Verteidigung sicherzustellen , muss man dem in unmittelbarer Bedrängnis befindlichen Verteidiger jedenfalls bei Angriffen gegen den Hals regelmäßig gestatten, ohne zwischenzeitliches Innehalten meh- rere schnell aufeinanderfolgende Stiche anzubringen.“
10
Dem folgt der Senat.
11
3. Der fünfte Stich des Angeklagten gegen den Kopf seines Opfers war hingegen nach den allerdings knappen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen , die das Landgericht im Wesentlichen auf eine unwiderlegte Einlassung des Angeklagten gestützt hat, nicht mehr durch Notwehr gerechtfertigt. Insoweit ist schon nicht ersichtlich, dass noch eine Notwehrlage vorgelegen haben könnte. Der Angeklagte hatte sich aus der Bedrängnis des „Schwitzkastens“ befreien können und weitere Gewalthandlungen gingen von seinem be- reits tödlich getroffenen Kontrahenten nicht mehr aus.
12
4. Über die Sache ist daher neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Sander Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, zu Ziffer 2. auf dessen Antrag, und des Beschwerdeführers am
21. November 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Nebenklägers H. gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. Der Nebenkläger H. hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision; der Nebenkläger H. begehrt mit der Sachrüge die Verurteilung des Ange- klagten wegen versuchten Totschlags. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung des Nebenklägers H. hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Auf das Rechtsmittel des Angeklagten war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen der zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte und sein Freund K. H. , die beide von dunklerer Hautfarbe sind, am 21. Mai 2011 gegen 0.30 Uhr auf dem Gelände der Fachhochschule W. auf die Geschädigten G. und H. . Der Angeklagte und K. H. saßen auf einer Bank und tranken Alkohol, G. und H. befanden sich auf dem Rückweg von einer Tankstelle, wo sie für eine in den nahe gelegenen Schrebergärten stattfindende Grillfeier Grillkohle und Bier gekauft hatten. Es entwickelte sich aus einer Distanz von etwa 10 Metern eine Diskussion zwischen G. und K. H. , in deren Verlauf G. zu diesem sagte "Du fühlst dich wohl cool, Nigger". Als K. H. "Verpisst Euch!" erwiderte, begab sich G. zu der Sitzbank. Während der verbalen Auseinandersetzung oder kurz zuvor hatte der Geschädigte H. einen Anruf von einem weiteren Partyteilnehmer erhalten, dem H. mitteilte, dass es noch Ärger mit zwei auf einer Bank sitzenden Personen geben könne, auf den sie sich aber nicht einlassen würden; Hilfe sei nicht nötig. K. H. und der Angeklagte missverstanden das Telefonat allerdings dahingehend, dass H. Hilfe herbeirief. Deshalb telefonierte K. H. mit einem Freund, um diesen als Verstärkung herbeizurufen. Noch während dieses Gespräches erhielt er von G. , der von großer Statur war (2,00 m, 100 kg), einen Schubs oder Stoß gegen die Brust. Nicht ausschließbar versetzte G. dem K. H. auch Faustschläge, die dieser erwiderte. Nunmehr schlug auch der Geschädigte H. auf K. H. ein, der sich zwar wehrte, jedoch bald zu Boden ging. Der Angeklagte, der seinem Freund helfen wollte, zog zu diesem Zweck aus seiner Bauchtasche ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von knapp 7 cm, das er für etwaige Auseinandersetzungen mit sich führte, klappte es auf und begab sich in Richtung der anderen Beteiligten. G. , der das Messer nicht bemerkt hatte, wendete sich nunmehr dem Angeklagten zu und schlug auch diesem ins Gesicht, während H. auf den am Boden liegenden K. H. eintrat. Als H. von dem inzwischen bewusstlosen K. H. abließ und sich zusammen mit G. dem Angeklagten zuwenden konnte, stach dieser, um den Angriff zu beenden, zunächst drei Mal mit Verletzungsvorsatz auf G. ein, der zwei Stiche in das rechte Bein und einen in die linke Gesäßrückseite erlitt. Unmittelbar darauf versetzte der Angeklagte dem Geschädig ten H. mit bedingtem Tötungsvorsatz einen Stich in die linke Brust. H. lief von dem Angeklagten weg und wählte um 0.40 Uhr einen Notruf. Der Angeklagte erkannte, dass er H. noch nicht tödlich verletzt hatte, setzte ihm aber trotz bestehender Möglichkeit nicht nach, da er mit der Abwehr der beiden Angreifer sein vorrangiges Ziel erreicht hatte.
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G. erlitt durch die Stiche in den Oberschenkel eine Verletzung der großen Beinarterie und der großen Beinvene, die zu einer starken Blutung führte ; er verstarb wegen des Blutverlustes innerhalb weniger Minuten an Kreislaufversagen. H. erlitt eine lebensgefährliche Verletzung der Lunge, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden.
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2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr bzw. Nothilfe abgelehnt hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Das Landgericht ist der Ansicht, dass zwar eine Notwehr- bzw. Nothilfelage vorgelegen habe, das Vorgehen des Angeklagten aber keine erforderliche Verteidigung im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB gewesen sei. Der Angeklagte habe den Einsatz des Messers gegenüber den unbewaffneten Angreifern vorher androhen müssen. Bei der notwendigen Prüfung der konkreten Kampflage sei zwar zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich zwei Angreifern gegenüber gesehen habe, von denen ihm zumindest einer körperlich deutlich überlegen gewesen sei. Auch habe aus seiner Sicht nach dem Telefonat von H. in absehbarer Zeit das Hinzutreten weiterer Personen auf Seiten der Angreifer gedroht. Auf der anderen Seite sei aber zu bedenken, dass auch dem Angeklagten die Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung nicht entgangen sei und er deshalb keinen Anhaltspunkt für eine Steigerung der Aggressionen für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gehabt habe, er insbesondere nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzungen habe rechnen müssen. Aus der Vorgeschichte, die sich allein zwischen K. H. und G. abgespielt habe, seien zudem keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen.
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b) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mN). Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (BGH NJW 1989, 3027; NStZ 1983, 117). Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, dann ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet; der Angegriffene muss sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist (Senat NStZ 2012, 272, 274). Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann danach durch Notwehr gerechtfertigt sein. Zwar geht die Rechtsprechung davon aus, dass gegenüber einem unbewaffneten Angreifer der Gebrauch eines Messers in der Regel anzudrohen ist (BGH NStZ 1996, 29 f.; BGHSt 26, 256, 258). Dies setzt aber voraus, dass eine solche Drohung unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht hat, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12 mwN); dabei ist auch zu berücksichtigen , ob dem Angegriffenen genügend Zeit zur Wahl des Abwehrmittels und zur Abschätzung der Lage zur Verfügung stand (vgl. BGH NStZ 2012, 272, 274). Dies ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen im Einzelnen darzulegen. Dabei dürfen angesichts der schweren Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos an die regelmäßig in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen die Androhung eines Messereinsatzes keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12).
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c) Diesen Grundsätzen werden die Erwägungen des Landgerichts zur Erforderlichkeit der Messerstiche nicht gerecht. Für die Annahme des Landgerichts , dass der Angeklagte durch ein Androhen des Messereinsatzes seine Verteidigungsmöglichkeiten nicht verschlechtert hätte, fehlt es an einer tragfähigen Grundlage.
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Soweit dem Angeklagten von der Kammer entgegengehalten wird, wegen der von ihm erkannten Geringfügigkeit des Anlasses der Auseinandersetzung habe es aus seiner Sicht keinen Anhaltspunkt einer Eskalation für den Fall des Androhens des Messereinsatzes gegeben, lässt dies die gebotene Auseinandersetzung mit wesentlichen Umständen vermissen, die sich aus den Feststellungen ergeben. Die Geringfügigkeit des Anlasses sagt für sich bereits nichts darüber aus, wie bedrohlich die Situation für den Angeklagten im Zeitpunkt seiner Verteidigungshandlungen tatsächlich war. Sie ist hierfür aber vor allem angesichts der konkreten Kampflage ohne Aussagekraft. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Geschädigten, von denen die Tätlichkeiten ausgingen, den K. H. bereits so geschlagen und getreten hatten, dass dieser bewusstlos am Boden lag. Als sie sich nunmehr dem Angeklagten zuwandten , lag es bei einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse aus Sicht des Angeklagten nahe, dass sie nunmehr auch ihn durch Schläge und Tritte schwer verletzen würden. Das Landgericht hat nicht in seine Überlegungen aufgenommen, dass das trotz der Geringfügigkeit des Anlasses an den Tag gelegte, in hohem Maße aggressive Verhalten der Geschädigten gegen K. H. gegen die Annahme spricht, dass die vorherige Androhung des Messereinsatzes durch den Angeklagten dazu geeignet gewesen wäre, den Angriff auf ihn endgültig abzuwehren.
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Dies gilt umso mehr, als der Geschädigte G. dem Angeklagten bereits einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte und der Angeklagte davon ausging, dass auf Seiten der Angreifer in absehbarer Zeit weitere Personen hinzutreten würden. Mit Rücksicht auf die körperliche Überlegenheit der Angreifer sowie ihre personelle, sich aus Sicht des Angeklagten alsbald verstärkende Übermacht fehlt es deshalb auch an einer hinreichenden Grundlage für die Auffassung der Kammer, der Angeklagte habe für den Fall der Androhung des Messereinsatzes nicht mit einer Entwaffnung und der anschließenden Zufügung schwerwiegender Verletzung rechnen müssen.
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Darüber hinaus findet die Erwägung des Landgerichts, es seien keine Anzeichen für besondere Aggressionen der Geschädigten gerade gegen den Angeklagten erkennbar gewesen, in den Feststellungen keine hinreichende Grundlage. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass G. dem Angeklag- ten, ohne das Messer bemerkt zu haben, bereits vor den ersten mit Verteidigungswillen geführten Messerstichen mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte und sich die beiden Geschädigten dem Angeklagten zuwandten, nachdem sie zuvor bereits K. H. bis zur Bewusstlosigkeit traktiert hatten. Die genannten, vom Landgericht auch in diesem Zusammenhang nichterwogenen Umstände sprachen objektiv und aus der Perspektive des Angeklagten dafür, dass sich die Aggressionen der Geschädigten in gleicher Weise wie zuvor gegen K. H. nunmehr gegen ihn richten würden.
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Unter diesen Umständen hatte die Drohung, das Messer einzusetzen, keine so hohe Erfolgsaussicht, dass dem Angeklagten das Risiko des Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zuzumuten war.
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Letztlich hat das Landgericht den Aspekt, dass unabhängig davon, ob der nicht angedrohte Messereinsatz eine erforderliche Notwehrhandlung des Angeklagten zu seiner eigenen Verteidigung war, hierin eine erforderliche Nothilfehandlung zu Gunsten seines Freundes K. H. lag, überhaupt nicht in seine rechtlichen Erwägungen einbezogen.
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3. Der Senat kann nicht nach § 354 Abs. 1 StPO durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden. Mit Rücksicht auf die in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommende, nicht eindeutige Beweislage sowie dort erwogene Sachverhaltsalternativen kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine neue Ver- handlung noch weitere Feststellungen zu erbringen vermag, die einen Schuldspruch rechtfertigen.
Becker RiBGH Dr. Appl befindet sich im Schmitt Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Eschelbach Ott

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 135/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. April 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 25. November 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten durch sein Rechtsmittel entstandene Kosten und Auslagen aufzuerlegen. Er hat jedoch die hierdurch den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
a) Am 22. Juni 2008 gegen 1.20 Uhr verließen der Angeklagte, der ein Klappmesser bei sich führte, und die gesondert verfolgten B. , K. U. , N. U. und S. am Bahnhof Barmstedt die Bahn. Im Verlaufe des Abends hatte der Angeklagte über einen nicht mehr feststellbaren Zeitraum zusammen mit N. U. und B. eine Flasche Wodka gemischt mit einem Energy-Drink getrunken. Er fühlte sich dadurch angetrunken , wies aber keinerlei Ausfallerscheinungen auf. Bereits in der Bahn hatte der Angeklagte mit einem anderen Fahrgast Streit gesucht. Ein Zeuge, der schlichten wollte, geriet selbst mit dem Angeklagten in Streit, den wiederum S. schlichtete. Dieser hatte das Gefühl, dass der Angeklagte an dem Abend „auf Streitigkeiten aus war“.
4
Auf dem Weg vom Bahnhof aus durch Barmstedt traf die Gruppe um den Angeklagten den ebenfalls alkoholisierten Zeugen J. T. , der von einer Party im „Spanischen Zentrum“ kam. Der gesondert verfolgte B. hegte aus vergangenen Schulzeiten einen Groll gegen J. T. und beschimpfte ihn. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Zeuge T. von B. und dem Angeklagten jeweils einen Schlag ins Gesicht erhielt. Daraufhin rannte T. aufgebracht zurück zu seinen Freunden zum „Spanischen Zentrum“.
5
Gemeinsam mit den Zeugen Ne. , M. T. , W. und Wu. , die ebenfalls alkoholisiert waren, wurde beschlossen, die Gruppe um den Angeklagten zur Rede zu stellen. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen beiden Gruppen, die binnen kürzester Zeit in eine körperliche überging. In deren Verlauf gelang es dem Zeugen Ne. , der dem mit dem Angeklagten rangelnden J. T. zu Hilfe gekommen war, den Angeklagten zu Boden zu bringen und ihn dort kurzzeitig festzuhalten. Dieser zog nun sein Klappmesser und stach es dem Zeugen in den lin- ken Oberarm und zweimal in den Bereich des linken Schulterblattes; schließlich versetzte er ihm noch einen Stich in das Gesäß.
6
Nachdem der Zeuge Ne. von ihm abgelassen hatte, geriet der Angeklagte in eine erneute körperliche Auseinandersetzung mit dem Zeugen J. T. . Dessen Zwillingsbruder M. T. und der Zeuge W. mischten sich in die körperliche Auseinandersetzung ein. Im weiteren Verlauf stach der Angeklagte dem M. T. mit seinem Messer dreimal in den Rücken und dem J. T. zweimal in den Brustkorb sowie einmal in dessen rechten Unterarm. Dabei erkannte er die Gefahr eines tödlichen Ausgangs für beide und fand sich damit ab. Schließlich versetzte der Angeklagte dem Zeugen W. einen Stich ins Gesäß. M. T. erlitt einen linksseitigen Pneumothorax. Dass sich bei ihm kein akut lebensbedrohlicher Zustand entwickelte, war nur dem Eingreifen der später hinzugezogenen Notärztin geschuldet. J. T. kam aufgrund seiner Brustkorbverletzung zwar nicht in konkrete Lebensgefahr ; jedoch war seine Verletzung aufgrund ihrer Lokalisation potentiell lebensgefährlich.
7
Nachdem sich das Geschehen etwas beruhigt und die Gruppen sich zunächst voneinander entfernt hatten, wurde aus der Gruppe um J. T. eine provozierende Äußerung gebrüllt. Dies veranlasste den Angeklagten , sich mit gezücktem Messer „schnellen Schrittes zu dieser Gruppe hin zu bewegen“ (UA S. 12). Auf die Zurufe seiner Freunde, die ihn zurückhalten wollten, reagierte er nicht. Dem Zeugen J. , der den Angeklagten auf sich zukommen sah, gelang es zur Seite zu springen. Der Angeklagte stach den Zeugen Wu. kräftig in den linken Oberschenkel und kehrte dann zu seinen Freunden zurück.
8
b) Die sachverständig beratene Strafkammer ist zu dem Ergebnis gelangt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat voll schuldfähig war. Nach den Erkenntnissen des Sachverständigen liege bei ihm ein „Schwachsinn im engeren Sinne“ (IQ 55 bis 75) vor, der seine gesamte Persönlichkeitsstruktur bestimme. Indes seien die vorhandenen Kompetenzen des Angeklagten bei der Alltagsbewältigung, insbesondere seine „sogenannte Straßenkompetenz“ (UA S. 22), zu berücksichtigen, angesichts derer sein diagnostizierter Schwachsinn in seinem Schweregrad für sich genommen nicht ausreiche, um eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zu begründen. Die außerdem festgestellte Impulskontrollschwäche erfülle als Ausprägung der Persönlichkeit des Angeklagten nicht das Kriterium der schweren anderen seelischen Abartigkeit (§ 20 StGB). Auch in der Gesamtschau reichten die festgestellte Debilität und die Impulskontrollschwäche nicht zur Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB aus. Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen könne aber eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen haben, sofern zur Tatzeit zusätzlich eine Alkoholisierung mit enthemmender Wirkung bestanden haben sollte. Die Strafkammer geht nach eigener Würdigung davon aus, dass auch die festgestellte Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitraum nicht zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten geführt habe.
9
2. Während der Schuldspruch und die Verhängung von Jugendstrafe rechtsfehlerfrei sind, kann der Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe nicht bestehen bleiben.
10
a) Angesichts der Besonderheiten des Falles, insbesondere der Persönlichkeit des Angeklagten, genügen die Ausführungen, mit denen das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB ausgeschlossen hat, nicht den rechtlichen Anforderungen. Sie sind unklar und enthalten Widersprüche.
11
aa) Schon die Darlegungen des Sachverständigengutachtens im Urteil sind für das Revisionsgericht nicht in allen Punkten nachvollziehbar. Sie stellen wesentlich auf die „Straßenkompetenz“ des Angeklagten ab, angesichts derer keine erhebliche Verminderung seiner Einsichts- oder Steuerungsfä- higkeit vorliege. Der Begriff der „Straßenkompetenz“ wird indes lediglich dahingehend erläutert, dass der Angeklagte imstande sei, seine Interessen zu formulieren und zu verfolgen, einfache soziale Regeln zu verstehen und einzuhalten sowie zwischen Recht und Unrecht „in überschaubaren Alltagssituationen“ zu unterscheiden (UA S. 22). Indes ist zweifelhaft, ob der Angeklagte seine Taten angesichts der Turbulenz des Gesamtgeschehens in einer für ihn überschaubaren Alltagssituation begangen hat. Die wiedergegebene Äußerung des Sachverständigen, in der Tatsituation wirke sich der Schwachsinn angesichts der „Straßenkompetenz“ des Angeklagten nicht aus, steht im Widerspruch zu seiner Äußerung, „durch die niedrige intellektuelle Leistungsfähigkeit und einen festgestellten Mangel an Empathie verhalte sich der Angeklagte in Belastungssituationen impulsiv und unüberlegt und versuche seinen Willen massiv durchzusetzen, vor allem unter Alkoholeinwirkung“ (UA S. 21). Unberücksichtigt bleibt auch, dass die Tatsituation gruppendynamisch geprägt war und – aus Sicht des Angeklagten – die von ihm zu beachtenden strafrechtlichen Regeln durch ihnen widerstreitende aktuelle „Gruppenregeln“ überlagert wurden. Nicht zuletzt hatte auch die Geschädigtengruppe nicht die soziale Regel eingehalten, sich nicht auf körperliche Auseinandersetzungen einzulassen.
12
bb) Rechtlichen Bedenken begegnet auch die Bewertung der Alkoholisierung des Angeklagten im Urteil.
13
Auf der Grundlage der Angaben des Angeklagten durfte das Landgericht nicht ohne weiteres von einer Berechnung der Blutalkoholkonzentration absehen. Von ihr ist ein Tatgericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen – insoweit enthält das Urteil keine Ausführungen – zwar keine sichere Berech- nungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums ermöglichen (BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29; BGH StV 1993, 519). Die durch die Strafkammer mitgeteilte Einlassung des Angeklagten war als Berechnungsgrundlage nicht offensichtlich ungeeignet. Er hatte Art und Gesamtmenge des gemeinsam mit N. U. und B. getrunkenen Alkohols sowie eine noch eingrenzbare Konsumzeit („im Verlaufe des Abends“) angegeben.
14
vom Die Landgericht vorgenommene Würdigung psychodiagnostischer Faktoren lässt besorgen, dass es von unzutreffenden Maßstäben ausgegangen ist. Es war nicht erforderlich, dass der Grad der Alkoholisierung für sich genommen bereits eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten begründete. Vielmehr war nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens, dem sich das Landgericht anschließt, lediglich eine zu dem festgestellten Schwachsinn und der Impulskontrollschwäche hinzutretende „Alkoholisierung mit enthemmender Wirkung“ (UA S. 22) erforderlich , um zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zu führen. Das Landgericht selbst geht davon aus, dass die festgestellte Alkoholisierung des Angeklagten zu einer „gewissen Enthemmung“ (UA S. 23) geführt habe. Die im Urteil angeführten psychodiagnostischen Merkmale belegen lediglich, dass er „noch alles mitbekam“ (UA S. 23) und „die Situation, in der er sich befand, zutreffend einschätzen konnte“ (UA S. 24), also nicht „sinnlos“ betrunken war. Dass sich das bereits im Vorfeld der Tat provozierende , Streit suchende Verhalten des Angeklagten auch mit seiner Impulskontrollstörung vereinbaren lässt, bedeutet nicht, dass es nicht daneben auch Ausdruck einer erheblichen alkoholischen Enthemmung ist. Hierzu hätte es weiterer Erwägungen bedurft.
15
b) Darüber hinaus hat das Landgericht es versäumt, sich bei der Zumessung der ausgesprochenen Jugendstrafe in der gebotenen Weise mit der Bedeutung des Urteils des Amtsgerichts Elmshorn vom 20. November 2007 auseinanderzusetzen. Darin war der Angeklagte wegen Diebstahls, Körper- verletzung und versuchter räuberischer Erpressung unter Einbeziehung dreier weiterer Entscheidungen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Zur Vollstreckung dieses Urteils wurde die in dem vorliegenden Verfahren angeordnete Untersuchungshaft am 27. Juni 2008 unterbrochen. Ob der Angeklagte diese Strafe vor Abschluss der Hauptverhandlung in der vorliegenden Sache am 25. November 2009 bereits vollständig verbüßt hatte, teilt das Urteil nicht mit. Soweit dies nicht der Fall war, hätte sich das Landgericht mit § 31 JGG auseinandersetzen müssen. Bei vollständiger Erledigung der Strafe hätte es prüfen müssen, inwieweit der Angeklagte hierdurch bereits eine positive erzieherische Einwirkung erfahren hat, die seinen Erziehungsbedarf vermindert. Zwar wurde in der Hauptverhandlung ein Bericht der Jugendstrafanstalt über den bisherigen Vollzugsverlauf verlesen. Aus den sich daraus ergebenden „katastrophalen Hinweisen dahingehend , dass er nicht in der Lage bzw. nicht Willens sei, minimalste Hygiene - und Ordnungsstandards einzuhalten“ (UA S. 21), lässt sich indes nicht ohne weiteres ableiten, dass Erziehungserfolge im Hinblick auf ein künftiges rechtstreues Verhalten des Angeklagten bislang nicht erzielt wurden. Derartige Erfolge hätten mit Blick auf den das Jugendstrafrecht beherrschenden Erziehungsgedanken einen für den Angeklagten vorteilhaften Einfluss auf die Dauer seiner erforderlichen weiteren Erziehung und damit die Strafhöhe (§ 18 Abs. 2 JGG). Zudem stellt der Umstand, dass die an sich rechtlich gebotene Einbeziehung des amtsgerichtlichen Urteils wegen der vollständigen Verbüßung der dort erkannten Jugendstrafe gegebenenfalls nicht mehr zulässig war (§ 31 Abs. 2 Satz 1 JGG), für den Angeklagten einen Nachteil dar, der angesichts der bei der Festsetzung der Höhe der Jugendstrafe – namentlich bei ihrer Verhängung wegen Schwere der Schuld – jedenfalls unbeachtlichen Belange des Schuldausgleichs zu Gunsten des Angeklagten hätte Berücksichtigung finden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 3 StR 136/06).
16
c) Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat. Da wegen der Schwere der Tat hin- sichtlich der Gebotenheit einer Jugendstrafe kein Zweifel besteht, hebt er das angefochtene Urteil nur im Ausspruch über deren Höhe auf.
17
Das neue Tatgericht wird sich – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) – auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob angesichts des auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens festgestellten schädlichen Gebrauchs von Alkohol (ICD 10: F 10.1) und Haschisch (ICD 10: F 12.1) ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, und gegebenenfalls die weiteren Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu prüfen haben.
18
3. In Anbetracht der Bestätigung des Schuldspruchs kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die auf § 74 JGG und § 473 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Kostenentscheidung bereits jetzt treffen (BGHR JGG § 74 Kosten 3). Dies hindert für den Fall eines maßgeblichen Revisionserfolgs nicht die Anordnung der Erstattung eines Teils der dem Angeklagten durch das Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.
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8
a) Der Tatrichter muss Angaben eines Angeklagten zum Alkoholgenuss, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen (Senatsurteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; BGH, Beschluss vom 31. Mai 1988 – 3 StR 203/88, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 13). Hält er diese dennoch für glaubhaft oder – wie hier – unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes für nicht widerlegbar, so hat er, gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu berechnen und seiner weiteren Beweiswürdigung zugrunde zu legen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1991 – 3 StR 473/90, BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 12). Daran fehlt es hier.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.