Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14

bei uns veröffentlicht am13.05.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 4 9 8 / 1 4
vom
13. Mai 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Urkundenfälschung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
5. März 2015 in der Sitzung am 13. Mai 2015, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizobersekretärin - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 24. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Mainz zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Urkundenfälschung aus Rechtsgründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der Angeklagte war als Strafrichter für die Verhandlung und Entscheidung der Strafsache gegen Thomas W. wegen Fahrens ohne Versicherungsschutz zuständig. In der Hauptverhandlung beantragte die Staatsanwaltschaft eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 €. Der Angeklagte verurteilte Thomas W. abweichend hiervon zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu je 15 € und bewilligte ihm deren Zahlung in monatlichen Raten zu je 15 €. Die Formel dieser Entscheidung hatte er vor der Verkündung auf dem rückwärtigen Einband der Sachakte schriftlich niedergelegt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft , deren Grund er zutreffend in der danach notwendigen Dauer der Vollstreckung vermutete, entschloss er sich, die Höhe der bewilligten Raten "informell" zu erhöhen und so eine Zurücknahme des Rechtsmittels zu erreichen. Hierzu änderte der Angeklagte zunächst im Entwurf des Hauptverhandlungsprotokolls vor dessen Fertigstellung die gemäß Banddiktat dort ausgewiesene Urteilsformel durch Überschreiben der Zahl "1" dahin ab, dass eine Zahlung der Geldstrafe in monatlichen Raten zu je 25 € bewilligt wird. Mit entsprechendem Inhalt setzte er die schriftliche Urteilurkunde ab. Zur Vermeidung von Widersprüchen änderte er schließlich auch in der auf dem Akteneinband niedergelegten Urteilsformel zur Höhe der bewilligten Raten die Zahl "1" durch Überschreiben in "2". Das Berufungsgericht beließ es bei der ausgesprochenen Geldstrafe und der Bewilligung von Ratenzahlungen, setzte aber die Höhe der Raten auf 32 € monatlich fest.
4
b) Das Landgericht ist der Ansicht, der Angeklagte habe zwar mit der festgestellten Veränderung der auf dem Akteneinband fixierten Urteilsformel eine Urkundenfälschung unter Missbrauch seiner Stellung als Amtsträger begangen. Seiner Verurteilung deswegen stehe jedoch entgegen, dass er insoweit bei der Leitung einer Rechtssache tätig geworden sei, ohne dabei aber einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege begangen zu haben. Er könne daher nicht wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) verurteilt werden. Damit scheide aber auch ein Schuldspruch wegen Urkundenfälschung aus, denn die Nichterfüllung des Tatbestands der Rechtsbeugung entfalte eine Sperrwir- kung dahin, dass der Angeklagte wegen desselben Sachverhalts auch nicht nach einer anderen Strafvorschrift verurteilt werden könne.
5
2. Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
a) Zutreffend sieht das Landgericht in der nachträglichen Abänderung der auf dem Akteneinband niedergelegten Urteilsformel tatbestandsmäßig eine Urkundenfälschung unter Missbrauch einer Stellung als Amtsträger (§ 267 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a StGB). Nicht nur das Protokoll, sondern auch die von § 268 Abs. 2 Satz 1 StPO geforderte Niederschrift der Urteilsformel ist dazu geeignet und bestimmt, die inhaltliche Übereinstimmung der durch Verlesen verkündeten mit der im schriftlichen Urteil ausgewiesenen Entscheidung zu sichern (KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 268 Rn. 3). Bereits mit der Urteilsverkündung und jedenfalls bis zur Fertigstellung eines mangelfreien Protokolls (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2001 - 2 StR 42/01 bei Becker, NStZ-RR 2002, 97, 100) erlangt die Niederschrift Beweiskraft für den Inhalt der verlesenen Formel. Mit dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung ist sie deshalb auch der Abänderung durch den erkennenden Richter entzogen (LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 268 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 268 Rn. 4).
7
b) Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht auch davon aus, dass das Handeln des Angeklagten nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) erfüllt.
8
aa) Zwar wurde der Angeklagte, als er die niedergeschriebene und so verlesene Urteilsformel nachträglich abänderte, bei der Leitung einer Rechtssache tätig.

9
Unter "Rechtssache" im Sinne des § 339 StGB ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu "entscheiden" hat; die "Leitung" der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen (BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 656 mwN). Im Hauptverfahren in Strafsachen übt der Richter danach auch über die mündliche Urteilsverkündung hinaus Tätigkeiten aus, welche die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand haben. Die Urteilsverkündung beendet das Verfahren nicht, denn es bleibt die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe, die zu den originären Aufgaben des erkennenden Richters zählt und die die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu Gunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen kann (BGH aaO). Nichts anderes kann für die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls durch den Vorsitzenden gelten. Nicht (mehr) bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache im Sinne des § 339 StGB handelt der Richter erst dann, wenn ein innerer funktionaler Zusammenhang der den strafrechtlichen Vorwurf begründenden Verhaltensweise mit der Förderung der Sache fehlt und diese deshalb objektiv nicht mehr als ein auf seiner Leitungs- oder Entscheidungskompetenz beruhendes Handeln erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai1984 - 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, 364 f.; OLG Naumburg, Beschluss vom 23. April 2012 - 1 Ws 48/12, NStZ 2013, 533, 535; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Dezember 2003 - 3 Ws 174/03, NJW 2004, 1469, 1470; S/SHeine /Hecker, StGB, 29. Aufl., § 339 Rn. 17; MüKoStGB/Uebele, 2. Aufl., § 339 Rn. 73; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 339 Rn. 11).
10
Nach diesen Maßstäben handelte der Angeklagte, als er die auf dem Akteneinband niedergelegte Urteilsformel nachträglich abänderte, noch bei der Leitung der Strafsache gegen Thomas W. Zwar verfolgte er damit unmittelbar nur das Ziel, im Nachhinein über den wahren Inhalt einer von ihm bereits getroffenen und verkündeten Entscheidung zu täuschen. Jedoch wollte er durch sein Vorgehen zugleich auch nach außen hin eine vorgebliche Tatsachengrundlage für die weitere prozessordnungswidrige Behandlung und Erledigung der Sache schaffen. Die Fälschung stand nach der ihr vom Angeklagten zugedachten Zweckrichtung in engem und untrennbarem Zusammenhang sowohl mit der Herstellung der schriftlichen Urteilsurkunde als auch mit der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls. Sie sollte deren inhaltliche Unrichtigkeit verschleiern und so die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und gegebenenfalls des Rechtsmittelgerichts beeinflussen.
11
bb) Nichts zu erinnern ist aber auch gegen die Bewertung des Landgerichts , dass sich der Angeklagte dadurch keiner Beugung des Rechts schuldig gemacht hat.
12
Rechtsbeugung kann zwar auch durch Verletzung von Verfahrensrecht begangen werden (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung oder jeder Ermessensfehler ist jedoch bereits eine Beugung des Rechts. Vielmehr indizieren die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand und die gemäß § 24 Nr. 1 DRiG, § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG im Falle einer Verurteilung kraft Gesetzes eintretende Beendigung des Richter- oder Beamtenverhältnisses die Schwere des Unwerturteils (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310; vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 656). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfasst § 339 StGB deshalb nur den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege, bei dem sich der Amts- träger bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei vom Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an seinen eigenen Maßstäben ausrichtet (vgl. nur BGH, Urteile vom 9. Mai 1994 - 5 StR 354/93, BGHSt 40, 169, 178; vom 6. Oktober 1994 - 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283; vom 20. September 2000 - 2 StR 276/00, NStZ-RR 2001, 243, 244; Beschluss vom 7. Juli 2010 - 5 StR 555/09, wistra 2011, 32, 35). Insoweit enthält das Tatbestandsmerkmal "Beugung des Rechts" ein normatives Element, dem die Funktion eines wesentlichen Regulativs zukommt (grundlegend hierzu BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 - 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, 364, mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu entscheiden. Bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht kann neben dessen Ausmaß und Schwere insbesondere auch Bedeutung erlangen, welche Folgen dieser für die Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter leiten ließ (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 - 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343; vom 20. September 2000 - 2 StR 276/00, NStZ-RR 2001, 243, 244; vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 656; Beschluss vom 24. Juni 2009 - 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92).
13
Nach diesen Maßstäben ist das Landgericht ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Angeklagten kein elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege zur Last fällt. Zwar erschöpfte sich das Handeln des Angeklagten nicht allein in einer Zuwiderhandlung gegen Vorschriften des gerichtlichen Verfahrens ; vielmehr beging er durch die Fälschung der Urteilsformel zugleich eine Straftat. Der so indizierten Schwere des Rechtsverstoßes steht jedoch gegenüber , dass sich das Vorgehen des Angeklagten schon objektiv nicht auf den Kern der Verurteilung des W. bezog, sondern lediglich auf die Höhe der ihm für die Bezahlung der verhängten Geldstrafe bewilligten Raten. In subjektiver Hinsicht kommt hinzu, dass der Angeklagte ausschließlich handelte, um einen von ihm erkannten offensichtlichen Fehlgriff zugunsten des W. bei der Bemessung der Höhe der Raten rückgängig zu machen. In der Gesamtschau rechtfertigt dies nicht eine Bewertung des Tatgeschehens dahin, dass sich der Angeklagte bewusst in schwerwiegender Weise zum Nachteil des W. vom Gesetz entfernt habe. Soweit der Bundesgerichtshof im Urteil vom 18. Juli 2013 (4 StR 84/13, NStZ 2013, 655) in einer Urkundenfälschung des Richters bei der Leitung und Entscheidung der Rechtssache zugleich einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege gesehen hat, kam den dort zu beurteilenden Sachverhalten ungleich schwereres Gewicht zu. Der Entscheidung lag zu Grunde, dass der Angeklagte wiederholt Urteile in Strafsachen, die keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung enthielten und auf denen bereits der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle angebracht war, nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist heimlich ergänzte. Sein Vorgehen diente damit der wirksamen Vereitelung von Angriffen auf die Verurteilung insgesamt, denen nach § 338 Nr. 7 StPO ohne Weiteres Erfolg beschieden gewesen wäre.
14
c) Auf durchgreifende Bedenken stößt indes die Auffassung des Landgerichts , einer Bestrafung des Angeklagten wegen der festgestellten Urkundenfälschung unter Missbrauch einer Stellung als Amtsträger (§ 267 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4 StGB) stehe infolgedessen die sog. Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestands entgegen.
15
Die dem Tatbestand der Rechtsbeugung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zukommende Sperrwirkung gegen eine Verurteilung nach anderen Strafvorschriften dient in erster Linie der persönlichen Unabhängigkeit des Richters (BGH, Urteil vom 7. Dezember 1956 - 1 StR 56/56, BGHSt 10, 294, 298; vgl. auch BGH, Urteil vom 29. Mai 1952 - 2 StR 45/50, MDR 1952, 693, 695). Sie soll seine Entscheidungsfreiheit sichern und ihn von dem Risiko freistellen, dass Entscheidungen, Anordnungen oder Maßnahmen der Verhandlungsleitung, zu denen er aufgrund seiner Rechtsgewährungspflicht von Gesetzes wegen gehalten ist, die aber nach ihrem Inhalt oder nach ihren Auswirkungen den Tatbestand eines allgemeinen Strafgesetzes erfüllen können, so etwa den der Strafvereitelung, der Verfolgung Unschuldiger, der Freiheitsberaubung oder der Nötigung, nachträglich und außerhalb des Instanzenzugs nochmals zur Überprüfung gestellt werden mit dem Ziel, ihn strafrechtlich oder zivilrechtlich (vgl. § 839 Abs. 2 BGB) hierfür zur Verantwortung zu ziehen.
16
Diese Rechtsprechung hat ihren Ausgangspunkt insbesondere darin, dass nach herrschender Meinung zur früheren Gesetzeslage (§ 336 StGB vor der Neufassung durch Art. 19 Nr. 188 EGStGB vom 2. März 1974, BGBl. I 469, 497) einem Richter der Vorwurf der Rechtsbeugung nur bei einem direkt vorsätzlichen Rechtsverstoß gemacht werden konnte. Vor diesem Hintergrund sollte durch die Sperrwirkung zuvörderst verhindert werden, dass ein Richter, dem keine direkt vorsätzliche Rechtsverletzung angelastet werden kann, wegen einer durch seine Entscheidung bedingt vorsätzlich oder auch nur fahrlässig begangenen Verwirklichung eines anderen Straftatbestandes zur Verantwortung gezogen wird.
17
All dies ist auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt nicht übertragbar. lndem der Gesetzgeber mit der Neufassung des Rechtsbeugungstatbestandes durch das EGStGB vom 2. März 1974 klargestellt hat, dass für die subjektive Tatseite der Rechtsbeugung auch bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. LK/Hilgendorf, StGB, 12. Aufl., § 339 Entstehungsgeschichte Rn. 86 mwN), ist ein Begründungsansatz für die Sperrwirkung des Rechtsbeugungstatbestandes bereits weitgehend obsolet geworden; denn damit bleiben die Anforderungen an die subjektive Tatseite der denkbaren Strafvorschriften, die nach heutiger Gesetzeslage durch eine richterliche Entscheidung neben § 339 StGB verletzt werden können, nicht mehr hinter denjenigen des Rechtsbeugungstatbestandes zurück. Vor allem aber fordert es die verfassungsrechtlich gewährleistete richterliche Unabhängigkeit nicht, das Haftungsprivileg auch auf ein Handeln des Richters zu erstrecken, das nicht erst im Zusammenhang mit einer nach außen hin zu treffenden Entscheidung, Anordnung oder Maßnahme der Verhandlungsleitung zur Erfüllung eines Straftatbestands führt, sondern - wie hier - bereits für sich alleine gegen Strafgesetze verstößt (dem zuneigend bereits BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 657).
18
3. Die danach veranlasste Aufhebung des freisprechenden Urteils ist auch auf die für sich gesehen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu erstrecken, denn der freigesprochene Angeklagte konnte gegen diese kein Rechtsmittel einlegen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 StR 84/13, NStZ 2013, 655, 657 mwN). Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von der Möglichkeit der Zurückverweisung an ein anderes Gericht Gebrauch (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
19
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
20
Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Handeln des Angeklagten nicht auch den Tatbestand der Falschbeurkundung im Amt (§ 348 Abs. 1 StGB) erfüllt. Insbesondere stellt das Hauptverhandlungsprotokoll keine öffentliche Urkunde dar (vgl. Stuckenberg, ZIS 2013, 212, 215; Knauer NStZ 2013, 433, 435).
Becker Hubert Schäfer Mayer Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

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(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Ansp
Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2015 - 3 StR 498/14 zitiert 14 §§.

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(1) Ein Amtsträger, der, zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet oder in öffentliche Register, Bücher oder Dateien falsch einträgt oder eingibt, wird mit Freiheits

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(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. (2) Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlich

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Der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung im Sinne der §§ 331 bis 335a steht das Unterlassen der Handlung gleich.

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Wird gegen einen Richter durch Urteil eines deutschen Gerichts im Geltungsbereich dieses Gesetzes erkannt auf 1. Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Tat,2. Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vo

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(1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes.

(2) Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. Bei der Entscheidung, ob die Urteilsgründe verlesen werden oder ihr wesentlicher Inhalt mündlich mitgeteilt wird, sowie im Fall der mündlichen Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe soll auf die schutzwürdigen Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht genommen werden. Die Verlesung der Urteilsformel hat in jedem Falle der Mitteilung der Urteilsgründe voranzugehen.

(3) Das Urteil soll am Schluß der Verhandlung verkündet werden. Es muß spätestens zwei Wochen danach verkündet werden, andernfalls mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist. § 229 Absatz 3, 4 Satz 2 und Absatz 5 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 42/01
vom
9. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Mai 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 3. Februar 2000 im Strafausspruch, soweit es ihn betrifft, dahin abgeändert, daß er zu einer Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren verurteilt wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg mit der Verfahrensrüge, die Urteilsformel sei anders verkündet worden, als in der Urteilsurkunde wiedergegeben (§§ 260, 268, 274 StPO). Der Beschwerdeführer beruft sich dazu auf eine Divergenz zwischen der Urteilsformel in der Sitzungsniederschrift (sieben Jahre) und dem Tenor in der Urteilsurkunde (sieben Jahre und sechs Monate). Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der nach § 274 StPO maßgebenden Sitzungsniederschrift (vgl. BGHSt 34, 11, 12; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 10). Eine Auslegung des Protokolls ist nur dann zulässig, wenn dessen Sinn zweifelhaft ist. Das ist hier nicht der Fall. Es empfiehlt sich, die vor der Urteilsverkündung niedergeschriebene Urteilsformel (§ 268 Abs. 2 Satz 1 StPO) in das Sitzungsprotokoll zu integrieren, sei es, daß sie darin eingefügt oder als Anla-
ge zum Protokoll gemacht wird, damit sie an der Beweiskraft nach § 274 StPO teilnimmt. Da dies hier nicht geschehen ist, war der Strafausspruch entsprechend dem maßgebenden Sitzungsprotokoll abzuändern. Im übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Jähnke Bode Rothfuß Fischer Elf

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 10. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter , vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Anklage legt dem Angeklagten Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 der Strafprozessordnung normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt und dabei zumindest billigend in Kauf genommen habe, zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers zu handeln. Das Landgericht lehnte die Eröff- nung des Hauptverfahrens ab, weil ein „schwerer Rechtsbruch“ nicht ange- nommen werden könne. Die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung unterfielen der Sperrwirkung des § 339 StGB. Das Oberlandesgericht ließ die Anklage mit Beschluss vom 23. April 2012 (OLGSt StGB § 339 Nr. 3) zu und eröffnete das Verfahren vor dem Landgericht , weil der Angeklagte der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, hinreichend verdächtig sei.
3
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde der Angeklagte am 1. Oktober 1996 zum Vorsitzenden Richter befördert, wo er zunächst eine große Strafkammer leitete und später den Vorsitz in einer kleinen Strafkammer innehatte. Wegen verspäteter Zustellung von Urteilen kam es zu mehreren Disziplinarverfahren: Am 12. August 1999 erteilte ihm der Präsident des Landgerichts einen Vorhalt, mit Schreiben vom 1. Juli 2002 erteilte er dem Angeklagten einen Verweis, weil er in sieben Fällen ohne erkennbaren Grund die Zustellung von Urteilen erst dreieinhalb bis neun Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht verhängte gegen den Angeklagten mit rechtskräftigem Disziplinarbescheid vom 27. Juli 2006 eine Geldbuße von 1.500 €, weil er in elf Fällen wiederum die Zustellung von Urteilen erst viereinhalb bis zwölfeinhalb Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Im August 2007 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung ein. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 wurde der Angeklagte wegen der hier festgestellten fünf Sachverhalte und siebzehn weiterer Fälle, in denen unvollständig abgefasste Urteile zur Geschäftsstelle gelangt waren , durch das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht vorläufig des Dienstes enthoben.
4
2. Das Landgericht hat zu den fünf angeklagten Fällen im Einzelnen folgende Feststellungen getroffen:
5
a) In der Strafsache verwarf die vom Angeklagten geleitete Strafkammer die Berufung des A. M. nach eintägiger Hauptverhandlung am 28. Februar 2005 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 1. April 2005, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung, jedoch keine Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, keine rechtliche Würdigung und keine Ausführungen zur Strafzumessung enthielt, und ließ den Eingangsvermerk nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO anbringen. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ergänzte er das Urteil um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 28. Juli 2006. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision unter Berichtigung im Schuldspruch am 10. November 2006.
6
b) In der Strafsache wurde die Berufung des H. S. nach eintägiger Hauptverhandlung am 29. März 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 3. Mai 2006, dem Tag des Ablaufs der Urteilsabsetzungsfrist, brachte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin auf Anweisung des Angeklagten den Eingangsvermerk auf dem schriftlichen Urteil an, das zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung enthielt, während die übrigen Urteilsbestandteile nur rudimentär oder gar nicht enthalten waren. Die Schilderung der Tathand- lung fehlte vollständig. Nach Änderungen und Ergänzungen, die er nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist vorgenommen hatte, verfügte der Angeklagte am 13. Dezember 2006 die Zustellung des vervollständigten Urteils. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
7
c) In der Strafsache wurde die Berufung des S. B. nach dreitägiger Hauptverhandlung am 21. August 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 22. September 2006, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte , die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung vollständig enthielt, und ließ den Eingangsvermerk anbringen. Die Sachverhaltsschilderung bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem unvollständigen Halbsatz mit unzutreffender Tatzeitangabe, die Beweiswürdigung aus drei floskelhaften Sätzen. Der Angeklagte ergänzte das Urteil nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision am 1. April 2008.
8
d) In der Strafsache wurde die Berufung des M. W. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 10. Oktober 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 14. November 2006, dem Tag des Ablaufs der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, wies der Angeklagte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin an, den Eingang des Urteils zu vermerken und ihm die Akten wieder vorzulegen. Das Urteil enthielt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person. Die ebenfalls enthaltenen Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung standen in keinem Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 19. Februar 2005, sondern bezogen sich auf zwei im Jahr 2001 begangene Betrugshandlungen. Nach Ersetzung der unzutreffenden Ausführungen nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist verfügte der Angeklagte am 3. August 2007 die Urteilszustellung. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil im Schuld- und Strafausspruch , hob die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und wies in diesem Umfang die Sache unter Verwerfung der weitergehenden Revision am 21. November 2007 an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
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e) In der Strafsache wurde die Berufung des St. D. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 19. September 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Der Angeklagte ließ am 23. Oktober 2006, einen Tag vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, von der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin den Eingangsvermerk auf dem Urteil anbringen, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person enthielt. Die Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung betrafen nicht die ausgeurteilten Straftaten vom 10. September 2004, sondern eine Sachbeschädigung aus dem Jahr 2002. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ersetzte der Angeklagte die unzutreffenden Textpassagen durch passende Ausführungen. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Bereits zuvor, am 6. November 2006, hatte Herr D. die Revision zurückgenommen. Wann der Angeklagte von der Revisionsrücknahme erfuhr, konnte nicht geklärt werden.
10
Der Angeklagte machte die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist erfolgten Änderungen nicht aktenkundig und ließ sie nicht von der Geschäftsstelle vermerken. Er beließ jeweils die erste Urteilsseite mit dem Eingangsvermerk und tauschte die geänderten Seiten heimlich aus.
11
3. Nach Auffassung des Landgerichts erfüllen die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Er habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sondern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB.

II.


12
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
1. Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283 f.; Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 108 f.; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 jeweils mwN).
14
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehandelt hat. Un- ter „Rechtssache“ ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu „entscheiden“ hat; die „Leitung“ der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen. Ob die Leitung der Rechtssache mit dem Erlass einer Entscheidung, also der Anordnung einer Rechtsfolge (NK-StGB-Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 26), beendet ist, hängt von der Art des Verfahrens und dem Gegenstand der Entscheidung ab. Die Absetzung des schriftlichen Urteils in Strafsachen dient nicht allein der verwaltungsmäßigen Abwicklung des Strafverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 385), dieses ist mit der mündlichen Urteilsverkündung nicht beendet. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist vielmehr originäre Aufgabe des erkennenden Richters und gehört zur Leitung und Entscheidung der Rechtssache. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Tätigkeit des Richters kann in diesem Fall die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen, das Verfahren hat mithin auch nach Erlass des mündlichen Urteils weiterhin die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand.
15
b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.
16
Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrensrechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.
17
Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits angebracht , so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat.
18
c) Die Tat muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen. Zugunsten oder zum Nachteil einer Partei wirkt sich eine Beugung des Rechts aus, wenn sie die Partei besser oder schlechter stellt, als sie bei richtiger Rechtsanwendung stünde. Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN).
19
Das Verhalten des Angeklagten war in allen Fällen ohne weiteres geeignet , sich zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers auszuwirken. Die innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangten Urteile waren unvollständig, enthielten insbesondere keine Sachverhaltsdarstellung des abgeurteilten Falls und keine Beweiswürdigung, so dass sie bereits auf die allgemeine Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufzuheben gewesen wären. Diesen Umstand verschleierte der Angeklagte. Der dem Angeklagten objektiv anzulastende Rechtsbeugungsverstoß lag in der heimlichen, aus den Akten nicht erkennbaren Beseitigung eines durchgreifenden Revisionsgrundes, welche zu einer Verschlechterung der Rechtsmittelposition der jeweiligen Revisionsführer führte und ohne weiteres eine Benachteiligung bedeutete (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09 Rn. 7, NStZ 2010, 92; Urteil vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Rn. 19, NStZ 2013, 106, 107). Ob das in der Sache ergangene Urteil der Berufungskammer materiell richtig war, ist hingegen für diese Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts ohne die Manipulation konkret anders ausgefallen wäre. Durch die Manipulationen wurde die Rechtsstellung der Revisionsführer unmittelbar verletzt, denn die unvollständigen Urteilsgründe wurden nicht zur Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts.
20
d) Der Angeklagte hat nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt. Insofern genügt bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276); der Täter muss für möglich halten, dass seine fehlerhafte Entscheidung zur Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei führen wird und sich damit abfinden (NK-StGB-Kuhlen, aaO, Rn. 78). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte sogar in der Absicht handelte, die Prozessbeteiligten und das Revisionsgericht darüber zu täuschen, dass die ihnen vorlie- gende Urteilsniederschrift inhaltlich nicht derjenigen entsprach, welche zu dem auf dem Eingangsvermerk bezeichneten Zeitpunkt zur Geschäftsstelle gelangt war (UA S. 20). Ohne Bedeutung für den bewussten, objektiven Verstoß gegen das Recht ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts, dass das Motiv des Angeklagten war, den Anschein seiner Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und einer weiteren Disziplinarmaßnahme zu entgehen, nicht aber, die Revisionsführer gezielt zu benachteiligen. Für den objektiven Tatbestand reicht der bewusste Rechtsverstoß (der sich bei formell ordnungsgemäßen Handlungen aus dem Motiv des Täters ergeben kann), eine darüber hinausgehende absichtliche Begünstigung oder Benachteiligung der Prozessparteien ist nicht erforderlich (LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 82, 85). War sich der Angeklagte über die Rechtswidrigkeit seines Handelns zum Nachteil der Revisionsführer im Klaren, dann hat er auch, und zwar mit direktem Vorsatz, das Recht gebeugt.
21
Die Strafkammer verkennt bei ihrer Bewertung zudem, dass es bei der Benachteiligung bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht nicht entscheidend auf die materielle Richtigkeit der „Endentscheidung“ oder des in der Berufungs- hauptverhandlung verkündeten Urteils ankommt, sondern auch in der Verschlechterung der prozessualen Situation der Prozessbeteiligten eine Benachteiligung liegt. Dass sich der Angeklagte als erfahrener Strafrichter der Verschlechterung der prozessualen Situation der Revisionsführer bewusst war, hat das Landgericht ebenfalls festgestellt (UA S. 23). Auf seine Vorstellung, das von der Berufungskammer gefundene Urteil sei im Ergebnis richtig, kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 115).
22
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe liegt nach den bisherigen Feststellungen ein untauglicher Versuch nahe. Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht von der Sperrwirkung des § 339 StGB erfasst wäre.
23
Auch wenn die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, gebietet es der Umstand, dass der freigesprochene Angeklagte gegen die getroffenen Feststellungen kein Rechtsmittel einlegen konnte, auch diese aufzuheben (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 56; vgl. MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck RiBGH Dr. Franke ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Bender Quentin

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Wird gegen einen Richter durch Urteil eines deutschen Gerichts im Geltungsbereich dieses Gesetzes erkannt auf

1.
Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlichen Tat,
2.
Freiheitsstrafe wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit strafbar ist,
3.
Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter oder
4.
Verwirkung eines Grundrechts gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes,
so endet das Richterverhältnis mit der Rechtskraft dieses Urteils, ohne daß es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf.

(1) Wenn eine Beamtin oder ein Beamter im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts

1.
wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder
2.
wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit oder, soweit sich die Tat auf eine Diensthandlung im Hauptamt bezieht, Bestechlichkeit, strafbar ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten
verurteilt wird, endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils. Entsprechendes gilt, wenn die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt wird oder wenn die Beamtin oder der Beamte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 18 des Grundgesetzes ein Grundrecht verwirkt hat.

(2) Wird eine Entscheidung, die den Verlust der Beamtenrechte zur Folge hat, in einem Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben, gilt das Beamtenverhältnis als nicht unterbrochen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 97/09
vom
29. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. Oktober
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Athing ,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic´,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Franke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dessau vom 19. November 2008 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt aus Rechtsgründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Im Jahr 2004 war der Angeklagte Richter am Amtsgericht Z. und als Vorsitzender des Jugendschöffengerichts für die Bearbeitung mehrerer Strafverfahren gegen den vietnamesischen Staatsangehörigen D. T. L. zuständig. Die Staatsanwaltschaft H. /Zweigstelle N. warf diesem in insgesamt sieben Anklagen u. a. mehrere im Heranwachsendenalter begangene Straftaten des gewerbsmäßigen Diebstahls vor. Der Angeklagte ließ alle An- klagen zur Hauptverhandlung zu, lehnte jedoch mit Beschluss vom 29. März 2004 den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls gegen D. T. L. ab. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht diesen Beschluss auf und ordnete Untersuchungshaft an; es bestehe Fluchtgefahr, da D. T. L. neben den angeklagten Taten eines in H. begangenen räuberischen Diebstahls dringend verdächtig sei und daher mit einer empfindlichen Strafe rechnen müsse. Auf der Grundlage dieses Haftbefehls wurde seit dem 9. Juni 2004 die Untersuchungshaft für die beim Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Z. angeklagten Straftaten vollzogen. Der im Hinblick auf den Tatvorwurf in H. erlassene weitere Haftbefehl war zuvor aufgehoben worden, nachdem D. T. L. insoweit lediglich wegen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt worden war.
4
Unter dem 23. Juni 2004 fragte die Ausländerbehörde bei dem Angeklagten unter Hinweis auf § 456a StPO an, ob D. T. L. in seinen Heimatstaat abgeschoben werden könne. Nach Weiterleitung der Anfrage an die Staatsanwaltschaft teilte diese dem Angeklagten mit, ein Antrag nach § 154b Abs. 4 StPO auf vorläufige Einstellung des Verfahrens im Hinblick auf die beabsichtigte Auslieferung werde nicht gestellt. Wegen des von der Ausländerbehörde in Aussicht genommenen Termins zur Abschiebung am 23. September 2004 versuchte der Angeklagte in der Folgezeit mehrfach erfolglos, die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf das einschlägige völkerrechtliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Republik Vietnam von seinem Standpunkt zu überzeugen. Unter dem 19. August 2004 beantragte der Pflichtverteidiger des D. T. L. unter Hinweis auf die Verurteilung seines Mandanten zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe durch das Amtsgericht H. , den seit dem 9. Juni 2004 vollstreckten Haftbefehl ebenfalls mangels Verhältnismäßigkeit außer Vollzug zu setzen. Der Angeklagte hob sodann mit Beschluss vom 21. Septem- ber 2004 den Haftbefehl gegen D. T. L. auf. Zur Begründung führte er sinngemäß aus, der Haftgrund der Fluchtgefahr sei unter Berücksichtigung der Verurteilung durch das Amtsgericht H. entfallen, zumal im vorliegenden Verfahren ebenfalls nur eine aussetzungsfähige Jugendstrafe zu erwarten sei. Ob Wiederholungsgefahr bestehe, könne offen bleiben; jedenfalls im Lichte der beabsichtigten Abschiebung sei die Aufrechterhaltung des Haftbefehls nicht mehr verhältnismäßig. Zwar sei § 456a Abs. 1 StPO, wonach von Vollstreckung zum Zwecke der Abschiebung abgesehen werden könne, nicht unmittelbar anwendbar. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft müsse der Rechtsgedanke dieser Vorschrift aber entsprechend angewendet werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - nur noch ihre Aufrechterhaltung der beabsichtigten völkerrechtlich abgesicherten Abschiebung entgegenstehe. Dem "repressiven und präventiven Interesse" der Strafverfolgungsorgane sei bereits durch den Vollzug der Untersuchungshaft seit Festnahme des D. T. L. auch in anderer Sache hinreichend genügt.
5
Die Ausländerbehörde erhielt eine Ausfertigung dieses Beschlusses noch am selben, die Staatsanwaltschaft am darauf folgenden Tag. D. T. L. wurde am 23. September 2004 nach Vietnam abgeschoben.
6
2. Das Landgericht hat bereits den objektiven Tatbestand einer Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB verneint, da sich der Angeklagte mit der Aufhebung des Haftbefehls gegen D. T. L. nicht bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt habe. Zwar sei die Annahme einer analogen Anwendung des § 456a StPO unter Bezugnahme auf einen vom Angeklagten angenommenen Vorrang des völkerrechtlichen Abkommens zwischen Deutschland und Vietnam rechtsfehlerhaft gewesen, was ihm angesichts des mehrfachen Hinweises der Staatsanwaltschaft auf § 154b StPO auch hätte klar sein müssen. Die Aufhebung des Haftbefehls hätte jedoch mit einer anderen Begründung rechtsfehlerfrei ergehen können. Nach Verurteilung des D. T. L. zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe durch das Amtsgericht H. sei ein tragender Grund für die damalige, auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft angeordnete Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr durch das Landgericht H. weggefallen. Jedenfalls erweise sich die Entscheidung des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als vertretbar, zumal der weitere, von ihm nicht geprüfte Haftgrund der Wiederholungsgefahr angesichts der im Urteil des Amtsgerichts H. gestellten günstigen Sozialprognose fern gelegen habe.

II.


7
Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 261 StPO eine Einlassung des Angeklagten bei der Urteilsfindung berücksichtigt, bleibt ohne Erfolg.
8
Das Landgericht hat seine Überzeugungsbildung auch hinsichtlich der in den Urteilsgründen erwähnten Einlassung des Angeklagten aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft. Die Beschwerdeführerin trägt selbst vor, der Angeklagte habe im Rahmen des letzten Wortes eine umfangreiche Erklärung abgegeben. Was ein Angeklagter nach § 258 Abs. 1 StPO erklärt, gehört jedoch zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO und darf folglich bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden (BGHSt 11, 74, 75; KKSchoreit StPO 6. Aufl. § 261 Rn. 12; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 261 Rn. 5).

III.


9
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Tatbestand der Rechtsbeugung im Sinne des § 339 StGB nicht erfüllt, ist auf Grund der dazu im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
10
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Da die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand die Schwere des Unwerturteils indiziert und eine Verurteilung kraft Gesetzes (§ 24 Abs. 1 DRiG) zur Beendigung des Richterverhältnisses führt, ist es mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung nicht zu vereinbaren , jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich dieser Norm einzubeziehen. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewusst und in schwer wiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Das Tatbestandsmerkmal der "Beugung" enthält insoweit ein normatives Element, wonach nur elementare Rechtsverstöße und offensichtliche Willkürakte erfasst werden sollen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 38, 381, 383; 40, 272, 283; 47, 105, 108 f.). Auf den Maßstab (bloßer) Unvertretbarkeit darf dabei schon im Interesse der Rechtssicherheit nicht abgestellt werden (BGHSt 47, 105, 109). Eine Beugung des Rechts kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden und liegt etwa dann vor, wenn der entscheidende Richter aus sachfremden Erwägungen gegen Zuständigkeits- und Anhörungsvorschriften verstößt, um andere Beteiligte von der Mitwirkung am Verfahren auszuschließen, und er damit die konkrete Gefahr eines seinen Intentionen entsprechenden unrechtmäßigen Voroder Nachteils für eine Partei schafft, der bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften voraussichtlich nicht zu erreichen gewesen wäre (BGHSt 42, 343, 351; BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09).
11
2. Einen solchen elementaren Rechtsverstoß des Angeklagten in Gestalt des Beschlusses vom 21. September 2004 über die Haftbefehlsaufhebung hat das Landgericht hier im Ergebnis zu Recht verneint.
12
a) Der Angeklagte hat zwar bei der Entscheidung einer Rechtssache gehandelt , er hat aber weder seine Zuständigkeit überschritten noch stellt die Aufhebung des Haftbefehls inhaltlich einen den Tatbestand des § 339 StGB erfüllenden Rechtsverstoß dar.
13
aa) Schon von Amts wegen war der Angeklagte als Vorsitzender des Jugendschöffengerichts und damit als Gericht der Hauptsache (§ 126 Abs. 2 Satz 1 StPO) nach Eröffnung des Hauptverfahrens dazu verpflichtet, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen D. T. L. regelmäßig zu überprüfen und dabei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) besondere Beachtung zu schenken. Für den Angeklagten bestand darüber hinaus nicht nur im Hinblick auf den von der Ausländerbehörde in Aussicht genommenen Abschiebetermin ein konkreter Anlass, sich gerade zum damaligen Zeitpunkt mit der Frage der Haftfortdauer zu befassen. Denn der Pflichtverteidiger hatte unter dem 19. August 2004 einen Haftverschonungsantrag gestellt und zur Begründung auf die Unverhältnismäßigkeit der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft besonders hingewiesen.
14
bb) Auch der Sache nach erweist sich die in den Gründen des Beschlusses niedergelegte Auffassung des Angeklagten, der Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe nicht mehr, als durchaus vertretbar, jedenfalls nicht als willkürlich. D. T. L. war vom Amtsgericht H. lediglich zu einer geringfügigen Bewährungsstrafe verurteilt worden und hatte auch in dem von dem Angeklagten geführten Strafverfahren lediglich mit einer bewährungsfähigen Strafe zu rechnen.
15
Dass der Angeklagte über den Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht abschließend entschieden hat, stellt ebenfalls keinen elementaren, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschütternden Rechtsverstoß dar. Zur Begründung der Aufhebung des Haftbefehls hat der Angeklagte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit herangezogen und maßgeblich darauf abgestellt, dass dem Strafbedürfnis der Allgemeinheit durch die von D. T. L. erlittene Untersuchungshaft bereits hinreichend genügt sei. Diese Erwägung ist nicht sachfremd. Angesichts der Dauer der Untersuchungshaft von nahezu sechs Monaten bei einem Heranwachsenden war sie unter Berücksichtigung der bereits erwähnten Straferwartung für sich genommen jedenfalls nicht unvertretbar. Dass der Angeklagte in diese Verhältnismäßigkeitsbetrachtungen auch eine nicht näher erläuterte, vom Landgericht zutreffend als fehlerhaft bewertete Analogie zu § 456a StPO einbezogen hat, fällt demgegenüber nicht so erheblich ins Gewicht, dass der Entscheidung zur Aufhebung des Haftbefehls insgesamt der Charakter eines elementaren Rechtsbruchs anhaften würde.
16
b) Dafür dass der Angeklagte durch sein Verhalten auch unabhängig von der Aufhebung des Haftbefehls den Tatbestand der Rechtsbeugung und/oder der Strafvereitelung im Amt verwirklicht haben könnte, geben die im Urteil getroffenen Feststellungen keinen Anhalt.
17
aa) Zwar hat die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Angeklagten mehrfach erklärt, sie werde den gemäß § 154b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 StPO erforderlichen Antrag zur Einstellung des Strafverfahrens wegen Abschiebung des D. T. L. nicht stellen. Über diese Willensäußerung der Staatsanwaltschaft und damit über den fehlenden Antrag als rechtliche Voraussetzung für eine Einstellung nach dieser Vorschrift hat sich der Angeklagte aber nicht hinweggesetzt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er das Verfahren zu keinem Zeitpunkt gemäß § 154b StPO eingestellt.
18
bb) Ein Erörterungsmangel liegt auch nicht darin, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob ein elementarer, den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung oder der Strafvereitelung im Amt erfüllender Rechtsverstoß des Angeklagten darin bestehen konnte, dass der Angeklagte anstelle der dazu berufenen Staatsanwaltschaft die Zustimmung zur Abschiebung des D. T. L. gegeben und damit gegen die Zuständigkeitsvorschrift des (damals noch geltenden ) § 64 Abs. 3 AuslG verstoßen hätte.
19
An dem Entscheidungsprozess über die Abschiebung war der Angeklagte formal nicht beteiligt. Nach den Feststellungen ging die Initiative zur Abschiebung von der Ausländerbehörde aus und mündete in die Anfrage an den Angeklagten , ob von der "weiteren Vollstreckung der Strafe" im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung des D. T. L. abgesehen werden könne. Dass der Angeklagte auf das Vorstellungsbild der zuständigen Mitarbeiter der Ausländerbehörde eingewirkt hätte, etwa dergestalt, er werde unter Missachtung der der Staatsanwaltschaft durch § 64 Abs. 3 AuslG a. F. eingeräumten Befugnisse eine Zustimmung zur Abschiebung erteilen, ergeben die Feststellungen nicht. Vielmehr hat der Angeklagte die Anfrage an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet, sich in der Folgezeit mehrfach um deren Zustimmung be- müht und alsdann lediglich den gegen D. T. L. bestehenden Haftbefehl aufgehoben.
20
c) Auch die vom Angeklagten gewählte Verfahrensweise spricht gegen die Annahme, er habe sich maßgeblich von sachfremden Erwägungen leiten lassen, um unter gezielter Benachteiligung eines Verfahrensbeteiligten eine von ihm gewünschte Entscheidung zu erreichen. Insbesondere hat er seine Absicht, den Haftbefehl im Hinblick auf die von der Ausländerbehörde beabsichtigte Abschiebung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit aufzuheben, der Staatsanwaltschaft nicht etwa verheimlicht. Vielmehr hat er diese nach der Anfrage der Ausländerbehörde mehrfach angehört, um, wenn auch auf der Grundlage einer teilweise irrigen Rechtsansicht, deren Zustimmung zu erreichen. Die von ihm an die Staatsanwaltschaft übermittelte Ausfertigung des Beschlusses über die Aufhebung des Haftbefehls lag dort einen Tag vor dem Vollzug der Abschiebung vor. Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht, dass der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt eine Einflussnahme auf die bevorstehende Abschiebung unter Berufung auf § 64 Abs. 3 AuslG a. F. – etwa mit dem Ziel einer Aussetzung der Abschiebung im Eilwege – nicht mehr möglich war. Entsprechendes wird von der Beschwerdeführerin im Revisionsverfahren auch nicht vorgetragen.

IV.


21
Da das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Rechtsbeugung im Ergebnis zu Recht bereits aus objektiven Gründen verneint hat, kommt wegen der insoweit bestehenden Sperrwirkung eine Verurteilung wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) nicht in Betracht (Fischer StGB 56. Aufl. § 339 Rn. 21 m.w.N.). Auch bedürfen die weiter gehenden Einwände der Revi- sion gegen die Annahme von Schuldunfähigkeit des Angeklagten ebenso wenig der Erörterung wie die von der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang erhobene (weitere) Verfahrensrüge der Verletzung von § 261 StPO.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 10. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter , vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Anklage legt dem Angeklagten Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 der Strafprozessordnung normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt und dabei zumindest billigend in Kauf genommen habe, zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers zu handeln. Das Landgericht lehnte die Eröff- nung des Hauptverfahrens ab, weil ein „schwerer Rechtsbruch“ nicht ange- nommen werden könne. Die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung unterfielen der Sperrwirkung des § 339 StGB. Das Oberlandesgericht ließ die Anklage mit Beschluss vom 23. April 2012 (OLGSt StGB § 339 Nr. 3) zu und eröffnete das Verfahren vor dem Landgericht , weil der Angeklagte der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, hinreichend verdächtig sei.
3
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde der Angeklagte am 1. Oktober 1996 zum Vorsitzenden Richter befördert, wo er zunächst eine große Strafkammer leitete und später den Vorsitz in einer kleinen Strafkammer innehatte. Wegen verspäteter Zustellung von Urteilen kam es zu mehreren Disziplinarverfahren: Am 12. August 1999 erteilte ihm der Präsident des Landgerichts einen Vorhalt, mit Schreiben vom 1. Juli 2002 erteilte er dem Angeklagten einen Verweis, weil er in sieben Fällen ohne erkennbaren Grund die Zustellung von Urteilen erst dreieinhalb bis neun Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht verhängte gegen den Angeklagten mit rechtskräftigem Disziplinarbescheid vom 27. Juli 2006 eine Geldbuße von 1.500 €, weil er in elf Fällen wiederum die Zustellung von Urteilen erst viereinhalb bis zwölfeinhalb Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Im August 2007 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung ein. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 wurde der Angeklagte wegen der hier festgestellten fünf Sachverhalte und siebzehn weiterer Fälle, in denen unvollständig abgefasste Urteile zur Geschäftsstelle gelangt waren , durch das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht vorläufig des Dienstes enthoben.
4
2. Das Landgericht hat zu den fünf angeklagten Fällen im Einzelnen folgende Feststellungen getroffen:
5
a) In der Strafsache verwarf die vom Angeklagten geleitete Strafkammer die Berufung des A. M. nach eintägiger Hauptverhandlung am 28. Februar 2005 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 1. April 2005, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung, jedoch keine Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, keine rechtliche Würdigung und keine Ausführungen zur Strafzumessung enthielt, und ließ den Eingangsvermerk nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO anbringen. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ergänzte er das Urteil um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 28. Juli 2006. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision unter Berichtigung im Schuldspruch am 10. November 2006.
6
b) In der Strafsache wurde die Berufung des H. S. nach eintägiger Hauptverhandlung am 29. März 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 3. Mai 2006, dem Tag des Ablaufs der Urteilsabsetzungsfrist, brachte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin auf Anweisung des Angeklagten den Eingangsvermerk auf dem schriftlichen Urteil an, das zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung enthielt, während die übrigen Urteilsbestandteile nur rudimentär oder gar nicht enthalten waren. Die Schilderung der Tathand- lung fehlte vollständig. Nach Änderungen und Ergänzungen, die er nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist vorgenommen hatte, verfügte der Angeklagte am 13. Dezember 2006 die Zustellung des vervollständigten Urteils. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
7
c) In der Strafsache wurde die Berufung des S. B. nach dreitägiger Hauptverhandlung am 21. August 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 22. September 2006, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte , die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung vollständig enthielt, und ließ den Eingangsvermerk anbringen. Die Sachverhaltsschilderung bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem unvollständigen Halbsatz mit unzutreffender Tatzeitangabe, die Beweiswürdigung aus drei floskelhaften Sätzen. Der Angeklagte ergänzte das Urteil nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision am 1. April 2008.
8
d) In der Strafsache wurde die Berufung des M. W. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 10. Oktober 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 14. November 2006, dem Tag des Ablaufs der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, wies der Angeklagte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin an, den Eingang des Urteils zu vermerken und ihm die Akten wieder vorzulegen. Das Urteil enthielt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person. Die ebenfalls enthaltenen Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung standen in keinem Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 19. Februar 2005, sondern bezogen sich auf zwei im Jahr 2001 begangene Betrugshandlungen. Nach Ersetzung der unzutreffenden Ausführungen nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist verfügte der Angeklagte am 3. August 2007 die Urteilszustellung. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil im Schuld- und Strafausspruch , hob die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und wies in diesem Umfang die Sache unter Verwerfung der weitergehenden Revision am 21. November 2007 an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
9
e) In der Strafsache wurde die Berufung des St. D. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 19. September 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Der Angeklagte ließ am 23. Oktober 2006, einen Tag vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, von der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin den Eingangsvermerk auf dem Urteil anbringen, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person enthielt. Die Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung betrafen nicht die ausgeurteilten Straftaten vom 10. September 2004, sondern eine Sachbeschädigung aus dem Jahr 2002. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ersetzte der Angeklagte die unzutreffenden Textpassagen durch passende Ausführungen. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Bereits zuvor, am 6. November 2006, hatte Herr D. die Revision zurückgenommen. Wann der Angeklagte von der Revisionsrücknahme erfuhr, konnte nicht geklärt werden.
10
Der Angeklagte machte die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist erfolgten Änderungen nicht aktenkundig und ließ sie nicht von der Geschäftsstelle vermerken. Er beließ jeweils die erste Urteilsseite mit dem Eingangsvermerk und tauschte die geänderten Seiten heimlich aus.
11
3. Nach Auffassung des Landgerichts erfüllen die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Er habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sondern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB.

II.


12
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
1. Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283 f.; Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 108 f.; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 jeweils mwN).
14
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehandelt hat. Un- ter „Rechtssache“ ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu „entscheiden“ hat; die „Leitung“ der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen. Ob die Leitung der Rechtssache mit dem Erlass einer Entscheidung, also der Anordnung einer Rechtsfolge (NK-StGB-Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 26), beendet ist, hängt von der Art des Verfahrens und dem Gegenstand der Entscheidung ab. Die Absetzung des schriftlichen Urteils in Strafsachen dient nicht allein der verwaltungsmäßigen Abwicklung des Strafverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 385), dieses ist mit der mündlichen Urteilsverkündung nicht beendet. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist vielmehr originäre Aufgabe des erkennenden Richters und gehört zur Leitung und Entscheidung der Rechtssache. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Tätigkeit des Richters kann in diesem Fall die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen, das Verfahren hat mithin auch nach Erlass des mündlichen Urteils weiterhin die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand.
15
b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.
16
Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrensrechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.
17
Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits angebracht , so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat.
18
c) Die Tat muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen. Zugunsten oder zum Nachteil einer Partei wirkt sich eine Beugung des Rechts aus, wenn sie die Partei besser oder schlechter stellt, als sie bei richtiger Rechtsanwendung stünde. Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN).
19
Das Verhalten des Angeklagten war in allen Fällen ohne weiteres geeignet , sich zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers auszuwirken. Die innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangten Urteile waren unvollständig, enthielten insbesondere keine Sachverhaltsdarstellung des abgeurteilten Falls und keine Beweiswürdigung, so dass sie bereits auf die allgemeine Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufzuheben gewesen wären. Diesen Umstand verschleierte der Angeklagte. Der dem Angeklagten objektiv anzulastende Rechtsbeugungsverstoß lag in der heimlichen, aus den Akten nicht erkennbaren Beseitigung eines durchgreifenden Revisionsgrundes, welche zu einer Verschlechterung der Rechtsmittelposition der jeweiligen Revisionsführer führte und ohne weiteres eine Benachteiligung bedeutete (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09 Rn. 7, NStZ 2010, 92; Urteil vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Rn. 19, NStZ 2013, 106, 107). Ob das in der Sache ergangene Urteil der Berufungskammer materiell richtig war, ist hingegen für diese Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts ohne die Manipulation konkret anders ausgefallen wäre. Durch die Manipulationen wurde die Rechtsstellung der Revisionsführer unmittelbar verletzt, denn die unvollständigen Urteilsgründe wurden nicht zur Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts.
20
d) Der Angeklagte hat nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt. Insofern genügt bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276); der Täter muss für möglich halten, dass seine fehlerhafte Entscheidung zur Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei führen wird und sich damit abfinden (NK-StGB-Kuhlen, aaO, Rn. 78). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte sogar in der Absicht handelte, die Prozessbeteiligten und das Revisionsgericht darüber zu täuschen, dass die ihnen vorlie- gende Urteilsniederschrift inhaltlich nicht derjenigen entsprach, welche zu dem auf dem Eingangsvermerk bezeichneten Zeitpunkt zur Geschäftsstelle gelangt war (UA S. 20). Ohne Bedeutung für den bewussten, objektiven Verstoß gegen das Recht ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts, dass das Motiv des Angeklagten war, den Anschein seiner Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und einer weiteren Disziplinarmaßnahme zu entgehen, nicht aber, die Revisionsführer gezielt zu benachteiligen. Für den objektiven Tatbestand reicht der bewusste Rechtsverstoß (der sich bei formell ordnungsgemäßen Handlungen aus dem Motiv des Täters ergeben kann), eine darüber hinausgehende absichtliche Begünstigung oder Benachteiligung der Prozessparteien ist nicht erforderlich (LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 82, 85). War sich der Angeklagte über die Rechtswidrigkeit seines Handelns zum Nachteil der Revisionsführer im Klaren, dann hat er auch, und zwar mit direktem Vorsatz, das Recht gebeugt.
21
Die Strafkammer verkennt bei ihrer Bewertung zudem, dass es bei der Benachteiligung bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht nicht entscheidend auf die materielle Richtigkeit der „Endentscheidung“ oder des in der Berufungs- hauptverhandlung verkündeten Urteils ankommt, sondern auch in der Verschlechterung der prozessualen Situation der Prozessbeteiligten eine Benachteiligung liegt. Dass sich der Angeklagte als erfahrener Strafrichter der Verschlechterung der prozessualen Situation der Revisionsführer bewusst war, hat das Landgericht ebenfalls festgestellt (UA S. 23). Auf seine Vorstellung, das von der Berufungskammer gefundene Urteil sei im Ergebnis richtig, kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 115).
22
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe liegt nach den bisherigen Feststellungen ein untauglicher Versuch nahe. Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht von der Sperrwirkung des § 339 StGB erfasst wäre.
23
Auch wenn die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, gebietet es der Umstand, dass der freigesprochene Angeklagte gegen die getroffenen Feststellungen kein Rechtsmittel einlegen konnte, auch diese aufzuheben (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 56; vgl. MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck RiBGH Dr. Franke ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Bender Quentin

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgrichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt. Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des Angeklagten , der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr vorfand.
Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt E. z u erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter Geräusche während des Festes zu gestatten und der Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen. Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte, äußerte er gegenüber dem anwesenden Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten , auch wenn die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht. Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht gestört werden. Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die Einschränkung enthielt, daß diese von
der Stadt nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie Zimmerlautstärke überschreite. In den Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus: ” ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen sind. Der Richter ist über den Antrag und seine Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich, weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist. Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden , weil es sich um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG E. ist nicht erreichbar). ...” Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung: ”1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift 2. Austragen 3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W. übersandt.” Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte, daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag zurückwies.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden, vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu enthalten , gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E. wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den hier der Verwaltungs-
rechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war, geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht (Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp; VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3 ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße , bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen Verfahrensverstöße , insbesondere aber die Verletzung der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend. Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandt-
schaft (hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt bei Verstößen gegen eine Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe, sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der Sperrung der Straße habe am Montag
begonnen werden sollen. Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe gewußt, daß der Antrag nicht außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will und berücksichtigt auch nicht, daß die Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47 ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er, wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, daß er spätestens nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe entscheiden wollen , um zu verhindern, daß andere damit befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht weiterleiten oder gar zurückweisen würden. Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich möglich, sie berücksichtigen aber nicht, daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der Namensverschiedenheit nicht offensichtliche - Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, daß er wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu verzögern, sondern für die umgehende Übersendung der Akten gesorgt , wodurch sein Handeln sofort offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als wenig sinnvoll erscheinen lassen , hätte sich das Landgericht auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung gemäß § 339 StGB führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten Rothfuß Elf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Zur unerlässlichen Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in
einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen
und schwierigen Strafverfahren.
BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09
LG Potsdam –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 7. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Rechtsbeugung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Juli 2010

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. Juni 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit schwerer Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, gegen den Angeklagten P. eine solche von einem Jahr und acht Monaten. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sind jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt worden.

A.


2
Das Landgericht hat seiner Verurteilung im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
3
Der Beschwerdeführer M. führte als Richter am Amtsgericht den Vorsitz in einer Schöffengerichtssache gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt. A. wurde zur Last gelegt, als Nachlasspfleger in sechs Fällen Nachlassvermögen in Höhe von insgesamt etwa 400.000 € veruntreut zu haben. Am 30. Juni 2005 verurteilte ihn das Schöf- fengericht unter Vorsitz des Beschwerdeführers M. schließlich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. M. war nach dem Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts lediglich noch für die Erledigung dieses schöffengerichtlichen Verfahrens zuständig, dessen Hauptverhandlung am 16. Dezember 2004 begonnen hatte. Im Übrigen (90 %) war er an das Landgericht Frankfurt/Oder abgeordnet. Der Beschwerdeführer P. ist Oberstaatsanwalt und nahm als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder an der überwiegenden Anzahl der Hauptverhandlungstage teil.
4
A. ließ sich im Strafverfahren unter anderem von Rechtsanwalt R. verteidigen. Darüber war der Beschwerdeführer M. von Beginn an sehr ungehalten, weil er R. verdächtigte, an der Vortat des A. beteiligt gewesen zu sein. Er rechnete daher damit, dass R. Konfliktverteidigung betreiben würde, „um von seiner eigenen Tatbeteiligung abzulenken sowie die Aufklärung des Sachverhalts zu verzögern und zu erschweren“ (UA S. 13). Er war deshalb bestrebt, „R. möglichst rasch der Beteiligung an den Taten des B. A. zu überführen und ihn auf diese Weise auch aus dem gegen B. A. anhängigen Strafverfahren auszuschließen“ (UA S. 13). Seine im April 2004 erfolgte Vorlage an das Brandenburgische Oberlandesgericht mit dem Ziel, R. gemäß §§ 138a, 138c StPO als Tatbeteiligten auszuschließen, war ohne Erfolg geblieben (UA S. 14). Deshalb beschloss er, „selbst gegen Rechtsanwalt R. zu ermitteln und ihn mit Zwangsmaßnahmen zu überziehen“ (UA S. 14). Dabei war ihm bekannt, dass sowohl gegen R. als auch gegen A. s Ehefrau C. von der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Der auch für das Verfahren gegen B. A. zuständige Dezernent, Staatsanwalt B. , erhob später, im Juni 2006, gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche Anklage. Zum Ausgang dieses Verfahrens hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.
5
In dem Schöffengerichtsverfahren wurde der Beschwerdeführer M. am 24. März 2005 (7. Hauptverhandlungstag) durch B. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Begründet wurde das Ablehnungsgesuch maßgeblich mit der Berichterstattung des früheren Direktors des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt W. Oder-Spree- im Fernsehen vom Vortag. Dieser nahm als Prozessberichterstatter an einer Vielzahl der Sitzungstage teil und kommentierte über diesen Sender „tendenziös zu Lasten“ des Angeklagten A. und des Verteidigers Rechtsanwalt R. das Prozessgeschehen; dabei verfügte er aus Sicht der Verteidigung A. s über Informationen, die er nur von M. erlangt haben konnte (UA S. 29).
6
Am 7. April 2005 (8. Hauptverhandlungstag) wurde der Beschwerdeführer M. erneut abgelehnt. Grund dafür war seine wörtliche Äußerung (UA S. 31): „Hier gilt doch nicht die StPO, hier gilt doch die HPO. Die kennen Sie doch? Die kennt nur einen Paragraphen und der heißt: Der Strafprozess beginnt mit der Vollstreckung, alles weitere bestimmt der Vorsitzende !“ Mit der Wendung „HPO“ meinte M. eine sogenannte „Hüttenstädter Prozessordnung“, mit der er Rechtsanwalt R. die Macht des Vorsitzenden demonstrieren wollte (UA S. 31). Die Ablehnungsgesuche wurden am 11. April 2005 (UA S. 36) und 21. April 2005 (UA S. 45) jeweils durch M. s Vertreterin zurückgewiesen.
7
Ebenfalls am achten Hauptverhandlungstag überreichte der als Zeuge vernommene Rechtsanwalt R. Ablichtungen eines Kaufvertrags über die Veräußerung seines Kraftfahrzeugs an C. A. . Der Beschwerdeführer M. nahm an, dass der Kaufvertrag rückdatiert worden sei, erhob sich, „warf seine Robe nach hinten, deutete auf den Zeugen R. und rief: ‚Sie sind festgenommen!’. Er hatte bereits vor dieser Sitzung den Entschluss gefasst, den Zeugen R. , B. A. und dessen Ehefrau festnehmen zu lassen, und dies mit P. besprochen, weil er sichergehen wollte , dass dieser die entsprechenden Haftbefehlsanträge stellen würde“ (UA S. 33). Entsprechend erhielt der Beschwerdeführer M. vom Beschwerdeführer P. drei vorbereitete schriftliche Anträge, mit denen dieser die Anordnung der Untersuchungshaft gegen B. A. wegen Untreue sowie gegen R. und C. A. wegen Geldwäsche und Begünstigung , bezüglich R. auch wegen uneidlicher Falschaussage beantragte. Sämtliche Anträge waren auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sowie bei R. zusätzlich auf Fluchtgefahr gestützt. Der Beschwerdeführer M. vergab für die Haftbefehlsanträge betreffend R. und C. A. gerichtliche Aktenzeichen mit Gs-Registerzeichen, beschloss die Verbindung der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem von ihm geführten Strafverfahren gegen B. A. und ordnete antragsgemäß Untersuchungshaft gegen alle drei an. R. und B. A. wurden im Sitzungssaal, C. A. acht Minuten später an ihrer Arbeitsstelle festgenommen.
8
Beiden Beschwerdeführern war bewusst, dass M. für eine eigenmächtige Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen und noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ebenso wenig zuständig war wie für den Erlass von Haftbefehlen in diesen Ermittlungsverfahren. Sie wollten insbesondere „in Kenntnis des Fehlens tragender Haftgründe im Umgang mit einer vermeintlichen Konfliktverteidigung ein Exempel statuieren“ und gingen davon aus, dass „der Erlass der Haftbefehle durch einen anderen Richter, ebenso wie die Beantragung der Haftbefehle durch einen anderen Vertreter der Staatsanwaltschaft höchstwahrscheinlich nicht zu erreichen gewesen wäre“ (UA S. 36/37).
9
Am 14. April 2005 (9. Hauptverhandlungstag) wurden R. und C. A. als Zeugen vernommen. Zwischenzeitlich war es auf Betreiben von Staatsanwalt B. zu Unterredungen mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt gekommen, in deren Folge Staatsanwalt B. am 14. April 2005 die Entlassung von R. aus der Untersuchungshaft anordnete. Am folgenden Tag beschloss der Beschwerdeführer M. „in den Straf- und Ermittlungsverfahren“ gegen B. und C. A. sowie R. , dass die Haftbefehle gegen den Angeklagten A. sowie die „Beschuldigte“ C. A. aufgehoben werden, weil sich im Hinblick auf die Entlassung des „Beschuldigten“ R. der weitere Vollzug der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig darstelle (UA S. 45); am selben Tag ordnete er ihre Entlassung an und hob später auch den Haftbefehl gegen R. sowie den Verbindungsbeschluss auf.

B.


10
Die Revisionen haben bereits mit Besetzungsrüge Erfolg. Zu Recht beanstanden die Beschwerdeführer, dass die Strafkammer unter Verstoß gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG mit nur zwei Berufsrichtern besetzt gewesen ist. Die fehlerhafte Besetzung des erkennenden Gerichts hat als absoluter Revisionsgrund die Aufhebung des Urteils zur Folge (§ 338 Nr. 1 StPO).
11
I. Den Rügen liegt folgender prozessualer Sachverhalt zugrunde:
12
1. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschwerdeführer unter dem 30. August 2007 Anklage wegen gemeinschaftlich begangener Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zum Landgericht Frankfurt/Oder erhoben. Den zunächst ergangenen Nichteröffnungsbeschluss hat das Brandenburgische Oberlandesgericht am 29. Juli 2008 auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Potsdam eröffnet. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Februar 2009 nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters ohne Angabe von Gründen abgesehen; den von den Beschwerdeführern jeweils vor ihrer Vernehmung zur Sache erhobenen Besetzungseinwand, gestützt auf eine unvertretbare reduzierte Gerichtsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG, hat das Landgericht (in der für die Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung) zurückgewiesen und zur Begründung mitgeteilt: „Die Kammer hält sich für ordnungsgemäß besetzt. Eine willkürliche Entscheidung über die Besetzung ist nach hiesiger Meinung nicht erkennbar.“
13
2. Den bestreitenden Beschwerdeführern wurden durch die Anklageschrift „mehrere evidente Rechtsverstöße“, begangen zum Nachteil der Eheleute A. sowie des Rechtsanwalts R. , als einheitliche Tat der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zur Last gelegt. Im Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung belief sich der Umfang der Leitakte bereits auf mehr als 900 Seiten.
14
Überdies oblag der Strafkammer die Aufklärung des komplexen Ausgangsverfahrens gegen B. A. , das ursprünglich zum Landgericht angeklagt , aber mit Blick auf die zu erwartende Rechtsfolge vor dem Schöffengericht eröffnet worden war. Unter dem Vorsitz des Beschwerdeführers M. war darüber mehr als ein halbes Jahr an 14 Hauptverhandlungstagen auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verhandelt worden. Die Hauptaktenbände umfassten etwa 1.600 Seiten, wurden ebenso wie die Hauptakten der Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. (Umfang etwa 800 Seiten) als Kopieakten beigezogen und in der Darstellung der Beweismittel in der Anklageschrift berücksichtigt. Nach dem – durch die Gegenerklärung unwidersprochen gebliebenen (vgl. zur Bedeutung der Revisionsgegenerklärung Drescher NStZ 2003, 296, 300) – Revisionsvortrag umfassten allein die beigezogenen Verfahrensakten – ersichtlich nebst Beiakten – insgesamt mehr als 7.000 Seiten.
15
3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung.
16
II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte.
17
1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens , dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251; Kissel /Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten , der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3).
18
2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit , die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44, 328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO).
19
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis , soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.; 14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt , den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe /Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist.
20
3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 http://www.juris.de/jportal/portal/t/362m/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJLU034439337&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 10 - Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt.
21
Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren.
22
Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. und C. A. an den Taten des B. A. durch die Strafkammer aufzuklären.
23
Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde.
24
Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR 2004, 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.

C.


25
Auf die sonstigen erhobenen Verfahrensrügen und die – nicht etwa zu einer begünstigenden Durchentscheidung führenden – sachlichrechtlichen Beanstandungen der Revisionen der Beschwerdeführer kommt es danach nicht mehr an. Der Senat sieht jedoch mit Blick auf das weitere Verfahren Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
26
I. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zum Verfahren gegen B. A. vor dem Amtsgericht Eisenhüttenstadt sind – möglicherweise gar infolge der reduzierten Strafkammerbesetzung – derart zusammenhanglos und lückenhaft, dass sie eine sachlichrechtliche Überprüfung einiger der den Beschwerdeführern zur Last gelegten Verfahrenshandlungen http://www.juris.de/jportal/portal/t/1c1d/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=2&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/1clq/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE301549700&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 12 - für den Senat weitgehend nicht ermöglichen würden. Dies gilt namentlich für eine willkürliche Annahme von Haftgründen.
27
Darüber hinaus stellen Verfahrensrügen des Beschwerdeführers M. die Feststellungen zu ihm vorgeworfenen rechtsbeugerischen Verfahrenshandlungen teilweise in Frage. Dies gilt beispielsweise für die Feststellung der Haftgründe gegen Rechtsanwalt R. , wie für die Initiative des Beschwerdeführers M. in dem gegen diesen betriebenen Ausschließungsverfahren nach §§ 138a ff. StPO.
28
II. Der Senat merkt andererseits an: Im Gewicht von Verfahrensverstößen kann ein tragfähiges Indiz für eine sachwidrige Motivation im Sinne des § 339 StGB liegen. Weitere Indizien können sich aus den festzustellenden Begleitumständen ergeben.
29
1. Die Strafkammer geht zu Recht davon aus, dass Rechtsbeugung auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden kann (vgl. BGHSt 42, 343, 344; 47, 105, 109; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jeweils m.w.N.). Um nicht in jedem Rechtsverstoß bereits eine „Beugung“ des Rechts zu sehen, enthält das Tatbestandsmerkmal ein normatives Element; erfasst werden sollen davon nur elementare Verstöße gegen die Rechtspflege, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt 32, 357, 364; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345; 47, 105, 109 ff.; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 7; BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 Tz. 10) und dadurch die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGHSt 42, 343, 346, 351; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6).
30
2. Für die Erfüllung des ungeschriebenen tatbestandlichen Regulativs der konkreten Gefahr einer sachfremden Entscheidung (vgl. BGHSt 32, 357, 364) kann es sprechen, wenn ein Richter eine Entscheidung zum Nachteil einer Partei unter bewusster Begehung eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers trifft. Ein derartiger schwerwiegender Verstoß kann in einer willkürlichen Zuständigkeitsbegründung als Missachtung des rechtsstaatlich besonders bedeutsamen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedenfalls dann liegen, wenn diese eine Verletzung weiterer wesentlicher grund- oder konventionsrechtlicher Rechtspositionen des Betroffenen bewirkt.
31
a) Der Beschwerdeführer M. war nach den bislang getroffenen Feststellungen für die Anordnung von Untersuchungshaft gegen R. und C. A. nicht zuständig. Nach der Geschäftsverteilung war M. im Jahre 2005 ausschließlich für die Erledigung des bereits rechtshängigen Schöffengerichtsverfahrens gegen B. A. zuständig.
32
aa) Die von ihm beschlossene Verbindung der bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Ermittlungsverfahren gegen R. und C. A. mit dem beim Amtsgericht Eisenhüttenstadt rechtshängigen Verfahren gegen B. A. konnte eine Zuständigkeit nicht begründen. Die allein in Betracht kommende Verfahrensverbindung nach § 4 StPO war dem Angeklagten verschlossen. Es fehlte bereits an der erforderlichen Anklage (vgl. MeyerGoßner , StPO 53. Aufl. § 4 Rdn. 4); nicht einmal ein entsprechender – freilich dafür nicht genügender – Verbindungsantrag des Beschwerdeführers P. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war gestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihre alleinige Dispositionsbefugnis über die Ermittlungsverfahren noch nicht verloren (vgl. Erb in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 4 Rdn. 3).
33
bb) Entgegen der Auffassung der Revision ergeben die bisherigen Feststellungen auch keine Zuständigkeit des Beschwerdeführers M. aus § 125 Abs. 1 StPO. http://www.juris.de/jportal/portal/t/1dv0/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=14&numberofresults=15&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE161320576&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 14 -
34
Als gegenüber § 162 Abs. 1 StPO speziellere Regelung ist danach vor Erhebung der öffentlichen Klage für den Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich jeder Richter bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk ein Gerichtsstand begründet ist (vgl. auch Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 125 Rdn. 5). Im Falle verschiedener Gerichtsstände können daher auch mehrere Richter unterschiedlicher örtlich zuständiger Amtsgerichte zuständig sein, sofern deren Verhältnis nicht durch eine Zuständigkeitskonzentration nach § 58 GVG geregelt worden ist. Indes bestimmt § 125 Abs. 1 StPO nicht, wie sich die Zuständigkeit verschiedener Richter desselben in Betracht kommenden Gerichtsstands zueinander verhält. Die Annahme der Revision, aus § 125 Abs. 1 StPO folge die gleichrangige unmittelbare Zuständigkeit jedes Richters dieses Amtsgerichts, ist mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar.
35
Über den im Einzelfall nach § 125 StPO konkret zuständigen Richter haben die Bestimmungen der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 19, 52, 59 f.; 20, 336, 344; 25, 336, 346). Auf diese Weise wird gewährleistet, dass der einzelne konkret zuständige Richter generell vorbestimmt ist, und verhindert, dass er ad hoc und ad personam bestimmt wird. Durch den Jahresgeschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt wurde die Zuständigkeit für ermittlungsrichterliche Befugnisse ausdrücklich zwei namentlich benannten Richtern und weiteren Vertretern , nicht jedoch dem ausschließlich noch für das Schöffengerichtsverfahren gegen B. A. zuständigen Beschwerdeführer M. zugewiesen. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen damit eine zureichende generelle Bestimmung auch des nach § 125 Abs. 1 StPO zuständigen Richters.
36
Der Ermittlungsrichter ist funktionell für sämtliche amtsgerichtliche Entscheidungen im Verfahren zur Vorbereitung der öffentlichen Klage und damit auch für die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 125 Abs. 1 StPO zuständig, sofern keine abweichende Regelung im Geschäftsverteilungsplan getroffen worden ist (vgl. Hilger in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer [1990] S. 209, 213; Meyer-Goßner aaO § 162 Rdn. 13, § 125 Rdn. 2; Erb aaO § 162 Rdn. 16). Eine nähere Regelung eines Zuständigkeitsbereiches für den „Haftrichter“ im Geschäftsverteilungsplan ist regelmäßig entbehrlich , wenngleich als Spezialzuweisung möglich; der Strafprozessordnung ist ebenso wie dem Gerichtsverfassungsgesetz der Begriff und damit eine eigenständige regelungsbedürftige funktionale Zuständigkeit des „Haftrichters“ fremd.
37
cc) Von diesem Rechtsverständnis ging, soweit aus den bisherigen Feststellungen ersichtlich, auch der Beschwerdeführer M. aus. Er stützte seine Anordnung gerade nicht auf § 125 StPO; anderenfalls hätte es der offensichtlich rechtswidrigen Verbindung der Verfahren nicht bedurft.
38
b) Bei alledem erfolgte die Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Zusammenhang mit der Anordnung einer Freiheitsentziehung und berührte damit zugleich das Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), die zudem durch Richtervorbehalt (Art. 104 Abs. 2 GG) verfahrensrechtlich besonders abgesichert ist (vgl. Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG Band III 5. Aufl. Art. 104 Rdn. 13; ferner Art. 5 MRK).
39
III. Zur Revision des Beschwerdeführers P. merkt der Senat ergänzend an:
40
Die Strafkammer legt ihm zur Last, „sich als Mittäter einer Rechtsbeugung schuldig gemacht zu haben“, indem er „aus sachfremden Erwägungen“ und „in Absprache mit dem Beschwerdeführer M. die Anträge auf Erlass der Haftbefehle“ in der Kenntnis gestellt hat, dass „keine tragenden Haftgründe gegeben waren“ (UA S. 89).
41
1. Die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Beschwerdeführers P. (§ 25 Abs. 2 StGB) begegnet vor dem Hintergrund der getroffe- nen Urteilsfeststellungen rechtlichen Bedenken. Als Mittäter handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung des anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des einen Tatanteils erscheint (BGHSt 40, 299, 301; Fischer, StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 12 ff.). Erforderlich zur gebotenen Abgrenzung zur Teilnahme ist eine wertende tatrichterliche Gesamtschau. Daran fehlt es hier. Allein die – durch die Strafkammer wiederholt und gar apodiktisch angeführte – Tatmotivation des Beschwerdeführers P. trägt den für die Täterschaft notwendigen Willen zur Tatherrschaft noch nicht. Ob der Umfang seiner Beteiligung in Form der gestellten Haftanträge als notwendige Voraussetzung der Haftanordnungen für sich erhebliches Gewicht im Sinne einer objektiven Mitbeherrschung des Geschehens aufweist und daher ein tragfähiges Indiz für die Mittäterschaft darstellt, erscheint – ungeachtet der maßgeblichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. – jedenfalls nicht eindeutig. Sollte das neue Tatgericht keine weitergehenden Feststellungen namentlich zu einer gemeinsamen Tatplanung unter erheblicher Mitwirkung des Beschwerdeführers P. treffen können, so kann – bei entsprechendem Vorsatz – eine Beihilfe zur Rechtsbeugung in Betracht kommen.
42
2. Die knappen und wenig differenzierten Erörterungen der Strafkammer lassen indes selbst bei mittäterschaftlicher Erfolgszurechnung besorgen, dass dem Beschwerdeführer P. ein zu weiter Schuldumfang zur Last gelegt wurde. Auch bei Mittätern ist zunächst nach dem jeweils zurechenbaren Erfolgs- und Handlungsunwert zu differenzieren (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 479). Namentlich Ausführungen zum angenommenen Handlungsunwert sind bislang – anders als beim Beschwerdeführer M. – unterblieben. Diese waren aber gerade auch im Blick auf die hinter der Bestrafung des Beschwerdeführers M. nur wenig zurückbleibende verhängte Sanktion unentbehrlich.
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgrichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt. Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des Angeklagten , der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr vorfand.
Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt E. z u erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter Geräusche während des Festes zu gestatten und der Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen. Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte, äußerte er gegenüber dem anwesenden Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten , auch wenn die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht. Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht gestört werden. Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die Einschränkung enthielt, daß diese von
der Stadt nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie Zimmerlautstärke überschreite. In den Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus: ” ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen sind. Der Richter ist über den Antrag und seine Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich, weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist. Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden , weil es sich um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG E. ist nicht erreichbar). ...” Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung: ”1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift 2. Austragen 3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W. übersandt.” Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte, daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag zurückwies.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden, vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu enthalten , gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E. wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den hier der Verwaltungs-
rechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war, geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht (Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp; VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3 ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße , bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen Verfahrensverstöße , insbesondere aber die Verletzung der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend. Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandt-
schaft (hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt bei Verstößen gegen eine Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe, sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der Sperrung der Straße habe am Montag
begonnen werden sollen. Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe gewußt, daß der Antrag nicht außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will und berücksichtigt auch nicht, daß die Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47 ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er, wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, daß er spätestens nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe entscheiden wollen , um zu verhindern, daß andere damit befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht weiterleiten oder gar zurückweisen würden. Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich möglich, sie berücksichtigen aber nicht, daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der Namensverschiedenheit nicht offensichtliche - Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, daß er wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu verzögern, sondern für die umgehende Übersendung der Akten gesorgt , wodurch sein Handeln sofort offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als wenig sinnvoll erscheinen lassen , hätte sich das Landgericht auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung gemäß § 339 StGB führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten Rothfuß Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 10. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter , vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Anklage legt dem Angeklagten Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 der Strafprozessordnung normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt und dabei zumindest billigend in Kauf genommen habe, zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers zu handeln. Das Landgericht lehnte die Eröff- nung des Hauptverfahrens ab, weil ein „schwerer Rechtsbruch“ nicht ange- nommen werden könne. Die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung unterfielen der Sperrwirkung des § 339 StGB. Das Oberlandesgericht ließ die Anklage mit Beschluss vom 23. April 2012 (OLGSt StGB § 339 Nr. 3) zu und eröffnete das Verfahren vor dem Landgericht , weil der Angeklagte der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, hinreichend verdächtig sei.
3
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde der Angeklagte am 1. Oktober 1996 zum Vorsitzenden Richter befördert, wo er zunächst eine große Strafkammer leitete und später den Vorsitz in einer kleinen Strafkammer innehatte. Wegen verspäteter Zustellung von Urteilen kam es zu mehreren Disziplinarverfahren: Am 12. August 1999 erteilte ihm der Präsident des Landgerichts einen Vorhalt, mit Schreiben vom 1. Juli 2002 erteilte er dem Angeklagten einen Verweis, weil er in sieben Fällen ohne erkennbaren Grund die Zustellung von Urteilen erst dreieinhalb bis neun Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht verhängte gegen den Angeklagten mit rechtskräftigem Disziplinarbescheid vom 27. Juli 2006 eine Geldbuße von 1.500 €, weil er in elf Fällen wiederum die Zustellung von Urteilen erst viereinhalb bis zwölfeinhalb Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Im August 2007 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung ein. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 wurde der Angeklagte wegen der hier festgestellten fünf Sachverhalte und siebzehn weiterer Fälle, in denen unvollständig abgefasste Urteile zur Geschäftsstelle gelangt waren , durch das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht vorläufig des Dienstes enthoben.
4
2. Das Landgericht hat zu den fünf angeklagten Fällen im Einzelnen folgende Feststellungen getroffen:
5
a) In der Strafsache verwarf die vom Angeklagten geleitete Strafkammer die Berufung des A. M. nach eintägiger Hauptverhandlung am 28. Februar 2005 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 1. April 2005, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung, jedoch keine Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, keine rechtliche Würdigung und keine Ausführungen zur Strafzumessung enthielt, und ließ den Eingangsvermerk nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO anbringen. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ergänzte er das Urteil um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 28. Juli 2006. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision unter Berichtigung im Schuldspruch am 10. November 2006.
6
b) In der Strafsache wurde die Berufung des H. S. nach eintägiger Hauptverhandlung am 29. März 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 3. Mai 2006, dem Tag des Ablaufs der Urteilsabsetzungsfrist, brachte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin auf Anweisung des Angeklagten den Eingangsvermerk auf dem schriftlichen Urteil an, das zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung enthielt, während die übrigen Urteilsbestandteile nur rudimentär oder gar nicht enthalten waren. Die Schilderung der Tathand- lung fehlte vollständig. Nach Änderungen und Ergänzungen, die er nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist vorgenommen hatte, verfügte der Angeklagte am 13. Dezember 2006 die Zustellung des vervollständigten Urteils. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
7
c) In der Strafsache wurde die Berufung des S. B. nach dreitägiger Hauptverhandlung am 21. August 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 22. September 2006, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte , die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung vollständig enthielt, und ließ den Eingangsvermerk anbringen. Die Sachverhaltsschilderung bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem unvollständigen Halbsatz mit unzutreffender Tatzeitangabe, die Beweiswürdigung aus drei floskelhaften Sätzen. Der Angeklagte ergänzte das Urteil nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision am 1. April 2008.
8
d) In der Strafsache wurde die Berufung des M. W. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 10. Oktober 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 14. November 2006, dem Tag des Ablaufs der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, wies der Angeklagte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin an, den Eingang des Urteils zu vermerken und ihm die Akten wieder vorzulegen. Das Urteil enthielt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person. Die ebenfalls enthaltenen Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung standen in keinem Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 19. Februar 2005, sondern bezogen sich auf zwei im Jahr 2001 begangene Betrugshandlungen. Nach Ersetzung der unzutreffenden Ausführungen nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist verfügte der Angeklagte am 3. August 2007 die Urteilszustellung. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil im Schuld- und Strafausspruch , hob die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und wies in diesem Umfang die Sache unter Verwerfung der weitergehenden Revision am 21. November 2007 an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
9
e) In der Strafsache wurde die Berufung des St. D. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 19. September 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Der Angeklagte ließ am 23. Oktober 2006, einen Tag vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, von der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin den Eingangsvermerk auf dem Urteil anbringen, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person enthielt. Die Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung betrafen nicht die ausgeurteilten Straftaten vom 10. September 2004, sondern eine Sachbeschädigung aus dem Jahr 2002. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ersetzte der Angeklagte die unzutreffenden Textpassagen durch passende Ausführungen. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Bereits zuvor, am 6. November 2006, hatte Herr D. die Revision zurückgenommen. Wann der Angeklagte von der Revisionsrücknahme erfuhr, konnte nicht geklärt werden.
10
Der Angeklagte machte die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist erfolgten Änderungen nicht aktenkundig und ließ sie nicht von der Geschäftsstelle vermerken. Er beließ jeweils die erste Urteilsseite mit dem Eingangsvermerk und tauschte die geänderten Seiten heimlich aus.
11
3. Nach Auffassung des Landgerichts erfüllen die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Er habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sondern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB.

II.


12
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
1. Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283 f.; Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 108 f.; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 jeweils mwN).
14
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehandelt hat. Un- ter „Rechtssache“ ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu „entscheiden“ hat; die „Leitung“ der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen. Ob die Leitung der Rechtssache mit dem Erlass einer Entscheidung, also der Anordnung einer Rechtsfolge (NK-StGB-Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 26), beendet ist, hängt von der Art des Verfahrens und dem Gegenstand der Entscheidung ab. Die Absetzung des schriftlichen Urteils in Strafsachen dient nicht allein der verwaltungsmäßigen Abwicklung des Strafverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 385), dieses ist mit der mündlichen Urteilsverkündung nicht beendet. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist vielmehr originäre Aufgabe des erkennenden Richters und gehört zur Leitung und Entscheidung der Rechtssache. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Tätigkeit des Richters kann in diesem Fall die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen, das Verfahren hat mithin auch nach Erlass des mündlichen Urteils weiterhin die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand.
15
b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.
16
Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrensrechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.
17
Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits angebracht , so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat.
18
c) Die Tat muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen. Zugunsten oder zum Nachteil einer Partei wirkt sich eine Beugung des Rechts aus, wenn sie die Partei besser oder schlechter stellt, als sie bei richtiger Rechtsanwendung stünde. Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN).
19
Das Verhalten des Angeklagten war in allen Fällen ohne weiteres geeignet , sich zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers auszuwirken. Die innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangten Urteile waren unvollständig, enthielten insbesondere keine Sachverhaltsdarstellung des abgeurteilten Falls und keine Beweiswürdigung, so dass sie bereits auf die allgemeine Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufzuheben gewesen wären. Diesen Umstand verschleierte der Angeklagte. Der dem Angeklagten objektiv anzulastende Rechtsbeugungsverstoß lag in der heimlichen, aus den Akten nicht erkennbaren Beseitigung eines durchgreifenden Revisionsgrundes, welche zu einer Verschlechterung der Rechtsmittelposition der jeweiligen Revisionsführer führte und ohne weiteres eine Benachteiligung bedeutete (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09 Rn. 7, NStZ 2010, 92; Urteil vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Rn. 19, NStZ 2013, 106, 107). Ob das in der Sache ergangene Urteil der Berufungskammer materiell richtig war, ist hingegen für diese Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts ohne die Manipulation konkret anders ausgefallen wäre. Durch die Manipulationen wurde die Rechtsstellung der Revisionsführer unmittelbar verletzt, denn die unvollständigen Urteilsgründe wurden nicht zur Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts.
20
d) Der Angeklagte hat nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt. Insofern genügt bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276); der Täter muss für möglich halten, dass seine fehlerhafte Entscheidung zur Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei führen wird und sich damit abfinden (NK-StGB-Kuhlen, aaO, Rn. 78). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte sogar in der Absicht handelte, die Prozessbeteiligten und das Revisionsgericht darüber zu täuschen, dass die ihnen vorlie- gende Urteilsniederschrift inhaltlich nicht derjenigen entsprach, welche zu dem auf dem Eingangsvermerk bezeichneten Zeitpunkt zur Geschäftsstelle gelangt war (UA S. 20). Ohne Bedeutung für den bewussten, objektiven Verstoß gegen das Recht ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts, dass das Motiv des Angeklagten war, den Anschein seiner Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und einer weiteren Disziplinarmaßnahme zu entgehen, nicht aber, die Revisionsführer gezielt zu benachteiligen. Für den objektiven Tatbestand reicht der bewusste Rechtsverstoß (der sich bei formell ordnungsgemäßen Handlungen aus dem Motiv des Täters ergeben kann), eine darüber hinausgehende absichtliche Begünstigung oder Benachteiligung der Prozessparteien ist nicht erforderlich (LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 82, 85). War sich der Angeklagte über die Rechtswidrigkeit seines Handelns zum Nachteil der Revisionsführer im Klaren, dann hat er auch, und zwar mit direktem Vorsatz, das Recht gebeugt.
21
Die Strafkammer verkennt bei ihrer Bewertung zudem, dass es bei der Benachteiligung bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht nicht entscheidend auf die materielle Richtigkeit der „Endentscheidung“ oder des in der Berufungs- hauptverhandlung verkündeten Urteils ankommt, sondern auch in der Verschlechterung der prozessualen Situation der Prozessbeteiligten eine Benachteiligung liegt. Dass sich der Angeklagte als erfahrener Strafrichter der Verschlechterung der prozessualen Situation der Revisionsführer bewusst war, hat das Landgericht ebenfalls festgestellt (UA S. 23). Auf seine Vorstellung, das von der Berufungskammer gefundene Urteil sei im Ergebnis richtig, kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 115).
22
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe liegt nach den bisherigen Feststellungen ein untauglicher Versuch nahe. Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht von der Sperrwirkung des § 339 StGB erfasst wäre.
23
Auch wenn die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, gebietet es der Umstand, dass der freigesprochene Angeklagte gegen die getroffenen Feststellungen kein Rechtsmittel einlegen konnte, auch diese aufzuheben (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 56; vgl. MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck RiBGH Dr. Franke ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 201/09
vom
24. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14. November 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung in 47 Fällen und versuchter Rechtsbeugung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Ergänzend bemerkt der Senat:
2
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB. Rechtsbeugung kann auch durch den Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (vgl. BGHSt 42, 343, 344; BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jew. m.w.N.). Allerdings ist nicht jeder Rechtsverstoß als „Beugung“ des Rechts anzusehen, vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element und soll nur Verstöße gegen die Rechtspflege erfassen, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Solche elementaren Rechtsverstöße liegen hier vor.
3
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte als am Amtsgericht tätiger Richter in Betreuungssachen in den 54 verfahrensgegenständlichen Fällen gegenüber in Pflegeheimen befindlichen Personen freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB - wie etwa die Anbringung von Bettgittern, die Fixierung im Bett, Sessel oder Rollstuhl oder die Verwendung einer Schutzdecke, aber auch die Verlängerung der Unterbringung - genehmigt und dabei entgegen der ihm bekannten gesetzlichen Verpflichtung aus § 70c FGG systematisch darauf verzichtet, die Betroffenen zuvor persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren Eindruck von ihnen zu verschaffen. Hierdurch wollte der Angeklagte die Verfahren leichter und schneller entscheiden können und sich Arbeit ersparen, namentlich auch, um mehr Zeit für Familie, Hobbys und Nebentätigkeiten zu haben (UA S. 8, 70). Um den Anschein ordnungsgemäß durchgeführter Anhörungen zu erwecken, erstellte der Angeklagte formularmäßig vorgefertigte Anhörungsprotokolle, die er zu den Verfahrensakten nahm. In sieben Fällen dokumentierte er damit Anhörungen von Personen, die zum angeblichen Zeitpunkt der Anhörung bereits verstorben waren. Als er in einem Fall von der Geschäftsstelle im Amtsgericht angesichts einer Todesmitteilung darauf hingewiesen wurde, dass der Betroffene am Tag der angeblichen Anhörung bereits verstorben gewesen sei, veränderte der Angeklagte nachträglich den Inhalt der Verfahrensakten.
4
b) Mit dem systematischen Verstoß gegen die Anhörungspflicht aus § 70c FGG bei gleichzeitiger Vorspiegelung einer verfahrensrechtlich ordnungsgemäßen Vorgehensweise mit fingierten Anhörungsprotokollen hat sich der Angeklagte in einer derart schweren Weise bewusst von Recht und Gesetz entfernt, dass darin ein elementarer Rechtsverstoß zu sehen ist.
5
aa) Die gesetzlich vorgeschriebene Anhörungspflicht aus § 70c FGG verfolgt nicht nur den Zweck, dass der Betroffene in den Entscheidungsprozess einbezogen wird, indem ihm rechtliches Gehör im allgemeinen Sinne gewährt wird (Jansen/Sonnenfeld, FGG 3. Aufl. § 70c Rdn. 3); vielmehr soll die Vorschrift auch sicherstellen, dass das Gericht in Unterbringungssachen und Betreuungssachen seiner Kontrollfunktion gegenüber Zeugen und Sachverständigen besser gerecht werden kann. Das Gericht darf bei derart wichtigen Angelegenheiten, die die Freiheitsgrundrechte der von den jeweiligen Maßnahmen Betroffenen berühren, keine Entscheidungen ohne eigene Anschauungsgrundlage nur auf Grund von Beweismitteln treffen (vgl. BTDrucks. 11/ 4528 S. 90; Jansen/Sonnenfeld aaO Rdn. 1). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zudem unverzichtbare Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfG NJW 1998, 1774). Demnach haftet einer Unterbringungsmaßnahme, die unter Verstoß gegen das Gebot vorheriger persönlicher Anhörung ergeht, der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung an, der rückwirkend nicht mehr zu heilen ist (BVerfG NJW 1990, 2309, 2310 m.w.N.).
6
bb) Der Angeklagte hat in den ihm zur Last liegenden Fällen über die Anträge nach § 1906 BGB entweder allein nach Aktenlage entschieden oder aufgrund von Informationen, die er aus kurzen, oberflächlichen Gesprächen mit dem Pflegepersonal über den Zustand der Betroffenen erlangt hatte. In keinem der Fälle hat der Angeklagte die Betroffenen persönlich angehört oder sich einen unmittelbaren Eindruck von deren Zustand im Pflegeheim verschafft. Er hat dabei seine richterliche Pflicht zur Anhörung nicht nur im Einzelfall, etwa aus beruflicher Überlastung, vernachlässigt, sondern hat aus sachfremden Erwägungen , nämlich „um seine Freizeit zu optimieren“ (UA S. 70), systematisch auf Anhörungen verzichtet. Damit hat er die mit der Anhörungspflicht bezweckte Stärkung der Rechtsposition von Personen im Verfahren, die aufgrund ihres Alters oder Gesundheitszustandes in besonderem Maße schutzbedürftig sind (vgl. BTDrucks. 11/4528 S. 89), durch seine Vorgehensweise wieder aufgehoben. Da er sich nicht einmal einen persönlichen Eindruck von den Betroffenen verschaffte, fehlte ihm zudem eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Genehmigung der beantragten Maßnahmen.
7
cc) Durch den systematischen Verzicht auf die Durchführung der richterlichen Anhörungen hat der Angeklagte mit der Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen gemäß § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB bewusst einen Rechtsbruch zum Nachteil der Betroffenen begangen. Er hat die Betroffenen durch den Verstoß gegen seine Anhörungspflicht nach § 70c FGG aus sachfremden Erwägungen, nämlich um mehr Freizeit zu haben, nicht nur der konkreten Gefahr eines Nachteils ausgesetzt (vgl. BGHSt 42, 343), sondern hat ihre Rechtsstellung durch die Genehmigung der jeweiligen Maßnahme in der Sache bereits unmittelbar verletzt. Denn weder der persönliche Eindruck noch Wünsche oder sonstige möglichen Äußerungen, die sich auf die Entscheidung hätten auswirken können, wurden so Entscheidungsgrundlage. Der Verfahrensverstoß führte somit in jedem Einzelfall auch zu einer sachlich-rechtlich fehlerhaften Entscheidung. Entgegen der Auffassung der Revision liegt damit der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem Unterlassen der nach § 70c FGG gebotenen Anhörung, sondern in der Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen auf unzureichender Entscheidungsgrundlage. Die hypothetische Frage, ob der Angeklagte im Falle einer durchgeführten Anhörung ebenfalls zu einer Genehmigung der jeweiligen Maßnahme gelangt wäre, ist für die Frage, ob sich der Angeklagte „zum Nachteil einer Partei der Beugung des Rechts schuldig“ gemacht hat, ohne Bedeutung. Denn dies ließe die Beugung des Rechts, nämlich die Sachentscheidung auf unvollständiger Grundlage und damit die Verletzung der Rechtsposition der Betroffenen, nicht entfallen.
8
c) Die Feststellungen tragen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Der Vorsatz muss sich darauf richten, das Recht zugunsten oder zuungunsten einer Partei zu verletzen; einer besonderen Absicht bedarf es nicht (vgl. Fischer, StGB § 339 Rdn. 17). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht den Umstand, dass dem Angeklagten die Schwere der von ihm begangenen Verfahrensverstöße zum Nachteil der Betroffenen bewusst war, aus seinen Verschleierungshandlungen geschlossen hat.
9
Um den Anschein einer ordnungsgemäßen Anhörung zu erwecken, hatte der Angeklagte ein Formular entwickelt, auf dem sich Kästchen zum Ankreuzen befanden, die den gesundheitlichen Zustand des Betroffenen, wie z.B. „nicht ansprechbar“ bzw. „ansprechbar und allseits / teilweise / nicht orientiert“, dokumentieren sollten. Außerdem hatte er auf dem Formular folgenden Satz vorformuliert : „D. Betroffene äußerte zum Grund der Anhörung: nichts.“. In den ihm zur Last liegenden Fällen legte der Angeklagte jeweils ein auf den Tag der Beschlussfassung datiertes Anhörungsprotokoll bei, obwohl er eine Anhörung gemäß § 70c FGG überhaupt nicht durchgeführt hatte. Der Angeklagte hat hierdurch inhaltlich unzutreffende Dokumente zu Aktenbestandteilen der Verfahrensakten gemacht, um auf diese Weise einen den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Verfahrensablauf vorzutäuschen. Im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle, in denen der Angeklagte die von ihm begangenen schweren Verfahrensverletzungen planvoll vertuscht hat, ist die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte bewusst und aus sachfremden Motiven, namentlich um seine Freizeit zu optimieren, das Recht gebeugt hat, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Bereits das systematische Vorgehen zur Vermehrung der eigenen Freizeit legt nahe, dass das Handeln des Angeklagten nicht am Wohl der Betroffenen ausgerichtet war.
10
2. Der Strafausspruch hält ebenfalls revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass es das Landgericht nicht auszuschließen vermochte, „dass die vom Angeklagten genehmigten Maßnahmen tatsächlich erforderlich waren, seine Entscheidungen damit materiell richtig waren“ , ohne dies im Einzelfall tatsächlich ermittelt zu haben. RiBGH Dr. Kolz befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Nack Hebenstreit Elf Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 10. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter , vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Anklage legt dem Angeklagten Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 der Strafprozessordnung normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt und dabei zumindest billigend in Kauf genommen habe, zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers zu handeln. Das Landgericht lehnte die Eröff- nung des Hauptverfahrens ab, weil ein „schwerer Rechtsbruch“ nicht ange- nommen werden könne. Die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung unterfielen der Sperrwirkung des § 339 StGB. Das Oberlandesgericht ließ die Anklage mit Beschluss vom 23. April 2012 (OLGSt StGB § 339 Nr. 3) zu und eröffnete das Verfahren vor dem Landgericht , weil der Angeklagte der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, hinreichend verdächtig sei.
3
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde der Angeklagte am 1. Oktober 1996 zum Vorsitzenden Richter befördert, wo er zunächst eine große Strafkammer leitete und später den Vorsitz in einer kleinen Strafkammer innehatte. Wegen verspäteter Zustellung von Urteilen kam es zu mehreren Disziplinarverfahren: Am 12. August 1999 erteilte ihm der Präsident des Landgerichts einen Vorhalt, mit Schreiben vom 1. Juli 2002 erteilte er dem Angeklagten einen Verweis, weil er in sieben Fällen ohne erkennbaren Grund die Zustellung von Urteilen erst dreieinhalb bis neun Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht verhängte gegen den Angeklagten mit rechtskräftigem Disziplinarbescheid vom 27. Juli 2006 eine Geldbuße von 1.500 €, weil er in elf Fällen wiederum die Zustellung von Urteilen erst viereinhalb bis zwölfeinhalb Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Im August 2007 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung ein. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 wurde der Angeklagte wegen der hier festgestellten fünf Sachverhalte und siebzehn weiterer Fälle, in denen unvollständig abgefasste Urteile zur Geschäftsstelle gelangt waren , durch das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht vorläufig des Dienstes enthoben.
4
2. Das Landgericht hat zu den fünf angeklagten Fällen im Einzelnen folgende Feststellungen getroffen:
5
a) In der Strafsache verwarf die vom Angeklagten geleitete Strafkammer die Berufung des A. M. nach eintägiger Hauptverhandlung am 28. Februar 2005 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 1. April 2005, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung, jedoch keine Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, keine rechtliche Würdigung und keine Ausführungen zur Strafzumessung enthielt, und ließ den Eingangsvermerk nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO anbringen. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ergänzte er das Urteil um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 28. Juli 2006. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision unter Berichtigung im Schuldspruch am 10. November 2006.
6
b) In der Strafsache wurde die Berufung des H. S. nach eintägiger Hauptverhandlung am 29. März 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 3. Mai 2006, dem Tag des Ablaufs der Urteilsabsetzungsfrist, brachte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin auf Anweisung des Angeklagten den Eingangsvermerk auf dem schriftlichen Urteil an, das zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung enthielt, während die übrigen Urteilsbestandteile nur rudimentär oder gar nicht enthalten waren. Die Schilderung der Tathand- lung fehlte vollständig. Nach Änderungen und Ergänzungen, die er nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist vorgenommen hatte, verfügte der Angeklagte am 13. Dezember 2006 die Zustellung des vervollständigten Urteils. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
7
c) In der Strafsache wurde die Berufung des S. B. nach dreitägiger Hauptverhandlung am 21. August 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 22. September 2006, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte , die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung vollständig enthielt, und ließ den Eingangsvermerk anbringen. Die Sachverhaltsschilderung bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem unvollständigen Halbsatz mit unzutreffender Tatzeitangabe, die Beweiswürdigung aus drei floskelhaften Sätzen. Der Angeklagte ergänzte das Urteil nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision am 1. April 2008.
8
d) In der Strafsache wurde die Berufung des M. W. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 10. Oktober 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 14. November 2006, dem Tag des Ablaufs der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, wies der Angeklagte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin an, den Eingang des Urteils zu vermerken und ihm die Akten wieder vorzulegen. Das Urteil enthielt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person. Die ebenfalls enthaltenen Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung standen in keinem Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 19. Februar 2005, sondern bezogen sich auf zwei im Jahr 2001 begangene Betrugshandlungen. Nach Ersetzung der unzutreffenden Ausführungen nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist verfügte der Angeklagte am 3. August 2007 die Urteilszustellung. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil im Schuld- und Strafausspruch , hob die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und wies in diesem Umfang die Sache unter Verwerfung der weitergehenden Revision am 21. November 2007 an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
9
e) In der Strafsache wurde die Berufung des St. D. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 19. September 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Der Angeklagte ließ am 23. Oktober 2006, einen Tag vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, von der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin den Eingangsvermerk auf dem Urteil anbringen, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person enthielt. Die Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung betrafen nicht die ausgeurteilten Straftaten vom 10. September 2004, sondern eine Sachbeschädigung aus dem Jahr 2002. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ersetzte der Angeklagte die unzutreffenden Textpassagen durch passende Ausführungen. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Bereits zuvor, am 6. November 2006, hatte Herr D. die Revision zurückgenommen. Wann der Angeklagte von der Revisionsrücknahme erfuhr, konnte nicht geklärt werden.
10
Der Angeklagte machte die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist erfolgten Änderungen nicht aktenkundig und ließ sie nicht von der Geschäftsstelle vermerken. Er beließ jeweils die erste Urteilsseite mit dem Eingangsvermerk und tauschte die geänderten Seiten heimlich aus.
11
3. Nach Auffassung des Landgerichts erfüllen die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Er habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sondern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB.

II.


12
Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
13
1. Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283 f.; Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 108 f.; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 jeweils mwN).
14
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehandelt hat. Un- ter „Rechtssache“ ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu „entscheiden“ hat; die „Leitung“ der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen. Ob die Leitung der Rechtssache mit dem Erlass einer Entscheidung, also der Anordnung einer Rechtsfolge (NK-StGB-Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 26), beendet ist, hängt von der Art des Verfahrens und dem Gegenstand der Entscheidung ab. Die Absetzung des schriftlichen Urteils in Strafsachen dient nicht allein der verwaltungsmäßigen Abwicklung des Strafverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 385), dieses ist mit der mündlichen Urteilsverkündung nicht beendet. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist vielmehr originäre Aufgabe des erkennenden Richters und gehört zur Leitung und Entscheidung der Rechtssache. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Tätigkeit des Richters kann in diesem Fall die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen, das Verfahren hat mithin auch nach Erlass des mündlichen Urteils weiterhin die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand.
15
b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.
16
Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrensrechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.
17
Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits angebracht , so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat.
18
c) Die Tat muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen. Zugunsten oder zum Nachteil einer Partei wirkt sich eine Beugung des Rechts aus, wenn sie die Partei besser oder schlechter stellt, als sie bei richtiger Rechtsanwendung stünde. Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN).
19
Das Verhalten des Angeklagten war in allen Fällen ohne weiteres geeignet , sich zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers auszuwirken. Die innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangten Urteile waren unvollständig, enthielten insbesondere keine Sachverhaltsdarstellung des abgeurteilten Falls und keine Beweiswürdigung, so dass sie bereits auf die allgemeine Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufzuheben gewesen wären. Diesen Umstand verschleierte der Angeklagte. Der dem Angeklagten objektiv anzulastende Rechtsbeugungsverstoß lag in der heimlichen, aus den Akten nicht erkennbaren Beseitigung eines durchgreifenden Revisionsgrundes, welche zu einer Verschlechterung der Rechtsmittelposition der jeweiligen Revisionsführer führte und ohne weiteres eine Benachteiligung bedeutete (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09 Rn. 7, NStZ 2010, 92; Urteil vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Rn. 19, NStZ 2013, 106, 107). Ob das in der Sache ergangene Urteil der Berufungskammer materiell richtig war, ist hingegen für diese Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts ohne die Manipulation konkret anders ausgefallen wäre. Durch die Manipulationen wurde die Rechtsstellung der Revisionsführer unmittelbar verletzt, denn die unvollständigen Urteilsgründe wurden nicht zur Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts.
20
d) Der Angeklagte hat nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt. Insofern genügt bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276); der Täter muss für möglich halten, dass seine fehlerhafte Entscheidung zur Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei führen wird und sich damit abfinden (NK-StGB-Kuhlen, aaO, Rn. 78). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte sogar in der Absicht handelte, die Prozessbeteiligten und das Revisionsgericht darüber zu täuschen, dass die ihnen vorlie- gende Urteilsniederschrift inhaltlich nicht derjenigen entsprach, welche zu dem auf dem Eingangsvermerk bezeichneten Zeitpunkt zur Geschäftsstelle gelangt war (UA S. 20). Ohne Bedeutung für den bewussten, objektiven Verstoß gegen das Recht ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts, dass das Motiv des Angeklagten war, den Anschein seiner Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und einer weiteren Disziplinarmaßnahme zu entgehen, nicht aber, die Revisionsführer gezielt zu benachteiligen. Für den objektiven Tatbestand reicht der bewusste Rechtsverstoß (der sich bei formell ordnungsgemäßen Handlungen aus dem Motiv des Täters ergeben kann), eine darüber hinausgehende absichtliche Begünstigung oder Benachteiligung der Prozessparteien ist nicht erforderlich (LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 82, 85). War sich der Angeklagte über die Rechtswidrigkeit seines Handelns zum Nachteil der Revisionsführer im Klaren, dann hat er auch, und zwar mit direktem Vorsatz, das Recht gebeugt.
21
Die Strafkammer verkennt bei ihrer Bewertung zudem, dass es bei der Benachteiligung bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht nicht entscheidend auf die materielle Richtigkeit der „Endentscheidung“ oder des in der Berufungs- hauptverhandlung verkündeten Urteils ankommt, sondern auch in der Verschlechterung der prozessualen Situation der Prozessbeteiligten eine Benachteiligung liegt. Dass sich der Angeklagte als erfahrener Strafrichter der Verschlechterung der prozessualen Situation der Revisionsführer bewusst war, hat das Landgericht ebenfalls festgestellt (UA S. 23). Auf seine Vorstellung, das von der Berufungskammer gefundene Urteil sei im Ergebnis richtig, kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 115).
22
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe liegt nach den bisherigen Feststellungen ein untauglicher Versuch nahe. Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht von der Sperrwirkung des § 339 StGB erfasst wäre.
23
Auch wenn die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, gebietet es der Umstand, dass der freigesprochene Angeklagte gegen die getroffenen Feststellungen kein Rechtsmittel einlegen konnte, auch diese aufzuheben (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 56; vgl. MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck RiBGH Dr. Franke ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Bender Quentin

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht.

(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Der Vornahme einer Diensthandlung oder einer richterlichen Handlung im Sinne der §§ 331 bis 335a steht das Unterlassen der Handlung gleich.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts der Rechtsbeugung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Juli 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 10. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen Vorsitzenden Richter , vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Strafvereitelung im Amt freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Anklage legt dem Angeklagten Rechtsbeugung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, zur Last, weil er entgegen dem in § 275 Abs. 1 Satz 3 der Strafprozessordnung normierten Verbot nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Frist von fünf Wochen die Urteilsgründe geändert oder ergänzt und dabei zumindest billigend in Kauf genommen habe, zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers zu handeln. Das Landgericht lehnte die Eröff- nung des Hauptverfahrens ab, weil ein „schwerer Rechtsbruch“ nicht ange- nommen werden könne. Die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Vollstreckungsvereitelung unterfielen der Sperrwirkung des § 339 StGB. Das Oberlandesgericht ließ die Anklage mit Beschluss vom 23. April 2012 (OLGSt StGB § 339 Nr. 3) zu und eröffnete das Verfahren vor dem Landgericht , weil der Angeklagte der Urkundenfälschung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt, hinreichend verdächtig sei.
3
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils wurde der Angeklagte am 1. Oktober 1996 zum Vorsitzenden Richter befördert, wo er zunächst eine große Strafkammer leitete und später den Vorsitz in einer kleinen Strafkammer innehatte. Wegen verspäteter Zustellung von Urteilen kam es zu mehreren Disziplinarverfahren: Am 12. August 1999 erteilte ihm der Präsident des Landgerichts einen Vorhalt, mit Schreiben vom 1. Juli 2002 erteilte er dem Angeklagten einen Verweis, weil er in sieben Fällen ohne erkennbaren Grund die Zustellung von Urteilen erst dreieinhalb bis neun Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht verhängte gegen den Angeklagten mit rechtskräftigem Disziplinarbescheid vom 27. Juli 2006 eine Geldbuße von 1.500 €, weil er in elf Fällen wiederum die Zustellung von Urteilen erst viereinhalb bis zwölfeinhalb Monate nach ihrem Eingang auf der Geschäftsstelle verfügt hatte. Im August 2007 leitete die Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung und Strafvereitelung ein. Mit Beschluss vom 8. Januar 2008 wurde der Angeklagte wegen der hier festgestellten fünf Sachverhalte und siebzehn weiterer Fälle, in denen unvollständig abgefasste Urteile zur Geschäftsstelle gelangt waren , durch das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht vorläufig des Dienstes enthoben.
4
2. Das Landgericht hat zu den fünf angeklagten Fällen im Einzelnen folgende Feststellungen getroffen:
5
a) In der Strafsache verwarf die vom Angeklagten geleitete Strafkammer die Berufung des A. M. nach eintägiger Hauptverhandlung am 28. Februar 2005 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 1. April 2005, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung, jedoch keine Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, keine rechtliche Würdigung und keine Ausführungen zur Strafzumessung enthielt, und ließ den Eingangsvermerk nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO anbringen. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ergänzte er das Urteil um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 28. Juli 2006. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision unter Berichtigung im Schuldspruch am 10. November 2006.
6
b) In der Strafsache wurde die Berufung des H. S. nach eintägiger Hauptverhandlung am 29. März 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Geldstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 3. Mai 2006, dem Tag des Ablaufs der Urteilsabsetzungsfrist, brachte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin auf Anweisung des Angeklagten den Eingangsvermerk auf dem schriftlichen Urteil an, das zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte, die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung enthielt, während die übrigen Urteilsbestandteile nur rudimentär oder gar nicht enthalten waren. Die Schilderung der Tathand- lung fehlte vollständig. Nach Änderungen und Ergänzungen, die er nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist vorgenommen hatte, verfügte der Angeklagte am 13. Dezember 2006 die Zustellung des vervollständigten Urteils. Das Oberlandesgericht hob das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
7
c) In der Strafsache wurde die Berufung des S. B. nach dreitägiger Hauptverhandlung am 21. August 2006 mit der Maßgabe der Herabsetzung der Freiheitsstrafe verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 22. September 2006, drei Tage vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, leitete der Angeklagte der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin ein Urteil zu, das lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte , die Feststellungen zur Person und die Kostenentscheidung vollständig enthielt, und ließ den Eingangsvermerk anbringen. Die Sachverhaltsschilderung bestand zu diesem Zeitpunkt aus einem unvollständigen Halbsatz mit unzutreffender Tatzeitangabe, die Beweiswürdigung aus drei floskelhaften Sätzen. Der Angeklagte ergänzte das Urteil nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist um die fehlenden Bestandteile. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision am 1. April 2008.
8
d) In der Strafsache wurde die Berufung des M. W. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 10. Oktober 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Am 14. November 2006, dem Tag des Ablaufs der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, wies der Angeklagte die zuständige Geschäftsstellenmitarbeiterin an, den Eingang des Urteils zu vermerken und ihm die Akten wieder vorzulegen. Das Urteil enthielt zu diesem Zeitpunkt das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person. Die ebenfalls enthaltenen Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung standen in keinem Zusammenhang mit der abgeurteilten Straftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 19. Februar 2005, sondern bezogen sich auf zwei im Jahr 2001 begangene Betrugshandlungen. Nach Ersetzung der unzutreffenden Ausführungen nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist verfügte der Angeklagte am 3. August 2007 die Urteilszustellung. Das Oberlandesgericht änderte das Urteil im Schuld- und Strafausspruch , hob die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung mit den zugehörigen Feststellungen auf und wies in diesem Umfang die Sache unter Verwerfung der weitergehenden Revision am 21. November 2007 an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurück.
9
e) In der Strafsache wurde die Berufung des St. D. nach zweitägiger Hauptverhandlung am 19. September 2006 verworfen. Der Berufungsführer legte Revision ein. Der Angeklagte ließ am 23. Oktober 2006, einen Tag vor Ablauf der fünfwöchigen Urteilsabsetzungsfrist, von der zuständigen Geschäftsstellenmitarbeiterin den Eingangsvermerk auf dem Urteil anbringen, das zu diesem Zeitpunkt lediglich das Rubrum, den Tenor, die Prozessgeschichte und unvollständige Feststellungen zur Person enthielt. Die Feststellungen zur Sache, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung betrafen nicht die ausgeurteilten Straftaten vom 10. September 2004, sondern eine Sachbeschädigung aus dem Jahr 2002. Nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist ersetzte der Angeklagte die unzutreffenden Textpassagen durch passende Ausführungen. Die Zustellung des vervollständigten Urteils verfügte er am 3. August 2007. Bereits zuvor, am 6. November 2006, hatte Herr D. die Revision zurückgenommen. Wann der Angeklagte von der Revisionsrücknahme erfuhr, konnte nicht geklärt werden.
10
Der Angeklagte machte die nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist erfolgten Änderungen nicht aktenkundig und ließ sie nicht von der Geschäftsstelle vermerken. Er beließ jeweils die erste Urteilsseite mit dem Eingangsvermerk und tauschte die geänderten Seiten heimlich aus.
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3. Nach Auffassung des Landgerichts erfüllen die festgestellten Tathandlungen nicht den Straftatbestand der Rechtsbeugung nach § 339 StGB. Der Angeklagte habe zwar in erheblicher Weise gegen zwingendes Verfahrensrecht verstoßen. Die heimliche Nachbearbeitung der Urteilsgründe nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO habe auch in jedem der festgestellten Fälle den Tatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB erfüllt. Er habe jedoch nicht gehandelt, um die Revisionsführer zu benachteiligen, sondern um den Anschein eigener Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weiteren Disziplinarmaßnahmen wegen zögerlicher Aktenbearbeitung zu entgehen. Ein „elementarer Rechtsverstoß“ oder ein „offensichtlicher Willkürakt“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei darin nicht zu erkennen. Da der Angeklagte die Urkundenfälschung „bei der Leitung einer Rechtssache“ im Sinne des § 339 StGB begangen habe, ohne sich zugleich der Rechtsbeugung strafbar gemacht zu haben, greife zu seinen Gunsten die Sperrwirkung des § 339 StGB.

II.


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Der Freispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Der Tatbestand der Rechtsbeugung erfordert, dass sich der Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383; Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 283 f.; Urteil vom 15. September 1995 – 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247, 251; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 108 f.; Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 97/09 jeweils mwN).
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a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache gehandelt hat. Un- ter „Rechtssache“ ist das gesamte streitige Verhältnis zu verstehen, über das der Richter zu „entscheiden“ hat; die „Leitung“ der Rechtssache ist der Inbegriff aller Maßnahmen, die auf die Erledigung der Sache abzielen. Ob die Leitung der Rechtssache mit dem Erlass einer Entscheidung, also der Anordnung einer Rechtsfolge (NK-StGB-Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 26), beendet ist, hängt von der Art des Verfahrens und dem Gegenstand der Entscheidung ab. Die Absetzung des schriftlichen Urteils in Strafsachen dient nicht allein der verwaltungsmäßigen Abwicklung des Strafverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 385), dieses ist mit der mündlichen Urteilsverkündung nicht beendet. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe ist vielmehr originäre Aufgabe des erkennenden Richters und gehört zur Leitung und Entscheidung der Rechtssache. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Tätigkeit des Richters kann in diesem Fall die künftige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen, das Verfahren hat mithin auch nach Erlass des mündlichen Urteils weiterhin die Leitung und Entscheidung einer Rechtssache zum Gegenstand.
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b) Der Angeklagte hat auch in elementarer Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts dar. Der Bundesgerichtshof hat wiederholt darauf hingewiesen, dass der Tatbestand nicht in unangemessener Weise ausgedehnt werden darf. Zweck der Vorschrift ist es, den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Die Einordnung der Rechtsbeugung als Verbrechenstatbestand indiziert die Schwere des Unwerturteils und führt in der Regel im Falle der rechtskräftigen Verurteilung kraft Gesetzes zur Beendigung des Richterverhältnisses (§ 24 Nr. 1 DRiG). Mit dieser gesetzlichen Zweckbestimmung wäre es nicht zu vereinbaren, jede unrichtige Rechtsanwendung und jeden Ermessensfehler in den Schutzbereich der Norm einzubeziehen.
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Dies gilt auch bei der Rechtsbeugung durch Beugung des Verfahrensrechts (st. Rspr., u.a. BGH, Urteil vom 27. Mai 1987 – 3 StR 112/87, NStZ 1988, 218; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, 383 mwN; Urteil vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 346, 351; Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 109 mwN; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, NStZ 2010, 92; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 Rn. 29, StV 2011, 463, 466). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften stellt nur dann einen Rechtsbruch im Sinne des § 339 StGB dar, wenn darin allein oder unter Berücksichtigung des Motivs des Täters ein elementarer Rechtsverstoß gesehen werden kann.
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Der Angeklagte hat in den verfahrensgegenständlichen Fällen gegen die Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO verstoßen. Nach Fertigstellung ist eine sachliche Änderung oder Ergänzung der Urteilsgründe nur dann zulässig, wenn die Frist nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO noch nicht abgelaufen ist. War der Eingangsvermerk der Geschäftsstelle nach § 275 Abs. 1 Satz 5 StPO bereits angebracht , so hat die Geschäftsstelle auch den Zeitpunkt der Änderung zu vermerken. Der Angeklagte hat die Urteile nach Fristablauf geändert und ergänzt, ohne dies in den Akten erkennbar zu machen oder der Geschäftsstelle mitzuteilen. Die Verletzung des § 275 StPO war hier gravierend und ist als elementarer Rechtsverstoß anzusehen. Zum einen hat der Angeklagte in erheblichem Umfang wesentliche Urteilsbestandteile ergänzt. Die vor Fristablauf zur Geschäftsstelle gelangten Urteile enthielten keine auch nur entfernt ausreichenden Feststellungen zur Sache und keine Beweiswürdigung, vermochten also einem selbst nur mit der allgemeinen Sachrüge ausgeführten Revisionsangriff nicht standzuhalten. Zum anderen hat der Angeklagte durch sein heimliches Vorgehen den Verfahrensbeteiligten und dem Revisionsgericht eine Aufdeckung der Manipulation unmöglich gemacht. Die Schwere des Verstoßes zeigt sich insoweit darin, dass sein Verhalten als solches den Tatbestand der Urkundenfälschung sogar in der Alternative des § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB erfüllt hat.
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c) Die Tat muss zugunsten oder zum Nachteil einer Partei erfolgen. Zugunsten oder zum Nachteil einer Partei wirkt sich eine Beugung des Rechts aus, wenn sie die Partei besser oder schlechter stellt, als sie bei richtiger Rechtsanwendung stünde. Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 39 mwN).
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Das Verhalten des Angeklagten war in allen Fällen ohne weiteres geeignet , sich zum Nachteil des jeweiligen Revisionsführers auszuwirken. Die innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangten Urteile waren unvollständig, enthielten insbesondere keine Sachverhaltsdarstellung des abgeurteilten Falls und keine Beweiswürdigung, so dass sie bereits auf die allgemeine Sachrüge hin vom Revisionsgericht aufzuheben gewesen wären. Diesen Umstand verschleierte der Angeklagte. Der dem Angeklagten objektiv anzulastende Rechtsbeugungsverstoß lag in der heimlichen, aus den Akten nicht erkennbaren Beseitigung eines durchgreifenden Revisionsgrundes, welche zu einer Verschlechterung der Rechtsmittelposition der jeweiligen Revisionsführer führte und ohne weiteres eine Benachteiligung bedeutete (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09 Rn. 7, NStZ 2010, 92; Urteil vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 Rn. 19, NStZ 2013, 106, 107). Ob das in der Sache ergangene Urteil der Berufungskammer materiell richtig war, ist hingegen für diese Beurteilung ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob die Entscheidung des Revisionsgerichts ohne die Manipulation konkret anders ausgefallen wäre. Durch die Manipulationen wurde die Rechtsstellung der Revisionsführer unmittelbar verletzt, denn die unvollständigen Urteilsgründe wurden nicht zur Entscheidungsgrundlage des Revisionsgerichts.
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d) Der Angeklagte hat nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auch den subjektiven Tatbestand des § 339 StGB erfüllt. Insofern genügt bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1994 – 4 StR 23/94, BGHSt 40, 272, 276); der Täter muss für möglich halten, dass seine fehlerhafte Entscheidung zur Bevorzugung oder Benachteiligung einer Partei führen wird und sich damit abfinden (NK-StGB-Kuhlen, aaO, Rn. 78). Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte sogar in der Absicht handelte, die Prozessbeteiligten und das Revisionsgericht darüber zu täuschen, dass die ihnen vorlie- gende Urteilsniederschrift inhaltlich nicht derjenigen entsprach, welche zu dem auf dem Eingangsvermerk bezeichneten Zeitpunkt zur Geschäftsstelle gelangt war (UA S. 20). Ohne Bedeutung für den bewussten, objektiven Verstoß gegen das Recht ist es entgegen der Ansicht des Landgerichts, dass das Motiv des Angeklagten war, den Anschein seiner Leistungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und einer weiteren Disziplinarmaßnahme zu entgehen, nicht aber, die Revisionsführer gezielt zu benachteiligen. Für den objektiven Tatbestand reicht der bewusste Rechtsverstoß (der sich bei formell ordnungsgemäßen Handlungen aus dem Motiv des Täters ergeben kann), eine darüber hinausgehende absichtliche Begünstigung oder Benachteiligung der Prozessparteien ist nicht erforderlich (LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 82, 85). War sich der Angeklagte über die Rechtswidrigkeit seines Handelns zum Nachteil der Revisionsführer im Klaren, dann hat er auch, und zwar mit direktem Vorsatz, das Recht gebeugt.
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Die Strafkammer verkennt bei ihrer Bewertung zudem, dass es bei der Benachteiligung bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht nicht entscheidend auf die materielle Richtigkeit der „Endentscheidung“ oder des in der Berufungs- hauptverhandlung verkündeten Urteils ankommt, sondern auch in der Verschlechterung der prozessualen Situation der Prozessbeteiligten eine Benachteiligung liegt. Dass sich der Angeklagte als erfahrener Strafrichter der Verschlechterung der prozessualen Situation der Revisionsführer bewusst war, hat das Landgericht ebenfalls festgestellt (UA S. 23). Auf seine Vorstellung, das von der Berufungskammer gefundene Urteil sei im Ergebnis richtig, kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105, 115).
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2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils insgesamt. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe liegt nach den bisherigen Feststellungen ein untauglicher Versuch nahe. Der Senat neigt im Übrigen zu der Auffassung, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht von der Sperrwirkung des § 339 StGB erfasst wäre.
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Auch wenn die Beweiswürdigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, gebietet es der Umstand, dass der freigesprochene Angeklagte gegen die getroffenen Feststellungen kein Rechtsmittel einlegen konnte, auch diese aufzuheben (BGH, Urteil vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12 Rn. 56; vgl. MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 353 Rn. 15a; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 354 Rn. 43 mwN).
Mutzbauer Roggenbuck RiBGH Dr. Franke ist infolge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Bender Quentin

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Ein Amtsträger, der, zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt, innerhalb seiner Zuständigkeit eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet oder in öffentliche Register, Bücher oder Dateien falsch einträgt oder eingibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.