Bundesgerichtshof Urteil, 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14

bei uns veröffentlicht am23.07.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
Bundesgerichtshof Urteil, 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14 zitiert 11 §§.

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(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

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(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Strafprozeßordnung - StPO | § 401 Einlegung eines Rechtsmittels durch den Nebenkläger


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(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 400/00
vom
28. Februar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Februar
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Kutzer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Winkler,
Pfister,
von Lienen
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 9. Mai 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall B. 2 der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung verurteilt wird,
b) im Ausspruch über die in diesem Falle verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubs in Tateinheit mit "sexueller Nötigung ... unter den Voraussetzungen des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB" (Fall B. 1; zur Bezeichnung als "Vergewaltigung" vgl. BGHR StGB § 177 II Strafrahmenwahl 10) und wegen sexueller Nötigung (Fall B. 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die Revision der Nebenklägerin beanstandet mit der Sachrüge, daß die Strafkammer im Fall B. 2 die Voraussetzungen der Qualifikationsnorm des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB nicht angenommen und zudem zu Unrecht einen minder schweren Fall nach § 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 StGB bejaht hat, obgleich sie die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Beischlaf) als erfüllt angesehen hat. Zudem macht sie mit der Aufklärungsrüge geltend, daß ihre Vernehmung zu den Folgen der Tat geboten gewesen sei.
Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit die Nichtanwendung des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB gerügt wird. Dies führt zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs im Fall B. 2, so daß es auf die Frage der Zulässigkeit der weiteren, sich allein gegen die Straffestsetzung wendenden Beanstandungen nicht ankommt.
1. Die Revision ist zulässig, soweit Ziel des Rechtsmittels eine Verurteilung des Angeklagten nach dem Nebenklagedelikt des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB ist (§ 395 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StPO). Denn bei der Vorschrift des § 177 Abs. 3 StGB handelt es sich - anders als etwa bei der Strafzumessungsvorschrift des besonders schweren Falles nach § 177 Abs. 2 StGB - um einen Qualifikationstatbestand. Im 6. Strafrechtsreformgesetz wurde die Strafzumessungsvorschrift des § 177 Abs. 3 StGB i.d.F. des 33. StrÄ ndG durch die Qualifikationsnormen des § 177 Abs. 3 und 4 StGB i.d.F. des 6. StrRG ersetzt (vgl. BTDrucks. 13/9064 S. 12; BGHR StGB § 177 III Nr. 2 Werkzeug 1 = NStZ 1999, 242 f.). Damit steht die richtige Anwendung einer den Schuldspruch betreffenden Rechtsnorm in Frage, die Gegenstand einer zulässigen Revision eines Nebenklägers sein kann. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Ge-
setzgeber die Qualifikationsnorm nicht in der Form eines eigenen Paragraphen mit eigener Überschrift, sondern nur als Absatz innerhalb eines Tatbestands mit einem Grundtatbestand (Abs. 1), zwei Qualifikationen (Abs. 3 und 4) und Strafzumessungsvorschriften (Abs. 2 und 5) ausgestaltet hat (vgl. zur entsprechenden Fallgestaltung bei § 226 Abs. 2 StGB: BGH, Urt. vom 14. Dezember 2000 - 4 StR 327/00, zur Veröffentlichung bestimmt).
2. Die Revision ist insoweit auch begründet. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte zur Durchführung des gewaltsamen Geschlechtsverkehrs die Hände der Nebenklägerin, einer auf dem Straßenstrich tätigen Prostituierten , mit zwei Plastikschnellbindern auf den Rücken gefesselt und deren Füße mit einem speziellen, aus einem Holzstab mit zwei Lederriemen bestehenden Fesselungswerkzeug so gefesselt, daß ihre Beine gespreizt blieben.
Die eigens zu diesem Zweck mitgeführten und bereitgelegten Fesselungsmaterialien stellen Werkzeuge i.S. des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB dar, die der Angeklagte bei sich führte, um damit den von ihm erwarteten Widerstand der Geschädigten durch Gewalt zu verhindern (BGHR StGB § 177 III Nr. 2 Werkzeug 1 = NStZ 1999, 242 f.).
Da die getroffenen Feststellungen zur Verwendung der Fesselungswerkzeuge auf dem Geständnis des Angeklagten beruhen und auszuschließen ist, daß in einer neuen Verhandlung insoweit weitere Erkenntnisse getroffen werden können, hat der Senat nach Erteilung eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO den Schuldspruch gemäß § 354 Abs. 1 StPO abgeändert und nunmehr auf § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB gestützt. Dabei hat der Senat dem Umstand , daß die Tat des Angeklagten die Voraussetzungen des Regelbeispiels
nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB erfüllt, dadurch Rechnung getragen, daß er sie mit der in der gesetzlichen Überschrift des § 177 StGB enthaltenen Bezeichnung "Vergewaltigung" gekennzeichnet hat (vgl. dazu BGHR StGB § 177 II Strafrahmenwahl 10). Es besteht kein Anlaß, von dieser Tatbezeichnung auf die der "sexuellen Nötigung" nach § 177 Abs. 1 StGB nur deswegen zurückzugehen , weil der Täter zusätzlich zu einer Vergewaltigung weitere qualifizierende Merkmale nach § 177 Abs. 3 oder 4 StGB erfüllt (vgl. zum umgekehrten Fall der Verneinung der Indizwirkung des Regelbeispiels BGH bei Pfister NStZ-RR 2000, 357).
Der neue Tatrichter wird bei der Entscheidung über den anzuwendenden Strafrahmen und über die Festsetzung der Strafe Gelegenheit haben, der Frage der Folgen der Tat für die Geschädigte nachzugehen.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Der Rechtsmittel kann sich der Nebenkläger unabhängig von der Staatsanwaltschaft bedienen. Geschieht der Anschluß nach ergangenem Urteil zur Einlegung eines Rechtsmittels, so ist dem Nebenkläger das angefochtene Urteil sofort zuzustellen. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels beginnt mit Ablauf der für die Staatsanwaltschaft laufenden Frist zur Einlegung des Rechtsmittels oder, wenn das Urteil dem Nebenkläger noch nicht zugestellt war, mit der Zustellung des Urteils an ihn auch dann, wenn eine Entscheidung über die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluß noch nicht ergangen ist.

(2) War der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend oder durch einen Anwalt vertreten, so beginnt für ihn die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels auch dann mit der Verkündung des Urteils, wenn er bei dieser nicht mehr zugegen oder vertreten war; er kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist nicht wegen fehlender Rechtsmittelbelehrung beanspruchen. Ist der Nebenkläger in der Hauptverhandlung überhaupt nicht anwesend oder vertreten gewesen, so beginnt die Frist mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn.

(3) Hat allein der Nebenkläger Berufung eingelegt, so ist diese, wenn bei Beginn einer Hauptverhandlung weder der Nebenkläger noch für ihn ein Rechtsanwalt erschienen ist, unbeschadet der Vorschrift des § 301 sofort zu verwerfen. Der Nebenkläger kann binnen einer Woche nach der Versäumung unter den Voraussetzungen der §§ 44 und 45 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen.

(4) Wird auf ein nur von dem Nebenkläger eingelegtes Rechtsmittel die angefochtene Entscheidung aufgehoben, so liegt der Betrieb der Sache wiederum der Staatsanwaltschaft ob.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Der erhobenen öffentlichen Klage oder dem Antrag im Sicherungsverfahren kann sich mit der Nebenklage anschließen, wer verletzt ist durch eine rechtswidrige Tat nach

1.
den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k des Strafgesetzbuches,
2.
den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches, die versucht wurde,
3.
den §§ 221, 223 bis 226a und 340 des Strafgesetzbuches,
4.
den §§ 232 bis 238, 239 Absatz 3, §§ 239a, 239b und 240 Absatz 4 des Strafgesetzbuches,
5.
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes,
6.
§ 142 des Patentgesetzes, § 25 des Gebrauchsmustergesetzes, § 10 des Halbleiterschutzgesetzes, § 39 des Sortenschutzgesetzes, den §§ 143 bis 144 des Markengesetzes, den §§ 51 und 65 des Designgesetzes, den §§ 106 bis 108b des Urheberrechtsgesetzes, § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie, § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen.

(2) Die gleiche Befugnis steht Personen zu,

1.
deren Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch eine rechtswidrige Tat getötet wurden oder
2.
die durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172) die Erhebung der öffentlichen Klage herbeigeführt haben.

(3) Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insbesondere nach den §§ 185 bis 189, 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint.

(4) Der Anschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zulässig. Er kann nach ergangenem Urteil auch zur Einlegung von Rechtsmitteln geschehen.

(5) Wird die Verfolgung nach § 154a beschränkt, so berührt dies nicht das Recht, sich der erhobenen öffentlichen Klage als Nebenkläger anzuschließen. Wird der Nebenkläger zum Verfahren zugelassen, entfällt eine Beschränkung nach § 154a Absatz 1 oder 2, soweit sie die Nebenklage betrifft.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

5 StR 92/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin am Landgericht
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt
alsVertreterderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 27. September 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Verurteilungsfällen; diese bleiben aufrechterhalten.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von sieben weiteren Tatvorwürfen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, so unter anderem die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts und die Nichtanwendung des § 225 Abs. 1 und 3 StGB für einige Taten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
a) Der Angeklagte ist der Vater der am 28. März 1999 geborenen M. M. . Seine Tochter lebte bis Sommer 2005 von ihm getrennt bei ihrer Mutter. Nachdem das Jugendamt die Mutter für überfordert erachtet hatte, das Kind zu erziehen, erklärte sich der Angeklagte bereit, M. zu sich zu nehmen. Altersgerecht entwickelt zog sie am 17. Oktober 2005 zu ihrem Vater, der mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen ein und zwei Jahre alten Töchtern zusammenlebte. Während die jüngeren Kinder angemessen versorgt wurden, bekam M. nur unzureichend zu essen, so dass sie Hunger litt. Sie erhielt hauptsächlich über mehrere Tage hinweg nur „Buchstabensuppe“. Auch wenn sie um weitere Nahrung bat, bekam sie nichts anderes zu essen. M. magerte sichtbar ab, sie wurde immer schwächer und apathisch. Schon kurze Zeit nach ihrem Einzug misshandelte der Angeklagte das Mädchen mindestens einmal täglich schwer. Er ließ sie Rechen- und Schreibübungen durchführen, welche die gerade erst eingeschulte M. nicht bewältigen konnte, was er zum Anlass für Misshandlungen und zur Nahrungsverweigerung nahm. M. ging nicht zur Schule; der Angeklagte hatte sie dort entschuldigt. Gegenüber seiner Lebensgefährtin , die er mit Gewalttätigkeiten davon abhielt, M. zu helfen, äußerte er mehrfach, dass er „die Missgeburt am liebsten im Kanal versenken würde“.
3
b) Im Einzelnen führte der Angeklagte zwischen dem 28. Oktober und 28. November 2005 folgende Handlungen aus, wobei er aus gefühlloser und fremdes Leiden missachtender Gesinnung seiner Tochter Schmerzen zufügen wollte:
4
(II. 1. der Urteilsgründe) Mit Händen und einem Badeschuh schlug er so häufig auf das nackte Gesäß M. s ein, dass die Haut an mehreren Stellen aufplatzte und blutete.
5
(II. 2.) Mit einem harten, länglichen Gegenstand schlug er auf die Hände seiner Tochter, wodurch diese stark anschwollen. Schließlich biss er ihr kräftig in die linke Hand, so dass eine später vereiterte Fleischwunde entstand.
6
(III. 3. – 5.) In drei Fällen duschte er die nackte M. mit kaltem Wasser ab und sperrte sie ungeschützt, der kalten Witterung ausgesetzt, für mindestens jeweils 30 Minuten auf den Balkon, wobei er sie zwischendurch noch mit kaltem Wasser begoss. In einem Fall fasste er ihr anschließend an die Schamlippen und verdrehte diese, um ihr besondere Schmerzen zu bereiten und sie zu demütigen. In zwei Fällen versetzte er ihr mehrere Faustschläge in den Unterbauch.
7
(II. 6.) Er hob M. an den Haaren hoch, ließ sie auf den Fußboden fallen und versetzte ihr mehrere Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Kopf.
8
(II. 7. und 8.) Nachdem M. Schreibübungen an zwei aufeinander folgenden Tagen nicht zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte, bestimmte er sie jeweils dazu, eine Tasse mit heißer Flüssigkeit über mehrere Minuten auf dem Kopf zu balancieren. Infolge der Druck- und Hitzeeinwirkung starb das Kopfgewebe auf einer Fläche von 15 Zentimetern Durchmesser. Die Wunde infizierte sich, und es kam zur Eiterbildung zwischen Schädel und Kopfhaut; bei ungehinderter Entwicklung hätte diese Verletzung zum Tod geführt.
9
(II. 9. – 31.) In 23 Fällen schlug der Angeklagte kräftig, wahllos und teilweise auch mehrfach auf seine Tochter ein, wodurch diese zahlreiche, teilweise großflächige Hämatome und Hautverfärbungen, Rötungen, Schwellungen, Vernarbungen , Einblutungen der Augen und Vereiterungen erlitt.
10
(II. 32.) Er fesselte die Hände seiner auf dem Boden liegenden Tochter eine ganze Nacht hindurch mit Handschellen an das Bein eines Sofas und band ihre Beine an einem Tisch fest.
11
(II. 33.) Mehrere Tage vor dem 28. November 2005 gab der Angeklagte in Kenntnis des durch die mangelhafte Versorgung und die zahlreichen Verletzungen schlechten und ausgezehrten Zustands seiner Tochter ihr nichts mehr zu essen und zu trinken, um ihr weitere Leiden zuzufügen. Dadurch verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand dramatisch, sie konnte sich nicht mehr ihre Schlafanzughose anziehen und später nicht mehr alleine stehen. Der Angeklagte erkannte, dass sich M. in schwerer, ihr Leben beeinträchtigender Gefahr befand, wenn er ihr weiterhin Nahrung und Getränke versagen würde. Dennoch bestimmte er, dass sie weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bekam; dadurch litt das Mädchen ständig großen Hunger und Durst.
12
c) Am 28. November 2005 erschien eine Familienhelferin, die den schlechten Zustand M. s erkannte und sie dem Zugriff des Angeklagten entzog. M. litt infolge der mangelnden Versorgung an borkigen Vertrocknungen mit Schorfablagerungen an den Lippen, ihre Leberenzymwerte waren erhöht, Albumin- und Hämatokritwerte herabgesetzt und die Gallenflüssigkeit verdickt. Ihr Zustand war sowohl wegen der Unterversorgung als auch wegen der Kopfverletzung potentiell lebensbedrohlich. Sie wurde bis zum 17. Dezember 2005 intensivmedizinisch und noch weitere zwei Wochen stationär behandelt. Aufgrund des Gesamtgeschehens war M. psychisch stark beeinträchtigt und traumatisiert. Mit Hilfe mehrerer Hauttransplantationen konnte der Umfang der Kopfverletzung verringert werden.
13
2. Das Landgericht hat die Taten zu II. 1., 2., 7., 8. und 33. seiner Urteilsgründe als Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da das Leben der Geschädigten noch nicht konkret gefährdet gewesen sei und die Kopfverletzung durch ärztliches Eingrei- fen nicht zu einer dauerhaften Entstellung geführt habe. Zudem sei zwar der körperliche und seelische Zustand des Kindes durch die Tathandlungen schwer geschädigt, diese Folgen seien aber dem Gesamtgeschehen und nicht einer einzelnen Tat zuzuordnen. Die Taten zu II. 3. bis 5. und 32. hat die Strafkammer als Misshandlung von Schutzbefohlenen, bei der Tat zu II. 32. in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewertet. Die Taten zu II. 6. und 9. bis 31. hat es jeweils als vorsätzliche Körperverletzung gewürdigt.
14
3. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Verurteilungsfälle beschränkt. Zwar hat die Revisionsführerin einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Der ausgeführten Sachrüge ist indes im Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt zu entnehmen , dass der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nur die Verurteilungsfälle erfasst und die in der Revisionsbegründung an keiner Stelle erwähnten Teilfreisprüche nicht angegriffen sind (vgl. BGH wistra 2007, 112, 113 m.w.N.).
15
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, soweit es das Landgericht in Fall 33 unterlassen hat, seine Kognition auf das Vorliegen eines versuchten Tötungsdelikts – wie angeklagt und zur Hauptverhandlung zugelassen – zu erstrecken.
16
Angesichts der getroffenen Feststellungen hätten sich Ausführungen zu einem möglichen Tötungsvorsatz aufgedrängt. Insbesondere das Maß der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung, die vom Angeklagten erkannten Folgen seines Handelns, die geradezu systematisch anmutende Misshandlung des Mädchens in einem wenige Wochen betragenden Zeitraum sowie die Persönlichkeit des Angeklagten hätten in die gebotene Gesamtbetrachtung zum Vorliegen eines Tötungsvorsatzes miteinbezogen werden müssen.
17
a) So hätte erwogen werden müssen, dass der Angeklagte in Kenntnis seiner Garantenstellung der durch seine Handlungen in wenigen Wochen be- reits abgemagerten, geschwächten und an zahlreichen Verletzungen leidenden Tochter mehrere Tage weder Nahrungs- noch Flüssigkeitsaufnahme ermöglichte , obwohl sie danach verlangte. Den Angaben der Zeugen und Sachverständigen , denen die Strafkammer uneingeschränkt folgt, lassen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dieser Zeitraum vier bis fünf Tage betragen hat. Die medizinischen Sachverständigen haben hierzu ausgeführt, dass die Verdickung der Flüssigkeit in der Gallenblase und der Zustand der Lippen der Geschädigten darauf schließen lassen, dass diese vier bis fünf Tage vor der Untersuchung am 28. November 2005 keine Nahrung und über längere Zeit hinweg wenig oder mitunter gar keine Flüssigkeit zu sich genommen habe; bei kleineren Kindern, wie der hier geschädigten M. , könnten eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr und ein Gewichtsverlust viel schneller gesundheitsschädigende Folgen haben als bei Erwachsenen. Dem entspricht, dass sich M. am 28. November 2005 durch die mangelnde Versorgung in einem potentiell lebensbedrohlichen Zustand befand.
18
b) Diese Gefährlichkeit war für den Angeklagten auch erkennbar. Das sechsjährige Mädchen war nach den Urteilsausführungen nur noch Haut und Knochen, sie konnte nicht mehr allein stehen und sich kaum aufrecht halten oder bewegen. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer hieraus den nahe liegenden Schluss gezogen, dass der Angeklagte die schwere, das Leben beeinträchtigende Gefahr, in der sich M. befand, erkannte, sie aber dennoch von Nahrung und Flüssigkeit abhielt, um ihr weitere Leiden zuzufügen, sie zu erniedrigen und zum Objekt seiner Willkür zu machen.
19
c) Darüber hinaus hätten aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten seiner Tochter gegenüber, auch wenn die meisten der gravierenden Misshandlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren, sowie aus der Persönlichkeit des Angeklagten, die – wie festgestellt – durch einen besonderen Mangel an Empathie, vollständige Abwesenheit eines moralischen Wertesystems und ein seine Selbstwertdefizite kompensierendes Dominanzstreben gekenn- zeichnet ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite gezogen werden können.
20
d) Angesichts dieser Tatsachen ist das gänzliche Fehlen einer Erörterung , ob der Angeklagte den Tod seiner Tochter geistig vorweggenommen und gebilligt hat – auch unter Berücksichtigung, dass die Billigung der Tötung des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06) – rechtsfehlerhaft, da sie die Besorgnis begründet, das Tatgericht habe die Möglichkeit einer Strafbarkeit gemäß §§ 211, 212, 22, 13 StGB nicht hinreichend bedacht.
21
e) Sollte das neue Tatgericht zur Annahme eines Tötungsvorsatzes gelangen , so wird es Gelegenheit haben, das Vorliegen von Mordmerkmalen, namentlich der Grausamkeit (vgl. dazu BGH NStZ 2007, 402, 403), zu prüfen.
22
5. Auch die rechtliche Bewertung im Übrigen begegnet durchgreifenden Bedenken.
23
a) Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt hat, soweit es die Voraussetzungen des qualifizierten Tatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB abgelehnt hat. Die Ausführungen, zwar habe der Angeklagte eine erhebliche Schädigung der körperlichen und der seelischen Entwicklung bei der Geschädigten verursacht, dies könne aber keiner einzelnen Tat, sondern nur dem Gesamtgeschehen zugeordnet werden, lassen besorgen, dass das Landgericht die Deliktsstruktur des § 225 StGB verkannt und dadurch dem Unrechtsgehalt des festgestellten Geschehens nicht ausreichend Rechnung getragen hat. Gleiches gilt für die Würdigung, die Feststellungen zu II. 6. und 9. bis 31. führten lediglich zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen, wobei eine Strafbarkeit nach § 225 StGB unerörtert bleibt.
24
Die Strafkammer hat jeden Einzelakt der schmerzhaften Einwirkung auf die Geschädigte isoliert betrachtet, eine rechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer deliktischen Einheit im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. BGHSt 43, 1, 3; BGHR StGB § 99 Ausüben 6; zu § 225: Warda , FS-Hirsch, S. 391 ff.; Hirsch in LK, 11. Aufl. § 225 Rdn. 12) hat es indes nicht erwogen. Dazu hätte aber angesichts der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung des § 225 Abs. 1 StGB – in der Tatbestandsvariante des Quälens – sowie der zeitlichen, situativen und subjektiven Zusammengehörigkeit der Einzelakte Anlass bestanden. Für den Fall einer zusammenfassenden rechtlichen Bewertung drängen sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen der Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB auf.
25
aa) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden (BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 8a). Dieses Tatbestandsmerkmal wird typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht; oft macht erst die ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt aus (BGHSt 41, 113, 115; BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Hardtung in MünchKomm-StGB 2003 § 225 Rdn. 14). Deswegen stellt jedenfalls das auf Dauer angelegte Quälen als Handlungskomplex eine Handlungseinheit dar (Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 225 Rdn. 12).
26
bb) Für eine Verknüpfung der Handlungen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in diesem Sinne spricht die äußere und innere Geschlossenheit des Tatgeschehens. Neben der Identität des Opfers und der Kontinuität der Tatsituation – sämtliche Taten spielten sich in der Wohnung des Angeklagten ab – wird der Handlungskomplex vor allem durch die zeitliche Dichte der Misshandlungen geprägt. So kam es mindestens jeden Tag zu körperlicher Misshandlung , teilweise dauerten diese, wie die mangelhafte Versorgung, auch über den gesamten Tatzeitraum fort (anders im Tatsächlichen BGH NStZ-RR 2006, 42). Ferner kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass das Ge- samtgeschehen durch die durchgehend ablehnende Haltung des Angeklagten seiner Tochter gegenüber und seine ohne Zäsur vorhandene gefühllose, ihr Leiden missachtende Gesinnung ein einheitliches subjektives Gepräge erhält. Danach liegt sogar nahe, dass der Angeklagte einen den Tatzeitraum überspannenden Vorsatz hatte, M. bei gegebenem Anlass erneut zu misshandeln.
27
b) Auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Anwendung des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB namentlich bezogen auf die Einzelfälle II. 7, 8 und 33 ausschließt, begegnen durchgreifenden Bedenken.
28
Eine schwere Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 zweite Variante StGB liegt schon dann vor, wenn die Gesundheit des Betroffenen ernstlich, einschneidend oder nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl. Schroth NJW 1998, 2861, 2865). Diese Voraussetzung ist jedenfalls immer dann zu bejahen, wenn intensivmedizinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit und/oder zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen notwendig sind (vgl. Schroth, aaO). Solches war hier hinsichtlich der Kopfverletzungen und des durch Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung hervorgerufenen Allgemeinzustandes der Fall.
29
6. Im Anschluss an BGH NStZ 2005, 268 verneint der Senat mit dem Generalbundesanwalt ein Sexualdelikt; allein insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos.
30
7. Dem Senat ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen verwehrt, zum Schuldspruch durchzuentscheiden. Die hier an materiellrechtliche Voraussetzungen geknüpfte Frage, ob insgesamt Tateinheit anzunehmen sein wird, und die Voraussetzungen eines Tötungsdeliktes – wofür insbesondere der Umstand, wie lange M. Nahrung und Flüssigkeit gänzlich vorenthalten wurden und der subjektive Tatbestand ergänzend aufzuklären sein werden – sowie die die Qualifikationstatbestände des § 225 Abs. 3 StGB begründenden Umstände bedürfen neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung. Deshalb sind die bisherigen Feststellungen aufzuheben. Ausgenommen sind allerdings diejenigen zu den äußeren Tatumständen, die auch von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen werden. Dadurch erscheint eine erneute Vernehmung des geschädigten Kindes vermeidbar. Darauf sollte das neue Tatgericht Bedacht nehmen. Die noch näher aufzuklärenden zeitlichen Umstände des vollständigen Nahrungsentzuges werden mit der Gedächtnisleistung eines Kindes kaum zu ermitteln sein.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
5 StR 44/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Februar 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Februar 2007

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30. August 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die Verurteilung wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen entfällt, und im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Die Sache wird zur Bestimmung einer neuen Strafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit der – allein zulässig erhobenen – Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erreicht den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Dem in der ehelichen Wohnung von seiner Ehefrau getrennt lebenden Angeklagten oblag die Pflicht, seinen am 23. März 2004 geborenen Sohn F. jedes zweite Wochenende allein zu betreuen. Aus Angst, den Säug- ling durch zu grobes oder falsches Anfassen verletzen zu können, ging der Angeklagte zunächst mit übergroßer Vorsicht zu Werke.
4
Am 1. August 2004 gelang es dem Angeklagten gegen 14.00 Uhr indes nicht, seinen „15 bis 20 Minuten lang nervzerreißend schreienden Sohn“ durch Gaben von Tee, Milch und Schnuller oder Vornahme von Ortsveränderungen zu beruhigen. Um dem Schreien ein Ende zu setzen, ergriff der Angeklagte seinen Sohn unter den Achselhöhlen, hielt ihn mit ausgestreckten Armen senkrecht und später waagerrecht vor sich und bewegte ihn ruckartig ca. eine Minute hin und her, bis das Kind verstummte. Der Angeklagte legte seinen Sohn dann in die Babyschale zurück und reichte ihm Milch, die er nunmehr trank. Beim Windeln des Kindes bemerkte der Angeklagte gegen 19.00 Uhr röchelnden Atem und eine ungewöhnliche Schlaffheit seines Sohnes. Auf Drängen des Angeklagten verfügte der herbeigerufene Notarzt die Einweisung von F. in die Kinderklinik. Die durch das Schütteln verursachten rotatorischen Kräfte führten zu einer irreparablen Hirnschädigung, die eine Weiterentwicklung der geistigen Fähigkeiten des Kindes nicht zulässt. Zudem ist die Sehfähigkeit herabgesetzt, und F. bedarf der Behandlung wegen der durch die Hirnschädigung weiter hervorgerufenen Epilepsie.
5
2. Das Landgericht hat die Tat des hinsichtlich der objektiven Tatumstände geständigen Angeklagten zutreffend als schwere Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 18 StGB beurteilt. Indes hält die darüber hinaus tateinheitlich ausgeurteilte Misshandlung von Schutzbefohlenen sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
6
a) Eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB ist anzunehmen , wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert (BGH, Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97; vgl. auch BGHR StGB § 225 – i. d. F. d. 6. StrRG – Misshandlung 1). Eine gefühllose Gesinnung liegt vor, wenn der Täter bei der Misshandlung das – notwendig als Hemmung wirkende – Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 225 Rdn. 13).
7
b) Solches kann den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts nicht entnommen werden.
8
Das Landgericht schließt aus dem Umstand, dass der Angeklagte „sein Ruhebedürfnis kompromisslos und ohne Berücksichtigung der Leiden seines Säuglings“ (UA S. 31) durchgesetzt hat, auf dessen rohe Gesinnung. Diese Erwägung steht indes in Widerspruch zu der strafmildernd herangezogenen Feststellung, der Angeklagte sei durch das laute dauerhafte Schreien des Säuglings angespannt gewesen (UA S. 32), und geht daran vorbei, dass der Angeklagte hinsichtlich der schweren Folgen seiner Tat nicht vorsätzlich gehandelt hat.
9
Vorliegend belegen die Tatumstände insgesamt nicht, dass der Angeklagte bei der Tatausführung das als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden seines Sohnes verloren haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97). Ein neuer Tatrichter wird nichts Weitergehendes feststellen können.
10
3. Es liegt auf der Hand, dass die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es bei dem im Übrigen seinen Sohn stets fürsorglich behandelnden Angeklagten eine rohe Gesinnung bejaht hat, sich zum Nachteil des Angeklagten bei der Strafzumessung ausgewirkt haben. Deshalb ist der Strafausspruch aufzuheben und die Sache – ohne dass es bei dem hier vorliegenden Subsumtionsfehler der Aufhebung von Feststellungen bedarf – zur Bemessung der Strafe an einen neuen Tatrichter zurückzuverweisen.
Häger Raum Brause Schaal Jäger

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.