Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14

bei uns veröffentlicht am17.07.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 158/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 18. Dezember 2013 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen bis zur Ausführung des Messerstichs durch den Angeklagten - diese eingeschlossen - sowie zum Geschehen in der Gaststätte und danach.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete , auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des Nebenklägers, der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen Nebenklägers , „ob er das mit dem Messer gewesen sei,“ verneinte er. Dem Wunsch des Nebenklägers, den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm „in einigem Abstand“ und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.
4
b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Be- denken. Die Feststellungen der Jugendkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
5
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; MüKoStGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, 2. Aufl., § 24 Rn. 80: „kurz- zeitige Fehlvorstellung“). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen , das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter „über eine längere Strecke“; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336).
6
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den Erfolgseintritt für möglich hielt (UA 36); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde (UA 12). Die Jugendkammer hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden (UA 28) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen (UA 15) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus eigener Kraft die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
7
c) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 StR 105/14) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das Landgericht dafür, „dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des Nebenklägers) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt“ (UA 35); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das Landgericht bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: „Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen“ (UA 36). Es ist aber schon fraglich, ob die Jugendkammer mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der Generalbundesanwalt mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz (UA 34) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weiler „kein Blut sehen kann“ (UA 12), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des Nebenklägers steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
8
2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
9
Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 StPO).
10
Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 8). Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Bender Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be
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Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

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(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

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wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt (GL) bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
2
I. Nach den Urteilsfeststellungen bat der Nebenkläger K. den Angeklagten in seine Wohnung, um durch ein Gespräch eine streitige Angelegenheit zu klären. In der Wohnung begannen der Angeklagte und der Nebenkläger alsbald erneut zu streiten. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte spätestens jetzt, K. zu töten. Er zog ein versteckt gehaltenes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 8 - 10 cm aus seiner Jackentasche und stieß es kraftvoll und gezielt in den Herzbereich des Geschädigten, wobei er bewusst dessen von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzte. Die Messerklinge drang bis zum Heft in den Körper ein, eröffnete den Brustkorb und verletzte den Herzmuskel. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Brustkorb herausgezogen hatte und der Nebenkläger aufgestanden war, stach der Angeklagte ein zweites Mal mit dem Messer in Tötungsabsicht gezielt in Richtung des Herzens, traf aber nur das Brustbein.
3
Der Angeklagte, der davon ausging, alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben, ging nun mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten Ki. zu, der sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. K. hängte sich daraufhin von hinten an den Rücken des Angeklagten, der mit dem vor ihm stehenden Ki. rangelte. Während der Rangelei stach der Angeklagte mit dem Messer in den Bauch des Geschädigten Ki. und verursachte eine Verletzung, die er nicht als lebensgefährlich ansah. In der Folgezeit gelang es K. und Ki. , einen Arm des Angeklagten so umzudrehen, dass dieser auf dem Boden fixiert war. Nachdem K. in das Wohnzimmer gegangen war, um telefonisch Hilfe zu holen, brach er verletzungsbedingt zusammen und begann so laut zu stöhnen, dass es der Angeklagte und Ki. deutlich hören konnten. Ki. ließ den Angeklagten los, sah nach K. , der stark blutete und nicht mehr ansprechbar war, und verließ die Wohnung, um Hilfe zu holen. Der Angeklagte, der die inzwischen eingetretene Handlungsunfähigkeit des K. bemerkte und deshalb "erst Recht" davon ausging, dass dieser versterben werde, steckte das auf den Boden gefallene Messer ein und floh.
4
II. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord zum Nachteil des Geschädigten K. verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
5
Es habe sich um einen beendeten Mordversuch gehandelt. Der Angeklagte müsse bemerkt haben, dass er das Messer mit erheblicher Kraft bis zum Heft in die Herzgegend des Zeugen K. gerammt habe. Bei einer derart gefährlichen Gewalthandlung liege es auf der Hand, dass er davon ausgegangen sei, sein Opfer lebensgefährlich verletzt zu haben. In der Folgezeit habe der Angeklagte seine Vorstellung über die Lebensgefährlichkeit der Verletzung nicht korrigiert und keine Rettungsbemühungen entfaltet. Jedenfalls müsse der Angeklagte - wie auch Ki. - die röchelnden Geräusche aus dem Wohnzimmer sowie den Umstand wahrgenommen haben, dass K. zusammengebrochen und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Notruf abzusetzen. Daraus müsse er auf die vollständige Handlungsunfähigkeit infolge der ihm beigebrachten schweren Stichverletzung und damit deren Lebensgefährlichkeit geschlossen haben. Im Übrigen sei der Versuch auch fehlgeschlagen; denn als sich K. an seinen Rücken gehängt hatte und er gleichzeitig mit dem vor ihm stehenden Ki. gekämpft habe, sei dem Angeklagten klar gewesen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen ursprünglichen Tötungsvorsatz gegen K. gar nicht mehr hätte umsetzen können.
6
III. Die Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei im gesamten Zeitraum vom ersten Stich gegen K. bis zum Verlassen der Wohnung davon ausgegangen , dass dieser aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen versterben könne, auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Ebenso kann offenbleiben , ob die Auffassung des Landgerichts, es liege jedenfalls ein fehlge- schlagener Versuch vor, rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Denn das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte spätestens ab dem Moment, als K. röchelnd und handlungsunfähig im Wohnzimmer auf dem Boden lag, sich vorstellte, dieser könne infolge der ihm beigebrachten Stiche versterben. Damit lag zumindest in diesem Zeitpunkt ein beendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 StGB hätte zurücktreten können. Diese hat er jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:
7
1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtüm- lich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).
8
2. Nach diesen Maßstäben war der Mordversuch an K. beendet, als der Angeklagte in der Vorstellung die Wohnung verließ, sein Opfer könne aufgrund der Stiche versterben.
9
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt sind rechtsfehlerfrei getroffen. Wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zutreffend darlegt, sind die diesbezüglichen Äußerungen des Landgerichts allerdings insoweit bedenklich, als sie darauf abstellen, der Angeklagte "müsse" wahrgenommen haben, dass K. im Wohnzimmer röchelnd zusammengebrochen sei; denn entscheidend ist nicht, was er wahrnehmen oder womit er rechnen musste, sondern das, was er tatsächlich wahrnahm und welche Folgerungen er daraus zog. Danach sind Erwägungen , wie sie das Landgericht angestellt hat, zumindest missverständlich und können im Einzelfall sogar einen durchgreifenden Rechtsfehler in der Be- weiswürdigung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
10
So liegt es hier indessen nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht nur davon überzeugt, dass es sich nach der konkreten Situation aufdrängte, der Angeklagte habe das Zusammenbrechen und Röcheln K. s wahrgenommen, sondern auch, dass er diese Wahrnehmung tatsächlich machte und daraus den Schluss auf das mögliche Versterben K. s wirklich zog. Denn das Landgericht zieht in seine Überlegungen nicht nur die objektiven Umstände und Abläufe ein, sondern stützt sich gerade auch darauf, dass Ki. die Entwicklung des Zustands von K. schon bemerkte, als er noch im Wohnungsflur den Angeklagten am Boden fixierte und sich gerade deswegen in das Wohnzimmer begab, um nach dem Tatopfer zu sehen. Daraus wird noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht aus der Wahrnehmung Ki. s geschlossen hat, auch dem in dessen unmittelbarer Nähe befindlichen Angeklagten sei das Zusammenbrechen und Röcheln K. s nicht verborgen geblieben. Soweit es daraus weitergehend gefolgert hat, der Angeklagte habe jedenfalls jetzt erkannt, dass seine Stiche zum Tod K. s führen können, ist dagegen rechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
11
b) Sollte der Angeklagte aufgrund des Verhaltens des K. , insbesondere dessen Beteiligung an der Rangelei, zwischendurch zu der Vorstellung gekommen sein, es bestehe für diesen doch keine Lebensgefahr, so lag in dem rechtsfehlerfrei festgestellten erneuten Wechsel im Vorstellungsbild des Angeklagten eine nochmalige Korrektur des Rücktrittshorizonts, die zum Vorliegen eines beendeten Versuchs führt. Der erforderliche enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den zwei Messerstichen und dem Wechsel des Vorstellungsbildes (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) lag noch vor. Nach den Feststellungen vergingen vom Zeitpunkt der Stiche bis zum Zusammenbruch des Tatopfers im Wohnzimmer nur wenige Sekunden, maximal eine Minute. Es handelte sich um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen. Ein fehlender enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Tötungshandlung ist von der Rechtsprechung demgegenüber erst bei einer deutlich länger andauernden Zäsur von 15 (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) bzw. zehn Minuten (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15) angenommen worden.
12
Da der Tod K. s ohne das Zutun des Angeklagten ausblieb und der Angeklagte auch keine Bemühungen entfaltete, den Todeseintritt zu verhindern , erweist sich der Schuldspruch wegen versuchten Mordes somit letztlich als rechtfehlerfrei. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 647/12
vom
19. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. März
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Zeng,
Richter
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 3. Juli 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben:
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (in Tateinheit) mit Freiheitsberaubung verurteilt worden ist und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (in Tateinheit) mit Freiheitsberaubung sowie wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist auf die Anfechtung der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung beschränkt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt hinsichtlich der Gewalthandlungen vom 28./29. August 2011 jedenfalls die Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Die weitergehende Verurteilung (wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung) ist vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
3
Die insoweit wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

II.

4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Der Angeklagte unterhielt mit der Nebenklägerin (im Folgenden: N.) seit etwa 2008 eine Beziehung. Aus dieser Beziehung ging der gemeinsame Sohn L. hervor. Nachdem es zwischen den Partnern immer öfter Streitigkeiten gab, trennte sich N. im Juli 2011 vom Angeklagten. Trotz der Trennung wohnten sie und der Angeklagte weiter zusammen in der gemeinsamen Wohnung und schliefen im gleichen Zimmer. Der Angeklagte sowie N. beabsichtigten, zur Absicherung ihres Sohnes eine gemeinsame Lebensversicherung abzuschließen. Versicherungsnehmer sollten sie beide sein. Die Vertragsformalitäten sollten vom Angeklagten übernommen werden.
6
Nachdem der Angeklagte erkannte, dass die Trennung von N. endgültig ist, beschloss er zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt, N. zu töten. In diesem Zusammenhang wollte er die Versicherungsleistung aus der geplanten, noch abzuschließenden Lebensversicherung zu Unrecht selbst vereinnahmen. Den Tod der N. wollte er so herbeiführen, dass sich der Geschehensablauf als häuslicher Unfall darstellt.
7
In Ausführung dieses Planes füllte er am 1. Juli 2011 in seiner Wohnung einen Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung bei der C.-Versicherung aus. Als Versicherungsnehmer und als die zu versichernde Person trug er entgegen der Absprache mit N. in das Formular diese als alleinige Versicherungsnehmerin ein, versah den Antrag mit deren nachgemachter Unterschrift und trug sich selbst als Begünstigter im Todesfall der N. ein. Im Antrag bezifferte er die Versicherungsleistung, die im Todesfall der N. an ihn selbst ausgezahlt werden sollte, mit 1.340.000 €. Dieser Antrag ging am 4. Juli 2011 bei der C.-Versicherung ein. Mit der nachgemachten Unterschrift wollte er die Versicherung über den tatsächlichen Antragsteller täuschen. N. wusste hiervon nichts.
8
Entgegen der Vorstellung des Angeklagten lehnte die Versicherungsgesellschaft eine Deckung in der beantragten Höhe ab, erklärte sich aber zum Vertragsschluss in Höhe von 500.000 € entsprechend einer von der Versicherung durchgeführten Bedarfsberechnung bereit. Am 13. August 2011 unterschrieb der Angeklagte aufgrund eines neuen Tatentschlusses erneut in seiner Wohnung eine Erklärung über den Erhalt von Unterlagen sowie einen Zusatzantrag zur Hinterbliebenenabsicherung, in dem der Versicherungsbeginn 1. August 2011 und die Versicherungssumme mit 500.000 € vereinbart wurde.
9
Die vorgenannten Urkunden versah er wiederum mit der von ihm nachgemachten Unterschrift der N., um die Versicherung erneut darüber zu täuschen , dass diese die Antragsunterlagen - wie nicht - erhalten und unterschrieben hätte, und reichte sie bei der C.-Versicherung ein. Im Vertrauen auf die Echtheit der Urkunden bestätigte die C.-Versicherung das Zustandekommen des Versicherungsvertrages mit Versicherungspolice vom 16. August 2011, die der Angeklagte tags darauf zugestellt bekam. Auch davon bekam N. nichts mit. Versichert war der Tod der N. unabhängig davon, ob es sich um einen natürlichen oder um einen gewaltsamen Tod handelte. Dies wusste der Angeklagte.
10
Nachdem der Angeklagte die vertraglichen Voraussetzungen geschaffen und erfahren hatte, dass N. sich mit einem anderen Mann trifft, entschloss er sich schließlich am 28. August 2011, seinen Tötungsplan in die Tat umzusetzen.
11
Der Angeklagte wollte den Eindruck erwecken, N. sei beim Ausstieg aus der nassen Dusche auf dem Boden des Badezimmers ausgerutscht und mit dem Kopf auf einen harten Gegenstand aufgeschlagen, wobei sie sich tödliche Verletzungen zugezogen habe. Hierzu verstreute er am Abend vorher auf dem Boden Waschpulver und legte sich Geschirrtücher sowie Kabelbinder unter dem Kopfkissen zurecht, um damit N. zu fesseln. Den gemeinsamen Sohn L. verbrachte er zu seinen Eltern, damit dieser von der Tat nichts mitbekomme. Um sich selbst ein Alibi zu verschaffen, verbrachte er den Abend bei seinen Eltern und legte sich, nachdem sein Vater zu Bett ging, zum Schein auf die Couch, um den Eindruck zu erwecken, er werde die ganze Nacht bei seinen Eltern verbringen.
12
Tatsächlich begab er sich jedoch heimlich zurück in seine Wohnung, wo er im Bett liegend auf die Rückkehr von N. wartete. Diese kehrte etwa gegen 2.30 Uhr zurück und legte sich nur mit einer Unterhose bekleidet neben den Angeklagten in ihre Betthälfte. Zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 3.15 Uhr und 5.30 Uhr begann der Angeklagte, die schlafende, wehrlose N. zu fesseln. Er drehte sie dazu auf den Bauch und fesselte ihr zuerst mit einem stabilen Klebeband die Hände auf dem Rücken, wickelte ihr dann die bereits vorher dazu ebenfalls bereitgelegten Geschirrtücher um die Handgelenke und fixierte diese dann über den zur Polsterung und Striemenvermeidung dienenden Tüchern mit den bereitliegenden Kabelbindern. Hierdurch wurde N. wach, worauf der Angeklagte ihr sogleich den Mund mit Klebeband verklebte. Damit wollte der Angeklagte jeglichen Fluchtversuch der N. von vornherein verhindern.
13
Anschließend nahm er eine nicht näher identifizierte Pistole, hielt sie an ihren Mund und sagte, er würde sie wahnsinnig gerne erschießen. Tatsächlich beabsichtigte er dies nicht, sondern wollte sie einschüchtern und in Todesangst versetzen, was ihm auch gelang. Anschließend fesselte er N. mit dem Klebeband noch an den Beinen, um sie ohne Gegenwehr in das Badezimmer verbringen zu können. Entsprechend seinem Plan verbrachte er die verängstigte und wehrlose N. gegen ihren Willen ins Badezimmer und bespritzte dort das schon am Abend zuvor auf dem Boden verstreute Waschpulver mit Wasser, um einen Schmierfilm zu erzeugen. Anschließend verbrachte er sie nochmals ins Schlafzimmer und gleich wieder zurück ins Bad. Er stellte N. nun unter die laufende Dusche, um sie nass zu machen.
14
Dann zog er sie aus der Dusche, fasste sie mit den Händen an den Kopf, zog diesen zuerst nach vorne und schleuderte die gefesselte N. dann mit aller Kraft nach hinten, um ihr durch den Sturz möglichst tödliche Kopfverletzungen zuzufügen. Die aufgrund der Fesselung völlig wehrlose N. stürzte und schlug mit der linken Schulter und dem Hinterkopf auf dem gefliesten Boden auf. Sie blieb zwar auf dem Rücken liegen, war jedoch nicht schwer verletzt. Der Angeklagte war von diesem vergleichsweise harmlosen Verlauf überrascht, da er zumindest mit dem Eintreten der Bewusstlosigkeit der N. rechnete. Er entschloss sich nunmehr, N. dadurch zu töten, dass er ihr das Genick bricht. Er setzte sich dazu auf die Hüfte auf der am Boden liegenden N., nahm ihren Kopf in seine Hände und versuchte, durch gewaltsames Überdrehen des Kopfes nach hinten dieser tödliche Genickverletzungen zuzufügen. Als dies aufgrund Muskelanspannung der N. misslang, fasste er mit einer Hand unter die rechte Schulter der N., zog sie nach oben und drückte mit der anderen Hand gleichzeitig ihren Kopf nach unten. Da auch dies nicht zu tödlichen Verletzungen führte, kniete er sich nunmehr neben N., fasste mit einer Hand an ihren Hinterkopf und mit der anderen an ihr Kinn, um den Kopf kraftvoll drehen zu können. Er zog sodann gleichzeitig ihren Hinterkopf seitlich nach vorne und drückte ihr Kinn nach hinten. Aber auch hierdurch gelang es ihm nicht, N. erhebliche bzw. tödliche Verletzungen zuzufügen, weil diese ihren Körper mitdrehen konnte.
15
Er ließ nun von N. ab und fing an, diese zu beschimpfen. Er warf ihr vor, sie sei schuld am Scheitern der Beziehung und auch an dem was nunmehr passiere, weil sie egoistisch sei und nur an sich selbst denke. N. antwortete auf die Beschimpfungen und Vorhalte des Angeklagten trotz verklebtem Mund so gut sie konnte, worauf der Angeklagte ihr mehrfach mit der flachen Hand auf die Wange schlug, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass ihm ihre Antwort nicht gefiel.
16
Nunmehr entschloss er sich, die Gegenwehr der N. dadurch auszuschalten , dass er sie bis zur Ohnmacht knebelte, um ihren Kopf dann ohne Widerstand auf den Boden schleudern zu können bzw. ihr durch gewaltsames Verdrehen des Kopfes tödliche Verletzungen zuzufügen. Hierzu drückte er zunächst ihren Mund und ihre Nase mit der Hand zu. Infolge dieser Behandlung löste sich das Klebeband von ihrem Mund und N. schrie so laut sie konnte um Hilfe. Dies geschah ca. um 6.00 Uhr früh. Nun drückte er ihr ein im Badezimmer in unmittelbarer Reichweite befindliches Handtuch tief in den Mund- und Rachenraum und hielt ihr gleichzeitig die Nase zu. Damit gelang es ihm, die Luftzufuhr der N. vollständig zu unterbinden, sodass N. nicht mehr atmen konn- te, ihre Gegenwehr aufgab und dachte, sie werde nun sterben. Erst als sie langsam kraftlos wurde und, wie er erkannte, kurz vor der Bewusstlosigkeit stand, ließ der Angeklagte wortlos von seinem Vorhaben ab und nahm den Knebel aus ihrem Mund, sodass sie schließlich wieder Luft bekam und sich erholte.
17
Anschließend trug er die immer noch am Boden liegende, gefesselte halbnackte N. zurück in das Schlafzimmer und zwang sie, auf dem Bett liegen zu bleiben. Als er bemerkte, dass es ihr zwischenzeitlich gelungen war, der Fesselung der Hände durch die Kabelbinder teilweise zu entkommen, drehte er sie gewaltsam in Bauchlage und legte ihr neue Kabelbinder an, die er so fest zuzog, dass sie Schmerzen erlitt. Im weiteren Verlauf bot N. dem Angeklagten aus Angst um ihr Leben eine Übertragung des Sorgerechts für den gemeinsamen Sohn an und versprach ihm, sie werde nicht zur Polizei gehen, wenn er sie frei lasse.
18
Schließlich nahm der Angeklagte N. gegen 8.30 Uhr die Fesselung ab und ließ sie gegen 9.15 Uhr aus der Wohnung. Der Angeklagte bedrohte sie kurz vor Verlassen der Wohnung noch, dass er sie umbringen werde, wenn sie den Vorfall der Polizei melde.
19
Dennoch erstattete N. nach einer Überlegungsphase und erst nach Aufforderung durch ihre Mutter am 29. August 2011 abends Anzeige gegen den Angeklagten.
20
N. erlitt durch den Erstickungsversuch Petechien im Auge, durch den Aufprall auf dem gefliesten Boden eine 4 cm große Beule am Hinterkopf, durch die Misshandlungen starke Schmerzen am Hals und durch die Fesselung an den Hand- und Sprunggelenken Hautreizungen und Schmerzen. Dies hatte der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen.
21
N. ist seit diesem Vorfall in psychiatrischer Behandlung. Ob und in welchem Umfang psychische Dauerfolgen verbleiben, steht nicht fest. Sie hat nach wie vor schon bei alltäglichen Berührungen Angstzustände.
22
2. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) das Vorliegen eines fehlgeschlagenen Tötungsversuchs verneint und bei der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch bejaht. Es hat bei dem Tatgeschehen vom 28./29. August 2011 eine Zäsur nur im Hinblick auf die abschließende versuchte Nötigung angenommen und ist davon ausgegangen, dass das Dauerdelikt der Freiheitsberaubung "die übrigen Körperverletzungsdelikte" verklammere.

III.

23
Das angefochtene Urteil leidet an durchgreifenden materiell-rechtlichen Fehlern.
24
1. Insbesondere ist den getroffenen Feststellungen nicht das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung , der sogenannte Rücktrittshorizont, zu entnehmen. Bei Vorliegen einer Zäsur müssen zudem die Vorstellungen des Angeklagten jeweils nach der (vorläufig) letzten Ausführungshandlung dargetan werden.
25
Auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten kann hier nicht aus dem Urteil in seiner Gesamtheit geschlossen werden, wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) und der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) rudimentär Rücktrittselemente angesprochen werden. Hier wird jeweils in erster Linie mitgeteilt, was nicht festgestellt werden konnte, ohne dass - ergänzend heranzuziehende - klare und eindeutige Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach den verschiedenen Tathandlungen getroffen wurden. Ohnehin konnte N. zum jeweiligen Vorstellungsbild des Angeklagten schon deshalb keine Angaben machen, weil er sich hierzu nicht geäußert hat. Die entsprechenden Feststellungen sind aber unerlässlich; denn auf den Rücktrittshorizont kommt es bei der Beurteilung, ob ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch vorliegt, entscheidend an.
26
Das ergibt sich aus Folgendem:
27
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist.
28
Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.
29
Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt.
30
Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat.
31
In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser ändert (st. Rspr. vgl. u.a. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 401/11; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11).
32
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr. vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
33
Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des § 24 Abs. 1 StGB stets, in solchen des § 24 Abs. 2 StGB mittelbar dann von Bedeutung ist, wenn sich die (gemeinsame) Verhinderungsleistung von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09 mwN).
34
Allen Fällen ist gemeinsam, dass es auf das Vorstellungsbild des Täters im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ankommt. Diese Vorstellung ist gegebenenfalls auch für die Beurteilung der Freiwilligkeit eines Rücktritts von Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2005 - 4 StR 216/05 mwN).
35
Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen , hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 - 3 StR 411/12; BGH, Beschluss vom 29. September 2011 - 3 StR 298/11; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 4 StR 8/03).
36
Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil es sich um ein mehrstündiges und mehraktiges Tatgeschehen handelt und auch die Prüfung der Annahme nur einer Tat im Rechtssinne vorzunehmen ist. Denn würde man, was hier nicht fern liegt, eine oder mehrere Zäsuren (hinsichtlich der abschließenden versuchten Nötigung ist der Tatrichter selbst davon ausgegangen [UA S. 13]) annehmen, ist die Mitteilung des Vorstellungsbildes des Angeklagten nach der jeweils letzten Ausführungshandlung geboten.
37
Die Annahme des Landgerichts, das Dauerdelikt der (einfachen) Freiheitsberaubung verklammere auch gefährliche Körperverletzungen (die konkrete Fesselung kann ebenfalls eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 364/03 mwN; Fischer, StGB, 60. Aufl., Rn. 9b zu § 224), begegnet rechtlichen Bedenken; denn das im Strafrahmen des § 224 StGB zum Ausdruck kommende Gewicht übersteigt das des Dauerdelikts (§ 239 StGB) erheblich (vgl. Fischer aaO Rn. 32 vor § 52).
38
Zu denken ist aber an eine natürliche Handlungseinheit. Eine solche und damit eine Tat im materiell-rechtlichen Sinne liegt bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn die einzelne Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint.
39
Für die Beurteilung einzelner Versuchshandlungen als eine natürliche Handlungseinheit ist deshalb eine solche Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei begründet der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne Weiteres eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur. Eine tatbestandliche Handlungseinheit endet jedoch mit dem Fehlschlagen des Versuchs (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04 mwN).
40
Auch für die Beurteilung, ob die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind, ist die (jeweils rechtsfehlerfreie ) Feststellung der subjektiven Tatseite erforderlich.
41
An all diesem fehlt es hier.
42
Die Urteilsgründe lassen weiter nicht eindeutig erkennen, ob der Angeklagte durchgehend davon ausging, den Tod der N. (als außertatbestandliches Ziel) als Unfall darstellen zu können oder nur noch ihren gewaltsamen Tod erstrebte , obwohl dafür das Risiko für ihn größer wurde, als Täter in Verdacht zu geraten und deshalb die Versicherungssumme nicht ausbezahlt zu erhalten. Denn es ist naheliegend, dass bei einem offensichtlich gewaltsamen Tod der N. in der Wohnung des Angeklagten kurz nach Abschluss einer entsprechenden Lebensversicherung und bei einem möglichen Sorgerechtsstreit (UA S. 7) der Tatverdacht auf den Angeklagten fallen würde.
43
Die Urteilsgründe lassen offen, ob der Angeklagte möglicherweise nur noch weiterhandelte, um seine vorausgehende Tat zu verdecken.
44
Das Fehlen entsprechender Feststellungen und Erörterungen lässt eine abschließende Prüfung durch das Revisionsgericht nicht zu.
45
Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang.
46
Die zugrundeliegenden Feststellungen waren ebenfalls aufzuheben, da der Senat nicht ausschließen kann, dass auch insoweit neue Feststellungen getroffen werden können, die sich auf das Vorstellungsbild des Angeklagten im jeweiligen rechtserheblichen Zeitpunkt ausgewirkt haben.
47
2. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung hatte im Übrigen schon deshalb keinen Bestand, weil die Strafkammer übersehen hat, dass tateinheitlich begangen auch eine Bedrohung (mit der Pistole; § 241 StGB) vorliegt. Ob diese hinter einem versuchten Tötungsdelikt zurücktreten würde, kann hier offenbleiben; sie würde aber nicht hinter der vom Landgericht lediglich angenommenen gefährlichen Körperverletzung zurücktreten (vgl. zur Problematik u.a. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2002 - 2 StR 523/01; auch BGH, Beschluss vom 9. Februar 2000 - 2 StR 639/99). Wahl Rothfuß Jäger Radtke Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR105/14
vom
7. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 8. November 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am Tattag, dem 2. März 2013, suchte der Angeklagte, der nicht damit einverstanden war, dass sich seine Ehefrau von ihm getrennt und ein eigenes Appartement im Schwesternheim eines Krankenhauses bezogen hatte, diese gegen 17.00 Uhr in ihrer neuen Wohnung auf. Unmittelbar nachdem sie ihn eingelassen hatte, schlug er ihr mehrfach rechts und links seitlich fest an den Kopf und zog sie von hinten an den Haaren, wodurch sie zu Fall kam. Er kniete sich sodann auf die Brust der auf dem Rücken liegenden Geschädigten und würgte sie mit beiden Händen unter erheblichem Kraftaufwand mindestens 20 Sekunden lang mit bedingtem Tötungsvorsatz am Hals. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, seine Hände zu lösen, wurde sie bewusstlos. Als sie nach einer nicht mehr feststellbaren Zeitspanne das Bewusstsein wieder erlangte , saß der Angeklagte auf einem Sofa im Wohnzimmer, sprach vor sich hin und äußerte sinngemäß Folgendes: „Ich habe sie nicht töten können. Teufel, Du stirbst nicht.“ Als er bemerkte, dass die Geschädigte noch lebte, warf er ihr eine Grapefruit an den Kopf, die er in der Hand gehalten hatte. Die Geschädigte weinte und hatte Luftnot, kroch in Richtung der Wohnungstür und gelangte schließlich auf den Flur. Gegenüber der als Krankenschwester tätigen Zeugin K. , die herbeigeeilt war, um der Geschädigten zu helfen, äußerte sich der Angeklagte sinngemäß u.a. dahin, er habe sie (die Geschädigte) gewürgt; sie sei aber nicht gestorben, sie sei eine Teufelin.
4
Das Landgericht hat angenommen, der Versuch des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, weshalb ein strafbefreiender Rücktritt im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB nicht in Betracht komme. Schon den Äußerungen des Angeklagten im Wohnzimmer sei zu entnehmen, dass er sein Vorhaben als gescheitert betrachtet habe; er habe den Taterfolg aus seiner Sicht mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen können. Zudem habe sich seine subjektiv angenommene physische Unmög- lichkeit zur Tatvollendung in seiner Äußerung gegenüber der Zeugin K. manifestiert.

II.


5
Die Annahme des Landgerichts, der Versuch des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
1. Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend davon ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegt, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs , liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399).
7
2. Indem sie für die Beurteilung des insoweit maßgeblichen Vorstellungsbildes des Angeklagten (sog. Rücktrittshorizont) nur dessen Äußerungen im Wohnzimmer und gegenüber der Zeugin K. herangezogen hat, hat die Strafkammer insoweit aber auf einen rechtlich unzutreffenden Zeitpunkt abgestellt. Diese Äußerungen fielen erst, als die Geschädigte, die vom Angeklagten über einen Zeitraum von zwanzig Sekunden bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden war, nach einer nicht mehr genau feststellbaren weiteren Zeitspanne das Bewusstsein wieder erlangte und der Angeklagte sich mittlerweile im Wohnzimmer auf ein Sofa gesetzt und eine Zigarette angezündet hatte; das Zusammentreffen mit der Zeugin K. erfolgte zu einem noch späteren Zeitpunkt. Was sich der Angeklagte, der körperlich in der Lage war, die Geschädigte zwanzig Sekunden lang mit erheblichem Kraftaufwand bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit zu würgen, unmittelbar nach Beendigung des Würgens der Geschädigten vorstellte, insbesondere, ob ihm danach ein Weiterhandeln aus tatsächlichen (physischen) Gründen unmöglich war, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Annahme, der Tötungsversuch sei fehlgeschlagen, und ein strafbefreiender Rücktritt ausgeschlossen, erweist sich danach als nicht hinreichend tatsachenfundiert.
8
2. Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; gerade vor dem Hintergrund der festgestellten, zeitlich nachfolgenden Äußerungen des Angeklagten liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser durch bloßes Nichtweiterhandeln strafbefreiend vom unbeendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 StGB zurückgetreten sein könnte.
9
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Versuch eines Tötungsdeliktes insbesondere dann nicht beendet im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 StGB, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums, also im Wege einer Korrektur seines Rücktrittshorizonts, von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, Tz. 7 mwN). Danach ist es hier nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Angeklagte , als die Geschädigte nach dem zwanzig Sekunden dauernden Würgevorgang in Bewusstlosigkeit verfiel, zunächst davon ausging, zur Tatbestandsverwirklichung alles Erforderliche getan zu haben. In dem nach Ende der Bewusstlosigkeit der Geschädigten festgestellten Ausspruch des Angeklagten und dem Wurf der Grapefruit an ihren Kopf, nachdem er bemerkt hatte, dass sie noch lebte, kann danach zum Ausdruck gekommen sein, dass er sich nun in der Vorstellung erschüttert sah, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben, gleichwohl nichts weiter zur Tatvollendung unternahm.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 220/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 5. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger zwei wuchtige Stiche mit einem Küchenmesser in den oberen Rückenbereich und den rechten Oberarm und brachte ihm eine weitere oberflächliche Stichverletzung am Unterbauch bei. Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte, als er nach dem letzten Stich von dem stark blutenden Nebenkläger abließ, davon ausging, alles Erforderliche getan zu haben, um den von ihm beabsichtigten Tötungserfolg herbeizuführen.
4
Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
5
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt nämlich ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (vgl. BGHSt 36, 224; BGH NStZ-RR 2002, 73). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (vgl. BGH NStZ 2005, 331).
6
Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Dem zwar stark blutenden , aber nicht akut lebensgefährlich verletzten Tatopfer war es nämlich nach dem letzten Stich gelungen, sich ohne fremde Hilfe auf den Beifahrersitz des am Tatort abgestellten Pkws der Zeugin G. zu setzen und dort - ohne das Bewusstsein zu verlieren - das Eintreffen der Rettungskräfte abzuwarten. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge dieses von ihm beobachteten Verhaltens des Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben.
7
Zwar liegen nach den getroffenen Feststellungen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Versuch, den Nebenkläger zu töten, nach der Vorstellung des Angeklagten infolge des Einschreitens der Zeugin G. fehlgeschlagen sein könnte, mithin auch ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 39, 221, 228, 232; 41, 368, 369; BGH NStZ 2005, 263).
8
Mit dieser Frage hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt. Die bisherigen Feststellungen, insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem Einschreiten der Zeugin, lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs nicht zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Zeugin zwar zunächst schreiend auf den Angeklagten zurannte , sich dann aber - was der Angeklagte erkannte - wieder vom Tatort entfernte. Dass sich der Angeklagte, der weiterhin Zugriff auf die Tatwaffe und zwei weitere Messer hatte, durch das Verhalten der Zeugin an einer Tatvollendung gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
9
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass der Angeklagte ein versuchtes Tötungsdelikt begangen hat, wird er sich nochmals näher mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Tatmotivation des Angeklagten tatsächlich in objektiver und subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen der sonstigen niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB erfüllt.
10
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Miebach Becker von Lienen Sost-Scheible
5 StR 526/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. März 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin L.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 4. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Am 27. Oktober 2011 gegen 20.00 Uhr geriet der zur Tatzeit mittel- gradig alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration 1,53 ‰) nach ei- ner Taxifahrt mit dem Führer des Taxis, dem Nebenkläger, in Streit über den Fahrpreis. Er vermutete, der Nebenkläger habe seine Ortsunkenntnis ausge- nutzt, um einen höheren Preis zu erzielen. Aus Wut forderte er diesen auf, ihm die Geldbörse zu überlassen, deren gesamten Inhalt er sich verschaffen wollte. Dabei rückte er direkt hinter den Fahrersitz. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und erwarteten Widerstand zu überwinden, hielt er dem Nebenkläger ein Anglermesser von hinten an den Hals. Der Nebenkläger bemerkte das Messer zunächst nicht und versuchte, den Arm des Angeklagten wegzuschieben. Zudem drückte er sein Kinn nach unten. Als er eine warme Flüssigkeit am Hals bemerkte, wurde ihm bewusst, dass der Angeklagte ihm ein Messer an den Hals hielt und dass er blutete. Er sah von weiterer Gegenwehr ab und reichte seine Geldbörse nach hinten. Der Angeklagte ergriff die Börse und brachte dem Nebenkläger zugleich eine 22 cm lange und 4 cm tiefe waagerechte Schnittverletzung am Hals bei. Damit wollte er sein Opfer außer Gefecht setzen und sich so Beute und Flucht sichern. Es war ihm gleichgültig, ob er den Tod des Nebenklägers herbeiführen würde.
4
Der Angeklagte ergriff seine Umhängetasche und verließ fluchtartig das Taxi. Dabei nahm er wahr, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ (UA S. 7). Dass sein Opfer stark blutete, erkannte er nicht. Sein Messer und seine Kleidung waren nicht blutverschmiert. Als er im Laufschritt in Richtung Bahnübergang floh, ging er davon aus, dass der Nebenkläger überleben werde, zumal dieser sich noch selbständig fortbewegen konnte. Unterwegs warf er das Messer ins Gebüsch.
5
Die durch den Nebenkläger erlittene Schnittverletzung verlief innerhalb des Unterhautfettgewebes und endete in der Mitte am Schildknorpel bzw. Zungenbein. Die Unterkieferspeicheldrüse und Teile der vorderen Halsmuskulatur waren quer durchtrennt. Zu einer Öffnung der Atemwege kam es nicht. Die großen Blutgefäße des Halses blieben gleichfalls unverletzt. Beides war hauptsächlich dadurch bedingt, dass der Nebenkläger ein besonders ausgeprägtes Unterhautfettgewebe (Doppelkinn) aufwies.
6
b) Die Schwurgerichtskammer hat den Tatbestand des versuchten Totschlags als verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit des durch ihn geführten Schnitts mit dem Tod des Nebenklägers gerechnet. Um der erstrebten Ziele der Beutesicherung und der Flucht willen sei ihm der Todeseintritt zumindest gleichgültig gewesen. Jedoch sei er vom unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten und habe neben der besonders schweren räuberischen Erpressung lediglich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht.
7
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB), hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung der Schwurgerichtskammer, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht (mehr) für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689 mwN), in den Feststellungen keine hinreichende Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Nebenkläger tief in den Hals geschnitten. Dass er hierdurch weder eine Arterie noch die Luftröhre verletzte, war nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Dementsprechend hat sich die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Dann liegt aber auch der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei bei der Flucht davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der massiven Schnittverletzung versterben (vgl. BGH aaO). Die auf eine versehentliche Zufügung der Verletzung zielende Einlassung des Angeklagten bietet hierfür schon deswegen keine ausreichende Grundlage, weil die Schwurgerichtskammer sie – ohne Rechtsfehler – als weitgehend nicht glaubhaft gewertet hat.
9
b) Ungeachtet dessen ist jedenfalls ohne weitere Darlegungen zweifelhaft , ob die – im Rahmen der Darstellung der Einlassung des Angeklagten nicht erörterte (vgl. UA S. 11) – Wahrnehmung des Angeklagten, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ , die Vorstellung des Angeklagten durchgreifend erschüttern könn- te, bereits alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ besonderer Erörterung bedarf, wenn das Opfer nach der letzten Aus- führungshandlung – vom Täter wahrgenommen – noch zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei möglicherweise bereits tödlich verletzt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336 mwN). Indessen haben auch tödliche Stiche nach der Lebenserfahrung nicht stets die sofortige Bewegungsunfähigkeit des Opfers zur Folge, weswegen ein bloßes „Ansetzen“ zur Bewegung nicht genügend aussagekräftig erscheinen könnte. Soweit die Schwurgerichtskammer ergänzend heranzieht, der Angeklagte habe aufgrund seiner Position hinter dem Nebenkläger die klaffende Wunde nicht gesehen und der Kraftaufwand müsse bei Verwendung eines scharfen Messers nicht erheblich gewesen sein (UA S. 23), tritt dies in Spannung zu den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde und eines mit beträchtlichem Kraftaufwand geführten Schnittes, um beim Angeklagten das Bewusstsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seiner dem Nebenkläger beigefügten Schnittverletzung zu wecken oder aufrechtzuerhalten. Fehlende Blutanhaftungen am Messer und an der Kleidung des Angeklagten wären schließlich allenfalls dann von Belang, wenn dieser beides im maßgeblichen Zeitpunkt der Flucht überprüft hätte. Solches ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und erscheint wegen des Augenblickscharakters der Situation auch eher fernliegend.
10
c) Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei können auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen keinen Bestand haben. Denn dem neuen Tatgericht muss auf der Basis detaillierter Erhebungen etwa zu dem durch den Angeklagten vollführten Messerangriff und zu dessen Wahrnehmungen im Zeitpunkt des Weglaufens eine in sich stimmige tatsächliche und rechtliche Würdigung ermöglicht werden.
11
3. Für den Fall, dass die neu entscheidende Schwurgerichtskammer unter Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangen sollte, wird sie sich eingehend auch mit den Voraussetzungen des § 211 Abs. 2 StGB auseinanderzusetzen haben. Namentlich die im angefochtenen Urteil angestellten Hilfserwägungen zur Ablehnung des Mordmerkmals der Habgier (UA S. 24) leuchten mit Rücksicht auf die festgestellte Beutesicherungsabsicht des Angeklagten nicht ohne Weiteres ein (vgl. zum – von der Schwurgerichtskammer verneinten – Element übersteigerten Gewinnstrebens LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 9 mwN).
Basdorf Raum Sander König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 349/04
vom
11. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. März 2004 werden verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft macht mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel geltend , der Angeklagte hätte wegen versuchten Mordes verurteilt werden müssen , da er heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Der Angeklagte beanstandet die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der jugendlich wirkende, zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte hielt sich in der Tatnacht in einer Diskothek in Essen auf. Er trank Alkohol (zur Tatzeit betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,51 %o), rauchte Haschisch und konsumierte möglicherweise eine bis zwei Ecstasy-Tabletten. Die überwiegende Zeit verbrachte er mit Tanzen bei lauter Musik. Gegen 6.00 Uhr war er in "gesteigerter Stimmung, aufgereizt und suchte Kontakt zu weiblichen Diskothekenbesuchern". Auf der stark abgedunkelten Empore der Diskothek versuchte er, sich Daniela N. anzunähern, die dies ignorierte. Ihr Begleiter, der später geschädigte, 33 Jahre alte, groß und kräftig gebaute Frank B. hatte dies bemerkt und sprach den Angeklagten "deutlich, laut und mit durchaus grober Stimme" mit den Worten an: "Lass die Frau in Ruhe; wenn du reden willst, dann rede mit mir!". Für Frank B. war die Angelegenheit damit erledigt. Er achtete deswegen in der Folgezeit nicht mehr auf den Angeklagten. Dieser fühlte sich jedoch durch Frank B. provoziert und herausgefordert; überdies ärgerte er sich sehr über die aus seiner Sicht unangemessene und unberechtigte Zurechtweisung in Anwesenheit Daniela N. s. Er stellte sich deshalb in die Nähe Frank B. s und richtete die Frage "Hast Du ein Problem?" an ihn. Obwohl nun ein Begleiter des Angeklagten einschritt und ihn von Frank B. wegzog, begab sich der Angeklagte erneut an dessen Tisch. Möglicherweise infolge seiner Erregung und des Alkohol- und Drogeneinflusses ging der Angeklagte auch davon aus, Frank B. wolle sich mit ihm körperlich messen und sei auf ihn fixiert, was tatsächlich nicht zutraf. Der Angeklagte befürchtete in einem Schlagabtausch dem körperlich überlegenen Frank B. zu unterliegen und entschloß sich deshalb, diesem einen "einzigen, blitzschnellen und kräftigen" Messerstich in den Brustbereich zu versetzen. Von B. unbemerkt öffnete er ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa 10 cm und stach in einer plötzlichen Drehbewegung in die Mitte der Brust des Geschädigten, des-
sen Tod er billigend in Kauf nahm. Nach dem Stich wich der Angeklagte von Frank B. zurück. Dieser merkte zwar, daß er blutete, war aber noch in der Lage , die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunterzulaufen und umstehende Personen auf den Angeklagten aufmerksam zu machen. Durch den Messerstich wurde eine Arterie im Brustkorb Frank B. s durchtrennt, was zu einem akut lebensgefährlichen Zustand führte.

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft Ohne Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, daß der Angeklagte nicht wegen versuchten Mordes, sondern nur wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist.
a) Das Landgericht ist zwar davon ausgegangen, daß sich Frank B. im Zeitpunkt des mit Tötungsvorsatz geführten Messerstichs keines Angriffs durch den Angeklagten auf seine körperliche Unversehrtheit versah und hat deshalb das Mordmerkmal der Heimtücke in objektiver Hinsicht als erfüllt angesehen. Vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals hat sich die Strafkammer hingegen nicht zu überzeugen vermocht. Das Landgericht ist mit tragfähiger Begründung zu dem Ergebnis gelangt , daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht erkannt hat. Er war zur Tatzeit stark angetrunken, stand zudem unter Drogeneinfluß und befand sich nach durchtanzter Nacht in "gesteigerter Stimmung". Er verhielt sich gegenüber dem Tatopfer, auch für Dritte erkennbar, offen aggressiv. Der Angeklagte sprach Frank B. nicht nur mit einer provozierenden
Frage an, sondern sein aggressives Verhalten veranlaßte seinen Begleiter, ihn von Frank B. wegzuziehen und beschwichtigend auf ihn einzureden. Wenn das Landgericht hieraus folgert, der erheblich berauschte und erregte Angeklagte sei nicht ausschließbar davon ausgegangen, auch das Tatopfer habe sein aggressives Verhalten wahrgenommen und deswegen mit einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, ist dies ein jedenfalls möglicher und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmender tatrichterlicher Schluß. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Angeklagte Frank B. durch einen einzigen, in einem günstigen Augenblick geführten, "blitzschnellen" Messerstich ausschalten wollte. Dieser Entschluß setzte, anders als der Generalbundesanwalt meint, nicht denknotwendig den Plan des Angeklagten voraus, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des Tatopfers für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vorneherein zu unterbinden, ohne weiteres auch mit der Annahme des Angeklagten, sich in eine Auseinandersetzung mit einem abwehrbereiten , körperlich überlegenen Gegner zu begeben, in Einklang zu bringen.
b) Auch die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat, hält rechtlicher Überprüfung stand. Ob ein Beweggrund niedrig ist, also nach allgemeiner Wertung auf tiefster Stufe steht, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, welche die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation einbezieht (BGH NStZ-RR 2000, 333). Zwar kommt dem krassen Mißverhältnis zwischen Tatentschluß und Tötung, wie es hier vorliegt, maßgebliche Bedeutung zu. Die Feststellung eines sol-
chen Mißverhältnisses genügt aber allein nicht für die Annahme eines niedrigen Beweggrundes. Faßte der Täter, wie hier, den Tatentschluß vielmehr ohne Plan und Vorbereitung "spontan" aus der Situation heraus, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob sich der Täter der Umstände bewußt war, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen (BGH NStZ 1983, 19; BGH NStZ-RR aaO). Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Es hat sich mit den für die Tatbegehung in Frage kommenden Motiven des Angeklagten auseinandergesetzt und in Betracht gezogen, daß der Angeklagte möglicherweise aus einem "übersteigerten Ehrgefühl" handelte, weil er es nicht ertragen konnte, im Beisein Daniela N. s zurechtgewiesen worden zu sein. Es hat aber auch nicht auszuschließen vermochte, daß Wut und Ärger des Angeklagten über die Art und Weise, wie ihn Frank B. ansprach, Anlaß für die Tat waren. Im Rahmen der Gesamtwürdigung stellt die Strafkammer darauf ab, daß diese Motive vor dem Hintergrund des jugendlichen Alters, der impulsiven Natur und der toxischen Beeinflussung des Angeklagten, der sich vom späteren Tatopfer durch die grobe Ansprache provoziert und zu einer körperlichen Auseinandersetzung herausgefordert fühlte, zu sehen sind. Das Landgericht hat deshalb nicht feststellen können, daß sich der Angeklagte in dem Augenblick, als er den Messerstich gegen FrankB. führte, der Niedrigkeit seiner Motivation - diese unterstellt - überhaupt bewußt war. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. 2. Revision des Angeklagten Der Revision des Angeklagten bleibt ebenfalls der Erfolg versagt. Das Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Erörterung bedarf nur die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags (§ 24 Abs. 1 StGB).
Das Landgericht hat zwar im Ergebnis zu Recht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des Totschlags abgelehnt. Nicht frei von rechtlichen Bedenken ist jedoch die Annahme, es liege ein beendeter Versuch vor. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzung eines strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont , vgl. nur BGHSt 39, 221, 227). Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter die lebensgefährliche Wirkung und Möglichkeit des Erfolgseintritts kennt (BGHSt 39, 221, 231 m.w.N.). Diese Kenntnis versteht sich jedoch nicht von selbst, wenn das Opfer nach der letzten Ausführungshandlung noch in der Lage ist, sich ohne erkennbare Beeinträchtigung vom Tatort wegzubewegen. Angesichts dessen, daß Frank B. nach dem Messerstich - gefolgt vom Angeklagten - noch die Treppen hinunterlief, im Eingangsbereich stehenblieb und umstehende Personen auf den flüchtenden Angeklagten aufmerksam machte, liegt hier (aus der allein maßgeblichen Sicht des Angeklagten) jedenfalls nach den Grundsätzen der Rechtsprechung über den korrigierten Rücktrittshorizont (BGHSt 36, 224) die Annahme eines beendeten Versuchs eher fern. Aufgrund welcher Umstände der Angeklagte nach dem Stich trotz des Verhaltens Frank B. s davon ausging, das Tatopfer bereits lebensgefährlich verletzt zu haben, der Versuch also aus Sicht des Angeklagten beendet gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe nicht.
Diesen ist jedoch zu entnehmen, daß ein strafbefreiender Rücktritt auch im Falle des Vorliegens eines unbeendeten Versuchs nicht in Betracht käme, da der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von einer weiteren Tatausführung Abstand nahm (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 7). Das Landgericht ist mit nachvollziehbarer Begründung zu dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte nach seiner Vorstellung ein weiteres Eindringen auf das Tatopfer für aussichtslos hielt, weil er bei einer erneuten Annäherung mit der Gegenwehr des Geschädigten und mit dem sofortigen Einschreiten umstehender Diskothekenbesucher rechnete. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 220/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 5. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger zwei wuchtige Stiche mit einem Küchenmesser in den oberen Rückenbereich und den rechten Oberarm und brachte ihm eine weitere oberflächliche Stichverletzung am Unterbauch bei. Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte, als er nach dem letzten Stich von dem stark blutenden Nebenkläger abließ, davon ausging, alles Erforderliche getan zu haben, um den von ihm beabsichtigten Tötungserfolg herbeizuführen.
4
Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
5
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt nämlich ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (vgl. BGHSt 36, 224; BGH NStZ-RR 2002, 73). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (vgl. BGH NStZ 2005, 331).
6
Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Dem zwar stark blutenden , aber nicht akut lebensgefährlich verletzten Tatopfer war es nämlich nach dem letzten Stich gelungen, sich ohne fremde Hilfe auf den Beifahrersitz des am Tatort abgestellten Pkws der Zeugin G. zu setzen und dort - ohne das Bewusstsein zu verlieren - das Eintreffen der Rettungskräfte abzuwarten. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge dieses von ihm beobachteten Verhaltens des Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben.
7
Zwar liegen nach den getroffenen Feststellungen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Versuch, den Nebenkläger zu töten, nach der Vorstellung des Angeklagten infolge des Einschreitens der Zeugin G. fehlgeschlagen sein könnte, mithin auch ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 39, 221, 228, 232; 41, 368, 369; BGH NStZ 2005, 263).
8
Mit dieser Frage hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt. Die bisherigen Feststellungen, insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem Einschreiten der Zeugin, lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs nicht zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Zeugin zwar zunächst schreiend auf den Angeklagten zurannte , sich dann aber - was der Angeklagte erkannte - wieder vom Tatort entfernte. Dass sich der Angeklagte, der weiterhin Zugriff auf die Tatwaffe und zwei weitere Messer hatte, durch das Verhalten der Zeugin an einer Tatvollendung gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
9
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass der Angeklagte ein versuchtes Tötungsdelikt begangen hat, wird er sich nochmals näher mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Tatmotivation des Angeklagten tatsächlich in objektiver und subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen der sonstigen niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB erfüllt.
10
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Miebach Becker von Lienen Sost-Scheible
5 StR 528/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt Bi.
als Verteidiger für den Angeklagten L. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben 1. hinsichtlich des Angeklagten L. ,
a) soweit er im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, 2. hinsichtlich des Angeklagten B. ,
a) soweit er im Fall 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (1 und 4), davon in einem Fall (1) in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wegen Erpressung in Tateinheit mit Nötigung (Fall 3) zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen den Angeklagten L. hat es unter Freispruch im Übrigen (Fall 3) wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es gegen diesen Angeklagten eine Fahrerlaubnissperre von einem Jahr und drei Monaten angeordnet. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten B. auf die Schuldsprüche in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe, hinsichtlich des Angeklagten L. auf den Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe und auf den Freispruch beschränkte Revisionen eingelegt, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten werden.

I.


2
Das Landgericht hat zu den von den Revisionen betroffenen Fällen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Angeklagter L. ):
4
a) Der Angeklagte L. und die wegen der Tat bereits rechtskräftig Verurteilten S. und Le. kannten sich über ihre Verbindung zu einem Unterstützerclub der Rockergruppierung Bandidos. S. wusste, dass der Zeuge T. wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft gewesen war und noch unter Bewährung stand. Er vermutete,dass bei T. „Geld zu holen sei“.
5
Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend gaben sich die drei Genannten am 17. Juni 2010 gegenüber T. als Polizeibeamte aus und durchsuchten unter Vorzeigen eines Ausweispapiers dessen vor der Wohnung abgestelltes Kraftfahrzeug. T. duldete dies, weil er glaubte, mit Angehörigen der Zivilpolizei konfrontiert zu sein.
6
Auf entsprechende Aufforderung ging T. mit den drei Tätern in seine Wohnung. Dort sagte S. , er und seine „Kollegen“ wollten „etwas vom Kuchen abhaben“. Unter Hinweis auf illegale Drogengeschäfte des T. verlangten die Täter 20.000 €. Andernfalls würden sie eine Wohnungsdurchsu- chung bei ihm veranlassen, bei der gewiss Drogen gefunden würden, mit der Folge seiner erneuten Inhaftierung. Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, stand währenddessen im Türrahmen und versperrte den Weg zum Flur. Aus Angst vor einer Inhaftierung zeigte sichT. bereit, das Geld aus der Wohnung seiner Mutter zu holen. Im Pkw des T. fuhren die vier zur Wohnung der Mutter, wobei S. das Fahrzeug steuerte und T. auf dem Rücksitz neben Le. platziert wurde. Vor dem Wohnhaus der Mutter angekommen bekräftigten die Täter, dass sie für die Verhaftung des T. sorgen würden, wenn dieser sich nicht an die Abmachung halte oder Hilfe hole. T. musste sein Mobiltelefon im Pkw zurücklassen und wurde aufgefordert, spätestens in fünf Minuten mit dem Geld wieder beim Pkw zu sein.
7
T. holte zumindest 20.000 € aus der Wohnung, die wenigstens teilweise aus Betäubungsmittelgeschäften herrührten, und ging zurück zum Fahrzeug. Die Polizei zu rufen, hielt er für sinnlos. Am Fahrzeug wurde er von Le. auf Waffen abgetastet. Dann fuhren alle zurück zur Wohnung des T. . Unterwegs übergab T. das in einer Tüte verpackte Geld an Le. . Der Angeklagte L. und Le. erhielten aus der Beute je 5.000 €, S. 10.000 €.
8
b) Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung verurteilt. Dass die Tat unter Anwendung von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen T. begangen worden ist, hat es als nicht erwiesen erachtet.
9
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Angeklagte L. und B. ):
10
a) S. erzählte dem mit ihm im Rahmen derselben Rockergruppierung gut befreundeten Angeklagten B. , dass er einem Dro- gendealer 20.000 € abgenommen habe und dass bei diesem sicherlich noch mehr zu erlangen sei. B. erklärte sich zu einer Mitwirkung an einer weiteren Tat bereit. Bereits einen Tag später, am 18. Juni 2010, fuhren B. und S. am späten Nachmittag zur Wohnung der Mutter des Zeugen T. , der knapp 68-jährigen M. T. . Ein Unbekannter begleitete sie, unterwegs trafen sie auf einen weiteren Unbekannten; ob die beiden Unbekannten an der Tat beteiligt waren, hat das Landgericht nicht feststellen können. Mit S. oder einem der beiden unbekannten Begleiter verschaffte sich B. unter dem Vorwand, ein Paket liefern zu wollen, Zutritt zum Wohnhaus. Als M. T. an der Wohnungstür sah, dass die eintreffenden Männer gar kein Paket trugen, und sie die Tür schließen wollte, ergriff sie einer der Mittäter, drängte sie in die Wohnung und hielt ihr, um sie am Schreien zu hindern, mit dem Unterarm den Mund zu.
11
In der Wohnung gaben sich B. sowie sein Mittäter gegenüber Frau T. , die sich zur Beruhigung hinsetzen durfte und der sie ein Glas Wasser reichten, als Polizeibeamte aus und forderten von ihr Geld, andernfalls sie dafür sorgen würden, dass ihr Sohn noch am Abend in Untersuchungshaft komme. Allein um dies zu verhindern, übergab Frau T. mehrere tausend Euro an die Täter.
12
b) Vom Vorwurf, die Tat mit dem Angeklagten B. begangen zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten L. aus tatsächlichen Grün- den freigesprochen. Trotz dessen Beteiligung an der Vortat sowie der dadurch vermittelten Kenntnisse und obwohl dessen Mobiltelefon im Tatzeitraum in Tatortnähe eingeloggt und er unmittelbar vor und nach der Tat mit dem Angeklagten B. sowie S. mehrfach telefoniert habe, sei seine Beteiligung nicht nachweisbar. § 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB sei mangels Verwirklichung des Verbrechenstatbestands der räuberischen Erpressung (§§ 255, 249 StGB) nicht erfüllt.
13
3. Fall 4 der Urteilsgründe (Angeklagter B. ):
14
a) Der Zeuge T. erkannte, dass er getäuscht worden war, und wollte das Geld von S. wiedererlangen. Er verabredete mit diesem für den 15. Juli 2010 ein Treffen. S. informierte den Angeklagten B. , der versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Angeklagte B. versicherte sich der Mitwirkung einer Reihe von Personen aus dem Umfeld der Bandidos.
15
Am Abend des 15. Juli 2010 erschien T. mit drei Freunden, unter anderem dem Geschädigten Sch. , am Treffpunkt. Er erblickte Le. und rief seinen Begleitern zu: „Das ist er!” Schnell ging er auf Le. zu. Sch. hielt sich einige Meter hinter ihm. Nun zeigten sich die Kontrahenten in einer rockertypischen Kleidung und näherten sich T. und seinen Begleitern. Beeindruckt von der sich ihnen darbietenden Übermacht traten diese die Flucht an.
16
Unterdessen war der Angeklagte B. von hinten auf den flüchtenden Sch. zugelaufen. Er versetzte ihm mit einem Messer mit einer Klingenbreite von 2,5 cm zwei wuchtige Stiche in den Oberkörper. Sie trafen ihn in die linke Brustkorbseite unmittelbar unter dem Herzen. Der Angeklagte B. erkannte die Möglichkeit einer tödlichen Verletzung und nahm dies hin.
17
Sch. hielt die Stiche zunächst nur für heftige Schläge. Er konnte mit der linken Hand einen dritten Messerstich des Angeklagten B. abwehren, indem er in das Messer griff und zugleich mit der rechten Faust zwei bis drei Schläge gegen den Kopf seines Kontrahenten setzte, von denen jedenfalls einer traf. Als er erneut zuschlagen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel rückwärts zu Boden, wo er einen Moment sitzen blieb. Unter Verzicht auf einen weiteren Messerangriff drehte sich der Angeklagte B. um und lief, eine Hand vor sein Gesicht haltend, zu seinem Kraftfahrzeug. Als er sich im Laufen umdrehte, sah er, dass Sch. wieder aufgestanden war und ebenfalls weglief.
18
Sch. erlitt lebensgefährliche Verletzungen, die ohne ärztliche Versorgung zum Tod geführt hätten.
19
b) Die Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte B. sei vom unbeendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten. Er habe gesehen, dass Sch. trotz der Messerstiche zu heftiger Gegenwehr in der Lage gewesen sei und nach dem Sturz ohne fremde Hilfe wieder habe aufstehen und fliehen können. Aus autonomen Gründen habe er nicht weiter auf Sch. eingestochen. Wegen der Einnahme anaboler Steroide, verstärkt durch erhebliche gruppendynamische Einflüsse habe er sich bei der Tat in einem derart distanzgeminderten, impulshaften und aggressiven Zustand befunden, dass eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.

II.


20
Die beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der Verurteilungen in den Fällen 2 und 4 Erfolg. Insoweit kamen Schuldspruchänderungen zum Nachteil der Angeklagten von vornherein schon deshalb nicht in Betracht, weil die Angeklagten naheliegend durch die sie rechtsfehlerhaft begünstigende Beurteilung des Landgerichts von eigenen Revisio- nen abgehalten worden sind. Zum Fall 3 bleiben die Revisionen – dem Antrag des Generalbundesanwalts gemäß – ohne Erfolg.
21
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Erpressung des Zeugen T. – Angeklagter L. ):
22
Soweit die Jugendkammer den Angeklagten L. im Fall 2 der Urteilsgründe nur wegen Erpressung nach § 253 StGB verurteilt, eine räuberische Erpressung nach § 255 i.V.m. § 249 StGB mithin verneint hat, ist das Urteil, was den vorgeblich durch „Gewaltlosigkeit“ gekennzeichneten Tatplan anbelangt, lückenhaft. Die Jugendkammer stellt fest, dass während des gesamten Geschehens in der Wohnung des Zeugen T. „Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, im Türrahmen stand und den Weg zum Flur versperrte“ und dass T. aufdem Weg zur Wohnung seiner Mutter im Fahrzeug „neben Le. platziert“ wurde (UA S. 10). Die sich aufdrängende Wertung, dass die Täter hierdurch zur Begleitung ihrer Drohung mit Veranlassung erneuter Festnahme des Geschädigten T. diesem bewusst deutlich zum Ausdruck bringen wollten, einer etwaigen Flucht werde gewaltsam entgegengetreten, hat die Jugendkammer nicht erkennbar erwogen, obgleich sie selbst das Geschehen treffend dahin bewer- tet, das Tatopfer habe „sich in einer Art und Weise, die der Bemächtigungs- lage in § 239a StGB nahe kommt, in der Gewalt des Angeklagten L. und seiner Mittäter“ befunden (UA S. 36).
23
Das Geschehen bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neue Tatgericht auch über die Richtigkeit der Aussage des Zeugen T. , der Angeklagte L. habe ihm vor dem Hinaufgehen in die Wohnung seiner Mutter damit gedroht, ihn „abzuknallen“, falls er versu- che, mit dem Geld zu fliehen, neu zu befinden haben. Die im angefochtenen Urteil insoweit angenommenen Zweifel stehen in einem Spannungsverhältnis zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit sonstiger Angaben dieses Zeugen, insbesondere im Zusammenhang mit Fall 4. Die Aufhebung der Schuldsprüche erfasst bei der angenommenen Tateinheit auch den an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter Amtsanmaßung.
24
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Verurteilung des Angeklagten B. und Freispruch des Angeklagten L. ):
25
Sowohl der Schuldspruch gegen den Angeklagten B. als auch der Freispruch des Angeklagten L. halten sachlichrechtlicher Prüfung letztlich stand.
26
Obgleich der Beginn der Tatausführung unter Einsatz von Gewalt erfolgte , stand diese nicht in dem erforderlichen spezifischen Zusammenhang zur anschließenden Erzwingung der Vermögensverfügung, der im Wege gewaltfreier Drohung durchgesetzten Geldforderung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 1 StR 343/96, BGHR StGB § 255 Kausalität 1). Dabei nimmt der Senat die auf die Bekundung der Zeugin M. T. gestützte Feststellung des Landgerichts hin, sie habe die Forderung der Täter nur aufgrund der Drohung mit der Inhaftierung ihres Sohnes erfüllt (UA S. 18 f.) und nicht etwa auch wegen der schlüssigen Androhung weiterer Gewalt, wie sie schon zu Beginn des Geschehens angewendet worden war, wenngleich eine abweichende Beurteilung nahe gelegen hätte.
27
Mit dem Generalbundesanwalt nimmt der Senat schließlich auch die Beweiswürdigung zur nicht erwiesenen Tatbeteiligung des Angeklagten hin, wenngleich diese angesichts erheblicher Belastungsindizien – L. s Mittäterschaft am Vortag an gleicher Stelle, seine Anwesenheit in Tatortnähe und seine, vom Landgericht nur entlastend bewerteten, mehrfachen Telefonate mit B. und S. zur Tatzeit – nicht eben lebensnah erscheint.
28
3. Fall 4 (Angeklagter B. ):
29
Soweit das Landgericht den Angeklagten B. im Fall 4 der Urteilsgründe wegen Rücktritts vom (unbeendeten) Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) eines Tötungsdelikts nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
30
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung des Landgerichts, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25), in den Feststellungen keine Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Geschädigten zwei wuchtige Stiche in die linke Brustkorbseite versetzt, die unmittelbar unterhalb des Herzens trafen und lebensgefährliche Verletzungen hervorriefen. Infolgedessen hat sich die Jugendkammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Als der Angeklagte nach Gegenwehr des Geschädigten weglief, war dieser zu Boden gefallen. Unter solchen Vorzeichen liegt der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der Stiche versterben. Die verlesene schriftliche Erklärung des Angeklagten , in der er sich vorrangig auf eine Notwehrsituation berief und zu der er ausweislich der Urteilsgründe keine Nachfragen beantwortete, bietet hierfür schon deswegen keine hinreichende Grundlage, weil sie von der Jugendkammer – insoweit ohne Rechtsfehler – als weitgehend unglaubhaft gewertet wurde.
31
b) Sofern – entsprechend den insoweit zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil – der äußere Geschehensablauf und der Tötungsvorsatz des Angeklagten B. abermals in gleicher Weise festgestellt werden sollten, werden zum „Rücktrittshorizont“ des Angeklagten neue Fest- stellungen zu treffen sein. Für den Fall, dass das Tatgericht auch mit Blick auf den Sturz des Opfers annehmen sollte, dem Angeklagten sei bei Beginn seines Weglaufens der Eintritt des Todeserfolgs wenigstens gleichgültig gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304), wird zu prüfen sein, ob für den späteren Zeitpunkt des – nach den Urteilsgründen durch den Angeklagten wahrgenommenen – Aufstehens und Weglaufens des Opfers eine sogenannte „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ in Betracht kommt; der Versuch eines Tötungsdelikts ist bei einer solchen Konstellation nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber in engstem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang nach Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3StR 337/11, NStZ-RR 2012, 106 mwN). Gegebenenfalls wird indessen weiter zu bedenken sein, dass sich der Angeklagte und der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt bereits voneinander entfernt hatten, weswegen es zumindest am erforderlichen – „engsten“ – räumlichen Zusammenhang fehlen könnte und aus der Sicht des Angeklagten zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf in Gang zu setzen gewesen wäre. Darüber hinaus werden unter Umständen ergänzende äußere Feststellungen zu der Frage zu treffen sein, ob dem Angeklagten überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung des Totschlags zur Verfügung gestanden haben , andernfalls auch ein fehlgeschlagener Versuch zu erörtern wäre.
32
4. Die Aufhebung je eines Schuldspruchs zieht bei dem Angeklagten L. die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs – nicht der auf die nicht angefochtenen weiteren Schuldsprüche gestützten Maßregel – nach sich, bei dem Angeklagten B. die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Zu Letzterem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:
33
Die neu verhandelnde Jugendkammer wird die in der Revision der Staatsanwaltschaft und in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts geäußerten Bedenken gegen die Zubilligung der Voraussetzungen des § 21 StGB zugunsten des Angeklagten B. im Fall 4 zu beachten haben. Davon abgesehen wäre selbst bei Annahme relevanter Schuldminderung deren Bedeutung für die Strafbemessung von allenfalls untergeordnetem Gewicht. Denn die Erhöhung der Aggressivität durch Konsum anaboler Steroide ist ein von dem – hierin seit 2006 erfahrenen – Angeklagten selbst geschaffener Dauerzustand, der in besonderem Maße geeignet ist, in überaus aggressionsträchtigen Situationen wie der hier gegebenen das Risiko einer Verletzung erheblicher Rechtsgüter Dritter zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 100).
Basdorf Raum Schaal Schneider König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR82/14
vom
7. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. Mai 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 3. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist (Fall B.VII der Urteilsgründe ),
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe,
c) im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, wegen Diebstahls in drei Fällen, wegen Bedrohung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen versuchter gefährlicher Kör- perverletzung und wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung unter Freispruch im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Februar 2014 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Fall B.VII der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte auf D. S. , das Tatopfer, wütend, weil dieser sich seiner Ansicht nach bei den vorausgegangenen Verhandlungen über den Verkauf einer Briefmarkensammlung gegenüber dem Kaufinteressenten ungeschickt verhalten hatte. In der Wohnung des Geschädigten beschimpfte der Angeklagte diesen zunächst in Anwesenheit eines Mitbewohners. Danach nahm der Angeklagte ein auf einem Tisch neben einem kleineren und leichteren Brotzeitmesser liegendes silbernes Ganzmetallmesser und schleuderte es in Richtung des in der gegenüberliegenden Ecke des Zimmers stehenden Geschädigten. Dabei wusste er, dass dieser verletzt werden würde, wenn das Messer ihn träfe; ihm war bewusst, dass das Messer seiner Art und Beschaffenheit nach dazu in der Lage war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Dem Geschädigten gelang es, sich rechtzeitig zur Seite zu drehen, so dass das Messer auf Höhe seines Oberkörpers an ihm vorbeiflog und unmittelbar neben ihm gegen die Wand schlug, von der es abprallte und herunterfiel. Der Geschädigte trat das Messer mit seinem Fuß so unter das Bett seines Mitbewohners, dass der Angeklagte es nur hätte wieder holen können, indem er hinuntergekrochen wäre und nach dem Messer gesucht hätte.
4
b) Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB verneint, da der Versuch fehlgeschlagen sei. Dem Angeklagten sei es nach dem Messerwurf nicht ohne Weiteres möglich gewesen , sich wieder in den Besitz des silberfarbenen Messers zu bringen, da dieses so unter dem Bett gelegen habe, dass er sich hätte bücken und hinunterkriechen müssen. In diesem Fall wäre es dem Geschädigten ein Leichtes gewesen , das unverschlossene Zimmer zu verlassen. Zwar habe mit dem Brotzeitmesser noch ein weiteres mögliches Tatmittel zur Verfügung gestanden, dieses sei allerdings leichter und kleiner gewesen und damit auch weniger geeignet , erhebliche Verletzungen bei dem Geschädigten hervorzurufen. Außerdem hätte der Angeklagte erst einige Schritte zu dem Messer hingehen müssen , was dem Geschädigten ebenfalls die Möglichkeit eröffnet hätte, sich in Sicherheit zu bringen.
5
2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts wegen Fehlschlags des Versuchs nicht. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift vom 25. Februar 2014 zutreffend u.a. ausgeführt: „Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zu- nächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Ab- schluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr. vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). […] Lässt sich den Urteilsfeststellun- gen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12).
Das Urteil enthält keine Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem fehlgegangenen Wurf mit dem silbernen Messer, sondern beschränkt sich auf die objektive Feststellung, das noch vorhandene Brotzeitmesser sei leichter und kleiner und damit weniger geeignet, erhebliche Verletzungen beim Geschädigten hervorzurufen; zudem hätte der Angeklagte erst einige Schritte zu dem Messer hingehen müssen (UA S. 40). Diese objektiven Feststellungen lassen keinen sicheren Rückschluss darauf zu, ob der Angeklagte es nach seiner Vorstellung als unmöglich ansah, seinen Angriff mit dem Brotzeitmesser erfolgversprechend fortzusetzen. Insbesondere belegen sie schon keine objektive Unmöglichkeit der weiteren Tatbestandsverwirklichung. Allein die Tatsache, dass der Geschädigte einige Schritte zum Tisch hin hätte machen müssen, um das Messer zu ergreifen, begründet keine Zäsur in dem oben beschriebenen Sinne, zumal auch das zunächst verwandte Messer auf demselben Tisch lag (UA S. 17). Auch die Begründung, das Brotzeitmesser sei als weiteres Tatmittel nicht geeignet, erscheint nicht schlüssig, denn auch ein leichteres und kleineres Messer ist geeignet, den tatbestandlichen Erfolg des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB herbeizuführen. Dass die Folgen dabei unter Umständen nicht so gravierend sind, wie bei einem Angriff mit dem zunächst verwandten schwereren Messer, hindert eine weitere Tatbestandsverwirklichung mit der Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts nicht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Zeuge H. , dessen Aussage die Kammer maßgeblich folgte, angab, der Angeklagte habe ‚zu einem späteren Zeitpunkt‘ auch noch das Brotzeitmesser nach dem Geschädigten geworfen (UA S. 30). Diesem zweiten Wurf blieb jedoch nicht deswegen der Erfolg versagt, weil das Messer kein taugliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB gewesen wäre, sondern weil der Angeklagte den Geschädigten weit verfehlt hatte.“
6
Dem tritt der Senat bei.

II.


7
Die Aufhebung der Einsatzstrafe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Auch die Maßregel kann nicht bestehen bleiben, da das Landgericht sie maßgeblich auf die Tat zum Nachteil des Geschädigten S. als Anlasstat gestützt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR105/14
vom
7. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Bielefeld vom 8. November 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Am Tattag, dem 2. März 2013, suchte der Angeklagte, der nicht damit einverstanden war, dass sich seine Ehefrau von ihm getrennt und ein eigenes Appartement im Schwesternheim eines Krankenhauses bezogen hatte, diese gegen 17.00 Uhr in ihrer neuen Wohnung auf. Unmittelbar nachdem sie ihn eingelassen hatte, schlug er ihr mehrfach rechts und links seitlich fest an den Kopf und zog sie von hinten an den Haaren, wodurch sie zu Fall kam. Er kniete sich sodann auf die Brust der auf dem Rücken liegenden Geschädigten und würgte sie mit beiden Händen unter erheblichem Kraftaufwand mindestens 20 Sekunden lang mit bedingtem Tötungsvorsatz am Hals. Nachdem sie vergeblich versucht hatte, seine Hände zu lösen, wurde sie bewusstlos. Als sie nach einer nicht mehr feststellbaren Zeitspanne das Bewusstsein wieder erlangte , saß der Angeklagte auf einem Sofa im Wohnzimmer, sprach vor sich hin und äußerte sinngemäß Folgendes: „Ich habe sie nicht töten können. Teufel, Du stirbst nicht.“ Als er bemerkte, dass die Geschädigte noch lebte, warf er ihr eine Grapefruit an den Kopf, die er in der Hand gehalten hatte. Die Geschädigte weinte und hatte Luftnot, kroch in Richtung der Wohnungstür und gelangte schließlich auf den Flur. Gegenüber der als Krankenschwester tätigen Zeugin K. , die herbeigeeilt war, um der Geschädigten zu helfen, äußerte sich der Angeklagte sinngemäß u.a. dahin, er habe sie (die Geschädigte) gewürgt; sie sei aber nicht gestorben, sie sei eine Teufelin.
4
Das Landgericht hat angenommen, der Versuch des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, weshalb ein strafbefreiender Rücktritt im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB nicht in Betracht komme. Schon den Äußerungen des Angeklagten im Wohnzimmer sei zu entnehmen, dass er sein Vorhaben als gescheitert betrachtet habe; er habe den Taterfolg aus seiner Sicht mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreichen können. Zudem habe sich seine subjektiv angenommene physische Unmög- lichkeit zur Tatvollendung in seiner Äußerung gegenüber der Zeugin K. manifestiert.

II.


5
Die Annahme des Landgerichts, der Versuch des Angeklagten, seine Ehefrau zu töten, sei fehlgeschlagen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
1. Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend davon ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegt, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt oder hat er eine entsprechende subjektive Vorstellung dahin, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs , liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399).
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2. Indem sie für die Beurteilung des insoweit maßgeblichen Vorstellungsbildes des Angeklagten (sog. Rücktrittshorizont) nur dessen Äußerungen im Wohnzimmer und gegenüber der Zeugin K. herangezogen hat, hat die Strafkammer insoweit aber auf einen rechtlich unzutreffenden Zeitpunkt abgestellt. Diese Äußerungen fielen erst, als die Geschädigte, die vom Angeklagten über einen Zeitraum von zwanzig Sekunden bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden war, nach einer nicht mehr genau feststellbaren weiteren Zeitspanne das Bewusstsein wieder erlangte und der Angeklagte sich mittlerweile im Wohnzimmer auf ein Sofa gesetzt und eine Zigarette angezündet hatte; das Zusammentreffen mit der Zeugin K. erfolgte zu einem noch späteren Zeitpunkt. Was sich der Angeklagte, der körperlich in der Lage war, die Geschädigte zwanzig Sekunden lang mit erheblichem Kraftaufwand bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit zu würgen, unmittelbar nach Beendigung des Würgens der Geschädigten vorstellte, insbesondere, ob ihm danach ein Weiterhandeln aus tatsächlichen (physischen) Gründen unmöglich war, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Annahme, der Tötungsversuch sei fehlgeschlagen, und ein strafbefreiender Rücktritt ausgeschlossen, erweist sich danach als nicht hinreichend tatsachenfundiert.
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2. Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils; gerade vor dem Hintergrund der festgestellten, zeitlich nachfolgenden Äußerungen des Angeklagten liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser durch bloßes Nichtweiterhandeln strafbefreiend vom unbeendeten Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 StGB zurückgetreten sein könnte.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Versuch eines Tötungsdeliktes insbesondere dann nicht beendet im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 StGB, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums, also im Wege einer Korrektur seines Rücktrittshorizonts, von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, Tz. 7 mwN). Danach ist es hier nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Angeklagte , als die Geschädigte nach dem zwanzig Sekunden dauernden Würgevorgang in Bewusstlosigkeit verfiel, zunächst davon ausging, zur Tatbestandsverwirklichung alles Erforderliche getan zu haben. In dem nach Ende der Bewusstlosigkeit der Geschädigten festgestellten Ausspruch des Angeklagten und dem Wurf der Grapefruit an ihren Kopf, nachdem er bemerkt hatte, dass sie noch lebte, kann danach zum Ausdruck gekommen sein, dass er sich nun in der Vorstellung erschüttert sah, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben, gleichwohl nichts weiter zur Tatvollendung unternahm.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 7 3 5 / 1 3
vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. September 2013 mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Geschehen und zum Tötungsund Heimtückevorsatz (§ 349 Abs. 4 StPO). 2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Beanstandung der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen erfuhr der Angeklagte am 13. Oktober 2012 von seiner Freundin, dass der gemeinsame Bekannte Z. sie missbraucht habe. Um sich an Z. zu rächen, lauerte er diesem einen Tag später auf, nachdem er dessen Fußweg in Erfahrung gebracht hatte. Der Angeklagte ging auf den Geschädigten Z. zu; als er vor ihm stand, setzte er unvermittelt, bewusst den Überraschungsmoment zur Ausschaltung von Gegenwehr ausnutzend, zu einem von oben geführten Stich auf den Kopf mit einem Schraubenzieher an. Der Geschädigte wurde oberflächlich an der Stirn getroffen und beugte sich nach vorn. Der Angeklagte holte erneut mit dem Schraubenzieher aus und stach dem gebückt stehenden Geschädigten in den Rücken. Der Stich drang vier bis fünf Zentimeter zwischen die Schulterblätter ein. Nachdem der Geschädigte zu Boden gegangen war, trat der Angeklagte noch mehrmals mit Füßen auf ihn ein. Der Geschädigte konnte schließlich aufstehen und fliehen. Der Angeklagte rief ihm nach, dass er ihn schon noch kriegen und umbringen werde. Der Geschädigte ging nach Hause, unterwegs trank er noch ein Bier. Durch die Verletzungen bildete sich bei ihm ein Pneumothorax , aufgrund dessen abstrakte Lebensgefahr bestand.
3
2. Das Landgericht ist von einer heimtückischen Begehungsweise ausgegangen und hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Mordes mit der Begründung verneint, dass der Versuch fehlgeschlagen sei. Der Angeklagte habe erkannt, dass sein Tatplan gescheitert sei, als sich sein Opfer selbst befreit habe und geflohen sei. Dies gelte „insbesondere als der Geschä- digte Richtung der ca. 50 Meter vom Tatort entfernten PI 23 geflüchtet“ sei.

II.


4
1. Während die Verfahrensrügen aus dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgeführten Gründen versagen, hat die Sachrüge teilweise Erfolg. Zwar hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei vom Handeln des Angeklagten mit Tötungsvorsatz überzeugt, auch die Annahme einer heimtückischen Begehungsweise ist nicht zu beanstanden. Jedoch erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht zur Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs gelangt ist und daran anknüpfend einen strafbefreienden Rücktritt vom Mordversuch verneint hat, als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn sie finden in den Feststellungen keine Grundlage.
5
a) Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), so dass ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ausscheidet.
6
Mithin kommt es auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prü- fung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 - 3 StR 411/12; BGH, Beschluss vom 29. September 2011 - 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 4 StR 8/03; BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273).
7
b) Diesen Anforderungen werden die Darlegungen in den Urteilsgründen nicht gerecht.
8
Denn das Landgericht hat aus den getroffenen Feststellungen keine Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung gezogen. Hierzu ist lediglich festgestellt, dass der Geschädigte, welcher soeben noch mit Fußtritten vom Angeklagten traktiert wurde, aufstehen und fliehen konnte. Welche Vorstellungen der Angeklagte in diesem Moment des Entkommenlassens hatte, bleibt unerörtert. Aufgrund der hier festgestellten Tatumstände - der noch im Besitz des Tatwerkzeugs befindliche Angeklagte trat mit Füßen auf den am Boden liegenden Geschädigten ein, hielt den sich Befreienden aber weder fest noch setzte er ihm nach - versteht es sich auch nicht von selbst, dass sich die Befreiung und die Flucht des Geschädigten für den Angeklagten als unbezwingbar darstellten und er davon ausging, dass sein Plan in der konkreten Situation gescheitert war, zumal da auch zu den Kräfteverhältnissen zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten nichts weiter festgestellt ist.
9
Dass der Angeklagte nach der erfolgreichen Flucht des Geschädigten in Richtung einer vom Tatort nur wenig entfernten Polizeidienststelle vom Scheitern seines Tatplans ausgegangen sein soll, ersetzt diese, einen zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt betreffende Feststellung nicht. Denn anders als in der vom Landgericht für seine Rechtsauffassung zitierten Entscheidung (BGH, Urteil vom 14. Juli 1992 - 1 StR 243/92, NStZ 1993, 39 f.) war das Opfer nicht unbemerkt vom Angeklagten geflohen. Es hätte daher hier anhand von Rückschlüssen aus den festgestellten Tatumständen einer Auseinandersetzung mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten bei der Situation des Entkommens seines Opfers bedurft.
10
c) Auf der Grundlage der Feststellungen ist auch ein beendeter Versuch nicht belegt. Der Geschädigte hatte keine sichtbaren Beeinträchtigungen, als er die Flucht ergriff. Vielmehr ist festgestellt, dass auch die Frau des Geschädigten die Verletzung am Rücken zunächst nicht bemerkte. Dass der Angeklagte davon ausgegangen wäre, den Geschädigten bereits tödlich getroffen zu haben , ist nicht naheliegend und wäre auch mit seiner nachgerufenen Drohung nicht ohne weiteres zu vereinbaren.
11
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Von der Aufhebung erfasst wird auch die für sich genommen nicht zu beanstandende tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Feststellungen zum objektiven Geschehen und zum Tötungs- und Heimtückevorsatz werden jedoch von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen, etwa zur Kampfsituation bei Entkommen des Geschädigten treffen, solange sie den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
Raum Wahl Graf
Cirener Radtke

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.