Bundesgerichtshof Urteil, 15. Feb. 2018 - 4 StR 361/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:150218U4STR361.17.0
bei uns veröffentlicht am15.02.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 361/17
vom
15. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen
ECLI:DE:BGH:2018:150218U4STR361.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Quentin, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwältin – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. März 2017 – auch soweit das Rechtsmittel zu Gunsten des Angeklagten wirkt – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen zu einer Freiheitstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Es hat ferner Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB getroffen. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin hat es abgesehen.
2
Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügt die Nebenklägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes und wendet sich insbesondere gegen die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht. Ihr Rechtsmittel hat Erfolg, führt aber auch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, soweit es gemäß § 301 StPO zu Gunsten des Angeklagten wirkt.

A.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.


4
1. Während einer Familienfeier wurde der Angeklagte von der Nebenklägerin , der damaligen Freundin seines Bruders, in den frühen Morgenstunden des 19. Juli 2015 gebeten, mit ihr eine Fahrt mit seinem, des Angeklagten, Motorrad zu unternehmen. Der Angeklagte, der zwischen 17.30 und 00.30 Uhr vier bis fünf Flaschen Bier getrunken hatte und zudem sehr müde war, weigerte sich zunächst unter Hinweis auf seine Alkoholisierung, der Bitte der Nebenklägerin nachzukommen. Schließlich gelang es ihr, den Angeklagten doch noch zu überreden. Beide brachen daraufhin zu einer Fahrt in die nähere Umgebung auf, die Nebenklägerin saß auf dem Soziussitz. Motorradhelme und Schutzkleidung trugen beide nicht. Etwa um 03.15 Uhr kippte das Motorrad aus ungeklärter Ursache in Höhe des Friedhofs in M. auf die Straße. Durch den Sturz erlitt die Nebenklägerin lebensbedrohliche Kopfverletzungen und der Angeklagte u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades; er verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, kroch er zu der reglos auf dem Bauch liegenden Nebenklägerin. Er sah ihre stark blutende Kopfwunde und nahm – zutreffend – an, sie habe das Bewusstsein verloren. Er dachte daran, sie in die stabile Seitenlage zu bringen, nahm davon jedoch Abstand, weil er nicht wusste, wie er dies hätte bewerkstelligen müssen. Stattdessen versuchte er, das Smartphone der Nebenklägerin zu betätigen und legte es, nachdem ihm auch dies nicht gelungen war, neben dem Tatopfer auf dem Boden ab. Sodann hob er sein Motorrad auf, brachte es in Gang und fuhr nach Hause. Gegen 04.45 Uhr wurde die Nebenklägerin von anderen Verkehrsteilnehmern in nicht ansprechbarem und unterkühltem Zustand am Unfallort gefunden.
5
Die Nebenklägerin ist infolge der erlittenen Hirnblutung u.a. linksseitig gelähmt. Eine vollständige Wiederherstellung ihrer Gesundheit ist ausgeschlossen. An das Unfallgeschehen erinnert sie sich nicht.
6
2. Beim Verlassen des Unfallortes war dem Angeklagten bewusst, dass die Nebenklägerin auf Grund ihrer schweren Verletzungen dringend auf Hilfe angewiesen war und ohne umgehende medizinische Versorgung sterben könnte. Er wusste ferner, dass es wegen der Tageszeit und der Lage des Unfallortes dem Zufall überlassen blieb, ob der leblos auf dem Fußweg liegenden Nebenklägerin geholfen werden würde. Durch das Wegfahren von der Unfallstelle „wollte der Angeklagte seine Teilnahme an der vorausgegangenen Trunken- heitsfahrt bewusst verschleiern“. Er habe „den Tod der Nebenklägerin deswegen billigend in Kauf genommen, um die Beteiligung an dem Unfall zu verde- cken“.Zu Hause angekommen überlegte er erneut, ob er durch einen Anruf medizinische Hilfe für die Nebenklägerin herbeiholen sollte, entschied sich jedoch dagegen und legte sich ins Bett.
7
Infolge seiner Alkoholisierung – seine Blutalkoholkonzentration um 8.05 Uhr betrug 0,52 Promille – im Zusammenwirken mit dem Schädel-HirnTrauma befand sich der Angeklagte im Tatzeitpunkt bei fortbestehender Unrechtseinsichtsfähigkeit im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit.

II.


8
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe sich wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen (in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort) schuldig gemacht. Als Garant aus vorangegangenem Tun habe er dafür einstehen müssen, dass die Nebenklägerin nicht infolge mangelnder medizinischer Versorgung zu Tode kommen würde. Der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes hat das Landgericht abgelehnt.

B.


9
Das angefochtene Urteil enthält hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts zur subjektiven Tatseite sachlich-rechtliche Mängel, die sich sowohl zum Vorteil als auch – was gemäß § 301 StPO auf die Revision der Nebenklägerin ebenfalls zu prüfen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206 mwN) – zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben können. Es unterliegt auf die zulässige Revision der Nebenklägerin insgesamt der Aufhebung.

I.


10
1. Die Erwägungen des Landgerichts zur Ablehnung eines versuchten Verdeckungsmordes sind in mehrfacher Hinsicht durchgreifend rechtsfehlerhaft:
11
a) Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz einander nicht grundsätzlich ausschließen, sondern auch zusammen bestehen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34; Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360). Dies kann der Fall sein, wenn die maßgebliche Handlung vom Täter vorgenommen oder eine gebotene Handlung von ihm unterlassen wird, um eine vorangegangene Straftat zu verdecken, dieser Erfolg nach seinem Vorstellungsbild aber auch ohne den Eintritt des für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen Todeserfolges bewirkt wird, der bedingt vorsätzlich herbeigeführte Tod des Opfers mithin keine verdeckungsspezifische Funktion aufweist. So ist Verdeckungsab- sicht etwa anzunehmen, wenn der Täter durch Vornahme seiner Verdeckungshandlung vorsätzlich eine Person zu Tode bringt, von der ihm – wie erweiß – überhaupt keine Entdeckung droht (vgl. BGH, Urteile vom 23. November1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360; und vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496; Beschlüsse vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34; vom 30. Juni 2011 – 4 StR 241/11; und vom 23. Juni 2016 – 5 StR 152/16, NStZ-RR 2016, 280; vgl. auch MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 245; SSW-StGB/Momsen, 3. Aufl., § 211 Rn. 80). Geht der Täter dagegen davon aus, dass nur der Tod des Opfers zur Vortatverdeckung führt, können Verdeckungsabsicht und lediglich bedingter Tötungsvorsatz nicht nebeneinander angenommen werden. Hiervon wird in der Regel auszugehen sein, wenn das Opfer den Täter kennt und er deshalb befürchtet, durch dessen Angaben überführt zu werden, falls es überlebt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1988 – 3 StR 89/88, NJW 1988, 2682).
12
b) Mit Rücksicht auf diesen Zusammenhang weist das Urteil aber bereits deshalb einen durchgreifenden Rechtsfehler auf, weil das Landgericht nicht widerspruchsfrei dargelegt hat, welchen Vorsatz der Angeklagte in Bezug auf den Tod der erkannt schwer verletzten Nebenklägerin hatte, als er die Unfallstelle verließ, ohne die rechtlich gebotene Hilfe herbeizurufen. So hat das Landgericht einerseits festgestellt, der Angeklagte habe den Tod der Nebenklägerin (nur) billigend in Kauf genommen, und begründet dies mit der Erwägung, ihm sei der Tod der Nebenklägerin gleichgültig gewesen, um nicht als Verursacher eines Unfalls unter Alkoholeinfluss entdeckt zu werden. Andererseits hat es im Rahmen der rechtlichen Würdigung darauf verwiesen, der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass „seine Trunkenheitsfahrt allenfalls beim Tod, nicht aber bei einer Rettung der Nebenklägerin hätte verdeckt werden können“. Letzteres deu- tet indes auf direkten Tötungsvorsatz hin mit der Folge, dass auch die Annahme einer Verdeckungsabsicht nahegelegen hätte. Mit der Abgrenzung der Vorsatzformen hätte sich das Landgericht deshalb auseinandersetzen und den bestehenden Widerspruch auflösen müssen.
13
c) Aber selbst wenn das Landgericht die Annahme eines lediglich bedingten Tötungsvorsatzes rechtsfehlerfrei begründet hätte, hielte die Verneinung einer Verdeckungsabsicht rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden Bedenken, weil wesentliche Umstände im Hinblick auf das Vorstellungsbild des Angeklagten bei Verlassen des Unfallortes unerörtert bleiben.
14
Die Annahme des Landgerichts, dass die Trunkenheitsfahrt, ihre Strafbarkeit unterstellt, nach der Vorstellung des Angeklagten nur durch den Tod der Nebenklägerin hätte verdeckt werden können und deshalb mit einem nur bedingten Tötungsvorsatz unvereinbar sei, greift auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe zu kurz. Zwar waren die Nebenklägerin und der Angeklagte miteinander gut bekannt. Dass die Vorstellung des Angeklagten deshalb dahin ging, die Nebenklägerin werde ihn im Fall ihres Überlebens als Unfallverursacher benennen, ergibt sich hieraus unter den hier gegebenen Umständen aber noch nicht. Zum einen war die Nebenklägerin – wieauch der Angeklagte wahrgenommen hatte – schwer verletzt, sodass es nicht fern lag, dass sie – wie tatsächlich geschehen – außerstande sein würde, den Angeklagten zu überführen. Zum anderen lag es mit Rücksicht auf die persönliche Verbundenheit des Angeklagten mit der Nebenklägerin (Freundin seines Bruders) und ihrer Mitverantwortung für die Unfallfahrt (Überredung des Angeklagten, die zunächst von ihm abgelehnte Fahrt durchzuführen) nicht fern, dass sie ihn nicht einer Straftat belasten würde. Bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht wären auch dann miteinander vereinbar, wenn die Ver- deckungshandlung – die Flucht vom Tatort – nach der Vorstellung des Angeklagten nicht der Verschleierung seiner Unfallbeteiligung, sondern allein dazu dienen sollte, Zeit zu gewinnen, um den Nachweis einer für den Unfall strafrechtlich relevanten Trunkenheit oder einer Trunkenheitsfahrt zu verdecken.
15
d) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler zur Annahme eines direkten Tötungsvorsatzes oder einer mit dem bedingten Vorsatz vereinbaren Verdeckungsabsicht und damit zu einer Verurteilung wegen versuchten Mordes durch Unterlassen gekommen wäre.
16
2. Der Senat weist jedoch – den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift folgend – darauf hin, dass das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht voraussetzt, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine andere Straftat zu verdecken (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15). Nachvollziehbare Feststellungen zur Verdeckung einer Trunkenheitsfahrt , wovon das Landgericht auszugehen scheint, oder jedenfalls der Vorstellung des Angeklagten vom Vorliegen einer solchen Straftat (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 1978 – 4 StR 397/78, BGHSt 28, 93, 95) hat das Landgericht nicht getroffen. Das Vorliegen oder die Vorstellung lediglich einer Ordnungswidrigkeit würde für die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht nicht ausreichen (BGH, Urteil vom 3. August 1978 aaO; Beschluss vom 2. Juli 2004 – 2 StR 174/04, NStZ-RR 2004, 333 [Ls]).

II.


17
Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weist auch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO).
18
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17, Tz. 18; jeweils mwN). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, Urteil vom 22. März 2012 aaO; ebenso Urteile vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64; und vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80 mwN). Diese individuelle Gesamtschau sämtlicher objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.). Sie ist lückenhaft, wenn der Tatrichter sich mit wesentlichen, den Angeklagten be- oder entlastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 aaO).
19
2. Eine solche Gesamtschau hat die Strafkammer nicht in der gebotenen Vollständigkeit vorgenommen.
20
Das Landgericht verweist in seinen Rechtsausführungen zur subjektiven Tatseite auf die fehlende Anwesenheit Dritter am Unfallort, auf die frühe Morgenstunde und die wenig frequentierte Straße. Der Angeklagte habe zudem die stark blutende Kopfverletzung der Nebenklägerin wahrgenommen und das Tatopfer zutreffend für bewusstlos gehalten. Diesen Umständen kommt zwar grundsätzlich Bedeutung für die im Urteil vorgenommene Wertung zu, der Angeklagte habe die Notwendigkeit sofortiger medizinischer Hilfe für die Nebenklägerin erkannt, auf (externe) Hilfe nicht ernsthaft vertrauen können und deshalb bedingt vorsätzlich gehandelt. Die Strafkammer hat aber weitere, den Angeklagten insoweit möglicherweise entlastende Umstände, deren Berücksichtigung sich nach den getroffenen Feststellungen aufdrängte, nicht in den Blick genommen. Ausweislich der Urteilsgründe ist sie der eigenen Einlassung des Angeklagten „zum größten Teil“ gefolgt. Danach hat sie ihren Feststellungen insbesondere zugrunde gelegt, der Angeklagte habe nach Wiedererlangung seines Bewusstseins daran gedacht, die Nebenklägerin in die stabile Seitenlage zu bringen, davon aber mangels entsprechender Kenntnisse Abstand genommen. Ob und gegebenenfalls welche Schlüsse daraus hinsichtlich der subjektiven Tatseite, hier insbesondere hinsichtlich des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes zu ziehen waren, bleibt jedoch gänzlich unerörtert. Entsprechendes gilt für die Feststellung, der Angeklagte habe vergeblich versucht, das Smartphone der Nebenklägerin zu bedienen und habe es sodann neben der am Boden Liegenden abgelegt, bevor er sich entfernte. Auch die vom Landgericht angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem erlittenen SchädelHirn -Trauma wäre als vorsatzkritischer Umstand in die Gesamtabwägung einzubeziehen gewesen.
21
Auf diesen den Angeklagten beschwerenden Erörterungsmängeln in der Beweiswürdigung kann das Urteil beruhen. Die Sache bedarf daher auch insoweit (§ 301 StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen die Aufhebung der getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

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(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
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vom
12. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, zu Ziffer 1. auf dessen Antrag, und nach Anhörung der Beschwerdeführerin
am 12. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 17. Juli 2009 wird verworfen, soweit sie zuungunsten des Angeklagten eingelegt ist. 2. Soweit das Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Strafrichter - Aschersleben zurückverwiesen. 4. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels sowie die durch das Rechtsmittel dem Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Nebenklägerin strebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen ver- suchten Totschlags an. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Jedoch ist das Urteil in entsprechender Anwendung des § 301 StPO zugunsten des Angeklagten im Schuldspruch abzuändern und im Strafausspruch aufzuheben, weil es einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, der auf die Revision der Nebenklägerin zu beachten ist, obwohl das Rechtsmittel nur zuungunsten des Angeklagten eingelegt wurde (BGH, Beschl. vom 23. August 1995 - 2 StR 394/95, NStZ-RR 1996, 130).
2
1. Nach den Feststellungen legte der Angeklagte der vor dem Computer sitzenden Nebenklägerin ein etwa ein Meter langes Elektrokabel locker um den Hals, ohne es allerdings zuzuziehen und ohne dass das Kabel mit ihrem Hals in Berührung kam. Er wollte ihr lediglich einen heftigen Schrecken einjagen. Die Nebenklägerin bemerkte das Kabel, ergriff es von oben mit beiden Händen und zog es mit einem heftigen Ruck dem Angeklagten aus der Hand, so dass es auf den Fußboden fiel. Spätestens jetzt rief der Angeklagte: “Ich bringe dich um.“ Die Nebenklägerin, der es im weiteren Verlauf gelang, den Angeklagten aus dem Zimmer zu drängen und in die Küche zu flüchten, erlebte Todesängste, verspürte eine Beklemmung und litt noch geraume Zeit nach der Tat unter Angstzuständen.
3
2. Diese Feststellungen belegen zwar noch die Annahme einer vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung kann jedoch keinen Bestand haben. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte die Körperverletzung nicht mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen.
4
Nach a) der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. nur Senat, Beschl. vom 5. September 2006 - 4 StR 313/06, NStZ 2007, 95). Bereits diese Eignung erscheint hier zweifelhaft. Zwar kann ein Kabel, wenn es zum Würgen eingesetzt wird, nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung erhebliche Verletzungen herbeiführen. Hier legte der Angeklagte der Nebenklägerin jedoch das Kabel lediglich locker um den Hals, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Wird eine Strangulation aber nur vorgetäuscht, sind erhebliche Verletzungen regelmäßig nicht zu befürchten. Dass es sich hier ausnahmsweise, etwa aufgrund einer besonderen Disposition der Nebenklägerin , anders verhielt, ist nicht festgestellt.
5
b) Darüber hinaus verlangt § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass die Körperverletzung “mittels“ eines solchen Werkzeugs begangen wird. Das Tatmittel muss hierbei unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirken (Senat, Urt. vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573, Beschl. vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405; Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rdn. 7). Jedenfalls daran fehlt es hier. Das Kabel kam zwar mit dem Körper der Nebenklägerin in Berührung. Es entfaltete jedoch als bloße “Requisite“ bei der Inszenierung einer scheinbar lebensbedrohlichen Situation seine Wirkung nicht unmittelbar körperlich, sondern psychisch vermittelt. Dies vermag den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aber ebenso wenig zu erfüllen wie der Einsatz einer Maske oder die Vorlage einer gefälschten Todesbescheinigung mit dem Ziel, das Opfer in Schrecken zu versetzen. Diese Auffassung liegt auch der bisherigen Rechtsprechung zugrunde (vgl. BGH, Beschl. vom 17. Januar 2001 - 1 StR 480/00; Urt. vom 26. November 1985 - 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166; im Ergebnis ebenso Stree in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 224 Rdn. 3; a.A. Hardtung in MK StGB § 224 Rdn. 21; differenzierend Eckstein NStZ 2008, 125, 128). An ihr wird festgehalten.
6
3. Der Senat stellt den Schuldspruch entsprechend um. Er schließt aus, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die das Handeln des Angeklagten als eine das Leben gefährdende Behandlung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erscheinen lassen könnten. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
7
4. Die Änderung des Schuldspruchs zieht angesichts des gegenüber § 224 StGB milderen Strafrahmens des § 223 StGB die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht - Strafrichter - Aschersleben zurück, da dessen Strafgewalt hier ausreicht.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer
5 StR 428/03

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 30. März 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
30. März 2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin S
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt W ,
Rechtsanwalt L ,
Rechtsanwalt P
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger F und B V , Be , K und Sk wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsmittel – an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren (Einzelstrafen: acht und zehn Jahre Freiheitsstrafe) verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (unter Anordnung eines Vorwegvollzugs von acht Jahren und sechs Monaten) angeordnet. Die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft – vertreten vom Generalbundesanwalt – und von fünf (von insgesamt acht) Nebenklägern, die u. a. die unterbliebene Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes rügen, haben Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte, u. a. vorbestraft mit einer zunächst zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wegen einer 1990 im Vollrausch verübten gefährlichen Körperverletzung, war nach Verurteilung wegen einer im Dezem- ber 1995 wiederum im Vollrausch begangenen Körperverletzung mit Todesfolge zu vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Herbst 1999 vorzeitig aus Strafhaft und Maßregelvollzug entlassen worden.
In den Morgenstunden des 10. August 2002 lief der Angeklagte nach durchzechter Nacht, aufgeputscht durch konsumierte antriebssteigernde Drogen (Speed, eventuell auch Kokain) und alkoholisiert (bei maximaler Blutalkoholkonzentration von etwa 2,3 ‰), möglicherweise ziel- und planlos durch ein Wohnviertel in Berlin-Weißensee. Er überstieg den Gartenzaun eines bewohnten Einfamilienhauses und versuchte gegen 6.45 Uhr, in das Schlafzimmerfenster der 16jährigen Tochter der Eigentümer zu schauen, die soeben nach Hause gekommen und dabei möglicherweise von dem Angeklagten beobachtet worden war. Kurz danach gelang es dem Angeklagten, ein angekipptes Fenster des im Hochparterre gelegenen Wintergartens zu öffnen; hierdurch stieg er zunächst unbemerkt in das Haus ein. Das Motiv ist ungeklärt geblieben; der Angeklagte hat nicht damit begonnen, im Haus zu stehlen.
Die Hauseigentümerin, die im Hochparterre mit ihrem Ehemann im Schlafzimmer schlief, erwachte, trat unbekleidet auf den Flur und traf dort auf den im Eingangsbereich der Küche stehenden Angeklagten. Dieser war seinerseits kurz zuvor durch eine im Spiegel bemerkte Bewegung hinter der halb geöffneten Tür des Schlafzimmers auf darin befindliche Personen aufmerksam geworden und war – unwiderlegt – entschlossen, das Haus alsbald möglichst unbemerkt wieder zu verlassen. Die Frau schrie beim für sie gänzlich überraschenden Anblick des ihr unbekannten Angeklagten sofort laut um Hilfe und begann, mit bloßen Händen auf ihn einzuschlagen. Dieser ergriff ein unmittelbar neben ihm in einem Messerblock steckendes Fleischermesser mit einer Klingenlänge von 20 cm und stach damit unvermittelt mit Wucht der Frau einmal knapp 20 cm tief in den oberen rechten Brustbereich. Er war durch die Situation des Zusammentreffens in Panik geraten, dachte jäh dar- an, daß er unter Führungsaufsicht und Bewährung stand, und handelte spontan, um seine Flucht aus dem Haus zu ermöglichen. Daß er dies „auch durch mildere Mittel“ hätte bewerkstelligen können, war ihm nach Auffassung des Schwurgerichts möglicherweise nicht bewußt. Den Tod der Geschädigten nahm er, wie das Schwurgericht meint, zumindest billigend in Kauf.
Die Frau brach nach dem Stich nicht zusammen, sondern flüchtete durch das Wohnzimmer und den Wintergarten in den Garten. Der Angeklagte wollte – unwiderlegt – durch das Schlafzimmer flüchten, das er möglicherweise durch zustands- und situationsbedingte Wahrnehmungsverzerrungen nach der Flucht der Geschädigten in die andere Richtung als einzig möglichen Fluchtweg verkannte. In der Schlafzimmertür traf er auf den erwachten und aufgestandenen Ehemann der Geschädigten. Ihm versetzte der Angeklagte , um seine Flucht zu ermöglichen, mit direktem Tötungsvorsatz sieben Stiche mit dem Messer, das er noch bei sich führte. Der Mann brach im Schlafzimmer zusammen und verblutete alsbald.
Dem Angeklagten gelang die Flucht durch das Schlafzimmerfenster. Ermittelt – und zwei Wochen später festgenommen – wurde er durch eine DNA-Spur an einer im Garten des Tatortes aufgefundenen Zigarettenkippe.
Die Geschädigte hatte durch laute Schreie vom Garten aus ihre Kinder alarmieren können. Sie brach alsbald zusammen, gab ihrem Sohn und Rettungskräften noch den Hinweis, der Täter sei „Ausländer“ mit „mulattischer“ Hautfarbe – der Vater des Angeklagten war Schwarzafrikaner –, und fiel dann in Bewußtlosigkeit, aus der sie bis zu ihrem mehr als ein Vierteljahr später verletzungsbedingt eingetretenen Tod nicht mehr erwachte.
2. Zutreffend beanstanden die Beschwerdeführer es als rechtsfehlerhaft , daß das Schwurgericht in beiden Fällen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes abgelehnt hat.

a) Allerdings ist das Mordmerkmal der Heimtücke in beiden Fällen im Ergebnis zutreffend verneint worden. Entgegen der Wertung des Schwurgerichts hängt dies nicht einmal mit der besonderen psychischen Belastung des Angeklagten bei Begehung der Taten zusammen.
Die Hauseigentümerin wurde naheliegend durch Wahrnehmung ungewohnter Geräusche oder Bewegungen geweckt; als sie den Flur betrat, traf sie hier in ihrem Privathaus unvermutet auf einen Einbrecher, den ihr fremden Angeklagten. Es liegt auf der Hand, daß ihr in dieser Situation jede Arglosigkeit genommen war. Ihre Reaktion, laut schreiend auf den Einbrecher zuzugehen und auf ihn einzuschlagen, ist schwerlich geeignet, das Gegenteil zu beweisen. Sie ist kaum – mit dem Schwurgericht – als überraschungsbedingte Verkennung der Gefahrensituation (vgl. BGHSt 33, 363) zu verstehen, sondern vielmehr ersichtlich als gänzlich unbedachte Panikreaktion. Jedenfalls besteht mit Rücksicht auf diese Situation keine Grundlage für eine gesicherte Überzeugung von der Annahme des Angeklagten, die zutiefst erschrockene Frau sei ihm gegenüber arglos gewesen. Damit fehlte es – zumindest subjektiv – an dem für das Mordmerkmal der Heimtücke erforderlichen Element der Arglosigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns des tödlichen Angriffs (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 17). Nichts anderes gilt für den Angriff auf den Ehemann, als er sich – alarmiert durch die Schreie seiner Frau – anschickte, vom Schlafzimmer aus zum Ort des Geschehens zu eilen. Ungeachtet der Kürze der Zeit seit seinem Erwachen war er beim Zusammentreffen mit dem Angeklagten für diesen augenscheinlich in panischer Sorge, mithin nicht arglos. Daß beide Opfer dem Angeklagten in der Tatsituation letztlich wehrlos ausgeliefert waren, ließ sich – jedenfalls aus dessen für den Vorsatz maßgeblicher Sicht – nicht auf Arglosigkeit zurückführen, ist mithin zur Erfüllung des Mordmerkmals der Heimtücke nicht ausreichend (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 211 Rdn. 18a).

b) Als sachlichrechtlich fehlerhaft erweist sich indes in beiden Fällen die Verneinung einer Tötung, um eine andere Straftat zu verdecken.
Der Angeklagte, dem es bei den Tötungshandlungen eingestandenermaßen um die Ermöglichung seiner Flucht zur Vermeidung negativer Konsequenzen in seiner Situation der Führungsaufsicht und offenen Bewährung ging, handelte damit unverkennbar zugleich in der Absicht, den Einbruch und die damit mindestens verbundene Straftat des Hausfriedensbruchs zu verdecken. Auch unter Berücksichtigung seiner Intoxikation und der Paniksituation beim plötzlichen Zusammentreffen mit den Geschädigten ist für vernünftige Zweifel daran, daß er sich bei der nahezu instinktiv empfundenen Sorge um seine Bewährung selbstverständlich zugleich der jene Sorge begründenden Strafbarkeit seines Einbruchs – mindestens als Hausfriedensbruch , wenn nicht als versuchter Einbruchsdiebstahl oder gar (etwa alternativ festzustellen) als versuchte sexuelle Nötigung – mitbewußt war, kein Raum (vgl. dazu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 10; Schneider in MünchKomm-StGB 2003 § 211 Rdn. 187 ff.).
Auch die weiteren gegen die Verdeckungsabsicht vorgebrachten Argumente erweisen sich als nicht tragfähig. Zunächst zweifeln die Beschwerdeführer angesichts des der Geschädigten beigebrachten wuchtigen, nahezu 20 cm tiefen Bruststiches nachvollziehbar an der Annahme eines lediglich bedingten Tötungsvorsatzes, und zwar auch unter Berücksichtigung der Spontanität des Tatentschlusses und des Umstandes, daß der bei dieser Tat noch mit geringerer Intensität handelnde Angeklagte auf die Frau nur einmal eingestochen hat. Jenseits davon liegt eine Fallgestaltung, für welche die Rechtsprechung Bedenken gegen eine Vereinbarkeit des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht mit nur bedingtem Tötungsvorsatz angenommen hat (vgl. dazu Tröndle/Fischer aaO § 211 Rdn. 31a und 33; Schneider aaO § 211 Rdn. 190 ff.; jeweils m.w.N.), bei dem vorliegenden tödlichen Angriff auf ein nicht bekanntes Opfer zur Fluchtermöglichung grundsätzlich nicht vor. Die vom Schwurgericht erwogenen Überlegungen des Angeklagten, im Falle eines Überlebens der Frau werde er identifiziert werden, weil sie ihn gesehen habe und wiedererkennen werde, dürften überhaupt nur unter der Voraussetzung als geeignet angesehen werden, das Mordmerkmal der Verdek- kungsabsicht in Zweifel zu ziehen, wenn der Angeklagte mit einer Identifizie- rung für den Fall des Überlebens seines Opfers fest gerechnet hätte. Jedenfalls machen die Beschwerdeführer aber zutreffend geltend, daß die Annahme derart differenzierter Überlegungen des Angeklagten im eklatanten Widerspruch zu den Feststellungen zu seiner intoxikations- und situationsbedingt verwirrten Geistesverfassung bei der spontanen Tatbegehung steht. Der Ausschluß des Mordmerkmals beruht mithin auf einer tatsächlich nicht fundierten und damit sachlichrechtlich fehlerhaften Unterstellung zugunsten des Angeklagten.
All dies gilt in verstärktem Maße für die Überlegung des Schwurgerichts , der Angeklagte habe bei der anschließend verübten direkt vorsätzlichen Tötung des Ehemannes zur Ermöglichung seiner Flucht womöglich bedacht , er könne damit nicht selbstverständlich zugleich seine Vortaten – Einbruch und Verletzung der Frau – wirksam verdecken, da er von seiner späteren Identifizierung durch die entkommene schwerverletzte Frau ausgegangen sei.

c) Da keine Anhaltspunkte für eine Fluchtabsicht ohne gleichzeitige Verdeckungsabsicht bestehen, ist daneben für die Annahme einer Tötung aus sonst niedrigen Beweggründen (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 211 Rdn. 29a) kein Raum.

d) Der Senat hat erwogen, wegen der aus dem angefochtenen Urteil ersichtlichen nahezu eindeutigen Beweislage und im Blick auf die letztlich haltlosen Unterstellungen, die in beiden Fällen zur Verneinung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht geführt haben, zum Schuldspruch auf Mord in zwei Fällen durchzuentscheiden. Da es letztlich insoweit an positiven tatgerichtlichen Feststellungen zu den hierfür erforderlichen Vorstellungen des Angeklagten fehlt, hat der Senat – auch vor dem Hintergrund, daß die Motivation des Angeklagten, in das Haus der Getöteten einzubrechen, letztlich weitgehend im Dunkeln geblieben ist – hiervon gleichwohl Abstand ge- nommen und die Entscheidung neuer tatgerichtlicher Beurteilung überlassen. Um dem neuen Tatgericht dann aber auch eine umfassende, von Vorgaben freie neue Sachaufklärung zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil vollständig auf. Er sieht deshalb auch davon ab, etwa Feststellungen zum äußeren Tathergang und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten aufrechtzuerhalten, die das Schwurgericht im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei getroffen hat, die aber auch das neue Tatgericht unschwer erneut wird feststellen können.
3. Der Rechtsfolgenausspruch entfällt mit der Aufhebung des Schuldspruchs. Der Senat weist indes darauf hin, daß das angefochtene Urteil auch insoweit nicht bedenkenfrei ist.

a) Zwar hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten (§ 21 StGB) bejaht. Die Begründung, mit der es dem Angeklagten eine hierauf gründende Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB zugebilligt hat, ist aber, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend rügt, durchgreifend bedenklich. Daß das Tatgericht nicht festzustellen vermochte, daß dem Angeklagten eine Neigung zu vergleichbaren Straftaten unter dem Einfluß von Drogen und Alkohol bewußt gewesen wäre, mag ungeachtet seiner einschlägigen Vorbelastungen hinzunehmen sein. Kaum vertretbar erscheint indes die Wertung, daß der Angeklagte mit entsprechendem Fehlverhalten in derart berauschtem Zustand allein im Blick auf den seit den Vortaten eingetretenen Zeitablauf und auf sein konkretes Wirken als Einzeltäter auch nicht hätte rechnen müssen. Nach Aburteilung des Angeklagten wegen zweier massiver Gewaltdelikte im Vollrausch, das zweite davon bereits mit tödlichem Ausgang, ist ersichtlich das Gegenteil der Fall. Vor diesem spezifischen Hintergrund mußte ihm sein dauerhaft unkontrollierter Alkohol- und Drogenmißbrauch angelastet werden, auf den der massiv enthemmte Zustand zurückging, der die hier abgeurteilten Kapitalverbrechen bedingte. Dies gilt verstärkt, da er aufgrund der letzten einschlägigen Vortat noch unter Bewährung stand, zumal auch bezogen auf den mit dem Hang unmittelbar ver- bundenen Maßregelausspruch der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Bei dieser Besonderheit legt nicht einmal der Umstand die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nahe, daß der Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit letztlich auch auf psychische Defekte, namentlich einen fortbestehenden Hang zur Berauschung, zurückgeht. Diesem Milderungsmoment steht die massiv verstärkende Warnfunktion der laufenden Bewährung vor spezifisch einschlägigem Hintergrund gegenüber.
Jedenfalls aus der Sicht des Schwurgerichts war die Zubilligung der Strafrahmenverschiebung durchgreifend bedenklich vor dem Hintergrund, daß das Gericht letztlich allein im Blick auf die psychische Verfassung des Angeklagten bei Begehung der Taten bereits nicht zu Schuldsprüchen wegen Mordes gelangt ist. Dieses Moment hätte bei der Strafrahmenbestimmung zusätzlich zum Nachteil des Angeklagten bedacht werden müssen.
Nach der letztlich vom Angeklagten vorwerfbar verursachten tatauslösenden Intoxikation wird sich die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung sogar dann nicht von selbst verstehen, wenn der Angeklagte bei Versagung der Strafrahmenverschiebung wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen wäre. Dies setzte freilich besonders schwerwiegende Gründe voraus, die einer solchen Milderung entgegenstehen (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 7, 8, 12, 18, 24, 25). Indes wären die vorliegend zu beurteilenden Taten bei – unterstellt – uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Täters zweifelsfrei als zwei Fälle des Mordes mit lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe unter Feststellung besonderer Schwere der Schuld des Täters gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 57b StGB zu ahnden gewesen; zu berücksichtigen ist zudem eine spezifisch einschlägige Vorbelastung, die ihrerseits bereits die Tötung eines Menschen zum Gegenstand hatte. Vor diesem Hintergrund erschiene vorliegend auch bei Schuldsprüchen wegen Mordes – namentlich für die zweite Tat – die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach tatgerichtlichem Ermessen nicht undenkbar, eventuell mit der Konsequenz, im Blick auf die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit von der Feststellung besonderer Schuldschwere abzusehen.

b) Zum Maßregelausspruch merkt der Senat an, daß die bisher zugunsten des Angeklagten getroffene tatgerichtliche Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB, dessen formelle Voraussetzungen nach der bisherigen rechtsfehlerfreien tatgerichtlichen Beurteilung ebenso vorliegen wie ein Hang und eine damit einhergehende Gefährlichkeit des Angeklagten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB), insbesondere vor dem Hintergrund dreier Straftaten mit tödlichem Ausgang nicht überaus überzeugend anmutet. Angesichts der Möglichkeit strengerer Bewertung der Taten ist insoweit ohnehin eine neue tatgerichtliche Beurteilung erforderlich. Insbesondere bei etwa abweichendem Ergebnis wäre ein erneut erwogener – im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei ausgesprochener – Maßregelausspruch nach § 64 StGB auch nach Maßgabe des § 72 StGB zu hinterfragen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 241/11
vom
30. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 30. Juni 2011 gemäß
§ 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 3. Dezember 2010 werden als unzulässig verworfen. 2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und Fahren ohne Fahrerlaubnis , wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die Revisionen der Nebenkläger, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, sind unzulässig im Sinne des § 349 Abs. 1 StPO.
3
1. Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen A. (§ 244 Abs. 2 StPO) ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
4
Ob sich dies, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, schon daraus ergibt, dass ein Nebenkläger nach § 400 Abs. 1 StPO nicht befugt ist, eine Verurteilung wegen Vollendung (des Nebenklagedelikts ) statt wegen Versuchs zu erstreben (so Riegner NStZ 1990, 13; a.A. Meyer -Goßner StPO, 54. Aufl., § 400 Rn. 3b; Löwe-Rosenberg/Hilger StPO, 26. Aufl., § 400 Rn. 12), kann dahinstehen. Jedenfalls würde die Prüfung dieser Rüge durch den Senat eine im Revisionsverfahren regelmäßig nicht mögliche Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzen.
5
2. Der Zulässigkeit des Revisionsvortrags im Übrigen steht § 400 Abs. 1 StPO entgegen.
6
Der Nebenkläger kann ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1987 – 3 StR 424/87, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 1). Der Angeklagte ist wegen einer Tat verurteilt worden, aus der sich die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger ergibt (§ 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Die Revisionen machen nicht geltend, dass eine Rechtsnorm, deren Verletzung zum Anschluss berechtigen würde, nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Sie richten sich vielmehr allein gegen die verhängte Strafe. Dies gilt für das in eine weitere Aufklärungsrüge gekleidete Vorbringen, die Höhe der erkannten Strafe sei zu gering, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem Mitverschulden des Tatopfers ausgegangen sei, ebenso wie für die Sachrüge, mit der die gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommene Strafrahmenmilderung beanstandet und weitere Rechtsfehler bei der Strafzumessung (§ 46 StGB) geltend gemacht werden. Ernemann Roggenbuck Franke Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 152/16
vom
23. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:230616B5STR152.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. November 2015 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist, wobei die Feststellungen zum äußeren Geschehen vor, bei und nach der Tat Bestand haben,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe sowie
c) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Störung der Totenruhe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen die Verurteilung wegen Mordes gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachbeschwerde zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. Mai 2016 Folgendes ausgeführt: Die rechtliche Würdigung zum Vorliegen eines nur bedingten Tötungsvorsatzes bei gleichzeitiger Annahme von Verdeckungsabsicht kann rechtlicher Prüfung nicht standhalten. Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern lediglich bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360; Senat, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496). Das ist nach den zitierten Entscheidungen aber nur dann der Fall, wenn der Täter von der getöteten Person keine Straftataufdeckung zu befürchten hat. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspricht dem nicht. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung hierzu aufgestellte Behauptung des Schwurgerichts, der Angeklagte hätte erkannt, dass sich der Geschädigte auch durch weitere Schläge oder verbale Bedrohungen und damit anders als durch die Tötung von einer Anzeige hätte abbringen lassen (UA S. 35), vermag die Annahme einer derartigen Fallgestaltung nicht zu rechtfertigen. Dieser Gedanke ist unter anderem schon deshalb kaum nachvollziehbar, weil sich alle Beteiligten gut kannten, häufig Umgang miteinander hatten und sich deshalb der Glaube an die sichere Beseitigung der Gefahr durch eine Strafanzeige lediglich durch weitere Bedrohungen des Opfers nicht von selbst erklärt, mag der Angeklagte dem Opfer auch geistig überlegen gewesen sein (UA S. 35). Wesentlicher ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass sich die Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes mit den Feststellungen auf Seite 14 des Urteils, die auf den für glaubhaft erachteten Angaben des Angeklagten zu seiner Motivation zur Tat beruhen, nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Gleiches gilt hinsichtlich der bereits angeführten Behauptung auf Seite 35 des Urteils in Bezug auf die festgestellten Persönlichkeitsbesonderheiten des Angeklagten. Im Einzelnen: Das Schwurgericht hat die Angaben des Angeklagten zu den Beweggründen seiner Tatbegehung, die er anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung geschildert hatte, den Feststellungen (UA S. 14 unten) rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Denn diese waren durch die Aussagen der Mitangeklagten (UA S. 27/28) bestätigt worden: Danach wollte der Angeklagte mit der Tötung verhindern, dass der Geschädigte dem ehemaligen Lebensgefährten der Mitangeklagten von deren vorangegangener Körperverletzung berichten würde. Denn er befürchtete, dass jener deswegen Strafanzeige erstatten würde, wie er es bereits mehrfach getan hatte. Dieser den Angeklagten bei der Tötung leitende Wille ist mit der Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes (UA S. 33) indessen nicht kongruent, das Urteil deshalb rechtsfehlerhaft. Die behauptete Erkenntnis des Angeklagten (UA S. 35) lässt sich zudem nicht mit den Feststellungen zu den Auswirkungen seiner hirnorganischen Persönlichkeitsstörung (UA S. 18 f.) in Übereinstimmung bringen: Danach sind kognitive Wahrnehmungsschemata nur eingeschränkt vorhanden (UA S. 18). Der Angeklagte ist zudem nur eingeschränkt in der Lage, wahrscheinliche Konsequenzen seines eigenen Handelns vorauszusehen und in konfliktbeladenen Situationen Problemlösungsstrategien zu entwerfen (UA S. 19). Es ist deshalb ohne erläuternde Begründung nicht nachvollziehbar, wie der erheblich alkoholisierte Angeklagte in einer konfliktbeladenen Situation und der sich hieran sehr schnell anschließenden Spontantötung zu differenzierten Überlegungen über anderweitige Beseitigungsmöglichkeiten der Gefahr einer Strafanzeige in der Lage gewesen sein sollte. Nachvollziehbare Erklärungen hierzu lassen sich dem Urteil auch im Gesamtzusammenhang nicht entnehmen. Die festgestellten Tatumstände lassen es gleichwohl als möglich erscheinen, dass die Annahme direkten Tötungsvorsatzes in Verknüpfung mit Verdeckungsabsicht rechtsfehlerfrei festgestellt werden könnte. Denn angesichts des gezielten Wurfes des Angeklagten mit dem fast 20 kg schweren Tresor in Richtung des Kopfes des Opfers, der bei einem Treffer offensichtlich dessen Tod zur Folge haben musste, und des durch den Angeklagten geschilderten Motivationsbildes ist der Schluss auf einen direkten Tötungsvorsatz in Verbindung mit Verdeckungsabsicht auch eingedenk der Spontanität des Tatentschlusses, der Alkoholisierung des Angeklagten und seiner Persönlichkeitsbesonderheiten, die zur Annahme des § 21 StGB führten, nicht nur denktheoretisch möglich. Eine (erneute) Verurteilung wegen Verdeckungsmordes kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden. Weil die geschilderten Rechtsfehler bei den Feststellungen zum Vorsatz und zur Verdeckungsabsicht zum Wegfall der subjektiven Tatseite führen, hat dies zur Folge, dass auch die Verurteilung wegen Mordes aus Heimtücke (vorerst) entfallen muss. Insoweit erschiene es im Übrigen wünschenswert, wenn das Mordmerkmal der Heimtücke - sollte es erneut zu einer diesbezüglichen Verurteilung kommen - vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung des Angeklagten ebenfalls eingehender als bisher begründet werden würde, auch wenn es naheliegt, dass der Angeklagte trotz seiner Persönlichkeitsbesonderheiten in der Lage war, die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zu erkennen und sie zur Beseitigung der Gefahr vor Erstattung einer Strafanzeige bewusst auszunutzen (vgl. hierzu auch MüKo/Schneider, StGB, 2. Aufl., § 211 Rn. 182/183 ff.).
3
Dem tritt der Senat bei und bemerkt – auch hier in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalbundesanwalts – ergänzend, dass eine Ablehnung des Tötungsvorsatzes nach den gegebenen Umständen auch eingedenk der organischen Persönlichkeitsstörung sowie der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit entgegen der Auffassung der Revision fernliegt.
4
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes entzieht der insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafe von elf Jahren ohne Weiteres die Grundlage. Zudem waren der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregelentscheidung aufzuheben. Die Feststellungen zum äußeren Geschehen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
5
3. Die Verurteilung wegen Störung der Totenruhe weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Gleiche gilt für den insoweit getroffenen Einzelstrafausspruch.
6
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sorgfältiger zu begründen wäre, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist. Namentlich bedürften die Art der Krankheit des Angeklagten und die damit verbundenen Auswirkungen ebenso näherer Erläuterung wie dessen Vorverurteilungen wegen Gewalttaten, die das angefochtene Urteil für die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten gerade aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung ohne nähere Erläuterungen heranzieht. Insoweit kann auch die nicht hinreichend belegte Feststellung, „auto- und fremdaggressives Agieren in Überforderungssituationen sei bei dem Angeklag- ten bekannt“ (UA S. 41), den Anforderungen nicht genügen.
Sander Schneider Dölp
König Feilcke

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 558/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Zur "Hemmschwellentheorie" bei Tötungsdelikten.
BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 - LG Saarbrücken
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
4
Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
5
II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
6
III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
7
Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
8
Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

B.


9
Die Revision des Angeklagten
10
I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
11
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
12
Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
13
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
14
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
15
II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16
III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
17
2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.

C.


18
Die Revision der Staatsanwaltschaft
19
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
20
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
21
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
22
2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
23
II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
24
1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
25
2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
27
b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
28
aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
29
bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
30
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
31
cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
32
Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
33
An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
34
Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
35
Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
36
dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
37
3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
38
III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
39
IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/17
vom
5. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:051217U1STR416.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Dezember 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, Dr. Bär und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff,
Richterin am Landgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung -, Justizangestellte - bei der Verkündung - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des Zeugen M. verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel wendet sich die Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen dagegen , dass der Angeklagte hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Zeugen M. nicht auch wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision allein den Rechtsfolgenausspruch.
3
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat im Umfang der Anfechtung Erfolg. Die Revision des Angeklagten dringt dagegen nicht durch.

I.

4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Am Tattag kam es zwischen dem alkoholisierten Angeklagten und dem später geschädigten Zeugen M. zunächst zu einer kurzen verbalen und geringfügig tätlichen Auseinandersetzung in der von beiden bewohnten Asylbewerberunterkunft. Der Streit konnte durch das Eingreifen Dritter beendet und der Angeklagte in sein Zimmer verbracht werden. Kurze Zeit später kehrte er zurück, trat die Tür zu dem Zimmer ein, in dem sich der Zeuge M. aufhielt und griff mit einem Messer bewaffnet den auf einem Bett sitzenden Zeugen an. Dabei stach der Angeklagte, der äußerte, er werde den Zeugen umbringen, dreimal von oben nach unten in Richtung von dessen Oberkörper. M. konnte die Stiche jeweils auf unterschiedliche Weise abwehren. Nach dem dritten Stich wurde der Angeklagte, der weiter entweder mit dem zuvor benutzten oder einem anderen, erstmals zur Hand genommenen, Messer gegen den Zeugen M. vorgehen wollte, von anderen Bewohnern festgehalten und einem Mitarbeiter des für die Unterkunft zuständigen Sicherheitsdienstes übergeben. Der Zeuge M. erlitt u.a. eine Schnittverletzung an der Hand.
6
Der Angeklagte wurde durch den Sicherheitsdienst des Wohnheims in einen Küchenraum verbracht. Dort traf er auf den Zeugen A. . Als dieser den noch aufgebrachten Angeklagten beruhigen wollte, versetzte dieser dem Zeugen einen Kopfstoß mit der Stirn gegen die linke Gesichtshälfte des Zeugen. Dieser fiel daraufhin zu Boden und wurde für kurze Zeit ohnmächtig.
7
2. Das Landgericht hat hinsichtlich des Vorgehens gegen den Zeugen M. einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des alkoholbedingt nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten Angeklagten verneint und ihn insoweit wegen gefährlicher Körperverletzung bei Verwirklichung der Qualifikation aus § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt. Die Tat zum Nachteil des Zeugen A. ist als vorsätzliche Körperverletzung gewertet worden.

II.

Revision der Staatsanwaltschaft
8
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in dem Umfang der Anfechtung Erfolg. Die der Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes bei der Tat zu Lasten des Zeugen M. zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
1. Die ausdrücklich erklärte Beschränkung der Revision auf die vorgenannte Tat und das Ausnehmen der Nichtanordnung der Maßregel des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff sind wirksam.
10
a) Ein Rechtsmittel kann wirksam auf solche Beschwerdepunkte beschränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 9. Juni 1999 – 3 StR 77/99, NStZ-RR 1999, 359; KK-StPO/Paul, 7. Aufl., § 318 Rn. 1 jeweils mwN). Das ist im Verhältnis zwischen Straftaten, die tatmehrheitlich (§ 53 StGB) verwirklicht worden sind, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig der Fall (näher BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185, 188 f. und vom 9. November 1972 – 4 StR 457/71, BGHSt 25, 72, 74; ausführlich SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., Band VI, § 318 Rn. 32-35).
11
Diese Voraussetzung ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen mit der Körperverletzungstat zum Nachteil des Zeugen M. einerseits und der zeitlich nachfolgenden, in einem anderen Raum sowie aufgrund eines neuen Tatentschlusses begangenen Körperverletzung zu Lasten des Zeugen A. andererseits gegeben.
12
b) Der Wirksamkeit der Beschränkung steht für die vorliegende Konstellation nicht entgegen, dass die der Annahme einer alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zugrunde liegenden Feststellungen angesichts des recht kurzen zeitlichen Aufeinanderfolgens der Straftaten für beide Bedeutung entfalten und deshalb die Gefahr sich widersprechender Urteilsgründe begründen könnten (zur Bedeutung der Widerspruchsfreiheit für die Trennbarkeitsfrage BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16, NJW 2017, 2847, 2848). Denn ungeachtet der hier fraglichen tatsächlichen Konstellation kommt es für die Schuldfähigkeitsbeurteilung stets darauf an, ob der Täter aufgrund einer bestimmten psychischen Verfassung in der Lage war, einer konkreten Tat Unrechtseinsicht und Hemmungsvermögen entgegenzusetzen (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 199/11, NStZ2012, 44 mwN). Dafür ist auf den jeweiligen konkreten Rechtsverstoß abzustellen, so dass jedenfalls bei verschiedenartigen Straftaten sich ein einheitliches Eingangsmerkmal auf die Unrechtseinsichts- und die Steuerungsfähigkeit unterschiedlich auswirken kann (vgl. BGH aaO mwN). Die Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe steht daher der Trennbarkeit zwischen den beiden hier verfahrensgegenständlichen Straftaten und damit der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung nicht entgegen. Vorliegend kommt trotz der für beide Taten maßgeblichen Tatzeitalkoholisierung schon wegen der verschiedenen Motivlage für die jeweiligen Tatgeschehen unterschiedliche Auswirkungen auf das Hemmungsvermögen und damit die Steuerungsfähigkeit in Betracht.
13
c) Die Staatsanwaltschaft konnte die Ablehnung der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) wirksam von ihrem Rechtsmittelangriff ausnehmen.
14
Die Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ist ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den ein Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden kann (st. Rspr.; siehe nur BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Dementsprechend ist für Rechtsmittel des Angeklagten anerkannt, dass dieser die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff ausnehmen kann (BGH aaO BGHSt 38, 362, 363 mwN; van Gemmeren in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., Band 2, § 64 Rn. 128 mwN). Nichts anderes gilt für ein zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (vgl. aber van Gemmeren aaO § 64 Rn. 125 mit Fn. 511). Liegen – wie regelmäßig bei der Entscheidung über die Maßregel des § 64 StGB – die Voraussetzungen der Trennbarkeit von den übrigen Urteilsteilen vor, stehen keine sonstigen rechtlichen Gründe einem wirksamen Ausnehmen der Überprüfung der Ablehnung einer Unterbringung vom Rechtsmittelangriff entgegen. Solche folgen vor allem nicht aus Schutzerwägungen zugunsten des Angeklagten, denn dieser ist allein durch die Anordnung der stationären Maßregel, nicht aber durch deren Unterbleiben beschwert (BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2016 – 3 StR 6/16, NStZ-RR 2016, 169 f. und vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592, 594).
15
Eine Konstellation, in der ausnahmsweise eine untrennbare Wechselwirkung zwischen der Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den sonstigen Urteilsgründe, insbesondere dem Strafausspruch, besteht (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363 mwN; Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 397/13, NStZ-RR 2014, 58) liegt nicht vor. Angesichts der völlig unterschiedlichen Zwecke von stationären Maßregeln einerseits und der Strafe andererseits (dazu BGH, Urteil vom 15. März 2016 – 1 StR 526/15 Rn. 28, StV 2017, 29, 31; siehe auch Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16 Rn. 29 mwN) ist es regelmäßig auch nicht geboten, eine Verknüpfung zwischen dem Strafausspruch und der Entscheidung über die Maßregel herzustellen. Hat das Tatgericht – wie hier – die Anordnung der Unterbringung gemäß § 64 StGB abgelehnt, können ohnehin kaum jemals Wechselwirkungen zum Strafausspruch bestehen.

16
2. Das Landgericht hat die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten bei den Messerstichen gegen den Zeugen M. auf mehrere Aspekte gestützt, denen es „gewichtige“ indizielle Bedeutung gegen ein billigendes Inkaufnehmen des Todes des Zeugen beimisst. So habe es sich um eine Spontantat gehandelt, bei der der Angeklagte erheblich alkoholbedingt enthemmt war. Auch sei bei den Stichen nicht näher eingrenzbar gewesen, wohin der Angeklagte genau habe treffen wollen. Zudem hat das Landgericht kein „überzeugendes konkretes Tötungsmotiv“ erkennen können (UA S. 15).
17
3. Die der Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde liegenden Erwägungen erweisen sich – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (etwa BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 25 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 10 jeweils mwN) – als rechtfehlerhaft. Das Landgericht hat seiner Beweiswürdigung bereits einen nicht rechtsfehlerfreien rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Zudem liegen revisible Fehler u.a. das Fehlen einer Gesamtwürdigung und überzogene Anforderungen an die eigene Überzeugungsbildung zugrunde.
18
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11 mwN). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet , das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH jeweils aaO). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Auf der Ebene der Beweiswürdigung ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 mwN und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 11).
19
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (Nachw. in BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hinweis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 und Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 12 mwN). Der Bundesgerichtshof hat immer wieder hervorgehoben, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN).
20
b) Die Ausführungen des Landgerichts lassen bereits besorgen, dass dieses rechtsfehlerhaft der „hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung“ (UA S. 14) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgradesder vom Angeklagten ausgeführten Messerstiche relativierende Wirkung beigemessen hat, die dem Aspekt der „Hemmschwelle“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. So führt das Tatgericht gerade die „Hemmschwelle“ als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten (UA S. 14). Darüber hinaus rekurriert das Landgericht beweiswürdigend auf die „Hemmschwel- le“ auch bei der Prüfung eines möglichen Beweggrunds des Angeklagten und führt aus, es sei kein „überzeugendes konkretes Tötungsmotiv“ erkennbar, das geeignet gewesen wäre, die „Hemmschwelle zur Tötung“ erklärbar zu überwin- den (UA S. 15).
21
c) Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tatrichterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.
22
aa) Die Erwägungen zum objektiven Gefährlichkeitsgrad der Messerstiche als Grundlage für die Würdigung der Voraussetzungen bedingten Tötungsvorsatzes enthalten Rechtsfehler. Sie sind teils lückenhaft, teils stellen sie überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung (zum Maßstab näher BGH, Urteile vom 13. Juli 2015 – 1 StR 128/16 Rn. 21, NStZ 2016, 670 und vom 22. November 2016 – 1 StR 194/16 Rn. 14 jeweils mwN).
23
(1) Das Landgericht geht unter der Sache nach erfolgender Anwendung des Zweifelssatzes von der Verwendung eines Messers mit einer abgerundeten Spitze aus, obwohl der geschädigte Zeuge M. in seiner ersten polizeilichen Zeugenvernehmung – anders als in der tatrichterlichen Hauptverhandlung – angegeben hatte, das Messer sei vorne nicht rund gewesen (UA S. 12). Soweit die Strafkammer meint, sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit von der Richtigkeit der ersten Schilderung des Zeugen überzeugen zu können , wird dies nicht rechtsfehlerfrei begründet. Die diesbezügliche Beweiswürdigung ist lückenhaft und nicht widerspruchsfrei. Das Landgericht nimmt nicht erkennbar in den Blick, dass es seinen Feststellungen zur Anzahl der vom Angeklagten ausgeführten Stiche gerade die Angaben des Zeugen in seiner ersten polizeilichen Vernehmung mit der Erwägung zugrunde gelegt hat, zu diesem Zeitpunkt sei die Erinnerung des Zeugen noch frisch gewesen. Angesichts dessen hätte es ungeachtet der nur begrenzten Überprüfbarkeit der vom Tatrichter gezogenen Schlüsse näherer Ausführungen bedurft, warum der zeitliche Abstand zwischen der Wahrnehmung und der Bekundung über das Wahrgenommene bezüglich der Beschaffenheit der Klinge eine andere Beweisbedeutung haben soll als hinsichtlich der Anzahl der Stiche. Dem Hinweis des Landgerichts, es sei zweifelhaft, ob der Zeuge die Beschaffenheit der Klinge überhaupt habe wahrnehmen können, liegt selbst wiederum eine lückenhafte Würdigung zugrunde. Der Angeklagte ist nach den drei Stichen überwältigt und in den Küchenraum gesperrt worden. Es wird nicht erörtert, ob für den Zeugen die Möglichkeit bestand, das Messer nach dem Ende des Angriffs und dem Überwältigen des Angeklagten wahrzunehmen.

24
Das Landgericht hat sich in der die objektive Gefährlichkeit der Messerstiche betreffenden Beweiswürdigung auch nicht erkennbar mit dem im Übrigen berücksichtigten Umstand auseinandergesetzt, dass der Zeuge dem Angeklag- ten „emotional zugetan“ sei und ihn so wenig wie möglich belasten wollte. Dies wäre im Rahmen der Würdigung der unterschiedlichen Aussagen des Zeugen zu berücksichtigen gewesen. Dem Urteil lässt sich zudem nicht nachvollziehbar entnehmen, welche Inhalte die (teils verlesenen) Aussagen der Zeugen Mu. und N. (UA S. 12) hatten und warum sie „wenig erhellend“ gewesen seien. Da nach den getroffenen Feststellungen beide Zeugen an der Überwältigung des Angeklagten beteiligt waren, können sie naheliegender Weise Wahrnehmungen zur Beschaffenheit der Messerklinge getroffen haben. Ob dies der Fall war, kann der Senat mangels Wiedergabe des jeweiligen Aussageinhalts nicht prüfen.
25
(2) Auch die weitere Beweiswürdigung zur objektiven Gefährlichkeit der Messerstiche enthält Rechtsfehler. Die Annahme des Landgerichts, es sei nicht näher eingrenzbar, wo der Angeklagte genau habe treffen wollen, so dass zu seinen Gunsten nicht ausschließbar lediglich auf die Schultern oder die Arme habe eingewirkt haben können, beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung. Es wird in diesem Zusammenhang weder die geäußerte Tötungsabsicht noch das mehrfache und lediglich durch das Eingreifen weiterer Personen letztlich beendete Einstechen berücksichtigt. Die die Bedeutung der geäußerten Tötungsabsicht relativierende Bewertung, es könne sich um „verbale Kraftmeierei“ oder „Ausdruck von Erregung“ handeln, blendet die Entwicklung bis hin zu den Stichen aus. Der Angeklagte war bereits zuvor in eine auch tätliche Auseinandersetzung mit dem Zeugen verwickelt und hat von sich aus nach Entfernung aus dem Zimmer des Zeugen erneut die Konfrontation, dieses Mal unter Einsatz eines Messers, gesucht.
26
Im Übrigen hat das Landgericht bei der Annahme, es müsse zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, dieser habe lediglich irgendwo auf den Bereich des Oberkörpers einwirken wollen, also nicht ausschließbar lediglich auf die Schultern oder Arme, die Bedeutung des Zweifelsgrundsatzes verkannt. Dieser ist auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung nicht anzuwenden (BGH, Urteile vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85 und vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184 jeweils mwN); für entlastende Indiztatsachen gilt er dementsprechend nicht (BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184 mwN).
27
bb) Ein weiterer Rechtsfehler der Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz liegt darin, dass das Landgericht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187 Rn. 27) lediglich formelhaft (UA S. 16) vorgenommen hat. Eine solche Gesamtschau darf – nicht anders als hinsichtlich der auf die Täterschaft bezogenen Beweiswürdigung – sich nicht darauf beschränken, die jeweiligen Indizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 5 StR 181/16, NStZ 2017, 600, 601). So verhält es sich jedoch vorliegend.
28
Das Landgericht handelt mehrere Indiztatsachen nacheinander ab, denen es Gewicht mit einer Beweisrichtung gegen die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes zumisst. Es versäumt jedoch, diese Umstände von indizieller Bedeutung in ihrer Zusammenschau zu würdigen und zu erwägen, ob sich in der Gesamtbetrachtung eine andere Bewertungsrichtung ergeben kann.
Zudem sind Umstände nicht in den Blick genommen worden, deren Berücksichtigung – wie bereits ausgeführt – sich nach den getroffenen Feststellungen und der sonstigen Beweiswürdigung aufdrängten.
29
(1) Soweit das Landgericht im Hinblick auf das Vorgehen mit dem Messer von einer Spontantat ausgeht, findet dies keine tragfähige Stütze in den sonstigen Feststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war bereits eine auch tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat eine erneute Konfrontation mit dem Zeugen M. gesucht und sich – nach den Feststellungen nahe liegend – dafür durch eine Bewaffnung vorbereitet. Selbst unter Berücksichtigung der Alkoholisierung des allerdings alkoholgewöhnten Angeklagten ist die Spontaneität der Tat nicht ausreichend belegt.
30
(2) Entsprechendes gilt im Hinblick auf das vom Tatgericht als gegen die Willenskomponente sprechend gewertete Fehlen eines „überzeugenden konkreten“ Tatmotivs. Zwar war die Strafkammer nicht gehindert, aus der festgestellten Freundschaft zwischen dem Angeklagten und dem geschädigten Zeugen einen gegen das Willenselement sprechenden Schluss zu ziehen. Abgesehen von der rechtsfehlerhaften Verknüpfung des vom Landgericht nicht gefundenen Tatmotivs mit der höheren Hemmschwelle, eine Tötungshandlung vorzunehmen, hätte es jedoch bei der Frage des Motivs die vorausgegangene Auseinandersetzung sowie die im Tatzeitpunkt hochgradige Aggressivität des Angeklagten berücksichtigen müssen. Diese hat vor allem in dem Vorgehen gegen den bis dahin gänzlich unbeteiligten Zeugen A. Ausdruck gefunden.
31
4. Auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz beruht der Schuldspruch bezüglich der zum Nachteil des Zeugen M. begangenen Tat. Da der Angeklagte erst durch das Eingreifen Dritter sowie das anschließende Verbringen in den Küchenraum von weiteren körperlichen Angriffen mit dem Messer auf den Zeugen abgehalten werden konnte, scheidet ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein aus.
32
Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen die Aufhebung der insgesamt zu dieser Straftat getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
33
5. Die Aufhebung der Verurteilung wegen der gegen den Zeugen M. begangenen Straftat entzieht auch der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
34
6. Der wegen der vorgenannten Tat ergangene Schuldspruch und der zugehörige Strafausspruch enthalten keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, worauf die Prüfung des Senats gemäß § 301 StPO wegen der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft begrenzt ist (BGH, Urteil vom 20. September 2017 – 1 StR 112/17, StRR 2017, Nr. 12, 2 Rn. 32 mwN).

III.

Revision des Angeklagten
35
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten erzielt keinen Erfolg. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Anhaltspunkte für eine untrennbare Verknüpfung mit dem Schuldspruch bestehen nicht. Eine nicht lediglich erheblich verminderte, sondern sogar aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten ist ausgeschlossen.

36
1. Weder die Verhängung der beiden Einzelstrafen noch der Gesamtstrafenausspruch enthalten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Nach dem die tatrichterliche Strafzumessung betreffend eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts, der für die Entscheidung des Tatgerichts über das Vorliegen eines minder schweren Falls ebenfalls gilt (näher dazu BGH, Urteile vom 19. Januar 2017 – 4 StR 334/16, NStZ-RR 2017, 117 f. und vom 25. April 2017 – 1 StR 606/16, wistra 2017, 400 Rn. 13 f. mwN), ist es insbesondere nicht zu beanstanden, dass das Landgericht auch unter Berücksichtigung des vertypten Milderungsgrundes aus § 21 StGB für die Tat zum Nachteil des Zeugen M. nicht zu einem minder schweren Fall gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbs. StGB gelangt ist.
37
2. Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt erweist sich im Ergebnis als nicht rechtsfehlerhaft. Das sachverständig beratene Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise einen hinreichend konkreten Therapieerfolg wegen der völlig unzureichenden Sprachkenntnisse (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592, 594 mwN) des Angeklagten verneint.
Graf Jäger Radtke Bär Hohoff

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 37/13
vom
4. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. April 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 27. September 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags, zumindest aber der Verhängung einer höheren Strafe eingelegte und mit sachlichrechtlichen Beanstandungen begründete Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Die Überzeugung der Strafkammer, der Angeklagte habe bei den mit einem Baseballschläger ausgeführten Schlägen nur mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung stand.
3
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145). Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind (BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372).
4
b) Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Über- zeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 599/11, juris Rn. 9 mwN).
5
c) Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens - als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444) und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet (BGH, Urteile vom 28. Januar 2010 - 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144, 145; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1525; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
6
d) Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet , rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. So kann eine Alkoholbeeinflussung des Täters von Rechts wegen den Schluss auf eine verminderte Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen oder auf fehlendes Bewusstsein von Umständen, die gegen einen tödlichen Ausgang des Geschehens sprechen, ebenso tragen wie umgekehrt den Schluss auf ein unüberlegtes Handeln, bei dem sich der Täter nahe liegender tödlicher Folgen nicht bewusst wird. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326).
7
e) An diesen Grundsätzen (BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 77) gemessen ist gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts nichts zu erinnern. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
8
Die Strafkammer hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in ihre Überlegungen einbezogen und insbesondere gesehen, dass die teils wuchtig geführten Schläge gegen den Kopf des Tatopfers hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlungen waren, die ein gewichtiges Indiz dafür sind, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Dass das Landgericht seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes wegen u.a. des vor Ausführung der Schläge gezeigten Verhaltens des Angeklagten, dessen bisheriger Unbestraftheit und unauffälligen Lebenswandels, des Fehlens verbaler Drohungen und eines Tötungsmotivs sowie des Nachtatverhaltens nicht hat überwinden können, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenngleich einzelne der vom Landgericht als gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend gewerteten Umstände jeweils für sich genommen nicht von allein ausschlaggebendem Gewicht sein mögen, so ergibt doch die Gesamtbetrachtung aller vom Landgericht erwogenen Indizien eine ausreichende Grundlage für die rechtsfehlerfreie Annahme eines lediglich auf Körperverletzung gerichteten Vorsatzes.
9
2. Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Angesichts aller Umstände in der Person des Angeklagten, in der Tat und in dem dieser vorangehenden Verhalten des Nebenklägers kann die Strafe nicht als zu einem gerechten Schuldausgleich nicht mehr geeignet bezeichnet werden.
Schäfer Pfister Mayer
Gericke Spaniol

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/15
vom
14. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR84.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2016, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Mutzbauer, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde sowie
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Maßregel.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es eine Maßregel nach § 69a StGB angeordnet und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine ver- fahrensrechtliche Beanstandung und die Sachrüge gestützte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten insbesondere wegen vorsätzlicher Körperverletzungs- und Tötungsdelikte erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Am Nachmittag des 4. September 2013 fuhr der Angeklagte mit einem Pkw auf einer öffentlichen Straße in B. , obwohl er – wie er wusste – nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war. Als er E. und S. M. sowie Sa. R. am Straßenrand sah, hielt er das Fahrzeug an, stieg aus und fragte E. M. nach dem Aufenthaltsort von En. Si. , der – nach Ansicht des Angeklagten – einem in Serbien inhaftierten Bruder des Angeklagten in Zusammenhang mit gemeinsam begangenen Straftaten und der Verurteilung nur des Bruders des Angeklagten Geld schuldete. E. M. verwies den Angeklagten auf den neben ihm stehenden Sa. R. , einen Bruder von En. Si. . S. M. riet dem Angeklagten indes, Sa. R. nicht zu fragen, sondern nach Hause zu gehen. Der Angeklagte, der die Reaktionen von E. und S. M. als „unangemessen und herabsetzend“ empfand, stieg daraufhin „wutentbrannt“ in den Pkw, fuhr davon und unterrichtete seinen Vater telefonisch davon, dass er sich von E. und S. M. „unangemessen behandelt“ fühle. Der Vater des Angeklagten rief daraufhin den mit ihm befreundeten N. Br. anund fragte ihn, was es mit dem Streit auf sich habe. N. Br. , ein Cousin von E. und S. M. , erklärte sich bereit, die Angelegenheit zu klären.
4
Nach weiteren Telefonaten trafen schließlich auf dem Parkplatz eines Supermarktes in B. einerseits der Vater des Angeklagten mit seinen Söhnen D. und K. I. sowie Ke. A. als deren Fahrer und der Angeklagte mit seinem Beifahrer Ne. O. sowie andererseits E. M. , N. Br. und Sa. R. sowie S. M. , En. Si. und An. R. mit ihrer zweijährigen Tochter ein. Ke. A. stellte sein Fahrzeug auf der rechten Seite einer nach Einfahren auf den Parkplatz in 58 Meter Entfernung direkt vor ihm liegenden Parkbucht für drei Fahrzeuge ab. Nachdem die Insassen ausgestiegen waren, kam der nicht alkoholisierte, aber unter Einfluss von Cannabis stehende, in seinem Steuerungsvermögen indes nicht erheblich beeinträchtigte Angeklagte hinzu und besprach mit seinem Vater und seinen Brüdern, wie weiter zu verfahren sei. Hierbei wies der Vater des Angeklagten – um einer Eskalation vorzubeugen – diesen an, den Parkplatz mit seinem Fahrzeug zu verlassen. Dem leistete der Angeklagte Folge, bemerkte dabei jedoch das Eintreffen des mit E. M. , N. Br. und Sa. R. besetzten Pkws, den E. M. in der Nähe des Pkws von Ke. A. abstellte. E. M. , N. Br. und Sa. R. stiegen sodann aus dem Pkw aus und gingen zu dem freien mittleren Parkplatz der Parkbucht, in der der Vater des Angeklagten und dessen Brüder standen. Ferner sah der Angeklagte, dass En. Si. und S. M. zu Fuß von der Einfahrt des Parkplatzes in Richtung der Parkbucht gingen, in der Ke. A. sein Fahrzeug geparkt hatte. Daraufhin bog der Angeklagte – möglicherweise aus Angst um seinen Vater und seine Brüder „in Anbetracht der Überzahl der gegnerischen Seite“, möglicher- weise weil er den von ihm gesuchten En. Si. sah – mit dem von ihm ge- steuerten Pkw mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h und „quietschenden Reifen“ wieder auf den Parkplatz des Supermarktes ein und fuhr auf die Park- bucht zu, in der die Personengruppe stand. Dabei hätte er – so die Strafkammer – erkennen können, dass er infolge vorangegangenen Cannabiskonsums nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug sicher im Verkehr zu führen, was er aber vor Aufregung sorgfaltswidrig nicht bedachte. Nach etwa 30 Metern erfasste der Pkw des Angeklagten mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 60 km/h den auf dem Weg zu der Parkbucht befindlichen S. M. , der dabei mit seinem rechten Unterarm gegen die Frontscheibe des Pkws stieß, die zersplitterte. S. M. zog sich hierbei neben einem Bluterguss am Knie und Schürfwunden am Arm einen Kreuzbandriss zu. An. R. , die mit ihrer Tochter hinter den nebeneinander laufenden S. M. und En. Si. ging, wurde von einem Passanten „gerade noch rechtzeitig ... ehe auch sie von dem Fahrzeug des Angeklagten erfasst werden konnte“ zur Seite gestoßen. Sodann wollte der Angeklagte „nicht ausschließbar“ in einer Linkskurve an der Parkbucht und den dort befindlichen Personen vorbeifahren, schlug das Lenk- rad aber „aufgrund des durch den Aufprall verursachten Schrecks und seiner infolge des vorangegangenen Cannabiskonsums verlängerten Reaktionszeit“ zu spät ein und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h in die Parkbucht. Dabei schrammte er mit seiner linken Fahrzeugseite an der rechten Seite des auf dem linken Parkplatz abgestellten Pkws einer Zeugin entlang und erfasste den auf dem freien mittleren Parkplatz stehenden E. M. , der hierdurch hinter die Parkbucht geschleudert wurde und schwer verletzt liegen blieb; er erlitt unter anderem Brüche am Sprunggelenk und am Oberschenkel sowie am Waden- und Schlüsselbein. N. Br. und Sa. R. konnten sich durch einen Sprung auf die Seite bzw. auf und über den Pkw des Angeklagten in Sicherheit bringen, wurden aber, weil sie hierbei zu Fall kamen, ebenfalls verletzt. Nach der Kollision stieg der Angeklagte aus dem von ihm gesteuerten Pkw aus, „schüttelte“ An. R. , die ihn festhalten wollte, ab und rannte davon.
5
2. Vom vorsätzlichen Herbeiführen „der Kollision“ durch den Angeklagten vermochte sich das Landgericht nicht zu überzeugen. In ihren Rechtsausführungen begründet die Strafkammer dies damit, dass ein (bedingter) Vorsatz aufgrund der Spontaneität des Tatentschlusses und der affektiven Erregung des Angeklagten nicht nachweisbar sei.

II.


6
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist jedenfalls im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falls (vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. September 2008 – Ss 309/08 I 157, Blutalkohol 45, 392 f.) wirksam auf die landgerichtlichen Feststellungen und Wertungen zu den beiden Kollisionen auf dem Parkplatz des Supermarkts beschränkt.
7
Zwar hat die Staatsanwaltschaft unbeschränkt Revision eingelegt und auch einen unbeschränkten Aufhebungsantrag gestellt. In der Begründung des Rechtsmittels stellt die Revisionsführerin aber klar, dass sich dieses allein da- gegen richte, dass der Angeklagte nur „wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung“ und nicht wegen „tateinheitlich begangenen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Sachbeschädigung“ verurteilt worden sei.

III.


8
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Denn die Beweiswürdigung zum fehlenden Vorsatz des Angeklagten bei der Herbeiführung der Kollisionen und der durch sie eingetretenen Verletzung und Gefährdung mehrerer Personen, mithin zu den Vorwürfen versuchter und vollendeter vorsätzlicher Körperverletzungs - und versuchter vorsätzlicher Tötungsdelikte sowie des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern. Eines Eingehens auf die von der Staatsanwaltschaft ebenfalls erhobene Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
9
1. Die Beweiswürdigung ist in wesentlichen Teilen lückenhaft.
10
a) Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt insbesondere vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 2015 – 4 StR 183/15) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147 f.).
11
b) Das ist hier der Fall.
12
aa) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 – 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216 jeweils mwN). Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.). Sie ist lückenhaft, wenn der Tatrichter sich mit wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, NZWiSt 2012, 71 f.).
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bb) Eine solche Gesamtschau hat die Strafkammer nicht in der gebotenen Vollständigkeit vorgenommen.
14
Zwar verweist die Strafkammer in ihren Rechtsausführungen darauf, dass ein (bedingter) Vorsatz aufgrund der Spontaneität des Tatentschlusses und der affektiven Erregung des Angeklagten nicht nachweisbar sei. Im Zusammenhang mit den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen verweist sie hierzu aber allein auf die „durchaus denkbare“ Verlängerung der Reaktionszeit infolge des Cannabiskonsums, das Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs sowie darauf, dass der Vater des Angeklagten und seine beiden Brüder ebenfalls in der Parkbucht standen und er bei vorsätzlichem Handeln nicht nur seine Gesundheit und sein Fahrzeug, sondern auch Leben und Gesundheit seines Vaters gefährdet hätte. Bei der Darstellung der Ausführungen des Sachverständigen für Unfallrekonstruktion legt die Strafkammer dagegen dar, dass sich aufgrund dieser ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachweisen lasse.
15
Letzteres trifft zwar für sich genommen zu, jedoch stünden die Ausführungen des Sachverständigen auch der Bejahung eines vorsätzlichen Handelns des Angeklagten nicht entgegen. Im Übrigen ist trotz dieser Sammlung vorsatzkritischer Umstände jedenfalls nicht ohne weitere – indes fehlende – Erläuterungen nachvollziehbar, dass und inwieweit diese Umstände bereits im ersten Tatkomplex (Anfahren von S. M. ) Bedeutung erlangt haben könnten. Die Strafkammer setzt die von ihr aufgeführten Umstände zudem nicht in Beziehung zueinander und erläutert auch nicht, ob sie schon zu Zweifeln am Vorsatz hinsichtlich der Handlungen (als solcher) oder dazu geführt haben, dass ungewiss bleibt, ob der Angeklagte bei vom Vorsatz getragenen Handlungen den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt oder er ihn nur nicht gebilligt hat. Hierzu bestand hinsichtlich des ersten Tatkomplexes jedoch schon deshalb Anlass, weil der Angeklagte von der Einfahrt des Parkplatzes „direkt“ in Richtung der Parkbucht steuerte, er mithin auf gerader Strecke über etwa 30 Meter auf die vor ihm gehenden Fußgänger zufuhr. Dass er dies in Bezug auf seine Handlung (als solche) und das „Tatobjekt“ lediglich fahrlässig tat, liegt fern, zumal nach den Ausführungen des Sachverständigen Cannabiskonsum lediglich den peripheren Bereich des Sichtfelds vergrößert, dieses nicht aber einschränkt, und er S. M. und En. Si. schon zuvor identifiziert hatte. Auch die vom Landgericht angeführte überhöhte Geschwindigkeit infolge Cannabisintoxikation sowie der zu geringe Seitenabstand zu den Fußgängern widerstreiten unter den hier gegebenen Umständen nicht ohne weiteres der Annahme einer vorsätzlichen Tathandlung. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer bei der Prüfung des Vorsatzes in Bezug auf den Handlungserfolg zumindest auch mit der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auseinandersetzen müssen (vgl. zum Zufahren auf Fußgänger: Senat, Urteile vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 394; vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 346/12), der als wesentlichem Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes gewichtige Bedeutung zukommt (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242 f.).
16
Hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes (Einfahren in die Parkbucht) liegt eine Lücke schon darin, dass die Strafkammer in die Prüfung eines vorsätzlichen Handelns des Angeklagten nicht einbezogen hat, dass dieser nicht nur eine, sondern in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwei Kollisionen herbeigeführt hat, mithin eine Häufung an Verhaltensweisen vorliegt, die vor allem bei auf Gefährdungen oder Schädigungen von Personen der „gegnerischen Seite“ abzielendenund diese zumindest in Kauf nehmenden Handlungen plausibel ist. Zudem hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte den von ihm gesteuerten Pkw zwischen der Einfahrt auf den Parkplatz („mit etwa 30 km/h“) und der zweiten Kollision („zwischen 40 und 50 km/h“) beschleunigt und dabei eine Geschwindigkeit erreicht hat, die in Bezug auf die Handlung (als solcher) ein lediglich fahrlässiges Verhalten – zumal auf dem Parkplatz eines Supermarktes – nicht nahelegt. Hierin liegt auch des- halb eine Lücke, weil die Strafkammer das von ihr dem Angeklagten unterstellte beabsichtigte Durchfahren einer Linkskurve vor der Parkbucht nur deshalb als misslungen ansieht, weil seine Reaktionszeit aufgrund des durch den vorangegangenen Aufprall verursachten Schrecks und des Cannabiskonsums verlängert gewesen sei. Sie erörtert dabei aber nicht, dass der Angeklagte die Grenzgeschwindigkeit , mit der die Kurve hätte durchfahren werden können, infolge der Beschleunigung zumindest nahezu erreicht hatte, und er nach einer von der Strafkammer als glaubhaft bewerteten Zeugenaussage ungebremst in die Personengruppe gefahren ist. Dies wurde vom Sachverständigen insofern bestätigt , als er keine Hinweise auf eine Bremsung festgestellt und jedenfalls eine starke Bremsung vor der Kollision mit dem parkenden Pkw ausgeschlossen hat. Soweit das Landgericht den – ersichtlich auf den Handlungserfolg bezogenen – Vorsatz mit der Erwägung in Frage gestellt hat, dass durch ein Einfahren in die Parkbucht auch das Leben und die Gesundheit seines Vaters und seiner Brüder gefährdet worden wäre, hätte sich die Strafkammer schließlich auch damit aus- einandersetzen müssen, dass das „Entlangschrammen“ an dem auf der linken Seite der Parkbucht abgestellten Fahrzeug dazu gedient haben kann, die tatsächlich von der Strafkammer nicht festgestellte Gefährdung seiner Familienangehörigen auszuschließen oder wenigstens zu verringern (vgl. dazu auch nachfolgend 2.).
17
2. Die Beweiswürdigung ist zudem widersprüchlich.
18
Denn die Strafkammer legt einerseits dar, dass nach der glaubhaften Aussage des Zeugen E. M. der Vater des Angeklagten imZeitpunkt der zweiten Kollision auf dem freien Parkplatz zwischen den in der Parkbucht abgestellten Pkws stand, während sich die Brüder des Angeklagten „auf der anderen Seite“ des rechts abgestellten Fahrzeugs des Zeugen A. aufhiel- ten. Sie stellt jedoch andererseits ausdrücklich fest, dass sich alle sechs Personen – einschließlich der Brüder des Angeklagten – in der freien mittleren Parklücke der Parkbucht befanden. Dieser Widerspruch ist erheblich, da das Landgericht eine – von der Strafkammer nicht festgestellte – Gefährdung des Vaters und der Brüder als dem Vorsatz widerstreitendes Indiz bewertet hat. Eine Gefährdung der Brüder des Angeklagten durch das Einfahren des Angeklagten in die Parkbucht hätte aber nicht bestanden, wenn man der Aussage des Zeugen E. M. folgt. Auch die Gefährdung des Vaters des Angeklagten, der nach den Angaben des Zeugen E. M. neben dem Kofferraum desin der Parkbucht rechts abgestellten Fahrzeugs stand, wäre durch ein gezieltes Einfahren („Schrammen“) des auf der linken Seite der Parklücke stehenden Pkws zumindest verringert worden.
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3. Hinzu kommt, dass die Erwägung, das Fehlen eines nachvollziehbaren Tatmotivs spreche gegen ein vorsätzliches Herbeiführen der Kollisionen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
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Diese nicht näher begründete Annahme lässt schon außer Betracht, dass der Angeklagte das Verhalten zweier Tatopfer, nämlich von E. und S. M. , kurz zuvor als „unangemessen und herabsetzend“ empfunden hatte , er „wutentbrannt“ davongefahren war und ihn sein Vater, nachdem der Angeklagte ihn von der „unangemessenen“ Behandlung durch E. und S. M. unterrichtet hatte, „um einer Eskalation vorzubeugen“ von dem Parkplatz weggeschickt hatte. Auch hat der Angeklagte selbst eingeräumt, dass er zurückgekehrt sei, da er sich verpflichtet gefühlt habe, seinem Vater und seinen Brüdern angesichts der hinzugekommenen Personen Hilfe leisten zu können , und er seinen Vater nicht im Stich lassen wollte.
21
Neben dieser Lücke hat die Strafkammer aber auch unbeachtet gelassen , dass mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter kein Tötungsmotiv haben, sondern einem anderen Handlungsantrieb nachgehen (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13; vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172 f.) und selbst ein unerwünschter Erfolg dessen billigender Inkaufnahme nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460; vgl. ferner BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 f. mwN; zu hochgradig interessenwidrigen Tatfolgen allerdings: BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 f.; vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318).
22
4. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafen- und des Maßregelausspruchs nach sich. Einer Aufhebung der Adhäsionsentscheidung durch den Senat bedarf es dagegen nicht (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98).
23
Die – teilweise – Aufhebung des Urteils führt zur Aufhebung der zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Senat sieht insbesondere im Hinblick auf die oben dargelegten Widersprüche und Lücken in der Beweis- würdigung davon ab, die zum äußeren Ablauf des Geschehens auf dem Parkplatz getroffenen Feststellungen bestehen zu lassen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 410/05
vom
13. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
13. Dezember 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten C. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Am 7. Januar 2004 verstarb die dreijährige K. . Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde das Kind vom Angeklagten A. , dem Lebensgefährten der Mutter des Kindes, der Angeklagten C. , mehrere Tage lang körperlich schwer misshandelt. Die Angeklagte schritt dagegen nicht mit der gebotenen Entschiedenheit ein; wirkte teilweise sogar aktiv mit. Am Abend des 4. Januar 2004 versetzte der Angeklagte K. mit solcher Gewalt einen Schlag ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte, röchelte und bewusstlos zu Boden sank. Bemühungen der Angeklagten, K. wieder zu Bewusstsein zu bringen, blieben erfolglos. Ärztliche Hilfe holten sie nicht herbei. Erst am nächsten Tag verbrach-
ten sie das immer noch ohnmächtige Mädchen gegen 14.00 Uhr in eine Toilette eines Krankenhauses, wo es dann aufgefunden wurde. Trotz ärztlicher Intensivbehandlung war K. jedoch nicht mehr zu retten. Auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe hätte das Kind wahrscheinlich nicht überlebt. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Memmingen hat beide Angeklagte wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) - bei der Angeklagten begangen durch Unterlassen (§ 13 StGB) zu Freiheitsstrafen verurteilt , den Angeklagten - wegen erheblicher Verminderung der Steuerungsund damit der Schuldfähigkeit zur Tatzeit ausgehend von dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabgesetzten Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten, die Angeklagte - unter Herabsetzung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Außerdem verfügte die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus, bei Anordnung des Vorwegvollzugs von drei Jahren Freiheitsstrafe. Tötungsvorsatz im Zusammenhang mit dem tödlichen Schlag hat die Strafkammer bei beiden Angeklagten verneint. Dies, sowie die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit jedenfalls wegen versuchten Mordes durch Unterlassen nach dem Schlag (keine sofortige Herbeiholung ärztlicher Hilfe) beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten sowie auf die Sachrüge und einige Formalrügen gestützte Revision und erstrebt die Aufhebung des Urteils. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung zur Feststellung fehlenden bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht frei von Rechtsfehlern. Auf die Formalrügen kommt es deshalb nicht mehr an.

II.


Im Einzelnen hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:
1. Der 1973 in Deutschland geborene, hier aufgewachsene und zur Tatzeit 30-jährige Angeklagte A. konsumierte insbesondere im Alter von 12 bis 15 Jahren exzessiv gewalthaltige Videofilme und Computerspiele. Nach der achten Klasse verließ er die Hauptschule ohne Abschluss. Sein anschließendes Leben war bei kurzfristigen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen geprägt von Drogen- und Alkoholkonsum, Arbeitslosigkeit, der Begehung von - auch gewalttätigen - Straftaten, dadurch bedingten Haftzeiten sowie von zahlreichen Drogentherapien beziehungsweise Therapieversuchen. Zuletzt wurde er mit Methadon substituiert.
Die zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte C. kam im Jahre 1979 in Polen zur Welt. Nach ihrer Schulzeit führte sie ein unstetes Leben in Polen und Deutschland unter Erwerbstätigkeit im Amüsierbereich. Drogen (Marihuana , Ecstasy und Kokain) konsumierte sie zuletzt nicht mehr. Bier, Wein und Schnaps nimmt sie seit ihrem 14. Lebensjahr regelmäßig, manchmal auch im Übermaß, zu sich.
Im Alter von 21 Jahren wurde die Angeklagte von einem anderweitig gebundenen , etwa 15 Jahre älteren Mann - Türsteher, Bodyguard und damals ihr Zuhälter - ungewollt schwanger. Am 6. Dezember 2000 wurde K. , das spätere Tatopfer, in R. geboren. Während der ersten drei Monate betreute die Angeklagte ihre Tochter selbst. Dann überließ sie dies weitgehend anderen Personen, darunter ihrer in L. wohnhaften Mutter. Der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen der Angeklagten und K. war die Aus-
nahme. Das Kind wurde von der Angeklagten öfters angeschrieen und beschimpft. Gelegentlich erhielt es Ohrfeigen. Zu weiteren Misshandlungen kam es jedoch nicht.
2. a) Im November 2003 fanden sich die Angeklagten und lebten von da an zusammen, zunächst in der Wohnung der Mutter der Angeklagten. Nach einem Wutanfall des Angeklagten - wobei er mit dem Kopf einen Spiegel zertrümmert hatte - der Wohnung verwiesen, fanden die Angeklagten in der zweiten Dezemberhälfte 2003 Unterschlupf im Einfamilienhaus eines Bekannten des Angeklagten im Stadtteil B. . Zwischen den Angeklagten gab es häufig Streit, wobei der Angeklagte seiner Lebensgefährtin auch Ohrfeigen versetzte. Im Übrigen verbrachten sie die Vormittage meist im Bett und die Nachmittage mit dem Konsum von Alkohol und mit Fernsehen. K. spielte währenddessen oder sollte schlafen. Wegen „Nichtigkeiten“, wie Hinauszögerns des angeordneten Mittagsschlafs, Problemen beim abendlichen Einschlafen, langsamen Essens und ähnlicher typisch kindlicher Verhaltensweisen ärgerte sich der Angeklagte. Er beschloss, K. mittels Strafen zu „erziehen“.
Vom 1. Januar 2004 an unterzog der Angeklagte K. deshalb einer Tortur, die am 4. Januar 2004 mit der Beifügung der zum Tode des Kindes führenden Verletzungen endete. Die Angeklagte, die alles miterlebte, und sich ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Tochter bewusst war, widersetzte sich den Übergriffen des Angeklagten nicht mit der gebotenen - und ihr zumutbaren - Entschiedenheit. Erreichbare Hilfe, z.B. beim Wohnungsgeber oder von anderen Personen, suchte sie nicht. Sie unternahm auch nicht den Versuch, unter Mitnahme der Tochter auszuziehen, etwa zurück zur Mutter. Nur gelegentlich setzte sie zum Widerstand an. In Einzelfällen wirkte sie demgegenüber sogar aktiv an den Misshandlungen ihrer Tochter durch den Angeklagten mit.

Entsprechend der Forderung des Angeklagten, dass das Kind, das er immer wieder als Bastard bezeichnete, weg müsse, hatten die Angeklagten auch erwogen, das Kind vor einem Wohnanwesen oder in einer Kirche auszusetzen oder nach Polen zu verbringen. „Keiner der Angeklagten unternahm jedoch einen Versuch, einen dieser Pläne in die Tat umzusetzen.“ Von einer Tötung des Kindes war aber nie die Rede.

b) Folgende einzelne Vorfälle vermochte die Strafkammer dann festzustellen , wobei ihr eine genaue zeitliche Einordnung nur teilweise möglich war.
Am 1. Januar 2004 bemalte K. in der Wohnung herumliegendes Papier, was missfiel. Zur Strafe brachte der Angeklagte K. in einen unbeheizten Raum, die so genannte "Kalte Kammer". Dort schlug er dem Kind zunächst mit einem Holzstab auf die Finger beider Hände, so dass jene rot anliefen und anschwollen. Dann musste K. , nur mit einem kurzärmligen T-Shirt und mit einer Strumpfhose bekleidet, bei geöffnetem Fenster und bei Minustemperaturen im Außenbereich, einige Stunden in der „Kalten Kammer“ stehen bleiben. Nachdem sich der Angeklagte beruhigt hatte, cremte er K. s geschwollene Hände ein und verband sie.
Zum Ärger des Angeklagten spielte K. am Morgen des 2. Januar 2004 mit der letzten gefüllten Methadonflasche, die dem Angeklagten noch zur Verfügung stand. Er erhitze mit einem Feuerzeug den Plastikverschluss einer leeren Methadonflasche, packte die am Unterkörper entblößte K. am Nacken , drückte sie mit dem Gesicht auf eine Matratze und presste die angeschmorte Spitze des Verschlusses mit Drehungen auf das Gesäß und die Oberschenkel des Mädchens. Dies wiederholte der Angeklagte mehrfach so-
wohl an diesem wie auch am nächsten Tag. Die Angeklagte half hierbei dem Angeklagten jeweils „weisungsgemäß“, das Kind festzuhalten.
Bei anderer Gelegenheit zwang der Angeklagte K. , sich mit dem Bauch auf den Boden zu legen. Dann schlug er mit einem Ledergürtel so auf das entblößte Kind ein, dass es vom Rücken bis zu den Kniekehlen etwa sechs rote Striemen erlitt. Nach diesem Vorfall drohte die Angeklagte dem Angeklagten , ihn zu verlassen. Er entschuldigte sich, cremte das Kind ein und bandagierte es.
Zu einem weiteren Zeitpunkt versetze der Angeklagte dem Kind einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass das Mädchen mit dem Kopf gegen die Wand prallte.
An einem der Abende holte der Angeklagte K. aus dem ungeheizten Keller - dorthin hatte er sie einige Stunden zuvor verbracht - ins Schlafzimmer, haute ihr das schnurlose Telefon zwei Mal gegen den Kopf, setzte sich mit der Angeklagten auf das Bett und schlug dem vor ihm stehenden Kind mit der Hand so gegen den Hinterkopf, dass es mit dem Gesicht auf der Kommode aufschlug und dann zu Boden fiel. Dies wiederholte er auf ähnliche Art und Weise noch vier Mal, allerdings ohne dass sich das Mädchen erneut an der Kommode stieß. K. erlitt an den Ohren und im Gesicht blutende Verletzungen. Diese cremte der Angeklagte dann zwar ein und ließ den Kopf des Kindes von der Angeklagten in ein Tuch wickeln. Dann verbrachte er K. aber wieder in einen unbeheizten und dunklen Kellerraum und zwang sie, sich - Schuhe trug sie nicht - ohne Abstützen an der Wand auf einem Bein hinzustellen. Die Angeklagte versuchte nun, telefonisch polizeiliche Hilfe herbeizurufen. Dies unterband der Angeklagte, indem er ihr das schnurlose Telefon entriss.

In einer weiteren Nacht brachte der Angeklagte die bereits verletzte und am Auge stark geschwollene K. erneut in den Keller und legte sie bäuchlings auf einem Schrank ab. Von dort zog er sie einige Stunden später an den Beinen fassend wieder herunter und ließ sie in einem Nebenraum im Keller, wiederum auf einem Bein stehend, zurück. Erst am Morgen durfte die Angeklagte das vor Kälte zitternde Kind ins Bett bringen.
Als beim Essen Brotkrümel herunterfielen, schlug der Angeklagte K. mit der flachen Hand gegen den Kopf, brachte das Kind in die kalte Speisekammer und dann in den Keller. Nach einigen Stunden holte er K. - ihre Augen waren zugeschwollen, sie blutete, ihre Haare hatte ihr der Angeklagte teilweise, tonsurartig, ausgerissen - nach oben, indem er sie an der Kleidung am Hals packte und so die Treppe hinauftrug, der auf dem Bett sitzenden Angeklagten vor die Füße warf, wobei das laut schreiende und weinende Kind mit dem Kopf am Nachttisch anschlug. Die Angeklagte sollte das Mädchen waschen , da es eingekotet hatte. Als K. in der Badewanne wegen eines Wasserspritzers ins Gesicht aufschrie, schlug ihr der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf. Anschließend rasierten die Angeklagten dem Mädchen die restlichen Haare vom Kopf. Kurze Zeit später schlug der Angeklagte K. mit der flachen Hand gegen die Brust, so dass sie gegen einen Schrank fiel und zu Boden sank. Der Angeklagte riss sie an den Kleidern hoch und warf sie zuerst aufs Bett. Dann sollte sich K. ins Zimmereck stellen. K. sank jedoch kraftlos zu Boden. Der Angeklagte verweigerte dem Mädchen gleichwohl zunächst den Schlaf, bis sie sich auf ein auf dem Boden zubereitetes Lager legen durfte. Als der Angeklagte bemerkte, dass sie eingenässt hatte, drückte er eine brennende Zigarette an ihrem Knie aus.
Am Nachmittag des 4. Januar 2004 sperrte der Angeklagte K. in den Tankraum im 2. Untergeschoss. Am Abend, nach der Rückkehr der Angeklagten vom Besuch bei einer Nachbarin drückte der Angeklagte den heißen Kopf eines Feuerzeugs auf die nackte Haut des Kindes. Später öffnete er mindestens vier Brandblasen vollends und cremte sie ein.
Als der Angeklagte im weiteren Verlauf des Abends über die Angeklagte in Wut geraten war, reagierte er sich an K. ab. Er schlug sie mit einem Ledergürtel ins Gesicht und auf den Kopf. Danach schlug er das Kind mit der flachen linken Hand „mit einer Wucht von mindestens 80 G“ seitlich gegen das Gesicht, so dass K. mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte. K. röchelte und sank bewusstlos zu Boden. Der Angeklagte rief aus: „Das wollte ich nicht“.
Den Angeklagten gelang es nicht, K. wieder zu Bewusstsein zu bringen. Sie hofften dennoch, der Zustand des regelmäßig atmenden Kindes werde sich bessern. Sie rechneten nicht mit dessen Ableben. Am Tag darauf entschlossen sich die Angeklagten um 9.00 Uhr, K. in einer stark frequentierten Toilette eines Krankenhauses abzulegen. Erst fünf Stunden später setzten sie dies kurz nach 14.00 Uhr im Stiftungskrankenhauses W. in die Tat um. Um 15.45 Uhr wurde K. gefunden. Trotz sofortiger Intensivbehandlung erlangte sie das Bewusstsein nicht mehr und verstarb am 7. Januar 2004 um 10.40 Uhr. Todesursache war eine zentrale Lähmung aufgrund einer raumgreifenden Blutung unter die harte Hirnhaut, verursacht durch den vom Angeklagten zuletzt geführten Schlag und den Aufprall des Kopfes von K. gegen die Wand. Dieser tödliche Ausgang wäre auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe nicht auszuschließen gewesen.

c) Die Angeklagten hatten sich bereits am 6. Januar 2004, nachdem sie im Rundfunk vom Auffinden des Kindes gehört hatten, auf Drängen des Angeklagten auf die Flucht begeben. Bereits wenige Tage später konnten sie in B. festgenommen werden, nachdem die Angeklagte, die mit einer weiteren Flucht in die Türkei nicht einverstanden war, polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen hatte.
3. - Bedingten - Tötungsvorsatz vermochte die Strafkammer weder bei dem Angeklagten A. noch bei der Angeklagten C. festzustellen.
Der Angeklagte habe sich unwiderlegt dahin eingelassen, dass er mit einem tödlichen Ausgang nicht gerechnet habe. Dass derartige Schläge gegen den Kopf wegen der dadurch ausgelösten Rotationsbewegung „besonders“ (UA S. 37) gefährlich sind und in Folge des Risses der Brückenvene zu einer tödlichen Hirnblutung führen kann, sei auch kein Allgemeinwissen (UA S. 17). Der Angeklagte habe diese Kenntnis bestritten. Bei Schlägen mit der flachen Hand handele es sich auch nicht um „äußerst“ (UA S. 36) gefährliche Gewalthandlungen und sie stünden - wie die Vorverurteilungen erhellten - am unteren Ende der Skala von Gewalttätigkeiten des Angeklagten. Auch habe das Kind - so die Strafkammer weiter - auf frühere gleichartige Schläge „nicht in einer Weise reagiert , dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein könnten“. Schließlich seien die Überraschung des Angeklagten nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit und die sofort einsetzenden hektischen Rettungsbemühungen „mit einem Wollen des Todes des Kindes nicht vereinbar“.
4. Das Landgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte A. im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) handelte. Bei ihm lägen, so die sachverständig beratene Strafkammer, massive Persönlichkeitsstörungen (dissozial - ICD 10 F 60.2 - und emotional instabil vom Borderline-Typ ICD 10 F 60.3 -) vor, die hier als schwere andere Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB zu bewerten sind, sowie eine als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 einzuordnende Polytoxikomanie - ICD 10 F 19.2 - mit Abhängigkeiten von Heroin und Benzodiazepinen bei zusätzlichem chronischen Missbrauch von Alkohol vor. Dadurch sei die Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten erheblich vermindert gewesen.

III.


1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht zu der Feststellung gelangte , die Angeklagten hätten nicht mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Zwar ist auch insoweit die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Wenn bei der Beantwortung der Frage, ob Angeklagte vorsätzlich, bedingt vorsätzlich oder (bewusst) fahrlässig gehandelt haben, allein aus äußeren Umständen auf deren innere Einstellung zur Tat geschlossen werden muss, bedarf es jedoch einer umfassenden Würdigung des insoweit relevanten festgestellten Sachverhalts (vgl. BGH NStZ 2004, 35, 36). Dem genügen die Darlegungen der Strafkammer nicht; sie sind widersprüchlich und lassen eine umfassende Auseinandersetzung mit allen für die Bewertung der subjektiven Tatseite relevanten Umständen sowie der Persönlichkeit der Angeklagten vermissen. Zudem hat die Straf-
kammer zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten Vorsatzes gestellt.
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar zunächst davon aus, dass es bei „äußerst“ gefährlichen Gewalthandlungen grundsätzlich nahe liegt, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei auch zu Tode kommen, wenn dies für sich allein betrachtet aber noch kein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes, vgl. BGH NStZ 2001, 475, 476). Schon die Grundvoraussetzung - äußerst gefährlich - verneint die Strafkammer dann aber, indem sie die vom Angeklagten ausgeübte und von der Angeklagten hingenommene Tathandlung lediglich als „besonders“ gefährlich bewertet. Abgesehen davon, dass allein aus dieser Nuance bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung kaum tragfähige Schlussfolgerungen zum Tötungsvorsatz zuverlässig gezogen werden können, ist die Begründung für diese Herabstufung des Gefährlichkeitsgrads nicht tragfähig.
Die Strafkammer hebt entscheidend darauf ab, der Angeklagte habe „das Kind unwiderlegbar lediglich mit der flachen Hand und nicht etwa mit der Faust oder irgendwelchen Gegenständen gegen den Kopf geschlagen“ (UA S. 36). Damit lässt das Landgericht bei der Bewertung dieses Vorgangs im Hinblick auf die subjektive Tatseite einen entscheidenden Teil des an anderer Stelle festgestellten Sachverhalts außer Acht, nämlich das Aufprallen des Kopfes auf die Wand infolge des wuchtigen Schlages. Mit dieser verkürzten Betrachtung setzt sich die Strafkammer zudem in Widerspruch zu den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. E. , „denen sich die Kammer anschließt“. Danach „war sowohl ein Faustschlag als auch ein mit Wucht (mindestens 80 G) geführter Schlag mit einer flachen Hand und anschließendem Aufprall des Kopfes ge-
gen einen festen Gegenstand geeignet, die tödliche Blutung mit Abriss einer Brückenvene auszulösen“ (UA S. 33). Die Tathandlung des Angeklagten entsprach also einem Faustschlag und war nicht weniger gefährlich. Das Aufschlagen des Kopfes war auch vorhersehbar. Auch schon früher traktierte der Angeklagte K. mehrfach so, dass deren Kopf gegen einen festen Gegenstand (Wand, Kommode, Nachttisch) prallte.
Die Strafkammer stellt des weiteren zu hohe Anforderungen an den Umfang der Kenntnis über die möglichen Folgen eines Schlages gegen den Kopf, wenn sie meint, „tatsächlich gehört es nicht zum allgemeinen Erfahrungswissen , dass seitliche Schläge gegen den Kopf im Kieferbereich wegen der dadurch ausgelösten Rotationsbewegungen von besonderer Gefährlichkeit sind und zum Riss der Brückenvene mit der Folge einer tödlichen Hirnblutung führen können“ (UA S. 37). Es entspricht gesicherter allgemeiner Kenntnis, dass derartige Schläge gegen den Kopf eines kleinen Kindes mit anschließendem Aufprall gegen einen festen Gegenstand immer äußerst schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben können. Medizinischen Detailwissens bedarf es dazu nicht. Vor dem Hintergrund des Allgemeinwissens über mögliche Folgen derartiger Misshandlungen ist deshalb auch das Argument der Strafkammer, „trotz mehrfacher gleichartiger Schläge hat das Kind auf alle Schläge mit Ausnahme des letzten (tödlichen) nicht in einer Weise reagiert, dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein könnten“ (UA S. 36) nicht tragfähig. Vielmehr lag schon bei den entsprechenden früheren Handlungen das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes nicht fern. Ein Umstand, den die Strafkammer nicht in ihre Erwägungen einbezog. Denn letztlich war es eher ein Zufall, bei welcher dieser Misshandlungen K. zu Tode kam.
Die Strafkammer hat sich zudem bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite zu sehr allein mit dem letzten, dem dann tödlichen Vorfall befasst. Deshalb hat sie zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten Tötungsvorsatzes gestellt, worauf auch der Satz hindeutet, die Rettungsbemühungen seien mit dem Wollen des Todes des Kindes nicht vereinbar. Das Landgericht betont zunächst ausdrücklich - was an sich selbstverständlich ist -, der Tötungsvorsatz müsse sich gerade auf die Handlung beziehen, die den tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht hat. Das Landgericht verweist dann auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten, die beim Angeklagten nicht herabgesetzt gewesen sei. Nun belegt zwar - wovon die Strafkammer damit im Ansatz zutreffend ausgeht - die Indizwirkung einer offen zutage tretenden Lebensgefährlichkeit wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen für sich gesehen noch nicht zwingend Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz. Bedeutung kommt dem aber insbesondere bei einmaligen Spontantaten in einer emotional aufgeladenen, häufig alkoholbedingt enthemmten Atmosphäre zu. Der Angeklagte misshandelte demgegenüber das Kind wiederholt hemmungslos und gleichwohl auf geradezu systematische Art und Weise und bedrohte das Leben des Mädchens in jedem Einzelfall in hohem Maße. Darüber hinaus hätten aus der viertägigen Tortur, auch soweit die teilweise geradezu sadistischen Handlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren , der der Angeklagte A. K. unterwarf - bei Duldung und teilweiser Mitwirkung der Angeklagten C. -, sowie aus der Persönlichkeit der Angeklagten, die bei A. unter anderem durch einen Mangel an Empathie, andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen geprägt ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite der Angeklagten gezogen werden können. All dies hätte jedenfalls eingehender Erörterung bedurft.
Das anschließende Erschrecken, wenn sich der nach den Feststellungen ja nicht von vornherein beabsichtigte, aber gleichwohl in Kauf genommene Erfolg realisiert, „das habe ich nicht gewollt“, steht bedingtem Vorsatz nicht entgegen. Vielmehr könnte hier das weitere Verhalten der Angeklagten nach dem Eintritt der Ohnmacht des Kindes trotz der „hektischen“ Rettungsbemühungen, die sich allerdings in eher untauglichen Maßnahmen, wie Beatmungsversuchen und Bespritzen mit Wasser erschöpften, nämlich dem Absehen von der Herbeiholung sofortiger ärztlicher Hilfe und das heimliche Ablegen des Kindes in einer Krankenhaustoilette tags darauf, eher dafür sprechen, dass sich die Angeklagten - insbesondere der Angeklagte A. - von vornherein der möglicherweise tödlichen Folgen der Misshandlungen bewusst war, deren strafrechtlichen Konsequenzen sich die Angeklagten zu entziehen suchten. Auch dies wäre jedenfalls zu erörtern gewesen.
Die bei der Prüfung der subjektiven Tatseite gebotene umfassende Erörterung der für die Tat bedeutsamen Umstände und der Persönlichkeit der Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 507, 508) lassen die Urteilsgründe deshalb nicht ausreichend erkennen. Bei der sich über mehrere Tage erstreckenden brutalen und wiederholt lebensgefährlichen Behandlung liegt das voluntative Element des - zumindest bedingten - Vorsatzes im Grunde auf der Hand. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, die Mordmerkmale, namentlich der Grausamkeit und der sonstigen niedrigen Beweggründe, zu prüfen.
Bezüglich der Angeklagten C. wird zu erörtern sein, ob der Schwerpunkt ihrer Handlungen beim aktiven Tun liegt.

2. Schließlich begegnen die Darlegungen zur Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten A. Bedenken. Zwar sind die Eingangsmerkmale des § 20 StGB - sachverständig beraten - rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Generalbundesanwalt führt dann aber in seiner Antragsschrift - wie dann auch in der Hauptverhandlung - zutreffend aus: „Das Landgericht hat sich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N. angeschlossen , nach dessen Ausführungen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten [deshalb] erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei (UA S. 43 f.). Insoweit hat die Kammer jedoch verkannt, dass die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, eine Rechtsfrage ist (st. Rspr.; BGHSt 49, 45, 53 = NStZ 2004, 437, 438). Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Entscheidend sind die Anforderungen, welche die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Anforderungen sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (Senat, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01). Dass sich das Landgericht eigenständig und losgelöst vom Sachverständigen mit diesen Anforderungen und der Frage der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB befasst hätte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.“ Die Rechtsordnung darf erwarten, dass Menschen mit den hier festgestellten Störungen, ihr Verhalten so steuern, dass es nicht zu tagelangen, grausamen , letztlich tödlichen Misshandlungen eines kleinen Kindes kommt, wie hier bislang festgestellt.

IV.


Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht und die Sache an ein anderes Landgericht zurückverwiesen (vgl. Kuckein in KK, StPO 5. Aufl. § 354 Rdn. 37).
Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Graf

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.