Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2018 - 1 StR 160/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:240418B1STR160.18.0
bei uns veröffentlicht am24.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 160/18
vom
24. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes durch Unterlassen u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:240418B1STR160.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 3 auf dessen Antrag – am 24. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 7. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte im Fall B. I. der Urteilsgründe wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Mord durch Unterlassen verurteilt wurde,
b) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Mord durch Unterlassen in Tatmehrheit mit vier Fällen des Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. März 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Das Landgericht hat in Bezug auf Fall B. I. der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der Angeklagte arbeitete seit 1. Januar 2014 bei der Firma L. und führte in diesem Rahmen auch Tätigkeiten wie Schneeräumen und verschiedene Gartenarbeiten am Anwesen der späteren Geschädigten K. in O. aus. Auf Grund dieser Tätigkeiten wusste der Angeklagte, dass die 86-jährige Geschädigte allein in dem Haus wohnte, auf Grund ihres Gesundheitszustandes auf Gehhilfen angewiesen und demzufolge in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Ihm war auch bekannt, dass die Geschädigte, die seinen Arbeitgeber für durchgeführte Hausmeistertätigkeiten jeweils bar bezahlte, regelmäßig nicht unerhebliche Mengen an Bargeld zu Hause aufbewahrte.
5
Am 10. März 2016 begab sich der Angeklagte zum Wohnanwesen der Geschädigten, um sich Zugang zum Haus zu verschaffen und dieses dann nach Bargeld und Wertgegenständen zu durchsuchen. Dabei hatte sich der Angeklagte zur Tatbegehung die Kapuze seines Pullis über den Kopf gezogen, um nicht erkannt zu werden, und trug Handschuhe, um keine Spuren zu hinterlassen. Als er gegen 20.00 Uhr an der Haustüre läutete, öffnete ihm die Ge- schädigte, ohne ihn zu erkennen. Er griff die Geschädigte an und drängte sie zurück ins Haus, wodurch er diese zu Fall brachte. Die Geschädigte stürzte über einen zweistufigen Treppenabsatz und schlug sich beim Hinfallen ihren Kopf an einem Steinguttopf an, wodurch sie sich eine stark blutende Wunde in Form einer 12 cm langen Hautdurchtrennung am Hinterkopf zuzog. Entweder im Zusammenhang mit diesem ersten Angriff oder im weiteren Verlauf, als die Geschädigte bereits am Boden lag, schlug oder trat der Angeklagte dieser auch gegen den Kopf, was zu zahlreichen Hämatomen führte. Die Geschädigte verlor im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesem Geschehen im Eingangsbereich des Hauses das Bewusstsein und war über einen Zeitraum von etwa einer Stunde bewusstlos.
6
Der Angeklagte drang an der Geschädigten vorbei in das Haus ein und durchsuchte das Schlafzimmer nach Schmuck und anderen Wertgegenständen. Er nahm einige Schmuckstücke (Armbänder, Ketten und Anhänger) an sich, um sie dauerhaft für sich zu behalten bzw. zu verkaufen. Das Bargeld im Wert von 900 Euro in einer Schublade in der Küche fand der Angeklagte aber nicht.
7
Anschließend verließ der Angeklagte das Wohnanwesen, wobei er an der nach wie vor bewusstlosen und stark blutend am Boden liegenden Geschädigten vorbei ging. Er erkannte, dass diese an den Verletzungen, die sie sich im Verlauf der Auseinandersetzung zugezogen hatte bzw. infolge ihrer Bewusstlosigkeit würde versterben können, was er gleichgültig hinnahm. Er kümmerte sich nicht um sie, da er einerseits befürchtete entdeckt zu werden, andererseits um sich im Besitz seiner Beute zu halten, und verließ das Anwesen , ohne Hilfe zu verständigen. Die Geschädigte konnte später ins Wohnzimmer gelangen und den Hausnotruf betätigen.
8
Das Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte sich neben dem Raub und der gefährlichen Körperverletzung durch das Entfernen vom Tatort auch wegen versuchten Mordes durch Unterlassen strafbar gemacht hat, weil er mit bedingtem Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht handelte.

II.

9
1. Die Verurteilung des Angeklagten im Fall B. I. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil das angefochtene Urteil hinsichtlich des versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen sachlich-rechtliche Mängel aufweist. Der diesbezügliche Schuldspruch wird von den Urteilsfeststellungen nicht vollständig getragen.
10
a) Zwar ist das Landgericht nach den bisherigen Feststellungen im Ansatz rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass neben dem Raub und der gefährlichen Körperverletzung auch ein versuchter Verdeckungsmord durch Unterlassen in Betracht kommt.
11
aa) Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht gemäß § 211 Abs. 2 StGB setzt voraus, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder – im Falle des Unterlassens – die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine „andere“ Straftat zu verdecken. Dabei steht der Annahme eines solchen Verdeckungsmordes nicht bereits entgegen, dass sich – wie hier nach den bisherigen Feststellungen – schon die zu verdeckende Vortat gegen die körperliche Unversehrtheit des Opfers richtet und im unmittelbaren Anschluss in die Tötung zur Verdeckung des vorausgegangenen Geschehens übergeht (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, NJW 2003, 1060; Beschluss vom 23. Juni 2016 – 5 StR 152/16 mwN). Denn in Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln (bzw. Unterlassen) zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur in diesem Vorsatzwechsel (BGH, Urteil vom 20. Mai 2015 – 2 StR 464/14, NStZ 2015, 639). Nur inden – hier gerade nicht vorliegenden – Fallkonstellationen, bei denen der Täter von Anfang an mit – sei es auch nur bedingtem – Tötungsvorsatz handelt, fehlt es an einer zu verdeckenden Vortat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB, wenn er im Zuge der Tatausführung die Tötung zusätzlich auch deshalb herbeiführen will, um seine vorherigen Tathandlungen zu verdecken. Denn allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht als (weiteres) Tötungsmotiv macht die davor begangenen Einzelakte in diesem Fall nicht zu einer „anderen“ Tat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, NJW 2003, 1060 mwN).
12
bb) Auch Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz schließen sich nicht grundsätzlich aus. So kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2018 – 4 StR 361/17, NStZ-RR 2018, 174; Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34; Urteile vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360 und vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496; Beschlüsse vom 30. Juni 2011 – 4 StR 241/11 und vom 23. Juni 2016 – 5 StR 152/16, NStZ-RR 2016, 280; vgl. auch MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 245; SSW-StGB/ Momsen, 3. Aufl., § 211 Rn. 80), wenn nicht im Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt. Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des Täters Mittel der Verdeckung sein soll (vgl. MükoStGB/ Schneider, § 211 Rn. 246). Wenn der Täter aber annimmt, eine Aufdeckung der anderen Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung und von deren Tötungserfolg nicht eintreten, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten ) Kausalität einer möglicherweise objektiv „verdeckenden“ Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg (BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34).
13
b) Schon an einer Prüfung des beim Angeklagten vorhandenen Vorstellungsbildes fehlt es hier. Zudem ist der subjektive Tatbestand einer Unterlassenstat nur lückenhaft dargetan.
14
Der subjektive Tatbestand des Unterlassens ist nur dann gegeben, wenn der Unterlassende zu dem Zeitpunkt, zu dem er handeln sollte, die Gefahr für das Rechtsgutssubjekt sowie die Umstände kennt, die seine Garantenpflicht begründet. Hinzukommen muss für den Vorsatz aber auch die individuelle Möglichkeit des Täters, zur Abwehr der Gefahr tätig zu werden, die Erwartung oder mindestens die Erkenntnis der konkreten Möglichkeit des Erfolgseintritts sowie die Abhängigkeit des Erfolgseintritts davon, dass der Täter die ihm gebotene und mögliche Handlung nicht vornimmt (LK/Weigend, 12. Aufl. 2007, § 13 Rn. 73; MüKoStGB/Freund, 3. Aufl. 2017, § 13 Rn. 236 f.).
15
Zwar lässt sich den Feststellungen des Landgerichts aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (UA S. 5, 11, 56) noch hinreichend deutlich entnehmen, dass sich der Angeklagte bewusst war, dass die Geschädigte auf Grund der aus dem ersten Angriff erlittenen Verletzungen sterben könnte, was er gleichgültig hinnahm. Das Landgericht hat aber keine weitergehenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Unterlassungsdelikts getroffen. Insbesondere bleibt offen, welche Vorstellungen der Angeklagte zur Garantenstellung und dazu hatte, ob das Leben der Geschädigten noch durch ihm mögliche Rettungsmaßnahmen hätte gerettet werden können. Auch fehlt es hinsichtlich des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht an Feststellungen zur erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv verdeckenden Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg.
16
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, welche die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht noch rechtfertigen könnten.
17
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen des tateinheitlich verwirklichten Raubes und der gefährlichen Körperverletzung und bedingt ebenso die Aufhebung aller Feststellungen zum Fall B. I., auch derjenigen, die zum objektiven Tatgeschehen getroffen worden sind, da diese in der vorliegenden Fallkonstellation eng mit denjenigen zur subjektiven Tatseite verknüpft sind (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 – 3 StR 415/16, NStZ 2017, 342), um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen.
18
3. Die Aufhebung der Verurteilung in Bezug auf Fall B. I. der Urteilsgründe bedingt auch die Aufhebung der vom Landgericht gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe. RiBGH Prof. Dr. Graf ist in den Ruhestand getreten und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Raum Radtke Fischer Bär

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2018 - 1 StR 160/18

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Apr. 2018 - 1 StR 160/18 zitiert 4 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 152/16
vom
23. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:230616B5STR152.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. November 2015 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist, wobei die Feststellungen zum äußeren Geschehen vor, bei und nach der Tat Bestand haben,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe sowie
c) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Störung der Totenruhe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen die Verurteilung wegen Mordes gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachbeschwerde zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. Mai 2016 Folgendes ausgeführt: Die rechtliche Würdigung zum Vorliegen eines nur bedingten Tötungsvorsatzes bei gleichzeitiger Annahme von Verdeckungsabsicht kann rechtlicher Prüfung nicht standhalten. Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern lediglich bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360; Senat, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496). Das ist nach den zitierten Entscheidungen aber nur dann der Fall, wenn der Täter von der getöteten Person keine Straftataufdeckung zu befürchten hat. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspricht dem nicht. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung hierzu aufgestellte Behauptung des Schwurgerichts, der Angeklagte hätte erkannt, dass sich der Geschädigte auch durch weitere Schläge oder verbale Bedrohungen und damit anders als durch die Tötung von einer Anzeige hätte abbringen lassen (UA S. 35), vermag die Annahme einer derartigen Fallgestaltung nicht zu rechtfertigen. Dieser Gedanke ist unter anderem schon deshalb kaum nachvollziehbar, weil sich alle Beteiligten gut kannten, häufig Umgang miteinander hatten und sich deshalb der Glaube an die sichere Beseitigung der Gefahr durch eine Strafanzeige lediglich durch weitere Bedrohungen des Opfers nicht von selbst erklärt, mag der Angeklagte dem Opfer auch geistig überlegen gewesen sein (UA S. 35). Wesentlicher ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass sich die Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes mit den Feststellungen auf Seite 14 des Urteils, die auf den für glaubhaft erachteten Angaben des Angeklagten zu seiner Motivation zur Tat beruhen, nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Gleiches gilt hinsichtlich der bereits angeführten Behauptung auf Seite 35 des Urteils in Bezug auf die festgestellten Persönlichkeitsbesonderheiten des Angeklagten. Im Einzelnen: Das Schwurgericht hat die Angaben des Angeklagten zu den Beweggründen seiner Tatbegehung, die er anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung geschildert hatte, den Feststellungen (UA S. 14 unten) rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Denn diese waren durch die Aussagen der Mitangeklagten (UA S. 27/28) bestätigt worden: Danach wollte der Angeklagte mit der Tötung verhindern, dass der Geschädigte dem ehemaligen Lebensgefährten der Mitangeklagten von deren vorangegangener Körperverletzung berichten würde. Denn er befürchtete, dass jener deswegen Strafanzeige erstatten würde, wie er es bereits mehrfach getan hatte. Dieser den Angeklagten bei der Tötung leitende Wille ist mit der Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes (UA S. 33) indessen nicht kongruent, das Urteil deshalb rechtsfehlerhaft. Die behauptete Erkenntnis des Angeklagten (UA S. 35) lässt sich zudem nicht mit den Feststellungen zu den Auswirkungen seiner hirnorganischen Persönlichkeitsstörung (UA S. 18 f.) in Übereinstimmung bringen: Danach sind kognitive Wahrnehmungsschemata nur eingeschränkt vorhanden (UA S. 18). Der Angeklagte ist zudem nur eingeschränkt in der Lage, wahrscheinliche Konsequenzen seines eigenen Handelns vorauszusehen und in konfliktbeladenen Situationen Problemlösungsstrategien zu entwerfen (UA S. 19). Es ist deshalb ohne erläuternde Begründung nicht nachvollziehbar, wie der erheblich alkoholisierte Angeklagte in einer konfliktbeladenen Situation und der sich hieran sehr schnell anschließenden Spontantötung zu differenzierten Überlegungen über anderweitige Beseitigungsmöglichkeiten der Gefahr einer Strafanzeige in der Lage gewesen sein sollte. Nachvollziehbare Erklärungen hierzu lassen sich dem Urteil auch im Gesamtzusammenhang nicht entnehmen. Die festgestellten Tatumstände lassen es gleichwohl als möglich erscheinen, dass die Annahme direkten Tötungsvorsatzes in Verknüpfung mit Verdeckungsabsicht rechtsfehlerfrei festgestellt werden könnte. Denn angesichts des gezielten Wurfes des Angeklagten mit dem fast 20 kg schweren Tresor in Richtung des Kopfes des Opfers, der bei einem Treffer offensichtlich dessen Tod zur Folge haben musste, und des durch den Angeklagten geschilderten Motivationsbildes ist der Schluss auf einen direkten Tötungsvorsatz in Verbindung mit Verdeckungsabsicht auch eingedenk der Spontanität des Tatentschlusses, der Alkoholisierung des Angeklagten und seiner Persönlichkeitsbesonderheiten, die zur Annahme des § 21 StGB führten, nicht nur denktheoretisch möglich. Eine (erneute) Verurteilung wegen Verdeckungsmordes kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden. Weil die geschilderten Rechtsfehler bei den Feststellungen zum Vorsatz und zur Verdeckungsabsicht zum Wegfall der subjektiven Tatseite führen, hat dies zur Folge, dass auch die Verurteilung wegen Mordes aus Heimtücke (vorerst) entfallen muss. Insoweit erschiene es im Übrigen wünschenswert, wenn das Mordmerkmal der Heimtücke - sollte es erneut zu einer diesbezüglichen Verurteilung kommen - vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung des Angeklagten ebenfalls eingehender als bisher begründet werden würde, auch wenn es naheliegt, dass der Angeklagte trotz seiner Persönlichkeitsbesonderheiten in der Lage war, die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zu erkennen und sie zur Beseitigung der Gefahr vor Erstattung einer Strafanzeige bewusst auszunutzen (vgl. hierzu auch MüKo/Schneider, StGB, 2. Aufl., § 211 Rn. 182/183 ff.).
3
Dem tritt der Senat bei und bemerkt – auch hier in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalbundesanwalts – ergänzend, dass eine Ablehnung des Tötungsvorsatzes nach den gegebenen Umständen auch eingedenk der organischen Persönlichkeitsstörung sowie der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit entgegen der Auffassung der Revision fernliegt.
4
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes entzieht der insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafe von elf Jahren ohne Weiteres die Grundlage. Zudem waren der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregelentscheidung aufzuheben. Die Feststellungen zum äußeren Geschehen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
5
3. Die Verurteilung wegen Störung der Totenruhe weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Gleiche gilt für den insoweit getroffenen Einzelstrafausspruch.
6
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sorgfältiger zu begründen wäre, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist. Namentlich bedürften die Art der Krankheit des Angeklagten und die damit verbundenen Auswirkungen ebenso näherer Erläuterung wie dessen Vorverurteilungen wegen Gewalttaten, die das angefochtene Urteil für die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten gerade aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung ohne nähere Erläuterungen heranzieht. Insoweit kann auch die nicht hinreichend belegte Feststellung, „auto- und fremdaggressives Agieren in Überforderungssituationen sei bei dem Angeklag- ten bekannt“ (UA S. 41), den Anforderungen nicht genügen.
Sander Schneider Dölp
König Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 6 4 / 1 4
vom
20. Mai 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung,
Justizangestellte bei der Verkündung
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 2. Juli 2014 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung einer Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und angeordnet, dass vier Monate dieser Strafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt antragsgemäß zur Aufhebung und Zurückverweisung unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen. Die ebenfalls auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten ist gleichfalls erfolgreich. Auf die jeweils erhobenen Sachrügen zur Strafzumessung kommt es daher nicht an.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte die 1990 geborene, damals nicht berufstätige Angeklagte nach Trennung von ihrem Ehemann im Tatzeitraum ab Oktober 2011 allein mit den beiden Kindern Am. (geboren am 21. August 2009) und Al. (geboren am 6. Januar 2011). Die Angeklagte leidet an einer seltenen Blutbildungsstörung, die, insbesondere wenn sie nicht ausreichend medikamentös behandelt wird, unter anderem zu schubartig auftretenden Zuständen schwerer Ermüdung und Abgeschlagenheit führt. Die ihr verordneten Medikamente setzte die Angeklagte ohne Rücksprache mit dem Arzt ab. Sie litt daher oft an Abgeschlagenheit, starker Müdigkeit und Erschöpfung. Sie fühlte sich von den Aufgaben der Wohnungspflege und der Kinderbetreuung überfordert.
3
Das Kind Al. war in der 31. Schwangerschaftswoche durch Kaiserschnitt geboren worden und entwickelte sich zunächst gut. Ab Oktober 2011 begann die Angeklagte, das Kind nur noch unzureichend zu versorgen. Sie nahm Vorsorgeuntersuchungen nicht mehr wahr und fütterte das Kind nur unzureichend , so dass es bereits zu Weihnachten 2011 Familienmitgliedern kränklich und abgemagert erschien. Dies erklärte die Angeklagte mit einer angeblich soeben durchgestandenen Infektion.
4
Ab Januar 2012 versorgte die Angeklagte das Kind in zunehmendem Maß nur noch unzureichend. Sie gab ihm keine feste Nahrung mehr, obwohl sich solche in ausreichender Menge in der Wohnung befand. Vielmehr fütterte sie nur noch Säuglingsmilch, allerdings in vollkommen unzureichender Menge, so dass das Kind von etwa 6.000 bis 7.000 Gramm zur Jahreswende 2011/2012 bis auf 3.600 Gramm am 16. Februar 2012 abmagerte.
5
Auch im Übrigen unterließ die Angeklagte die erforderliche Pflege des Kindes. Sie erkannte, dass sein Allgemeinzustand sich zusehend verschlechterte , unterließ aber jede konkrete Maßnahme, um familiäre oder die Hilfe des Jugendamts in Anspruch zu nehmen. Dies tat sie, um nach außen den Anschein der Lebenstüchtigkeit aufrechtzuerhalten und die beiden Kinder nicht zu verlieren.
6
Eine Familienhelferin sah das Kind Al. zuletzt am 23. Januar 2012. Sie drängte die Angeklagte, das "wie ein Neugeborenes" aussehende Kind untersuchen und behandeln zu lassen. Von ihr vereinbarte Termine nahm die Angeklagte nicht wahr und entschuldigte dies unter Vortäuschen unzutreffender Verpflichtungen. Auch ihrer Familie zeigte sie das Kind nicht mehr, das sich ab Anfang Februar 2012 fast ausschließlich im abgedunkelten Kinderzimmer aufhielt. Da sie bei dem gelegentlichen Füttern die Flasche nicht halten wollte, baute sie eine Halterung, in die sie die Milchflasche für das Kind bereitlegte.
7
In den Tagen vor dem 16. Februar 2012 erkannte die Angeklagte die Möglichkeit, dass das Kind sterben könne. Sie fand sich mit dieser Möglichkeit ab und unternahm weiterhin nichts zur Rettung, obgleich sie dazu körperlich und geistig ohne Weiteres in der Lage war. Ihr Ziel war es, weiterhin nach außen den Eindruck aufrechtzuerhalten, mit ihrem Leben allein zurechtzukommen.
8
Am 16. Februar 2012 befand sich das Kind in einem akut lebensbedrohlichen Zustand. Als die Familienhelferin E. die Angeklagte und das Kind zu einer ärztlichen Untersuchung abholen wollte, öffnete die Angeklagte die Tür nicht, sondern schrieb der Zeugin eine SMS mit der unzutreffenden Nachricht, sie sei mit beiden Kindern überraschend verreist.
9
Die Familienhelferin verständigte das Jugendamt, da sie eine Gefährdung des Kindeswohls befürchtete. Am Nachmittag des 16. Februar begaben sich drei Mitarbeiter des Jugendamts zur Wohnung der Angeklagten. Diese ließ sie erst ein, als sie mit dem Einsatz der Polizei drohten. Erst auf Nachfragen offenbarte sie, dass das Kind Al. sich im Kinderzimmer befinde. Das Kind befand sich in einem akut lebensbedrohlichen Zustand und musste sofort intensivmedizinisch versorgt werden. Es war mit getrocknetem Kot und Urin verunreinigt und hatte eine ausgeprägte Dermatitis. In der unaufgeräumten und schmutzigen Wohnung der Angeklagten fanden sich zahlreiche Kindernahrungsprodukte. Das Kind Al. wurde gerettet und hat inzwischen einen altersgerechten Entwicklungsstand erreicht. Es lebt mit der älteren Tochter der Angeklagten bei den Eltern des Vaters.
10
Die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten war im Tatzeitraum nicht beeinträchtigt.
11
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer böswilligen Vernachlässigung im Sinne von § 225 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 StGB als gegeben angesehen und dies auf die eigensüchtige Motivation der Angeklagten gestützt, nach außen als untadelig und lebenstüchtig zu erscheinen. Tateinheitlich hierzu hat das Landgericht die Voraussetzungen eines versuchten Totschlags durch Unterlassen angenommen.
12
Die Voraussetzungen eines Mordmerkmals hat das Landgericht verneint: Für das Merkmal der Grausamkeit fehle es an dem erforderlichen subjektiven Element. Der Versuch eines Verdeckungsmordes liege nicht vor, weil zwischen der vorangegangenen Tat nach § 225 StGB und dem Tötungsdelikt keine Zäsur eingetreten sei und weil die Angeklagte beim Tod des Kindes die vorangehende Misshandlung erst recht nicht hätte verdecken können.

II.

13
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Annahme eines Mordmerkmals wendet. Auf die weiteren Einwendungen gegen die Strafzumessung kommt es daher nicht an.
14
1. Zutreffend hat das Landgericht allerdings das Vorliegen von Grausamkeit verneint. Dem steht die Annahme nicht entgegen, dass die Angeklagte "böswillig" im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB gehandelt hat, denn die Böswilligkeit hat sie zutreffend auf das bei der Angeklagten vorliegende Motiv eigensüchtiger eigener Vorteile gestützt. Das Merkmal der Grausamkeit im Sinn von § 211 Abs. 2 StGB bezieht sich daher gerade auf die tatbestandliche Tötung eines anderen Menschen. Beide Begriffe können sich im Einzelfall überschneiden , sind aber nach unterschiedlichen Kriterien zu prüfen.
15
2. Dagegen hält die Ablehnung des Merkmals der Verdeckungsabsicht der Überprüfung nicht stand. Dass eine solche Absicht auch bei nur bedingtem Tötungsvorsatz gegeben sein kann, ist in der Rechtsprechung anerkannt; eine Ausnahme gilt nur dann, wenn nach der Vorstellung des Täters allein der sichere Tod des Opfers die Verdeckung der vorangegangenen Tat verhindern würde.
16
Soweit das Landgericht eine "Zäsur" und damit die Voraussetzungen einer "anderen" Tat im Sinn des § 211 Abs. 2 StGB verneint hat, weist die Revision der Staatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass die vom Landgericht gegebene Begründung für eine andere Konstellation gilt, nämlich für einen Handlungsablauf , in dem von vornherein Tötungsvorsatz vorliegt. So ist es vorliegend aber nicht. In Fällen, in denen ein äußerlich ununterbrochenes Handeln (bzw. Unterlassen) zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz beginnt und dann mit Tötungsvorsatz weitergeführt wird, liegt die erforderliche Zäsur in diesem Vorsatzwechsel selbst.
17
Anders als der Generalbundesanwalt meint, konnte die Verdeckungsabsicht hier nicht schon mit der Überlegung ausgeschlossen werden, dass bei Verwirklichung des Todeseintritts eine Verdeckung "erst Recht" ausgeschlossen gewesen sei. Dies ist im Zusammenhang mit der Erwägung zu sehen, dass "handlungsleitend" für die Angeklagte nicht die Verdeckung, sondern ihre Selbstdarstellung nach außen gewesen sei. Beide Motive lassen sich in Fällen wie dem vorliegenden aber nicht trennen: Die Selbstdarstellung der Angeklagten als "lebenstüchtig" war ohne eine Verdeckung des Umstands, dass sie durch böswillige Misshandlung ihrer Tochter das Gegenteil unter Beweis gestellt hatte, nicht möglich. Soweit das Landgericht auf eine (fiktive) rationale Überlegung der Angeklagten über die weiteren Folgen abgestellt hat (UA S. 41), hat es nicht berücksichtigt, dass schon die Tat nach § 225 StGB und der festgestellte bedingte Tötungsvorsatz nach dem 9. Februar 2012 dagegen sprechen, dass die Angeklagte langfristig rational plante.
18
Auch die - im Zusammenhang mit dem Merkmal der Grausamkeit - ausgeführte Erwägung, es habe, um nach außen den Schein aufrecht zu erhalten, dass die Angeklagte die Kinder gut versorge, nicht des Todes "als notwendiges Zwischenziel" bedurft (UA S. 39), trifft insoweit den Kern der Sache nicht; ebenso wenig die Erwägung, dass der Angeklagten der Tod ihrer Tochter "keineswegs recht", sondern dass ihr "die Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung" lieber gewesen sei (ebd.). Diese Feststellung hätte das Landgericht gegebenenfalls bei der Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz berücksichtigen müssen. Wenn es aber das billigende Inkaufnehmen des Todes festgestellt hatte, kann weder der Verdeckungsabsicht - noch gar, wie hier, der Grau- samkeit - entgegengehalten werden, der Angeklagten sei der Tod "nicht recht" gewesen.
19
3. Überdies begegnet es auch durchgreifenden Bedenken, dass das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erörtert hat. Zutreffend hat die Revision vorgetragen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Taten gegen konstitutionell arglose Kleinstkinder - wie es hier gegeben war - nicht auf die Arglosigkeit des Kindes, sondern auf die einer zur Hilfe bereiten Person ankommt. Dies war vorliegend die Familienhelferin E. . Schon dies hat das Landgericht nicht gesehen.
20
Der Generalbundesanwalt hat - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht Frankfurt - die fehlende Erörterung von Heimtücke deshalb als im Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft angesehen, weil die rettungsbereite Person am 16. Februar 2012, als sie an der Tür der Angeklagten klingelte, nicht arglos, sondern im Gegenteil gerade in Sorge um das körperliche Wohl des geschädigten Kindes gewesen sei. Soweit auch die Erörterung eines diesbezüglichen Irrtums der Angeklagten im Urteil fehle, enthalte das Urteil keine dies nahelegenden Feststellungen.
21
Diese Begründung trägt das Fehlen jeglicher Erörterungen zum Heimtückemerkmal nicht. Sie übersieht zunächst, dass die Angeklagte bereits am 9. Februar, als die Zeugin E. gemeinsam mit der Jugendamtsmitarbeiterin S. die Angeklagte aufsuchte, eine Inaugenscheinnahme des geschädigten Kindes Al. durch täuschende Angaben verhinderte (UA S. 9), obgleich sie "möglicherweise" schon zu diesem Zeitpunkt Tötungsvorsatz hatte (UA S. 10). Jedenfalls fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Angeklagte am 16. Februar, als sie beim ersten Besuch der Zeugin E. vortäuschte, nicht zuhause zu sein, annahm, die Zeugin sei nicht mehr arglos im Hinblick auf eine unmittelbar drohende gravierende Gesundheitsbeeinträchtigung des Kindes. Dem könnte der Umstand widersprechen, dass die Angeklagte die Zeugin alsbald danach erneut zu täuschen versuchte, indem sie wahrheitswidrig eine angebliche Urlaubsabwesenheit (am unbekannten Ort) mitteilte.
22
Zur Aufhebung führt hier, dass das Landgericht das Problem ersichtlich gar nicht gesehen und daher auch keine hinreichenden Feststellungen zum subjektiven Vorstellungsbild der Angeklagten getroffen hat.

III.

23
Auch die Revision der Angeklagten ist mit der Sachrüge begründet.
24
1. Keinen Bedenken begegnet die Annahme von Böswilligkeit im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Das Landgericht hat sich ausführlich mit der Motivlage der Angeklagten auseinandergesetzt und - insoweit frei von Widersprüchen - als verhaltensleitend deren Bemühen angesehen, nach außen als lebenstüchtig zu erscheinen und ihre Unfähigkeit zu Alltagsbewältigung nicht offenbaren zu müssen. Dass das Landgericht dies als "eigensüchtig" und damit böswillig angesehen hat, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Diese ergeben sich auch nicht aus den Feststellungen zum Krankheitsbild der Angeklagten. Dieses war nämlich keineswegs durch eine umfassende Unfähigkeit gekennzeichnet, sich nach außen entsprechend dem gewünschten Selbst- und Fremdbild darzustellen. Die Angeklagte pflegte auch während der Tatzeit einen regen Austausch mit - unbekannten - Dritten über Telefon und soziale Netzwerke und begab sich - unter Zurücklassung des geschädigten Kindes - auch länger außer Haus, um soziale und familiäre Kontakte zu pflegen. Wenn sie - bei uneingeschränkter Einsichts- und Steuerungsfähigkeit - diesen Aktivitäten aus dem festgestellten Motiv vor der Versorgung ihrer Kinder gab, so erfüllt dies den Begriff der Böswilligkeit.
25
2. Jedoch hält die Annahme von Tötungsvorsatz rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat im Zusammenhang mit der Erörterung des Mordmerkmals der Grausamkeit ausgeführt, der Tod des Kindes sei der Angeklagten "keinesfalls recht" gewesen; vielmehr seien ihr "das Weiterleben und die Wiederherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung des Kindes lieber gewesen" (UA S. 39). Sie habe ihre Kinder geliebt und keinesfalls verlieren wollen.
26
Diese Ausführungen sind mit der Annahme bedingten Tötungsvorsatzes auf der Grundlage der landgerichtlichen Beweiswürdigung nicht vereinbar. Dort ist ausgeführt, es seien "keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Angeklagte darauf vertraut haben könnte, dass der Tod nicht eintreten werde" (UA S. 38).
27
Wenn die erstgenannte Feststellung zutrifft, lag hierin offenkundig ein "Anhaltspunkt" im Sinn der letztgenannten Würdigung. Der Senat kann die Unklarheit , welche dem landgerichtlichen Urteil im Hinblick auf die Feststellung subjektiver Gegebenheiten zugrunde liegt, nicht selbst auflösen. Dies ist vielmehr einer Beweiserhebung durch einen neuen Tatrichter vorbehalten.

IV.

28
Die Feststellungen zu den äußeren Abläufen können aufrecht erhalten bleiben, da sie von den Rechtsfehlern nicht betroffen sind. Ergänzende neue Feststellungen bleiben möglich. Fischer Krehl Eschelbach RiBGH Zeng ist wegen Bartel Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Fischer

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 361/17
vom
15. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen
ECLI:DE:BGH:2018:150218U4STR361.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Quentin, Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwältin – bei der Verkündung – als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. März 2017 – auch soweit das Rechtsmittel zu Gunsten des Angeklagten wirkt – mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen zu einer Freiheitstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Es hat ferner Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB getroffen. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag der Nebenklägerin hat es abgesehen.
2
Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügt die Nebenklägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes und wendet sich insbesondere gegen die Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht. Ihr Rechtsmittel hat Erfolg, führt aber auch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, soweit es gemäß § 301 StPO zu Gunsten des Angeklagten wirkt.

A.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

I.


4
1. Während einer Familienfeier wurde der Angeklagte von der Nebenklägerin , der damaligen Freundin seines Bruders, in den frühen Morgenstunden des 19. Juli 2015 gebeten, mit ihr eine Fahrt mit seinem, des Angeklagten, Motorrad zu unternehmen. Der Angeklagte, der zwischen 17.30 und 00.30 Uhr vier bis fünf Flaschen Bier getrunken hatte und zudem sehr müde war, weigerte sich zunächst unter Hinweis auf seine Alkoholisierung, der Bitte der Nebenklägerin nachzukommen. Schließlich gelang es ihr, den Angeklagten doch noch zu überreden. Beide brachen daraufhin zu einer Fahrt in die nähere Umgebung auf, die Nebenklägerin saß auf dem Soziussitz. Motorradhelme und Schutzkleidung trugen beide nicht. Etwa um 03.15 Uhr kippte das Motorrad aus ungeklärter Ursache in Höhe des Friedhofs in M. auf die Straße. Durch den Sturz erlitt die Nebenklägerin lebensbedrohliche Kopfverletzungen und der Angeklagte u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades; er verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, kroch er zu der reglos auf dem Bauch liegenden Nebenklägerin. Er sah ihre stark blutende Kopfwunde und nahm – zutreffend – an, sie habe das Bewusstsein verloren. Er dachte daran, sie in die stabile Seitenlage zu bringen, nahm davon jedoch Abstand, weil er nicht wusste, wie er dies hätte bewerkstelligen müssen. Stattdessen versuchte er, das Smartphone der Nebenklägerin zu betätigen und legte es, nachdem ihm auch dies nicht gelungen war, neben dem Tatopfer auf dem Boden ab. Sodann hob er sein Motorrad auf, brachte es in Gang und fuhr nach Hause. Gegen 04.45 Uhr wurde die Nebenklägerin von anderen Verkehrsteilnehmern in nicht ansprechbarem und unterkühltem Zustand am Unfallort gefunden.
5
Die Nebenklägerin ist infolge der erlittenen Hirnblutung u.a. linksseitig gelähmt. Eine vollständige Wiederherstellung ihrer Gesundheit ist ausgeschlossen. An das Unfallgeschehen erinnert sie sich nicht.
6
2. Beim Verlassen des Unfallortes war dem Angeklagten bewusst, dass die Nebenklägerin auf Grund ihrer schweren Verletzungen dringend auf Hilfe angewiesen war und ohne umgehende medizinische Versorgung sterben könnte. Er wusste ferner, dass es wegen der Tageszeit und der Lage des Unfallortes dem Zufall überlassen blieb, ob der leblos auf dem Fußweg liegenden Nebenklägerin geholfen werden würde. Durch das Wegfahren von der Unfallstelle „wollte der Angeklagte seine Teilnahme an der vorausgegangenen Trunken- heitsfahrt bewusst verschleiern“. Er habe „den Tod der Nebenklägerin deswegen billigend in Kauf genommen, um die Beteiligung an dem Unfall zu verde- cken“.Zu Hause angekommen überlegte er erneut, ob er durch einen Anruf medizinische Hilfe für die Nebenklägerin herbeiholen sollte, entschied sich jedoch dagegen und legte sich ins Bett.
7
Infolge seiner Alkoholisierung – seine Blutalkoholkonzentration um 8.05 Uhr betrug 0,52 Promille – im Zusammenwirken mit dem Schädel-HirnTrauma befand sich der Angeklagte im Tatzeitpunkt bei fortbestehender Unrechtseinsichtsfähigkeit im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit.

II.


8
Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe sich wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen (in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort) schuldig gemacht. Als Garant aus vorangegangenem Tun habe er dafür einstehen müssen, dass die Nebenklägerin nicht infolge mangelnder medizinischer Versorgung zu Tode kommen würde. Der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes hat das Landgericht abgelehnt.

B.


9
Das angefochtene Urteil enthält hinsichtlich des versuchten Tötungsdelikts zur subjektiven Tatseite sachlich-rechtliche Mängel, die sich sowohl zum Vorteil als auch – was gemäß § 301 StPO auf die Revision der Nebenklägerin ebenfalls zu prüfen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206 mwN) – zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben können. Es unterliegt auf die zulässige Revision der Nebenklägerin insgesamt der Aufhebung.

I.


10
1. Die Erwägungen des Landgerichts zur Ablehnung eines versuchten Verdeckungsmordes sind in mehrfacher Hinsicht durchgreifend rechtsfehlerhaft:
11
a) Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz einander nicht grundsätzlich ausschließen, sondern auch zusammen bestehen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34; Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360). Dies kann der Fall sein, wenn die maßgebliche Handlung vom Täter vorgenommen oder eine gebotene Handlung von ihm unterlassen wird, um eine vorangegangene Straftat zu verdecken, dieser Erfolg nach seinem Vorstellungsbild aber auch ohne den Eintritt des für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen Todeserfolges bewirkt wird, der bedingt vorsätzlich herbeigeführte Tod des Opfers mithin keine verdeckungsspezifische Funktion aufweist. So ist Verdeckungsab- sicht etwa anzunehmen, wenn der Täter durch Vornahme seiner Verdeckungshandlung vorsätzlich eine Person zu Tode bringt, von der ihm – wie erweiß – überhaupt keine Entdeckung droht (vgl. BGH, Urteile vom 23. November1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360; und vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496; Beschlüsse vom 4. August 2010 – 2 StR 239/10, NStZ 2011, 34; vom 30. Juni 2011 – 4 StR 241/11; und vom 23. Juni 2016 – 5 StR 152/16, NStZ-RR 2016, 280; vgl. auch MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 245; SSW-StGB/Momsen, 3. Aufl., § 211 Rn. 80). Geht der Täter dagegen davon aus, dass nur der Tod des Opfers zur Vortatverdeckung führt, können Verdeckungsabsicht und lediglich bedingter Tötungsvorsatz nicht nebeneinander angenommen werden. Hiervon wird in der Regel auszugehen sein, wenn das Opfer den Täter kennt und er deshalb befürchtet, durch dessen Angaben überführt zu werden, falls es überlebt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1988 – 3 StR 89/88, NJW 1988, 2682).
12
b) Mit Rücksicht auf diesen Zusammenhang weist das Urteil aber bereits deshalb einen durchgreifenden Rechtsfehler auf, weil das Landgericht nicht widerspruchsfrei dargelegt hat, welchen Vorsatz der Angeklagte in Bezug auf den Tod der erkannt schwer verletzten Nebenklägerin hatte, als er die Unfallstelle verließ, ohne die rechtlich gebotene Hilfe herbeizurufen. So hat das Landgericht einerseits festgestellt, der Angeklagte habe den Tod der Nebenklägerin (nur) billigend in Kauf genommen, und begründet dies mit der Erwägung, ihm sei der Tod der Nebenklägerin gleichgültig gewesen, um nicht als Verursacher eines Unfalls unter Alkoholeinfluss entdeckt zu werden. Andererseits hat es im Rahmen der rechtlichen Würdigung darauf verwiesen, der Angeklagte sei davon ausgegangen, dass „seine Trunkenheitsfahrt allenfalls beim Tod, nicht aber bei einer Rettung der Nebenklägerin hätte verdeckt werden können“. Letzteres deu- tet indes auf direkten Tötungsvorsatz hin mit der Folge, dass auch die Annahme einer Verdeckungsabsicht nahegelegen hätte. Mit der Abgrenzung der Vorsatzformen hätte sich das Landgericht deshalb auseinandersetzen und den bestehenden Widerspruch auflösen müssen.
13
c) Aber selbst wenn das Landgericht die Annahme eines lediglich bedingten Tötungsvorsatzes rechtsfehlerfrei begründet hätte, hielte die Verneinung einer Verdeckungsabsicht rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden Bedenken, weil wesentliche Umstände im Hinblick auf das Vorstellungsbild des Angeklagten bei Verlassen des Unfallortes unerörtert bleiben.
14
Die Annahme des Landgerichts, dass die Trunkenheitsfahrt, ihre Strafbarkeit unterstellt, nach der Vorstellung des Angeklagten nur durch den Tod der Nebenklägerin hätte verdeckt werden können und deshalb mit einem nur bedingten Tötungsvorsatz unvereinbar sei, greift auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe zu kurz. Zwar waren die Nebenklägerin und der Angeklagte miteinander gut bekannt. Dass die Vorstellung des Angeklagten deshalb dahin ging, die Nebenklägerin werde ihn im Fall ihres Überlebens als Unfallverursacher benennen, ergibt sich hieraus unter den hier gegebenen Umständen aber noch nicht. Zum einen war die Nebenklägerin – wieauch der Angeklagte wahrgenommen hatte – schwer verletzt, sodass es nicht fern lag, dass sie – wie tatsächlich geschehen – außerstande sein würde, den Angeklagten zu überführen. Zum anderen lag es mit Rücksicht auf die persönliche Verbundenheit des Angeklagten mit der Nebenklägerin (Freundin seines Bruders) und ihrer Mitverantwortung für die Unfallfahrt (Überredung des Angeklagten, die zunächst von ihm abgelehnte Fahrt durchzuführen) nicht fern, dass sie ihn nicht einer Straftat belasten würde. Bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht wären auch dann miteinander vereinbar, wenn die Ver- deckungshandlung – die Flucht vom Tatort – nach der Vorstellung des Angeklagten nicht der Verschleierung seiner Unfallbeteiligung, sondern allein dazu dienen sollte, Zeit zu gewinnen, um den Nachweis einer für den Unfall strafrechtlich relevanten Trunkenheit oder einer Trunkenheitsfahrt zu verdecken.
15
d) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler zur Annahme eines direkten Tötungsvorsatzes oder einer mit dem bedingten Vorsatz vereinbaren Verdeckungsabsicht und damit zu einer Verurteilung wegen versuchten Mordes durch Unterlassen gekommen wäre.
16
2. Der Senat weist jedoch – den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift folgend – darauf hin, dass das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht voraussetzt, dass der Täter die Tötungshandlung vornimmt oder die ihm zur Abwendung des Todeseintritts gebotene Handlung unterlässt, um dadurch eine andere Straftat zu verdecken (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15). Nachvollziehbare Feststellungen zur Verdeckung einer Trunkenheitsfahrt , wovon das Landgericht auszugehen scheint, oder jedenfalls der Vorstellung des Angeklagten vom Vorliegen einer solchen Straftat (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 1978 – 4 StR 397/78, BGHSt 28, 93, 95) hat das Landgericht nicht getroffen. Das Vorliegen oder die Vorstellung lediglich einer Ordnungswidrigkeit würde für die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht nicht ausreichen (BGH, Urteil vom 3. August 1978 aaO; Beschluss vom 2. Juli 2004 – 2 StR 174/04, NStZ-RR 2004, 333 [Ls]).

II.


17
Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, weist auch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO).
18
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17, Tz. 18; jeweils mwN). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, Urteil vom 22. März 2012 aaO; ebenso Urteile vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64; und vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80 mwN). Diese individuelle Gesamtschau sämtlicher objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.). Sie ist lückenhaft, wenn der Tatrichter sich mit wesentlichen, den Angeklagten be- oder entlastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (BGH, Urteil vom 14. Januar 2016 aaO).
19
2. Eine solche Gesamtschau hat die Strafkammer nicht in der gebotenen Vollständigkeit vorgenommen.
20
Das Landgericht verweist in seinen Rechtsausführungen zur subjektiven Tatseite auf die fehlende Anwesenheit Dritter am Unfallort, auf die frühe Morgenstunde und die wenig frequentierte Straße. Der Angeklagte habe zudem die stark blutende Kopfverletzung der Nebenklägerin wahrgenommen und das Tatopfer zutreffend für bewusstlos gehalten. Diesen Umständen kommt zwar grundsätzlich Bedeutung für die im Urteil vorgenommene Wertung zu, der Angeklagte habe die Notwendigkeit sofortiger medizinischer Hilfe für die Nebenklägerin erkannt, auf (externe) Hilfe nicht ernsthaft vertrauen können und deshalb bedingt vorsätzlich gehandelt. Die Strafkammer hat aber weitere, den Angeklagten insoweit möglicherweise entlastende Umstände, deren Berücksichtigung sich nach den getroffenen Feststellungen aufdrängte, nicht in den Blick genommen. Ausweislich der Urteilsgründe ist sie der eigenen Einlassung des Angeklagten „zum größten Teil“ gefolgt. Danach hat sie ihren Feststellungen insbesondere zugrunde gelegt, der Angeklagte habe nach Wiedererlangung seines Bewusstseins daran gedacht, die Nebenklägerin in die stabile Seitenlage zu bringen, davon aber mangels entsprechender Kenntnisse Abstand genommen. Ob und gegebenenfalls welche Schlüsse daraus hinsichtlich der subjektiven Tatseite, hier insbesondere hinsichtlich des voluntativen Elements des bedingten Vorsatzes zu ziehen waren, bleibt jedoch gänzlich unerörtert. Entsprechendes gilt für die Feststellung, der Angeklagte habe vergeblich versucht, das Smartphone der Nebenklägerin zu bedienen und habe es sodann neben der am Boden Liegenden abgelegt, bevor er sich entfernte. Auch die vom Landgericht angenommene erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung im Zusammenwirken mit dem erlittenen SchädelHirn -Trauma wäre als vorsatzkritischer Umstand in die Gesamtabwägung einzubeziehen gewesen.
21
Auf diesen den Angeklagten beschwerenden Erörterungsmängeln in der Beweiswürdigung kann das Urteil beruhen. Die Sache bedarf daher auch insoweit (§ 301 StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen die Aufhebung der getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Quentin Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 241/11
vom
30. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 30. Juni 2011 gemäß
§ 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 3. Dezember 2010 werden als unzulässig verworfen. 2. Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und Fahren ohne Fahrerlaubnis , wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
2
Die Revisionen der Nebenkläger, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen, sind unzulässig im Sinne des § 349 Abs. 1 StPO.
3
1. Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der Aussage des Zeugen A. (§ 244 Abs. 2 StPO) ist nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
4
Ob sich dies, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, schon daraus ergibt, dass ein Nebenkläger nach § 400 Abs. 1 StPO nicht befugt ist, eine Verurteilung wegen Vollendung (des Nebenklagedelikts ) statt wegen Versuchs zu erstreben (so Riegner NStZ 1990, 13; a.A. Meyer -Goßner StPO, 54. Aufl., § 400 Rn. 3b; Löwe-Rosenberg/Hilger StPO, 26. Aufl., § 400 Rn. 12), kann dahinstehen. Jedenfalls würde die Prüfung dieser Rüge durch den Senat eine im Revisionsverfahren regelmäßig nicht mögliche Rekonstruktion der Beweisaufnahme voraussetzen.
5
2. Der Zulässigkeit des Revisionsvortrags im Übrigen steht § 400 Abs. 1 StPO entgegen.
6
Der Nebenkläger kann ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 1987 – 3 StR 424/87, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 1). Der Angeklagte ist wegen einer Tat verurteilt worden, aus der sich die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger ergibt (§ 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO). Die Revisionen machen nicht geltend, dass eine Rechtsnorm, deren Verletzung zum Anschluss berechtigen würde, nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Sie richten sich vielmehr allein gegen die verhängte Strafe. Dies gilt für das in eine weitere Aufklärungsrüge gekleidete Vorbringen, die Höhe der erkannten Strafe sei zu gering, weil das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem Mitverschulden des Tatopfers ausgegangen sei, ebenso wie für die Sachrüge, mit der die gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommene Strafrahmenmilderung beanstandet und weitere Rechtsfehler bei der Strafzumessung (§ 46 StGB) geltend gemacht werden. Ernemann Roggenbuck Franke Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 152/16
vom
23. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:230616B5STR152.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juni 2016 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. November 2015 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Mordes verurteilt worden ist, wobei die Feststellungen zum äußeren Geschehen vor, bei und nach der Tat Bestand haben,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe sowie
c) im Maßregelausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und wegen Störung der Totenruhe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen die Verurteilung wegen Mordes gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachbeschwerde zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 9. Mai 2016 Folgendes ausgeführt: Die rechtliche Würdigung zum Vorliegen eines nur bedingten Tötungsvorsatzes bei gleichzeitiger Annahme von Verdeckungsabsicht kann rechtlicher Prüfung nicht standhalten. Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern lediglich bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1995 – 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 360; Senat, Urteil vom 30. März 2004 – 5 StR 428/03, NStZ 2004, 495, 496). Das ist nach den zitierten Entscheidungen aber nur dann der Fall, wenn der Täter von der getöteten Person keine Straftataufdeckung zu befürchten hat. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspricht dem nicht. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung hierzu aufgestellte Behauptung des Schwurgerichts, der Angeklagte hätte erkannt, dass sich der Geschädigte auch durch weitere Schläge oder verbale Bedrohungen und damit anders als durch die Tötung von einer Anzeige hätte abbringen lassen (UA S. 35), vermag die Annahme einer derartigen Fallgestaltung nicht zu rechtfertigen. Dieser Gedanke ist unter anderem schon deshalb kaum nachvollziehbar, weil sich alle Beteiligten gut kannten, häufig Umgang miteinander hatten und sich deshalb der Glaube an die sichere Beseitigung der Gefahr durch eine Strafanzeige lediglich durch weitere Bedrohungen des Opfers nicht von selbst erklärt, mag der Angeklagte dem Opfer auch geistig überlegen gewesen sein (UA S. 35). Wesentlicher ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass sich die Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes mit den Feststellungen auf Seite 14 des Urteils, die auf den für glaubhaft erachteten Angaben des Angeklagten zu seiner Motivation zur Tat beruhen, nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Gleiches gilt hinsichtlich der bereits angeführten Behauptung auf Seite 35 des Urteils in Bezug auf die festgestellten Persönlichkeitsbesonderheiten des Angeklagten. Im Einzelnen: Das Schwurgericht hat die Angaben des Angeklagten zu den Beweggründen seiner Tatbegehung, die er anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung geschildert hatte, den Feststellungen (UA S. 14 unten) rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt. Denn diese waren durch die Aussagen der Mitangeklagten (UA S. 27/28) bestätigt worden: Danach wollte der Angeklagte mit der Tötung verhindern, dass der Geschädigte dem ehemaligen Lebensgefährten der Mitangeklagten von deren vorangegangener Körperverletzung berichten würde. Denn er befürchtete, dass jener deswegen Strafanzeige erstatten würde, wie er es bereits mehrfach getan hatte. Dieser den Angeklagten bei der Tötung leitende Wille ist mit der Annahme nur bedingten Tötungsvorsatzes (UA S. 33) indessen nicht kongruent, das Urteil deshalb rechtsfehlerhaft. Die behauptete Erkenntnis des Angeklagten (UA S. 35) lässt sich zudem nicht mit den Feststellungen zu den Auswirkungen seiner hirnorganischen Persönlichkeitsstörung (UA S. 18 f.) in Übereinstimmung bringen: Danach sind kognitive Wahrnehmungsschemata nur eingeschränkt vorhanden (UA S. 18). Der Angeklagte ist zudem nur eingeschränkt in der Lage, wahrscheinliche Konsequenzen seines eigenen Handelns vorauszusehen und in konfliktbeladenen Situationen Problemlösungsstrategien zu entwerfen (UA S. 19). Es ist deshalb ohne erläuternde Begründung nicht nachvollziehbar, wie der erheblich alkoholisierte Angeklagte in einer konfliktbeladenen Situation und der sich hieran sehr schnell anschließenden Spontantötung zu differenzierten Überlegungen über anderweitige Beseitigungsmöglichkeiten der Gefahr einer Strafanzeige in der Lage gewesen sein sollte. Nachvollziehbare Erklärungen hierzu lassen sich dem Urteil auch im Gesamtzusammenhang nicht entnehmen. Die festgestellten Tatumstände lassen es gleichwohl als möglich erscheinen, dass die Annahme direkten Tötungsvorsatzes in Verknüpfung mit Verdeckungsabsicht rechtsfehlerfrei festgestellt werden könnte. Denn angesichts des gezielten Wurfes des Angeklagten mit dem fast 20 kg schweren Tresor in Richtung des Kopfes des Opfers, der bei einem Treffer offensichtlich dessen Tod zur Folge haben musste, und des durch den Angeklagten geschilderten Motivationsbildes ist der Schluss auf einen direkten Tötungsvorsatz in Verbindung mit Verdeckungsabsicht auch eingedenk der Spontanität des Tatentschlusses, der Alkoholisierung des Angeklagten und seiner Persönlichkeitsbesonderheiten, die zur Annahme des § 21 StGB führten, nicht nur denktheoretisch möglich. Eine (erneute) Verurteilung wegen Verdeckungsmordes kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden. Weil die geschilderten Rechtsfehler bei den Feststellungen zum Vorsatz und zur Verdeckungsabsicht zum Wegfall der subjektiven Tatseite führen, hat dies zur Folge, dass auch die Verurteilung wegen Mordes aus Heimtücke (vorerst) entfallen muss. Insoweit erschiene es im Übrigen wünschenswert, wenn das Mordmerkmal der Heimtücke - sollte es erneut zu einer diesbezüglichen Verurteilung kommen - vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung des Angeklagten ebenfalls eingehender als bisher begründet werden würde, auch wenn es naheliegt, dass der Angeklagte trotz seiner Persönlichkeitsbesonderheiten in der Lage war, die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zu erkennen und sie zur Beseitigung der Gefahr vor Erstattung einer Strafanzeige bewusst auszunutzen (vgl. hierzu auch MüKo/Schneider, StGB, 2. Aufl., § 211 Rn. 182/183 ff.).
3
Dem tritt der Senat bei und bemerkt – auch hier in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalbundesanwalts – ergänzend, dass eine Ablehnung des Tötungsvorsatzes nach den gegebenen Umständen auch eingedenk der organischen Persönlichkeitsstörung sowie der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit entgegen der Auffassung der Revision fernliegt.
4
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes entzieht der insoweit verhängten Einzelfreiheitsstrafe von elf Jahren ohne Weiteres die Grundlage. Zudem waren der Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und die Maßregelentscheidung aufzuheben. Die Feststellungen zum äußeren Geschehen sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
5
3. Die Verurteilung wegen Störung der Totenruhe weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Gleiche gilt für den insoweit getroffenen Einzelstrafausspruch.
6
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegebenenfalls die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sorgfältiger zu begründen wäre, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist. Namentlich bedürften die Art der Krankheit des Angeklagten und die damit verbundenen Auswirkungen ebenso näherer Erläuterung wie dessen Vorverurteilungen wegen Gewalttaten, die das angefochtene Urteil für die Annahme der Gefährlichkeit des Angeklagten gerade aufgrund der organischen Persönlichkeitsstörung ohne nähere Erläuterungen heranzieht. Insoweit kann auch die nicht hinreichend belegte Feststellung, „auto- und fremdaggressives Agieren in Überforderungssituationen sei bei dem Angeklag- ten bekannt“ (UA S. 41), den Anforderungen nicht genügen.
Sander Schneider Dölp
König Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 415/16
vom
9. Februar 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen Raubes mit Todesfolge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:090217U3STR415.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Februar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger für die Angeklagte R. , Rechtsanwälte als Verteidiger für den Angeklagten Ra. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten S. , Rechtsanwalt für die Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 17. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen schuldig gesprochen und wie folgt verurteilt: die Angeklagte R. zu einer Jugendstrafe von neun Jahren ; den Angeklagten Ra. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren; den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren; den Angeklagten S. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie den Angeklagten K. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen der Angeklagten wenden sich mit verfahrensrechtlichen Bean- standungen und der Sachrüge gegen ihre Verurteilungen. Alle Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, die Revision der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO); die von den Angeklagten geltend gemachten Verfahrensbeanstandungen sind deshalb nicht entscheidungserheblich.
2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beabsichtigten die Angeklagten, das Opfer, einen zum Tatzeitpunkt 81 Jahre alten alleinstehenden Mann, in dessen Wohnhaus zu überfallen, um insbesondere aus dem in dem Anwesen befindlichen Tresor Wertgegenstände zu entwenden. Sie vereinbarten , dass zunächst die Angeklagten C. und S. das Wohnhaus betreten und das Opfer festhalten bzw. fesseln sowie ihm den Tresorschlüssel abnehmen sollten. C. sollte das Opfer auch "boxen" und ihn bewachen. Die Angeklagten R. , K. und Ra. sollten nachrücken und die erwarteten Wertgegenstände aus dem Tresor holen. Der Erlös sollte unter allen Angeklagten aufgeteilt werden. Die Angeklagten fuhren mit einem PKW in die Nähe des Wohnhauses; Ra. hatte zuvor das erforderliche Benzin bezahlt. R. ermittelte, dass das Opfer anwesend war. Daraufhin näherten sich die Angeklagten dem Wohnhaus. C. und S. drangen durch die geöffnete Eingangstür in den Flur ein. C. brachte das Opfer dort bäuchlings zu Boden und schlug auf dieses ein. S. schloss die Eingangstür und ließ die Rollläden des Küchenfensters herunter. R. , Ra. und K. warteten vor der Eingangstür und konnten dort die Schläge gegen das Opfer und dessen Stöhnen hören. Kurze Zeit später öffnete S. die Haustür und R. trat ein. Zu diesem Zeitpunkt kniete C. auf dem Rücken des Opfers, dem er einen Schal vor den Mund gespannt hatte, zog an den Enden des Schals und überstreckte damit den Kopf des Opfers nach hinten. S. durchsuchte das Obergeschoss des Gebäudes, wohin sich ebenfalls R. mit dem zwischenzeitlich erlangten Tresorschlüssel be- gab. Unmittelbar danach betrat auch K. das Haus. Demgegenüber drehte Ra. vor der Eingangstür um und lief zu dem Fahrzeug zurück, da ihm Bedenken in Bezug auf die Tat gekommen waren und er mit dieser nichts mehr zu tun haben wollte. Als K. das Gebäude betrat, schlug C. auf Kopf und Oberkörper des Opfers ein. Auch K. schlug mit den Fäusten zu und trat dem Opfer in die Seite. Sodann begab er sich in das Obergeschoss und durchsuchte mit S. und R. die dortigen Räume sowie den mittlerweile geöffneten Tresor. Dort befanden sich jedoch wider Erwarten keine Wertgegenstände. K. übergab dem S. eine zufällig aufgefundene Packung Zigaretten, die dieser einsteckte, und kehrte in das Erdgeschoss zurück. Dort hielt C. das Opfer mit einem Arm in einem Würgegriff und schlug mit der freien Faust auf dieses ein. R. gab dem Geschädigten nach ihrer Rückkehr in das Erdgeschoss mittels eines von ihr mitgeführten Elektroschockgerätes mehrere Stromschläge ins Gesicht. S. schlug nach seiner Rückkehr aus dem Obergeschoss ebenfalls mindestens einmal mit der Faust auf das Opfer ein. Dieses stöhnte nunmehr nur noch leise. Entweder C. oder K. nahm die Armbanduhr des Opfers an sich. Durch die Einwirkungen auf das Opfer entstanden im Flur, am Kücheneingang und am Treppenaufgang des Erdgeschosses erhebliche Blutspuren. Sodann verließen R. , S. , K. und C. gemeinsam das Wohnhaus, wobei K. den blutverschmierten Schal mitnahm. Das Opfer lag zu diesem Zeitpunkt regungslos - offensichtlich schwer verletzt, möglicherweise auch bereits tot - auf dem Fußboden des Flurs. Während der Vornahme der Verletzungshandlungen hielten alle Angeklagten es "durchaus für möglich", dass das hochbetagte Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte. Die Strafkammer hat jedoch nicht feststellen können, dass sie den Tod des Opfers billigend in Kauf nahmen.
3
Sodann rannten R. , S. , K. und C. zu dem abgestellten PKW, in dem Ra. auf dem Fahrersitz saß und auf sie wartete. Dieser steuerte sodann das Fahrzeug, mit dem die Angeklagten fluchtartig den Tatort verließen. Sie bewerteten den Raubüberfall als misslungen. Ra. wurde berichtet, dass C. , K. und S. das Opfer geschlagen hatten und R. diesem mehrfach ein Elektroschockgerät an den Hals gehalten hatte. C. war ob einer möglichen Tötung des Opfers schockiert und äußerte: "Was habe ich da getan? Aber diesem Mann ist nix passiert, ne? Ist der Mann noch am Leben, ne?" Zudem berichtete er den anderen Angeklagten , er komme damit nicht klar, wenn das Opfer tot sein sollte. Daraufhin entgegnete R. auf Deutsch: "Ach nein, der war noch am Leben." Zu Ra. sagte sie hingegen auf Romani: "Ich glaub, der war tot." Die Angeklagten warfen bei der Tat getragene, blutverschmierte Kleidung und das Elektroschockgerät aus dem Fenster. Spätestens ab Verlassen des Hauses war C. , R. , K. und S. klar, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde. Ra. war dies nach den Erzählungen der Mitangeklagten ebenfalls bewusst. Gleichwohl verständigte niemand den Rettungsdienst oder leitete ähnliche Maßnahmen ein, obwohl dies möglich gewesen wäre.
4
Das Opfer wurde unmittelbar nach der Tat durch Zeugen entdeckt und nach Durchführung von Reanimationsmaßnahmen in ein Krankenhaus eingeliefert , wo sein Tod festgestellt wurde. Todesursächlich war eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Hals, entweder in Form des Würgegriffs oder des Überstreckens des Kopfes nach hinten, die u.a. eine Fraktur des 6. Halswirbelkörpers bewirkte und zum Ersticken führte.
5
I. Revision der Staatsanwaltschaft
6
Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
7
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite während des Geschehens in dem Wohnhaus sind nicht einheitlich; sie tragen bereits deshalb die Ablehnung des Tötungsvorsatzes nicht.
8
In den Feststellungen hat die Strafkammer ausgeführt, alle Angeklagten hätten es für möglich gehalten, dass das Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte, dies aber nicht billigend in Kauf genommen. Ähnliche Formulierungen hat sie in der rechtlichen Würdigung gebraucht. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sie demgegenüber dargelegt, die Angeklagten hätten erst nach Abschluss der letzten Handlung erkannt, dass diese und gegebenenfalls die davor vorgenommenen zum Tode des Opfers führen könnten. Aufgrund dieser unterschiedlichen Formulierungen ist den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen , für welchen Zeitpunkt das Landgericht angenommen hat, die Angeklagten hätten den Eintritt des Todes des Opfers als möglich angesehen.
9
2. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz der Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft. Im Einzelnen:
10
a) Die unterschiedlichen Feststellungen zum Tötungsvorsatz der Angeklagten R. , C. , K. und S. für die Zeit bis zum Verlassen des Hauses und für die Zeit danach werden durch die Beweiswürdigung nicht getragen.
11
aa) Die in den Feststellungen gebrauchten Formulierungen weisen die Annahme des Landgerichts aus, die Angeklagten hätten bis zum Verlassen des Hauses nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, da das insoweit notwendige Willenselement nicht habe festgestellt werden können. Die Angeklagten hätten es zwar für möglich gehalten, dass das Opfer aufgrund der Gewalteinwirkungen verstirbt; sie hätten dies jedoch nicht billigend in Kauf genommen. Dies ergebe sich insbesondere aus Art und Intensität der Körperverletzungshandlungen , die keine derart gefährlichen Handlungen darstellten, bei denen regelmäßig mit dem Tod des Opfers gerechnet werden müsse. Daneben sprächen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Rückfahrt gegen einen Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt der Vornahme der Verletzungshandlungen. Demgegenüber hat die Strafkammer für die Zeit nach dem Verlassen des Hauses festgestellt, dass allen Angeklagten klar war - sie mithin wussten -, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde und somit einen dolus directus 2. Grades (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 7) angenommen. Dies folge daraus, dass C. , S. , K. und R. in dem Wohnhaus anwesend gewesen seien und den Zustand des Opfers unmittelbar beobachtet hätten, sowie aus den Gesprächen, welche die Angeklagten nach dem Überfall in dem Kraftfahrzeug führten.
12
bb) Diese Ausführungen tragen die unterschiedlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht.
13
(1) Soweit das Landgericht für den ersten Handlungsabschnitt den bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, gilt:
14
(1.1) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Gleichermaßen allein Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Diese Grundsätze gelten auch bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes. Dort ist es - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f.; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45 /13, NStZ 2013, 581, 582 f.; vgl. aus neuerer Zeit BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16, juris Rn. 18 jew. mwN), wobei freilich etwa keine Widersprüche zu Tage treten dürfen.
15
(1.2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar - im Ansatz zutreffend - im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau bei der Prüfung des Vorsatzes während des Geschehens in dem Anwesen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Flucht in den Blick genommen. Es hat jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso es bei insoweit gleicher Beweisgrundlage zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt ist. Die Tatsachenbasis - das Geschehen in dem Haus - und die Kenntnis der Angeklagten hiervon änderten sich nicht, nachdem diese das Anwesen verlassen hatten; die an dem Opfer verübten Gewalthandlungen dauerten an, bis die Angeklagten aus dem Haus gingen. Der Inhalt der in dem Kraftfahrzeug geführten Gespräche gibt im Wesentlichen ihren Eindruck von dem bisherigen objektiven Tatgeschehen und ihre subjektive Einstellung hierzu wieder. Es ist deshalb durchgreifend widersprüchlich anzunehmen , die Angeklagten hätten während des Geschehens in dem Haus den Tod des Opfers als Folge der Gewalthandlungen lediglich für möglich gehalten, aber nicht billigend in Kauf genommen, während der Fahrt in dem PKW jedoch um den möglichen Todeseintritt gewusst. Dieser in dem Wechsel bei der Bewertung des subjektiven Tatbestands liegende Widerspruch wird in den Urteilsgründen an keiner Stelle, weder in den Feststellungen, noch in den Ausführungen zur Beweiswürdigung oder denjenigen zur rechtlichen Bewertung des Geschehens , aufgelöst. Auf die weiteren Einwendungen der Revision und des Generalbundesanwalts gegen die Bewertung der sonstigen Indizien durch die Strafkammer kommt es somit nicht mehr an.
16
(2) Aus dem dargestellten Rechtsfehler folgt auch, dass das Urteil nicht bestehen bleiben kann, soweit das Landgericht für den zweiten Handlungsabschnitt einen Tötungsvorsatz der Angeklagten in Form des dolus directus 2. Grades angenommen hat. Insoweit weist die Beweiswürdigung denselben, unaufgelösten Widerspruch auf. Es erklärt sich nicht, wieso das Landgericht auf derselben Tatsachengrundlage, die für die Bewertung des Geschehens in dem Anwesen vorliegt, nunmehr für den Zeitraum während der Flucht zu anderen, den Angeklagten nachteiligen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand gelangt ist. Durch diesen Rechtsfehler sind die Angeklagten beschwert; die Revision der Staatsanwaltschaft wirkt insofern zu ihren Gunsten (§ 301 StPO).
17
b) Hinsichtlich des Angeklagten Ra. hat das Landgericht den Tötungsvorsatz für den Zeitraum bis zum Verlassen des Hauses durch die übrigen Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint. Der insoweit bezüglich der anderen Angeklagten aufgezeigte Rechtsfehler betrifft den Angeklagten Ra. nicht. Dieser betrat das Wohnhaus nicht und erlangte von den dortigen Vorgängen erst im Nachhinein Kenntnis. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Angeklagten bei der Planung der Tat vor Betreten des Gebäudes keinen Tötungsvorsatz gefasst hatten, wird ein Rechtsfehler weder von der Revision geltend gemacht, noch ist er sonst ersichtlich.
18
Den Angeklagten Ra. betrifft gleichwohl der sich zu seinen Lasten auswirkende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung zu dem Tötungsvorsatz während der Flucht in gleicher Weise wie die anderen Angeklagten (§ 301 StPO). Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte Ra. durch die übrigen Angeklagten über das Geschehen in dem Haus informiert. Aufgrund dessen hat die Strafkammer bei der Bewertung der für die subjektive Tatseite bedeutsamen Indizien zwischen den Angeklagten nicht weiter differenziert und eine gemeinsame Bewertung vorgenommen. Ihre Ausführungen können deshalb nicht aufgespalten werden in einen Teil, der lediglich die Angeklagten R. , C. , K. und S. betrifft und einen weiteren, hiervon unabhängigen Teil, der lediglich den Angeklagten Ra. erfasst; sie sind insoweit vielmehr insgesamt rechtsfehlerhaft.
19
3. Ein weiterer, sich zu Gunsten aller Angeklagten auswirkender Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer hinsichtlich der von ihr angenommenen versuchten Tötung durch Unterlassen das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht erörtert hat. Hierzu wäre sie auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen gehalten gewesen. Danach lag es nahe, dass die Angeklagten ihnen mögliche und zumutbare Rettungsbemühungen, etwa in Form der Benachrichtigung eines Rettungsdienstes, deshalb nicht vornahmen, weil sie das Risiko einer Überführung vermeiden wollten.
20
II. Revisionen der Angeklagten
21
Die Rechtsmittel aller Angeklagten haben mit der Sachrüge aufgrund des dargelegten, sich zu ihren Lasten auswirkenden Beweiswürdigungsfehlers zum Vorliegen des Tötungsvorsatzes während der Flucht vom Tatort Erfolg.
22
III. Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung aller Feststellungen , auch derjenigen, die zum objektiven Tatgeschehen getroffen worden sind. Diese sind in der vorliegenden Fallkonstellation eng mit denjenigen zur subjektiven Tatseite verknüpft. Dem neuen Tatgericht ist es deshalb zu ermöglichen , insgesamt einheitliche, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Die Sache muss somit insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
23
IV. Es besteht entgegen der Auffassung der Verteidigung kein Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Allein die Größe des Landgerichts Krefeld und das öffentliche Interesse an dem Verfahren begründen nicht die Besorgnis, eine andere Strafkammer dieses Landgerichts könne das Verfahren nicht in sachgerechter Weise bewältigen.
24
V. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
25
1. Sollte auch das neue Tatgericht Schlüsse aus dem serologischen und DNA-analytischen Gutachten des Hessischen Landeskriminalamts vom 21. September 2015 ziehen wollen (vgl. UA 78), wird es bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, juris Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16, juris Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212,

217).

26
2. Zu dem Verhältnis der beiden Sachverhaltsabschnitte zueinander hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird insoweit allerdings zu bedenken haben, dass die strafrechtliche Würdigung des Unterlassens von Rettungsbemühungen seitens der Angeklagten im Anschluss an den verübten Überfall nicht unabhängig von der neu vorzunehmenden tatrichterlichen Bewertung des Überfalls selbst erfolgen kann. Sollte der neue Tatrichter bei allen oder zumindest bei einzelnen Angeklagten zur Feststellung eines bei der Vornahme der Verletzungshandlungen bestehenden Tötungsvorsatzes gelangen…, wäre insoweit für eine Strafbarkeit wegen versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kein Raum mehr. Dabei kann offenbleiben, ob in dieser Fallkonstellation bereits keine Pflicht zur Erfolgsabwendung besteht oder es sich bei dem Verhältnis von Begehungs- zum nachfolgenden Unterlassungsunrecht um eine Konkurrenzfrage handelt. Jedenfalls würde es dann an der Verdeckung einer anderen Tat fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2016 - 4 StR 563/15 m.w.N.)."
27
3. Das neue Tatgericht wird bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite gegebenenfalls die unterschiedliche Art und Intensität der Beteiligung der einzelnen Angeklagten an dem objektiven Tatgeschehen in den Blick zu nehmen haben.
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4. Die Rüge, die polizeilichen Einlassungen der Angeklagten unterlägen einem Verwertungsverbot nach § 136a StPO, bewertet der Senat vorläufig wie folgt: Eine die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall treffende Verpflichtung , einen richterlichen Haftbefehl zu beantragen, ohne die Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahmen abzuwarten, die am 28. und 29. Januar 2015 durchgeführt wurden, ergibt sich weder aus der Strafprozessordnung, noch aus der Verfassung oder der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es ist nicht als sachwidrig zu beurteilen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung , einen Haftbefehl zu beantragen, erst trafen, nachdem die Angeklagten Gelegenheit gehabt hatten, sich zur Sache einzulassen; eine bewusste Umgehung des Richtervorbehalts ist deshalb nicht ersichtlich. Im Übrigen bedeutet die aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO folgende Pflicht, den Festgenommenen unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme einem Richter vorzuführen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, juris Rn. 22 mwN). Ein derartiger sachlicher Grund ist jedenfalls in der Regel u.a. dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte sich nach seiner Festnahme durch die Polizei bei dieser nach ordnungsgemäßer Belehrung zu seiner Person und zur Sache einlässt; denn hieraus können sich sowohl für den dringenden Tatverdacht als auch für die Frage, ob ein Haftgrund anzunehmen ist, wesentliche, dem Festgenommenen unter Umständen günstige Gesichtspunkte ergeben, die bei den Entscheidungen über die Beantragung und Anordnung der Untersuchungshaft zu berücksichtigen sind (vgl. im Übrigen schon BGH, Urteil vom 17. November 1989 - 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Es begründet auch regelmäßig keinen Verstoß gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn dem einlassungsbereiten Festgenommenen vor der Vorführung beim Richter Angaben von Mitbeschuldigten vorgehalten werden. Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch