Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2016 - 4 StR 563/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:280416U4STR563.15.0
bei uns veröffentlicht am28.04.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 563/15
vom
28. April 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280416U4STR563.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. April 2016, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer, Bender als beisitzende Richter, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten S. , der Angeklagte S. in Person, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten G. , Rechtsanwältin – in der Verhandlung – als Verteidigerin des Angeklagten F. , Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 5. Juni 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit die Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Mordes durch Unterlassen verurteilt worden sind (Fall II.3 der Urteilsgründe);
b) in den Strafaussprüchen gegen die Angeklagten S. und G. und
c) im Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten F. .
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten G. und F. werden verworfen.
4. Die Angeklagten G. und F. tragen die durch ihre Revisionen entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, der Angeklagte F. darüber hinaus die Kosten seines Rechtsmittels. Hinsichtlich des Angeklagten G. wird von einer Auferlegung von Kosten und Auslagen im Übrigen abgesehen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, des versuchten Mordes durch Unterlassen, der Brandstiftung und der Sachbeschädigung schuldig gesprochen und den Angeklagten F. zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren, den Angeklagten G. unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu der Jugendstrafe von fünf Jahren sowie den Angeklagten S. zu der Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
2
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertretenen Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen die Schuldsprüche wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung im Fall II.3 der Urteilsgründe und erstrebt insoweit Verurteilungen auch wegen jeweils tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer und versuchten Mordes durch aktives Tun. Des Weiteren beanstandet die Beschwerdeführerin die Höhe der gegen den Angeklagten S.
verhängten Jugendstrafe und den Gesamtstrafenausspruch gegen den Angeklagten F. . Die Verurteilungen der Angeklagten wegen Sachbeschädigung und Brandstiftung werden von der Staatsanwaltschaft ausweislich der Revisionsbegründungen nicht angegriffen. Die Revisionen der Angeklagten G. und F. richten sich jeweils mit der Sachbeschwerde gegen ihre Verurteilungen. Während sich die Rechtsmittel der Angeklagten als unbegründet erweisen, haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft Erfolg.

II.


3
Nach den Feststellungen verbrachten die Angeklagten ab Oktober 2014 gemeinsam viel Zeit in der vom Angeklagten G. angemieteten Wohnung. Da G. mit der Zahlung der Miete und der Kaution für die Wohnung in Rückstand war, weshalb die Kündigung des Mietverhältnisses drohte, überlegten die Angeklagten, was sie tun könnten, um die Schulden des G. zu tilgen. Diese Überlegungen führten zu der Idee, einen Taxifahrer zu überfallen. Die Angeklagten besprachen, wie ein solcher Überfall ablaufen könnte und wem welche Aufgabe zukommen solle. Sie überlegten, den Taxifahrer abzulenken, wobei die Fahrertür aufgemacht und in der Verwirrung die Geldbörse vom Angeklagten G. an sich genommen werden sollte. Für den Fall, dass dies nicht möglich wäre, sollte gedroht oder Gewalt angewendet werden. Im Zuge dieser Diskussionen suchten die Angeklagten nach geeigneten Tatwerkzeugen. Nachdem der Angeklagte S. ein HDMI-Kabel inder Wohnung entdeckt, es dem Bruder des Angeklagten G. aus Spaß zu Demonstrationszwecken um den Hals gelegt und etwas zugezogen hatte, wodurch dieser in Luftnot geraten war, entschieden die Angeklagten, das Kabel einzusetzen, um den Taxifahrer bewegungsunfähig zu machen. Für den Fall, dass es nicht gelänge, den Fahrer abzulenken, sollte ein Schlagstock mit rechtwinklig aufgesetztem Griffstück, den der Angeklagte G. in seiner Wohnung hatte, zum Einsatz kommen, um damit zu drohen oder durch einen Schlag zu bewirken, dass der Fahrer die Gesichter der Angeklagten vergisst. Den Angeklagten war bewusst, dass sie ihrem Opfer Schmerzen und Angst zufügen würden; dass jemand zu Tode kommen könnte, bedachten sie nicht.
4
Der Versuch der Angeklagten, ihr Vorhaben noch in derselben Nacht umzusetzen und einen Taxifahrer zu überfallen, scheiterte, weil kein Taxi anhielt. Anschließend kehrten die Angeklagten zunächst in die Wohnung des G. zurück, die sie in den frühen Morgenstunden wieder verließen , weil sie aus Frustration entschieden hatten, dass in dieser Nacht noch etwas passieren müsse. Im Folgenden fassten sie den Entschluss, den Pavillon und die Weihnachtsdekoration vor einem Café in Brand zu setzen. Zu diesem Zweck gab der Angeklagte S. dem Angeklagten F. sein Sturmfeuerzeug. Während G. , der ein eigenes Feuerzeug hatte, ein Loch in die Außenhaut des Pavillons brannte, besprühte der Angeklagte F. die Dekoration mit einem mitgebrachten Deodorant und zündete sie an (II.1 der Urteilsgründe). Sodann begaben sich die Angeklagten in den Hof des in der Nähe gelegenen Pfarrzentrums, wo der Angeklagte F. , ohne mit den anderen darüber gesprochen zu haben, eine etwa zur Hälfte mit Papier gefüllte Papiermülltonne vor eine unmittelbar vor dem Gebäude stehende Holzhütte schob. F. öffnete den Deckel der Tonne und zündete das darin entsorgte Papier an. Mit dieser Aktion wollte er erreichen, dass das Feuer auf die Hütte übergreift. Zu diesem Zweck hatte er sich wieder das Sturmfeuerzeug vom Angeklagten S. geben lassen, der das Vorgehen des F. billigte. Der Angeklagte G. , der selbst versucht hatte, mit seinem Feuerzeug Feuer zu legen, war mit der Vorgehensweise ebenfalls einverstan- den. Als das Papier in der Tonne brannte, entfernten sich die Angeklagten. Durch das Feuer, das von der durch einen Passanten alarmierten Feuerwehr gelöscht werden konnte, wurde die Hütte zerstört (II.2 der Urteilsgründe).
5
Am folgenden Abend begaben sich die Angeklagten in die Stadt, um ihren Plan, einen Taxifahrer zu überfallen, ins Werk zu setzen, wobei der Angeklagte S. das HDMI-Kabel und der Angeklagte F. den Schlagstock mit sich führte. Nachdem sie am Bahnhof kein Taxi bekommen hatten, suchten die Angeklagten G. und F. eine Spielhalle auf und ließen sich von der Aufsicht telefonisch ein Taxi bestellen, das 30 Minuten später eintreffen sollte. Die bis dahin verbleibende Zeit warteten die Angeklagten gemeinsam vor der Spielhalle.
6
Als die Nebenklägerin gegen 23.45 Uhr mit dem von ihr gesteuerten Taxi vorfuhr, setzten sich – entsprechend des zuvor abgesprochenen Tatplans – der Angeklagte S. auf die Rücksitzbank links hinter die Nebenklägerin, der Angeklagte F. mit dem in der Kleidung verborgenen Schlagstock rechts neben S. und der Angeklagte G. auf den Beifahrersitz. F. gab als Fahrtziel die Ortschaft A. , Richtung Sportplatz an. Während der Fahrt sprachen die Angeklagten untereinander über Belanglosigkeiten, um Normalität vorzutäuschen. Der Angeklagte F. , der sich zeitweise mit der Nebenklägerin unterhielt, fragte diese auch nach dem Fahrpreis. Um die Nebenklägerin in Sicherheit zu wiegen, gab er sodann dem Plan entsprechend dem Angeklagten G. 10 Euro sichtbar nach vorne. In A. angekommen fuhr die Nebenklägerin durch den Ort hindurch und an dem letzten Haus des Dorfes vorbei, ehe der Angeklagte F. meinte, sie könne jetzt anhalten. Die Nebenklägerin fuhr anschließend noch eine kleine Steigung in Richtung Sportplatz hoch, um dort das Auto zu wenden. Zu diesem Zweck setzte sie das Taxi auf einem kleinen Schotterstück etwas zurück. In diesem Moment, als sie gerade vorwärts fahren und anhalten wollte, ging alles ganz schnell. Der Angeklagte S. , der schon mindestens zehn Minuten das Kabel auf seinem Schoß liegen hatte und nervös auf das Zeichen, dass es losgehen solle, wartete, wertete einen Blick des Angeklagten F. als Startzeichen , obwohl das Taxi erst im Anhaltevorgang war. Das zuvor verabredete Zeichen , ein Anstoßen von F. , wartete er nicht mehr ab. Er legte der Nebenklägerin das HDMI-Kabel für sie nicht vorhersehbar um den Hals und zog schnell und fest zu. Die Nebenklägerin, die von dem Angriff völlig überrascht war, versuchte ihre Hände unter das Kabel zu bringen, was ihr auch gelang. Nachdem einer der Angeklagten, die mit der Gegenwehr der Nebenklägerin so nicht gerechnet hatten, gesagt hatte: „Das klappt so nicht“, stieß der Angeklagte F. mit der kurzen Seite des Schlagstocks mindestens zweimal kräftig in Richtung des Hinterkopfes der Nebenklägerin. Während der erste Stoß gegen die Kopfstütze ging, traf der zweite Stoß die Nebenklägerin rechts am Hinterkopf in Höhe des Ohrs, die daraufhin sofort bewusstlos wurde. In der aufgewühlten Atmosphäre und der Ungewissheit, ob der Widerstand der Nebenklägerin schon ganz gebrochen war, forderte F. den Angeklagten G. auf, wie geplant ebenfalls zu schlagen. G. , der vom Beifahrersitz aus die Reaktionen der Nebenklägerin anders als die anderen genau wahrnahm und erkannte, dass es keines Einwirkens mehr bedurfte, um den Raub zu beenden, zögerte zunächst, kam dann aber der wiederholten Aufforderung nach und schlug der bewusstlosen Nebenklägerin mindestens zweimal mit der Faust gegen die rechte Wange. Der Angeklagte S. zog das Kabel weiterhin fest zu, wobei durch die Strangulation weder eine tiefe Strangfurche noch Stauungsblutungen hervorgerufen wurden. Die Strangulation und der Treffer mit dem Schlagstock waren konkret nicht lebensbedrohlich. Die Nebenklägerin blieb bewusstlos; die Angeklagten hörten laute Atemgeräusche, die ihnen zeigten , dass sie atmete.
7
Da die Angeklagten nunmehr erkannten, dass die Lage gesichert war, wies F. den Angeklagten S. an, das Fahrzeug zu verlassen. S. ließ zu diesem Zweck zunächst ein Ende des Kabels los, das F. ergriff. Entsprechend machten sie es mit dem zweiten Kabelende. So sicherten sie die Spannung des Kabels, um bei einem Erwachen der Nebenklägerin reagieren zu können. Sie fürchteten, dass die Nebenklägerin wieder zu Bewusstsein kommt, bevor sie flüchten könnten. Während F. , der auf der Rücksitzbank verharrte, das Kabel festhielt und nicht locker ließ, den Druck auf den Hals der Nebenklägerin aber nicht verstärkte, begab sich der zwischenzeitlich ausgestiegene Angeklagte G. zur Fahrertür des Taxis, wo er die Geldbörse der Nebenklägerin mit knapp 300 Euro Bargeld an sich nahm und einsteckte. Den Angeklagten wurden nach der Hektik ihrer Handlungen die Not der Nebenklägerin und ihr Ringen nach Luft bewusst. Dass sie jemanden verletzen würden, hatten sie bewusst in Kauf genommen, wie aber eine bewusstlose und leidende Person aussieht, hatten sie nicht bedacht.
8
Dem Drängen des Angeklagten G. , nun endlich zu flüchten , folgend, stieg der Angeklagte F. ebenfalls aus dem Fahrzeug aus. Gemeinsam rannten die Angeklagten davon, nicht weil sie glaubten, schon von einem Dritten entdeckt zu werden, sondern weil sie damit rechneten, dass die Nebenklägerin aufwacht, oder aber fürchteten, dass sie stirbt. F. , der hinter den anderen Angeklagten lief, rief den beiden zu, dass sie einen Rettungswagen rufen müssen. Der Gedanke, dass die Nebenklägerin ohne ihre Hilfe und ohne weiteres Zutun versterben könnte, reifte bei den Angeklagten zur konkreten Möglichkeit. Während sie darüber diskutierten, einen Notarzt zu ru- fen, schauten sie zurück in Richtung des Taxis. Im Gespräch wurde ihnen klar, dass die Nebenklägerin noch nicht wieder losgefahren war. Der Angeklagte F. kam nun auf den Gedanken, dass die Nebenklägerin sich an ihrem Speichel oder an sonstigen Flüssigkeiten, die sie hochwürgen könnte, verschlucken und ersticken könnte. Da G. und S. fürchteten, durch einen Notruf identifiziert und überführt werden zu können, entschieden sie gemeinsam , die Nebenklägerin sich selbst zu überlassen und mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Mobiltelefon keinen Notruf abzusetzen. Sie liefen weiter in den Wald hinein und nahmen den Tod der Nebenklägerin billigend in Kauf. Der Angeklagte F. trug die Entscheidung bewusst mit, auch er wollte nicht „erwischt“ werden. Noch im Wald teilten sie die Beute, die Geldbörse und Papiere der Nebenklägerin sowie das Kabel und den Schlagstock warfen sie weg.
9
Die Nebenklägerin erwachte nach ca. sieben Minuten aus der Bewusstlosigkeit. Ihr Hals schmerzte; sie hatte eingenässt, konnte nicht richtig schlucken und glaubte, innerlich verbrennen zu müssen, weshalb sie ausstieg und sich auf den Teer legen wollte, um sich zu kühlen. Als sie realisierte, was ihr geschehen war, setzte sie sich panisch zurück ins Fahrzeug und fuhr in die Ortschaft , von wo aus sie mit ihrem Mobiltelefon die Polizei rief (II.3 der Urteilsgründe ).
10
Das Landgericht hat die Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe jeweils des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen schuldig gesprochen. Eine Strafbarkeit der Angeklagten auch wegen tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316a Abs. 1 StGB hat es verneint, weil ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs, die an diesem abgelegenen Ort ohnehin zweifelhaft erschienen, von den Angeklagten weder geplant noch gewollt gewesen sei.

III.


11
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind in vollem Umfang begründet. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass das Landgericht eine Verurteilung der Angeklagten jeweils auch wegen tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit rechtlich unzutreffenden Erwägungen verneint hat. Dies führt zur Aufhebung der Verurteilungen im Fall II.3 der Urteilsgründe, der Strafaussprüche bei den Angeklagten S. und G. sowie des gegen den Angeklagten F. ergangenen Gesamtstrafenausspruchs.
12
1. Die Strafvorschrift des § 316a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass bei dem auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des Fahrers eines Kraftfahrzeugs verübten Angriff die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt werden. Danach ist erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird. In objektiver Hinsicht ist dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172; vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44, 46). Befindet sich das Fahrzeug beim Verüben des Angriffs in Bewegung, liegt diese Voraussetzung regelmäßig vor, weil dem Führer eines sich fortbewegenden Kraftfahrzeugs die Gegenwehr gegen den Angriff infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung erschwert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43; Urteil vom 23. April 2015 – 4 StR 607/14, NStZ 2015, 653, 654 m. krit. Anm. Sowada, StV 2016, 292, 294). Subjektiv ist ausreichend, dass sich der Täter – entsprechend dem Ausnutzungsbewusstsein bei der Heimtücke nach § 211 Abs. 2 StGB – in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04 aaO; vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07 aaO).
13
2. An diesen Maßstäben gemessen halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs verneint hat, einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
14
Nach den Feststellungen fand der mit dem Kabel geführte Angriff des Angeklagten S. auf die Nebenklägerin zu einem Zeitpunkt statt, als das Taxi noch rollte und die Nebenklägerin infolgedessen mit der Bedienung des Fahrzeugs befasst war. Damit liegen – entgegen der Bedenken des Landgerichts – objektiv die Voraussetzungen für ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs vor, ohne dass es darauf ankommt, dass sich die Tat an einem einsamen Ort ohne weiteres Verkehrsaufkommen ereignete. Soweit die Jugendkammer in subjektiver Hinsicht darauf verweist, dass ein Ausnutzen der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs von den Angeklagten nicht geplant worden sei, stellt sie auf einen unzutreffenden Beurteilungszeitpunkt ab. Denn für die subjektive Tatseite maßgeblich ist nicht ein früherer Tatplan, sondern die konkrete subjektive Vorstellung der Täter bei Ausübung des Angriffs. Schließlich hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass für die subjektive Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht erforderlich ist, dass der Täter sich durch die verkehrsspezifischen Umstände zielgerichtet einen Vorteil für sein Angriffsvorhaben verschaffen will. Es reicht vielmehr aus, dass er die sich aus den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs ergebenden tatsächlichen Umstände in der Weise erkennt, dass er sich bewusst ist, ein hierdurch in seinen Abwehrmöglichkeiten beeinträchtigtes Tatopfer anzugreifen.
15
3. Der Umstand, dass der Angeklagte S. mit seinem noch vordem Anhalten des Taxis verübten Angriff auf die Nebenklägerin von dem gemeinsamen Tatplan abwich, schließt nicht aus, sein Vorgehen den Angeklagten G. und F. im Wege der (sukzessiven) Mittäterschaft zuzurechnen.
16
Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, nicht zugerechnet werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Zurechnung keine ins Einzelne gehende Vorstellung von den Handlungen des anderen Tatbeteiligten erfordert. Regelmäßig werden die Handlungen des anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden musste, vom Willen des Mittäters umfasst , auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat. Ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. August 2010 – 3 StR 210/10; vom 26. April 2012 – 4 StR 51/12, NStZ 2012, 563; vom 19. März 2013 – 5 StR 575/12, NStZ 2013, 400). Sukzessive Mittäterschaft kommt in Betracht, wenn ein Täter in Kenntnis und mit Billigung des bisher Ge- schehenen – selbst bei Abweichungen vom ursprünglichen Tatplan in wesentlichen Punkten – in eine bereits begonnene Ausführungshandlung eintritt und er sich mit dem anderen vor Beendigung der Tat zu gemeinschaftlicher weiterer Ausführung verbindet. Sein Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass ihm die gesamte Tat zugerechnet werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281; vom 14. Februar 2012 – 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380; vom 22. Mai 2013 – 2 StR 14/13, NStZ-RR 2014, 73; Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 214 Rn. 20). Angesichts dessen, dass der AngeklagteS. mit seinem geringfügig zeitlich vorgezogenen Angriff auf das Tatopfer nur unwesentlich von der gemeinsamen Tatplanung abwich und die Angeklagten im Folgenden den Überfall wie verabredet arbeitsteilig durchführten, liegt es danach nicht fern, dass der Angriff auf die noch mit der Bedienung des in Bewegung befindlichen Taxis befasste Nebenklägerin auch vom Wollen der Angeklagten G. und F. umfasst war oder sich jedenfalls deren Vorsatz sukzessiv auf dieses Vorgehen erstreckte.
17
4. Die Schuldsprüche wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung haben damit keinen Bestand. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils ist indes auch auf die Verurteilungen jeweils wegen tatmehrheitlich begangenen versuchten Mordes durch Unterlassen zu erstrecken , weil die strafrechtliche Würdigung des Unterlassens von Rettungsbemühungen seitens der Angeklagten im Anschluss an den verübten Überfall nicht unabhängig von der neu vorzunehmenden tatrichterlichen Bewertung des Überfalls selbst erfolgen kann. Sollte der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter zur Feststellung eines mit Tötungsvorsatz begangenen Überfalls der Angeklagten auf die Nebenklägerin gelangen, wäre für eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kein Raum. Dabei kann offenbleiben, ob in dieser Fallkonstellation bereits keine Pflicht zur Erfolgsabwendung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 – 1 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 131) oder es sich bei dem Verhältnis von Begehungszum nachfolgenden Unterlassungsunrecht um eine Konkurrenzfrage handelt (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 13 Rn. 57 mwN; Kudlich in Satzger/ Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 13 Rn. 22 mwN). Jedenfalls fehlte es an der Verdeckung einer anderen Tat (vgl. BGH, Urteile vom 12. Dezember 2002 – 4 StR 297/02, NStZ 2003, 312, 313; vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06, NStZ-RR 2007, 111; Beschluss vom 21. April 2009 – 1 StR 73/09, NStZ-RR 2009, 239).

IV.


18
Die Revisionen der Angeklagten G. und F. bleiben ohne Erfolg.
19
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 16. Dezember 2015 genannten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

V.


20
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch bei der Anwendung von Jugendstrafrecht die Erwägungen zur Strafzumessung nicht mit solchen zur Strafaussetzung zur Bewährung vermischt werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 85/08, NStZ 2008, 693; Radtke in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 21 JGG Rn. 3 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

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Strafgesetzbuch - StGB | § 316a Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer


(1) Wer zur Begehung eines Raubes (§§ 249 oder 250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers
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Referenzen

(1) Wer zur Begehung eines Raubes (§§ 249 oder 250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 338/07
vom
25. September 2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Zur Anwendbarkeit des § 316 a Abs. 1 StGB, wenn das Tatopfer bei Beginn
des Angriffs noch nicht Führer des Kraftfahrzeugs war.
BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07 – LG Hamburg
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. September 2007
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. April 2007 wird als unbegründet verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerem Raub und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
Näherer Erörterung bedarf nur der Schuldspruch wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316 a Abs. 1 StGB.
4
1. Der Angeklagte und Danny F. hatten sich entschlossen, durch einen Überfall auf den Zeugen S. Geld zu erbeuten. Sie beobachteten das spätere Tatopfer, als dieses gerade im Begriff war, in sein hochwertiges Fahrzeug einzusteigen. Während sich der Zeuge auf den Fahrersitz setzte, gelangten der Angeklagte und sein Mittäter durch die Hintertüren auf die Rückbank des Fahrzeugs. Noch bevor der Geschädigte sich dazu angeschickt hatte, das Fahrzeug in Gang zu setzen, bedrohten sie ihn mit einer (ungeladenen) Gaspistole und forderten ihn auf, ihren Weisungen nachzukommen, sonst würden sie ihm "das Gehirn wegblasen". Unter dem Eindruck dieser Drohung startete der Geschädigte - wie ihm geheißen - das Fahrzeug und lenkte es aus der Stadt hinaus zu einem abgelegenen Parkplatz. Während dieser Fahrt wurde das Tatopfer aufgefordert , sein Mobiltelefon an den Angeklagten zu übergeben und den Aufbewahrungsort des von ihm mitgeführten Geldes zu benennen. Beidem kam der Zeuge nach. Der Angeklagte entnahm daraufhin der auf dem Rücksitz befindlichen Tasche des Tatopfers 75 Euro. Auf dem Parkplatz musste der Geschädigte in den Kofferraum seines Fahrzeugs steigen. Der Angeklagte und sein Mittäter fuhren sodann mit dem Fahrzeug noch geraume Zeit umher. Als sie es ca. 2 ½ Stunden nach Fahrtantritt stehen ließen, konnte sich der Geschädigte befreien.
5
2. Diese Feststellungen tragen auch die tateinheitliche Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316 a Abs. 1 StGB.
6
a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November 2003 (BGHSt 49, 8 ff.) erfasst der Tatbestand des § 316 a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer oder den Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass bei Beginn des Angriffs , also im Zeitpunkt, als der Angeklagte und sein Mittäter in das Fahrzeug eindrangen und den Geschädigten mit der Gaspistole bedrohten, dieser noch nicht Führer des Fahrzeugs war. Zwar hielt sich das Tatopfer bereits im Fahrzeug auf, es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen noch nicht mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst und damit nach der Rechtsprechung des Senats noch nicht Führer des Kraftfahrzeugs und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316 a StGB (vgl. BGHSt aaO).
7
Indem die Täter ihr Opfer zu der anschließenden Fahrt zwangen und es während der Fahrt jedenfalls konkludent weiter bedrohten, lag aber die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor.
8
Die Anwendbarkeit des § 316 a StGB erfordert nämlich nicht, dass das Tatopfer bereits bei Beginn des Angriffs Führer oder Mitfahrer des Kraftfahrzeugs war. Das Tatbestandsmerkmal "Verüben eines Angriffs" ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn ein Opfer durch einen vor Fahrtantritt begonnenen Angriff zur (Mit-)Fahrt gezwungen wird und der Angriff während der Fahrt fortgesetzt wird. Eine engere, allein auf den ersten nötigenden Zugriff auf das Tatopfer abstellende Auslegung, würde dem Schutzzweck der Norm nicht gerecht (vgl. BGHSt aaO S. 10). Das Tatbestandsmerkmal erfasst vielmehr auch den Zeitraum bis zur Beendigung des Angriffs. Es liegt auf der Hand, dass die Sicherheit des Kraftfahrverkehrs auf Straßen als Schutzgut des § 316 a StGB (vgl. BGHSt aaO S. 11) nicht nur dann beeinträchtigt wird, wenn das Tatopfer während des Führens des Kraftfahrzeugs erstmals angegriffen wird, sondern dies ist auch der Fall, wenn ein bereits vor Fahrtantritt begonnenes, offenes Bedrohungsgeschehen während des Führens des Kraftfahrzeugs (nur) seinen Fortgang nimmt (vgl. BGHSt aaO S. 13; für den Fall eines "neuen" Angriffs während der Fahrt Senatsbeschluss vom 25. Februar 2004 - 4 StR 394/03 = NStZ 2004, 626).
9
b) Der Angeklagte und sein Mittäter haben bei dem während der Fahrt fortdauernden Angriff auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt.
10
Danach ist erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird (vgl. BGHSt aaO S. 11). Objektiv ist dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann. In subjektiver Hinsicht ist ausreichend aber erforderlich, dass sich der Täter der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht (vgl. BGHSt 50, 169, 172).
11
In Fällen, in denen ein vollendeter Angriff auf das Tatopfer bereits außerhalb des Fahrzeugs oder jedenfalls vor Fahrtantritt stattgefunden hat, bedarf dieses Tatbestandsmerkmal besonders sorgfältiger Prüfung und wird nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
12
Zwar ist auch ein Kraftfahrzeugführer, dessen sich der Täter bereits vor Fahrtantritt bemächtigt hat, in Folge seiner Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung in seiner Gegenwehr gegen den während der Fahrt fortdauernden Angriff des Täters eingeschränkt. Ein Ausnutzen dieses Umstandes im Sinne des § 316 a StGB ist allerdings nur dann gegeben, wenn der räuberische Angriff auch durch die verkehrsspezifischen Einschränkungen, denen sich der Kraftfahrzeugführer während der Fahrt ausgesetzt sieht, erleichtert wird. Die Eigenschaft des Tatopfers als Kraftfahrzeugführer muss deshalb in objektiver Hinsicht für die Aufrechterhaltung bzw. Fortdauer des Angriffs mindestens mitursächlich geworden sein. Ein solcher Ursachenzusammenhang fehlt jedoch, wenn der Täter sein Opfer bereits vor der Fahrt unter seine uneingeschränkte Kontrolle gebracht hat und die dadurch geschaffene Nötigungslage während der nachfolgenden Fahrt lediglich unverändert aufrechterhalten wird. In diesen Fällen dient das Fahrzeug nur Beförderungszwecken, ohne dass sich die mit der Fahrt einhergehende eingeschränkte Abwehrmöglichkeit des Tatopfers auf die Angriffshandlung des Täter noch in irgendeiner Weise fördernd auswirkt. So verhält es sich etwa dann, wenn der Täter sein Tatopfer bereits in dessen Wohnung überfallen hat und es später unter Vorhalt einer Waffe zur Fahrt zu einem Geldautomaten zwingt, um dort vom Konto des Opfers Geld abzuheben. In solchen Fällen hat sich die Nötigungslage in aller Regel bereits vor Fahrtantritt derart verfestigt, dass die fahrtbedingten eingeschränkten Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers für die fortdauernde Angriffshandlung des Täters ohne jeden Belang sind.
13
Anders verhält es sich indes im vorliegenden Fall. Der Angeklagte und sein Mittäter hatten sich durch die erste Angriffshandlung des Tatopfers noch nicht kontrolliert bemächtigt. Durch die erzwungene Fahrt wurden, wie dies der Tatbestand des § 316 a StGB erfordert, vielmehr die Gegenwehr und insbesondere die Fluchtmöglichkeit des Opfers erst endgültig eingeschränkt. Mithin wurde durch die Eigenschaft des Tatopfers als Kraftfahrzeugführer der räuberische Angriff hier zumindest erleichtert. Dies war dem Angeklagten und seinem Mittäter nicht nur bewusst, sondern es kam ihnen nach den getroffenen Feststellungen hierauf gerade an.
14
3. Dass der Angeklagte nicht, worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, anstelle eines tateinheitlich begangenen Vergehens der Freiheitsberaubung wegen eines Verbrechens des erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239 a StGB verurteilt worden ist, beschwert den Angeklagten nicht.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 244/12
vom
22. August 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 22. August 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12. Dezember 2011 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung (Fall II. 1 der Urteilsgründe ) verurteilt worden sind,
b) in den Gesamtstrafaussprüchen. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung sowie wegen „Wohnungseinbruchsdiebstahls“ schuldig gesprochen.
Gegen den Angeklagten K. -S. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten Q. unter Einbeziehung der Geldstrafen aus zwei anderweitigen Verurteilungen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten und gegen den Angeklagten K. , ebenfalls unter Einbeziehung der Strafen aus einer Vorverurteilung , eine solche von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Ferner hat es Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.
2
Die Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Verurteilung der Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
1. Insoweit hat das Landgericht im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
5
Die Angeklagten sowie ein unbekannt gebliebener Mittäter befanden sich am Abend des Tattages gemeinsam mit dem Geschädigten im Pkw des Bruders des Angeklagten Q. auf einer Fahrt durch Leipzig; der Angeklagte Q. saß am Steuer. Die Angeklagten warfen dem Geschädigten während der Fahrt vor, seine frühere Freundin belästigt und seinen Hund vernachlässigt und geschlagen zu haben, was dieser vehement abstritt. Als die Beteiligten durch den Stadtteil W. fuhren, begann der unbekannt gebliebene Mittäter , den Geschädigten nach entsprechender Aufforderung durch den Ange- klagten Q. mit Faustschlägen in das Gesicht und auf den Oberkörper zu misshandeln. Auch der Angeklagte K. -S. schlug den Geschädigten während der Fahrt mindestens einmal mit der Faust in das Gesicht. Noch bevor die Angeklagten ihr endgültiges Ziel, einen Parkplatz in W. , erreicht hatten, zog der Angeklagte K. schwarze Lederhandschuhe an und forderte den Geschädigten nach einem Halt des Fahrzeugs in einem Wohngebiet mit Billigung seiner Mittäter auf, seine Taschen zu leeren. Aus Angst vor weiteren Schlägen holte dieser aus seinen Taschen ein schwarzes Mobiltelefon , eine ungeöffnete Zigarettenschachtel, einen Schlüsselbund mit seinen Wohnungs- und Haustürschlüsseln sowie zwei bis drei Euro Münzgeld heraus; die Gegenstände wurden ihm von einem der Täter aus den Händen gerissen. Ihnen war dabei bewusst, dass sie auf die dem Geschädigten weggenommenen Gegenstände keinen Anspruch hatten; sie wollten sie gleichwohl für sich behalten. Nach Erreichen des Parkplatzes in W. wurde der Geschädigte aus dem Fahrzeug gezerrt, erneut schwer misshandelt und im Anschluss daran auf dem Parkplatz zurückgelassen.
6
2. Diese Feststellungen sind nicht geeignet, den Schuldspruch wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer im Sinne des § 316a Abs. 1 StGB zu tragen.
7
a) Zwar hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass neben dem „Führer“ eines Kraftfahrzeugs auch der „Mitfahrer“ grundsätz- lich taugliches Tatopfer im Sinne des § 316a Abs. 1 StGB sein kann (Senatsurteil vom 25. Februar 2004 – 4 StR 394/03, NStZ 2004, 626). Dass sich der Geschädigte als Mitfahrer zum Tatzeitpunkt unfreiwillig in dem Fahrzeug befunden haben mag, stünde der Anwendbarkeit der Vorschrift ebenfalls nicht entgegen (Senatsurteil aaO).
8
b) Die Feststellungen belegen indes nicht, dass die Angeklagten bei der Begehung der Tat die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt haben.
9
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn der Angriff im Sinne des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich der Fahrer mit dem Fahrzeug im fließenden Verkehr befindet (Senatsurteil vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 14 f.; Senatsbeschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172 f.). Entsprechendes gilt auch, wenn das Kraftfahrzeug während der Fahrt verkehrsbedingt mit laufendem Motor hält, die Fahrt aber nach Veränderung der Verkehrssituation sogleich fortgesetzt werden soll, das Fahrzeug sich also weiterhin im fließenden Verkehr befindet. In diesen Fällen hat auch der „Mitfahrer“, sollte er wegen der Einwirkung durch den oder die Täter zur Flucht entschlossen sein, regelmäßig keine Möglichkeit, sich dem Angriff ohne Eigen- oder Fremdgefährdung – etwa durch Öffnen der Tür oder Ziehen der Handbremse – zu entziehen (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2005 aaO). In allen anderen Fällen, insbesondere bei einem nicht verkehrsbedingten Halt, bedarf es zusätzlicher, in den Urteilsgründen darzulegender Umstände, die die Annahme rechtfertigen, dass die Tat unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen worden ist (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2006 – 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185; Senatsbeschluss vom 17. Februar 2005 – 4 StR 537/04; zum Ganzen vgl. SSW-StGB/Ernemann, § 316a Rn. 14).
10
bb) Im vorliegenden Fall hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass der Angeklagte K. nach den vorausgegangenen Misshandlungen des Geschädigten und nachdem er sich schwarze Lederhandschuhe angezogen hatte, diesen im Einvernehmen mit seinen Mittätern „nach dem Halt im Wohngebiet“ zur Leerung seiner Taschen aufforderte. Zu den näheren Umständen dieses „Halts“ in einem Wohngebiet, insbesondere dazu, ob das Anhalten verkehrsbe- dingt war, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Der Senat kann daher nicht überprüfen, ob die Täter unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs handelten.
11
Die Sache bedarf daher insoweit erneuter tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung.
12
3. Danach können auch die im Fall II. 1 der Urteilsgründe tateinheitlich erfolgte Verurteilung der Angeklagten wegen Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung sowie die Gesamtstrafaussprüche nicht bestehen bleiben. Im Hinblick auf den Tatbestand des § 249 StGB verweist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Anforderungen an die tatrichterliche Darlegung der finalen Verknüpfung zwischen Nötigung und Wegnahme (vgl. dazu Fischer, StGB, 59. Aufl., § 249 Rn. 6 ff., insbes. Rn. 10 m. Rspr.-Nachw.).

II.


13
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils im Übrigen (Fall II. 2 der Urteilsgründe) hat einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 21. Juni 2012 Bezug genommen. Das Landgericht hat das Tatgeschehen im Ergebnis zutreffend als „Wohnungseinbruchsdiebstahl“ bezeichnet (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Soweit es die Strafe gleichwohl dem Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB entnimmt , beschwert dies die Angeklagten nicht.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 607/14
vom
23. April 2015
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Zum Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs durch eine
vorgetäuschte Polizeikontrolle.
BGH, Urteil vom 23. April 2015 – 4 StR 607/14 – LG Frankfurt am Main
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. April
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten Z. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten M. M. ,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung -
als Vertreterin des Nebenklägers A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. Juni 2013 aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II. 1. Auf die Revision des Angeklagten Z. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es diesen Angeklagten betrifft, im Strafausspruch dahin abgeändert, dass die Freiheitsstrafe auf sieben Jahre und sechs Monate festgesetzt wird.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten Z. sowie die Revisionen der Angeklagten M. und S. werden verworfen.
3. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten des schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung und Kennzeichenmissbrauch schuldig gesprochen. Den Angeklagten M. hat es zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und den Angeklagten S. zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neunMonaten verurteilt. Gegen den Angeklagten Z. hat es nach dem Urteilstenor eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verhängt. Die von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben im Ergebnis Erfolg. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten Z. erzielt einen geringen Erfolg zum Strafausspruch; im Übrigen ist dieses Rechtsmittel unbegründet. Die AngeklagtenM. und S. rügen ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts; S. erhebt darüber hinaus zwei Aufklärungsrügen. Diese Rechtsmittel bleiben insgesamt ohne Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen die drei Angeklagten und die gesondert Verfolgten S. M. und H. am 18. Dezember 2011 den Nebenkläger, der einen LKW der Firma C. auf einer Transportfahrt führte.
3
Der Angeklagte S. , H. und S. M. folgten, dem gemeinsamen Tatplan entsprechend, mit einem PKW dem vom Nebenkläger geführten , am Flughafen Frankfurt am Main mit Produkten der Firma A. beladenen LKW auf die Bundesautobahn A 3. Die Täter fuhren kurz vor dem Rastplatz „St. “ auf der mittleren Fahrspur der Autobahn neben den LKW. S. betätigte die Hupe, H. gab vom Beifahrersitz aus dem Nebenkläger durch das geöffnete Fenster per Handzeichen zu verstehen, er solle rechts herausfahren. Der Nebenkläger nahm – wie von den Tätern beabsichtigt – an, dass es sich um eine Polizeistreife in Zivil handele und eine Fahrzeugkontrolle durchgeführt werden solle. Er lenkte daher den LKW auf den Rastplatz, hielt an und stellte den Motor ab. S. brachte das von ihm geführte Fahrzeug dort ebenfalls zum Stehen. H. ging auf die Fahrertür des LKW zu und rief: „Polizeikontrolle ! Papiere bitte!“ Während der Nebenkläger nach den Fahrzeugpapieren und Frachtunterlagen griff, streifte sich H. eine Unterziehhaube über das Gesicht, öffnete die Fahrertür des LKW und bedrohte den Nebenkläger mit einer nicht geladenen Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte und ihm eine Jacke über den Kopf legte. Dann fuhr er mit dem LKW zu einem für das Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten die Angeklagten M. und Z. mit einem weiteren Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund 450.000 Euro umluden.

II.


4
Revisionen der Angeklagten
5
1. Der Strafausspruch gegen den Angeklagten Z. hat keinen Bestand. Nach der Urteilsformel im schriftlichen Urteil, die auch der verkündeten entspricht , beträgt die verhängte Freiheitsstrafe sieben Jahre und neun Monate, nach den Urteilsgründen hingegen nur sieben Jahre und sechs Monate. Worauf der Widerspruch beruht, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Um ein offenkundiges Fassungsversehen, das eine Berichtigung zulassen könnte, handelt es sich nicht. Auszuschließen ist aber, dass die Strafkammer eine niedrigere Strafe als die in den Gründen genannte verhängen wollte, da sie diese für tatund schuldangemessen erachtet hat. Der Senat ist daher nicht gehindert, in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf die niedrigere der beiden Strafen zu erkennen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2004 – 2 StR 516/03, vom 25. Februar 2009 – 5 StR 46/09, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 5, vom 15. Juni 2011 – 2 StR 194/11, und vom 11. Oktober 2012 – 5 StR 475/12); er hat diese, dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend, selbst festgesetzt.
6
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten Z. und die Revisionen der Angeklagten M. und S. erweisen sich aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 16. Mai 2014 und vom 23. Januar 2015 als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

III.


7
Revisionen der Staatsanwaltschaft
8
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
9
1. Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten tateinheitlich auch des (gemeinschaftlichen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
10
a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November 2003 (4 StR 150/03, BGHSt 49, 8 ff.) erfasst der Tatbestand des § 316a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer (oder den Mitfahrer) eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass der Nebenkläger bei dem Angriff auf dem Parkplatz nicht mehr Führer des LKW war. Zwar hielt sich das Tatopfer noch im Fahrzeug auf. Es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen nicht mehr mit der Bewältigung von Betriebs - oder Verkehrsvorgängen befasst, damit nach der Rechtsprechung des Senats nicht mehr Führer des LKW und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316a StGB (vgl. BGH, aaO; NK-StGB/Herzog, 4. Aufl., § 316a Rn. 16).
11
b) Indem die Täter ihr Opfer zuvor durch die vorgetäuschte Polizeikontrolle zu diesem Halt zwangen, lag jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor (vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 170 f., und vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44, 45 f.).
12
aa) Für die insoweit allein problematische Frage, ob die Angeklagten einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Nebenklägers als Führer des LKW verübt haben, gilt nach der Rechtsprechung des Senats das Folgende (vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 12 f.; Beschluss vom 14. Juli 1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Angriff 1): Einen solchen Angriff verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. das Vermögen des Opfers richtet.
13
bb) Dadurch, dass der Angeklagte S. und die gesondert Verfolgten S. M. und H. in Absprache mit den weiteren Angeklagten Z. und M. M. den Nebenkläger veranlassten, mit seinem LKW die Autobahn zu verlassen und den Rastplatz aufzusuchen, haben sie im vorbezeichneten Sinn einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs verübt. Der Nebenkläger befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt objektiv in einer Nötigungssituation.
14
Zwar reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nach der (neueren) Recht- sprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Meinung in der Literatur nicht aus, wenn auf den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt wird, um ihn in eine Situation zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden soll. Dies ist etwa der Fall, wenn ein vermeintlicher Fahrgast beim Taxifahrer ein falsches Fahrtziel angibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 13 f.); das Gleiche gilt für das Vortäuschen einer Autopanne (jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323c StGB) sowie in den Anhalterfällen. Hiervon abzugrenzen sind aber Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (vgl. dazu im Einzelnen Fischer, StGB, 62. Aufl., § 316a Rn. 6 f.; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 316a Rn. 2; jew. mwN). Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.
15
Fälle einer – wie hier – vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden sich daher substantiell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender Umstände der oben genannten Art; sie entsprechen vielmehr der Konstellation einer Straßensperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung durch das Haltezeichen eines Polizeibeamten kein Ermessen eingeräumt; er ist vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet, Haltezeichen Folge zu leisten, wobei der Senat dahinstehen lässt, ob die Täter hier eine Weisung zur Regelung einer konkreten Verkehrssituation nach § 36 Abs. 1 StVO oder eine solche zur Durchführung einer allgemeinen Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO vorgespiegelt haben (vgl. zur Abgrenzung OLG Köln, VRS 67, 293; Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht , 23. Aufl., § 36 StVO Rn. 3 f., 12). Der Nebenkläger sollte jedenfalls das Vorgehen der Täter im fließenden Verkehr als polizeiliche Weisung verstehen und hat dies auch so verstanden; das Tragen von Zivilkleidung steht der von den Angeklagten und ihren Tatgenossen angestrebten Vorgabe einer Polizeikontrolle nicht entgegen (Kudlich, JA 2015, 235, 236; vgl. hierzu auch BayObLGSt 1974, 137; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 458, 459; OLG Hamm, NJW 1972, 1769 für die telefonische Weisung eines „Kreispolizeibeamten“; zw. Jahn, JuS 2014, 1135, 1137).
16
cc) Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits dann durch einen Angriff eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316a StGB Rn. 2; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316a Rn. 9; Sander in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 316a Rn. 11; LKStGB /Sowada, 12. Aufl., § 316a Rn. 11; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316a Rn. 4; SK-StGB/Wolters, § 316a Rn. 3c [„psychische Autofalle“]; Roßmüller/Rohrer, NZV, 1995, 253, 263; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; Geppert, DAR 2014, 128, 130; in der Tendenz ebenso schon BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 – 2 StR 104/14, NStZ-RR 2014, 342, und 2 StR 105/14; aA Krüger, NZV 2004, 161, 165 f.; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 197; wohl auch Bosch JK 1/2015 StGB § 316a).
17
c) Die Angeklagten und ihre Tatgenossen haben als Mittäter bei der Begehung der Tat in der tatbestandsmäßigen Absicht die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn der Angriff im Sinne des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich der Fahrer mit dem Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr befindet (BGH, Urteil vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 14 f.; Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172 f., und vom 22. August 2012 – 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43); so liegt es auch hier.
18
2. Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 16. Mai 2014 und vom 23. Januar 2015 haben sich die Angeklagten nicht des erpresserischen Menschenraubs (so in erster Linie die revisionsführende Staatsanwaltschaft) oder der Geiselnahme (so die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main) schuldig gemacht.
19
3. Der Senat kann den Schuldspruch nicht selbst ändern und die Angeklagten auch des tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer schuldig sprechen (§ 265 Abs. 1 StPO); er hebt das angefochtene Urteil daher auch insoweit auf, als die Angeklagten – an sich rechtsfehlerfrei – wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Amtsanmaßung und Kennzeichenmissbrauch schuldig gesprochen sind (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).
Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); insoweit liegt der Fall im Blick auf die die Angeklagten treffende Beschwer anders als bei einem erstinstanzlichen Freispruch (vgl. MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 354 Rn. 23). Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen.
20
Der neue Tatrichter wird auch zu bedenken haben, dass die Angeklagten sich in weiterer Tateinheit der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB schuldig gemacht haben; dieser Straftatbestand tritt nicht in Gesetzeskonkurrenz zurück, weil der schwere Raub bereits mit der Abfahrt des „gekaperten“ LKW vom Parkplatz „St. “ nicht nur vollendet, sondern auch beendet gewesen ist (vgl. LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 249 Rn. 67; s. auch zu einer ähnlichen Fallgestaltung BGH, Beschluss vom 6. Juli 2006 – 4 StR 48/06, NStZ 2007, 35, 36). Im Rahmen der Strafzumessung wird die von der Strafkammer zugunsten aller Angeklagten ins Feld geführte, unzutreffende Erwägung, gegen den Nebenklä- ger sei „keine physische Gewalt eingesetzt“ worden, zu vermeiden sein. Schließlich wird der neue Tatrichter im Rahmen der erforderlichen wertenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 58. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 9b mwN) zu erwägen haben, ob er eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auszusprechen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 – 1 StR 359/13).
Sost-Scheible Cierniak Franke
Mutzbauer Bender

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 338/07
vom
25. September 2007
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Zur Anwendbarkeit des § 316 a Abs. 1 StGB, wenn das Tatopfer bei Beginn
des Angriffs noch nicht Führer des Kraftfahrzeugs war.
BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07 – LG Hamburg
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 25. September 2007
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. April 2007 wird als unbegründet verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerem Raub und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
Näherer Erörterung bedarf nur der Schuldspruch wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316 a Abs. 1 StGB.
4
1. Der Angeklagte und Danny F. hatten sich entschlossen, durch einen Überfall auf den Zeugen S. Geld zu erbeuten. Sie beobachteten das spätere Tatopfer, als dieses gerade im Begriff war, in sein hochwertiges Fahrzeug einzusteigen. Während sich der Zeuge auf den Fahrersitz setzte, gelangten der Angeklagte und sein Mittäter durch die Hintertüren auf die Rückbank des Fahrzeugs. Noch bevor der Geschädigte sich dazu angeschickt hatte, das Fahrzeug in Gang zu setzen, bedrohten sie ihn mit einer (ungeladenen) Gaspistole und forderten ihn auf, ihren Weisungen nachzukommen, sonst würden sie ihm "das Gehirn wegblasen". Unter dem Eindruck dieser Drohung startete der Geschädigte - wie ihm geheißen - das Fahrzeug und lenkte es aus der Stadt hinaus zu einem abgelegenen Parkplatz. Während dieser Fahrt wurde das Tatopfer aufgefordert , sein Mobiltelefon an den Angeklagten zu übergeben und den Aufbewahrungsort des von ihm mitgeführten Geldes zu benennen. Beidem kam der Zeuge nach. Der Angeklagte entnahm daraufhin der auf dem Rücksitz befindlichen Tasche des Tatopfers 75 Euro. Auf dem Parkplatz musste der Geschädigte in den Kofferraum seines Fahrzeugs steigen. Der Angeklagte und sein Mittäter fuhren sodann mit dem Fahrzeug noch geraume Zeit umher. Als sie es ca. 2 ½ Stunden nach Fahrtantritt stehen ließen, konnte sich der Geschädigte befreien.
5
2. Diese Feststellungen tragen auch die tateinheitliche Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316 a Abs. 1 StGB.
6
a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November 2003 (BGHSt 49, 8 ff.) erfasst der Tatbestand des § 316 a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer oder den Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass bei Beginn des Angriffs , also im Zeitpunkt, als der Angeklagte und sein Mittäter in das Fahrzeug eindrangen und den Geschädigten mit der Gaspistole bedrohten, dieser noch nicht Führer des Fahrzeugs war. Zwar hielt sich das Tatopfer bereits im Fahrzeug auf, es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen noch nicht mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst und damit nach der Rechtsprechung des Senats noch nicht Führer des Kraftfahrzeugs und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316 a StGB (vgl. BGHSt aaO).
7
Indem die Täter ihr Opfer zu der anschließenden Fahrt zwangen und es während der Fahrt jedenfalls konkludent weiter bedrohten, lag aber die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor.
8
Die Anwendbarkeit des § 316 a StGB erfordert nämlich nicht, dass das Tatopfer bereits bei Beginn des Angriffs Führer oder Mitfahrer des Kraftfahrzeugs war. Das Tatbestandsmerkmal "Verüben eines Angriffs" ist vielmehr auch dann erfüllt, wenn ein Opfer durch einen vor Fahrtantritt begonnenen Angriff zur (Mit-)Fahrt gezwungen wird und der Angriff während der Fahrt fortgesetzt wird. Eine engere, allein auf den ersten nötigenden Zugriff auf das Tatopfer abstellende Auslegung, würde dem Schutzzweck der Norm nicht gerecht (vgl. BGHSt aaO S. 10). Das Tatbestandsmerkmal erfasst vielmehr auch den Zeitraum bis zur Beendigung des Angriffs. Es liegt auf der Hand, dass die Sicherheit des Kraftfahrverkehrs auf Straßen als Schutzgut des § 316 a StGB (vgl. BGHSt aaO S. 11) nicht nur dann beeinträchtigt wird, wenn das Tatopfer während des Führens des Kraftfahrzeugs erstmals angegriffen wird, sondern dies ist auch der Fall, wenn ein bereits vor Fahrtantritt begonnenes, offenes Bedrohungsgeschehen während des Führens des Kraftfahrzeugs (nur) seinen Fortgang nimmt (vgl. BGHSt aaO S. 13; für den Fall eines "neuen" Angriffs während der Fahrt Senatsbeschluss vom 25. Februar 2004 - 4 StR 394/03 = NStZ 2004, 626).
9
b) Der Angeklagte und sein Mittäter haben bei dem während der Fahrt fortdauernden Angriff auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt.
10
Danach ist erforderlich, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird (vgl. BGHSt aaO S. 11). Objektiv ist dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann. In subjektiver Hinsicht ist ausreichend aber erforderlich, dass sich der Täter der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns macht (vgl. BGHSt 50, 169, 172).
11
In Fällen, in denen ein vollendeter Angriff auf das Tatopfer bereits außerhalb des Fahrzeugs oder jedenfalls vor Fahrtantritt stattgefunden hat, bedarf dieses Tatbestandsmerkmal besonders sorgfältiger Prüfung und wird nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
12
Zwar ist auch ein Kraftfahrzeugführer, dessen sich der Täter bereits vor Fahrtantritt bemächtigt hat, in Folge seiner Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung in seiner Gegenwehr gegen den während der Fahrt fortdauernden Angriff des Täters eingeschränkt. Ein Ausnutzen dieses Umstandes im Sinne des § 316 a StGB ist allerdings nur dann gegeben, wenn der räuberische Angriff auch durch die verkehrsspezifischen Einschränkungen, denen sich der Kraftfahrzeugführer während der Fahrt ausgesetzt sieht, erleichtert wird. Die Eigenschaft des Tatopfers als Kraftfahrzeugführer muss deshalb in objektiver Hinsicht für die Aufrechterhaltung bzw. Fortdauer des Angriffs mindestens mitursächlich geworden sein. Ein solcher Ursachenzusammenhang fehlt jedoch, wenn der Täter sein Opfer bereits vor der Fahrt unter seine uneingeschränkte Kontrolle gebracht hat und die dadurch geschaffene Nötigungslage während der nachfolgenden Fahrt lediglich unverändert aufrechterhalten wird. In diesen Fällen dient das Fahrzeug nur Beförderungszwecken, ohne dass sich die mit der Fahrt einhergehende eingeschränkte Abwehrmöglichkeit des Tatopfers auf die Angriffshandlung des Täter noch in irgendeiner Weise fördernd auswirkt. So verhält es sich etwa dann, wenn der Täter sein Tatopfer bereits in dessen Wohnung überfallen hat und es später unter Vorhalt einer Waffe zur Fahrt zu einem Geldautomaten zwingt, um dort vom Konto des Opfers Geld abzuheben. In solchen Fällen hat sich die Nötigungslage in aller Regel bereits vor Fahrtantritt derart verfestigt, dass die fahrtbedingten eingeschränkten Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers für die fortdauernde Angriffshandlung des Täters ohne jeden Belang sind.
13
Anders verhält es sich indes im vorliegenden Fall. Der Angeklagte und sein Mittäter hatten sich durch die erste Angriffshandlung des Tatopfers noch nicht kontrolliert bemächtigt. Durch die erzwungene Fahrt wurden, wie dies der Tatbestand des § 316 a StGB erfordert, vielmehr die Gegenwehr und insbesondere die Fluchtmöglichkeit des Opfers erst endgültig eingeschränkt. Mithin wurde durch die Eigenschaft des Tatopfers als Kraftfahrzeugführer der räuberische Angriff hier zumindest erleichtert. Dies war dem Angeklagten und seinem Mittäter nicht nur bewusst, sondern es kam ihnen nach den getroffenen Feststellungen hierauf gerade an.
14
3. Dass der Angeklagte nicht, worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist, anstelle eines tateinheitlich begangenen Vergehens der Freiheitsberaubung wegen eines Verbrechens des erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239 a StGB verurteilt worden ist, beschwert den Angeklagten nicht.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 210/10
vom
5. August 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Geiselnahme u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. August
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Staatsanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. Dezember 2009, soweit es die Angeklagten R. und M. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, mit Ausnahme ihrer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten M. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen gefährlicher Körperverletzung , Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung sowie wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen den Angeklagten M. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Nötigung sowie wegen Diebstahls mit Waffen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt.
2
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision gegen den jeweiligen Schuldspruch. Sie beanstandet namentlich, dass das Landgericht die Angeklagten nicht wegen Geiselnahme (§ 239b StGB) verurteilt hat. Der Angeklagte M. rügt mit seiner Revision ebenfalls die Verletzung sachlichen Rechts und wendet sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung und die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen.
3
A. Revision der Staatsanwaltschaft
4
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.
5
I. Nach den getroffenen Feststellungen beschlossen die Angeklagten, der bereits rechtskräftig verurteilte frühere Mitangeklagte Ma. und der gesondert Verfolgte W. , den Zeugen " " S. , den sie der Unterschlagung von LSD verdächtigten, durch eine "erhebliche Drohkulisse" einzuschüchtern. Dabei war ihnen bewusst, dass es bei dem zu diesem Zweck geplanten fingierten Ankauf von LSD bei S. zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommen könnte. Sie lockten den Zeugen S. , der von den Zeugen We. und Sch. begleitet wurde, unter einem Vorwand zum Hauptbahnhof in Wu. . Dort gingen die Angeklagten und ihre Mittäter sofort mit Gewalt gegen S. und seine zwei Begleiter vor. Der Angeklagte M. schlug Sch. ohne Vorwarnung zweimal mit der Faust ins Gesicht. Der Angeklagte R. hielt We. einen Schlagstock vor den Hals, während ihm W. mehrere Schläge ins Gesicht versetzte.
Die Zeugen S. und Sch. konnten fliehen. Wegen dieses Sachverhalts hat das Landgericht die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.
6
Die Angeklagten, der frühere Mitangeklagte Ma. und der gesondert Verfolgte W. beschlossen nunmehr, sich des Zeugen S. zu bemächtigen , um ihn weiter einzuschüchtern und zur Herausgabe von Geld oder Drogen zu veranlassen. Sie zerrten und stießen den Geschädigten We. , den sie für den Zeugen S. hielten, auf die Rückbank eines Kraftfahrzeuges. Nachdem die in dem Pkw mitfahrenden Angeklagten und W. die Personenverwechslung bemerkt hatten, verlangten sie von We. , sie zu S. zu bringen oder ein Treffen mit ihm zu arrangieren. Während der Fahrt zur Wohnung des S. bedrohten sie We. u. a. damit, man werde mit ihm "in den Wald fahren" und ihm "einen Finger abschneiden" , wenn er nicht kooperiere. Der gesondert Verfolgte W. äußerte, er werde We. "abstechen", denn er sei psychisch krank. Dabei fuchtelte er mit einem Messer herum. Der Angeklagte M. , der zwischen beiden saß, forderte ihn auf, das Messer wegzustecken. Während der Fahrt schlugen der Angeklagte M. und der gesondert Verfolgte W. dem Tatopfer ins Gesicht, sodass es blutete. Auf Aufforderung des W. gab We. sein Mobiltelefon und seine Geldbörse samt Personalausweis heraus. Diese Gegenstände sollten dem Geschädigten bei dessen Freilassung wieder ausgehändigt werden.
7
Entsprechend einer Anweisung der Angeklagten und ihrer Mittäter klingelte der Geschädigte We. aus Angst vor weiterer körperlicher Gewalt an der Wohnungstür des abwesenden Zeugen S. und veranlasste dessen Lebensgefährtin zu öffnen. In der Wohnung drohten der Angeklagten M. und W. damit, S. umzubringen, wenn er nicht Drogen oder Geld herausgebe. Die Lebensgefährtin des Zeugen S. konnte indes zum möglichen Aufbewahrungsort von Drogen oder Geld keine Angaben machen. Der Geschädigte We. erhielt vom Angeklagten M. in der Wohnung nochmals eine kräftige Ohrfeige.
8
Anschließend zwangen die Angeklagten, der rechtskräftig Verurteilte Ma. und der gesondert Verfolgte W. den Zeugen We. , sie zur Wohnung des Sch. zu führen. Auch während dieser Fahrt wurde We. geschlagen und dahingehend bedroht, man werde ihn oder seine Freundin "auf den Strich schicken". Nachdem der Angeklagte M. die Tür zur Wohnung des Sch. eingetreten hatte, entwendeten die Angeklagten und ihre Mittäter mehrere diesem gehörende Gegenstände, u. a. nahm der Angeklagte M. ein Klappmesser mit. Während der gesamten Tat führte der Angeklagte R. einen Schlagstock und ein Klappmesser bei sich.
9
II. Das Landgericht hat auf der Grundlage dieser Feststellungen eine Geiselnahme (§ 239b StGB) verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Eine Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung sei nicht feststellbar gewesen. Das dem Zeugen We. angekündigte Übel sei im Laufe der Ereignisse mehrfach ausgetauscht worden. Lediglich die Androhungen "in den Wald fahren" oder den Zeugen "abzustechen" hätten im Sinne einer Bedrohung mit dem Tod oder mit einer schweren Körperverletzung verstanden werden können. Indes verlange der Tatbestand der Geiselnahme - wie sich schon aus der hohen Strafandrohung ergebe - eine ernsthafte und konkrete Drohung. Eine solche lasse sich aufgrund der Wechselhaftigkeit der Äußerungen gerade nicht erkennen. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass die vom gesondert Verfolgten W. ausgesprochene Drohung, den Geschädigten We. "abzustechen", dem Tatplan der Angeklagten entsprochen habe.
10
III. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
11
1. Als durchgreifender Rechtsfehler erweist es sich bereits, dass das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob die Angeklagten und ihre Mittäter sich des erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 1. Alt. StGB schuldig gemacht haben. Denn nach den Feststellungen bemächtigten sie sich des Zeugen We. , den sie zunächst mit dem Zeugen S. verwechselt hatten, "um ihn zumindest weiter einzuschüchtern und ihn zur Herausgabe von Geld oder Drogen aufzufordern". Damit sind sowohl der objektive Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes als auch die Absicht festgestellt, die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung während der Bemächtigungslage auszunutzen (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 239a Rn. 5 f.). Ob die Angeklagten und ihre Mittäter dabei davon ausgingen, sich zu Unrecht zu bereichern , hängt von ihren Vorstellungen über das Bestehen einer materiellrechtlich durchsetzbaren Forderung ab (Schönke/Schröder-Eser, StGB, 28. Aufl., § 253 Rn. 19; Fischer, aaO § 253 Rn. 18 ff., § 263 Rn. 190 ff.) Dass sie sich anstatt des Zeugen S. des Zeugen We. bemächtigten, ist nach den Grundsätzen des "error in persona" unbeachtlich (Schönke/SchröderCramer /Sternberg-Lieben, aaO § 15 Rn. 59; Fischer, aaO § 16 Rn. 5).
12
2. Mit Recht beanstandet die Beschwerdeführerin zudem, dass das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Geiselnahme nicht rechtsfehlerfrei verneint hat.
13
a) Den Tatbestand der Geiselnahme erfüllt, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt und dabei beabsichtigt, sein Opfer während der Dauer der Bemächtigungslage (BGH, Urteil vom 10. Juni 2007 - 1 StR 157/07, NStZ-RR 2007, 243; BGH, Beschluss vom 14. Mai 1996 - 4 StR 174/96, StV 1997, 302; Fischer, aaO § 239b Rn. 6) durch die Drohung mit dem Tode, einer schweren Körperverletzung oder mit Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen (§ 239b Abs. 1 1. Alt. StGB) Dasselbe gilt, wenn der Täter das Opfer zunächst ohne Nötigungsabsicht in seine Gewalt bringt und anschließend den von ihm geschaffenen Zustand zur Nötigung mittels einer qualifizierten Drohung ausnutzt (§ 239b Abs. 1 2. Alt. StGB). In beiden Fällen genügt es für den Vorsatz, dass der Täter weiß oder zumindest damit rechnet und es billigt, die beabsichtigte (Alt. 1.) oder geäußerte (Alt. 2.) Drohung könne von der bedrohten Person für ernst gehalten werden und in ihr Furcht vor ihrer Verwirklichung hervorrufen. Nicht notwendig für die Erfüllung des Tatbestandes ist es dagegen, dass der Täter den Betroffenen von der Ernsthaftigkeit seiner Drohung überzeugen will. Denn schon Zweifel daran, ob die Drohung wahr gemacht wird, können die Willensfreiheit des Geschädigten beeinträchtigen. Unerheblich ist auch, ob das Opfer die geäußerte Drohung (Alt. 2.) tatsächlich als Zwang empfindet und der Täter entschlossen ist, sie in die Tat umzusetzen (BGH, Urteil vom 16. März 1976 - 5 StR 72/76, BGHSt 26, 309, 310; BGH, Urteil vom 21. Mai 1985 - 1 StR 175/85, NStZ 1985, 455).
14
b) Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung bedeutet dies: Die Angeklagten und ihre Mittäter hatten den Geschädigten entführt und sich damit seiner bemächtigt. Während der Bemächtigungslage drohte der gesondert Verfolgte W. ausdrücklich, den Zeugen We. abzustechen, um ihn zur Kooperation zu nötigen, und verstärkte diese konkrete Todesdrohung dadurch, dass er mit einem Messer herumfuchtelte. Diese qualifizierte Drohung geschah unmittelbar nach der Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt gegen das Tatopfer, das geschlagen und mit einem Schlagstock bedroht worden war. Zwar haben die Angeklagten und der gesondert Verfolgte W. auch nicht qualifizierte Drohungen ausgesprochen. Dies nimmt jedoch bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Todesdrohung nicht ihre Eignung, im Zeugen We. Furcht vor ihrer Ernsthaftigkeit und möglichen Verwirklichung hervorzurufen. Die Angeklagten distanzierten sich in der Folgezeit von der Todesdrohung nicht und beteiligten sich aktiv an der weiteren Tatausführung. Die Aufforderung des Angeklagten M. an W. , das Messer wegzustecken , kann auch als Aufforderung verstanden werden, das Messer nicht sofort einzusetzen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte M. und W. im weiteren Verlauf der Tatbegehung noch Todesdrohungen zum Nachteil des S. aussprachen, was die Furcht des Zeugen We. vor der Umsetzung der zuvor ihm gegenüber ausgesprochenen Todesdrohung verstärkt haben kann. Unter diesen Umständen liegt es nicht fern, dass beide Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahmen, der Geschädigte We. werde auch aus Furcht vor der ausgesprochenen Todesdrohung gegen seinen Willen ihren Anweisungen weiter Folge leisten. Mit der Vorstellung der Angeklagten von der Wirkung der Todesdrohung auf die Willensentschließung und Willensbetätigung des Tatopfers befassen sich die Urteilsgründe indes nicht.
15
Auch der vom Landgericht mit einer pauschalen Begründung bejahte Mittäterexzess des gesondert Verfolgten W. hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 25. Juli 1989 - 1 StR 479/88, BGHSt 36, 231, 234; Fischer, aaO § 25 Rn. 20). Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Zurechnung keine ins Einzelne gehende Vorstellung von den Handlungen des anderen Tatbeteiligten erfordert. Regelmäßig werden die Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden musste, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sie sich nicht besonders vorgestellt hat (BGH, Urteil vom 1. September 1999 - 2 StR 94/99, NStZ 2000, 29 f.; BGH, Urteil vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261 f.). Dasselbe gilt, wenn ihm die Handlungsweise des Mittäters gleichgültig ist (BGH, Urteil vom 27. Mai 1998 - 3 StR 66/98, NStZ 1998, 511 f.; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1972 - 2 StR 256/72, NJW 1973, 377). Beide Angeklagten wirkten nach der Todesdrohung , an der weiteren Tatbegehung - bei der dem Opfer weitere Handlungen abgenötigt wurden - mit, ohne sich von dieser zu distanzieren. Hinzu kommt beim Angeklagten R. , dass er bei der Tatbegehung einen Schlagstock einsetzte und ein Messer bei sich führte, was ein Indiz dafür sein kann, dass er mit der Todesdrohung des Mittäters W. einverstanden oder diese ihm zumindest gleichgültig war. Auf der Grundlage der Feststellungen liegt die Annahme eines Mittäterexzesses daher eher fern; jedenfalls hätte seine Bejahung näherer Begründung bedurft. Im Übrigen drängt sich das Vorliegen zumindest sukzessiver Mittäterschaft auf.
16
IV. Die Sache bedarf daher zu diesem Tatkomplex neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass ein erpresserischer Menschenraub oder eine Geiselnahme mit dem Diebstahl mit Waffen nur dann in Tateinheit steht, wenn eine natürliche Handlungseinheit vorliegt. Sollte der Diebstahl mit Waffen - was nahe liegt - nur bei Gelegenheit der Bemächtigungslage ohne inneren Zusammenhang mit ihr geschehen sein, wäre von Tatmehrheit auszugehen.
17
V. Soweit sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft - ohne nähere Begründung - gegen die Verurteilung der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (Ziff. II.2. der Urteilsfeststellungen) richtet, ist es dagegen offensichtlich unbegründet. Diese Tat geschah, bevor sich die Angeklagten und ihre Mittäter entschlossen, den Zeugen S. zu entführen und sich in Ausführung ihres Tatplans des Zeugen We. bemächtigten. Der Senat kann ausschließen , dass die insoweit verhängte Einzelstrafe durch den Schuldspruch in dem Tatkomplex, über den neu zu verhandeln und zu entscheiden ist, beeinflusst worden ist.
18
B. Revision des Angeklagten M.
19
Das Rechtsmittel des Angeklagten M. ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Becker von Lienen Sost-Scheible Hubert Mayer
5 StR 575/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 19. März 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. März 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt A.
als Verteidiger für den Angeklagten H. ,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger für den Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt S.
als Verteidiger für den Angeklagten D. ,
Rechtsanwältin He.
als Verteidigerin für den Angeklagten C. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 26. Juni 2012 mit den Feststellungen zum Vorsatz der Angeklagten hinsichtlich des Ausmaßes der Gewaltanwendung aufgehoben. Die Maßregelanordnung gegen den Angeklagten H. bleibt aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten H. hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen die übrigen Angeklagten hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen verhängt, gegen den Angeklagten K. eine solche von zwei Jahren, gegen den Angeklagten D. eine solche von einem Jahr und neun Monaten und gegen den Angeklagten C. – unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung – eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft erhobenen – vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich der Angeklagten K. und C.
vertretenen – Revisionen wenden sich jeweils mit der Sachrüge gegen die unterbliebene Anwendung des Qualifikationstatbestandes des besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen die Angeklagten den Nebenkläger, den sie für einen Drogenhändler hielten, in seiner Wohnung, um Geld und Drogen zu erbeuten. Sie gingen davon aus, dem Nebenkläger aufgrund ihrer Überzahl deutlich überlegen zu sein, und erwarteten , dessen Widerstand „nur für kurze Zeit ohne erhebliche Gewaltanwen- dung überwinden zu müssen“ (UA S. 10).Als sie die Wohnung stürmten, wurde der kräftig gebaute Nebenkläger weggestoßen und kam zu Fall. Während die Angeklagten H. und D. absprachegemäß die Räume nach Drogen und Geld durchsuchten, stürzten sich die Angeklagten K. und C. auf den sich heftig wehrenden Nebenkläger, schlugen nach ihm und versuchten, ihn festzuhalten. Dabei versetzte ihm einer dieser beiden Angeklagten einen so heftigen Tritt gegen das rechte Bein, knapp unterhalb des Knies, dass der Nebenkläger eine Schienbein-Trümmerfraktur und eine Knorpelverletzung im Knie verbunden mit heftigen, andauernden Schmerzen erlitt. K. und C. hielten den sich wehrenden und laut vor Schmerz und Angst schreienden Nebenkläger weiter fest. D. hatte im Wohnzimmer Bargeld in Höhe von 120 €, Drogen und Zigaretten an sich genommen. Das laute Schreien des Nebenklägers „verstörte“ die Angeklagten; „sie befürchteten mehr und mehr“ (UA S. 13), dass Nachbarn auf ihre Anwesenheit aufmerksam und die Polizei verständigen würden. Der Angeklagte D. gab deshalb das Kommando zur Flucht, woraufhin die Angeklagten die Wohnung verließen. Eine durch das Schreien des Nebenklägers auf den Überfall aufmerksam gewordene Nachbarin alarmierte die Polizei.
3
Das Landgericht hat nicht feststellen können, welcher der beiden Angeklagten K. oder C. den Nebenkläger getreten hatte. Es ist nicht davon ausgegangen, „dass die übrigen Angeklagten diesen Fußtritt sahen oder mit einer solchen Attacke auch nur rechneten“ (UA S. 25). Dagegen spreche die von allen Angeklagten geschilderte Erwartung, den Nebenkläger ohne „erhebliche“ Gewaltanwendung durch einen zügig durchgeführten Überfall in dessen Wohnung berauben zu können. Dies gelte umso mehr, als die lauten Schmerzensschreie den Angeklagten ungelegen gekommen seien. Die Strafkammer hat deshalb den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB bezüglich aller Angeklagten verneint.
4
2. Dies hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Der dem Nebenkläger bei der Raubtat von einem der Angeklagten zugefügte Tritt stellt aufgrund seiner schwerwiegenden Verletzungsfolgen und der erheblichen damit verbundenen Schmerzen eine körperlich schwere Misshandlung im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a StGB dar (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 1998 – 5 StR 216/98, BGHR StGB § 250 Abs. 2 Nr. 3 lit. a Misshandlung, körperlich schwere 1; MünchKommStGB/Sander, 2. Aufl., § 250 Rn. 66 mwN).
6
b) Zwar haftet jeder Täter für das Handeln eines Mittäters nur im Rahmen seines eigenen Vorsatzes, ist also für den tatbestandlichen Erfolg nur so weit verantwortlich, wie sein Wille reicht; ein Exzess des anderen fällt ihm nicht zur Last. Allerdings werden Handlungen eines anderen Tatbeteiligten , mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er sich diese nicht besonders vorgestellt hat; ebenso ist er für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn er mit der Handlungsweise seines Tatgenossen einverstanden oder sie ihm zumindest gleichgültig war (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 StR 517/10; Urteile vom 5. August 2010 – 3 StR 210/10 – und vom 26. April 2012 – 4 StR 51/12, NStZ 2012, 563; jeweils mwN).
7
Das Landgericht hätte sich demnach eingehender mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Angeklagten nach den gesamten Umständen des Falls von vornherein auch mit einer intensiveren Gewaltanwendung gegen den Nebenkläger rechnen mussten, die dann auch Tritte gegen das Schienbein umfassten. Die Angeklagten kannten den Nebenkläger vor der Tat nicht und konnten sich – soweit ersichtlich – weder ein Bild über dessen körperliche Konstitution und Wehrhaftigkeit machen, noch wussten sie, ob der Nebenkläger, den sie für einen Drogenhändler hielten, bewaffnet sein würde und sie ihn überhaupt allein in seiner Wohnung antreffen würden. Diese Umstände, die unter Beweiswürdigungsgesichtspunkten ungeachtet der Vielzahl der Angreifer bereits gegen einen auf nicht „erhebliche“ Gewaltanwendung beschränkten Tatplan sprechen können, wären im Urteil zu erörtern gewesen.
8
c) Das Landgericht hat auch nicht die Möglichkeit einer Vorsatzerweiterung in Betracht gezogen. Infolge der von Beginn an heftigen Gegenwehr des kräftig gebauten Nebenklägers (UA S. 19, 25) war der von der Strafkammer angenommene ursprüngliche Tatplan, „den Widerstand des Nebenklägers nur für kurze Zeit ohne erhebliche Gewaltanwendung“ zu überwinden (UA S. 10), jedenfalls ersichtlich nicht aufgegangen. Angesichts des fortdauernden Kampfgeschehens war es naheliegend, dass die unmittelbar hieran beteiligten Angeklagten K. und C. ihren Tatvorsatz der geleisteten Gegenwehr anpassten und mit der dann durch einen von ihnen tatsächlich verübten Gewalt rechneten und sie billigten. Dass auch der Angeklagte H. , der das Gerangel zumindest teilweise optisch wahrnahm, und der im Wohnzimmer befindliche Angeklagte D. aufgrund akustischer Eindrücke inzwischen die unerwartet heftige Gegenwehr des Nebenklägers bemerkt hatten und mit erheblicher Gewaltanwendung der beiden Mitangeklagten zur Überwindung dieser Gegenwehr rechneten, liegt gleichfalls nahe und bedurfte ebenso näherer Erörterung. Ein ganz kurzer zeitlicher Ablauf des Tatgeschehens , wie ihn die Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung behauptet haben, würde an dieser Beurteilung nichts ändern.
9
d) Die Feststellungen legen es überdies nahe, dass spätestens nach dem Tritt alle Angeklagten bei gleichzeitiger Fortsetzung des Raubes mit der schweren körperlichen Misshandlung einverstanden waren oder ihr zumindest gleichgültig gegenüberstanden (Prinzip der sukzessiven Mittäterschaft). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die konkrete Verletzungshandlung für jeden der Angeklagten wahrnehmbar war. Zumindest der durch sie hervorgerufene Erfolg war aufgrund der lauten und anhaltenden Schmerzensschreie des Nebenklägers, die bis in die Nachbarwohnung drangen, für jeden der Angeklagten – insbesondere aber für K. und C. – erkennbar und legte den Rückschluss auf eine schwere körperliche Misshandlung nahe. Dass sich die Angeklagten unmittelbar nach den Schmerzensschreien des Nebenklägers von der Gewaltanwendung distanziert hätten, hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Angeklagten K. und C. setzten den Kampf trotz der anhaltenden Schmerzensschreie des Nebenklägers bis zu dessen Erschöpfung und Nachlassen seiner Gegenwehr fort. Den Urteilsgründen lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Angeklagten H. und D. ihre Suche nach Drogen und Geld angesichts der Schmerzensschreie des Nebenklägers sofort abbrachen. Erst nach dem Ruf des um Entdeckung fürchtenden Angeklagten D. beendeten alle Angeklagten die Tatausführung und verließen mit der Beute die Wohnung.
10
3. Die Schuld- und damit einhergehend die Strafaussprüche bedürfen daher auf der Basis neuer und ergänzender Feststellungen zum jeweiligen Mittätervorsatz neuer tatgerichtlicher Würdigung. Sämtliche, mit Ausnahme der im Tenor genannten, Feststellungen, sowohl die zum gesamten objektiven Tatablauf als auch diejenigen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten , werden vom Revisionsangriff nicht berührt und können bestehen bleiben; möglich sind insoweit lediglich ergänzende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen. Der Maßregelausspruch gegen den Angeklagten H. bleibt von der Aufhebung unberührt.
11
Im Falle von Schuldsprüchen wegen besonders schweren Raubes wird hinsichtlich aller Angeklagten nach dem Gesamtbild von Tat – verhältnismäßig geringe Beute, „Milieutat“ mit nicht vorgeplanter massiver Gewalt – und Tätern – ein erheblich süchtiger Persönlichkeitsgestörter, drei zur Tatzeit Unbestrafte – bei der Strafrahmenwahl ungeachtet bestehender Strafschärfungsgründe die Annahme eines minder schweren Falls nahe liegen.
Basdorf Sander Schneider Dölp Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 301/07
vom
18. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Mord u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerinnen,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2006 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge schuldig ist;
b) im Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten K. aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten dieses Rechtsmittels - an eine als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit der auf die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen das Urteil. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Sie wird vom Generalbundesanwalt vertreten und erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten K. wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge. Während das Rechtsmittel des Angeklagten keinen Erfolg hat, ist das Urteil, soweit es den Angeklagten K. betrifft, auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Schuldspruch zu ändern und im Strafausspruch aufzuheben.
2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Nachmittag des 29. Oktober 2005 überfielen die Angeklagten S. und K. den 62-jährigen W. in seinem Schrebergarten, um dessen Fahrzeug gewaltsam zu entwenden. Die beiden Angeklagten hatten sich zuvor darauf verständigt, das Opfer niederzuschlagen, um ihm die Autoschlüssel abzunehmen und die Zeit der Ohnmacht oder Benommenheit zur Wegnahme des Autos und zur Flucht zu nutzen. Der Angeklagte K. sollte dazu W. nach Wasser und Arbeit fragen; währenddessen sollte sich der Angeklagte S. unbemerkt von hinten anschleichen und das Opfer niederschlagen. Die Mitangeklagte D. hatte diese Absprache mitbekommen und war damit einverstanden, in der Nähe des Fahrzeugs zu warten und gegebenenfalls vor herannahenden Personen zu warnen. K. und D. wussten, dass der Angeklagte S. ein Fahrtenmesser in der Lederscheide am Gürtel bei sich trug.
4
Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend verwickelte der Angeklagte K. W. in ein Gespräch. Der Angeklagte S. hatte sich zunächst im Hintergrund gehalten. In ihm war plötzlich der Gedanke gereift, W. mit seinem mitgeführten Messer zu erstechen, um ungestört und ohne Angst vor späteren Folgen mit dem entwendeten Pkw weiterreisen zu können. Er zog deshalb mit der rechten Hand sein Fahrtenmesser aus der Lederscheide und schlich sich - ansonsten absprachegemäß - von hinten an den völlig ahnungslosen W. heran. Als er dicht hinter ihm angekommen war, schlug er W. nicht - wie vom Angeklagten K. dem Tatplan gemäß erwartet - nieder, sondern umschlang ihn mit dem linken Arm von hinten im Schulterbereich und zog ihn zu sich her. Gleichzeitig führte er mit der rechten Hand mit dem gezückten Messer in Tötungsabsicht zwei heftige Stiche tief in die linke Halsseite, wodurch die Halsschlagader durchtrennt wurde. W. sank zu Boden, versuchte aber in höchster Lebensangst zu schreien und sich durch Arm- und Beinbewegungen zu wehren. Der Angeklagte S. stürzte sich auf ihn und stach weitere neun Mal schnell und heftig vor allem auf die linke Brustseite des Opfers ein. Der nun wehrlose, tödlich getroffene W. gab nur noch schwache Lebenszeichen von sich.
5
Um der Gefahr der zufälligen Entdeckung durch Passanten auf dem nur wenige Meter entfernten Weg zu entgehen, begann der Angeklagte S. W. nach hinten in das Grundstück zu ziehen. Da ihm dies alleine zu schwer und zu langsam ging, forderte er den Angeklagten K. auf, ihm zu helfen. K. hatte, als er die wahre Absicht des Angeklagten S. erkannte, versucht wegzulaufen, war aber an den Spalierdrähten der Sträucher gescheitert. Als er auf die Aufforderung nicht gleich reagierte, drohte ihm der Angeklagte S. , dass ihm dasselbe geschehe. Da es dem Angeklagten K. vor dem Hintergrund ihrer bedrängten Lage (keine finanziellen Mittel, keine Bleibe) und wegen seines angeschlagenen körperlichen Zustandes (Blasen an den Füßen) nach wie vor darum ging, in den Besitz des Fahrzeugs zu gelangen, um damit gemeinsam schnell und bequem nach München fahren zu können, schob er seine Bedenken wegen des Zustechens durch S. beiseite und entschloss sich, diesem zu helfen. Er nahm die rechte Hand von W. , dessen Tod auch er alsbald erwartete, und schleifte gemeinsam mit dem Angeklagte S. das bereits bewusstlos gewordene Opfer rund zehn Meter Richtung Grundstücksmitte, um es zu verstecken.
6
Während der Angeklagte K. sich nun auf Anweisung des Angeklagten S. auf den Weg zum Auto machte, nahm der Angeklagte S. den Schlüsselbund, an dem sich unter anderem der Autoschlüssel befand, aus der Hosentasche des Opfers. Die Angeklagte D. war während des Geschehens absprachegemäß in der Nähe des Fahrzeugs geblieben, um den Weg zu beobachten und gegebenenfalls rechtzeitig zu warnen. Die drei Angeklagten flüchteten anschließend mit dem Auto des Opfers. W. verstarb an den ihm zugefügten Verletzungen.
7
II. Die Revision des Angeklagten K. ist unbegründet, da eine Überprüfung des Urteils weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Sachrüge geltend macht, das Landgericht habe § 35 Abs. 2 StGB übersehen, dringt er nicht durch. Die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 StGB liegen nach den getroffenen Feststellungen offensichtlich nicht vor, so dass die Kammer in den Urteilsgründen auch nicht darauf eingehen musste. http://www.juris.de/jportal/portal/t/j8i/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE044103307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/j8i/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE044103307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/jit/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE004118042&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 7 -
8
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge erstrebt, hat Erfolg. Die von der Kammer getroffenen Feststellungen tragen diesen Schuldspruch.
9
1. Zwar sind dann, wenn lediglich einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg verursacht hat, die übrigen nach § 251 StGB grundsätzlich nur strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Gewaltanwendungen erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist, und wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist. Ein Beteiligter haftet somit gemäß § 251 StGB als Mittäter nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hat.
10
Nicht jede Abweichung des tatsächlichen Geschehens von dem vereinbarten Tatplan beziehungsweise von den Vorstellungen des Mittäters begründet die Annahme eines Exzesses. Vielmehr liegt sukzessive Mittäterschaft vor, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des bisher Geschehenen - auch wenn dieses in wesentlichen Punkten von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht - in eine bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eintritt. Sein Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass ihm das gesamte Verbrechen strafrechtlich zugerechnet wird. "Nur für das, was schon vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis ... die strafbare Verantwortlichkeit nicht zu begründen" (BGHSt 2, 344, 346). Der die Mittäterschaft begründende Eintritt ist demnach noch möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat noch nicht beendet hat, selbst wenn sie strafrechtlich schon vorher vollendet war (BGH JZ 1981, 596).

11
2. Von diesen Grundsätzen ausgehend tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge.
12
Der Angeklagte K. hat in Verfolgung des gemeinsamen Tatplanes die tödlich verlaufenden Körperverletzungen, die sein Mittäter - im Rahmen verabredeter Gewaltausübung - dem Opfer beigebracht hatte, dazu ausgenutzt, sich und seine Tatgenossen in den Besitz des Kraftfahrzeugs zu bringen. Dass die tatsächliche Tatausführung von der ursprünglich geplanten abwich, ist dabei unerheblich. Der Angeklagte K. hatte nach den Feststellungen das Geschehen unmittelbar mitverfolgt und trat in Kenntnis und Billigung dieser Umstände in die bereits begonnene, von der ursprünglichen Absprache abweichende Ausführungshandlung ein, indem er mit dem Angeklagten S. das Opfer, "dessen Tod auch er alsbald erwartete" (UA S. 19), versteckte. Um bequem nach München fahren zu können, schob er seine Bedenken wegen des Zustechens durch S. beiseite. Dadurch sowie durch das Ansichnehmen der Kfz-Schlüssel aus der Kleidung des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten und durch das folgende Entwenden des Fahrzeugs hat sich sein Vorsatz sukzessiv auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters S. erstreckt (vgl. BGH NJW 1998, 3361, 3362; BGH, Beschl. vom 1. Februar 2007 - 5 StR 494/06; Fischer, StGB 55. Aufl. § 251 Rdn. 10). Der Angeklagte K. handelte im Hinblick auf die von ihm gebilligten Tathandlungen des Angeklagten S. und durch die eigene Mithilfe beim Verstecken des tödlich verletzten Opfers bezüglich des Todeseintritts jedenfalls leichtfertig. Dies bedarf aufgrund der Art des Messereinsatzes durch den Angeklagten S. keiner näheren Ausführung.
13
Somit hat er sich als Mittäter des Raubes mit Todesfolge gemäß §§ 251, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Gleichzeitig wurde er Gehilfe des Mörders mit den eigenen Mordmerkmalen "aus Habgier" und "zur Ermöglichung einer Straftat" nach §§ 211, 27 StGB.
14
3. Da weitere Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst.
15
IV. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die dazu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von der Änderung des Schuldspruchs nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende weitere Feststellungen hierzu kann der neue Tatrichter treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
16
Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, hat der Senat die Sache zur Bemessung einer neuen Strafe und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft an eine als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 446/11
vom
14. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Februar 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision desAngeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 28. Juli 2011 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat; jedoch wird der Urteilstenor dahin ergänzt, dass der Angeklagte unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 7. Mai 2009 (127 Ls - 602 Js 1728/085 /09) und vom 29. März 2010 (126 Ls - 601 Js 2287/09-87/09) zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen" versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls und "gemeinschaftlichen" Mordes in Tateinheit mit "gemeinschaftlichem" Raub mit Todesfolge unter Einbeziehung "der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 29.03.2010, Az. 126 Ls -601 Js 2287/09-87/09" zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Mit Blick auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Verurteilung wegen Raubes mit Todesfolge bemerkt der Senat ergänzend, dass ein Schuldspruch wegen einer vollendeten Tat nach § 251 StGB nicht allein deshalb ausscheidet, weil das Opfer im Zeitpunkt der Wegnahme an den Folgen der Raubhandlung bereits verstorben war (BGH, Beschluss vom 18. August 2009 - 5 StR 227/09, NStZ 2010, 33).
3
Das Landgericht hat allerdings übersehen, dass bei der Bildung einer Einheitsjugendstrafe dann, wenn in die einzubeziehende Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung einbezogen worden war, beide Entscheidungen erneut formell einzubeziehen und im Urteilstenor entsprechend zu kennzeichnen sind. Der Senat holt dies in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO nach und ergänzt den Urteilstenor entsprechend.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 14/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 22. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B. und A. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2012, auch soweit es die Mitangeklagten El B. und El J. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben ; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten B. und A. sowie die nichtrevidierenden Mitangeklagten El B. und El J. des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen ; deswegen hat es die Angeklagten B. und A. jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und die Mitangeklagten El B. und El J. jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
2
Die jeweils auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten erweisen sich zum Schuldspruch als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, führen aber zu der - gemäß § 357 StPO auch auf die Mitangeklagten zu erstreckenden - Aufhebung des Strafausspruchs.
3
1. Nach den Feststellungen beschlossen die Mitangeklagten El B. und El J. , den an einem Rauschgiftkauf interessierten Nebenkläger "abzurippen", um an sein Bargeld zu gelangen. Die Angeklagten B. und A. erklärten sich bereit, bei dem Scheingeschäft mitzumachen. Alle vier verabredeten, dass die Scheinabwicklung des Drogengeschäfts in einer Grünanlage erfolgen sollte. Die Angeklagten B. und A. sollten sich dabei im Hintergrund verborgen halten, um gegebenenfalls eingreifen zu können, falls das Geschäft nicht erwartungsgemäß ablaufe und man dem Kaufinteressenten sein Geld mit Gewalt abnehmen müsse. Nachdem der Nebenkläger gegen 23.00 Uhr zum ursprünglich vereinbarten Treffpunkt gekommen war, wurde er von den Mitangeklagten unter dem Vorwand, dass man das Geschäft nicht auf der Straße abwickeln wolle, in einen Park gelockt. Als der Nebenkläger dort sein Geld erst nach Sichtung der Ware hergeben wollte, rief einer der beiden Mitangeklagten die beiden im Gebüsch verborgenen Angeklagten herbei. Der Angeklagte A. stürmte mit Gebrüll aus dem Gebüsch, wobei er sich mit einem dort gefundenen Ast bewaffnet hatte. Der Versuch des Nebenklägers, noch die Flucht zu ergreifen, blieb erfolglos. Der Angeklagte A. erreichte den Nebenkläger als erster und hieb ihm den Ast mit solcher Wucht gegen die Wade, dass der Nebenkläger zu Boden ging und eine 2 cm tiefe Platzwunde erlitt. Am Boden schlugen mehrere der vier Angreifer auf ihn ein, bis es dem Mitangeklagten El B. schließlich gelang, dem Neben- kläger aus dessen Tasche 1.700 € zu entreißen.
4
2. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
5
a) Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagten hätten bei Begehung des Raubes zusätzlich zu dem Qualifikationsmerkmal des § 250 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB auch jenes einer schweren körperlichen Misshandlung (§ 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB) verwirklicht, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss zur Erfüllung dieses Merkmals die körperliche Integrität des Opfers schwer, das heißt mit erheblichen Folgen für die Gesundheit oder in einer Weise beeinträchtigt sein, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist. Es genügen dabei heftige und mit Schmerzen verbundene Schläge (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 1998 - 5 StR 216/98, NStZ 1998, 461; vom 26. April 2006 - 1 StR 151/06, und vom 30. Januar 2007 - 3 StR 1/07, NStZ-RR 2007, 175). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht allerdings in Bezug auf den von dem Angeklagten A. geführten Stockhieb gegen das Bein des Nebenklägers und die folgenden Schläge nicht festgestellt; hinsichtlich des schwerwiegenden von dem Nebenkläger bei dem Überfall weiter erlittenen Messerstichs hat das Landgericht keinen der vier Angreifer als Täter feststellen können und diese Verletzungshandlung dementsprechend keinem der Angeklagten bzw. Mitangeklagten zugerechnet.
6
b) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht zudem den vom Angeklagten A. geführten Stockhieb dem Angeklagten B. und den Mitangeklagten El B. und El J. auch hinsichtlich der tateinheitlich begangenen gemeinschaftlichen Körperverletzung zugerechnet und hinsichtlich aller Ange- klagten neben den Qualifikationsmerkmalen des § 224 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB auch das Merkmal des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als verwirklicht angesehen. Ein gemeinsamer Tatplan, der den Einsatz einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs vorsah, bestand nach den Feststellungen jedoch nicht. Da die durch das Zuschlagen mit dem Ast durch den Angeklagten A. verwirklichte qualifizierte Körperverletzung schon abgeschlossen war, als der Angeklagte B. und die Mitangeklagten begannen, auf den Nebenkläger einzuschlagen , lässt sich eine strafrechtliche Zurechnung des Stockhiebs auch nicht mit der vom Landgericht angeführten Erwägung begründen, dass alle Täter die hierdurch geschaffene Situation gemeinschaftlich ausnutzten. Für die Annahme sukzessiver Mittäterschaft des Angeklagten B. und der beiden Mitangeklagten ist in Bezug auf den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung - anders als im Hinblick auf den zugleich erfüllten Tatbestand des besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 2. Var. StGB - kein Raum. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zieht bei einem Geschehen, welches schon vollständig abgeschlossen ist, das Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung oder Ausnutzung der durch den anderen Mittäter geschaffenen Lage eine strafbare Verantwortung für das bereits abgeschlossene Geschehen nicht nach sich (BGH, Urteil vom 24. April 1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 346; Senat, Beschlüsse vom 24. November 1993 - 2 StR 606/93, NStZ 1994, 123, und vom 12. Februar 1997 - 2 StR 28/97, NStZ 1997, 272; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 301/07, NStZ 2008, 280). Das gilt auch, wenn - wie hier - eine Tatbestandsvariante vorliegt , die vom Mittäter vor Hinzutritt der weiteren Tatbeteiligten vollständig erfüllt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Februar 1997, aaO). Insofern handelte es sich bei dem Stockhieb des Angeklagten A. um einen Mittäterexzess.
7
3. Diese Rechtsfehler berühren zwar den Schuldspruch wegen der rechtlich zutreffend angenommenen Verwirklichung der weiteren Tatbestandsalternativen des § 250 Abs. 2 StGB bzw. des § 224 Abs. 1 StGB nicht. Jedoch ist das Landgericht bei der Strafzumessung von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen, indem es zu Lasten aller Angeklagten ausdrücklich berücksichtigt hat, dass durch die Tat mehrere Strafgesetze verletzt und dort jeweils mehrere Qualifikationsmerkmale verwirklicht worden seien. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Beurteilung mildere Freiheitsstrafen verhängt hätte. Gemäß § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung des Strafausspruchs auch auf die als Mittäter verurteilten nicht revidierenden Mitangeklagten El B. und El J. zu erstrecken.
8
4. Die dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen werden von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
Fischer Appl Schmitt Berger Ott
20
Sukzessive Mittäterschaft kommt in Betracht, wenn ein Täter in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen – selbst bei Abweichungen vom ursprünglichen Tatplan in wesentlichen Punkten – in eine bereits begonnene Ausführungshandlung eintritt (vgl. dazu aber auch BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, Rn. 38). Sein Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass ihm die gesamte Tat zugerechnet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 aaO).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 419/06
vom
14. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Dezember
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. April 2006 werden verworfen. 2. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft in erster Linie die Verneinung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe durch das Landgericht. Die Nebenklägerin wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, ebenfalls gegen die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen Totschlags. Sie vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte des Mordes aus niedrigen Beweggründen, hilfsweise tateinheitlich zum Totschlag des versuchten Verdeckungsmordes, begangen durch Unterlassen, hätte schuldig gesprochen werden müssen. Sämtliche Revisionen erweisen sich als unbegründet.

II.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Der Angeklagte war mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, der am 10. April 2003 geborene Steffen Lars und das spätere am 23. April 2005 geborene Tatopfer Mike Steven. Nach der Geburt des zweiten Kindes verschlechterte sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und sich zuspitzender finanzieller Probleme das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau. Auch im Verhältnis zu seinen Kindern reagierte der Angeklagte zusehends gereizter und aggressiver. Bei den ihm häufig von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflege von Mike übertragenen Aufgaben, etwa beim Ankleiden oder Windelwechseln, ging er sehr ungeduldig und grob, in zwei Fällen sogar mit derartiger körperlicher Kraft vor, dass das Kind erheblich verletzt wurde. In einem Fall, hatte er, als der Säugling beim Ankleiden strampelte, dessen linken Arm so fest gepackt und durch den Ärmel des Kleidungsstücks gezogen , dass das Kind einen Bruch des Oberarms erlitt. Bei einem weiteren Vorfall trug das strampelnde Kind durch einen heftigen Griff des Angeklagten beim Wickeln eine Spiralfraktur des rechten Oberschenkelknochens davon. Diese Vorfälle sind nicht Verfahrensgegenstand.
4
Am Tattag, den 9. Juli 2005, verließ die Nebenklägerin gegen 9 Uhr morgens die eheliche Wohnung zu einem Einkaufsbummel. Die Bitte des Angeklagten , Mike oder wenigstens den älteren Sohn Lars mitzunehmen, hatte sie zuvor abgelehnt. Hierüber war der Angeklagte verärgert, da er bereits am Vortag sowie bei mehreren Gelegenheiten zuvor allein die Pflege und Aufsicht über die Kinder wahrgenommen hatte, während seine Ehefrau Freizeitaktivitäten nachgegangen war. Im Verlauf des Morgens begann Mike zu quengeln und zu schreien. Der Angeklagte war "genervt"; er versuchte zunächst das Kind durch Herumtragen und Schaukeln in seinem Kindersitz zu beruhigen. Weder durch anschließendes Füttern noch Wickeln gelang es ihm jedoch, das Kind vollständig ruhig zu stellen. Durch das fortwährende Schreien seines Sohnes wurde der Angeklagte immer ungeduldiger und gereizter. Hinzu kam, dass er auch den älteren Sohn Steffen zu beaufsichtigen hatte. Schließlich war der Angeklagte bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um Mike zum Schweigen zu bringen. Zunächst schüttelte er den Säugling so heftig, dass hierdurch Einblutungen in dessen Augen hervorgerufen wurden. Als das Kind daraufhin weiter schrie, schlug ihm der Angeklagte mit der Hand mehrfach mit derart roher Gewalt auf das mit einer Windel bedeckte Gesäß, dass ein großflächiges Hämatom entstand. Da Mike heftig weiter schrie, geriet der Angeklagte in eine derart aggressive , gereizte und ungeduldige Stimmung, dass ihm jedes Mittel recht war, um endlich Ruhe zu bekommen. Er führte - wovon das Landgericht zu seinen Gunsten ausgegangen ist - den Kindersitz, in dem das Kind unangeschnallt saß, mit einem wuchtigen Schlag gegen einen Heizkörper, so dass Mike aus dem Sitz heraus mit dem Kopf gegen den Heizkörper geschleudert wurde. Dem Angeklagten war hierbei bewusst, dass eine solche massive Gewalteinwirkung auch tödliche Verletzungen des erst zehn Wochen alten Kindes zur Folge haben konnte. Er nahm dies jedoch in Kauf, um den Säugling endlich zur Ruhe zu bringen. Mike erlitt infolge des Aufpralls eine Fraktur des linken Scheitelbeins und verlor das Bewusstsein. Gegenüber seiner unmittelbar danach zurückkehrenden Ehefrau versuchte der Angeklagte den Zustand des Kindes zu verheimlichen. Diese bemerkte jedoch eine Beule am Kopf des Kindes und brachte es umgehend in eine Kinderklinik. Noch in der folgenden Nacht verstarb Mike an den schweren Hirnverletzungen, die er durch den Aufprall auf den Heizkörper erlitten hatte.
5
Zu den Beweggründen der Tat hat das Landgericht ausgeführt, mitursächlich für die Tat sei die Verärgerung des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau gewesen, die ihn zum Tatzeitpunkt nahezu zwei Tage mit den Kindern allein gelassen hatte, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Diese Verärgerung sei zum Zeitpunkt der Tathandlung jedoch bereits in den Hintergrund gerückt. Bestimmendes und unmittelbar tatauslösendes Motiv sei die Verärgerung und Gereiztheit des Angeklagten über das ständige Schreien des Kindes gewesen. Der ohnehin gegenüber seinen Kindern ungeduldige und leicht reizbare Angeklagte habe nur noch das Ziel gehabt, Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben. Diese Annahme werde durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, der von einem ständigen "Plärren" des Kindes sowie seiner sich dadurch immer weiter steigender Gereiztheit berichtet habe. Auch der den Angeklagten noch am Tattag vernehmende Polizeibeamte habe bekundet, nach seinem Eindruck habe der Angeklagte aufgrund des ständigen Schreiens des Kindes die Nerven verloren und nur noch gewollt, dass dieses ruhig sei.

III.

6
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin:
7
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Beweggründen der Tat und zur Annahme eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die hiergegen gerichteten Revisionsangriffe stellen weitgehend den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (zur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Überzeugungsbildung 33 m.w.N.).
8
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint.
9
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtenswert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache kommen dabei in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36, 45 und 46 jew. m.w.N.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 20; BGH NStZ 2006, 338, 340 m.w.N.).
10
b) Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung diese Grundsätze im Blick gehabt. Es hat sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der maßgebliche Beweggrund des Angeklagten für die Tatbegehung, nämlich seine Verärgerung über das ständige Weinen des Kindes verbunden mit dem Bestreben "Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben", Ausdruck einer niedrigen, besonders verachtenswerten Gesinnung des Angeklagten war. Hierbei war für das Landgericht leitend, dass der Angeklagte nahezu zwei Tage mit der Aufsicht und Pflege beider Kinder befasst gewesen war, er vor der Tat mehrfach versucht hatte, Mike mit angemessenen Mitteln, etwa durch Wickeln und Füttern, ruhig zu stellen und das Kind gleichwohl immer wieder, zuletzt unaufhörlich weiter geschrieen hatte. Ersichtlich hat es damit darauf abgestellt, dass der ohnehin leicht reizbare Angeklagte in dieser Situation nervlich überfordert war und es deshalb - und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, verwerflichen Gesinnung heraus - zu einem Aggressionsdurchbruch und der Gewaltanwendung gegen das Kind kam (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 1, 31). Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 79, 80; NStZ 2006, 338, 340) und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
11
3. Vergebens rügt die Nebenklage, das Landgericht habe es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, den Angeklagten im Hinblick auf sein Nachtatverhalten wegen eines tateinheitlich durch Unterlassen begangenen versuchten Verdeckungsmordes zu verurteilen. Hat der Täter das Tatopfer - wie hier - mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst überlebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmordes durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt (vgl. Senat, NStZ 2003, 312). Dies gilt selbst dann, wenn - wovon hier nach den getroffenen Feststellungen nicht auszugehen ist - zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (Senat aaO).
12
Die Revision des Angeklagten:
13
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 73/09
vom
21. April 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 4. Dezember 2008
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes (durch Unterlassen) in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe in Höhe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den zunächst verwirklichten versuchten Totschlag (durch aktives Tun) hat die Strafkammer dem Schuldspruch nicht zu Grunde gelegt, weil sie bei Annahme von natürlicher Handlungseinheit dem Unterlassungsdelikt das größere Gewicht beigemessen hat. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Ausführungen des Landgerichts halten teilweise revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe sich wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen strafbar gemacht, trifft nicht zu. Nach der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs fehlt es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht erforderlichen „anderen“ Straftat, wenn der Täter das Tatopfer zunächst mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und es anschließend unterlässt, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des überlebenden Opfers einzuleiten, selbst wenn zwischen dem Handlungs- und Unterlassensteil eine zeitliche Zäsur liegt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Verdeckung 15; BGH StraFo 2007, 123, 124). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung des 4. Strafsenats abzuweichen, auch wenn beachtliche Gründe dagegen sprechen (vgl. hierzu Freund in NStZ 2004, 123, 124). Eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kam deshalb im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
3
Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen ist der Angeklagte jedoch neben den tateinheitlich verwirklichten Delikten der Misshandlung Schutzbefohlener und der gefährlichen Körperverletzung eines versuchten Totschlags schuldig. Insbesondere die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bereits bei Ausführung des Faustschlags auf den Hinterkopf seines zwei Monate alten Sohnes mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , begegnet angesichts der ausführlichen Beweiswürdigung zu der Gefährlichkeit der Gewalthandlung, den erheblichen Verletzungsfolgen und der Persönlichkeit des Angeklagten keinen rechtlichen Bedenken. Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Nach den Feststellungen der Kammer rechnete der Angeklagte nach dem Faustschlag „mit dem Schlimmsten“; er wollte weder sehen noch wissen, was er seinem Sohn angetan hatte. Es lag damit ein beendeter Versuch vor (vgl. BGHSt 40, 304, 306), so dass der Angeklagte erfolgreiche Bemühungen zur Verhinderung des drohenden Erfolgseintritts hätte entfalten müssen, um strafbefreiend zurücktreten zu können (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. StGB). Dies hat er aber nicht getan. Da in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende als die aus dem Urteil ersichtlichen Feststellungen nicht zu erwarten sind, war der Schuldspruch entsprechend zu ändern (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Eines Hinweises nach § 265 StPO bedurfte es hierzu nicht.
4
Der Strafausspruch kann im Hinblick auf die Änderung des Schuldspruchs keinen Bestand haben. Die vom Landgericht verhängte Jugendstrafe und deren Höhe erscheinen zwar angesichts der Persönlichkeitsdefizite des Angeklagten, des von erheblicher Rohheit und Brutalität geprägten Tatbildes (wuchtiger Faustschlag auf den Hinterkopf eines Säuglings) und der schweren Folgen für das Opfer auch unter Berücksichtigung des Erziehungsgedankens durchaus angemessen. Jedoch kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine andere Jugendstrafe verhängt hätte. Da es bei der Bemessung der Jugendstrafe wiederholt auf das Unterlassungsdelikt abgestellt hat, war der Strafausspruch mit den dazu gehörenden Feststellungen aufzuheben und an eine andere Strafkammer des Land- gerichts zurückzuverweisen. Der Senat weist daraufhin, dass bei der erneuten Strafzumessung insbesondere das Nachtatverhalten des Angeklagten (UA S. 9) strafschärfend berücksichtigt werden darf.
Nack Elf Graf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 85/08
vom
12. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. März 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Oktober 2007 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Die Revision ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet. Der Strafausspruch hält hingegen der rechtlichen Überprüfung aufgrund der erhobenen Sachrüge nicht stand.
2
Das Landgericht hat zur Festsetzung der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten ausgeführt: "Zur Vermeidung von weiteren Straftaten durch den Angeklagten kann eine Einheitsjugendstrafe, welche noch zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, nicht verhängt werden", (UA S. 19). Zwar könnte den hieran anschließenden Ausführungen unter Umständen entnommen werden, dass erzieherische Gesichtspunkte im Zusammenhang mit Vermutungen über die voraussichtliche Vollstreckungsdauer die Zumessungsentscheidung des Landgerichts geleitet haben. Aufgrund der zitierten Ausführung ist aber jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht sich bei der Festsetzung der Höhe der Jugendstrafe maßgeblich auch von der Überlegung hat leiten lassen, dass es eine Strafaussetzung zur Bewährung von vornherein ausschließen wollte. Dies ist rechtsfehlerhaft, denn die Erwägungen zur Strafzumessung dürfen mit solchen zur Strafaussetzung zur Bewährung nicht vermischt werden (BGHSt 29, 319, 321; BGH NStZ 1992, 489; 1993, 538; 2001, 311; Fischer StGB 55. Aufl. § 56 Rdn. 23). Das gilt auch bei der Anwendung von Jugendstrafrecht. Die Fragen, ob die Verhängung einer Jugendstrafe gemäß § 17 Abs. 2 JGG geboten und in welcher Höhe sie zu verhängen ist, sind von der Frage einer Strafaussetzung nach § 21 JGG zu trennen, denn sie beurteilen sich nach unterschiedlichen Kriterien. Auch im vorliegenden Fall war daher zunächst die Strafhöhe unabhängig von Überlegungen zur möglichen Strafaussetzung und zur möglichen Anrechnung von Untersuchungshaft festzusetzen. In einem weiteren Schritt wäre dann, wenn die formellen Vorausset- zungen des § 21 JGG gegeben waren, über eine Strafaussetzung zur Bewährung zu befinden gewesen. Die verhängte Strafe mit dem Ziel zu erhöhen, schon die Prüfung einer Strafaussetzung von vornherein auszuschließen, war rechtsfehlerhaft; hierauf beruht die Rechtsfolgenentscheidung. RiBGH Rothfuß ist aufgrund Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Fischer Roggenbuck Appl Schmitt