Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2011 - 4 StR 576/10

bei uns veröffentlicht am10.02.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 576/10
vom
10. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Hat der Täter Betäubungsmittel vorsätzlich eingeführt oder vorsätzlich damit Handel
getrieben, scheidet eine tateinheitliche fahrlässige Einfuhr von oder ein tateinheitliches
fahrlässiges Handeltreiben mit einer vom Vorsatz nicht erfassten Teilmenge
dieser Betäubungsmittel durch dieselbe Handlung aus. § 29 Abs. 4 BtMG kommt
dann nicht zur Anwendung.
BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - 4 StR 576/10 - LG Magdeburg
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Februar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 12. August 2010 wird verworfen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Ausla- gen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und das sichergestellte Heroin eingezogen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Am 19. April 2010 wollte sich der in Polen lebende Angeklagte in Berlin einen zum Verkauf stehenden Pkw ansehen. Er machte sich mit einem VW-Kleintransporter und einem Anhänger zum Pkw-Transport auf den Weg. Bei einer Pause in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze wurde er von einem Unbekannten angesprochen , ob er sich 5.000 € verdienen wolle. Er müsse etwas, das in die rechte Tür seines Fahrzeugs eingebaut werde, nach Amsterdam bringen. Angesichts der Höhe der Entlohnung erklärte sich der Angeklagte dazu bereit, obwohl er nicht ausschloss, dass er größere Mengen Drogen transportieren sollte. Der Einbau von 54 Paketen zu je ca. 250 g Heroin hinter der Beifahrertürverkleidung und von 146 Paketen zu je ca. 250 g Heroin im Frontbereich fahrerseitig erfolgte in seiner Abwesenheit. Am 20. April 2010 wurde der Angeklagte gegen 12.30 Uhr auf der Autobahn A 2 in der Nähe von Magdeburg kontrolliert und das Rauschgift wurde sichergestellt.
3
Das Landgericht hat bei der Strafzumessung die große Menge von nahezu 50 kg Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 70 % Heroinhydrochlorid berücksichtigt , hat dem Angeklagten aber einschränkend zu Gute gehalten, dass sich sein (bedingter) Vorsatz nur auf das in der Beifahrertür eingebaute Heroin, also etwa ein Viertel der Gesamtmenge, bezogen habe.
4
2. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, dass das Landgericht nicht geprüft habe, ob der Angeklagte hinsichtlich der 146 Pakete im Frontbereich tateinheitlich fahrlässig gehandelt habe (§ 29 Abs. 4 BtMG), was zu einem höheren Schuldgehalt der Tat führe. Aber auch für eine auf 13,5 kg Heroin gerichtete Vorsatztat sei die vom Landgericht verhängte Strafe unvertretbar milde.

II.


5
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
6
1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Eine tateinheitliche Verwirklichung des § 29 Abs. 4 BtMG mit den §§ 30 Abs. 1 Nr. 4 und 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
7
Dieselbe Tathandlung kann bei Verletzung desselben Rechtsguts nicht gleichzeitig als vorsätzliche und als fahrlässige angesehen werden (RGSt 16, 129; BGH, Beschluss vom 16. Juni 1997 – 2 StR 231/97, NStZ 1997, 493). Vor- satz und Fahrlässigkeit schließen einander schon begrifflich aus, sie stehen allerdings in einem normativ-ethischen Stufenverhältnis (BGH, Beschluss vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 57), so dass bei unklarer Beweislage nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ wegen Fahrlässigkeit verurteilt werden kann (Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, 4. Aufl. § 24 Rn. 79). Eine Idealkonkurrenz zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Verhalten entsteht bei einer Handlung nicht dadurch, dass der Täter die Folgen des Verhaltens nur teilweise gewollt und teilweise fahrlässig herbeigeführt hat (RGSt 16, 129). Selbst bei einem zweiaktigen Tatgeschehen ist die fahrlässige Begehung eines Delikts gegenüber der am selben Objekt begangenen vollendeten vorsätzlichen im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr ist die fahrlässige Begehungsform subsidiär (BGH, Urteil vom 30. März 1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195, 199; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. Vorbem. §§ 52 ff. Rn. 119; vgl. auch BGH, Urteil vom 31. März 1955 – 4 StR 51/55, BGHSt 7, 287, 289 [Tatmehrheit]).
8
Ist die Einfuhr von oder das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch eine Handlung vorsätzlich vorgenommen worden, scheidet eine durch Fahrlässigkeit herbeigeführte Einfuhr von oder ein fahrlässiges Handeltreiben mit derselben Rauschgiftmenge durch diese Handlung aus. § 29 Abs. 4 BtMG kommt dann nicht zur Anwendung.
9
Im vorliegenden Fall liegt bezüglich der Gesamtmenge des in dem Transporter versteckten Rauschgifts lediglich eine Handlung des Angeklagten vor: Er hat den Wagen unverschlossen abgestellt und ist später mit dem darin von anderen eingebauten Rauschgift nach Deutschland gefahren. Diese Handlung lässt sich nach dem oben Ausgeführten nicht deshalb in zwei tateinheitliche Delikte aufspalten, weil der Angeklagte hinsichtlich der Menge des transportierten Rauschgifts teilweise vorsätzlich und teilweise fahrlässig gehandelt hat. Zwar können sich verschiedene Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes auf Teilmengen einer Gesamtrauschgiftmenge beziehen, etwa beim Erwerb von Rauschgift zum Eigenkonsum und zum Handeltreiben. Im vorliegenden Fall kämen aber nicht hinsichtlich der Tathandlung verschiedene Tatbestände , sondern nur solche zur Anwendung, die sich allein in der Schuldform unterscheiden. Insoweit scheidet eine Aufteilung aus. Für eine Ausurteilung des fahrlässig verursachten zusätzlichen Erfolges im Schuldspruch besteht auch kein kriminalpolitisches Bedürfnis. Bei der Strafzumessung kann die Einfuhr einer größeren Menge, als der Täter sich vorgestellt hat, im Falle fahrlässigen Handelns ohnehin strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03).
10
2. Auch die Strafzumessung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Der im Rahmen der Strafzumessung verwendeten Formulierung ist zu entnehmen , dass das Landgericht die Gesamtmenge des Heroins berücksichtigt, der vom Vorsatz umfassten Menge aber besonderes Gewicht beigemessen hat. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen ist auch zu entnehmen, dass der Angeklagte hinsichtlich des im Frontbereich versteckten Heroins zumindest fahrlässig gehandelt hat (BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90; Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03). Schließlich ist die verhängte Strafe aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 12. November 2010 noch nicht unvertretbar milde. Ernemann Roggenbuck Cierniak Mutzbauer Bender

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Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,
Bundesgerichtshof Urteil, 10. Feb. 2011 - 4 StR 576/10 zitiert 4 §§.

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 29 Straftaten


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt,

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Bundesgerichtshof Urteil, 21. Apr. 2004 - 1 StR 522/03

bei uns veröffentlicht am 21.04.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 522/03 vom 21. April 2004 in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. A
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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2013 - 4 StR 352/13

bei uns veröffentlicht am 19.11.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 352/13 vom 19. November 2013 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 19. No

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2015 - 3 StR 634/14

bei uns veröffentlicht am 18.03.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 6 3 4 / 1 4 vom 18. März 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde

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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft,
2.
eine ausgenommene Zubereitung (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) ohne Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 herstellt,
3.
Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein,
4.
(weggefallen)
5.
entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 Betäubungsmittel durchführt,
6.
entgegen § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel
a)
verschreibt,
b)
verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt,
6a.
entgegen § 13 Absatz 1a Satz 1 und 2 ein dort genanntes Betäubungsmittel überlässt,
6b.
entgegen § 13 Absatz 1b Satz 1 Betäubungsmittel verabreicht,
7.
entgegen § 13 Absatz 2
a)
Betäubungsmittel in einer Apotheke oder tierärztlichen Hausapotheke,
b)
Diamorphin als pharmazeutischer Unternehmer
abgibt,
8.
entgegen § 14 Abs. 5 für Betäubungsmittel wirbt,
9.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für sich oder einen anderen oder für ein Tier die Verschreibung eines Betäubungsmittels zu erlangen,
10.
einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, eine solche Gelegenheit öffentlich oder eigennützig mitteilt oder einen anderen zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verleitet,
11.
ohne Erlaubnis nach § 10a einem anderen eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln verschafft oder gewährt, oder wer eine außerhalb einer Einrichtung nach § 10a bestehende Gelegenheit zu einem solchen Verbrauch eigennützig oder öffentlich mitteilt,
12.
öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 des Strafgesetzbuches) dazu auffordert, Betäubungsmittel zu verbrauchen, die nicht zulässigerweise verschrieben worden sind,
13.
Geldmittel oder andere Vermögensgegenstände einem anderen für eine rechtswidrige Tat nach Nummern 1, 5, 6, 7, 10, 11 oder 12 bereitstellt,
14.
einer Rechtsverordnung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 2a oder 5 zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese Strafvorschrift verweist.
Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 5 oder 6 Buchstabe b ist der Versuch strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1, 5, 6, 10, 11 oder 13 gewerbsmäßig handelt,
2.
durch eine der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 6 oder 7 bezeichneten Handlungen die Gesundheit mehrerer Menschen gefährdet.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 5, 6 Buchstabe b, Nummer 6b, 10 oder 11 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(5) Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2 und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

(6) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 sind, soweit sie das Handeltreiben, Abgeben oder Veräußern betreffen, auch anzuwenden, wenn sich die Handlung auf Stoffe oder Zubereitungen bezieht, die nicht Betäubungsmittel sind, aber als solche ausgegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 522/03
vom
21. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. April
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 29. Juli 2003 aufgehoben
a) im Strafausspruch und
b) soweit das Landgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten abgesehen hat. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener unerlaubter Einfuhr von und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seinen Pkw und 21,922 kg Kokain eingezogen sowie 980 € für verfallen erklärt; von der Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten hat es abgesehen. Die
wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich nach ihrer in der Verhandlung erklärten Beschränkung noch gegen den Strafausspruch und das Unterbleiben der Entziehung der Fahrerlaubnis; sie ist begründet.
Nach den getroffenen Feststellungen transportierte der Angeklagte auf Veranlassung eines gewissen "O." mit seinem Pkw Opel Corsa, versteckt hinter den rückwärtigen Seitenverkleidungen, insgesamt 21,922 kg Kokain von Maastricht (Niederlande) aus nach Italien. Das Rauschgift war von einem Dritten , dem er das Fahrzeug vorübergehend überlassen hatte, im Wagen deponiert worden. Bei einer Polizeikontrolle in Deutschland wurde das Rauschgift entdeckt. Der Angeklagte hat sich unter anderem dahin eingelassen, mit "O." sei lediglich der Transport einer Menge von zwei Kilogramm verabredet gewesen. Die Strafkammer hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Angeklagte hinsichtlich der Mehrmenge mit bedingtem Vorsatz oder auch nur fahrlässig gehandelt habe.
I. Die Revision des Angeklagten:
Die Nachprüfung des Urteils deckt zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafrahmenmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG (i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB) rechtsfehlerfrei versagt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nicht dazu beigetragen , daß die Tat über seinen eigenen Beitrag hinaus aufgeklärt werden konnte.
2. Der Senat schließt aus, daß die Strafkammer bei der konkreten Zumessung der Strafe die Wirkungen der ausgesprochenen achtjährigen Frei-
heitsstrafe für das künftige Leben des Angeklagten nicht hinreichend bedacht haben könnte. Im Zusammenhang mit den Auswirkungen der vollzogenen Untersuchungshaft hebt die Kammer ausdrücklich hervor, der Angeklagte sei durch die Trennung von seiner Familie nicht unerheblich beeindruckt (UA S. 22). Sie hat zudem den Lebensweg und die Lebensverhältnisse des Angeklagten ausführlich festgestellt. Daß ihr unter diesen Umständen die Wirkungen der verhängten Freiheitsstrafe aus dem Blick geraten sein könnten, ist ersichtlich nicht zu besorgen. Nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte sind in den Urteilsgründen ausdrücklich anzuführen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Angesichts des Gewichts der Tat des Angeklagten konnte den Folgen der Freiheitsentziehung ersichtlich nur geringe Bedeutung zukommen.
3. Der Strafausspruch begegnet auch sonst keinen rechtlichen Bedenken.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) ist unbegründet. Die Verlesung des Protokolls der Vernehmung des Angeklagten durch den Ermittlungsrichter drängte sich nicht auf. Die Beschwerdeführerin hat dies dementsprechend in der Hauptverhandlung auch nicht beantragt, sondern lediglich angeregt.
2. Die Strafkammer hat zu Recht ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der ersten Äußerungen des Angeklagten gegenüber de r Polizei zur Menge des von ihm transportierten Kokains angenommen. Der Angeklagte war zum Zeitpunkt seiner Äußerungen nicht als Beschuldigter beleh rt; die Strafkammer konnte sich auch nicht davon überzeugen, daß ihm die Beschuldigtenrechte aufgrund der in zurückliegender Zeit in Italien erfolgten Verurteilungen geläufig
und aktuell bewußt waren. Die Erwägungen dazu sind tragfähig; gegen sie ist von Rechts wegen nichts zu erinnern.
3. Sachlich-rechtlich halten die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich der vom Angeklagten transportierten Kokainmenge der Überprüfung jedoch nicht in jeder Hinsicht stand.

a) Soweit die Beschwerdeführerin die Verneinung bedingten Vorsatzes des Angeklagten hinsichtlich der Kokainmenge beanstandet, deckt sie indessen keinen Rechtsfehler auf. Zwar wird ein Drogenkurier, der weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluß nehmen noch diese Menge überprüfen kann, in der Regel auch damit rechnen müssen, daß ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Läßt er sich auf ein solches Unternehmen ein, dann liegt auf der Hand, daß er die Einfuhr einer Mehrmenge billigend in Kauf nimmt. Gegen einen derartigen bedingten Vorsatz können aber Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm die Wahrheit gesagt (vgl. nur BGH NStZ 1999, 467).
Die Strafkammer hat hier alle Umstände des Falles ausdrücklich erwogen und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge nicht auszuräumen vermocht (vgl. UA S. 14-17). Diese tatsächliche Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen; sie läßt weder Würdigungslücken noch sonst von Rechts wegen zu beanstandende Erwägungen erkennen.

b) Die Urteilsgründe leiden indessen an einem Erörterungsmangel insoweit , als das Landgericht auch einen Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der gesamten Rauschgiftmenge verneint. Es begründet dies nicht weiter, sondern
verweist lediglich auf die Ausführungen zur Verneinung bedingten Vorsatzes. Das ist hier nicht tragfähig. Angesichts der geringeren Anforderungen an die Annahme etwa bewußter Fahrlässigkeit (vgl. dazu nur Weber BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 1437 ff., insbesondere 1440-1442) und der übrigen zum Geschehensrahmen festgestellten Umstände hätte das besonderer Begründung bedurft. Da der Angeklagte die Größe der Hohlräume in seinem Pkw kannte und diese seinem Auftraggeber "O." gar vor Antritt der Fahrt durch Abschrauben einer Seitenverkleidung gezeigt hatte, liegt die Annahme von Fahrlässigkeit nicht fern.

c) Die abgeurteilten Straftatbestände setzen wenigstens Vorsatz voraus. Führt der Täter aber eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sie sich vorgestellt hat, so darf die von seinem Vorsatz nicht umfaßte Mehrmenge dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB; vgl. auch § 29 Abs. 4 BtMG; BGH StV 1996, 90; BGH, Urt. v. 20. Dezember 1995 - 2 StR 460/95). Die Strafkammer indessen hat hier die strafschärfende Berücksichtigung der die Vorstellung des Angeklagten übersteigenden Rauschgiftmenge ausdrücklich abgelehnt (UA S. 24).
Danach kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß die hohe Strafe ohne den rechtlichen Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge: 2 kg; tatsächlich transportierte Menge: fast 22 kg Kokain) noch höher ausgefallen wäre.
4. Schließlich hält auch die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat lediglich ausgeführt, der versteckte Transport des Rauschgifts im Fahrzeug rechtfertige nicht die Annahme charakterlicher Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das genügte hier nicht.
Der Angeklagte war im Begriff, eine außergewöhnlich große Menge von Betäubungsmitteln im Auftrag einer kriminellen Organisation - auch aus persönlichem Gewinnstreben - unter Einsatz seines Pkw's von Maastricht nach Italien zu transportieren. Er hat sein Fahrzeug gezielt als Transport- und damit als Tatmittel eingesetzt sowie seine Fahrerlaubnis - sollte er über eine solche verfügen - für eine schwerwiegende Straftat mißbraucht. Vor dem Hintergrund seiner Vorverurteilungen auch wegen Betäubungsmitteldelikten und angesichts der Ergebnisse der Haaranalyse, der Urinprobe sowie des positiven "DrugWhipe -Tests" lag deshalb die Annahme nahe, er sei charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 69 Abs. 1, §§ 69a, 69b StGB; vgl. zur Maßregel weiter: Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 69b Rdn. 3).
Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Maßregel auf die neuerdings vom 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertretene Rechtsauffassung zur Auslegung des § 69 Abs. 1 StGB berufen, die von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht. Der erkennende Senat folgt dem jedoch nicht (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 - NStZ 2003, 658 m.w.N.). Er ist durch das vom 4. Strafsenat eingeleitete Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht gehindert, wie geschehen zu entscheiden (vgl. BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1).
5. Der Strafausspruch sowie die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis bedürfen danach neuer Verhandlung und Entscheidung. Die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Boetticher Schluckebier Kolz Elf Graf