Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 5 StR 328/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:270116U5STR328.15.0
bei uns veröffentlicht am27.01.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 328/15
vom
27. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:270116U5STR328.15.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 5. Januar 2015, soweit es die Angeklagte betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen 1, 5, 7, 8, 9, 10a bis 10c der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Angeklagten werden verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
– Von Rechts wegen –

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen Verwahrungsbruchs in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Angeklagte greift ihre Verurteilung mit der Sachbeschwerde an. Die Staatsanwalt- schaft wendet sich in ihrer gleichfalls mit der Sachrüge geführten Revision zum einen – insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten – dagegen, dass die Angeklagte nicht (auch) wegen Rechtsbeugung verurteilt worden ist; ferner vertritt sie die Meinung, dass diese auch wegen Urkundenunterdrückung hätte verurteilt werden müssen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg. Hingegen deckt die Revision der Angeklagten keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil auf.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3
Die Angeklagte war seit 1997 bei der Zentralen Bußgeldstelle des Landes (im Folgenden: „ZBSt“) tätig. Dort wurde sie nach einem 14-tägigen Grundkurs mit der Bearbeitung von Bußgeldverfahren betraut. Sie war zunächst für allgemeine Ordnungswidrigkeiten und später für Ordnungswidrigkeiten nach dem Fahrpersonalgesetz (FPersG) zuständig. Ab November 2010 war sie ausschließlich im Bereich der Verfolgung und Ahndung allgemeiner Ordnungswidrigkeiten eingesetzt.
4
Trotz starker eigener Belastung und regelmäßiger Bitte um Unterstützung griff die Angeklagte immer wieder auf – nicht ihrer Zuständigkeit unterfallende – Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten nach dem Fahrpersonalgesetz zu, die durchgehend das Unternehmen F. (im Folgenden: „F. “) oder dessen Fahrer betrafen. Die Angeklagte wollte jeweils einen für das Unternehmen oder dessen Fahrer günstigen Verfahrensabschluss erreichen. Den Grund dafür hat das Landgericht nicht feststellen können.
5
In fünf Fällen (Fälle 1, 5, 7, 8 und 9) zog die Angeklagte die Bearbeitung von Bußgeldverfahren an sich, die wegen Verstößen gegen Lenk- und Ruhezei- ten gegen Fahrer der F. geführt wurden und in denen die zuständigen Sachbearbeiter bereits Bußgeldbescheide erlassen hatten. Sie verfügte die Abgabe der Verfahren an die Staatsanwaltschaft, druckte die elektronisch geführte Akte aus, die aus technischen Gründen nur in Papierform an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden konnte, und entzog die „Papierakte“ dem Dienstverkehr, um eine Ahndung zu verhindern.
6
In vier Fällen (Fälle 2, 3, 4 und 6) griff sie auf Bußgeldverfahren zu, die wegen Lenkzeitüberschreitungen gegen die F. als Fahrzeughalterin eingelei- tet worden waren. Da für die Bearbeitung von „Halteranzeigen“ nicht die ZBSt, sondern das Landesamt für Arbeitsschutz (im Folgenden: „LAS“) sachlich zuständig war, hatte bei der ZBSt keine inhaltliche Bearbeitung zu erfolgen. Es waren lediglich die Daten der „Halteranzeigen“ in das Computersystem der Bußgeldstelle einzugeben, die Akte auszudrucken und an das LAS zu übersenden. Die Angeklagte schloss diese Vorgänge im Rahmen der elektronischen Bearbeitung ab und druckte die Akten aus. Jedoch entzog sie die „Pa- pierakten“ anschließend dem Geschäftsgang.
7
Im Fall 10a zog sie die Bearbeitung eines wegen Verstoßes gegen Lenkund Ruhezeiten gegen einen Fahrer geführten Bußgeldverfahrens an sich. Sie nahm auf den Einspruch des Betroffenen den vom zuständigen Sachbearbeiter erlassenen Bußgeldbescheid zurück und erließ unter Verweis auf die – tatsächlich nicht belegten – wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen einen Bußgeldbescheid , der eine niedrigere Geldbuße auswies.
8
Im Fall 10b griff sie auf ein Bußgeldverfahren zu, in dem der zuständige Sachbearbeiter wegen eines Verstoßes gegen Lenk- und Ruhezeiten einen Bußgeldbescheid gegen einen Fahrer erlassen hatte. Sie hob den Bußgeldbe- scheid auf und stellte das Verfahren ein, nachdem sie den Eingang des Einspruchs und einer schriftlichen Einlassung des Betroffenen vermerkt hatte.
9
Schließlich zog die Angeklagte im Fall 10c das Bußgeldverfahren betreffend eine Geschwindigkeitsüberschreitung eines Fahrers an sich und setzte zunächst ein Verwarnungsgeld fest. Nachdem dieses nicht gezahlt worden war, stellte sie das Bußgeldverfahren „wegen mangelnder Qualität der Beweismittel“ ein.
10
2. Das Landgericht hat die Angeklagte in den Fällen 1 bis 9 wegen Verwahrungsbruchs gemäß § 133 Abs. 1 und 3 StGB verurteilt und im Übrigen freigesprochen (Fälle 10a bis 10c). Hinsichtlich der Fälle 1 bis 9 hat es den Straftatbestand der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht als erfüllt angesehen. Eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) hat es in allen Fällen verneint, weil die Angeklagte keine taugliche Täterin sei. Mit Blick auf ihr Ziel, andere der bußgeldrechtlichen Verfolgung zu entziehen, und den Umstand, dass ihr Tun aus tatsächlichen Gründen nicht als Begünstigung bzw. Strafvereitelung im Amt strafbar sei, stehe einer Ahndung gemäß § 339 StGB der „Grundgedanke des Gesetzgebers“ (UA S. 27) entgegen. Zudem fehle es an einem hinreichend schwerwiegenden Rechtsverstoß.
11
3. Die Revision der Angeklagten bleibt erfolglos.
12
Das Landgericht hat die Taten 1 bis 9 zutreffend als Verwahrungsbruch (§ 133 Abs. 1 und 3 StGB) gewürdigt. Die Angeklagte entzog mit den von ihr ausgedruckten Akten Schriftstücke dem Geschäftsgang, die sich in dienstlicher Verwahrung befanden und die ihr als Amtsträgerin (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB) anvertraut waren.
13
a) In dienstlicher Verwahrung befindet sich eine Sache in Abgrenzung zum allgemeinen Amtsbesitz dann, wenn sich im Gewahrsam die besondere dienstliche Herrschafts- und Verfügungsgewalt äußert, die den staatlichen Aufgaben der verwahrenden Dienststelle entspringt (vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 224; siehe auch LK-StGB/Krauß, 12. Aufl., § 133 Rn. 11). Vorliegend dienten die von der Angeklagten gefertigten Ausdrucke der bis dahin elektronisch geführten Verfahrensakten der Aufgabenerfüllung der ZBSt und nicht lediglich deren technischen Funktionsinteresse. Mit dem Ausdruck wurden die neu geschaffenen Papierakten zur allein maßgeblichen Grundlage für die weitere hoheitliche Aufgabenerfüllung. Entgegen der Auffassung der Verteidigung handelte es sich nicht lediglich um Aktenkopien. Der Medienwechsel von der elektronisch geführten Akte zur Papierakte war notwendig, um die gesetzmäßige Fortführung der Verfahren durch Weiterleitung der ausgedruckten Akten an die Staatsanwaltschaft (Fälle 1, 5, 7, 8 und 9) bzw. an das LAS (Fälle 2, 3, 4 und 6) und eine dortige Bearbeitung überhaupt erst zu ermöglichen. Dass durch Ausdruck der weiterhin bestehenden elektronischen Akte abermals Papierakten hätten hergestellt werden können, steht der Tatbestandsmäßigkeit nicht entgegen.
14
b) Die Papierakte war der Angeklagten auch dienstlich anvertraut (vgl. RGSt 7, 252, 257). Dass die Angeklagte naheliegend schon beim Ausdruck deren Entziehung beabsichtigte, hindert die Annahme dienstlichen Anvertrautseins nicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 1975 – 3 StR 120/75, NJW 1975, 2212, 2213).
15
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat überwiegend Erfolg.
16
Während die Verurteilung der Angeklagten in den Fällen 2, 3, 4 und 6 (nur) wegen Verwahrungsbruchs Bestand hat, begegnet die durch das Landge- richt vorgenommene Bewertung des Verhaltens der Angeklagten in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 sowie in den Fällen 10a bis 10c, in denen die Angeklagte freigesprochen worden ist, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
17
a) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft liegen die Voraussetzungen für eine Urkundenunterdrückung allerdings nicht vor. Denn die Intention der Angeklagten, den staatlichen Bußgeldanspruch zu vereiteln, begründet keine Nachteilszufügungsabsicht im Sinne von § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 1990 – 5 StR 101/90, BGHR StGB § 274 Nachteil 2; vom 15. Juli 2010 – 4 StR 164/10, NStZ-RR 2011, 276; offengelassen von BGH, Beschluss vom 27. Juli 2012 – 1 StR 238/12, NStZ-RR 2012, 343; aA Schneider NStZ 1993, 16; Zieschang, HRRS 2013, 49).
18
b) Die Strafkammer hat ihrer Würdigung der Taten 1, 5, 7, 8 und 9 sowie der Freispruchsfälle unter dem Blickwinkel einer Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) in mehrfacher Hinsicht unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt. Hingegen hat sie den Tatbestand der Rechtsbeugung in den Fällen 2, 3, 4 und 6 im Ergebnis zutreffend verneint.
19
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Verwaltungsbediensteter als anderer Amtsträger Täter einer Rechtsbeugung sein, wenn er gleich einem Richter eine Rechtssache leitet und entscheidet (vgl. BGH, Urteile vom 21. April 1959 – 1 StR 504/58, BGHSt 13, 102, 110; vom 16. Februar 1960 – 5 StR 473/59, BGHSt 14, 147; vom 14. März 1972 – 5StR 589/71, BGHSt 24, 326; LK-StGB/Hilgendorf, 12. Aufl., § 339 Rn. 21; MüKo-StGB/Uebele, 2. Aufl., § 339 Rn. 14). Dies trifft in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 sowie den Freispruchsfällen auf die Angeklagte zu. Sie entschied als Mitarbeiterin der ZBSt nach § 35 OWiG auch über die Ahndung von Ordnungswid- rigkeiten. So stellt der Erlass eines Bußgeldbescheides eine – wenngleich vorläufige – Entscheidung in einer Rechtssache dar (vgl. Urteil vom 16. Februar 1960 – 5 StR 473/59, aaO; LK-StGB/Hilgendorf, aaO Rn. 21 mwN).
20
bb) In den Fällen 2, 3, 4 und 6 war die Angeklagte lediglich mit der ver- waltungstechnischen Vervollständigung und Weiterleitung der „Halteranzeigen“ betraut. Dies stellt nicht das Leiten einer Rechtssache dar.
21
cc) Entgegen der Ansicht des Landgerichts stellt das Entziehen der Akten aus dem Geschäftsgang in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 einen tauglichen Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der Rechtsbeugung dar.
22
Das Landgericht hat seinenBlick unzulässig auf den – tatsächlichen – Vorgang der Entziehung der Akte verengt. „Leitung der Rechtssache“ wird je- doch als Inbegriff aller Maßnahmen verstanden, die auf die Erledigung der Sache hinzielen. Maßgebend ist deshalb, ob das streitige Verhältnis in seiner Gesamtheit Rechtssache ist, nicht aber, ob die einzelnen auf die Erledigung der Sache gerichteten Maßnahmen rechtlicher Art sind (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1958 – 1 StR 453/58, BGHSt 12, 191, 192; LK-StGB/Hilgendorf, aaO Rn. 39; MüKo-StGB/Uebele, aaO Rn. 21; NK-StGB/Kuhlen, 4. Aufl., § 339 Rn. 27). Dass die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten „Rechtssache“ ist, unterliegt keinem Zweifel. Demgemäß stellt auch die Entziehung der Akten aus dem Geschäftsgang mit dem Ziel, eine Ahndung des Verstoßes zu verhindern, eine Maßnahme bei der Leitung einer Rechtssache dar. Die Angeklagte brachte die Bußgeldverfahren zu einem endgültigen – im Verfahrensgang nicht vorgesehenen – Abschluss. Sie setzte das von ihr verfolgte Ziel um, einen Fortgang des Verfahrens gesetzeswidrig zu verhindern.
23
c) Das Landgericht hat ferner bei der Bewertung des Tatbestandsmerkmals der Beugung des Rechts einen unzutreffenden Maßstab angelegt.
24
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB dar. Vielmehr werden nur solche Rechtsverstöße erfasst, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357; vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381; vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343; vom 29. Oktober 2010 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310; vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12, NStZ 2013, 648 Rn. 39). Im Rahmen von Opportunitätsentscheidungen – etwa bei der Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG – kann es dabei nicht darauf ankommen, ob es für eine Entscheidung gute oder weniger gute Gründe gibt, ob geringe Schuld oder fehlendes öffentliches Interesse an der Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nachgewiesen oder ob das Prinzip der Verhältnismäßigkeit herangezogen worden ist. Allein entscheidend ist, ob die Einstellung ohne Ermessensausübung oder aus sachfremden Gründen erfolgt ist (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1998 – 1 StR 240/98, BGHSt 44, 258, 261; vgl. LK-StGB/Hilgendorf,aaO Rn. 78; MüKo-StGB/Uebele, aaO Rn. 53; NK-StGB/Kuhlen, aaO Rn. 54).
25
bb) Diesen Grundsätzen wird die rechtliche Würdigung des Landgerichts nicht gerecht.
26
(1) Zwar hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend eine Verwirklichung des Rechtsbeugungstatbestands verneint, soweit die Angeklagte bei ihrem Zu- griff auf Bußgeldverfahren gegen interne Zuständigkeitsregelungen der ZBSt verstieß. Anders als in Fällen willkürlicher oder grob verfahrensfehlerhafter Annahme richterlicher Zuständigkeit (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, 345 f.; vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; und vom 11. April 2013 – 5 StR 261/12, NStZ 2013, 648 Rn. 39), bei denen jeweils die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berührt war, handelt es sich bei den hier in Rede stehenden Zuständigkeitsvorschriften lediglich um interne, verwaltungsorganisatorische Regelungen. Deren Verletzung vermag den Tatbestand der Rechtsbeugung nicht zu erfüllen.
27
(2) Es stellt einen elementaren Rechtsverstoß dar, dass die Angeklagte in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 Akten aus dem Dienstverkehr entzog, um auf diese Weise eine Ahndung der Verstöße zu verhindern. Die Angeklagte beendete mit fremdnütziger Zielrichtung Bußgeldverfahren in außergesetzlicher Weise, deren gesetzmäßige Führung ihre dienstliche Aufgabe war. Mit diesem in seinem Ergebnis einer abschließenden Entscheidung gleichkommenden Vorgehen entfernte sie sich bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz.
28
(3) In den Fällen 10a bis 10c, in denen das Landgericht die Angeklagte freigesprochen hat, liegt es nach den vom Landgericht getroffenen lückenhaften Feststellungen jedenfalls nahe, dass die Angeklagte sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernte.
29
Die Erwägung des Landgerichts, dass die Angeklagte sich bei den von ihr getroffenen inhaltlichen Entscheidungen innerhalb des ihr eingeräumten Entscheidungsspielraums bewegt habe, verkennt den gesetzlichen Maßstab. Maßgeblich ist nach den dargelegten Grundsätzen der Umstand, ob sie die Entscheidungen ohne Ermessensausübung oder aus sachfremden Motiven traf. Dass die Entscheidungen sich im Rahmen der ihr grundsätzlich eingeräumten Entscheidungsmöglichkeiten hielten, schließt eine Rechtsbeugung nicht aus. Auch in Anbetracht dessen, dass die Angeklagte in den Fällen 1 bis 9 handelte, um eine Ahndung zu verhindern, hätte das Landgericht sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Absenkung der Geldbuße unter Bezugnahme auf tatsächlich nicht nachgewiesene wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen im Fall 10a, die begründungslose Einstellung des Bußgeldverfahrens im Fall 10b und die Verfahrenseinstellung wegen – tatsächlicher oder nur behaupteter – schlechter Qualität der Beweismittel im Fall 10c aus sachfremden Motiven oder ohne Ermessensausübung erfolgte. Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls weitergehende Feststellungen zur Handlungs- und Entscheidungsmotivation der Angeklagten zu treffen haben.
30
cc) Ein „Grundgedanke des Gesetzgebers“ (UA S. 27), wonach bei einer strafvereitelnden Absicht des Täters eine Ahndung nach § 339 Abs. 1 StGB nur möglich ist, wenn zugleich die Voraussetzungen der Strafvereitelung gegeben sind, also namentlich die Verfolgung einer – hier nicht inmitten stehenden – Straftat vereitelt wird, ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht erkennbar.
31
5. Die fehlerhafte Beurteilung der Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestands in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 sowie in den Freispruchsfällen führt zur Aufhebung der Schuld- bzw. Freisprüche. Dies umfasst in den Fällen 1, 5, 7, 8 und 9 auch die an sich rechtsfehlerfreie, gegebenenfalls tateinheitlich zur Rechtsbeugung hinzutretende Verurteilung wegen Verwahrungsbruchs (§ 133 Abs. 1 und 3 StGB) und zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Gegen die Einzelstrafaussprüche in den Fällen 2, 3, 4 und 6 ist hingegen rechtlich nichts zu erinnern. Sie können daher bestehen bleiben.

Sander Dölp König
Berger Bellay

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 5 StR 328/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 5 StR 328/15

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(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. (2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 47 Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten


(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen. (2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht fü

Strafgesetzbuch - StGB | § 339 Rechtsbeugung


Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bi
Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2016 - 5 StR 328/15 zitiert 8 §§.

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(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. eine Urkunde oder eine technische Aufzeichnung, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufüge

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 35 Verfolgung und Ahndung durch die Verwaltungsbehörde


(1) Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist die Verwaltungsbehörde zuständig, soweit nicht hierzu nach diesem Gesetz die Staatsanwaltschaft oder an ihrer Stelle für einzelne Verfolgungshandlungen der Richter berufen ist. (2) Die Verwaltungsb

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Tenor 1. Der Angeklagte (…) wird wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt in sechs Fällen, davon in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.

Referenzen

(1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Dasselbe gilt für Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden oder von dieser dem Täter oder einem anderen amtlich in Verwahrung gegeben worden sind.

(3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
eine Urkunde oder eine technische Aufzeichnung, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt,
2.
beweiserhebliche Daten (§ 202a Abs. 2), über die er nicht oder nicht ausschließlich verfügen darf, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert oder
3.
einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unkenntlich macht, verrückt oder fälschlich setzt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Dasselbe gilt für Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden oder von dieser dem Täter oder einem anderen amtlich in Verwahrung gegeben worden sind.

(3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
eine Urkunde oder eine technische Aufzeichnung, welche ihm entweder überhaupt nicht oder nicht ausschließlich gehört, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, vernichtet, beschädigt oder unterdrückt,
2.
beweiserhebliche Daten (§ 202a Abs. 2), über die er nicht oder nicht ausschließlich verfügen darf, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert oder
3.
einen Grenzstein oder ein anderes zur Bezeichnung einer Grenze oder eines Wasserstandes bestimmtes Merkmal in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, wegnimmt, vernichtet, unkenntlich macht, verrückt oder fälschlich setzt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 164/10
vom
15. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Untreue u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
- zu 3. auf dessen Antrag - und der Beschwerdeführer am 15. Juli
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 3. November 2009,
a) soweit es die Angeklagte N. betrifft, aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 2. bis II. 4. sowie II. 10., II. 11. und II. 14. der Urteilsgründe bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen und in dem Fall II. 13. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben,
b) soweit es den Angeklagten A. betrifft, aa) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 2. bis II. 4. sowie II. 6. und II. 10. der Urteilsgründe bb) sowie in den Aussprüchen über die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte N. wegen Untreue in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung, Unterschlagung in vier Fällen, Betruges und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Angeklagte A. wurde wegen Untreue in sechs Fällen, Unterschlagung in zwei Fällen, Betruges und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
2
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die Schuldsprüche wegen Unterschlagung in den Fällen II. 4., 10., 11. und 14. der Urteilsgründe haben keinen Bestand.
4
a) Nach den Feststellungen zu den Tatkomplexen der Unterschlagung haben beide Angeklagte ihrem Arbeitnehmer J. auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses die Lohnsteuerkarten für die Jahre 2004 und 2005 nicht ausgehändigt (Fall II. 4. der Urteilsgründe) bzw. hat die Angeklagte N. diverse Unterlagen, welche die Mandanten ihr zur Wahrnehmung von deren Interessen zur Verfügung gestellt hatten, diesen nicht wieder zurückgegeben (Fälle II. 11. und II. 14. der Urteilsgründe). Anlass für das Zurückhalten der Lohnsteuerkarten bzw. der Unterlagen war jeweils eine Verärgerung über das Verhalten des Angestellten bzw. der Mandanten. Zu dem Fall II. 10. der Urteilsgründe hat die Kammer festgestellt, dass die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Bochum in einem gegen die Angeklagte N. geführten Verfahren, die dem Angeklagten A. als Verteidiger zur Akteneinsicht übersandt wurden, nicht mehr an die Behörde zurück gesandt wurden. Hierzu hatten sich die Angeklagten entschlossen, weil ihnen die unbeabsichtigte Versäumung der Rückgabefrist unangenehm war.
5
b) Die bisherigen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Unterschlagung in diesen Fällen nicht. Allein dem Unterlassen der Rückgabe lässt sich eine Zueignung im Sinne des § 246 Abs. 1 StGB nicht entnehmen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 StR 472/06 Rn. 2), insbesondere wenn dies geschieht, um den Eigentümer bzw. Gewahrsamsinhaber zu ärgern (BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – 4 StR 323/80; Holtz, MDR 1982, 808, 810; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 242 Rn. 36; SSW-StGB/Kudlich § 242 Rn. 48, jeweils m.w.N.).
6
Das Landgericht wird jedoch eine Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung , im Fall II. 10. zudem wegen Verwahrungsbruches und hinsichtlich des Angeklagten A. gegebenenfalls auch wegen versuchter Strafvereitelung zu prüfen haben.
7
Ergänzend weist der Senat für den Fall II. 10. der Urteilsgründe darauf hin, dass nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum eine Nachteilszufügungsabsicht im Sinne des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB zwar nicht durch die Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs begründet wird, da insoweit kein "anderer" benachteiligt wird (BGH, Beschluss vom 27. März 1990, BGHR StGB § 274 Nachteil 2; BayObLG, NZV 1999, 213, 214; NZV 1989, 81; OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477; SSW-StGB/Wittig § 274 Rn. 21; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 274 Rn. 7; Cramer/Heine, in: Schönke /Schröder, StGB, 28. Aufl., § 274 Rn. 16). Es sind aber ergänzende Feststellungen dahingehend möglich, dass dem Anzeigeerstatter im Ermittlungsverfahren 32 Js 547/07 durch die Angeklagten ein Nachteil zugefügt werden sollte. Der zu Benachteiligende braucht auch nicht Eigentümer der Urkunde bzw. mit dem Beweisführungsberechtigten identisch zu sein (Leipziger Kommentar /Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 274 Rn. 60; Fischer aaO § 274 Rn. 6; Wittig aaO § 274 Rn. 21, Cramer/Heine aaO § 274 Rn. 17, jeweils m.w.N.). Das Landgericht wird auch eine Strafbarkeit wegen Verwahrungsbruchs zu erwägen haben. Die zweite Alternative des § 133 Abs. 1 StGB erfasst Gegenstände, die dem Täter oder einem Dritten aufgrund dienstlicher Anordnung in Verwahrung gegeben worden sind. In dienstlicher Verwahrung befinden sich hiernach die dem Verteidiger nach § 147 StPO übergebenen Verfahrensakten (SSWStGB /Jeßberger § 133 Rn. 7; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 133 Rn. 10). Für den Angeklagten A. kommt gegebenenfalls bei Vorliegen eines Vereitelungsansatzes eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung in Betracht (vgl. Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2. Aufl., Rn. 103 m.w.N.).
8
2. Die Verurteilung wegen Untreue im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen belegen nicht das Vorliegen einer Vermögensbetreuungspflicht. Nach § 2 Abs. 7 des fünften Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (Fünftes Vermögensbildungsgesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. März 1994 (BGBl. I S. 406) sind vermögenswirksame Leistungen arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts. Die Pflicht des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer vermögenswirksame Leistungen zu entrichten, ist lediglich eine dem Arbeitsverhältnis entspringende Nebenpflicht und bildet nicht den wesentlichen Inhalt des Vertragsverhältnisses (BGH, Urteil vom 5. Oktober 1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314, 318 hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitgebers, einen Teil des Lohnes zum Kleben so genannter "Urlaubsmarken" zu verwenden; OLG Braunschweig, NJW 1976, 1903 f.). Auch enthält die aus dem Arbeitsvertrag entspringende Pflicht zur ordnungsgemäßen Lohnzahlung nicht schon von sich aus die Verpflichtung, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen (BGH aaO).
9
Die bisherigen Feststellungen legen vielmehr eine Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 3 StGB nahe, wobei für jeden Fälligkeitszeitpunkt eine Tat vorliegen würde (OLG Frankfurt/Main, wistra 2003, 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; OLG Celle, NStZRR 1997, 324; Fischer aaO § 266a Rn. 36).
10
3. Im Fall II. 3. der Urteilsgründe ist das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem Fall des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB ausgegangen. Bei Nichtentrichten der Beiträge an mehreren Fälligkeitsterminen liegt Tatmehrheit vor (OLG Frankfurt/Main, wistra 2003, 236, 237; NStZ-RR 1999, 104; OLG Celle, NStZ-RR 1997, 324; Fischer aaO § 266a Rn. 36). Auch lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen, ob lediglich Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gemäß § 266a Abs. 1 StGB oder auch Arbeitgeberanteile von Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB vorenthalten wurden.
11
4. Die getroffenen Feststellungen zu Fall II. 6. der Urteilsgründe tragen eine Verurteilung des Angeklagten A. wegen Untreue nicht. Die bisherigen Feststellungen belegen nur eine Vertretung der Geschädigten durch die Angeklagte N. . Ergänzende Feststellungen erscheinen jedoch möglich. Sollte der neue Tatrichter eine Beauftragung beider Angeklagter nicht feststellen, weist der Senat darauf hin, dass für den Angeklagten A. auch eine Beihilfe zur Untreue der Angeklagten N. in Betracht kommt.
12
5. Hinsichtlich des Falles II. 13. der Urteilsgründe hat die Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten N. ergeben. Das Rechtsmittel führt jedoch insoweit zur Aufhebung des Strafausspruchs. Das Landgericht hat den Strafrahmen des § 239 Abs. 3 Nr. 1 StGB lediglich gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Es hat zum einen nicht bedacht, dass das Vorliegen eines vertypten Strafmilderungsgrundes bereits für sich allein oder zusammen mit den festgestellten sonstigen Milderungsgründen einen minder schweren Fall begründen kann (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2005 – 4 StR 173/05; Fischer aaO § 50 Rn. 4 m.w.N.). Zum anderen hat das Landgericht die Vorschriften der §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB nicht im Blick gehabt. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs; einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es insofern jedoch nicht. Der Senat kann nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht ohne die aufgezeigten Rechtsfehler auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte.
13
6. In Bezug auf das weitere Revisionsvorbringen verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 13. April 2010.
14
7. Mit den Aufhebungen in den genannten Fällen entfallen auch die insoweit verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe.
15
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) lediglich auf Art und Höhe der Rechtsfolgen, nicht aber auf eine Veränderung und Verschärfung des Schuldspruchs bezieht (st. Rspr.; vgl. KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 358 Rn. 18; KKPaul , StPO, 6. Aufl., § 331 Rn. 2; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 358 Rn. 11, § 331 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Der neue Tatrichter wäre daher nicht daran gehindert , den Schuldspruch in den Fällen II. 2. und 3. dahingehend zu ändern, dass die Angeklagten des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 26 Fällen schuldig sind. In diesem Fall würde das Verschlechterungsverbot aber dazu führen, dass die Summe der Einzelstrafen, die dann jeweils zu verhängen wären, die in dem betreffenden Fall bisher verhängte Einzelstrafe nicht überschreiten darf (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09 Rn. 14; vom 25. Oktober 2001 - 3 StR 314/01; vom 16. September 1986 – 4 StR 479/86, BGHR StPO § 331 Abs. 1 Einzelstrafe, fehlende 1).
16
Im Hinblick auf die neu festzusetzenden Einzelstrafen weist der Senat ferner darauf hin, dass entgegen der Annahme des Landgerichts eine Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB nicht in Betracht kommt, weil es den Angeklagten bei ihren Bemühungen um Schadenswiedergutmachung ersichtlich nicht um den Ausgleich immaterieller Folgen ging (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 – 4 StR 435/99, NStZ 2000, 205; vgl. auch Fischer aaO § 46a Rn. 10 m.w.N.). Eine Anwendung von § 46a Nr. 2 StGB setzt neben einem vollständigen oder überwiegenden Schadensausgleich voraus, dass die Leistung Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist. Das versteht sich bei den zum Teil erst nach Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen geleisteten Zahlungen oder bei am letzten Hauptverhandlungstag dem Verteidiger zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung gestellten Geldbeträgen nicht von selbst.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 238/12
vom
27. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2012 gemäß § 154a
Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichtes Darmstadt vom 8. November 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Er hat die Kosten der Wiedereinsetzung zu tragen. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 12. März 2012, mit dem seine Revision als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird
a) das vorbezeichnete Urteil in den Fällen 103, 120, 219, 226, 349, 360, 362, 363, 370, 376, 377, 386, 414 und 415 der Urteilsgründe aufgehoben, die hierfür verhängten Einzelstrafen entfallen;
b) in den Fällen 462, 463 und 465 der Urteilsgründe die Verfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB beschränkt und auf Einzelstrafen von jeweils einem Monat erkannt;
c) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert , dass der Angeklagte schuldig ist - in 420 Fällen der Fälschung beweiserheblicher Daten, - in vier Fällen der Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung, - in zwölf Fällen der versuchten Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung, - in zwölf Fällen der Urkundenfälschung, davon in einem Fall in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren, - in drei Fällen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Fälschung beweiserheblicher Daten in 434 Fällen, Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen, versuchter Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwölf Fällen, Urkundenfälschung in zwölf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Missbrauch von Ausweispapieren, sowie wegen drei- er Fälle der Urkundenunterdrückung in Tateinheit mit „Missbrauch von Titeln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
2
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner zunächst unbeschränkten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die er hinsichtlich der Fälle 1 und 464 der Urteilsgründe wirksam zurückgenommen hat. Im verbleibenden Umfang hat sie lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.


3
Dem Angeklagten ist gegen die von ihm erkennbar nicht verschuldete Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO).
4
Die Zustellung des angefochtenen Urteils an die Wahlverteidigerin ist erst am 6. Februar 2012 verfügt und sodann bewirkt worden (Band XIII, Bl. 3010 Rücks.), mithin nach Ablauf der durch wirksame Zustellung an den Pflichtverteidiger am 5. Januar 2012 (Band XIII. Bl. 2986) in Gang gesetzten Revisionsbegründungsfrist, und konnte daher eine neue Frist nicht in Gang setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 1 StR 436/08, StraFo 2008, 509). Die zuvor erfolgte formlose Übersendung von Kopien des Urteils und des Protokolls (Bd. XIII, Bl. 3006 Rücks.) ist keine Zustellung, die gemäß § 37 Abs. 2 StPO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. August 1990 - 3 StR 459/87, BGHR StPO § 345 Abs. 1 Fristbeginn 4) die Revisionsbegründungsfrist hätte verlängern können.

II.


5
Die Revision des Angeklagten führt in drei Fällen zu einer Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO und hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO) ergeben. Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
6
1. In den Fällen 462, 463 und 465 beschränkt der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO die Strafverfolgung aus prozessökonomischen Gründen auf den Vorwurf des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB.
7
a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen erreichte der Angeklagte, der zu keiner Zeit über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügte, in zwei Fällen unter Verwendung eines von ihm gefälschten Anwaltsschreibens (Fälle 462 und 463 [„ebenfalls“- UA S. 22] der Urteilsgründe), dass ihm Akten zu zwei ihn selbst betreffenden Ermittlungsverfahren (u.a. wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung) ausgehändigt wurden. In einem weiteren Fall wurde ihm aufgrund persönlicher Vorsprache beim Amtsgericht, bei der er sich als Rechtsanwalt ausgab, die Akte zu einem ihn betreffenden Bußgeldverfahren überlassen (Fall 465 der Urteilsgründe). Der Angeklagte gab keine dieser Akten zurück, sie wurden Gericht und Staatsanwaltschaft „auf Dauer entzogen“.
8
Zutreffend hat das Landgericht dies jeweils als ein Vergehen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 2 StGB gewertet. Ob sich der Angeklagte wegen dieses Sachverhalts darüber hinaus schon deswegen der Urkundenunterdrückung (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) strafbar gemacht hat, weil (entgegen BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10, NStZRR 2011, 276 mwN) die Absicht der Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs von dieser Vorschrift erfasst ist (vgl. mit beachtlichen Argumenten bereits Schneider NStZ 1993, 16, 18 f.; auch Puppe in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 274 Rn. 12 ff.), bedarf mit Blick auf die Verfahrensbeschränkung ebenso wenig einer abschließenden Entscheidung wie die Frage, ob das Verhalten des Angeklagten in diesen Fällen auch einen Verwahrungsbruch (§ 133 StGB) darstellt, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführt (vgl. aber Ostendorf in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 133 Rn. 14).
9
b) Der Senat setzt - in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts - die Einzelstrafen in den genannten Fällen gemäß § 354 Abs. 1 StPO auf die Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat fest. Angesichts der mehr als vierhundert weiteren von der Strafkammer verhängten Einzelfreiheitsstrafen ist auszuschließen, dass die Strafkammer eine Geldstrafe verhängt hätte.
10
2. Die Feststellungen zu den Fällen 2 bis 434 der Urteilsgründe - der Angeklagte übermittelte jeweils selbst erstellte elektronische Lohnsteuerbescheinigungen für von ihm erfundene Personen mit fiktiven Arbeitsverhältnissen und fiktiven Lohnsteuerzahlungen an Finanzämter - belegen im Hinblick auf Doppelund Dreifachnennungen der angeblichen Aussteller in den Urteilsgründen insgesamt nur 420 Fälle der Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB).
11
Die hierdurch erforderliche Korrektur des Schuldspruchs zieht den Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen 103, 120, 219, 226, 349, 360, 362, 363, 370, 376, 377, 386, 414 und 415 der Urteilsgründe nach sich.
12
3. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu den Fällen 436 bis 451 der Urteilsgründe gab der Angeklagte für die vorgeblichen Arbeitnehmer (s.o. 2.) zunächst auf elektronischem Weg (ELSTER) und jeweils wenige Tage später in Papierform eine Einkommensteuererklärung ab. In vier Fällen erreichte er so aufgrund der Anrechnung vermeintlich abgeführter Lohnsteuer ungerechtfertigte Auszahlungen an sich, in zwölf weiteren Fällen kam es wegen entdeckter Unstimmigkeiten in den Steuererklärungen zu keiner Auszahlung.
13
Zutreffend hat das Landgericht dies jeweils als Steuerhinterziehung bzw. versuchte Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung gewertet. Soweit es den Angeklagten in diesen Fällen nicht auch wegen Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB) verurteilt hat, ist er jedenfalls nicht beschwert (zu den Konkurrenzen vgl. einerseits Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 269 Rn. 12; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 269 Rn. 25; Hilgendorf in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 269 Rn. 12; andererseits Zieschang in LK-StGB, 12. Aufl., § 269 Rn. 29 ff.; Puppe in Kindhäuser /Neumann/Paeffgen, StGB, 3. Aufl., § 269 Rn. 39 ff.; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 269 Rn. 12; ausführlich auch Radtke, ZStW 115 [2003], 26 ff.); der Senat sieht insoweit von der vom Generalbundesanwalt beantragten Schuldspruchänderung ab.
14
4. Der Wegfall und die Herabsetzung von Einzelstrafen lässt die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. Der Senat schließt angesichts der verbleibenden Vielzahl von Einzelstrafen und deren Höhe (vier Einzelfreiheitsstrafen von je einem Jahr und zwei Monaten, 442 Einzelfreiheitsstrafen von je acht Monaten, zwei Einzelfreiheitsstrafen von je sechs Monaten und drei Einzelfreiheitsstrafen von - nunmehr - je einem Monat) aus, dass das Landgericht auf eine noch mildere Gesamtfreiheitsstrafe als eine solche von zwei Jahren und neun Monaten erkannt hätte.
VRiBGH Nack kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Hebenstreit Hebenstreit Graf Jäger Cirener

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist die Verwaltungsbehörde zuständig, soweit nicht hierzu nach diesem Gesetz die Staatsanwaltschaft oder an ihrer Stelle für einzelne Verfolgungshandlungen der Richter berufen ist.

(2) Die Verwaltungsbehörde ist auch für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständig, soweit nicht hierzu nach diesem Gesetz das Gericht berufen ist.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

39
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfasst werden nur solche Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, vom 5. Dezember 1996 – 1StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 29. Oktober 2010 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 – in dieser Sache –, StV 2011, 463).

(1) Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde. Solange das Verfahren bei ihr anhängig ist, kann sie es einstellen.

(2) Ist das Verfahren bei Gericht anhängig und hält dieses eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. Die Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn durch den Bußgeldbescheid eine Geldbuße bis zu einhundert Euro verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(3) Die Einstellung des Verfahrens darf nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September
2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgrichtshof
Rothfuß,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt. Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des Angeklagten , der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr vorfand.
Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die Stadt E. z u erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter Geräusche während des Festes zu gestatten und der Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen. Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte, äußerte er gegenüber dem anwesenden Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten , auch wenn die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht. Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht gestört werden. Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die Einschränkung enthielt, daß diese von
der Stadt nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie Zimmerlautstärke überschreite. In den Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus: ” ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen sind. Der Richter ist über den Antrag und seine Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich, weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist. Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden , weil es sich um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG E. ist nicht erreichbar). ...” Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung: ”1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift 2. Austragen 3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W. übersandt.” Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte, daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag zurückwies.

II.

Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden, vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu enthalten , gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E. wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den hier der Verwaltungs-
rechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war, geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht (Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp; VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3 ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257 f.; 38, 381, 383, 42, 343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfaßt werden sollen nur elementare Rechtsverstöße , bei denen sich der Täter bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38, 381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen Verfahrensverstöße , insbesondere aber die Verletzung der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend. Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandt-
schaft (hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt bei Verstößen gegen eine Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe, sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der Sperrung der Straße habe am Montag
begonnen werden sollen. Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe gewußt, daß der Antrag nicht außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will und berücksichtigt auch nicht, daß die Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47 ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er, wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach Überzeugung der Kammer, daß er spätestens nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe entscheiden wollen , um zu verhindern, daß andere damit befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht weiterleiten oder gar zurückweisen würden. Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich möglich, sie berücksichtigen aber nicht, daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der Namensverschiedenheit nicht offensichtliche - Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen und ausgeführt, daß er wegen der besonderen Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu verzögern, sondern für die umgehende Übersendung der Akten gesorgt , wodurch sein Handeln sofort offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als wenig sinnvoll erscheinen lassen , hätte sich das Landgericht auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu einer Verurteilung gemäß § 339 StGB führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten Rothfuß Elf

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll der Straftatbestand der Rechtsbeugung den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege unter Strafe stellen. Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt eine Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB dar; vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element. Erfasst werden nur solche Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 23. Mai 1984 – 3 StR 102/84, BGHSt 32, 357, vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 353/92, BGHSt 38, 381, vom 5. Dezember 1996 – 1StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 29. Oktober 2010 – 4 StR 97/09, NStZ-RR 2010, 310). Rechtsbeugung kann auch durch die Verletzung von Verfahrens- und Zuständigkeitsvorschriften begangen werden. Erforderlich ist jedoch insoweit, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (BGH, Urteile vom 5. Dezember 1996 – 1 StR 376/96, BGHSt 42, 343, und vom 20. September 2000 – 2 StR 276/00, BGHR StGB § 339 Rechtsbeugung 6; Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 StR 555/09 – in dieser Sache –, StV 2011, 463).

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

(1) Wer Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem anderen dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Dasselbe gilt für Schriftstücke oder andere bewegliche Sachen, die sich in amtlicher Verwahrung einer Kirche oder anderen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts befinden oder von dieser dem Täter oder einem anderen amtlich in Verwahrung gegeben worden sind.

(3) Wer die Tat an einer Sache begeht, die ihm als Amtsträger oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten anvertraut worden oder zugänglich geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.