Bundesgerichtshof Urteil, 08. Feb. 2006 - IV ZR 131/05

bei uns veröffentlicht am08.02.2006
vorgehend
Amtsgericht Bremen, 4 C 144/04, 30.11.2004
Landgericht Bremen, 6 S 408/04, 12.05.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 131/05 Verkündetam:
8.Februar2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
alsUrkundsbeamter
derGeschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
ZPO § 256; AVB Krankheitskostenversicherung (MB/KK 94 § 1)
Zur Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Leistungspflicht in der Krankenversicherung
(hier: medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung aufgrund eines kieferorthopädischen
Heil- und Kostenplans).
BGH, Urteil vom 8. Februar 2006 - IV ZR 131/05 - LG Bremen
AG Bremen
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal
-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom
8. Februar 2006

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 12. Mai 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Parteien Die streiten in der Revisionsinstanz nur noch über die Verpflichtung des beklagten Krankenversicherers, der an einer Fehlstellung der Zähne leidenden Klägerin für die in einem Heil- und Kostenplan ihres Kieferorthopäden beschriebene Behandlung Versicherungsschutz zu gewähren.
2
Dem zwischen ihnen bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrag liegen neben Allgemeinen Versicherungsbedingungen (MB/KK 94) Tarifbedingungen (TB) der Beklagten zugrunde. Nach dem vereinbarten Tarif 741 hat sie der Klägerin unter anderem 75% der Kosten für kieferorthopädische Leistungen zu erstatten.
3
von Der der Klägerin aufgesuchte Kieferorthopäde empfahl zunächst einen zur Behandlung ihrer mandibulären Rethrognathie bzw. maxillären Prognathie (ganzseitige Vorlage des Oberkiefers bzw. Rücklage des Unterkiefers) üblichen kieferchirurgischen Eingriff im Rahmen einer so genannten KFO-KCH-Therapie, den sie aber wegen negativer Erfahrungen bei einer 2001 durchgeführten Operation ablehnte. Darauf schlug er eine rein kieferorthopädische Therapie mit voraussichtlicher Dauer von 12 Quartalen vor und erstellte einen kieferorthopädischen Behandlungsplan , wonach sich die veranschlagten Kosten für die im Einzelnen vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen mit ihren jeweiligen Kostenansätzen insgesamt auf 5.596,95 € belaufen.
4
Nach Vorlage des von der Beklagten zur Prüfung der Leistungspflicht geforderten Heil- und Kostenplanes lehnte diese die von der Klägerin erbetene Deckungszusage ab, weil die in Aussicht genommene Behandlung ohne chirurgischen Eingriff nicht Erfolg versprechend sei.
5
Vorinstanzen Die haben die Feststellungsklage auf bedingungsgemäße Übernahme von 75% der im Heil- und Kostenplan ausgewiesenen Kosten abgewiesen. Mit der insoweit vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin, die inzwischen mit der Behandlung begonnen hat, ihr Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


6
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7
I. Das Berufungsgericht hält - im Gegensatz zum Amtsgericht - die Feststellungsklage für zulässig. Die Klägerin habe ein rechtliches Interesse , durch die begehrte Feststellung Sicherheit dafür zu bekommen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die Kosten für die nach ihrer Darstellung medizinisch notwendigen Behandlungsmaßnahmen des Heilund Kostenplans zu erstatten.
8
Die Klage sei aber unbegründet, weil sich gegenwärtig nicht sicher sagen lasse, dass die ärztlich vorgesehenen Maßnahmen auch tatsächlich anfallen und sie sich dann auch als medizinisch notwendig erweisen würden. Das lasse sich erst im Nachhinein beurteilen; einen Anspruch auf Erteilung einer Deckungszusage im Vorfeld einer Behandlung enthalte die nachschüssig konzipierte Krankenversicherung der Klägerin nicht.
9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
10
Die Parteien streiten im Kern nur darüber, ob die im Heil- und Kostenplan ausgewiesene rein kieferorthopädische Langzeitbehandlung medizinisch notwendig ist. Das verneint die Beklagte, weil bei den extrem skelettalen und dentalen Abweichungen diese Behandlung zu keiner Funktionsverbesserung führen könne; letztere sei vielmehr nur über eine kombinierte kieferchirurgische/kieferorthopädische Therapie zu erreichen. Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung - gestützt auf die Angaben ihres behandelnden Arztes -, dass auch ohne vorherigen chirurgischen Eingriff die von ihm vorgeschlagenen kieferorthopädischen Korrekturmaßnahmen zu einer funktionell viel besseren Situation als der gegenwärtigen führen werden. Die bereits bei Erstellung des Behandlungsplanes gegebene aktuelle Behandlungsbedürftigkeit des bei der Klägerin bestehenden Beschwerdebildes steht außer Frage. Der bloße Streit, ob ein spezifisches, ärztlich vorgesehenes therapeutisches Vorgehen bei unstreitig unmittelbar gebotener medizinischer Versorgung von Beschwerden unter den Versicherungsschutz der hier genommenen Krankenversicherung fällt, kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein; das gilt unbeschadet ihrer Rechtsnatur als Passivenversicherung. Gegen die Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen hier nach den gegebenen Umständen - wie das Berufungsgericht richtig sieht - keine Bedenken (1.). Ob sie begründet ist, lässt sich dagegen nicht - wie das Berufungsgericht annimmt - mit Blick auf einen noch nicht ganz sicher feststehenden Behandlungsverlauf verneinen und wird in solchen Fällen regelmäßig nicht ohne sachverständige Beratung zu beurteilen sein (2.).
11
1. Inwieweit bei einer Krankheitskostenversicherung auf Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers für die Kosten einer Behandlung geklagt werden kann, wird unterschiedlich beurteilt.
12
a) Ein Teil der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur lehnt dies wegen des Charakters dieser Versicherung als Passivenversicherung , die den Versicherer nur zum Ersatz bereits entstandener Kosten verpflichtet, grundsätzlich ab und zwar wegen der sich ständig ändernden organischen Abläufe im menschlichen Körper und der fortschreitenden medizinischen Entwicklung auch dann, wenn es nur um die Frage der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung geht. Ausnahmen werden lediglich in Betracht gezogen, wenn bereits von der Notwendigkeit einer konkreten Behandlungsmaßnahme ausgegangen werden könne - etwa aufgrund eines Heil- und Kostenplans - und wenn auf diese sonst verzichtet werden müsse (vgl. LG Gießen RuS 2000, 474; AG Berlin-Schöneberg RuS 1999, 520; OLG Köln RuS 1998, 125; OLGR Stuttgart 1998, 23; Schoenfeldt/Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 3. Aufl. § 1 MB/KK Rdn. 88 und 4 m.w.N.).
13
Ein anderer Teil lässt demgegenüber, wenn die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, eine solche Klage grundsätzlich zu (vgl. OLG Schleswig VersR 2002, 428; LG Landshut NJW 2000, 2752; LG Berlin NVersZ 2000, 230; LG Aachen RuS 1998, 76; Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. MB/KK 94 § 1 Rdn. 70). Einschränkungen sollen indes gelten , wenn die Möglichkeit von Änderungen eines körperlichen Zustandes bestehe - wie etwa bei geplanten Krankenhausbehandlungen -, es sei denn, der Versicherungsnehmer würde dann einem unzumutbaren Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. Prölss, aaO m. vielen w.N.).
14
Der Senat hat die Zulässigkeit von Feststellungsklagen dieser Art seit längerem jedenfalls dann bejaht, wenn die Feststellung ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betrifft, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige, mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete, bevor- stehende Behandlungen gerichtet ist. Außerdem muss ein Feststellungsinteresse dahingehend bestehen, dass durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten ist (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 1986 - IVa ZR 275/85 - VersR 1987, 280 betreffend den ersten Behandlungszyklus einer IVF-Behandlung; vom 23. September 1987 - IVa ZR 59/86 - VersR 1987, 1107 betreffend weitere Behandlungszyklen einer IVFBehandlung ; vom 13. Mai 1992 - IV ZR 213/91 - VersR 1992, 950 betreffend zahnprothetische Behandlungen und vom 16. Juni 2004 - IV ZR 257/03 - VersR 2004, 1037 betreffend Fortsetzung einer psychotherapeutischen Behandlung).
15
b) An diesen Grundsätzen der Senatsrechtsprechung ist festzuhalten. Sie tragen auf der einen Seite den berechtigten Interessen des Krankenversicherers Rechnung, bei einer Passivenversicherung grundsätzlich nur zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet zu sein, die dem Versicherungsnehmer in Bezug auf das versicherte Risiko zur Erfüllung von Verpflichtungen aus berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind (BGHZ 154, 154, 158). Auf der anderen Seite bieten sie Versicherungsnehmern Schutz davor, ein für sie nicht abzuschätzendes Kostenrisiko eingehen zu müssen, obwohl eine medizinische Behandlung angesichts des Beschwerdebildes ärztlicherseits aktuell, unter spezifizierter Darstellung der geplanten Vorgehensweise für geboten erachtet und deswegen angeraten wird. In solchen Fallgestaltungen fehlt es weder an einem gegenwärtigen Rechtsverhältnis, das es zu klären gilt, noch an einem Feststellungsinteresse, das eine endgültige Streitbeilegung verspricht. Die finanziellen Verhältnisse eines Versicherungsneh- mers spielen für die Entscheidung über die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage keine Rolle.
16
c) Danach bestehen hier gegenüber der von der Klägerin erhobenen Klage keine Zulässigkeitsbedenken.
17
Die Klägerin hat mit der Vorlage des Heil- und Kostenplans, der von der Beklagten zur Beurteilung ihrer Leistungspflicht sogar selbst angefordert worden ist, dargelegt, dass die darin vorgeschlagene Behandlung aus ärztlicher Sicht erforderlich ist. Mit der vorangegangenen ausführlichen Voruntersuchung ist diese Behandlung bereits eingeleitet worden (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76 - VersR 1978, 271 unter II 1 und 20. Dezember 1956 - II ZR 8/56 - VersR 1957, 55 unter 1). Damit hat sich ihre Notwendigkeit in Bezug auf einen Erstattungspflichten auslösenden Versicherungsfall so weit verdichtet, dass sich aus dem Kreis der im Versicherungsvertrag allgemein angelegten vielfältigen Anspruchsmöglichkeiten ein das Feststellungsbegehren rechtfertigendes gegenwärtiges Rechtsverhältnis gebildet hat (vgl. Senatsurteil vom 13. Mai 1992 aaO unter I 2).
18
Von einem Feststellungsurteil ist auch zu erwarten, dass der bestehende Streit, ob für die in Aussicht genommene Behandlungsmethode Versicherungsschutz besteht, bereits jetzt sachgemäß und erschöpfend beigelegt werden kann. Dem damit gegebenen Feststellungsinteresse steht nicht - wie die Revisionserwiderung meint - entgegen, dass sich die maßgeblichen Umstände bis zur Durchführung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen noch ändern könnten. Diese Erwägungen können allenfalls die Beurteilung der Notwendigkeit der Heilbehandlung beeinflus- sen, von der Versicherungsschutz dem Grunde nach wesentlich abhängt, und betreffen damit die Begründetheit, nicht aber die Zulässigkeit der Klage. Das Interesse, die Eignung einer rein kieferorthopädischen Korrekturbehandlung schon bei Behandlungsbeginn festgestellt zu bekommen , wird damit nicht in Frage gestellt. Ob sich im Verlauf der Behandlung einzelne Schritte nicht (mehr) als medizinisch notwendig und damit nicht abrechnungsfähig erweisen sollten, ist davon unabhängig und berührt die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens der Klägerin nicht.
19
2. Die Begründetheit der Feststellungsklage hängt hier entscheidend davon ab, wie das Berufungsgericht im Ansatz ebenfalls noch richtig sieht, ob das therapeutische Konzept im Sinne der Bedingungen als Heilbehandlung medizinisch notwendig ist. Sie lässt sich indes nicht mit seinen Überlegungen zur Nachschüssigkeit des Versicherungsvertrages und gegenwärtigen - also im Vorfeld der Behandlung - unsicheren Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlungsmethode oder auch nur einzelner dabei vorgesehener Schritte verneinen.
20
a) Zutreffend weist die Revisionsbegründung darauf hin, dass diese Betrachtung einerseits Fragen der Zulässigkeit mit denen der Begründetheit vermischt und andererseits die Sachkunde vermissen lässt, die zur Klärung der zwischen den Parteien strittigen Frage erforderlich ist. Ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis, das durch ein Feststellungsbegehren geklärt werden kann, ist - wie vorstehend ausgeführt - gegeben. Die für den Erfolg der Klage maßgebliche Frage nach dem medizinischen Nutzen des Behandlungskonzepts im Sinne der Versicherungsbedingungen bedarf der tatrichterlichen Klärung; ohne Hinzuziehung einer sachverständigen Hilfe wird sie nach derzeitiger Sach- und Rechtslage nicht zu beantworten sein (vgl. BGHZ 133, 208, 215). Entsprechende Beweisanträge liegen vor. Allgemeine Mutmaßungen über ständige Veränderungen organischer Abläufe und medizinischer Erkenntnisse (vgl. OLG Stuttgart aaO) vermögen die erforderliche tatrichterliche Überzeugungsbildung auf einer fundierten Sachgrundlage zur Beurteilung der aufgeworfenen Frage nicht zu ersetzen.
21
b) Dabei ist zu beachten, dass mit dem Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlung nach ständiger Rechtsprechung des Senats zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt wird (Urteil vom 21. September 2005 - IV ZR 113/04 - für BGHZ vorgesehen unter II 3 a; BGHZ 154, 154, 166 f.; 133, 208, 212 f.; Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76 - VersR 1978, 271 unter II 1). Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab (BGHZ 133 aaO m.w.N.), sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern, nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers (BGHZ 133 aaO). Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (Senatsurteil vom 21. September 2005 aaO; BGHZ 154, 154, 166 f.; 133, aaO jeweils m.w.N.). Ob dies der Fall ist bzw. gegenwärtig bereits geklärt werden kann, lässt sich nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmen (vgl. BGHZ 133, 208, 215). Davon hängt die Begründetheit der Klage ab.
22
von Die der Revisionserwiderung gegenüber dem Klageantrag wegen seiner weiten Fassung geäußerten Bedenken machen die Klage nicht unbegründet. Die Klägerin will ersichtlich nur die medizinische Notwendigkeit der im Heil- und Kostenplan vorgeschlagenen Behandlungsmethode und die daran anknüpfende grundsätzliche Leistungsverpflichtung der Beklagten festgestellt wissen; das lässt vertragliche Einwendungen der Beklagten aus anderen Gesichtspunkten unberührt. Der Feststellungsantrag zielt mithin lediglich darauf, dass sich der von der Beklagten zu gewährende Versicherungsschutz auf diese Art der Heilbehandlung erstreckt, nicht aber auf weitere Voraussetzungen, von denen die Erstattungsfähigkeit in Rechnung gestellter Kosten im Einzelnen abhängen kann.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
AG Bremen, Entscheidung vom 30.11.2004 - 4 C 144/04 -
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(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

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Fritz
Justizangestellte
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Nachschlagewerk: ja
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Eine Tarifbedingung in einer privaten Krankenversicherung, mit der die Erstattung
von Aufwendungen für Psychotherapie auf bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr
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Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Juni 2004

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 7. Oktober 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hat bei der Beklagten eine private Kr ankheitskostenversicherung genommen. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde, die in ihrem Teil I Rahmenbedingungen (RB/KK i.d.F. 1994) und in ihrem Teil II Tarifbedingungen (TB/KK i.d.F. 1999) enthalten. § 1 (1) TB/KK 99 lautet u.a.: "Sofern der Tarif nichts anderes bestimmt, umfaßt der Versicherungsschutz auch die Psychotherapie, soweit sie medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist und von einem niedergelassenen Arzt durchgeführt wird. …. Aufwendungen für Psychotherapie werden bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr in tariflichem Umfang erstattet."

Die Klägerin begab sich im Jahre 2002 in psychothe rapeutische Behandlung. Die Beklagte erstattete die Aufwendungen für den stationären Aufenthalt vom 19. Februar bis zum 10. Mai 2002 und für sich anschließende 29 ambulante Therapiesitzungen. Mit Schreiben vom 14. Januar 2003 erhielt die Klägerin für das laufende Kalenderjahr eine Kostenzusage , die auf weitere 30 ambulante Therapiesitzungen begrenzt war. Über 30 Sitzungen hinausgehende Versicherungsleistungen für 2002 und die Folgejahre lehnte die Beklagte ab.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Leistungsbesc hränkung auf 30 Sitzungen je Kalenderjahr sei unwirksam; die Beklagte habe die gesamten Kosten der psychotherapeutischen Behandlung zu übernehmen, soweit sich diese als medizinisch notwendig erweise. Amtsgericht und Landgericht haben ihre hierauf gerichtete Feststellungsklage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe:


Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klause l in § 1 (1) TB/KK 99 benachteilige die Klägerin nicht unangemessen im Sinne der §§ 9 AGBG, 307 BGB n.F.. Sie belasse der Klägerin einen Kernbereich an Versicherungsschutz, der das durchschnittliche Kostenrisiko für medizinisch notwendige psychotherapeutische Behandlungen abdecke. Nach dem Ergebnis der aus anderen Verfahren beigezogenen Sachverständi-

gengutachten seien trotz der Leistungsbeschränkung etwa zwei Drittel der psychotherapeutischen Behandlungen abgedeckt. Die Kurzzeittherapie , die etwa ein Drittel der Behandlungen ausmache, habe einen Umfang von bis zu 25 Stunden. Bei Langzeittherapien lasse sich ein weiteres Drittel der Behandlungen mit etwa 30 Sitzungen jährlich unter der Voraussetzung abdecken, daß zwei Jahresleistungen - also 60 vom Versicherer zu erstattende Sitzungen - unmittelbar aufeinander folgten.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Der Umfang des der Klägerin zu gewährenden Vers icherungsschutzes ergibt sich insbesondere aus dem mit der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag, den diesem zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen - Rahmenbedingungen, Tarifbedingungen und Tarif - sowie aus den gesetzlichen Vorschriften (§ 1 (3) RB/KK 94). Das bedeutet hier: Nach § 1 (1) a RB/KK 94 gewährt der Versicherer im Versicherungsfall - "medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen" (§ 1 (2) Satz 1 RB/KK 94) - Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen; Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich nach § 4 (1) RB/KK 94 aus dem Tarif, den Rahmen- und den Tarifbedingungen. Letztere regeln in § 1 (1) Satz 1 TB/KK 99 zunächst, daß - sofern der Tarif nichts anderes bestimmt - der Versicherungsschutz auch die Psychotherapie erfaßt, soweit sie medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist. Aufwendungen für Psychotherapie werden gemäß § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 bis zu 30 Sitzungen pro Kalenderjahr in tariflichem Umfang erstattet. Leistungen verspricht die Beklagte

bei psychotherapeutischen Behandlungen - liegen die Voraussetzungen des § 1 (1) Satz 1 TB/KK 99 vor - nur bis zu dieser Höchstgrenze im Jahr; darüber hinaus besteht kein Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers , selbst wenn 30 Sitzungen für eine Heilung der Erkrankung nicht ausreichen oder sich - nach zunächst abgeschlossener Therapie - noch im laufenden Kalenderjahr herausstellt, daß die Behandlung wegen einer erneuten Erkrankung des Versicherungsnehmers oder aus anderen Gründen wieder aufgenommen werden muß.
2. Diese in § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 enthaltene Lei stungsgrenze unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG, § 307 Abs. 1 und 2 BGB. Allerdings trifft es zu, daß § 8 AGBG, § 307 Abs. 3 BGB die Inhaltskontrolle auf Klauseln beschränken, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Damit unterliegen bloße Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen, aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften unberührt lassen, nicht der Inhaltskontrolle. Hingegen sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren , inhaltlich zu kontrollieren. Damit verbleibt für die der Prüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen , ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. BGHZ 123, 83, 84; 127, 35, 41; Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 137/98 - VersR 1999, 745 unter II 2 b und c). Zu diesem Bereich der Leistungsbeschreibung gehört die Bestimmung des § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 nicht. Bereits in § 1 (1) a RB/KK 94 hat die Beklagte ihr Hauptleistungsversprechen - Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung - so beschrieben, daß der wesent-

liche Vertragsinhalt bestimmt werden kann; diese Leistungsbeschreibung reicht aus, um einen wirksamen Vertrag anzunehmen. Dagegen modifiziert § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 den Anspruch auf Versicherungsschutz in einschränkender Weise, indem Aufwendungen für Psychotherapie - obgleich Heilbehandlung - nur bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr erstattet werden.
3. Die Klausel in § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 erweist sich als wirksam.

a) Durch sie werden keine wesentlichen Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur der von der Klägerin genommenen Krankheitskostenversicherung ergeben, so eingeschränkt, daß die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F., § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG).
(1) Mit Abschluß eines Vertrages über eine Krankhe itskostenversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer die Abdeckung des Kostenrisikos , das ihm durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entsteht. Das schließt regelmäßig jede Art der Behandlung ein, wenn sie sich als zur Heilung oder Linderung einer Krankheit als erforderlich erweist (Senatsurteil vom 17. März 1999 aaO unter II 4 b bb). Der von der Beklagten angebotene Versicherungsvertrag trägt diesem Zweck Rechnung , indem er im Versicherungsfall - der medizinisch notwendigen Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen - den Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen verspricht. § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 ändert an dieser Einordnung nichts; er bestätigt sie vielmehr. Denn mit dieser Regelung nimmt die Beklagte den Ersatz von Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlung nicht

grundsätzlich von ihrem Leistungsversprechen aus, sondern beschränkt die Erstattungsfähigkeit lediglich auf die Aufwendungen, die - unabhängig von der Höhe der entstandenen Kosten - für bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr anfallen.
(2) Nicht jede Leistungsbegrenzung, wie hier in § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 enthalten, bedeutet für sich genommen schon eine Gefährdung des Vertragszwecks. Eine solche liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung der Leistung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (vgl. BGHZ 137, 174, 176; Senatsurteil vom 21. Februar 2001 - IV ZR 11/00 - VersR 2001, 576 unter 3 a). Das ist hier zu verneinen.
Durch die Regelung in § 1 (1) Abs. 3 TB/KK 99 wird dem Versicherungsnehmer nicht für jede, sondern lediglich für eine bestimmte Art der Heilbehandlung - die Psychotherapie - eine Kostenbeteiligung auferlegt, wenn die dort genannte Anzahl von Sitzungen je Kalenderjahr überschritten wird. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten für bis zu 30 Sitzungen steht dem Versicherungsnehmer zudem für jedes Kalenderjahr erneut zu. Selbst nach Ausschöpfung des von der Beklagten zugesagten Kostenrahmens im laufenden Kalenderjahr bleibt er berechtigt, in den nachfolgenden Jahren Erstattung seiner Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlung zu verlangen, wenn auch jeweils beschränkt auf bis zu 30 Sitzungen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, der dem Senatsurteil vom 17. März 1999 (aaO) zugrunde lag. Dort hatte der Versicherer seine Leistungen auf 30 Sitzungen während der gesamten Vertragsdauer beschränkt. Eine solche Leistungsbegrenzung , die trotz Eintritts des Versicherungsfalles jedwede Leistung für

die Folgezeit ausschließt, weil bei einem vorausgegangenen Versicherungsfall die Höchstgrenze erreicht worden ist, greift in die berechtigten Erwartungen des Versicherungsnehmers auf Versicherungsschutz auch für psychotherapeutische Behandlung in erheblicher, den Versicherungszweck gefährdende Weise ein; die Tarifbedingung war deshalb unwirksam. Hingegen ist der Versicherungsnehmer hier, falls die Behandlung über den Zeitraum von einem Kalenderjahr hinausgeht oder er nach zunächst abgeschlossener Therapie zu einem späteren Zeitpunkt erneut erkrankt, nicht gehindert, von der Beklagten in den jeweiligen Kalenderjahren Versicherungsleistungen in Höhe der Aufwendungen für bis zu 30 Sitzungen zu verlangen. Das zeigt, daß dem Versicherungsvertrag trotz der Leistungsbegrenzung nicht seine inhaltliche Grundlage entzogen wird und die versprochene Abdeckung des Kostenrisikos auch für psychische Erkrankungen für die Klägerin ihren Sinn behält.
Hinzu tritt, daß nach den Feststellungen des Beruf ungsgerichts, gegen die sich die Revision insoweit nicht wendet, der Versicherungsnehmer mit 30 erstattungsfähigen Sitzungen je Kalenderjahr die Kosten einer Kurzzeittherapie abdecken kann; eine solche reicht nach den vom Berufungsgericht beigezogenen Gutachten in etwa einem Drittel aller psychotherapeutischen Behandlungen aus. In diesen Fällen werden dem Versicherungsnehmer trotz der in § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 enthaltenen Leistungsbegrenzung die Kosten der Behandlung in voller Höhe erstattet. Von der Leistungsbeschränkung sind damit nur die Langzeittherapie oder die innerhalb eines Jahres wiederholte Kurzzeittherapie betroffen; selbst dann ist aber für den Versicherungsnehmer immer noch ein nicht unerheblicher Teil der Kosten abgedeckt, denn er erhält Versicherungsleistungen für bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr.


b) Die Klausel läßt auch sonst keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers entgegen den Geboten von Treu und Glauben erkennen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB n.F., § 9 Abs. 1 AGBG). Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nur dann unangemessen, wenn der Verwender - hier die Beklagte - entgegen den Geboten von Treu und Glauben einseitig eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (BGHZ 141, 137, 147; Senatsurteil vom 21. Februar 2001 aaO unter 3 b). Dabei bedeutet nicht jede Schmälerung des Versicherungsschutzes zugleich eine unangemessene Beeinträchtigung der Belange des Versicherungsnehmers; sie muß vielmehr den berechtigten Interessen des Versicherers gegenübergestellt werden und im Vergleich mit diesen von einigem Gewicht sein (Senatsurteile vom 6. Dezember 1995 - IV ZR 363/94 - VersR 1996, 322 unter 2 b cc; vom 21. Februar 2001 aaO unter 3 b cc).
In § 1 (1) Satz 3 TB/KK 99 wird dem Versicherungsn ehmer klar und verständlich vor Augen geführt, daß er an den Kosten langwieriger oder wiederholter psychotherapeutischer Behandlungen beteiligt werden soll. Er kann der Regelung ohne weiteres entnehmen, daß ihm zwar Versicherungsschutz auch für die Psychotherapie versprochen wird, jedoch nicht in jedem Fall die Aufwendungen für eine solche Heilbehandlung in voller Höhe abgedeckt sind. Die Klausel beschränkt die Anzahl der erstattungsfähigen Behandlungseinheiten auf bis zu 30 je Kalenderjahr; damit macht sie die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen ausreichend deutlich (vgl. BGHZ 141, 137, 143).

Hinter dieser Leistungsgrenze steht das gewichtige Interesse des Versicherers, sein bei zeitintensiven psychotherapeutischen Behandlungen besonders schwer kalkulierbares Kostenrisiko zu begrenzen. Zugleich wird dem wohlverstandenen Interesse der Gesamtheit der Versicherungsnehmer an bezahlbaren Prämien Rechnung getragen. Die Beschränkung des Leistungsversprechens ist nach alledem durch sachliche , die beiderseitigen Belange beachtende Gründe gerechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe RuS 1999, 292; Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 4 MB/KK 94 Rdn. 3). Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers läßt sich zudem auch deshalb nicht erkennen, weil er - wie ausgeführt - trotz der Leistungsbeschränkung einen zumindest nicht unwesentlichen Teil der ihm durch eine psychotherapeutische Behandlung erwachsenen Kosten erstattet erhält.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 113/04 Verkündet am:
21. September 2005
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
_____________________
MB/KK 94 § 1 Abs. 2 Satz 1
Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten einer auf die Geburt eines zweiten Kindes abzielenden
homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion
(ICSI) in der privaten Krankenversicherung.
BGH, Urteil vom 21. September 2005 - IV ZR 113/04 - OLG München
LG München I
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat dur ch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 21. September 2005

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers und unter ihrer Zurückweisung im Übrigen werden das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. März 2004 aufgehoben und das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 16. September 2003 unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten geändert : I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.171,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 5.743 € seit dem 18. April 2002 und auf 3.428,88 € seit dem 24. September 2002 zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 83% und die Beklagte 17%.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der beklagte pri vate Krankenversicherer dem Kläger, der zusammen mit seiner Ehefrau mit Hilfe künstlicher Befruchtung bereits ein erstes Kind gezeugt hat, die Kosten für weitere Behandlungszyklen einer homologen In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) zu ersetzen hat.
Der Kläger ist bei der Beklagten zu einem Tarif pr ivat krankenversichert , der abgesehen von einer jährlichen Selbstbeteiligung des Versicherten für ambulante Behandlungen eine Kostenerstattung zu 100% vorsieht. Dem Krankenversicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (AVB/KK) der Beklagten zugrunde, welche in den hie r maßgeblichen Bestimmungen § 1 (1) lit. a und § 1 (2) Satz 1 der Musterbedingungen 1994 des Verbandes der privaten Krankenversicherung für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherungen (MB/KK 94) entsprechen.
Der Kläger leidet an einer Kryptozoospermie und ei nem hochgradigen Oligo-Astheno-Teratozoospermie-Syndrom (OAT-Syndrom), das heißt einer verminderten Spermiendichte bei gleichzeitig verminderter Spermienbeweglichkeit und erhöhter Spermienfehlformenrate. Er kann deshalb auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen. Im Januar 1997 gelang es im seinerzeit dritten Behandlungszyklus einer kombinierten IVF/ICSI-Behandlung, deren Kosten die Beklagte getragen hat, mit Spermien des Klägers bei seiner am 4. Oktober 1960 geborenen Ehefrau eine Schwangerschaft herbeizuführen, die mit der Geburt eines gesun-

den Sohnes endete. Bei der IVF/ICSI-Behandlung werden der Frau Eizellen entnommen, in welche extrakorporal Spermien des Mannes injiziert werden. Nach etwa zwei Zellteilungen wird der so erzeugte Embryo in die Gebärmutter eingesetzt.
Die Eheleute wünschen sich ein zweites Kind. Zu di esem Zweck unterzogen sie sich im Oktober/November 2000 und im Juni 2002 zwei weiteren Behandlungszyklen, welche nicht zu einer Schwangerschaft führten.
Der Kläger fordert von der Beklagten - unter Berüc ksichtigung der Selbstbeteiligung - die Erstattung der Kosten für diese erneuten Behandlungen in Höhe von noch 5.743 € (1. Zyklus) und 3.428,88 € (2. Zyklus); er begehrt darüber hinaus die Feststellung, dass die Beklagte auch die Kosten für weitere acht in Aussicht genommene IVF/ICSIBehandlungszyklen erstatten müsse.
Die Beklagte meint, sie müsse die Kosten für die k ünstliche Zeugung eines zweiten Kindes nicht tragen. Die Krankheit des Klägers sei bereits mit Geburt seines Sohnes gelindert; im Übrigen seien die Erfolgsaussichten weiterer Behandlungsversuche in Anbetracht des Alters der Ehefrau des Klägers gering.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Erstattung de r Kosten für den ersten Behandlungszyklus (Oktober/November 2000) verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Zurückweisung der Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht auf die Berufung der Beklagten

der Klage insgesamt den Erfolg versagt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg, soweit der Kläger die Erstattung der Kosten für die bereits durchgeführten IVF/ICSI-Behandlungen aus den Monaten Oktober/November 2000 und Juli 2002 begehrt.
I. Das Berufungsgericht hat sowohl den Leistungs- als auch den Feststellungsantrag zurückgewiesen, weil kein Versicherungsfall vorliege. Zwar sei die Fertilitätsstörung des Klägers eine grundsätzlich behandlungsbedürftige und behandlungsfähige Krankheit; insoweit dienten die hier in Rede stehenden ärztlichen Bemühungen dem Versuch der Linderung einer Krankheitsfolge, nämlich der Kinderlosigkeit. In ständiger Rechtsprechung gehe das Berufungsgericht aber davon aus, dass diese Linderung eingetreten sei, wenn eine gleichartige Behandlung des Versicherten bereits zur Geburt eines Kindes geführt habe. Bei schon erfülltem Kinderwunsch könne dem Selbstbestimmungsrecht von Ehegatten gegenüber den gleichfalls zu berücksichtigenden Interessen des Versicherers und der Versichertengemeinschaft angesichts der teuren, vital aber nicht notwendigen Behandlung nicht eine derartige Bedeutung zukommen , die es erlauben würde, es der alleinigen Entscheidungsgewalt des Versicherten zu überlassen, wann eine endgültige Linderung eingetreten sei. Dass Kinder erwünscht seien, führe zu keiner anderen Beur-

teilung. Auf die Erfolgsaussichten der Behandlung komme es nicht mehr an.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand.
Versicherungsfall in der hier in Rede stehenden Kr ankenversicherung ist gemäß § 1 (2) Satz 1 MB/KK 94 die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Was den Versicherungsfall ausmacht, wird zum einen durch die Bezeichnung eines die Behandlung auslösenden Ereignisses oder Zustandes (Krankheit oder Unfallfolgen) ausgefüllt, zum anderen dadurch festgelegt, dass es sich bei der Behandlung um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung handeln muss (BGHZ 158, 166, 170).
1. Krankheit im Sinne der Bedingungen ist ein obje ktiv nach ärztlichem Urteil bestehender anomaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Die Krankheit des Klägers ist seine auf körperlichen Ursachen beruhende Unfähigkeit, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen. Demgegenüber stellt die Kinderlosigkeit des Klägers und seiner Ehefrau keine Krankheit im Sinne der Bedingungen und auch keine die Erkrankung des Klägers derart kennzeichnende Krankheitsfolge dar, dass davon gesprochen werden könnte, mit dem Ende der Kinderlosigkeit sei auch eine endgültige Linderung der Krankheit eingetreten (vgl. dazu BGHZ 99, 228, 230; ferner Senatsurteile vom 3. März 2004 aaO und vom 12. November 1997 - IV ZR 58/97 - VersR 1998, 87 unter 2 a). Vielmehr besteht die Sterilität des Klägers auch nach der Geburt seines Sohnes fort. Deshalb kann der Wunsch nach einem weiteren Kind auch erneut den Bedarf aus-

lösen, die gestörten Körperfunktionen durch medizinische Maßnahmen zu ersetzen. Aus der Entscheidung BGHZ 99, 228, 233 ergibt sich nichts anderes. Zwar hat der Senat dort im Rahmen der Untersuchung, inwieweit die künstliche Befruchtung eine Linderung der Unfruchtbarkeit einer Frau herbeiführen könne, die Frage aufgeworfen, ob nach eingetretener Mutterschaft nach allgemeinem Sprachgebrauch noch davon gesprochen werden könne, die Frau sei unfruchtbar, oder ob nicht eine Heilung eingetreten sei. Er hat aber zugleich deutlich gemacht, dass die Sterilität als Krankheit auch nach Geburt eines ersten Kindes fortbestehe und sich deshalb die Frage der erneuten Anwendung der Technologie der homologen In-vitro-Fertilisation weiter stellen könne (aaO S. 230, 233).
2. Wird eine In-vitro-Fertilisation in Kombination mit einer intracytoplasmatischen Spermieninjektion vorgenommen, um die organisch bedingte Unfruchtbarkeit eines Mannes zu überwinden, so ist die Maßnahme eine insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung , die darauf gerichtet ist, die Unfruchtbarkeit des Mannes zu lindern (BGHZ 158, 166 aaO). Dabei wird die Linderung mittels der Ersetzung der gestörten Körperfunktion durch medizinische Maßnahmen erzielt.
3. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung w ar hier nur für die beiden bereits durchgeführten Behandlungszyklen im Oktober/November 2000 und Juli 2002 gegeben. Die Beklagte hat deren Kosten zu ersetzen.
Demgegenüber lässt sich eine bedingungsgemäße medi zinische Notwendigkeit für weitere in Aussicht genommene Behandlungszyklen nicht mehr begründen, weil diese angesichts des Alters der Ehefrau des

Klägers keine ausreichenden Erfolgsaussichten mehr bieten. Der Feststellungsantrag des Klägers erweist sich deshalb jedenfalls als unbegründet , so dass es auf dessen Zulässigkeit und damit die Frage, ob und inwieweit in der Krankenversicherung die Feststellung der Erstattungsfähigkeit künftiger Heilbehandlungskosten begehrt werden kann (vgl. dazu Senatsurteile vom 13. Mai 1992 - IV ZR 213/91 - VersR 1992, 950 unter I 2 und vom 23. September 1987 - IVa ZR 59/86 - VersR 1987, 1107 unter 2), hier nicht mehr ankommt.

a) Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung wird - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (BGHZ 133, 208, 212 f.; 154, 154, 166 f.; Senatsurteil vom 14. Dezember 1977 - IV ZR 12/76 - VersR 1978, 271 unter II 1). Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab (BGHZ 133 aaO m.w.N.), sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung.
Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Kr ankheit zu heilen oder zu lindern, nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers (BGHZ 133 aaO). Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (BGHZ 133 aaO; 154, 154, 166 f.; Senatsurteile vom 29. No-

vember 1978 - IV ZR 175/77 - VersR 1979, 221 unter III; vom 29. Mai 1991 - IV ZR 151/90 - VersR 1991, 987 unter 2 a). Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden (vgl. BGHZ 133, 208, 215). So kann es bei unheilbaren lebensbedrohlichen Erkrankungen vertretbar sein, auch Behandlungsversuche als notwendig anzusehen , die mit nicht nur ganz geringer Wahrscheinlichkeit ihr Ziel erreichen und denen notwendigerweise Versuchscharakter anhaftet (BGHZ 133 aaO). Liegt hingegen - wie hier - eine leichtere, insbesondere keine lebensbedrohende oder -zerstörende Krankheit vor, erweist sich die in Aussicht genommene Heilbehandlung also als nicht vital lebensnotwendig und sind ihre Erfolgsaussichten in Abhängigkeit von bestimmten Voraussetzungen bereits umfangreich erforscht, so lässt erst ein höherer Grad der Erfolgswahrscheinlichkeit es als vertretbar erscheinen, die Maßnahme als bedingungsgemäß notwendig anzusehen.

b) Der in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts g efasste Entschluss von Ehegatten, ein gemeinsames Kind zu haben, ist jeder rechtlichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit entzogen. Auch im Rahmen der Prüfung der bedingungsgemäßen Notwendigkeit einer Heilbehandlung - hier der künstlichen Befruchtung - ist es daher schon im Ansatz verfehlt, die Frage nach der "Notwendigkeit" der Erfüllung des Kinderwunsches zu stellen (BGHZ 99, 228, 234, vgl. auch OLG Düsseldorf VersR 2004, 1546 f.). Die Erwägung des Berufungsgerichts, dem vom Kläger geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stehe entgegen, dass bereits sein erstes Kind mittels einer gleichartigen Behandlung gezeugt worden sei, lässt besorgen, dass das Berufungsgericht, das einen

Versicherungsfall verneint, insoweit Maßstab und Prüfungsgegenstand der Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit verkannt hat. Diese Prüfung hat von dem Kinderwunsch des Versicherten und seines Ehepartners ohne Einschränkungen auszugehen und auf dieser Grundlage danach zu fragen, ob die medizinische Behandlung notwendig ist.

c) Maßgeblich für die bedingungsgemäße Notwendigke it der IVF/ICSI-Behandlung ist zunächst, dass diese eine medizinisch anerkannte Methode zur Überwindung der Sterilität des Klägers darstellt (vgl. dazu auch BGHZ 99, 228, 234; BGHZ 158, 166, 174).
Das besagt aber noch nicht, dass die Maßnahme auch in jedem Einzelfall ausreichend Erfolg versprechend ist, um ihre bedingungsgemäße Notwendigkeit zu bejahen (vgl. dazu BGHZ 133, 208, 215; 99, 228, 235). Die Beurteilung der ausreichenden Erfolgsaussicht hat grundsätzlich der Tatrichter vorzunehmen, der sich dazu regelmäßig sachverständiger Hilfe bedienen muss, um die Einschätzung des behandelnden Arztes zu überprüfen (vgl. dazu BGHZ 133 aaO m.w.N.). Dafür gelten unter Berücksichtigung des IVF-Registers und der dazu vom gerichtlichen Sachverständigen gegebenen, insoweit unstreitigen Erläuterungen die folgenden Maßstäbe:
aa) Auszugehen ist von der durch dieses Register ( vgl. IVFRegister , Jahresbericht 2003, S. 12, veröffentlicht im Internet unter www.deutsches-ivf-register.de/jahresbericht.htm) seit 1982 umfassend dokumentierten Erfolgswahrscheinlichkeit der Behandlungen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Frau. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, inwieweit individuelle Faktoren ihre Einordnung in die ihrem Lebensalter

entsprechende Altersgruppe rechtfertigen, ob also ihre persönlichen Erfolgsaussichten höher oder niedriger einzuschätzen sind, als die im IVFRegister für ihre Altersgruppe ermittelten Durchschnittswerte es ausweisen.
Bedeutsam für diese Beurteilung kann unter anderem sein, ob eine IVF/ICSI-Behandlung bei denselben beteiligten Personen bereits früher einmal erfolgreich war (vgl. zur Aussagekraft früherer erfolgreicher Behandlungen allgemein auch BGHZ 133, 208, 216), ob dafür viele oder nur wenige Behandlungszyklen benötigt wurden, ferner die Zahl und Qualität der beim zuletzt vorgenommenen Behandlungsversuch gefundenen Spermien, Eizellen und übertragenen Embryonen. Eine Vielzahl vergeblicher Behandlungsversuche in der Vergangenheit kann die individuelle Erfolgsaussicht verringern. Für die Prognose von Bedeutung ist weiter die Stimulationssituation beim letzten Behandlungszyklus (Stimulationsprotokoll und Gonadotropinart), schließlich auch die Frage, inwieweit der allgemeine Gesundheitszustand der beteiligten Frau vom Durchschnitt ihrer Altersgruppe abweicht.
bb) Von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsauss icht - und damit von einer nicht mehr gegebenen bedingungsgemäßen medizinischen Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung - ist dann auszugehen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryotransfer (Punktion) zur gewünschten Schwangerschaft führt, signifikant absinkt und eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15% nicht mehr erreicht wird (vgl. dazu BGHZ 99, 228, 235, wo eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15-20% als noch ausreichend erachtet worden ist). Das ist nach den von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen referierten Daten aus dem Deutschen IVF-Register im

Durchschnitt bei Frauen nach Vollendung des 40. Lebensjahrs der Fall, kann aber aufgrund der vorgenannten individuellen Faktoren im Einzelfall früher oder später eintreten.

d) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass für den Kläger und seine am 4. Oktober 1960 geborenen Ehefrau bei Durchführung der Behandlungszyklen im Oktober/November 2000 und im Juni 2002 noch ausreichend große Erfolgsaussichten bestanden und es deshalb im Zeitpunkt dieser Behandlungen vertretbar war, sie als medizinisch notwendig anzusehen.
Zwar hat sich die Ehefrau des Klägers diesen Behan dlungen erst im Alter von 40 und noch 41 Jahren unterzogen, für eine Erfolgsaussicht über 15% sprach aber in beiden Fällen ganz wesentlich die frühere, schon beim dritten Behandlungszyklus erfolgreiche IVF/ICSI-Behandlung , die zur Geburt des ersten Kindes geführt hatte.
aa) Hinsichtlich des im Alter von 40 Jahren durchg eführten Behandlungszyklus hat der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht zuletzt auch mit Hinsicht darauf eine Erfolgswahrscheinlichkeit von "sicherlich gut über 15%" angenommen, was sich für ihn auch bei rückblickender Betrachtung insoweit bestätigt hat, als vier Eizellen entnommen und zwei Embryonen übertragen werden konnten.
bb) Soweit der Sachverständige - und ihm folgend d as Landgericht in erster Instanz - den zweiten Behandlungszyklus im Juni 2002 mit einer Erfolgsaussicht von lediglich noch 10% bewertet hat [(Gutachten S. 10 oben)], beruht dies allein darauf, dass sich erst bei Durchführung der

Behandlung herausgestellt hat, dass nur noch eine Eizelle befruchtet und nur noch ein Embryo übertragen werden konnte. Dieser Rückblick auf den konkreten Behandlungsverlauf kann aber die Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung nicht beantworten, denn damit wäre dem Versicherungsnehmer das Kostenrisiko für Behandlungsmaßnahmen aufgebürdet, die sich erst im Nachhinein als erfolglos erweisen. Entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der bedingungsgemäßen Notwendigkeit ist allein die Prognose vor Beginn der Behandlung.
Dazu hat der Sachverständige ausgeführt, bei 42-jä hrigen Patientinnen reduziere sich die durchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit einer klinischen Schwangerschaft pro Embryotransfer auf ca. 13-14%. Die früher erfolgreiche IVF/ICSI-Behandlung zeige, dass keine weiteren Hindernisse für eine Schwangerschaft bei der Ehefrau des Klägers vorgelegen hätten. Angesichts dessen habe man erwarten dürfen, dass die individuellen Schwangerschaftschancen gegenüber den Durchschnittswerten des IVF-Registers etwas höher gelegen hätten. Die ovarielle Ansprechrate sei altersgemäß, die beim vorangegangenen Behandlungsversuch eingesetzte Hormondosierung sogar noch deutlich steigerbar gewesen. Diese Ausführungen zeigen, dass der Sachverständige, hätte er nicht den nachträglich bekannt gewordenen konkreten Behandlungsverlauf in seine Betrachtung einbezogen, für die Ehefrau des Klägers auch hinsichtlich des Behandlungszyklus vom Juni 2002 noch eine Erfolgswahrscheinlichkeit von jedenfalls 15% prognostiziert hätte.

e) Künftige Behandlungszyklen sind angesichts des fortgeschrittenen Alters der Ehefrau des Klägers nicht mehr ausreichend Erfolg ver-

sprechend, um die bedingungsgemäße Notwendigkeit der Behandlung zu begründen. Der Sachverständige hat - gestützt auf die Zahlen des Deutschen IVF-Registers - überzeugend dargelegt, dass ab einem Lebensalter der behandelten Frau von 45 Jahren die Erfolgsaussichten einer IVF/ICSI-Behandlung praktisch nicht mehr zu beziffern sind. Bei der Ehefrau des Klägers kommt entscheidend hinzu, dass auch schon bei dem letzten, im Alter von knapp 42 Jahren durchgeführten Behandlungszyklus nur noch die Übertragung eines Embryos möglich und damit - rückblickend betrachtet - schon damals eine unterdurchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit gegeben war.
Schon aus diesem Grunde kann der Einwand des Kläge rs nicht durchdringen, die Beklagte könne sich nach Treu und Glauben nicht auf die eingetretene Zeitverzögerung bei der Fortsetzung der Behandlungszyklen berufen, weil sie diese Verzögerung durch ihre Weigerung, die Kosten zu tragen, selbst verursacht habe. Die mangelnden Erfolgsaussichten für künftige Behandlungen beruhen nach den Ausführungen des Sachverständigen hier nicht allein auf dem Zeitablauf seit der letzten Behandlung, sondern sind bereits durch deren Verlauf zusätzlich indiziert und hätten damit auch schon zeitnah nach dem zweiten Behandlungszyklus vorgelegen. Im Übrigen kann der Grundsatz von Treu und Glauben nicht dazu führen, dass der Krankenversicherer die Kosten aussichtsloser Behandlungen tragen muss.
4. Die Beklagte kann den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für die beiden IVF/ICSI-Behandlungszyklen aus den Jahren 2000 und 2002 nicht mit Erfolg den Einwand aus Treu und Glauben entgegen-

halten, der Kläger verletze die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Versicherers und der Versichertengemeinschaft.

a) Allerdings hat der Senat in der Entscheidung BG HZ 99, 228, 235 ausgeführt, der Versicherungsnehmer müsse bei Inanspruchnahme dieser besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft nehmen, da das private Versicherungsverhältnis in besonderem Maße den Grundsätzen von Treu und Glauben unterstehe. Der Versicherer müsse deshalb ganz unverhältnismäßige Kosten für eine In-vitro-Fertilisation nicht erstatten. Abgesehen von der Voraussetzung , dass diese Behandlung das einzige Mittel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sei und bei der beteiligten Frau eine deutliche Erfolgsaussicht bestehen müsse, seien einer Kostenerstattung für wiederholte Fertilisationsversuche Grenzen gesetzt. Der Versuch könne nicht auf Kosten der Versichertengemeinschaft beliebig oft wiederholt werden.

b) Daran ist im Grundsatz festzuhalten.
aa) Allerdings ist das Risiko des Versicherers nac h der Systematik der MB/KK 94 vorwiegend dadurch begrenzt, dass der Versicherungsfall als medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen (§ 1 (2) Satz 1 MB/KK 94) beschrieben wird. Dabei dient vor allem das Merkmal der Notwendigkeit der Heilbehandlung dazu, den Versicherer davor zu schützen, dass er die Kosten für überflüssige oder nicht aussichtsreiche Behandlungen tragen muss (vgl. dazu BGHZ 154, 154, 166 ff.). Die Notwendigkeit einer IVF/ICSI-Behandlung besteht nach den oben stehenden Ausführungen

nur dann, wenn unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der an der Behandlung beteiligten Partner eine ausreichende Erfolgsaussicht gegeben ist. Dabei trägt der geforderte Grad der Erfolgsaussicht bereits dem Umstand Rechnung, dass eine vital lebensnotwendige Behandlung nicht in Rede steht. Schon hierdurch ist die Erstattung der Kosten für beliebig oft wiederholte erfolglose Behandlungen regelmäßig ausgeschlossen. Denn eine ungewöhnliche Häufung erfolgloser Behandlungszyklen muss sich zwangsläufig negativ auf die individuelle Erfolgsprognose für weitere Behandlungen auswirken.
bb) Ist - wie hier - nach erfolgreicher früherer B ehandlung die Wiederholung von IVF/ICSI-Behandlungszyklen durch den Wunsch von Eheleuten nach einem weiteren Kind veranlasst, so kann dieser Kinderwunsch im Rahmen der von § 242 BGB geforderten Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalles nicht zu Lasten der versicherten Person ins Gewicht fallen, denn er ist einer Kontrolle und auch einer negativen Bewertung durch die Gerichte entzogen. Die mit fortschreitendem Lebensalter der beteiligten Frau sinkenden Erfolgsaussichten der Behandlung bieten auch insoweit regelmäßig ausreichenden Schutz davor, dass der Versicherer die Kosten für beliebig oft wiederholte Behandlungen zu tragen hat.

Der Bereich, in dem eine Leistungsfreiheit des Ver sicherers nach Treu und Glauben in Betracht zu ziehen ist, bleibt nach allem auf besondere Einzelfälle beschränkt.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch